No. 13.
1 Entwurf eines Volksschulgesetzes. 8
Der Begründung zu dem gestern im Wortlaut mit⸗ getheilten Entwurf entnehmen wir Folgendes:
Die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 bestimmt im Artikel 26: Ein besonderes Gesetz he das ganze Unterrichtswesen.
Der vorliegende Entwurf bezweckt die Ausführung dieser Vor⸗ schrift auf dem Gebiet der Volksschule. 8
Das Streben nach einer einheitlichen gesetzlichen Regelung des Unterrichtswesens trat nicht erst bei Erlaß der Verfassungs⸗Urkunde hervor. Das Bedürfniß wurde vielmehr schon nach den efreiungs⸗ kriegen empfunden, als die nationale Wiedergeburt Deutschlands eine von einheitlichen Grundgedanken getragene, nach einheitlichen Zielen strebende Jugendbildung als eine besonders wichtige Staatsaufgabe erkennen ließ.
In Sinne ordnete die Allerhöchste Ordre vom 3. No⸗ vember 1817 den Erlaß einer allgemeinen Schulordnung an. Dieselbe lautet:
„Je inniger Ich überzeugt bin, daß zum Gelingen alles dessen, was der Staat durch seine ganze Verfassung, Geseßg bung und Verwaltung bezweckt, der erste Grund in der Jugend des Volks gelegt werden müsse, und daß zugleich eine gute Erziehung derselben das sicherste Förderungsmittel des inneren und äußeren Wohls der einzelnen Staatsbürger sei, desto angelegentlicher ist Meine Auf⸗ merksamkeit und Fürsorge von jeher auf diesen wichtigen Bestand⸗ theil des öffentlichen Lebens gerichtet gewesen. Einen neuen Antrieb giebt ihr die durch die Gnade des Höchsten geschehene Herstellung und neue Gestaltung Meiner Staaten, die Mir die von allen Seiten sich regenden Bedürfnisse des Erziehungs⸗ und Unterrichtswesens in denselben dringend ans Herz legt.
Es würde eine, zumal bei der vergrößerten Anzahl und der neuen Einrichtung der Provinzialbehörden, sehr schwierige und weit⸗ läufige, in sich selbst wahrscheinlich nicht recht übereinstimmende, und noch weniger vielleicht mit dem Geist und Streben in den übrigen Verwalkungszweigen zusammenwirkende Arbeit sein, wenn man fortfahren wollte, diesen Bedürfnissen nur im einzelnen, sowie sie sich Earündie zu begegnen, ohne die Verhältnisse des Er⸗ ziehungs⸗ und Unterrichtswesens im preußischen Staat im ganzen ins Auge zu fassen, und das, was im einzelnen dafür geschehen kann und muß, durch allgemeine Bestimmungen zu begründen.
Ich finde aber, daß es ihm an einer Verfassung noch mangelt,
wonach dies möglich wäre, an einer Verfassung, wodurch es in Einem Geiste und unter gleichen Grundsätzen vereinigt würde, ohne Beeinträchtigung der Verschiedenheit, welche durch die Mannig⸗ faltigkeit der im Umfang Meiner Staaten begriffenen Länder und Merschen und durch deren Stamm, Sprache, Religion, Gewerbe, besondere Rechte und Einrichtungen nothwendig und durch die fortwährende Entwickelung der Erziehungs⸗ und Unterrichtskunst herbeigeführt wird. Die wenigsten Meiner Provinzen vnd mit gesetzlichen Grundlagen dafür versehen, unter den vorhandenen Provinzial⸗Schulordnungen fehlt Uebereinstimmung in mehreren Punkten, wo sie erforderlich wäre, alle einzelnen ent⸗ halten vieles noch Streitige, oder nach den in andern mit⸗ wirkenden Verwaltungszweigen eingetretenen Veränderungen, sowie nach den inzwischen fortgeschrittenen inneren und äußeren Verbesse⸗ rungen im Schulwesen neuer Festsetzungen Bedürftige, und die wenigen allgemeinen Bestimmungen, die das Allgemeine Landrecht und das Allgemeine Landschulreglement vom Jahre 1763 geben, sind zum theil hücs umfassend genug, zum theil in sich ungenügend, zum Theil auch als veraltet zu betrachten.
