Die Stadt Krossen selbst bot ein Bild dar ähnlich einer Stadt, welche tagelang aus schwerstem Geschütz mit Bomben beworfen worden ist. 1
Die an der Promenade gelegene Brauerei ist durch den großen, massiv gebauten Dampfschornstein zertrümmert worden und gleicht einem Schutthaufen; der westliche Stadttheil ist fast ausnahmslos abgedeckt, die Zwischenböden sind durch das
usammenbrechende Mauerwerk durchgeschlagen worden.
CErheblich geringer ist der südöstliche Stadttheil beschädigt, obwohl einige dem ersten Ansturm besonders ausgesetzte Häuser nahezu vollständig demolirt worden sind. Die östliche Grenze der Stadt ist indeß sehr erheblich, und zwar vorwiegend aus süd⸗südöstlicher Richtung her, beschädigt worden. Der Schornstein der Gasanstalt ist nach Nord⸗Nordwest umgestürzt, die großen Promenadenbäume liegen nach derselben Richtung nieder⸗ gestreckt; das Schützenhaus ist in seiner Ober⸗Etage fast gänz⸗ lich demolirt, der Exerzier⸗Schuppen abgedeckt worden.
Die schwerste Zerstörung aber ist durch den nach Nord umgestürzten Thurm der Marienkirche bewirkt worden, welcher durch seinen Sturz ein Nachbarhaus und in ihm 4 Menschen⸗ leben vernichtete. 2
Der ca. 75 m hohe, in seiner unteren Hälste aus massivem quadratischen Steinbau, in seinem oberen Theile aus einem durchaus soliden achteckigen Holzbau mit reicher ornamentaler Gliederung bestehende Thurm ist, wie sowohl durch Augenzeugen beobachte t, als auch durch Sachverständige nachher konstatirt worden ist, unter demfersten gewaltigen Or⸗ kanstoße ins Wanken gerathen, wodurch die nicht besonders starken Zapfenverbindungen, welche ihn mit dem Balkenkranze des Unterbaues verbanden, zerrissen, während das aus durchaus kernigem Holze bestehende Balken⸗ gerüst des Thurmes selbst noch im völligen Verband blieb. Bei einem momentanen Nachlaß des Orkans schwankte der Thurm zurück, um seine verlassene Gleichgewichtslage wieder einzunehmen, dabei aber naturgemäß in Folge der Beharrung über dieselbe hinaus, so daß alle Augenzeugen fürchteten, er werde nach Süd zu umstürzen. Jetzt, beim abermaligen Zurückwanken nach Nord zu traf ihn der zweite gewaltige Stoß, welcher, das vorhandene nach Nord gerichtete Bewegungs⸗ moment des Thurmes gewaltig verstärkend, ihn soweit nach Nord überlegte, daß dem Orkan freier Zutritt zu dem hohlen Innenraum des Thurmes gestattet wurde. Hiermit war sein Schicksal besiegelt!
Der in den Hohlraum eindringende Orkan erhielt eine aufwärts gerichtete Bewe ungs⸗Komponente, hob hierdurch den ca. 2000 Centner schweren Oberbau in die Höhe und stürzte den Thurm mit der Spitze voran nach Süd um.
Daß dieser Vorgang in einer der geschilderten ähnlichen Weise stattgefunden haben müsse, wurde außer durch die Augenzeugen, auch durch Sachverständige an Oxt und Stelle onstatirt, indem das zarte, weit vorgekragte Gesims, über welches der Thurm nach Nord zu gestürzt ist, völlig unversehrt ind die nächsten Trümmer des Thurms in einer Entsernung on 14 m vom Fußpunkte des Thurmes nach Nord vorgefun⸗ en wurden.
Der nördliche, der Oder am nächsten gelegene Theil der Stadt wurde, ebenso wie alle Nordfronten der Hauser, weniger arg beschädigt.
