Men Blatte der Regierung. Mit Recht habe der Abg. von
Berlin, Montag, den 20. Februar
L1“
“ .“
Preußen. Berlin, 20. Februar. Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (14.) Sitzung setzte das Haus der Abgeordneten die zweite Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts⸗Etats für das Etatsjahr 1882/83 mit der Diskussion des Etats des Bureaus des Staats⸗Ministeriums (Kap. 44 der Ausgabe 298 610 ℳ) fort. Tit. 1—13 mwurden ohne Debatte genehmigt; bei Tit. 14 (Dispositionsfonds für allgemeine politische Zwecke 93 000 ℳ) demerkte der Abg. Richter, dieselben Grundsätze, wie früher, bestimmten ihn auch heute, gegen diesen Fonds zu stimmen. Die prinzivielle Stellung seiner Partei zu der Bewilligung geheimer Fonds wolle er hier nicht erörtern, er gestehe auch jeder Partei das Recht unbeschränkter Agitation zu, nur da⸗ gegen protestire seine Partei, daß Staatsgelder und Staats⸗ heamte zu politischen Agitationen verwendet würden. Er dächte, selbst die Gegner der Fortschrittspartei müßten sich Angesichts der Verwendung dieses Fonds in den letzten Jah⸗ ren zweimal bedenken, ehe sie denselben nochmals bewilligten. Dieser Fonds diene zwei Zwecken, es würden aus demselben erstens die Schriftsteller besoldet, die täglich im literarischen Bureau ihre Instruktionen empfingen und danach Zeitungs⸗ artikel im Sinne der Regierung schrieben. Wohin das führe, habe ein Vorfall im Reichstage gezeigt, wo ein allgemein als hoch⸗ offiziös angesehener Artikel der „Politischen Correspondenz“, der einen Konflikt prophezeit habe, zu unangenehmen Kon⸗ sequenzen Veranlassung gegeben habe. Wenn dabei die
Staats⸗Minister von Puttkamter und von Boetticher die Ver⸗
antwortlichkeit für die offiziösen Aeußerungen abgelehnt hätten, so sei das formell richtig, denn die Offiziösen schrieben ja in
den Peitungen nur als Privatleute und nicht in amtlicher
Eigenschaft. Jeder in die Verhältnisse der Presse Eingeweihte kenne aber die offiziösen Artikel sofort, während das Publikum darin unabhängige Stimmen der öffentlichen Meinung erblicke.
Seine Anfrage, ob der Direktor des literarischen Bureaus, Geh.
Neg.⸗Nath Dr. Rößler, der Verfasser des Artikels in der „Polit.
Corresondenz“ sei, sei im Reichstage unbeantwortet geblieben. Er
wiederhole dieselbe daher hier ausdrücklich. Ein Beamter, wie der Direktor des literarischen Bureaus, dürfe doch nicht beliebig priva⸗ tim auf eigene Veranrwortlichkeit hin die schwerwiegendsten Aeuße⸗ gen in die Welt schicken, der Mann sei doch von seiner amt⸗ lichen Stellung nicht zu trennen, was derselbe schreibe, falle nothwendig immer auf die Regierung zurück. Man sehe aus dem Vorfall, in welche Verlegenheit die Regierung durch ein solches Bureau gebracht werden könne. Zweitens werde aus diesem Fonds die „Provinzial⸗Correspondenz“ unterhalten; für dieses Blatt übernehme die Regierung offen die Verant⸗ worlung. Das Urtheil über die Leistungen der „Provinzial⸗ Correspondenz“ sei im Reichstage gefällt worden, wie be⸗ gründet es gewesen sei, wolle er noch an einigen Beispielen zeigen. In einem Artikel vom 21. September 1881 „Fürst
Bismarcks Gegner im Auslande“ werde gesagt, daß die
Früchte der französischen Kriegskontribution durch die libe⸗ ralen Koryphäen erzettelt seien. Nun seien aber drei Viertel der Miltarden auf des Ministers von Kameke Vorschlag verwendet worden, ein anderer Theil zum Ankauf des Radziwillschen Palais, noch ein anderer zum An⸗ fauf von Eisenbahnen auf Herrn Achenbachs Vorschlag. Das seien also die „liberalen Koryphäen“”! In dem Artikel vom 12. Oktober v. J. „Geständniß wider Willen“ würden die Memoiren des Hrn. von Unruh erwähnt und der Artikel schliee mit den Worten: „daß die landesverrätherischen Ab⸗ sichten der Liberalen durch den eigenen Parteigenossen enthüllt worden seien“. Hier beschuldige also das von sämmtlichen Steuerzahlern unterhaltene amtliche Blatt eine große Partäi offen eines ehrlosen Verbrechens. Auch das Vort Virchows vom „guten Nevolutionär“ sei in gleicher Weise gemißbraucht worden, und doch habe General⸗Feld⸗
