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Hänle gegen die Erhöhung für die Großbrauereien und sodann der Finanz⸗Minister Dr. von Riedel. Der Minister rechtfertigte, dem „W. T. B.“ zufolge, die Ermäßigung der Malzsteuer für die Kleinbrauer und die Erhöhung derselben für die Großbrauer mit der Einführung des Fabrik⸗ betriebes statt der früheren handwerklichen Bierbrauerei seit Einführung des erhöhten Malzaufschlags. Vom Jahre 1876 bis zum Jahre 1888 habe der jährliche Verbrauch der Kleinbrauer an Malz um 400 000, derjenige der Großbrauer um 900 000 hl zugenommen. Die gesammte Bierproduktion Bayerns habe seitdem um 108 Prozent, der Export um das Vierfache, der Export in das Ausland um das Sechszehnfache zugenommen. Der Gesetzentwurf, schädige keineswegs den Export, sondern führe die nothwendige ausgleichende Gerechtigkeit her⸗ bei. Eine noch mehr verschärfte Konkurrenz im Inland als Folg⸗ des Gesetzes sei nicht denkbar. Gerade der ö onkurrenztrieb habe die Einbringung eines neuen Malz⸗ aufschlages beschleunigt. Der Finanz⸗Minister erklärte sich schließ⸗ lich allenfalls dazu bereit, den Steuerzuschlag von je 25 erst bei 40 000 hl Malzverbrauch und den Zuschlag von 50 ₰erst bei einem solchen von 70 000 einzuführen. Die angedrohte Erhöhung der Bierpreise um 2 ₰ pro Liter sei ungerechtfertigt, da der Steuerzuschlag nur 6 ₰ ausmache. Der Gesetzentwurf nehme das Interesse des ganzen Landes wahr. Die Debatte wurde schließlich auf morgen vertagt.
Sachsen. Dresden, 29. Oktober. Se. Königliche Hoheit der Prinz Georg, Herzog zu Sachsen, und Höchst⸗ dessen Familie haben, wie das „Dresd. Journ.“ meldet, heute das Palais auf der Langestraße bezogen.
1 1“ Ludwigsburg, 27. Oktober. . W.) ist heute
(St.⸗A. Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Wilhelm Mittag von dem etwa dreiwöchentlichen Besuche bei ihren erlauchten Eltern in Böhmen hierher zurückgekehrt. Se. Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm war mit der Prinzessin Pauline bis Marbach seiner hohen Gemahlin entgegengefahren und kam mit Höchstderselben auf dem hiesigen Bahnhofe an, wo beide hohe Herr⸗ schaften von dem zahlreich anwesenden Publikum wärmstens begrüßt wurden. Nachmittags begaben sich Höchstdieselben gemeinsam nach Stuttgart, statteten Ihrer Königlichen Höheßn der Prinzessin Catharina einen längeren Besuch ab und nahmen hierauf an der Hoftafel bei Ihren Majestäten Theil. Nach Aufhebung der Tafel kehrten Ihre Königlichen Hoheiten hierher zurück.
Baden. Karlsruhe, 27. Oktober. Am Freitag haben die Landtagswahlen im 2. Bezirk (Meßkirch) und im 47. Bezirk (Mannheim) stattgefunden, wo die national⸗ liberalen Bewerber gewählt worden sind. Es stehen nunmehr noch zwei Ersatzwahlen aus. Gegen die Freiburger Wahl wurde Seitens der ultramontanen Wähler Einsprache erhoben, da angeblich ein neuer Wahlgang an einem späteren Wahltage hätte vorgenommen werden sollen, nachdem der erste ergebnißlos ge⸗ wesen und ein großer Theil der Wähler weggegangen war. Die Wahl des liberalen Bewerbers wurde aber von dem Wahlkom⸗ missar, welcher den zweiten Wahlgang unmittelbar nach dem ersten vornehmen ließ, für gültig erklärt, und nun wird die Kammer über die Gültigkeit dieser Wahl zu entscheiden haben. Der neuen Kammer werden, der M. „Allg. Ztg.“ zufolge, 46 liberale, 13 ultramontane, 2 demokratische Mitglieder, sowie 1 deutsch⸗ freisinniges und 1 konservatives angehören; die beiden letzteren werden voraussichtlich in entscheidenden Fragen stets mit der Mehrheit gehen. Die amtliche „Karlsruher Ztg.“ spricht sich über den Ausfall der Wahlen befriedigt aus, da es in der neuen Kammer keinen Zwiespalt zwischen der Mehr⸗ heit und der Regierung geben werde.
