— Das Ergebniß der gestrigen Wahlmänner⸗ wahlen in Berlin ist nach vorläufigen Feststellungen Folgendes: “
Im ersten Wahlkreise erhielten die Freisinnigen 635 Stimmen gegen 459 — welche für die Kartellparteien (inklusive der Konservativen) abgegeben wurden (aus 2 Urwahlbezirken mit 6 Wahlmännern stand das Resul⸗ tat noch aus). Im Jahre 1885 waren es 612 Freisinnige, 240 Konservative und 84 Nationalliberale. — Während die Kartellparteien hier also einen Zuwachs von 135 Stimmen zu verzeichnen haben, brachte es der Freisinn nur auf ein Plus von 23 Stimmen. . 4
Im zweiten Wahlkreise wurden gewählt: 967 Deutsch⸗
freisinnige, 157 Konservative, 20 Nationalliberale und 4 un⸗ bestimmt. Gegen 1885 hhchetzas Freisinnigen eine Zunahme von 215 (752), die Konservativen eine solche von 27 (130), die Nationalliberalen eine Abnahme von 11. 8
Im dritten Wahlkreise war die Betheiligung eine nur schwache, da durchschnittlich nicht mehr als ca. 22 Proz. wählte. Der Wahlkreis hatte 1505 Wahlmänner zu wählen, doch blieben 28 Vakanzen, so daß thatsächlich 1477 gewählt sind. Davon sind 1049 Freisinnige, 406 Konservative, 12 Nationalliberale und 10 unbestimmt. Im Jahre 1885 waren 784 fortschr., 369 kons., 37 nationl. Die Freisinnigen haben somit um 265, die Konservativen um 37 zugenommen.
Im vierten Wahlkreise wurden gewählt 697 Frei⸗ sinnige, 310 Konservative und 19 Vakanzen waren vorhanden. Im Jahre 1885 wurden 614 Freisinnige, 227 Konservative und 14 Nationalliberale gewählt, d. i. bei den Freisinnigen wie bei den Konservativen eine Zunahme von 83.
— Die in einem ehemaligen Erbpachtvertrage ge⸗ troffene Bestimmung, daß der Erbpächter und seine Nach⸗ kommen den unter der Oberfläche des Guts sich vorfindenden Mergel zur Ackerkultur wirthschaftlich benutzen, zum Verkauf an Fremde aber nicht berechtigt seien, hat nach einem Urtheil des Reichsgerichts, V. Civilsenats, vom 10. September d. J., in Folge des Preußischen Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850 in Preußen jede rechtliche Wirkung verloren; der durch das Inkrafttreten jenes Gesetzes zum Eigenthümer gewordene Erbpächter ist berechtigt, über den Mergel seines Gutes frei zu verfügen.
— Durch Allerhöchste Ordre vom 15. d. M. ist das dem vormaligen Aktien⸗Verein für den Bau einer Chaussee von Peilau im Kreise Reichenbach über Gnadenfrei nach Diersdorf im Kreise Nimptsch seiner Zeit verliehene Recht zur Chausseegeld⸗Erhebung nach den Bestimmungen des Tarifs vom 29. Februar 1840, einschließlich der in dem⸗ selben enthaltenen Bestimmungen über die Befreiungen sowie der sonstigen die Erhebung betreffenden zusätzlichen Vorschriften, den genannten Kreisen, und zwar einem jeden für die in sein Eigenthum übergegangene Strecke dieser Straßen gegen Ueber⸗ nahme der künftigen chausseemäßigen Unterhaltung der be⸗ treffenden Straßenstrecke, vorbehaltlich der Abänderung der sämmtlichen voraufgeführten Bestimmungen, übertragen worden.