scch habe deswegen beschlossen, dem Erziehungs⸗ und Unterrichts⸗ wesen Meiner Staaten, inwiefern es der öffentlichen Leitung und Aufsicht unterworfen ist, eine Verfassung von dem oben bezeichneten
Charakter zu geben.“
Damit im Einklange schrieb die Instruction für die Provinzial⸗
Consistorien vom 23. Oktober desselben Jahres im § 7 vor: „daß eine allgemeine Schulordnung, welche die bei Leitung und Aufsicht des Schul⸗ und Erziehungswesens sowohl in Absicht der inneren als äußeren Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze und Vorschriften um⸗ faßt, entworfen und auf Grund derselben demnächst besondere Schul⸗ ordnungen 8 die einzelnen Provinzen erlassen werden sollten.“ Ueber die bei dem Erlaß dieser Bestimmung maßgebenden Ge⸗ sichtspunkte, sowie über Ziel und Einrichtung der in Aussicht genommenen Schulordnung verbreitet sich näher eine Denkschrift, welche von dem damaligen Staatsrath Süvern verfaßt ist. „Ihm ist der Staat eine Erziehungsanstalt im großen. Zur Nationalerziehung hat die National⸗Jugenderziehung vorzubereiten. Alles wird der Staat in und mit seinen Bürgern erreichen können, wenn er sorgt, daß sie Alle in Einem Geiste von Jugend auf für 8 großen Zwecke gebildet werden. Das erste Erforderniß ist daher, daß die allgemeinen Principien, nach denen der Staat in seinen öffentlichen Unterrichts⸗ und Erziehungsanstalten die Bildung seiner Jugend anlegt, einfach und klar gesetzlich aufgestellt werden.“
Es kam auch im Jahre 1819 zur Aufstellung eines umfassenden “ indessen gerieth die weitere Berathung desselben bald ins Stocken.
Während in den nächsten Jahrzehnten die Verwaltung unaus⸗ gesetzt an der Hehung des Schulwesens arbeitete, der Lehrerbildung und dem Unterricht neue Grundlagen gab und trotz der knappen Mittel die Durchführung der allgemeinen Schulpflicht durch stetig fortgesetzte Gründung neuer Schulen und Seminare nach Kräften förderte, be⸗ schränkte sich die Gesetzgebung auf einzelne Gebiete des Volksschul⸗ rechts. Insbesondere wurde in der Cabinetsordre vom 14. Mai 1825 (Gesetz⸗Samml. S. 149) der Grundsatz der Schulpflicht aufs neue und allgemein zur Geltung gebracht; im übrigen aber kam es nur zu einigen provinziellen Ordnungen, welche haupt⸗ sächlich die Schulsast betrafen. So entstanden der Landtags⸗ abschied vom 22. Februar 1829 über die Regelung der Schullehrer⸗ besoldungen bei den evangelischen Schulen in Schlesien (von Kamptz, Annalen Bd. XV S. 178), das Regulativ vom 29. August 1831, be⸗ treffend die Errichtung und Unterhaltung der Landschulen in Neu⸗ vorpommern (von Kamptz, Annalen Bd. XV S. 564), und die Ver⸗ ordnung vom 11. November 1844, betreffend die Beitragsp icht der Rittergutsbesitzer und anderer Grundbesitzer in den vormals Königlich sächsischen Landestheilen in der Provinz Sachsen Zur Unterhaltung von Kirchen, Pfarren und Schulen (Gesetz⸗Samml. S. 698). Auch ge⸗ hören hierher die Verordnung vom 11. April 1846, betreffend die Zeitragspflicht zur Unterhaltung von Kirchen, Pfarr⸗ und Schul⸗ gebäuden in dem Markgrafenthum Oberlausitz (Gesetz⸗Samml. S. 164), und für das Gebiet des Allgemeinen Landrechts das Gesetz vom 21. Juli 1846, betreffend den Bau der Schul⸗ und Küsterhäuser (Gesetz⸗ Samml. S. 392). 1
Umfassender war die Schulordnung für die Elementarschulen der Provinz Preußen vom 11. Dezember 1845 (Gesetz⸗Samml. 1846 S. 1). Sie regelt die Schulpflicht, die Berufung, das Amt, die Besoldung und Entlassung der Schullehrer⸗ die Schulaufsicht (Schul⸗ patron, Schulvorstand, Schulinspector, Schuldeputation) und die d der Elementarschulen. .