marschall von Moltke ebenfalls im Reichstage von „ehrlichen
Nevolutimnäten“ gesprochen. So wenig Graf Moltke mit
dem Worte „ehrlich“ für die Ehre der Revolution, so wenig sei aer Aog. Virchow mit dem Worte „gut“ für die Güte der Revolution eingetreten. Oder glaube man, daß, wenn zwei dasselbe sagten, es einen Unterschied mache, wenn einer davon Moltke heiße. Der Abg. Virchow habe damals sofort gegen die Mißdeutung seines Ausspruchs protestirt, und hier im Hause habe seitdem Nienund mehr einen Vorwurf deswegen gegen ihn erhoben. Krozdem habe die „Prov.⸗Corr.“ in einem Artikel „gute
evolutionäre und Barrikadenkämpfer“ die schlimmsten Insi⸗ muationen gegen die Fortschrittspartei erhoben und zwar nur auf Grund unehrlicher Citate. (Der Redner setzte nun aus⸗ sihrich auseinander, daß die „Prov.⸗Corr.“ nur dadurch, daß se einen Satz aus Virchows Nede aus dem Zusammenhange verausgerissen habe, und den übrigen Inhalt derselben ab⸗ schtlich ignorirt habe, den Vorwurf revolutionärer Gesinnung gegen die Fortschrittspartei habe erheben können.) Damals 8 der Abg. Virchow gesagt: die Fortschrittspartei habe von em Augenblicke an, wo sie als Partei auf den öffentlichen Kampfplatz getreten sei, nur einen gesetzlichen Kampf geführt und befürwortet. Wenn man seine Partei als Lobredner der ziebolution darstelle, so verneine er dies. Wenn man sich 88 das Wort „gut“ anhacke, so weise er diese ganze Art sr Verhandlung im Parteikampfe zurück. Indem die „vaovinzial⸗Correspondenz“ aus der citirten Stelle das Alles wmnerdrüche, führe sie gleichwohl an, der Abg. Virchow habe ni üt weiter erklärt, was derselbe unter guten Revolutionären 189. der Abg. Virchow finde es in der Ordnung, wenn zan gelegentlich im Barrikadenkampfe auch Andere tödte. 19 üas man derart ein Citat gerade in entscheidenden Stellen haber rückt habe, und noch dazu dem Citirten vorgeworfen
e, derselbe habe weiter nichts gesagt, gleichwohl aber einen di werwiegenden Angriff konstruire, verfahre man so unanstän⸗ vihr wie ein ähnliches Beispiel aus der gesammten Presse Br. end des Wahlkampfes nicht vorliege. Das sei politische nunnenvergiftung der schlimmsten Art, und noch dazu in
ennigsen im Reichstage Reich gerade von der Regierungspresse verlangt, daß sie sich selbst beherrsche, die Wahldewegung
auch Recht, wenn derselbe sage, Gegnern der Regierung mehr genutzt als geschadet habe. Vielleicht fänden nach der Art, wie dieser Fonds verwandt werde, auch Manche, die grundsätzlich einen anderen Stand⸗ punkt verträten, es diesmal für angezeigt, gegen denselben zu stimmen.
Hierauf ergriff der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums von Puttkamer das Wort:
Meine Herren! Die Bewilligung geheimer Fonds zu politischen Zwecken wird ja in der Regel als eine Vertrauenssache betrachtet. Ich bin nun viel zu vorsichtig, um hier die Vertrauensfrage zu stellen, sondern ich meine, das hohe Haus kann sein Votum über diesen Fonds nach einem anderen Gesichtspunkte einrichten. Ich möchte nämlich glauben, die Frage so formuliren zu dürfen, daß ich meine, nur diejenigen Mitglieder des hohen Hauses, welche alle Brücken zwischen sich und der Staatsregierung als abgebrochen betrachten, mögen gegen diesen Fonds stimmen; alle Diejenigen, welche Vertrauen zu der bisherigen Führung der Regierung gehabt haben, oder welche wenigstens die Brücke zwischen sich und ihr nicht als abgebrochen be⸗ trachten, werden hoffentlich für den Fonds stimmen.
