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No. 35.
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zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preu
Erste B
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eilage
Berlin, Donnerstag, den 9. Februar
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1882.
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Nichtamtliches.
Preußen. Berlin, 9. Februar. Im weiteren Ver⸗ laufe der gestrigen (10.) Sitzung setzte das Haus der Abgeordneten die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Abänderungenderkirchenpolitischen Gefetze, sort. Der Abg. Dr. Gneist erklärte, die Mehrheit seiner politischen Freunde sei bei der Beschließung des Gesetzes vom 14. Juli 1880 bereit gewesen, zur Beförderung des kirch⸗ lichen Friedens das Ihrige beizutragen. Seine Partei sei damit einverstanden gewesen, die Maigesetze dahin zu amen⸗ diren, daß der Staat keinen Anspruch erhebe, Bischöfe ihres geistlichen Amtes zu entsetzen, sondern nur im äußersten Fall die Ausübung des Amtes zu interdiciren. Seine Partei sei bereit gewesen, einzelne Härten der Ausführung mildern zu helfen. Um die Wiederherstellung bischöflicher Verwaltungen zu ermöglichen, habe seine Partei sich einverstanden erklärt, auf Zeit der Dispensation von einer Bestimmung über die Bisthumsverweser zuzustimmen. Er und seine politischen Freunde hätten sich hier und in der Kommission wiederholt bereit erklärt, von gewissen Erfordernissen zur Besetzung des Pfarramts abzusehen, so lange es an der noth⸗ wendigen Zahl studirter Theologen fehle, um die erledigten Pfarrämter zu besetzen. Seine Partei sei von dem Gesichts⸗ punkte ausgegangen, daß es ebenso im Interesse des Staats, wie der Kirche liege, einem erwiesenen Nothstand der Seelsorge ab⸗ zuhelfen. Freilich seien das alles nur kleine Abschlagszah⸗ lungen, welche den Forderungen der römischen Kirche nicht genügten. Allein wenn sich Staatsregierung und Parteien nun schon länger als seit zwei Jahren bemühten, ihre Hoch⸗ achtung für die römische Kirche und ihre Friedensliebe auszu⸗ sprechen, und wetteisernd neue Maßregeln ausfindig zu machen, um den Kirchenstreit zu besänstigen: so wäre es nun endlich wohl an dem Centrum, zu sagen, was es seinerseits für den Frieden thun wolle, an welchem irgendwie greifbaren Punkt es die Staatsgesetze als berechtigt anerkenne, aus welchen Gründen das halbe Hundert und mehr Artikel dieser Gesetze, die in Bayern, Württemberg, in der oberrheinischen Kirchen⸗ provinz befolgt würden, von der Kirche dem Staate Preußen nicht zugestanden werden könnten. Statt dessen scheine mit jedem Entgegenkommen der Staatsregierung wie der Parteien an jener Stelle die Zuversicht des Sieges zu wachsen, die nur
gemäßigt liberalen und konservativen Parteirichtungen die Königliche Staatsregierung darin unterstützt hätten, so sei es weder aus Streitlust, noch aus Haß gegen die Kirche ge⸗ schehen, für die auf der linken Seite volles Verständniß und volle Würdigung vorhanden sei, sondern es sei geschehen in dem Bewußtsein und Anerkenntniß, daß der Staat diese Rechte be⸗ anspruchen könne, jederzeit beansprucht habe und in den übrigen Staaten Deutschlands solche noch heute übe. Und trotz aller Anerkenntniß der Staatsraison sei keine Gesetz⸗ gebung schwerer und unter heftigeren Kämpfen zu Stande ge⸗ bracht als diese. Denn nirgends sei es wohl schwerer, Kirchen⸗ gesetze zu Stande zu bringen, als in dem Staat Preußen, wo zwei alte Kirchen mit dem Vollgefühl ihrer historischen Alleinberech⸗ tigung und Ausschließlichkeit einander gegenüberständen, wo die Mehrheit der Geistlichkeit und die Mehrheit der Bevöl⸗ kerung nicht einzusehen vermöge, daß die Kirche, für welche sie stritten, keine einfache, sondern eine zwiespältige Kirche sei, und daß zwei