Auf der Oder wurden zwei große unbeladene Oderkähne
urch den Sturm hart an einander gedrückt, darauf der süd⸗ ichere plötzlich derartig umgekehrt, daß er, mit dem Boden nach oben, auf seinen Nachbar hinauf geworfen wurde. Hier⸗ burch fanden 5 Personen den Tod durch Ertrinken. 1 Auf dem nördlichen Oderufer blieben die tiefer gelegenen Srundf ücke einigermaßen verschont, wahrend indeß die höheren Theil arg verwü et wurden. Die herrlichen alten Bume Kirchhofs, welcher auf der Höhe des Steilufers liegt, sind um größten Theile entwurzelt. Hier fanden sich die Stot⸗ ichtungen aus Südwest, Sud, Südost und Ost deutlich aus⸗ gebprägt.
8 Die seitliche Begrenzung der Sturmbahn scheint eine ziem⸗ ich scharfe gewesen zu sein; bei Krossen selbst war sie nach West zu mit großer Deutlichkeit durch die Bober⸗Mündung, nach Ost durch die äußersten Häuser der Stadt bezeichner; außerhalb dieser Linien sind keinerlei Zerstörungen angerichtet worden. Am nördlichen Oderufer waren daher weder die Berg⸗Kirche, noch die Schornsteine oder Häuser von Silberberg rgendwie beschädigt worden, obwohl dieselben fast unmittelbar e der bis dahin eingehaltenen Richtung des Sturmes lagen.
Vielmehr weist die Thatsache, daß die Sturmbahn, welche über Krossen selbst eine Breite von höchstens 650 m hatte, an den Oderhöhen sich auf ca. 1200 m verbreiterte, auf eine Aenderung der Richtung, vielleicht durch die Konsiguration des schief setroffenen Steilusers bedingt, hin.
8 Mit Sicherheit ließ sich noch feststellen, daß der ganze Ost⸗ rand der Sturmbahn cine Zerstörungsrichtung aus Südost, der ganze Westrand indeß aus Südsüdwest bis Südwest aufwies.
An den Oderhöhen nach Ost abgelenkt, scheint die Sturm⸗ bahn nun weiterhin diesen selbst zum schwächeren Theile ge⸗ folgt zu sein, wobei die Windmühle auf der Höhe bei Gosgar umgeworfen, sowie einige Gebäude in diesem Orte und in Hundsbolle mäßig beschädigt wurden, während der mächtigere Strom des Orkanes, einem nach Nordost verlaufenden Terrain⸗ Einschnitte folgend, das Dorf Kehmen zu einem großen Theile verwüstete.
Hier wurden mächtige Pappelalleen umgestürzt, die Süd⸗ wand eines Gewächshauses sammt Mauerwerk eingedrückt und viele Häuser arg beschadigt.
8 Höchst eigenthümlich sind die auf dem Wege nach Kehmen und besonders seitwärts in dem Gehölze, in welchem die Schießstände des Krossener Infanterie⸗Bataillons liegen, mehrfach auftretenden strichförmigen Zerstörungsstreifen, welche, in geradliniger Erstreckung nach Nordost verlaufend, parallele, durch unverletzte Zwischenräume getrennte Durchhaue darstellen, in welchen fämmtliche Bäume in derselben Richtung, dem
Streifen parallel, liegen.
An einer Stelle, an welcher die Chaussee eine Sförmige Krümmung ausführt, sind allein die einer in der Längs⸗ richtung durchgelegten geraden Linie entsprechenden Bäume in einer Breite von ca. 15 m umgebrochen.
Dagegen ist eine auf der Höhe oberhalb Kehmen liegende Windmühle nebst Wohnhaus völlig unverletzt geblieben, während einige nur 30 m entfernte andere Baulichkeiten ab⸗ gedeckt worden sind.