Mecklenburg⸗Schwerin. Schwerin, 29. Oktober. (Meckl. Nachr.) Se. Königliche Hoheit der Großherzog sowie Ihre Kaiserlichen Hoheiten die Großherzogin und die Großfürstin Wladimir trafen am 27. d. M. in Paris ein. Das Befinden Sr. Königlichen Hoheit ist besser, jedoch muß der Großherzog heute das Zimmer hüten. Die Weiter⸗ reise nach Cannes erfolgt wahrscheinlich morgen.
Waldeck. Arolsen, 28. Oktober. Der zur diesjährigen ETTT1 Sitzung einberufene Landtag der Fürsten⸗ thümer Waldeck und Pyrmont wurde heute Mittag 12 Uhr im landständischen Sitzungssaale im Gerichtsgebäude dahier von dem Königlichen Landesdirektor Hrn. Saldern mit nachfolgender Rede eröffnet:
Meine Herren! Von Sr. Majestät dem Könige von “ durch Allerhöchsten Erlaß vom 4. v. M. ermächtigt, den andtag der Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont zur diesjährigen verfassungsmäßigen Sitzung einzuberufen und zu eröffnen, begrüße ich Sie bei Ihrer heutigen Zusammenkunft mit dem Wunsche, daß Ihre Berathungen und Beschlüsse dem Lande zum Heil und Segen gereichen möchten. Ihre Mitwirkung wird in der bevorstehenden Session vor⸗ zugsweise bei der Feststellung des Staatshaushalts⸗Etats für die Jahre 1890 bis 1892 in Anspruch genommen werden. Der Ent⸗ wurf dazu wird Ihnen alsbald nach seinem in kürzester Frist zu erwar⸗ tenden Wiedereingange von Berlin vorgelegt werden. Demselben liegt das Bestreben zu Grunde den wirklichen Beduͤrfnissen des Landes und allen Ansprüchen, welche berechtigter Weise an den Staat gestellt werden können, soweit die finanziellen Verhältnisse dies irgend ge⸗ statten, zu entsprechen. Namentlich auf zwei Gebieten wird darin den von den Betheiligten der Regierung wie dem Landtage wiederholt in dringlichster Form vorgetragenen Wünschen wohl Rechnung getragen 85 Zur Gewährung von Alterszulagen für die olksschullehrer wie auch zur Verbesserung der äußeren Lage der Geistlichen aller Bekenntnisse werden, wie ich Grund habe zu hoffen, gewisse allerdings noch einigermaßen beschränkte Sum men neu in den Etat eingestellt sein.
F; wird Ihnen ein Gesetzentwurf, betreffend die Erhöhung des Beitrages der Waldeigenthümer zu den Kosten der dem Staate obliegenden Verwaltung der Gemeinde⸗ und Korporations⸗Waldungen, und der Entwurf des Etats der Immobiliar⸗Feuerversicherungsanstalt für de Jahre 1890 bis 1892 zur Berathung und Beschlußfassung zugehen.
Außerdem werden Ihnen die Staatskassenrechnung vom Jahre 1887, die Uebersicht über das Domanial⸗Stammvermögen, die Nach⸗ weisung über die Verwendung der zur Hebung der Pyrmonter Kur⸗ und Badeanstalten jährlich bestimmten 12 000 ℳ zur Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Rechte vorgelegt. „Einige weitere Mittheilungen betreffen die Wahl eines Mit⸗ Aösdls der Kommission für das Heimathwesen und dessen Stelvertreters „, die Verwaltung der Registratur des Landtages, eine Antwort auf die Beschlüsse des vorjährigen Landtages,
etreffend die Erh hedesc öhung des den Gymnasiallehrern zu Korbach zu⸗ iden Wohnungs Erhöhung der veschhau.