souveräne kirchliche Selbständigkeiten im Staate nebeneinander ebenso wenig einen Platz hätten, wie zwei Personen in einem Raum stehen könnten. Werde es dadurch nothwendig, daß eine dritte Macht für das äußere Leben der Kirche Grenzlinien ziehe, durch welche der Frieden und die Gleichberechtigung der Religionsparteien und die Einheit der Nation erhalten werde, so entstehe in Deutschland stets ein Widerstreit der extremsten, einander direkt wider⸗ sprechenden Ansorderungen an den Staat, die jedes Kirchen⸗ gesetz in Preußen zu einer Schwergeburt mache. Man habe dies die letzten zehn Jahre zur Genüge empfunden und werde es noch zur Genüge erfahren. So schwergeborene Gesetze über das Verhältniß der Kirchen unter sich und zum Staat müßten aber eben deshalb nach seiner Ueberzeugung als Gesetze respektirt, d. h. dauernd gehandhabt werden, unabhängig von dem jähr⸗ lichen Wechsel der Parteistellungen, unabhängig vom Minister⸗ wechsel, unabhängig von äußerlichen Interessen. Eine Ver⸗ quickung dieser staatskirchlichen Fragen mit Streitfragen wirthschaftlicher Natur und Steuerfragen sei etwas so Wider⸗ natürliches, daß daraus für keinen Theil etwas Gutes hervor⸗ gehen könne. Gegen die diskretionäre Handhabung solcher Gesetze könne er sich auf die Erfahrungen der konstitutionellen Mittelstaaten Deutschlands berufen, in denen der kirchliche Friede immer noch leidlich erhalten sei, indem die Kirchen⸗ gesetze wesentlich gleichmäßig unter wechselnden Ministern ge⸗
noch eine Unterwerfung des Staates sans phrase kenne. Jene Partei habe seit Jahrzehnten in diesem Hause keine Lage gehabt, in welcher sie sich so unbedingt als Herrin der Situation gefühlt habe, wo ein Parteiführer sich in dem Maße als Censor des Hauses sammt oder sonders gerirt habe, wobei aber stets die Versicherung fortdauere, diese kampfmuthige Streitkolonne sei die Seite des verfolgten Lammes, die anderen Seiten, welche die Protektion und das Bündniß des Centrums so eifrig suchten oder doch in Ver⸗ sprechungen der Friedfertigkeit und des guten Willens sich überböten, das seien die wilden Kulturkämpfer, die die Ver⸗ nichtung der Kirche und des Christenthums zu ihrem Lebens⸗ zweck gemacht hätten. Die natürliche Folge dieser Streitweise werde sein, daß in den Friedensbestrebungen eine ruhigere Ueber⸗ legung und ein ruhigeres Tempo eintreten werde. Habe sich. das mit der Zustimmung des Hauses erlassene Gesetz vom 14. Juli 1880 zufriedenstellend bewährt, so ziehe er daraus die Folgerung, daß es das Richtige sein werde, bei dem bewährten Gesetz stehen zu bleiben, nicht aber die Folgerung, daß die Grundsätze jenes Gesetzes geändert werden sollten. Dies ge⸗ schehe aber, indem die Regierungsvorlage im Art. 1 drei zeit⸗ liche Bestimmungen des Juligesetzes dauernd zu machen beabsichtige, und umgekehrt, indem die Regierungsvorlage Art. 3 und 5 Bestimmungen der Maigesetze für temporär und dispensabel erkläre, die das Haus in wiederholten Be⸗ schlüssen als dauernde Normen anerkannt habe. Er meine, wenn eine Dispensation von sekundären Bestimmungen auf Zeit sich als nutzlich erwiesen habe, daraus noch nicht folge, daß die Gesetzesnorm selbst als unrecht oder überflüssig zu beseitigen sei. Und er meine umgekehrt, daß die wesentlichen Vorschriften der Kirchengesetze überhaupt nicht diskretionär gehandhabt werden sollten, welche zu den dauernden Existenz⸗ bedingungen des preußischen Staats gehörten. Es sei ein verhängnißvoller Irrthum, der an dieser Stelle täglich von Neuem sich ausspreche, als ob die Kirchengesetze von den Liberalen oder von den gemäßigten Mittelparteien gemacht worden seien. Solche Behauptungen mögen in Belgien und Frankreich irgend einen Sinn haben. In Deutschland wäre ein solcher Hergang geradezu gegen die nationale Natur der Deutschen. Die radikalen