Am Rande des Gehölzes, in welchem die Schießstände liegen, sind an einzelnen Stellen die starken Bäume nach“ innen geschleudert worden, an anderen ist die Lisibre völlig Seer. See 20 m nach innen die Zerstörung beginnt. - im. leinen See aus, welcher in diesem Gehölze
egt, beginnt indeß das oben schon angedeutete System
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paralleler geradliniger Zerstörungsstreifen. Dieselben beginnen sämmtlich am Nordrande des kleinen Sees, haben eine Breite von ca. 30 und eine Länge von ca. 250 m und schneiden die vorhandenen drei Schießstände in spitzen Winkeln Ihre seit⸗ lichen Grenzen sind so geradlinig, daß es das Aussehen hat, als hätten neue Schießstände angelegt werden sollen.
In diesen Streifen nun liegt Baum auf Baum, sämmt⸗ lich von Südwest her, gestreckt. Die dazwischen liegenden ca. 50 — 60 m breiten Streifen sind völlig unversehrt, nicht ein Ast ist abgebrochen, nicht eine Fichte umgelegt.
An der weiteren Verfolgung des Weges wurde der Bericht⸗ erstatter durch mangelnde Zeit gehindert, brachte jedoch von den rekognoscirenden Ofsizieren des Bataillons in Erfahrung, daß die nördlich gelegenen Waldungen bei Mürzig und Glem⸗ bach gleichfalls Zerstörungsspuren aufwiesen.
Nachher wurde durch den im Auftrage der Direktion der Deutschen Seewarte das Krossener Phänomen untersuchenden Prosessor Koeppen dieser Theil der Bahn noch weiter verfolgt und hierbei konstatirt, daß bei Glembach, bei Straube, Neu⸗ Bautnitz und Griesel zum Theil sowohl ähnliche gerad⸗ linige Parallel⸗Windbrüche, als auch nesterförmige konvergente Zerstörungsspuren, ähnlich denen bei Braschen, vorhanden waren.
Die näheren Details der Untersuchung müssen einer aus⸗ führlicheren Darstellung an anderem Orte vorbehalten bleiben. Ueber den allgemeinen Charakter des Sturmes sei nur Fol⸗ gendes gesagt:
In einem mit breiter Front nordostwärts vordringenden Gewittersturm hat sich ein relativ schmaler Zerstörungsstreifen ausgebildet. An seinem Ursprung bei Braschen zeigte der⸗ selbe deutliche Spuren eines orkanartigen Zuströmens der
Luft von allen Himmelsgegenden. Bei seinem wei⸗ teren Vorschreiten traten die bei einem Luftwirbel unzweifelhaft vorhandenen Strömungen aus West, Nord⸗ west, Nord, Nordost und Ost fast ganz in den Hin⸗
tergrund, dagegen zeigte der westliche Stand der Sturmbahn vorwiegend füdwestliche, der östliche Stand südöstliche Richtung der Luftbewegung.
Es würde nun durchaus voreilig sein, hieraus folgern zu wollen, daß dem Orkan selbst der Charakter der Wirbel⸗ bewegung völlig gefehlt habe.
Erörtern wir mit wenigen Worten die Vorgäng in einem Wirbelsturme auftreten.
Wüͤrde der Wirbelsturm, plötzlich von den höheren Luft⸗ schichten herabstürzend, eine Stelle der Erdoberfläche berühren, welche mit solchen Bäumen besetzt ist, die einen nach allen
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wie sie
Seiten und unter sich gleichen Widerstand darbieten, so müßte, falls die Kraft der in wirbelnder Bewe⸗ gung begriffenen Luft größer ist, als der äußerste
Widerstand dieser Bäume, ein Bild entstehen, völlig ähnlich den Windpfeilen, welche wir in unseren Wetterkarten rings um eine barometrische Depression zu sehen gewohnt sind.
Es würden also diejenigen Stämme, welche nördlich vom Centrum des Wirbelsturmes gestanden haben, nach Südwest, die westlichen nach Südost, die südlichen nach Nordost, die
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östlichen nach Nordwest umgestürzt werden. Würde nun aber ein solcher Wirbelsturm z. B. nach Nordost fortschreiten, so würden die dem Wirbel nachfolgenden südwestlichen, südlichen und südöstlichen Sturmstöße thatsächlich keine Büume zum Umstürzen mehr vorfinden, da die vorangegangenen nordwestlichen, nördlichen und nord⸗
östlichen Sturmstöße schon die von ihnen früher getroffenen Stämme niedergelegt haben. Wir würden also bei weiterem geradlinigen Fortschreiten des Wirbels ausschließlich die Stämme aus Nordwest, Nord und Nordost gestreckt finden.