8 — Das in der Cirkular⸗Verfügung der damaligen Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten und des Innern, vom 19. Dezember 1857, für Leichenpässe angeordnete Schema diente, in Ermangelung eines besonderen Formulars für Transporte auf Eisenbahnen, bisher zugleich als der im 5. des Eisenbahn⸗Betriebs⸗Reglements vom 11. Mai 1874 für solche Transporte erforderte Leichenpaß. Nach der Bestimmung unter Nr. 3 des laut Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 14. De⸗ zember v. J. neugefaßten 34 1. c. ist für diese Transporte ein anderes Leichenpaß⸗Formular vorgeschrieben, ohne daß jedoch dadurch die frühere Vorschrift in dem Erlaß vom 19. Dezember 1857 hinsichtlich des dort vorgesehenen ormulars aufgehoben wäre. Da somit der Fall eintreten aann, daß beim Transport einer Leiche, welcher theils auf der Eisenbahn, theils auf Landwegen stattfindet, zweierlei Leichenpässe ausgestellt werden. müßten, so haben die genannten Minister im Interesse eines einfachen und sicheren Geschäftsganges unterm 23. September d. J. bestimmt, daß das von dem WE in dem erwähnten §. 34 des Eisenbahn⸗Betriebs⸗Reglements für die Beförderung von Leichen auf Eisenbahnen vorgeschriebene Leichenpaß⸗Formular künftighin auch für den Transport von Leichen auf Landwegen ꝛAnwendung findet, wobei selbstverständlich, falls der Trans⸗ Port auf keiner Strecke mittelst Eisenbahn geschieht, im Paß⸗ formular die Worte „mittelst Eisenbahn“ zu streichen sind. Ferner ist in weiterer Abänderung der Bestimmungen des Erlasses vom 19. Dezember 1857 die Ertheilung von Leichenpässen zukünftig abhängig zu machen von der Vorlegung einer von einem beamteten Arzt ausgestellten Bescheinigung über die Todesursache sowie darüber, daß seiner Ueberzeugung nach der Beförderung der Leiche gesundheitliche Bedenken nicht eutgegeasehena 8 Schließlich kommt die zeitliche Beschränkung der Gültig⸗ 2 keit des Passes in Fortfall. 1“ sch 8 18
— Der Kaiserliche Gesandte am Königlich niederländischen Hofe, Freiherr von Saurma⸗Jeltsch, ist vom wicchen vach dem Haag zurückgekehrt und hat die Geschäfte der dortigen Gesandtschaft wieder übernommen.
— Die Bevollmächtigten zum Bundesrat „ Königli württembergischer Präsident des Staats⸗Minifterthms. Sriali Minister Dr. Freiherr von Mittnacht, und Königlich württembergischer Ober⸗Regierungs⸗Rath Schicker sind hier eingetroffen.
— Der General⸗Lieutenant von Dincklage, Komman⸗⸗ dant von Frankfurt a. M., hat Berlin wieder verlassen.
— Die Archiv⸗Hülfsarbeiter, Dr. phil. Friedri Mei⸗ necke bei dem Geheimen Sinass Auchi Ffn vrich, und Dr. phil. Paul Karge bei dem Staats⸗Archiv in Koblenz, sind zu Archiv⸗Assistenten ernannt worden. 8
Mecklenburg⸗Schwerin. Schwerin, 30. Oktober (Meckl. Nachr.) Der Großfürst und die Großfürstin Wladimir von Rußland sind heute Nachmittag von hier nach Paris abgereist. Die Großfürstlichen Kinder werden mit ihrer Begleitung morgen die Rückreise nach St. Peters⸗ burg antreten.
Hamburg, 30. Oktober. hal, Hraf ne 8- tk Sühat Zerlin begeben. Auf dem Wege von seinem Absteigequartier bis zum Bahnhof wurde derselbe von eine Menschenmenge stürmisch begrüßt. -eeah
8
(W. T. B.) Der General⸗ sich heute Nachmittag nach
Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 29. Oktober. (Wien. Abdp.) Der Süheee Faesthat des Abgeordneten hauses hielt eute eine Sitzung, in welcher an Stelle des Abg. Grafen heune Clam⸗Martinitz, welcher auf sein Mandat verzichtet hat, der Abg. Hausner zum Obmann gewählt wurde. Zum zweiten Obmann⸗Stellvertreter wurde der Abg. Zeithammer gewählt. Sodann gelangte die Vorlage, betreffend die Be⸗ deckung des Rustungskredites, zur Verhandlung. An der Debatte hierüber nahm auch der Finanz⸗Minister Dr. Ritter von Dunajewski Theil. Die Vorlage wurde genehmigt. 30. Oktober. (W. T. B.) Das Abgeordneten⸗ haus hat von Chlumecky zum ersten, Zeithammer zum zweiten Vize⸗Präsidenten gewählt.