Elemente der Gesellschaft seien nie⸗ mals für Kirchengesetze, sondern für das laisser aller in kirch⸗ lichen Dingen. Die indolenten und kirchenfeindlichen Elemente seien ebenso selbstverständlich für das laisser aller in Dingen, die sie für überwundene Standpunkte hielten. Aber auch die gemäßigten Elemente liberaler und konservativer Rich⸗ tung hätten in Deutschland noch niemals eine Neigung gezeigt, sich ohne Noth Beschränkungen aufzuerlegen, am wenigsten in Religionssachen, in denen jede Sekte nach deutscher Weise die schrankenloseste Autonomie beanspruche. Wenn eine beschrän⸗ kende staatskirchliche Gesetzgebung entstehe, so gehe sie in Deutschland stets von einem Bedürfniß der Regierungen aus. So auch in Preußen und hier zuerst von dem Minister von Mühler, der in der letzten Zeit seiner Amtsführung so⸗ wohl ihm (dem Redner), wie oft wiederholt seinem Kollegen Richter offen ausgesprochen habe, daß derselbe als treuer Diener seines Königs nicht mehr weiter könne, daß es nicht möglich sei, in Frieden zu bleiben mit einer Kultus⸗ und Unterrichtsverwaltung, welche unter den Diktaten des katho⸗ lischen Kirchenregiments zu einer Filiale der katholischen Partei werde. In derselben Lage habe sich das Departement des Innern wie der Justiz besunden, und es sei nur der Wille des Minister⸗Präsidenten gewesen, der aus höheren Rücksichten eine Rassumption der Rechte des Staats verschoben habe, um zuvor die deutsche Frage zu ordnen. Seit jener Zeit aber seien unter Führung des leitenden Staatsmannes alle Organi⸗ sationsgesetze aus der Initiative der Staatsregierung her⸗
handhabt würden. Er könne umgekehrt an die Erfah⸗ rungen Preußens erinnern, wo der Konflikt zwischen Kirche und Staat immer tiefergehender geworden sei, seitdem die Anwendung oder Nichtanwendung der bestehenden Ge⸗ setze lediglich in die Hand der Minister gelegt sei. Eben nach den letzten ernsten Erfahrungen wolle seine Partei den Weg nicht noch einmal betreten, der im letzten Menschenalter den Kirchenstreit in Preußen geschaffen habe. Er meine, der Staat selbst erwecke den Zweifel an seinem Recht, wenn der⸗ selbe ein Gesetz heute anwende, morgen nicht anwende, an einer Stelle ausführe, an der anderen Stelle darauf verzichte. Die Folge sei dann nur, daß mit dem Wechsel der Minister und der Maßregeln der ganze Prinzipienstreit von Neuem erwache. Die Anwendung der Gesetze erscheine dann als Willkür und Härte, die Nichtanwendung als ein Zurück⸗ weichen und moralische Niederlage. Das sei es, was namentlich den Artikel 2 der Gesetzvorlage für seine Partei unannehmbar mache. Sei der Staat durch den offenen hundertfältigen Widerstand gegen das Staatsgesetz zu dem schweren äußersten Entschluß gekommen, einem Bischof die Ausübung seines Amtes zu interdiziren, so handele es sich nicht um Vergehen und Fehltritte, die im Wege der Königlichen Gnade zu erlassen wären, sondern um die höchsten Prinzipien⸗ fragen zwischen Staat und Kirche, die das Recht und das Gewissen von Millionen berührten, bei denen ein Zurück⸗ weichen zur moralischen Niederlage, zur Verleugnung von Grundsätzen werde. Sei der Staat dabei in seinem Recht gewesen, so müsse er es behaupten, weil derselbe sonst in den Augen der katholischen Welt widerrufe und ein Un⸗ recht bekenne. Wolle man sich des Hergangs mit dem Erz⸗ bischof von Dunin erinnern, der trotz zehnfacher Verklausuli⸗ rung zu einer moralischen Niederlage für den Staat gewor⸗ den sei, deren Folgen, könne er wohl sagen, man noch heute fühle und zu tragen habe. Indem seine politischen Freunde und er auch heute den früher vertretenen Grundsätzen treu blieben, stimmten sie für die Berathung in einer Kommission von 21 Mitgliedern, die jedenfalls nothwendig sein werde, um die Tragweite jeder solcher Aenderung der Kirchengesetze genügend zu würdigen.