Nun kommen aber thatsächlich derartige, auf allen ihren Seiten gleich stark wirkende Luftwirbel mit kreisrunder Um⸗ grenzung kaum jemals vor. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle haben wir es mit sogenannten „sekundären De⸗ pressionen“ zu thun, welche, am Rande einer größeren De⸗ pression (eines Gebiets niedrigen Luftdrucks) in einer Ausbuch⸗ tung der Isolaren entwickelt, nun in einem oder zwei Quadranten beträchtliche barometrische Gradienten haben, in den übrigen indeß weit geringere Luftdruck⸗Unterschiede auf dieselbe Entfernungseinheit aufweisen. Die Fortbewegung dieser sekun⸗ dären Depressionen ersolgt aber stets in der Richtung der stärksten Luftbewegung, sodaß stets die nachfolgende Seite des Luftwirbels die stärksten Sturmstöße bringt.
Schreitet nun ein solcher „unvollständiger“ Wirbel⸗ sturm, um bei unserem Beispiele zu bleiben, nach Nordost
fort, so werden die vorangehenden schwächeren Nordwest⸗, Nord⸗ und Nordostwinde geringe oder keine Zerstörungen hervorrufen, die nachfolgenden Sturmstöße aus Südwest, Süd und Südost aber ausschließlich die getroffenen Gegenstände in ihrer Rich⸗ tung hinstrecken. So kann es sehr wohl möglich sein, daß die Zerstörungsbahn eines derartigen Wirbelsturmes allein aus Südwest, Süd und Sübdost niedergestreckte Gegenstände aufweist. Es ist auch wohl daran zu deaken, daß die umgestürzten Gegenstände durchaus nicht stets unbeweglich auf dem Erdboden liegen bleiben müssen; leichtere, aus Nordwest, Nord und Nordost von der Vorderseite des Luftwirbels niedergestreckte Gegenstände können von den erst später nachfolgenden schwersten, aus Südwest bis Südost kommenden Sturmstößen in ihrer Lage auf dem Erdboden verändert und nachträglich in die Richtung derselben gedreht werden.
Dies ist besonders bei solchen Gegenständen möglich, welche nicht in allen ihren Theilen dem Sturme gleiche Flächen darbieten. Ein vom Nordost⸗Stoße nach Südwest umgestürzter belaubter Baum wird vom nachfolgenden Südost sicherlich an seiner, eine große Widerstandsfläche bietenden Krone wirksamer getroffen werden, als an seinem Stamme oder an seiner noch theilweise im Erdreiche festhängenden weitverzweigten Wurzel; eine nachträgliche Verschiebung der Krone nach Nordwest wird un⸗ ausbleiblich erfolgen müssen, so daß der ursprünglich aus Nordost gestreckte Baum nach dem Vorübergange des Sturmes so liegt, als sei er aus Südost umgestürzt.
Man darf daher nicht das Vorhandensein von Streckungs⸗ richtungen aus allen Gegenden der Windrose als eine un⸗ erläßliche Bedingung für die Anerkennung eines Wirbel⸗ sturmes fordern.
Die Krossener Zerstörungsbahn zeigt nun in völlig charakteristischer Weise das erhebliche Vorwiegen von südwest⸗ lichen, füdlichen und südöstlichen Streckungen, würde also aus diesem Grunde ohne Zweifel als einem ungleichmäßig aus⸗ gebildeten Luftwirbel, welcher, nach Nordost fortschreitend, seine überwiegende Sturmstärke auf der Rückseite entwickelte, ange⸗ hörig zu betrachten sein.