der Bi⸗ 9 geldzuschusses und di r Zürogtmeister bet Fer Klohjenteuerweranlagung 2r. 2 estä 8 691 g der Fürstenthümer Uierxas 8 F WBE
den
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Reuß j. L. Gera, 29. Oktober. (Ger. Ztg.) In der heutigen Sitzung des Landtages wurden zunächst ahl⸗ prüfungen erledigt. Alsdann erfolgte die Wahl des Präsidiums. Zum ersten Vorsitzenden wurde abermals der Abg. Fürbringer gewählt, zum Vize⸗Präsidenten und zum Schriftführer die Abgg. Dr. Düger und Kanis. Schließlich wurde dann die Wahl der Ausschüsse vorgenommen.
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Großbritannien und Irland. London, 29. Oktober. (A. C.) Hier eingelaufenen Nachrichten zufolge ist die dem Herzog von Edinburg in Lissabon zugestoßene Unpäß⸗ lichkeit keine ernste. In Coburg wird der Herzog, wohin er zunächst zurückkehrt, einen Monat bleiben und erst wieder im Dezember in Clarence House hierselbst eintreffen.
Aus Malta meldet ein Reuter'sches Telegramm, daß Prinz Ludwig von Battenberg daselbst am 27. d. an Bord des britischen Truppenschiffes „Tamar“ angekommen ist.
Zur Feier der Kronprinzlichen Hochzeit in Athen wurde am Sonntag in der griechischen Sophienkirche hierselbst ein Tedeum celebrirt. Der griechische Gesandte, der deutsche Botschafter und die Geschäftsträger Rußlands und Dänemarks befanden sich unter den zahlreichen Anwesenden in der Kirche.
Belgien. Brüssel, 29. Oktober. (W. T. B.) Der Präsident der britischen ostafrikanischen Gesellschaft, Mackinnon, und der Direktor derselben Gesellschaft, Mackenzie, sind hier eingetroffen.
Serbien. Belgrad, 29. Oktober. (W. T. B.) Die Königin Natalie hat gestern dem Metropoliten Michael einen Besuch abgestattet. 1
Einer Meldung der „Narodny Dnewnik“ zufolge ist bereits ein Theil der auswandernden Montenegriner, ungefähr 1380 Personen, nach Serbien abgegangen und dürfte bereits am 1. November eintreffen.
Montenegro. Cettinje, 29. Oktober. (W. T. B.) Der Fürst Nikita hat, der „Pol. Corr.“ zufolge, dem hiesigen österreichischen Minister⸗Residenten Oberst von Millinkovic den innigsten Dank ausgesprochen für die Bereitwilligkeit, mit welcher die bosnische Landesregierung Unterstützungen in Aussicht gestellt habe für die über das bosnisch⸗herzegowinische Gebiet nach Serbien auswandernden Montenegriner.
Amerika. New⸗York, 28. Oktober. (A. C.) Die Seekonferenz nahm heute ihre Sitzungen wieder auf. Nach Annahme einer Resolution, wonach die endgültigen Reglements und Vereinbarungen in englischer, französischer, deutscher und spanischer Sprache veröffentlicht werden sollen, schritt die Konferenz zur zweiten Lesung verschiedener Segelordnungen sowie der Zusätze dazu, von denen es bereits 86 giebt. Der Husatzantrag, daß ein Dampfschiff unter Segel aber nicht unter
ampf als ein Segelschiff, und wenn unter Dampf, gleichviel ob es segele oder nicht, als ein Dampfer betrachtet werden solle, gelangte zur Annahme.
Die Mitglieder des Pan⸗Amerikanischen Kongresses besuchten gestern die Gold⸗ und Silberschmelzerei zu Omaha und reisten sodann von da nach St. Louis ab.
Nachrichten aus Haity zufolge hat am 16. d. M. in Port⸗au⸗Prince die feierliche Amtseinführung des Generals Hyppolite als Präsidenten der Republik Hayti stattgefunden.
— 29. Oktober. (W. T. B.) Der Minister des Aeußeren von Guatemala erklärt in einem Telegramm an den hiesigen Konsul die Gerüchte von einer daselbst aus⸗ gebrochenen Revolution für völlig In der Provinz Santa Rosa hätten zwar Unruhen stattgefunden,
wären jedoch innerhalb dreier Tage unterdrückt worden; gegenwärtig herrsche überall vollkommene Ruhe.
