die Besorgniß vorläge, daß der Immunität der Reichstagsabgeord⸗
neten durch die Verhaftung des Hrn. Abg. Dietz zu nahe getreten sei.
Meine Herren! So liegt aber der Fall nicht. Es steht allseitig fest, daß die Verhaftung des Hrn. Abg. Dietz erfolgt ist, bei Ausübung einer strafbaren Handlung, daß also der Fall vorliegt, in welchem nach Artikel 31 der Ver⸗ fassungsurkunde ohne Genehmigung des Reichstages die Verhaftung zulässig ist. Die Frage kann allerdings entstehen, ob bei der gering⸗ fügigen Bedeutung der vorliegenden strafbaren Handlung es überhaupt nothwendig war, zu einer Verhaftung zu chreiten; das erkenne ich vollständig an, daß in dieser Beziehung ein Zweifel obwalten kann. Allein, meine Herren, der Reichstag ist nicht berufen, darüber zu entscheiden, ob ein Haftbefehl ein gerechtfertigter war, und er würde also auch kein Interesse haben, die zu Grunde liegenden Ver⸗ hältnisse kennen zu lernen. Es ist Sache des geordneten Instanzen⸗
weges, zu entscheiden, ob die Verhaftung gerechtfertigt war, Wund wenn der Amtsrichter, der den Haftbefehl erlassen hat, gegen das Gesetz verstoßen haben sollte, dann ist
der Disziplinarweg oder allenfalls der strafgerichtliche Weg der geeignete, der vom Gesetz geforderte Weg. Ich glaube deshalb nicht, daß es zweckmäßig ist, die Frage, ob ein Hastbefehl materiell gerechtfertigt war oder nicht, zum Gegenstand der Erörterung in diesem hohen Hause zu machen. 1 3
Erheblicher sind meine Bedenken gegen die Nr. 4. Ich fürchte, obgleich ich natürlich eine entscheidende Erklärung hierüber nicht abgeben kann, daß der Herr Reichskanzler nicht in der Lage sein wird, das von der Kommission verlangte Ersuchen an die Bundesregierungen zu erlassen. Meine Herren, der Reichstag steht in keinem unmittelbaren Geschäftsverkehr mit den Gerichten der Einzelstaaten. Wenn das hohe Haus, wie das soeben geschehen ist, der Aufhebung eines Haftbefehls oder die Einstellung eines Strafverfahrens beschließt, so geht dieser Beschluß nicht hinaus an die betreffenden Gerichte, sondern wird verfassungsmäßig an den Herrn Reichskanzler mitgetheilt, damit dieser durch die Bundesregierungen die Einstellung des Strafverfahrens herbeiführt. Derselbe Weg, der eingeschlagen wird, wenn ein Beschluß des Reichstags nach unken hin den Gerichten des Einzelstaates eröffnet werden soll, muß meines Erachtens auch eingeschlagen werden, wenn die Gerichte ihrerseits eine Aus⸗ kunft an den Reichstag gelangen lassen. Ich glaube auch in der That, daß der Herr Reichskanzler nicht in der Lage sein würde, den Bundesregierungen die Zumuthung zu stellen, daß dieselben ihre Gerichte zu einem unmittelbaren Verkehr mit dem hohen Reichstage veranlassen sollen, denn der Herr Reichskanzler ist selbst nicht in der Lage, direkt mit den Gerichten der Einzelstaaten zu ver⸗ kehren; der ganze Verkehr kann nur erfolgen durch Vermittelung der Bundesregierungen.