Nun will ich mir zunächst von den zwei Theilen, aus welchen die Ausführungen des Hrn. Abg. Richter bestanden, erlauben, den ersten zu beleuchten, nämlich die Nothwendigkeit und Wirksamkeit des soge⸗ nannten literarischen Bureaus. Er hat hier eine Frage wiederholt, die schon im Reichstage gestellt war nach dem Verfasser des viel⸗ berufenen Artikels in der Wiener „Politischen Correspondenz“. Meine Herren, ich bedauere, in dieser Beziehung seinen Wünschen nicht nachkommen zu können; es gehört nicht zu meinen Berufsge⸗ schäften, der Autorschaft anonymer Correspondenzen auswärtiger Blätter nachzuspüren, es sei denn, daß ein besonderer disziplinarischer Anlaß dazu sei, was hier meines Wissens nicht der Fall ist. Uebrigens will ich nicht unterlassen, anzuführen, daß ich nachträglich diesen Artikel auch gelesen habe und der Meinung bin, daß er diejenigen verhängnißvollen Dinge, welche neulich in der Verhandlung dem Reichskanzler unterstellt wurden und welche der Hr. Abg. Richter heute auch wiederholt ans Licht geführt hat, nicht enthält. Es enthält ein Referat über er⸗ hebliche in Preußen bestehende Meinungsverschiedenheiten über Ver⸗ fassungsfragen, und das Wort „Konflikt“ ist meiner Auffassung nach in diesem Artikel keineswegs in dem Sinne eines irgendwie drohenden Verfassungskonflikts gemeint, sondern in dem gewöhnlichen bürgerlichen Sinne des Konflikts von Ansichten. Ich bin der Meinung, meine Herren, und ich bin darin auch durch die heutige Rede des Hrn. Abg. Richter bestärkt worden, daß man bei den damaligen Reichstagsver⸗ handlungen geglaubt hat, einer Anlehnung, einer Anknüpfung zu be⸗
dürfen, um gewisse schwarze Verdachtsgründe zu motiviren und daß man in Ermangelung einer anderen Handhabe, sich an diesen zufällig in denselben Tagen erscheinenden Arkikel angelehnt hat. Also ich kann diesen Punkt wohl als erledigt erachten.
Nun, was das literarische Bureau an sich betrifft, meine Herren, so wäre es ja möglich gewesen, daß eine Debatte darüber sich schon bei dem Tit. 4 dieses Kapitels entwickelt hätte, wo von der eigent⸗ lichen, im Etat ausgeworfenen Stelle, nämlich der des Direktors des literarischen Bureaus und eines Kanzleisekretärs die Rede ist. Der jetzt zur Diskussion stehende Art. 14 enthält ja nur ein Pausch⸗ quantum, welches im Falle bewilligt und verrechnet werden wird. Indessen, obgleich ich nun der Meinung bin, daß die Regierung nicht die Verpflichtung hat, über die Verwendung von geheimen Fonds hier Rechenschaft abzulegen, wenn sie überhaupt bewilligt werden, so nehme ich doch gar keinen Anstand die ganz offenkundige Einrichtung des literarischen Bureaus hier noch einmal auszuführen.
Meine Herren! Das literarische Bureau ist eine ganz harm⸗ lose und unverfängliche Einrichtung, die ihren nächsten Zweck darin hat, für die Allerhöchsten Stellen für die Minister und andere Beamte, welche mit der Presse und deren Erzeugnisse amtlich zu thun haben, besonders interessirende Artikel auszuschneiden und vorzulegen, also eine rein informatorische Thätigkeit. Von der Nothwendigkeit einer solchen Einrichtung wird sich ein Jeder überzeugen, der nur unseren parlamentarischen Berathungen beiwohnt. Ich kann wohl sagen, daß ich in dem früheren Ministerium sowohl als auch in dem jetzigen einen großen Theil meiner Zeit — und ich glaube zum Nutzen des Landes — dazu verwendet, diejenigen Preßerzeugnisse, welche sich uͤber Gegenstände meines Ressorts verbreiten, weiter zu verfolgen. Man kann ja der Presse im Allgemeinen nur sehr dankbar dafür sein, daß sie dergleichen Dinge auch in Erörterung zieht. Jeder Minister wird mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, wenn die Informationen sich 8 hehrichtic erweisen, den auf solche Weise gegebenen Anregungen nachzugehen.