Afrika. Egypten. Aus Kairo, vom 28. Oktober, wird den „Daily News“ gemeldet, daß Gerüchte über einen neuen Vorstoß der Derwische die Grenze erreicht haben. Die Derwische marschiren, wie es heißt, von Omdurman in nördlicher Richtung.
Das neue deutsche Schutzgebiet im südlichen Somali⸗ Land umfaßt, der „Köln. Ztg“ zufolge, zur Zeit eine Küstenstrecke von 35 Meilen Länge. Im Norden grenzt es an das dem Sultan von Zanzibar gehörige, nur zehn Quadratmeilen große Gebiet des Hafens Kismaju, welcher den Schlüssel zum Juba, dem größten Fluß des mittleren Ost⸗Afrika, und damit zu den weiten, gesegneten Län⸗ dern der Somali und Galla bis nach Abessinien hin bildet. Der Haupthafen des neuen deutschen Gebietes liegt etwa unter 10 s. Br. an der Mündung des Flüßchens Wubuschi, wo vor drei Jahren die deutsche Station Hohenzollernhafen gegründet wurde. Im Süden schließt die deutsche Somali⸗Küste den Hafen von Kweio ein, von wo aus bekanntlich Dr. Peters mit der deutschen Emin Pascha⸗Expedition seinen Marsch ins Innere antrat. Nicht weit von der Kweio⸗ Bai folgt nach Südwesten hin die Manda⸗Bucht, deren tiefer Einschnitt die Grenze zwischen Deutsch⸗Somali⸗Land und dem kleinen deutschen Witu⸗Lande bezeichnet. Letzteres reicht dann sürwestlich bis zu dem Tana⸗Flusse, der Nordgrenze der Interessensphäre der Britisch⸗ Ostafrikanischen Gesellschaft. Im Süden wie im Norden der letzte⸗ ren erstrecken sich also jetzt größere deutsche Schutzgebiete.
Parlamentarische Nachrichten.
In der heutigen (5.) Sitzung des Reichstages, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Staats⸗ sekretär des Innern Dr. von Boetticher, der Staats⸗Minister von Verdy du Vernois, die Staatssekretäre Freiherr von Maltzahn⸗Gültz und Heusner sowie andere Bevollmächtigte zum Bundesrath nebst Kommissarien desselben beiwohnten, theilte der Präsident ein Schreiben des Reichskanzlers mit, nach welchem die Entwürfe für das Kaiser⸗Wilhelm⸗Denkmal vom 9. November ab für die Mitglieder des Reichstages aus⸗ gestellt sein werden.
Als erster Gegenstand stand auf der Tagesordnung die Berathung des von dem Abg. Letocha und Genossen ein⸗ gebrachten Antrages, betreffend die Einstellung des gegen das Mitglied des Reichstages Stoetzel bei dem König⸗ lichen Soööflengenich 3 Essen resp. bei dem Reichsgericht zu Leipzig schwebenden Strafverfahrens für die Dauer der Session.
Nach einer kurzen Begründung durch den Abg. Letocha gelangte der Antrag ohne weitere Debatte zur Annahme.
Darauf folgte die Fortsetzung der ersten Berathung des Entwurfs eines betreffend die Feststellung des Reichshaushalts⸗Etats für das Etatsjahr 1890/91, in Verbindung mit der ersten Berathung des Entwurfs eines
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Gesetzes, betreffend die Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres, der Marine, der Reichseisenbahnen und der Post und Telegraphen, in weiterer Verbindung mit der ersten Be⸗ rathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Aende⸗ rungen des Reichs⸗Militärgesetzes vom 2. Mai 1874.