Nähere Untersuchungen zeigten übrigens, daß durchaus nicht alle Spuren der nordwestlichen bis nordöstlichen voran⸗ gegangenen Luftströmungen fehlten; doch müssen wir diese
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Details in die ausführlichere fachwissenschaftliche Erörterung
verweisen. 8 Die Wetterkarte des 14. Mai und die Thatsache des außerordentlichen Barometerfalls in Krossen zeigt auch mit
aller Deutlichkeit, daß sich in einer südlichen tiefen Ausbuchtung einer flachen, über dem ganzen östlichen Mittel⸗ und Nord⸗ Deutschland liegenden größeren Depression ein eng lokaler Kern mit außerordentlich starken Luftdruckunterschieden an der West⸗ Süd⸗ und Ostseite ausgebildet hatte, welcher, getragen von der stärksten zwischen Südwest und Südost liegenden Luftstromung, als ein reguläres sekundäres Minimum nach Nordost fortgeschritten ist. S Deenseshefhen — Temperaturdifferenzen an der Ost⸗ nd Westseite dieser Depreffion trugen zur Verstärkung der Druc⸗Unterschiede nach dieser Richtung erheblich bei, bedingten wohl auch die Entstehung der in breiter Front nordostwärts fortschreitenden Gewitterböe und der Hagelfälle. 1 Mehr Schwierigkeiten bereitet die Erklärung der oben⸗ genannten geradlinigen Zerstörungsstreifen in dem Kehmener Gehölz. Es wäre nicht undenkbar, daß hier eine ganz einseitige Verstärkung oder eine fast allseitige Abschwächung des Gra⸗ dienten stattgefunden hätte, so daß ausschließlich ein kurzes Bogenstück des Wirbelsturmes die nöthige Kraft besessen hätte, um die Bäume umzustürzen. Die geradlinige Zerstörungsbahn ließe sich hieraus wohl herleiten, nicht aber die Eigenthümlich⸗ keit der Anordnung in drei parallelen, einander äußerst ähn⸗ lichen Streifen. . 8 Daß die im Centrum der breiten Gewitterbö vorhandene eyklonale Luftbewegung über den abnorm stark erhitzten wasserdampfreichen Flußniederungen des Bober und der Oder zur Verstärkung ihrer aufwärts gerich⸗
günstige Bedingungen teten Bewegungs⸗Komponente gesunden habe, läßt sich nach Verhältnisse wohl anneh⸗
Lage der gesgraphischen men. Der nach Sud sehende Steilabhang des Nord⸗ ufers der Niederung ist ohne Zweifel durch seine günstige Ex⸗ position gegen die Sonne, ferner durch die am südwärts vor⸗ liegenden Spiegel der Oder und übrigen Gewässer stattsindende Wärme ‚Reflexion äußerst günstig ser die Einleitung und Unterhaltung einer lokalen Cirkulation der über der Niederung lagernden Luft.
Hohe Temperatur und reichlicher Wasserdampf⸗Gehalt der Luft sind aber meteorologische Faktoren, welche der Erhaltung von cyklonalen Luftbewegungen überall Vorschub zu leisten
im Stande sind. 2) Der Gewittersturm von Wetzlar am 23. Mai 1886
Wetzlar liegt an den südlichen Abhängen des Lahnthales welches sich in nahezu ostwestlicher Richtung zwischen den mäßigen Höhen des hessischen Berg⸗ und Hügel⸗ landes in einer Breite von circa 2 km hinerstreckt. Unmittel⸗ bar östlich von Wetzlar mündet die Dill mit mehreren Armen von Nord her in die Lahn, aus einem von Nordwest her sich öffnenden ziemlich engen, erst bei seiner Vereinigung mit dem Lahnthal erweiterten Thale austretend. Die Lahn durch⸗ zieht die Thalung in vielfachen Schlingen und hat mehrfach Reste alter Flußbetten in Gestalt von stagnirenden Wasser⸗ armen zurückgelassen. Der Boden ist im Lahn⸗ und Dill⸗ thale ein schweres, durch die vielen Eisenbestandtheile