Anders würde die Sache liegen, wenn der Reichstag etwa den Wunsch aussprechen sollte, daß, wenn die Verhaftung eines Reichs⸗ tagsabgeordneten während der Sitzungsperiode erfolgt, ihm davon
von dem Reichskanzler Mittheilung gemacht werden möge. Ich glaube kaum, daß ein solcher Wunsch erheblichen Bedenken begegnen
würde, aber in der jetzt femücsigg Weise scheint mir der Antrag der verfassungsmäßigen Stellung sowohl des Reichstags als des Reichs⸗ kanzlers den Gerichten der Einzelstaaten gegenüber zu widersprechen. Der Abg. Klotz erklärte, die Geschäftsordnungskommission sei darüber einig gewesen, daß die von der württembergischen Regierung vollzogene Verhaftung des Abg. Dietz nach den Be⸗ stimmungen der Strafprozeßordnung nicht gerechtfertigt sei. Da §. 31 der Verfassung ein Privilegium nicht des einzelnen Abgeordneten, sondern des Reichstags feststelle, so sei es die Pflicht des Reichstags zu wachen, daß nicht bie Verhaftung eines Reichstagsmitgliedes vorgenommen werde, ohne daß die Gründe derselben präzisirt würden, und vor allem Acht zu geben, daß keine unzulässige Verhastung ersolge. §. 12 der Strasprozeßordnung bestimme, daß der Angeschuldigte nur dann sofort in Hast zu nehmen sei, wenn dringende Verdachtsgründe vorhanden seien, daß ein Fluchtversuch gemacht werde, oder die Spuren der That vernichtet oder Zeugen bestochen werden sollten. Von alle dem werde in dem Telegramm nichts er⸗ wähnt. Es erweise sich sogar aus demselben, daß der Ange⸗ schuldigte nicht einmal bei der Ausübung eines Vergehens ergriffen sei. Das sei ein Verfahren, wie es eigent⸗ lich gar nicht zu denken sei. Eben der Amtsrichter, der den Angellagten in Schutz nehmen solle, erlasse den formellen Hastbefehl gegen ihn. Punkt 1 und 2 des Antrags seien baher unter allen Umständen gerechtfertigt. Aber da es den Anschein habe, als ob das württembergische Justiz⸗Ministerium den §. 31 der Verfassung gar nicht gekannt habe, oder viel⸗ leicht alsichtlich die Bestimmungen desselben verletzt habe, so sei die Geschäftsordnungs⸗Kommission der Ansicht gewesen, daß es im Interesse des Reichstags liege, eine sachgemäße Darstellung des Vorgangs, wie derselbe in Punkt 3 gefordert verde, zu erhalten. Punkt 4 sei nur eine der in 3 ausge⸗ sprochenen Forderungen. 1 Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, er werde für die Nummern 1, 2 und 3 stimmen, für die letztere Nummer des⸗ halb, weil ihm daran liege, daß es festgestellt werde, ob das Gericht korrekt gehandelt habe oder nicht. Der Reichstag abe ein eminentes Interesse daran, daß das Ansehen und ie Autorität der Gerichte gewahrt werde. Deswegen wünsche r Vorlage der Akten. Bei Nummer 4 sei gestern behauptet worden, daß die Gerichte verpflichtet wären, eine Anzeige hierher zu machen. Im Gesetz liege dies ohne Weiteres aicht. Dagegen liege es in der Natur der Dinge, daß in len solcher Art die Gerichte dem Reichstag Mittheilung machen sollten, weil der keichstag im Stande sein müsse, über die Sache zu urtheilen. Das sei auch im Falle sende ohne weiteres geschehen. Er beantrage, um dem Staatssekretär alle Skrupel zu nehmen, die Nr. 4 so zu fassen: 8 Den Herrn Reichskanzler aufzufordern, die Bundesregierungen zu ersuchen, sämmtlichen Gerichten durch eine Generalverfügung aufzugeben, in allen Fällen, in welchen die Verhaftung eines Reichs⸗ tagsabgeordneten während der Sitzungen des Reichstages erfolgt, dem Reichskanzler davon unverweilt auf dem kürzesten Wege und unter gedrängter Darstellung der Gründe Kenntniß zu geben.