Abg von Wedell⸗Malchow empfahl eine gründliche Prüfung des Etats, meinte aber, daß die nothwendigen Aus⸗ gaben nicht würden verweigert werden können. Ueber die großen Militärforderungen würden der Budgetkommission Mittheilungen zu machen sein, die sich darnach über die Be⸗ willigung werde schlüssig zu machen haben. Die Armee müsse jedenfalls so ausgerüstet sein, daß sie jedem Gegner gewachsen sei. Die Beseitigung der Zuckerexport⸗ prämien, die der Abg. Rickert gewünscht, sei so lange nicht möglich, als andere Staaten dieselben zahlten; es würde sonst die blühende deutsche Zuckerindustrie ruinirt werden. Die „Liebesgabe“ von 20 ℳ an die Brenner, die nach dem Abg. Rickert in dem Branntweinsteuergesetz enthalten sei, sei nothwendig gewesen, wenn nicht das Brennereigewerbe der Vernichtung hätte preisgegeben sein sollen, die doch der Abg. Rickert und seine Freunde ebenfalls nicht wünschen könnten. Die Einführung der Reichs⸗Einkommensteuer würde, wenn sie praktisch werden sollte, auch bei dem Abg. Rickert auf Bedenken und Hindernisse stoßen. Der Abg. Rickert habe sodann die Aufhebung der landwirthschaftlichen Zölle, die eine Ver⸗ theuerung der Lebensmittel zur Folge hätten, verlangt; warum habe er das nicht auch konsequenterweise für die Industriezölle gethan? Diese Zölle hätten die Landwirthschaft über Wasser gehalten und wieder kaufkräftig gemacht; mit der Aufhebung dieser Zölle würde das ganze Erwerbsleben der Nation ruinirt werden. Der Abg. Rickert habe mit seiner Rede nur die Sache der Sozialdemokraten gefördert. Den Vergleich mit Italien in Bezug auf die Freiheit könne Deutschland wohl aushalten; Redner selbst möchte mit den italienischen Verhältnissen die deutschen nicht vertauschen.
Bei Schluß des Blattes nahm der Abg. Bebel das Wort.
(Weitere „Parlamentarische Nachrichten“, insbesondere der Bericht über die gestrige Sitzung s. Beilage.)
4““ Zeitungsstimmen.
Das neue Sozialistengesetz steht er im Vordergrunde der Betrachtung. So schreibt der national⸗ liberale Hamburgische Correspondent“:
„Legt man (in nationalliberalen Kreisen) nach den wiederholten Erfahrungen, die man mit dem konstitutionellen Formalismus gemacht hat, wie es scheint, nicht mehr unbedingten Werth auf die Ablehnung eines dauernden Ausnahmegesetzes, will man seine Zustimmung zu diesem Vorschlage des Bundesraths nur wieder einmal möglichst ausgiebig verwerthen, um sich das Ansehen besonderer Selbständigkeit zu geben, so steht es doch außer allem Zweifel, daß man dem prinzipiellen Zugeständniß weder hat aus dem Wege gehen können noch wollen. Es fragt sich also, ob man es verantworten kann, in einer solchen staatlichen und nationalen Lebensfrage Fraktionspolitik zu treiben und damit die Entscheidung im Sinne einer vernünftigen Staatsleitung zu gefährden.
Wir lassen es dahingestellt sein, ob sich die verbündeten Regie⸗ rungen auf Grund sachlicher Erwägungen noch zu weiteren Milde⸗ rungen des Gesetzes herbeilassen können; aber es wäre für beide Theile ein trauriges Schauspiel, wenn sie dieserhalb von einer regierangs⸗ freundlichen Partei in eine Zwangslage versetzt würden. So großen Werth wir deshalb auch darauf legen, daß das neue Gesetz ohne Frist⸗ bestimmung erlassen wird, können wir es doch nicht befürworten, daß sich der Bundesrath in diesem Punkte mit dem Reichstage in einen Handel einläßt. Gerade den Wünschen der Nationalliberalen sind die verbündeten Regierungen so bereitwillig entgegengekommen, daß ihnen eine moralische Verpflichtung obliegt, einer entsprechenden Erledigung der Vorlage nicht unnöthige Schwierigkeiten zu bereiten. Dazu kommt, daß wohl selten ein Vorschlag so vortrefflich begründet wurde, wie es diesmal mit der Befürwortung einer unbeschränkten Geltungsdauer