Pest, 29. Oktober. (Wien. Ztg.) Die Berathung des Regalien⸗Ausschusses in Betreff der Entschädigungen in Folge der Einführung des Schankgefälles gedieh bis §. 15.
Frankreich. Paris, 30. Oktober. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Ministerraths unter Vorsitz des Präsidenten Carnot wurden die Motive zu dem Gesetzentwurf, betreffend die Einkommensteuer „ verlesen. Der Entwurf wurde definitiv gebilligt und wird wahrscheinlich morgen der Kammer vorgelegt werden. 1““
In dem Gesetzentwurf ist die Steuer auf ½; % für ein Ein⸗ kommen aus Arbeit und auf 1 % für ein Einkommen aus erworbenem Vermögen festgesetzt. Ein Einkommen von 2000 Fr. und darunter wird nicht besteuert; wenn der Ehemann ein Einkommen von 2000 Fr. hat und die Ehefrau ebenfalls ein Einkommen von gleicher Höbe, so bleibt dasselbe bei beiden frei von der Steuer. Das Gesetz wird mit entsprechenden Erleichterungen angewendet werden, je größer die Zahl der Kinder einer Familie ist. Die Steuer wird überhaupt nicht von der Gesammtheit der deklarirten Einkommen⸗ summe, sondern nur von ¾ derselben erhoben. Den Besitzern von Aktien, welche einer Coupon⸗Steuer unterliegen, wird der entsprechende Betrag bei der Steuer in Abzug gebracht. .
In der heutigen Sitzung der Deputirtenkammer theilte der Präsident Meline das Resultat der Berathung
des Bureaus betreffs des Zwischenfalles mit den Journalisten mit; das Bureau habe den Quästoren
das Vertrauen ausgesprochen und die zwischen den Quästoren und dem Syndikat der Presse getroffenen Vereinbarungen angenommen. In Folge dieser Berathung hätten die Quästoren ihre Entlassung eingereicht. Lacretelle stellte darauf einen Antrag, nach welchem die Quästoren aufgefordert werden sollen, ihre Entlassung zurückzuziehen. Der Antrag Lacretelles wurde mit 243 gegen 70 Stimmen angenommen. Peytral brachte hierauf Vorlagen betreffs der Getränke⸗ und Einkommensteuer ein. Die Kammer nahm dann die Be⸗ rathung über das Marinebudget wieder auf. Gerville, der Berichterstatter der Kommission, warf dem Marine⸗ Minister Krantz vor, daß die Ausgaben für die Häfen zu große seien. Der Marine⸗Minister widerlegte kurz die Kritiken der Budgetkommission und beklagte sich, stets der Gegenstand ihrer Angriffe zu sein. Gerville und Rouvier verwahrten sich davor, den Minister persönlich angreifen zu wollen; ihre Kritiken bezögen sich nur auf die Verwaltung. Roche vertheidigte die Marineverwal⸗ tung, deren Fehler nur in dem beständigen Wechsel des Ministers beständen. Hierauf wurde die allgemeine Berathung geschlossen und die Kammer auf Montag vertagt.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 30. Oktober. (W. T. B.) (Telegramm der „Nordischen Telegraphen⸗ Agentur“.) Ueber die Entgleisung des Kaiserlichen Hofzuges liegen bis jetzt noch keine authentischen Details vor. Jedenfalls steht fest, daß es sich nur um einen gewöhnlichen Eisenbahnunfall handelt.
— 31. Oktober. (W. T. B.) Nach einem Telegramm des Hof⸗Ministers aus Dolinskaja (Charkow⸗Nikolajew⸗ Eisenbahn) vom Dienstag, 3 Uhr 50 Minuten Nachmittags, hat die Kaiserliche Familie diese Station wohlbehalten
passirt.