Der Plan, hüche Schulordnungen für die übrigen Provinzen zu erlassen, wurde durch die Ereignisse des Jahres 1848 unterbrochen.
Nach Erlaß der Verfassungsurkunde, welche ein allgemeines
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Sonnabend, den 16. Januar
8
88
1892.
unternommen worden. Nachdem indeß das Haus der Abgeordneten unter dem 6. April 1865 die Staatsregierung aufgefordert hatte, zu⸗ nächst den Entwurf eines Gesetzes, betreffend Lfistelung der äußeren Verhältnisse der Volksschule, insbesondere der Lehrerbesoldungen, mög⸗ lichst bald vorzulegen, bewegten sich in den folgenden Jahren die dem Landtag vorgelegten Gesetzentwürfe auf dieser Linie, bis im Jahre 1869 das Haus der Abgeordneten der Staatsregierung wiederum zur Erwägung gab, ob in der That der Erlaß eines allgemeinen Unterrichtsgese ses unmöglich erscheine. Diese Erwägungen führten zwar zur Einbringung eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes, dasselbe wurde aber in den ö Verhandlungen nicht weiter ge⸗ fördert. Es kam im weiteren das Gesetz vom 11. März 1872, be⸗ treffend die Beaufsichtigung des Unterrichts⸗ und Erzichungswesens (Gesetz⸗Samml. S. 183), zu stande. Innerhalb des Ministeriums wurde sodann im Jahre 1877 der Entwurf eines allgemeinen Unter⸗ richtsgesetes aufgestellt; derselbe ist aber dem Landtag nicht vorgelegt worden.
Seeitdem ist eine stückweise Regelung der einzelnen, auf dem Ge⸗ biet des Volksschulwesens einer gesetzlichen Ordnung bedürfenden An⸗ gelegenheiten erfolgt.
— Das Gesetz vom 22. Dezember 1869 (Gesetz⸗Samml. 1870 S. 1), betreffend die Erweiterung, Umwandlung un Neuerrichtung von Wittwen⸗ und Waisenkassen für Elementarlehrer, ist ausgestaltet durch die Ergänzungsgesetze vom 2. Februar 1881 (Gesetz⸗Samml. S. 41), 19. Juni 1889 (Gesetz⸗Samml. S. 131) und 27. Juni 1890 (Gesetz⸗Samml. S. 211), welche die Wittwenpension erhöhten, die Beiträge der Lehrer beseitigten und ein Waisengeld einführten. Die Pensionsverhältnisse der Lehrer sind durch das Gesetz vom 6. Juli 1885 (Gesetz⸗Samml. S. 298) umfassend geordnet. Durch die Gesetze, betreffend die Erleichterung der Volksschul⸗ lasten, vom 14. Juni 1888 (Gesetz⸗Samml. S. 240) und 31. März 1889 (Gesetz⸗Samml. S. 64) sind den Gemeinden erhebliche Bei⸗ träge zur Lehrerbesoldung gegeben. Durch den Staatshaushalt sind den nicht besonders reichlich be⸗ soldeten Lehrern und Lehrerinnen an allen Orten bis zu 10 000 Ein⸗ wohnern Alterszulagen bis zur Höhe von jährlich 500 ℳ für Lehrer und 350 ℳ für Lehrerinnen gewährt worden. 8 Der dem Landtage auf Grund der Allerhöchsten Ermächtigung vom 3. Mai 1890 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Schulpflicht (Drucksachen des Hauses der Abgeordneten Nr. 189), ist nicht zur Verabschiedung gelangt (Drucksachen des Hauses der Ab⸗ geordneten Nr. 273). Irnzwischen ist eine gesetzliche Regelung des Volksschulwesens wiederholt und dringend im Landtage in Anregung gebracht
Die Staatsregierung nimmt an, daß nach diesen schrittweisen Vorbereitungen die Zeit gekommen ist, um eine umfassende Ord⸗ nung der auf die Volksschule bezüglichen Angelegenheiten herbei⸗ zuführen. . Der in diesem Sinne auf Grund der Allerhöchsten Ermächtigung vom 3. November 1890 dem Landtag vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die öffentliche Volksschule (Drucksachen des Hauses der Abgeordneten Nr. 8), ist in einer besonderen Commission des Hauses der Abgeordneten eingehend berathen worden, indeß nicht zur Erledigung gelangt. .