des Gesetzes geschehen ist. Es ist sicher richtig, daß sich in dem vorliegenden Falle eine Fristbestimmung nur auf die An⸗ nahme zurückführen läßt, daß der Zweck des Gesetzes ein vorüber⸗ gehender sei, oder das sich seine Bestimmungen als ungeeignet erweisen würden. Der Sozialismus ist indessen, wie jetzt Jeder zugeben muß, keine vorübergebende Kraukheit, sondern ein chronisches Uebel, und Niemand kann ernstlich bestreiten, daß sich die Bestimmungen des Gesetzes bewährt haben. Wenn es aber etwas giebt, was geeignet war, die Wirkung des Gesetzes abzuschwächen, so war es die Frist⸗ bestimmung, die es zu einem provisorischen, also zu einer halben Maßregel machte. Vor einem solchen Gesetze konnte zumal die Masse der Bevölkerung von vornherein nicht den erforderlichen Ke⸗ spekt haben, und wenn sie ihn trotzdem hatte, wurde er ihr syste⸗ matisch durch die Agitation ausgetrieben, die sich jedesmal an die sich in kurzer Frist im Reichstage über seine Verlängerung erneuernden Debatten knüpfte. Es sind das so durchschlagende Gruünde, daß vor ihnen selbst Hr. Windthorst die Waffen strecken muß. Geben wir deshalb die Hoffnung auf einen guten Verlauf der Sache nicht auf.“
In der gleichen Richtung bewegt sich ein Artikel der „Kölnischen Zeitung“, in welchem es heißt:
„Die Nationalliberalen haben sich lange mit der Hoffnung ge⸗ tragen, das Sozialistengesetz durch gemeinrechtliche Bestimmungen, welche die Umsturzbewegung von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu treffen hätten, entbehrlich machen zu können. Der lheoretische Fanatismus für die gemeinrechtliche Regelung war allerdings innerhalb der nationalliberalen Partei stets in sehr verschiedenen Graden ent⸗ wickelt. Die Ueberführung der unentbehrlichen Bestimmungen des Sozialistengesetzes in das gemeine Recht würde selbstverständlich eine Verschärfung des Straf⸗ und Preßgesetzes, eine Einschränkung der allgemeinen bürgerlichen Freiheit darstellen. Wir halten nun die gemeinrechtliche Regelung für ein Ideal, für ein richtunggebendes Ziel, aber wir sind nicht geneigt, auf dem Altar dieses Ideals allzu kostbare Opfer der gekennzeichneten Art dar⸗ zubringen. Manche unserer Parteifreunde ließen sich nicht so leicht durch die Schwierigkeiten abschrecken. Wir standen deshalb im Frü jahre dem ersten praktischen Versuch einer Lösung in dieser Richtung⸗ über welche eine Einigung der Kartellparteien nur schwer zu erzielen sein würde, von vornherein sehr zweifelnd gegenüber. Als demgemäß im Frühjahre die bekannte Straf⸗ und Preßgesetznovelle an dem Widerspruch der nationalliberalen Presse und Partei gescheitert war, erklärten wir, es käme nunmehr darauf an, an deren Stelle ein gemil⸗ dertes, mit Rechtsbürgschaften umgebenes, aber dauerndes Spezialgesetz zu setzen; insbesondere sollten an die Stelle der Anordnungen der Ver⸗
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Wahrsprüche der höchsten Gerichte treten. Das neue Sozialistengesetz ist in dem also bezeichneten Sinne ausgebaut worden. In der Presse tritt nunmehr die Ansicht hervor, die Nationalliberalen dürften auf die periodische Fristhestimmung nur unter der Bedingung verzichten, daß noch weitere Milderungen in das Gesetz aufgenommen würden. Wir unserseits halten es für gänzlich unangebracht, die Frage der Dauer oder der Fristbestimmung unter den Gesichtspunkten eines parlamentarischen Handelsgeschäfts zu betrachten. Man übt keine Entsagung, man leistet keinen Verzicht, wenn man eine Forderung durchsetzt, welche man aus wohlerwogenen Gründen auf⸗
gestellt hat. Wir haben nun aber im Eintlang mit der „National⸗
liberalen Correspondenz“ wiederbolt die Gründe dargelegt, welche uns
waltungsbehörden und der Entscheidungen der Beschwerdekommission die