Hierauf nahm der Bevollmächtigte zum Bundesrath Königlich württembergische Ober⸗Finanz⸗Rath von Schmid bdas Wort:
Meine Herren! Der Hr. Abg. Klotz hat es der württembergi⸗ schen Regierung zum Vorwurf gemacht, 8 dieselbe nicht sofort, nachdem sie von der Verhaftung des Abg. ietz Kenntniß erhalten, Mangels von zureichenden gesetzlichen Verhaftungsgründen und An⸗
ichts des Art. 31 der Reichsverfassung die Verha stung außer Wir⸗
kung gesetzt habe. Ich möchte doch glauben, daß bei einer ruhigen nd objektiven Auffassung dieses Falles eine solche Zumuthung der württembergischen Regierung in keiner Weise gemacht werden könnte,
enn, meine Herren, nachdem die Verhaftung durch den Richter 8 gt ist, war die Sache damit den diskretionären Ein⸗ griffen der württembergischen Regierung entzogen; nur ege der gerichtlichen Instanzen, wie sie die Prozeßordnung wag brrbt. konnte hier noch vorgegangen werden. Aber, meine Herren, 1 Sie fagen in dem umgekehrten Falle, wenn es sich um einen
Verhafteten h deln wü 1 das Privflen⸗ 8 Handeln würde, als um einen solchen, welcher bier, F des Art. 31 der Reichsverfassung hat, ich sage, wenn
1. em der Ri * 8 . : dirert esngreifen neichter die Verhaftung verfügt hat, eine Regierung tungsgründe beßsen Mangels nicht vorliegender gesetzlicher Verhaf⸗ sem Freigebung veranlassen würde? Dann würde man
von lettres de cachet und dergleichen sprechen. Man muß hier mit gleichem Maße messen. 1
Demnächst aber möchte ich doch auch noch weiter bemerken, daß, wenn, soviel ich den Zeitungen entnommen — ich wohnte bei⸗ dem Verhandlungen nicht bei — gestern gesagt wurde, die württem⸗ bergische Regierung hätte jedenfalls die Verpflichtung gehabt, sofort den Reichstag beziehungsweise dessen Präsidium von diesem Falle Kenntniß zu geben, hier zweierlei zu erinnern wäre: einmal hat die württembergische Regierung, das Ministerium, erst am 13. Abends, also ungefähr zu derselben Zeit, wo in diesem hohen Hause unge⸗ fähr die Sache verhandelk worden ist, von diesem Falle Kenntniß erlangt — (Ruf; Schlimm genug!) — Wenn das so schlimm wäre, so wäre dies ein Fehler, welcher der Staatsanwaltschaft zur Schuld fallen würde, aber nicht dem Ministerium — und diesem
wurde der Vorwurf gemacht. Sodann aber möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß mit Recht der Hr. Staatssekretär
Dr. Schelling nur ausgeführt zu haben scheint, daß solche direkte Beziehungen zwischen den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten und dem Reichstage, beziehungsweise dessen Präsidium eigentlich doch nicht im Sinne und im Geiste der Verfassung liege, und daß sie auch nicht zweckmäßig erscheinen dürften. Der Hr. Abg. Dr. Windthorst, welcher in diesen Dingen wohl eine hervorragende Autorität ist, hat selbst auf die diesbezügliche Bemerkung des Herrn Staatssekretärs hin die Ziffer 4 des Antrages in dieser Richtung modifizirt.