braun⸗ roth gefärbtes Alluvium, mit Wiesen und Aeckern kultivirt und, abgesehen von Alleen, völlig baumlos. — Das Südufer der Lahn ist steil, am Lahnberg sogar bis zu 50 — 60 Grad Böschung, vielfach durch Steinbrüche ab⸗ gebaut, an den Zwischenstellen theils mit Laubholz oder Kiefernbeständen von ca. 5—6 m Höhe bedeckt. Die Lahn nähert sich mit einer Windung dem Steilufer bis auf einige Meter, wo sie von zwei dicht bei einander liegenden Eisenbahn⸗ brücken überschritten wird. Am anderen Ufer liegen mehrere Bahnhofsgebäude, Schuppen, Wasserthurm und der große in einem nach Nord offenen Halbkreise gebaute massive Lokomotivp⸗ schuppen. 8
Die Stadt Wetzlar selbst liegt in einem die füdlichen Steilränder tief einschneidenden nach Süd verlaufenden Nebenthale, welches sich allmählich auf das im Süden vor⸗ liegende Plateau erhebt. Die Höhe dieses Plateaus über dem Lahnspiegel beträgt ca. 150 m. In ca. 4 km Entfer⸗ nung südöstlich von Wetzlar liegt der ca. 400 m hohe Stappelberg, der höchste Punkt dieses Plateaus, welcher von den Bewohnern dieser Gegend als Wetterscheide be⸗ trachtet wird. Der Nordrand der Lahnniederung ist weniger steil und erheblich niedriger, fällt jedoch bei dem Dorse und der Ruine Hermannstein, ca. 5 km nördlich von Wetzlar, abermals in steiler Böschung ca. 30 m zu einem nach Nordost streichenden engen Thale ab.
Vergleichen wir die geographische Situation der Lahn⸗ Niederung bei Wetzlar mit der in unserer obigen Auseinander⸗ setzung skizzirten des Oderthales bei Krossen, so drängt sich unwillkürlich eine nahezu vollkommene Uebereinstimmung beider auf: in beiden Fällen eine einige Kilometer breite, von West nach Ost verlaufende, durch mehrere Wasserläusfe und den Zusammentritt zweier Flußthäler ausgezeichnete Niederung, in beiden Fällen eine im Süden vorgelagerte dominirende Er⸗ hebung. Der alleinige Unterschied liegt in der umgekehrt an⸗ geordneten Steilheit der Niederungsränder. G
Das Phänomen von Wetzlar war, wie wir des Weiteren sehen werden, in seiner räumlichen Erstreckung in den Hori⸗ zontal⸗Dimensionen ganz erheblich kleiner, als das von Krossen⸗ Den Charakter des Orkanes hatte es nur in einer Erstreckung von höchstens 6 km, sein Breitendurchmesser aber — höchstens 100 m, an vielen Stellen sogar nur 50 — 60 m
Diese enge räumliche Umgrenzung erhielt der Erscheinun in weit höherem Grade, als in Krossen, den Charakter — Wirbelsturmes, so daß man sie, dem Sprachgebrauch fol ges ohne Anstand als einen Tornado, eine Trombe oder Wäin9. se bezeichnen kann.
Die Wetterkarte vom Morgen des 23. Mai zeigt die Existenz einer höchst unregelmäßig gestalteten flachen Depeesston über West⸗ und Mittel⸗Deutschland; zwischen Wiesbaden Karlsruhe und Kaiserslautern deuten die Windrichtungen das Vorhandensein eines Kernes dieser Depression EI1“ wolkenlosem Wetter war die Temperatur in Mittel⸗ und Westdeutschland sehr erheblich über dem normalen Werthe und erreichte in Kassel am Tage den — von der Seewarte aller⸗ dings mit einem Fragezeichen versehenen — abnormen Werth von 36 Grad C. Um 2 Uhr Nachmittags wurden 31 Grad notirt. —
Die flache Depression hatte sich im Laufe des Vormi etwas ostwärts verschoben, der Kern cyklonaler Lustbewegung schien östlich von Kaiserslautern zu liegen; Kaiserslautern selbst hatte Gewitter. 8
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