Der Abg. Strosser zbemerkte, die Abgg. Gneist und Virchow hätten nur das Thema von einer Alliance mit dem Cen⸗ trum variirt, die vor Kurzem noch als staatsgefährlich hingestellt sei. Aber auch in diesen versöhnlichen Reden hier und da trete der Geist hervor, der die Kämpfe der letzten zehn Jahre getragen, und das Centrum werde gut daran thun, vorsichtig zu sein. Der Abg. Gneist sage zwar, der Kulturkampf sei nicht aus der Intention der Liberalen hervorgegangen, die⸗ selben hätten dem Kulturkampf mehr Bedenken entgegen⸗ gebracht als die Konservativen. Leider habe der Abg. Gneist dabei seine eigenen großen Reden vergessen; sowie, daß die Konservativen gegen die Maigesetze gestimmt und durch Amen⸗ dements ihre Härten zu beseitigen gesucht hätten. Sich jetzt mit der Schuld der Regierung zu entschuldigen, sei doch wirk⸗ lich zu bequem und vollends widerspreche die Behauptung des Abg. Gneist der historischen Wahrheit, daß der Kirchenstreit schon unter Friedrich Wilhelm IV. akut gewesen sei. Wenn irgend ein König, so habe derselbe Herz und Sinn für die Kirche gezeigt. Zeuge dessen sei Se. Majestät der Kaiser, — seit dem Erlaß vom 4. Januar sei es ja nicht mehr verboten, die Person des Königs in die Debatte zu ziehen und er hoffe daher, daß dieses Verbot auch aus der Geschäftsordnung ent⸗ fernt werde. Se. Majestät habe am 18. Oktober 1861 bei seiner Krönung zu den Bischöfen gesagt: „Er freue sich, die Verhältnisse der katholischen Kirche für den ganzen Staat durch Geschichte, Gesetz und Verfassung wohl geordnet zu wissen“, und im April 1866 zu den Erzbischöfen von Cöln
vorgegangen, aus einem Bedürfniß des kirchlichen Friedens und der Gleichberechtigung der protestantischen Kirche. Wenn die
und Posen, daß die katholische Kirche im ganzen Lande durch geschichtliche Entwicklung, Recht und Verfassung wohl geordnet
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sei unter dem Schutz gerechter Gesetze. Die Revision der Maigesetzgebung, für die der Abg. Virchow jetzt eintrete, habe seine Partei immer befürwortet, sowie die Beseitigung der Härten jener Gesetze. Darum erfü–le es ihn mit großem Bedenken, daß abermals nur diskretionäre Vollmachten gesordert würden statt der organischen Reform der ganzen Kulturkampfsgesetze. Der Minister sage freilich, daß es für eine Revision an korrekten Vorschlägen von Seiten des Centrums gefehlt habe. Er glaube, daß es das Centrum keineswegs an Vorschlägen habe fehlen lassen, die Wünsche der evangelischen Kirche seien leicht for⸗ mulirt. Sie wünsche mit der katholischen die Beseitigung des Kanzelparagraphen, des Kulturexamens und die Aufsicht über die Volksschulen. Für sich allein verlange sie eine bessere Besoldung ihrer Geistlichen, wie sie der katholischen Geist⸗ lichkeit schon seit 1821 gewährt sei. Was 1873 durch den Minister Falk bewilligt worden, solle dankbar anerkannt werden, allein das sei doch nichts als eine kümmerliche Ab⸗ schlagszahlung auf die 1810 feierlich zugesagten Zulagen. Er hoffe, die Königliche Staatsregierung werde mit aller Krast auf die Revision und gänzliche Beseitigung der Maigesetze hinwirken und alles entfernen, was dem Frieden nicht förder⸗
man einer Regierung, welche dies dokumentire, auch das Zu⸗ trauen schenken dürfe, daß sie mit den ihr ertheilten Voll⸗ machten nicht zu weit gehen, zumal vom Hause nicht Einführung neuer Maßnahmen, sondern nur die Wiederher⸗ stellung der früheren Zustände verlangt werde, wie das gestern der Abg. von Holtz hier entwickelt habe. Seine Partei wolle Freiheit für die katholische Kirche, sie. fordere aber für die Vrotestanten wenigstens gleiches Recht. Bisher sei die katho⸗ lische Kirche durch Zuwendungen von Seiten des Staates be⸗ deutend besser gestellt, als die protestantische. Die Gehälter der Konsistorial⸗Räthe seien klein gegenüber den Gehältern katholischer Geistlichen gleichen Ranges. Auch die Dotation für den Ober⸗Kirchenrath möchte er erhöht sehen. Wenn die Polen in der Provinz Posen und Westpreußen Bestrebungen gezeigt hätten, die gegen den preußischen Staat gerichtet seien, so könne man das nach seiner Meinung nur ausgleichen an der Hand der Verwaltungsgesetzgebung. Die Kulturkampf⸗
frage dürfe man mit diesen Bestrebungen nicht ver⸗ quicken. Die Beschwerden, die gegen die Polen vorgebracht seien, seien sehr harmloser Natur. Aber
selbst, wenn sie begründet gewesen seien, müsse darum die übrige katholische Bevölkerung und die evangelische Kirche mit Ruthen gestrichen werden? Der Minister habe zum Schlusse seiner Rede seinem Friedensbedürfniß noch einmal Ausdruck verliehen. Er wolle wünschen, daß der Minister die große Ausgabe, die ihm geworden: den kirchlichen Frieden zu bringen, rasch erledigen möge.