Meine Herren! So scheinen mir die Vorwürfe, welche gemacht worden sind, doch in alleweg nicht ein solches Fundament zu haben, daß man daraufhin gewissermaßen nach dem Gefühle ein Verdikt fällen könnte. 1
Nun möchte ich aber doch dem Hrn. Abg. Klotz das Eine noch bemerken, wie bedenklich es wäre, wenn man die Autorität der Richterinstanz — denn das muß auch von mir zugegeben werden — auf ein unvollständiges Material hin durch ein solches Ürtheil in diesem hohen Hause, was bei der Nation eine weittragende Bedeutung haben müßte, gewissermaßen in Frage stellen würde. Meine Herren, in dieser Richtung wird auch dieses hohe Haus sich eine gewisse Selbst⸗ beschränkung in dem Sinne auferlegen müssen, daß der Glaube an die Autorität des Richters nicht erschüttert wird. Da müßte das hohe Haus — unz ich bin überzeugt, hier im Sinne vieler der ver⸗ ehrten Herren zu sprechen — doch ein ganz anderes Material, eine viel größere Summe zureichender, maßgebender Thatmomente und Gründe zur Verfügung haben, um zu einem solchen Verdikt im Voraus zu gelangen, als die etwas lückenhaften Bemerkungen in diesem Telegramm darbieten. 8 1
Kamit komme ich auf den Fall selbst. Meine Herren, so viel steht fest, daß hier nicht die Initiative der Polizei in der Weise zum Durchbruch gekommen ist, daß nicht die richterlichen Erwä⸗ gungen und zwar in doppelter Beziehung in der Mitte stehen würden. Die Hausuntersuchung wurde angestellt und beziehentlich veranlaßt durch den Untersuchungsrichter des Landesgerichts. Hier haben Sie die erste richterliche Aktion und demnächst wurde die vorläufige Ver⸗ haftung auf Grund des Befundes bei der Hausuntersuchung durch den Amtsrichter vollzogen.
Das muß ich zugeben, daß allerdings die Gründe, aus welchen die Verhaftung erfolgt ist, im Telegramm nicht näher skizzirt sind, aber wir müssen doch voraussetzen, daß, wenn zwei Richterbeamte thätig sind, der Untersuchungsrichter und demnächst der die Verhaftung beschließende Amtsrichter, dann doch eine zureichende Motivirung vorgelegen haben wird. Auch darf ich wohl ohne Uebertreibung sagen, daß es stets eine Sorge der württembergischen Regierung war, am Stadtgericht, jetzigen Amtsgericht in Stuttgart, befähigtere Männer des Richterstandes, was ja an und für sich natürlich ist, zur Verwendung zu bringen, Es liegt auch hierin eine Garantie, daß nicht in einem gewissen Nebel, wie man es darzustellen beliebt hat, verfahren worden ist. 8
Auch dürfte noch erwähnt werden, daß das Delikt dahin näher präzisirt ist, es handele sich um die Verbreitung einer verbotenen Druͤckschrift in fortgesetzter Handlung. Es ist entfernt also das Telegramm nicht dahin auszu egen, daß man gewissermaßen in procura, an Stelle des Goldhausen den Abgeordneten Dietz verhaftete, sondern es ist dahin aufzufassen und zu präzisiren, daß Dietz die verbotene Verbreitung dieser Druchschrift fortge⸗ etzt hat und daß er aus diesem Grunde dann Objekt der Untersuchung und verhaftet wurde.
Meine Herren! Im übrigen wird vielleicht, wenn der Antrag Ziffer 3, wie ich voraussetze, angenommen wird, der Gegenstand in seinen Details noch zur Kenntniß des hohen Hauses gelangen, und es dürfte dann die bessere Gelegenheit sein, waz den Reat selbst an⸗ belangt, sich des Näheren über die Sache zu besprechen und aus⸗ einander zu setzen.
Der Abg. Dr. Lasker bemerkte, die Ausführungen des Ober⸗Finanz⸗Rathes von Schmid hätten dem Reichstage gegen den Willen des Redners sehr triftige Gründe dafür gebracht, daß Punkt 3 des Antrages durchaus nothwendig sei. Der In⸗ halt des Telegramms sei ihm juristisch und geschästlich gar nicht erklärlich. Unterschrieben sei dasselbe „der Unter⸗ suchungsrichter, im Auftrage“. Nun, wenn der Unter⸗ suchungsrichter antworte, müsse doch die Sache schweben. Wie der Abg. Klotz schon auseinander gesetzt habe, hieße es die Immunität des Reichstags verletzen, wolle derselbe dieser An⸗ gelegenheit nicht näher treten und nachsehen, wie das In⸗ teresse des Landes bei seinen Behörden vertreten werde.