— 31. Oktober. (W. T. B.) Der „Grashdanin“ bringt nachstehende Einzelheiten über den Eisen⸗ bahnunfall bei Borki: Derselbe fand am Montag Mittag statt. Der Zug ging mit einer Schnelligkeit von 65 Werst pro Stunde und wurde von zwei Lokomotiven ge⸗ führt. Vier Kaiserliche Salonwagen, die bekanntlich sehr massiv sind, befanden sich im Zuge. Der Weg war ab⸗ schüssig. Unter diesen Umständen sei die Entgleisung er⸗ folgt. Die erste Lokomotive bohrte sich in den Bahndamm ein, die zweite wurde zertruüͤmmert. Im nächstfolgenden Wagen saßen größtentheils Hofbedienstete, der nächste war der Küchenwagen; hierauf folgten der Wagen des Kaiser⸗ lichen Gefolges und der Speisewagen. Das Gefolge, darunter der Verkehrs⸗Minister Admiral Possiet, befanden sich im letzteren. Der Ober⸗Inspektor der Eisenbahnen, Baron Stjernval saß in einem vorderen Wagen, in deren einem Unglücksfälle vorgekommen sein sollen Es heißt, daß auch Baron Stjernval verwundet sei, während der Kriegs⸗ Minister Wannowski, der General⸗Adjutant Tscherewin und der Flügel⸗Adjutant Scheremetiev, die sich im Speisewagen befanden, nur leicht kontusionirt wurden. Der Kaiser und die Kaiserin verließen den Thatort nicht sogleich, sondern trösteten die Verunglückten und sorgten für dieselben. Gegen Abend begaben sich die Majestäten nach Losowoje zurüͤck. Anläßlich der wunderbaren Rettung der Kaiserlichen Familie wird allenthalben feierlicher C13“ abgehalten. — Die Zeitungen tadeln die Eisenbahnverwaltung heftig, welche für die Sicherheit des Hofzuges besser hätte gesorgt haben müssen.
Italien. Rom, 30. Oktober. (W. T. B.) Der Kommandant der Königlichen Nacht „Savoia“, Kaäpitän zur See Carlo Turi, erläßt, nachdem ihm von dem Marine⸗Minister die Ermächtigung dazu ertheilt worden, folgende Berichtigung: „Die von dem „Berliner Tage⸗ blatt“ in der Morgenausgabe Nr. 535 veröffentlichte Nachricht, daß die Königliche Nacht „Savoia“ am 17. Oktober cr. bei Castellamare sich in Gefahr be⸗ funden habe, ist völlig unrichtig. Der Nacht „Savoia“, welche in dem Hafen von Castellamare an einer Boje vor Anker lag, wurde von dem Dampfboot „Volta“ nur der auf dem Hintertheil der Nacht befindliche Flaggenstock zerbrochen; es geschah dies am Vormittage um 10 Uhr, als das Dampf⸗ boot „Volta“ üggen manövrirend sich anschickte, vor Anter
zu gehen. — Während dieses Ereignisses befanden si re ve 11 Cen westerhehicheglne und König öe. owie da efolge erhö⸗ erselben no⸗ i 8
der Nacht „Savoiag.““ 8 11““
Griechenland. Athen, 30. Oktober. (W. T. B.)