Der andere Theil der Beschäftigung des literarischen Bureaus besteht darin, die Presse mit einer Information über die in der Re⸗ gierung vorhandenen Ansichten und Anschauungen zu versehen. Es ist das eine Einrichtung, die sich im Allgemeinen — ich glaube auch hierfür auf das Urtheil der Oeffentlichkeit mich berufen zu können —
daß diese Angriffsweise den
als nützlich erwiesen hat. Eine sehr erhebliche Zahl großer voll⸗ kommen selbständiger Tageblätter nimmt mit Freuden einen solchen Wink, eine solche Andeutung aus den Regierungskreisen entgegen, um daran ihre Informationen zu knüpfen, und die bezüglichen Gegen⸗
stände weiter zu behandeln. 3 Dann hat das literarische Bureau noch eine dritte Thätigkeit auszuüben, die allerdings weniger erfreulich ist. Es ist, meine Herren, die des Dementirens. — Ich muß doch sagen, ein nicht unerheblicher Theil der deutschen Presse ist recht fruchtbar in solchen Erzeugnissen, welche man mit der Bezeich⸗ nung „andichten“ wohl am treffendsten benennt; über Intentionen und Mehrangaben der Regierung erfahren wir sehr häufig da Dinge, von denen in Regierungskreisen nicht das Allermindeste bekannt ist. Und daß das eine sehr verhängnißvolle Seite der Thätigkeit der Presse ist, kann ich mit meinem Zeugniß belegen. Ich will, ohne daß ich dieses Beispiel als typisch hinstellen will, Ihnen vorführen, wie das in so solchem Fall zugeht. Es erscheint ein Zeitungsartikel: „Man schreibt uns aus München oder vom Rhein, es sollen, Gerüchten zu⸗ folge, die im Jahre 48 abgeschafften geheimen Konduitenlisten über die Lehrer wieder eingeführt werden;“ an der Sache selbst ist absolut kein wahres Wort. Am nächsten Tage verdichtet sich diese Fabel schon in einigen anderen Zeitungen dahin: positiver Quelle geht un
uns die Nachricht zu u. s. w. un heißt es, wenn die Regierung dazu schweigt, zwei Tage später: „Das verlegene Schweigen der Offiziösen deutet darauf hin, daß unsere neuliche Nachricht vollkommen richtig war,
also wir konstatiren hiermit, daß die geheimen Konduitenlisten wieder eingeführt sind.“ Dementirt die Regierung, was sie natürlich thun muß, dann heißt es wieder in einer anderen Correspondenz: „Es muß doch an unserer Mittheilung von neulich wegen der Konduiten⸗ liste etwas wahres sein, denn sonst würde die Regierung sich nicht so überaus beeilen, sie zu dementiren.“
Meine Herren! So sehen Sie, wie die Regierung auf allen Seiten durch solche Artikel in die Enge getrieben wird, und ich denke, Sie werden es ihr nicht verargen, wenn sie die ihr anvertrauten Staatsgelder, zum Theil wenigstens, auch darauf verwendet, um sich gegen solche insidiöse Art der Angriffe zu schützen. Ich bin also der Meinung, daß die Seite der Sache, welche jetzt der Hr. Abg. Richter zuerst erörterte, nämlich die nach seiner Meinung so ungemein schäd⸗ liche Wirksamkeit des literarischen Bureaus das hohe Haus nicht ah⸗
mneldere und nicht schärfe. Der Abg. von Bennigsen habe
8
halten sollte, für den geheimen Fonds zu stimmen. 8 1“
W1“
Ich komme nun auf den zweiten Theil der Ausführungen, auf die „Provinzial⸗Correspondenz“. 1