Der Abg. Schröder (Lippstadt) erklärte, während er die Nummer 3 des Antrages der Kommission an⸗ nehme, müsse er der Nummer 4 seine Zustimmung versagen, selbst mit dem Amendement indthorst. Was die Nummer 3 anbetreffe, so herrsche ja eigentlich auf keiner Seite des Hauses Zweifel, daß sie gerechtfertigt sei. Die Sachlage sei eine recht absonderliche. Goldhausen werde verfolgt, man finde ihn nicht, aber einen anderen Sozial⸗ demokraten, den Abg. Dietz, und nehme diesen mit. Wenn Goldhausen und sein Nachfolger Dietz verbotene Flugschriften verbreitet hätten, so sei jeder für sich schuldig. Es liege hier entschieden ein Mißverständniß der Gerichte vor. Wie ge⸗ sagt, während er Nr. 3 des Antrags seine Zustimmung gebe, halte er Nr. 4 für unannehmbar. Es sei der Antrag ja auch in Eile gefaßt. Vor allen Dingen laborire derselbe daran, daß genommen werde auf den Verhafteten selbst und dessen Willen gar keine Rücksicht. Es sei ja recht gut möglich, daß Jemand, der verhaftet sei, gar nicht den Wunsch habe, aus der Haft ent⸗ lassen zu werden. Wenn der Abg. Dietz in der Lage sein werde, werde derselbe ja schon selbst den von ihm gewünschten Weg einschlagen, der Reichstag habe nicht nöthig, den Umweg durch die Wilhelmstraße zu machen. Er schlage daher vor, die Sache an die Geschäftsordnungskommission zurückzuweisen.
Der Abg. Kayser bemerkte, er habe sich gefreut über die Einigkeit aller Parteien des Hauses, wenn es sich darum handele, verfassungsmäßige Rechte des Hauses zu schützen, und er ergreife nur das Wort, weil er als Sozialdemokrat mehr als andere hierbei interessirt sei. Er meine, die württembergische Regierung hätle den Abg. Dietz recht gut entlassen können, d. h. der Minister hätte Veranlassung geben können, daß der betreffende Richter seine Entschließung geändert hätte. Es werde betont, man solle nicht die Autorität des Richterstandes angreifen. Die Autorität des ganzen Standes leide doch sicher nicht, wenn einem einzelnen Richter gesagt werde, derselbe habe sich geirrt.
Demnächst nahm der Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. 1 ” das Wort.
eine Herren! Der Hr. Abg. Dr. Lasker und der Herr Redner welcher soeben die De dr verließ habe öö
nir gegenüber gewisse
räzedenzfälle ins Feld geführt, denen gegenüber ich aber zu der Be⸗ “ “ in, daß dieselben in keiner Weise geeignet sind, die Anschauungen zu erschüttern, welche ich mir vorhin vorzutragen erlaubt habe, diesen vielmehr zur Unterstützung dienen. Wenn zunächst Hr. Dr. Lasker auf die zahlreichen Mittheilungen hingewiesen hat, die im internen Verkehr z. B. zwischen den vreugi. schen Gerichten und den preußischen Verwaltungsbehörden eingeführt sind, oder wenn er auf andere dergleichen Mittheilungen Bezug ge⸗ nommen hat, so handelt es sich da immer um Mittheilungen zwischen Behörden ein und desselben Staates, während meine Ausführungen gerade dahin gingen, daß es nicht zulässig sei, daß die Gerichte der Einzelstaaten in unmittelbare Verbindung mit dem Reichstags⸗
räsidium treten. 3 8 Wenn dann auf das Verfahren bei der Stellung von Straf⸗
remplifizirt worden ist, ja, meine Herren, was würde der