Der König empfing Mittags vor den anderen
sandten den österreichischen Admiral von pezialabge
Sterneck in
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feierlicher Audienz. Anwesend hierbei waren “
Auswärtigen, Dragumis, der gesammte Dägnüse des des Admirals von Sterneck und der Kommandant des etm Admiral von Sterneck brachte die Glückwünsche des gen0⸗ Franz Joseph dar, worauf der König für den auf
ordentlichen Beweis der Sympathie wiederholt dankte e jedes Mitglied der Mission in wohlwollender Weise ans 88 Nachmittags nahm der König von den ständigen Vertraun der Mächte die Glückwünsche entgegen. Erzbischof Nara. 822 “ apstes. Abends fe eem österreichischen Gesandten Freiherrn von Kosj⸗ 8
Sternecks ein 8 ab in Fü. 8 set zu Chra 31. ober. (W. T. B.) Der österreichin Admiral von Sterneck war gestern allein vum gichi zum Familiendiner geladen; die übrigen Spezialah sandten, sowie die Mitglieder des diplomatischen Corpz; haben für heute eine Einladung zum Diner erhalten. 81
Serbien. Belgrad, 30. Oktober. (W. T. B.) NAr Minister⸗Präsident Christic richtete als Minister des Innein an sämmtliche Polizeiorgane des Landes ein Cirkulan in welchem er dieselben auffordert, den Worten des Königz, durch welche die Wahlfreiheit garantirt negs⸗ Achtung zu verschaffen. 3
(R. B.) Der
Amerika. Washington, 30. Oktober. diesseitige Gesandte in London, Phelps, übermittelte dem Staatssekretär Bayard Depeschen, in we die Ansichten der Regierung über den Zwis chenfall Sackville auseinandergesetzt werden. Dies⸗
epeschen sollten dem heutte stattfindenden Kabinetsrath unterbreitet werden. — Im Auftrage des Präsidenten Clepeland theilte Bayard heute dem britischen Gesandten Gackville mit, daß aus der englischen Regierung bereits mitgetheilten Gründen Sackville's ferneres Verbleiben auf seinem bisherigen Posten für die Regierung der Vereinigte Staaten nicht mehr annehmbar und deshalb nachthellg für die Beziehungen der beiden Länder sein würde.
—
Zeitungsstimmen. Die „Leipziger Zeitung“ schreibt: p Ein Deutsches Reich, welches die feste Grundlage seiner dct
in der freiwilligen Mitwirkung aller Stämme und Dynastien fiden sollte, war das hohe Ziel, welches dem ersten Deutschen Kaiser aus em Hause der Hohenzollern und seinem großen Kanzler bei Begründung dieses Reichs vorschwebte. Und als ein Reich, wie es seine großen Baumeister sich dachten, fest gegründet auf die Treue und das Vertrauen seiner Fürsten und Völker, stark nach Außen und trotz manch häuslichen Zwistes in allen großen Fragen einig im Innern, ist es zu Fleisch
und Blut geworden nicht blos im Denken und Sinnen der Nation,
hat es sich bewährt auch in dem harten Kampfe um sein nationales Dasein, bewährt in den Stürmen, die der Reichstagswahl des ver⸗ flossenen Jahres vorausgingen, bewährt in diesem Reichstage selbst und bemähet in den schweren Schicksalsschlägen des Jahres, in dem vir noch stehen.
In necessariis unitas — im Nothwendigen Einheit in der Aus⸗ führung Treue und wechselseitiges Vertrauen — sg wurde dieses Reich gegründet, und unter demselben Zeichen steßt unsee Stad. wenn sie morgen ihren Ehrentag feiert. „Im Natöcvendinen Erbeit⸗ das gilt nächst dem deutschen Heere vor Allem kom beulschen ANahk; das äußere Markzeichen dieser Einheit soll für ale Heiten der oberste Gerichtshof bilden, dessen Grundstein wir morgen segen. Daß sich diese Feier in unserer Stadt und in unserem Staale vollziebt, daß Kaiser und König diesem Feste durch ihre Anwesenheit die Weihe geben und die erste Stadt des Reichs uns dazu neidlos ihre Glückwünsche sendet, das weist uns simbildlich auf jene beiden anderen Grundlagen unserer nationalen Einheit hin: das wechselseitige Vertrauen und die erprobte Treue, welche die deutschen Fürsten und Stämme untereinander verbindet. Den Schwur dieser alten Treue erneuern wir morgen und das soll der Willkommensgruß sein, mit dem wir unsere erlauchten Herrscher empfangen. Dem Kalser Heil, Heil unserem König Albert!