Daß der Hr. Abg. Richter bei der Schilderung der Thätigkeit der „Provinzial⸗Correspondenz“ seinen Pinsel in die alle rschwärzesten Farben tauchen würde, habe ich mir wohl gedacht; es ist dies nur ein integrirender Theil desjenigen Systems, welches die Fortschritt partei in der hinter uns liegenden Epoche lebhafter politischer Be⸗ wegung konsequent durchgeführt hat, nämlich für sie ist Alles erlaubt, die maßloseste Form der Kritik, die heftigste Art des Angriffs gegen die Regierung und auch gegen andere Parteien ist ihr gestattet: so wie aber irgend Jemand sich seinerseits die Freiheit nimmt, die Fort⸗ schrittspartei einmal daran zu erinnern, daß auch sie ihre Schwächen hat, schäumt sie über von sittlicher Entrüstung. 1
Meine Herren, ich erkenne nun meinerseits an, daß die Re⸗ gierung, wenn sie eine offiziöse Presse unterhält, mehr wie die Parteien die Verpflichtung hat in der Form Maaß zu halten, und ich kann hier die Erklärung abgeben, daß, trotzdem ich die Verantwortung natürlich zu tragen habe, — die kann ich ja nicht ablehnen, — daß einzelne Ausdrücke in einzelnen Artikeln der „Provinzial⸗Correspon⸗ denz“ aus jenen Monaten vom Juni bis Oktober v. J. nur motivirt werden können — durch die Hitze des damals wogenden Wahl⸗ kampfes, und daß ich seitdem Sorge getragen habe und fernerhin Sorge tragen werde, daß die „Provinzial⸗Correspondenz“ sich wirk⸗ lich objektiv beleidigender Ausdrücke enthält. Dafür übernehme ich die Verantwortung und danach wird verfahren werden, aber, meine Herren, nun bitte ich doch noch eins zu erwägen. Wenn der Hr. Abg. Richter hier mit so großer Entrüstung von den Artikeln der „Pro⸗ vinzial⸗Correspondenz“ spricht, so möge er mir es auch nicht ver⸗ übeln, wenn ich ihm darauf erwidere, die Fortschrittspartei — ich spreche natürlich nicht von Personen, sondern von Parteien, über die man ja unumwunden ein Urtheil aussprechen darf “ Fortschrittspartei leidet doch sehr an dem Fehler, der mit dem Schriftwort am prägnantesten ausgedrückt wird, sie sieht nicht den im eigenen Auge, aber stets den Splitter im Auge des
ideren. b Der Hr. Abg. Richter sprach davon, daß die „Provinzial⸗Corre- spondenz“ und ihre Thätigkeit zu einer gewissen politischen Brunnen⸗ vergiftung führt — ich glaube sogar der Ausdruck ist nicht Original, er hat ihn einmal vom Reichskanzler entlehnt, aber, meine Herren, wenn ich mir vergegenwärtige, was die Fortschrittspartei in dem 8 hinter uns liegenden Wahlkampf in Bezug auf Terrorismus, Agi⸗ tation, Verunglimpfung des Gegners, Verhetzung der Volksklassen gegen einander geleistet hat, dann, meine Herren, bin ich der Mei⸗ nung, daß die Artikel der „Provinzial⸗Correspondenz“ sich zu diesen Leistungen etwa so verhalten, wie das Rieseln eines Wiesenbachs zu einem gewaltigen Katarakt. Meine Herren, jeder Wahlkreis ist ja Zeuge davon, jede fort⸗
schrittliche Versammlung, möchte ich sagen, hat uns ja eklatante Be⸗ lege dafür gegeben, und jeder fortschrittliche Wahlaufrauf, — ich denke, wir werden uns beim Ministerium des Innern über diese Sache noch unterhalten —, hat klar an den Tag gelegt, daß es der Fortschrittspartei allerdings um Erringung des Sieges, aber um Er⸗ ringung des Sieges unter Anwendung einer großen Anzahl unerlaubter Mittel, zu thun gewesen ist.