Die Staatsregierung erachtet die gesetzliche Regelung dieser An⸗ bereihen für unaufschiebbar und hat daher unter Benutzung der ei Berathung des vorjährigen Entwurfs gewonnenen Erfahrungen die gegenwärtige Vorlage aufgestellt.
Volksschule, sondern giebt auch einheitliche Vorschriften für den Privatunterricht, soweit er die Ziele der Volksschule verfolgt. Es erscheint dies nothwendig, weil der allgemeine Schulzwang nicht bloß
durch den Besuch der öffentlichen Volksschule zur Durchführung gelangt. 8 8 Ser Entwurf will ferner das Lehrerbildungswesen regeln, weil er
von dem Grundsatz der Confessionalität der Volksschule ausgeht und eine weitere Sicherung dieses Princips in gesetzlichen Garantien für eine confessionell gerichtete Vorbildung des Lehrerstandes erblickt. Der Entwurf beschäftigt sich schließlich mit einer anderweiten Organisation der Schulbehörden, deren gegenwärtige Verfassung mit der Regelung der Volksschulunterhaltung auf communaler Grundlage nicht durchweg im Einklange stehen würde. Die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 bestimmt: — „Art. 21. Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt werden. Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist. „Art. 22. Unterricht zu ertheilen und Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten, steht jedem frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung den betreffenden Staatsbehörden nachgewiesen hat. „Art. 23. Alle öffentlichen und Privatunterrichts⸗ und Erziehungs⸗ anstalten stehen unter der Aufsicht vom Staate ernannter Behörden. Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte und Pflichten der Staats⸗ diener. „Artg 24. Bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind die confessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen. Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religions⸗ esellschaften. Die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volks⸗ ” steht der Gemeinde zu. Der Staat stellt, unter gesetzlich ge⸗ ordneter Betheiligung der Gemeinden, aus der Zahl der Befähigten die Lehrer der öffentlichen Volksschulen an. „Art. 25. Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung der öffentlichen Volks⸗ schulen werden von den Gemeinden, und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staat aufgebracht. Die auf be⸗ sonderen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen Dritter bleiben bestehen. Der Staat gewährleistet demnach den Volksschullehrern ein festes, den Localverhältnissen angemessenes Einkommen. In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht unentgeltlich ertheilt.“ Demgemäß behandelt der Gesetzentwurf in neun Abschnitten: I. Die Aufgabe und Einrichtung der öffentlichen Volksschule (Art. 21 8 1, Art. 24 Abs. 1 und 2 der Verfassungsurkunde) — §§ 1 bis 26. — 8 II. Die Träger der Rechtsverhältnisse der öffentlichen Volksschule (Art. 25 Abs. 1 und 3 der Verfassungsurkunde) — §§ 27 bis 50. —
III. Die Verwaltung der Volksschulangelegenheiten und die Schulbehörden (Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs 3 der Verfassungs⸗ urkunde) — §§ 51 bis 74. — 8 IV. Die Schulpflicht und die Bestrafungen der Schulversäum⸗ risse sowie den Privpatunterricht (Art. 21 Abs. 2, Art. 22 der Ver⸗ fassungsurkunde) — §§ 75 bis 103 8 3
V. Die ergesdämng, die Anstellung, das Dienstverhältniß und das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an öffentlichen Vonssschünen (Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 der Verfassungsurkunde) — §§ 104 bis 154. — Daran LLL1 VI. Die Pensionirung der Lehrer und Lehrerinnen an öffentlichen Volksschulen — §§ 155 bis 179 — und — VII. Die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Lehrer an öffentlichen Volksschulen — §§ 180 bis 183. — VIII. Die Leistungen des Staats zur Unterhaltung der öffent⸗ öö (Art. 25 Abs. 1 der Verfassungsurkunde — §§ 184 is 18.