Feecgen 8 an wenn ein Staatsanwalt kãme und direkt an den Reichstag den Antrag stellte, die Ermächtigung zu einer straf⸗ rechtlichen Verfolgung wegen Beleidigung des Reichstags zu ertheilen? Ein solches Verfahren würde im höchsten Grade geschäftsordnungs⸗ widrig sein. Es ist da ein anderes „procedirt worden, als daß die Staatsanwaltschaft sich an die Reichsregierung wendet und diese dann den Antrag auf Ertheilung der betreffenden Er⸗ mächtigung an das hohe Haus gelangen läßt. * 8
Davon, daß etwa den Gerichten eine übermäßige Belästigung aus der jetzt in dem Antrage gewünschten Mittheilung erwachse, habe ich auch nicht ein Wörtchen gesagt, davon kann ja überall nicht di Rede sein, ich habe lediglich die verfassungsrechtlichen Bedenke aufmerksam gemacht, ich habe hervorgehoben, daß mit Rücksicht af die föderalen Grundlagen der Bundesverfassung es mir ganz lässig erscheint, daß Gerichte einzelner Bundesstaaten direkt mit den Reichstagspräsidium in Verbindung treten, und ich muß mich wun⸗ dern, daß der Hr. Abg. Dr. Windthorst die Wahrung der föderalen Grundlagen der Bundesverfassung für eine minimale Angelegenheit erklärt hat. 3 8
der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte sich gegen Nr. 3, weil es nicht Aufgabe des Reichstages sei, über die 8 Gerichte abzuurtheilen, dagegen werde er für Nr. 4 smmen.
Der Abg. Dr. Windthorst bat, von allgemeinen Verdäche, tigungen des Richterstandes abzusehen. Man müsse jeden eina zelnen Fall erst nprüfen. Dem Abg. Schröder (Lippstadt) er⸗ widere er, daß unter Umständen sich die Berechtigung der Verfügung des Amtsrichters durchaus denken lasse. 1
Hierauf wurde Nr. 3 angenommen, ebenso Nr. 4 in der Fassung des Abg. Windthorst.
Das Haus kehrte nunmehr zur Berathung der Frage des Anschlusses des Unterelbe zurück. Nachdem der Staatssekretär des Reichsschatzamts Scholz dem Abg. Lasker gegenüber aus geführt hatte, daß die Erstattung der Anschlußkosten a Preußen aus Reichsmitteln Sache bundesräthlicher Anord⸗ nung sei, wurde der Antrag Möller nach Befürwortung durch den Abg. Dr. Windthorst, der denselben lediglich als eine Fixirung der Absicht der Kommission durch Reichstagsbeschluß bezeichnete, angenommen. 8
Ohne weitere Debatte genehmigte der Reichstag darauf das Etats⸗ und das Anleihegesetz. Damit war vor⸗ behaltlich der Kalkulation die zweite Berathung des Etats erledigt.
Sierasf vertagte sich das Haus um 5 ½ Uhr auf Montag
hr.
— Die in der Freitag⸗ (24.) Sitzung des Reichstages vom Bevollmächtigten zum Bundesrath Staats⸗Minister vo Boetticher gehaltenen Reden haben folgenden Wortlaut (sieh Fchuß ⸗Sitzungsbericht in der Sonnabend⸗Nummer des Staats⸗
nzeigers):
Meine Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Debatte über die Wirkungen der Zoll⸗ und wirthschaftlichen Politik zu verlängern. Wi werden uns, glaube ich, hier im Hanh gegenseitig nicht überzeugen, so lange wir nicht den guten Willen haben, uns überzeugen zu lassen. Wir werden uns nicht weißwaschen. Als Mohren sehen wir uns ja wohl gegenseitig an, und da praktische Vorlagen, an die sic eine detaillirte Debatte knüpfen könnte, nicht vorhanden sind, so halte ich es entbehrlich, auf das allgemeine Thema der heutigen Besprechung einzugehen. Dagegen habe ich mir das Wort erbeten zu dem Zwecke, um mich gegen eine mißverständliche Auslegung meiner am 16. De⸗ zember gesprochenen Worte zu schützen, welche der Hr. Abg. Oechel⸗ häuser in seiner Rede angebracht hat. Er hat gesagt, es schiene ihm, als ob ich der menschlichen Schwäche unterworfen genesen sei, auf