Meine Herren, worauf hat denn diese Partei — ich spreche hier nicht von dem Verhältnisse zur anderen Partei, sondern von dem Verhältnisse zur Regierung — ihre Angriffe hauptsächlich gerichtet? Ich glaube, in dem, was ich sage, wird keine Uebertreibung gefunden werden können, sondern die Herren, welche sich eingehend mit dem Wahlkampf zum Reichstage beschäftigt haben, werden es mir be⸗ stätigen müssen. Also, wie sie mit den anderen Parteien umge⸗ sprungen ist, darüber erlaube ich mir kein Urtheil, es ist 8 nicht meine Sache, das zu beurtheilen, ich denke, diese Parteien, vielleicht auch die Herren Nationalliberalen, werden noch Gelegenheit haben, in dieser Richtung mit der Fortschrittspartei sich auseinander⸗ zusetzen. Aber in ihrem Verhältniß zur Regierung, meine Herren, ist sie systematisch darauf ausgegangen, in dem Volke das Vertrauen zu der Chrlichkeit und dem guten Glauben zur Regierung zu unter⸗ graben, sowohl in Bezug auf die Wirthschaftspolitik, als auch in Bezug auf die allgemeinen politischen Verhältnisse. Wenn es möglich und zulässig sein soll, daß eine wirthschaftspolitische Reform, welche, ausgegangen von der Reichsregierung, erörtert im Parlament, angenommen von der großen Mehrheit der Volksvertretung, von Koryphäen der Partei ohne Weiteres als eine nichtswürdige Interessenpolitik charakterisirt werden darf, als eine Politik, welche darauf hinausläuft, nicht etwa blos thatsächlich, sondern bewußt den Egoismus zu unterstützen, die Selbstsucht der wohlhabenden Klassen gegenüber den ärmeren wachzu⸗ rufen, darauf hinausläuft, den Großgrundbesitz, die Großindustrie zu bereichern auf Kosten der Bedürftigen und der Armen — ich wieder⸗ hole, meine Herren, nicht als thatsächliche Folge, sondern als bewußte Absicht, — dann bin ich berechtigt zu behaupten, daß eine solche Art von Polemik dem Begriff der Loyalität nicht entsprechend ist. — Aber damit hat man sich noch gar nicht mal begnügt, sondern man ist so weit gegangen, diese Wirthschaftspolitik anzuknüpfen an den Eigennutz des Einzelnen; ich werde Ihnen davon gleich einen Beweis liefern.
Versetzen Sie sich einmal in die Provinz Westfalen in eine dort stattgehabte Wahlversammlung; da sagte ein berühmter Volksredner zu dieser Versammlung, indem er von der Aufhebung der Eisenzölle im Jahre 1873 spricht, Folgendes:
eine Herren, wer hat denn eigentlich diese Zollaufhebung veranlaßt? Niemand anders als Fürst Bismarck selbst. Der⸗ selbe ist bekanntlich ein Großgrundbesitzer. Er hatte sich im Jahre 1873 für seine Landwirthschaft Maschinen aus England kommen lassen und bekam nun auf einmal eine Rechnung von 1200 Thalern übe. Zölle. Il der Teufel, denkt er, was ist denn das, daß meine Maschinen so besteuert werden? und es dauerte nicht 8 Tage, da hatten wir im Reichstage zu unserer großen Ueberraschung einen Gesetzentwurf zur Berathung, betreffend die Aufhebung der Eisenzölle.
Soll ich Ihnen nun dramatis personae und den Schauplatz⸗ nennen? Schauplatz Iserlobn — Festredner der Abg. Richter, und⸗ die Wählerschaft, die ihm für diese unqualifizirbaren Aeußerungen stürmisch zugejauchzt hat, ist dieselbe, welche den Abg. Langachans in den Reichstag geschickt hat.
Meine Herren, was soll man zu einer solchen Art von Agitation sagen! 8
Der erste Diener Sr. Majestät des Königs — ich will hier die Verdienste des Fürsten Bismarck mit keinem Wort berühren — muß es sich gefallen lassen, daß seine Initiative zu gesetzgeberischen Maßregeln unter den Gesichtspunkt des schnödesten privaten Eigen⸗ 8 nutzes gestellt wird. (Abg. Richter: Nicht wahr!) Nun, meine Herren, wenn das als „nicht wahr“ bezeichnet wird (Abg. Richter: Nein!), dann bitte ich Sie, sich nur den Wortlaut zu vergegenwärti⸗ gen von dem, was ich angeführt habe. Ja, meine Herren, böse Bei⸗ spiele verderben gute Sitten; das von dem Abg. Richter gegebene Beispiel hat dann natürlich auch dem Fürsten Reichskazler gegen⸗ über seinen Widerhall gefunden in einem Berliner Blatt. Das hat sich natürlich gesagt, wenn der Abg. Richter den Reichskanzler auf seinen Eigennutz angreifen kann, dann wirst du ihn mal in Bezug auf seine Ehre und seinen Charakter angreifen, und sagt nun Fol⸗ gend es: 1 1 8 In Wahrheit ist die Forderung des Reichskanzlers, (Fürst Bismarck von seinem Platze) gar keine Forderung des Liberalismus, gar keine Forderung der Fortschrittspartei, sondern lediglich eine
8