— Das „Berliner Fremdenblatt“ bemerkt:
Von einer gleich hohen politischen Bedeutung wie die Eir⸗ verleibung Hamburgs und Bremens in den Zollverein, ist die morgen in Leipzig stattfindende Grundsteinlegung zu dem neuen Reichsgerichts⸗ gebäude. Zu dem, was das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller Deutschen stets wachzuhalten und neu zu beleben geeignet sit trägt neben den Maßnahmen zur Erleichterung des wirthschaftlicem Verkehrs Nichts in dem Grade bei, als die Einheit des Rechts und der Gerichtsorzanisation. In der Rechtseinheit ge langt die Gemeinsamkeit des sittlichen Empfindens und gestizn Strebens der Nation, ihres Ringens nach sittlicher Vervollkommung durch die wachsende Erkenntniß der höchsten Rechtsidee zu iem schärfsten Ausdruck; in der einheitlichen Gerichtsorganisation die Vorbedingungen für die praktische Pflege des Rechts nach do⸗ selben Normen des Verfabrens, nach den gleichen Grundsätzen düsr luter Unparteilichkeit und nach höchster juristischer Einsicht, also di Grundlagen für die unablässige Uebung der Gerechtigkeit, d. h. für de Erfüllung des vornehmsten Zwecks des Rechts. Die hohe Bedentng einer möglichst vervollkommneten Ausbildung gemeinsamer Rechts⸗ institutionen für das ganze wirthschaftliche Leben der Nation und zuc im Einzelnen für die vitalsten Interessen jedes Reichsangehörigm jebt sich damit überzeugend zu erkennen; die Aussicht, überal im
eich nach gleichem Recht bemessen, überall einer gleich gewissenhafte und gleich einsichtigen Rechtsprechung theilhaftig zu werden ist nicht nur geeignet, die Wechselbeziehungen der Angehörigen der verschiedenen Bundesftaaten zu vermehren, sondern auch dem ganzen Handel und Wandel die solideste Basis zu geben und das Vertrauen zu dem Reich und das vollste Interesse an seiner Erhaltung allseitig aufs Höchste zu fördern. Materielle Rücksichten vereinigen sich hier mit idealen Bestrebungen, um die deutschen Stämme mit einem Bande zu um⸗ geben, dessen einigende Kraft der aller praktischen Maßnahmen zur Förderung des wirthschaftlichen Verkehrs keineswegs nachsteht.
Der Partikularismus steifte sich denn auch mit ganzer Macht gegen die Einführung der Rechtseinheit, und es lag, als sie dennoch im Prinzip beschlossen war, lange noch die Gefahr nahe, daß ihre praktische Bethätigung durch die Mißgunst und die Sondermaßnahmen einzelner Bundesstaaten, speziell Bayerns und Sachsens, zu Zuständen führen könnte, wie sie in den letzten Stadien der Reichskammer⸗ gerichtsherrlichkeit Platz gegriffen hatten. Diese Befürchtungen sind aber durch die Entwickelung der Verhältnisse, an der der neu begründete oberste Reichsgerichtsbof selbst den hervorragendsten Antheil hat, zu Schanden gemacht worden. Wir erfreuen uns zunächst nur der einheitlichen Gerichtsorganisation, des einheitlichen Strafrechts und des gemeinsamen Prozeßvexfahrens, aber die darauf bezüglichen Justizgesetze bestehen noch nicht ein Jahrzehnt, und sie sind dem Deutschen bereits unentbehrlich geworden. Die Rechtsprechung der Gerichtshöfe steht vollständig . der Höhe ihrer Aufgabe und besonders die des obersten nimmt im Volke eine unbestrittene, täglich steigende Autorität ein. Der Rechts⸗ partikularismus ist für den Geltungsbezirk des Reichsgerichts in Deutschland für immer ein überwundener Standpunkt, und es
kann nur noch eine Frage der Zeit sein, 88. auch Bagyern sich seiner juristischen Sonderstellung entkleidet. ieser Zeitpunkt wird um so schneller eintreten, wenn wir uns erst einheit⸗
licher Rechtssatzungen in dem allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuch erfreuen; dann wird der zusammenfassende, das Bewußtsein
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