Grund eines mißliebigen Urtheils in enem einzelnen Handelskammerbericht das ganze Institut der Han⸗ delskammern zu verwerfen. Meine Herren, das ist mit richt eingffael n. 8 glaube sogar 18h meine Rede vom 16. Dezember liegt hier vor mir — es ziemlich deutlich ausgesprochen zu haben, daß ich der Thätigkeit der Heberssüm h ks gespre ce jektiven Berichterstattung einen sehr großen Werth beilege, und daß ich diese Thätigkeit für die Aufgaben, welche die Regierung auf handels⸗ und wirthschaftspolitischem Gebiete zu erfüllen hat, für ganz unentbehrlich erachte. Was ich, und zwar, wie ich gleich bemerken will, provozirt durch die Rede des Hrn. Abg. Bamberger am 16. Dezember, gesagt habe, bezieht sich einfach und allein auf den Bericht der Handelskammer in Grün eerg. Ich hatte damals diesen Bericht nicht zur Hand, konnte also einen detaillirten Beweis dafür, daß der thatsächliche Inhalt des Berichts nicht im Einklang stehe mit den einleitenden Bemerkungen über die allgemeine Lage des Handels, nur in allgemeinen Zügen behandeln, und ich hatte daran die Bemerkung geknüpft, daß, wenn ein Be⸗ richt eingereicht wird, der in seinem thätsächlichen Inhalt das Raisonnement, was er über die allgemeine Lage des Handels giebt, nicht unterstützt, er werthlos sei. ich wäre der Meinung, daß es besser sei, jedes terlassen und dem Leser zu überlassen, welche Schlüsse er sich aus den gegebenen Thatsachen ziehen wolle. Nun, meine Herren, der Bericht liegt heute vor mir; ich will aber doch der Versuchung widerstehen, die sehr nahe für mich läge, den Angriffen, die theils in der Presse und theils hier im Hause auf den bekannten Erlaß des Herrn Handels⸗Ministers an die Handelskammer in Grünberg gemacht sind, detaillirt zu begegnen. Wenn ich Ihnen aber sage, daß in dem Rai⸗
zund der Einleitung unter anderem gesagt
„Ich sagte weiten Raisonnement zu m⸗
Fericht, ist: es ist ein sehr beträchtlicher Theil des Volkes gezwungen, weni⸗ ger oder schlechteres zu essen, sich schlechter zu nähren“, wenn weiter gesagt ist: „es wird nicht geleugnet werden können, daß in ihrer Jugend chlecht genährte Arbeiter ein kräftiges Mannesalter nicht haben können Uund die Rückwirkung auf die Arbeits⸗ tüchtigkeit und selbst die Wehrkraft des Volkes nicht ausbleiben kann,“ wenn ferner hervorgehoben ist: „die deutsche Industrie ist durch unsere Zollgesetzgebung fast ganz auf den inländischen Markt angewiesen, und es ist nicht abzusehen, wie sie im Stande sein soll, ihre Fabrikate abzusetzen, wenn die große Masse des Volkes, in welche wir den kleinen Bürger und ländlichen Ar eiterstand einbegreifen, immer mehr verarmt“: ich sage, wenn ich Ihnen diese Sätze vorlese, so möchte ich doch glauben, daß Sie selbst, auch ohne daß ich Ihnen den Widerspruch mit den thatsächlichen Angaben über die Lage des Handels im Grünberger Handelskammerbezirk vorführe, die Ueber⸗ zeugung haben werden, hier ist zu schwarz gemalt. Das ist das Ge⸗ lindeste, was ich dazu sagen kann. Und wenn in dieser Einleitung steht: „die Wollwaaren, speziell die Tuchindustrie ist schon jetzt kaum mehr im Stande, ein reelles, gutes Stück Waare zu verkaufen, weil ein solches nur aus ebensolchem Material herzustellen und deshalb nicht zu so niedrigem Preise zu liefern ist, als das große Publikum es unter den erwähnten Verhältnissen haben muß“, und wenn ich