Der Abg. Richter erklärte, der Vorredner habe über Vieles gesprochen, was mit diesem Gesetz nicht im Zusammen⸗ hang stehe. Nur in Bezug auf die Geldforderungen für die evangelische Kirche bemerke er, was selbständig sein wolle, müsse sich auch selbständig erhalten. Eine erhöhte Zuwen⸗ dung für die evangelische Kirche aus Staatsmitteln würde nur bedeuten: Steuern auch aus den Taschen der Katholiken, Altkatholiken und Juden zum Besten der Evangelischen. Das entspräche nicht der Gerechtigkeit. Nur der Gang der Debatte habe ihn noch veranlaßt, das Wort zu ergreifen. Der Abg. Strosser halte die Praxis der Geschäftsordnung durch den Erlaß vom 4. Januar durchbrochen, den Monarchen nicht in die Debatte zu ziehen. Der Erlaß sei für die Ge⸗ schäftsordnung nicht bestimmend, beziehe sich auch darauf nicht. Die Autorität des Monarchen werde durch das Hineinziehen in die Debatte nicht gefördert. Es beweise nur, daß man seine sachlichen Gründe für so mangelhaft halte, daß man einer solchen äußeren Autorität dafür zu bedürfen glaube. Auch könne man sich hier für jede Ansicht auf die Autorität eines Königs und der Dynastie, für verschiedene Ansichten auf Aussprüche desselben Monarchen berufen. Wie komme der Abg. Strosser dazu, sich gegen den gegenwärtigen auf den hochseligen Monarchen zu berufen, warum berufe derselbe sich auf den letzteren nur aus der Zeit der sechziger Jahre? Freilich sprächen neuere Thronreden, Erlasse, Antworten des Königs auf Adressen von Katholiken das Gegentheil dessen aus, was der Abg. Strosser für richtig halte. Halte man sich deshalb lieber, stalt sich auf den König für und gegen zu be⸗ rufen, an den Wortlaut der Verfassung: der König sei un⸗ verantwortlich, die Minister seien verantwortlich. Der Abg. Strosser sollte, statt so nebensächlich, in erster Reihe den Kanzler verantwortlich machen dafür, wie der kirchenpolitische Kampf geführt sei. Gerade die besondere Kampfmethode des Kanzlers habe diesem Kampf seine eigenartige Richtung ge⸗ geben. Nur von dieser besonderen Methode wolle seine Partei sich lossagen. Den Kulturkampf, wie er denselben auffasse, habe seine Partei nicht gemacht und könne ihn auch nicht beendigen. Derselbe beruhe auf dem Gegensatz einer organmisirten kirchlichen Hierarchie zu Ffreiheitlichen Bestrebungen. Dieser Kampf werde nicht aufhören. Aber jene Methode, welche ihn erbittert gemacht habe, und keine Früchte habe bringen lassen, jene Methode dort, neg geistige Ueberzeugungen in Frage kämen, mit äußeren zu wirken, wolle seine Partei verlassen. Bereits 1873 habe der Abg. Virchow eine Erklärung veröffentlicht, worin derselbe die positiven Ziele der Fortschrittspartei dargelegt habe, aber zugleich erklärt habe, daß „die einseitige Verfolgung des von der Regierung betretenen Weges nur zu einer Verschärfung und nutzlosen Verbitterung führen müsse“. Inzwischen habe die Erklärung des Kanzlers vom 30. November im Reichstage gegen die Civilehe, jene Erklärung, daß demselben die Centrumspartei näher stehe als die Fortschrittspartei, seiner (des Reduers) Partei die letzten Zweifel benommen, daß jene Unterstützung des Kanzlers nur in der äußeren Zurück⸗ drängung der hierarchischen Gewalt nicht die Nation zu den positiven Zielen seiner Partei führe. Was der Abg. Strosser gegen die Liberalen ausgeführt habe, könne derselbe mit vollem Rechte gegen den größten Theil
seiner eigenen Partei, vor Allem aber gegen den Reichskanzle
lich sei. In diesem Sinne fasse er auch den Schlußpassus der gestrigen Rede des Kultus⸗Ministers auf und glaube, daß