IX. Schluß⸗ und Uebergangsbestimmungen — §§ 190 bis 194. —
Unterrichtsgesetz verhieß, sind wiederholt Vorarbeiten zu demselben
Bezüglich des ersten Abschnitts, Aufgabe und Ein⸗
richtung der öffentlichen Volksschule, heißt es im allgemeinen Theil der Begründung:
— Am 20. Mai 1886 bestanden im preußischen Staate 18 271 Schulbezirke (Schulverbände) mit 34 016 Volksschulen, in welchen 4 838 247 Kinder von 64 750 voll beschäftigten Lehrern und Lehrerinnen Unterricht empfingen. Dieser Zustand ist das Ergebniß einer fast zweihundertjährigen stetigen Arbeit, in welcher der Staat seine eigene Kraft bewährt, und in welcher, wie auf allen anderen Staatsgebieten, seine Könige vorangegangen sind. Von der Schul⸗ ordnung, welche Friedrich Wilhelm 1. schon in seinem ersten Regierungsjahre am 24. Oktober 1713 erlassen hat, bis zu dem heutigen Tage haben die Könige von ve mit Ciher und Sorgfalt darüber gewacht, daß in ihrem Staate kein Kind ohne Unterricht bleibe, daß die Schulen, in welchen die Kinder unterrichtet und erzogen werden, sich in guter Ordnung befinden und den Lehrern das ihnen zustehende Einkommen gewährt werde. Ebenso haben sie von Anfang an und alle gleichmäßig darauf gehalten, daß die heranwachsende Jugend in der Schule zur Gottesfurcht und Vaterlandsliebe erzogen und auf Grund der hier erworbenen allge⸗ meinen Bildung befähigt werde, ihre Stelle in der bürgerlichen Gesell⸗ schaft auszufüllen.
So will König Friedrich Wilhelm 1. „daß die arme Jugend aus ihrer Unwissenheit befreit werde und die Stücke lerne, welche zu ihrem Heile und Seligkeit höchst nöthig seien“.¹)
So will Friedrich der Große „nach wiederhergestellter Ruhe und ü Frieden das wahre Wohlsein seiner Länder in allen Ständen begründet sehen durch eine vernünftige sowohl als christliche Brhameisrhg der Jugend zur Gottesfurcht und anderen nützlichen Dingen“. 2²).
So will König Friedrich Wilhelm III. „unter seinen getreuen Unterthanen nicht allein nützliche Kenntnisse verbreiten, sondern sie auch zu guten Bürgern und Dienern des Staats erziehen“. „Durch Fmecnsäsicen Unterricht lernen sie vernünftig denken und ihre Begriffe werden berichtigt; durch Moralität und Religion wird ihr Herz und ihre Sitten verbessert.“ Er hofft, „daß die 1“ durchdringen müsse, wie Cultur, öffentliche Ordnung und allgemeiner Wohlstand nur bei gutdenkenden und über ihre Verhältnisse gehörig aufgeklärten Unterthanen stattfinde“*. ³) . Der unter König Friedrich Wilhelm IV. von dem Minister von Ladenberg ausgearbeitete Unterrichtsgesetzentwurf schreibt im § 2 vor: „In der Volksschule sollen durch Unterricht, Uebung, Zucht und Ord⸗ nung die Grundlagen der für das Leben im Staate und in der 8 e, sowie der für das Berufsleben erforderlichen Bildung geschaffen werden.“ Von den beiden Gesetzentwürfen, welche unter Kaiser Wilhelm's I. Regierung entstanden sind, schreibt der von 1869 (Dr. von Mühler) vor: „Die öffentliche Volksschule hat die Aufgabe, der Jugend für das
Dieselbe erstreckt sich nicht nur auf das Gebiet der öffentlichen
Leben in Staat und irche, sowie für das Berufsleben durch Unterricht, Uebung und Se die Grundlagen der Bil⸗ dung und sittlichen Tüchtigkeit zu geben —“ und derjenige von 1877 (Dr. Falk): „Die Aufgabe der niederen Schulen ist die religiöse, sittliche und nationale Bildung der Jugend durch Erziehung und Unterricht, sowie die Unterweisung derselben in den für das bürger⸗ liche Leben nöthigen allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten.“ Durchgehends tritt dasselbe Gefühl von der hohen Verantwort⸗ lichkeit der Sache hervor; an einzelnen Stellen der Gesetze und der Motive für die Gesetzentwürfe wird demselben besonderer Ausdruck gegeben. Die Bedeutung der Sache beruht nicht bloß darauf, daß es sich hier um mindestens neun Zehntheile sämmtlicher Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren handelt, sondern daß die Schule auch für diese eine ganz andere Wichtigkeit hat, als für das letzte Zehntheil.
Aus diesem Gefühle der Verantwortlichkeit erklärt es sich wohl, daß zu allen Zeiten, wie immer das Verhältniß von Kirche und Staat aufgefaßt wurde, und welche theologische Richtung auch die Zeit be⸗ herrschte, überall die religiös⸗sittliche Erziehung der Jugend als die
erste Aufgabe der Volksschule in Preußen angesehen worden ist. Es kommen darin zwei zur Geltung, der eine, daß das Ge⸗ deihen, ja der Bestand des Staats von der Bewahrung und der Pflege der religiös⸗sittlichen Gesinnung seiner Bürger abhängt, der andere, daß neben der Kirche die beste und sicherste Stätte für die Begrün⸗ dung solcher Gesinnung in der Schule zu suchen sei. Hand in Hand mit der religiös⸗sittlichen der Schuljugend ist aber auch stets die Vorbereitung derselben für das praktische Leben gegangen. Immer wieder wird daran erinnert daß in der Unwissenheit und der Ungeschicklichket der Bevölkerung die Quellen der Armuth, der Rohheit, des Bettels und dessen ganzer Gefolgschaft liege, daß die Kinder in der Schule erst arbeiten lernen, dann Lust an der Arbeit gewinnen und den Grund zu späterer FCö legen sollen, daß der Wohlstand der Bevölkerung mit der Aufbesserung ihrer Schulen gleichen Schritt halte. Auch über den Weg, auf welchem das übereinstimmend bezeichnete Ziel zu er⸗ streben ist, hat im Allgemeinen eine Gleichheit der Ansichten bestanden. Unterschiede trafen nie den Kern der Sache und sind wohl vielmehr in öffentlichen Kundgebungen als in der stillen Arbeit der Schule selbst hervorgetreten, . 8
Von dieser Auffassung hehen auch die Vorschriften in den §§ 1 bis 26, betreffend die Aufgabe und Einrichtung der öffentlichen Volks⸗ schule, aus. Dieselben sind bestimmt, die Grundsätze festzustellen, an welche sich die Unterrichtsverwaltung bei der Leitung und Beauf⸗ sichtigung der Schulen zu binden, und die Ziele zu bezeichnen, welche sie zu erstreben hat. 3
Bei dem Entwurfe der bezüglichen Bestimmungen war zu be⸗ achten, diß die Linien, innerhalb deren sich das Leben der Schule be⸗-⸗ wegen soll, nicht zu eng gezogen werden dürfen. Die Erfahrung hat elehrt, daß die “ in Einzelheiten eingehenden gesetzlichen Vor⸗ schriften, welche in einigen Landestheilen gelten, der freien Bewegung und dem sicheren Fortschritte auf dem Gebiete der Schule die größten Hindernisse bereitet haben. Gerade jetzt, wo die allgemeinste Theil⸗ nahme der gesammten deutschen Bevölkerung der Erziehung der heran⸗ wachsenden Jugend in der Schule lebhaft zu ewendet ist, wo man von ihr die Heilung mancher Schäden der bürgerlichen Gesellschaft erhofft, die Hut der höchsten Güter der Nation von ihr erwartet, wo von allen Seiten die verschiedensten Wege zu dem erstrebten Ziele vorgeschlagen und erörtert werden, liegt die Versuchung nahe, im Gesetze eine recht ausführliche Be⸗ chreibung der vollkommensten Schul⸗ formen zu geben; es würde jedoch auf das äußerste bedenklich sein, diesen Weg zu betreten. 88 1 1
Der vorliegende Entwurf hat sich darum im wesentlichen darauf
beschränkt, die gegenwärtig im Schulleben geltenden bewährten Grund⸗ sätze festzuhalten und nur mit leichten Strichen einer weiteren Ent⸗ wickelung den Weg zu öffnen. 3
Andererseits haben die Familien, welche ihre Kinder der Schule zuführen, und die Gemeinden, welche sie, zum Theil unter nicht 8 ringen Opfern unterhalten, ein Recht, zu erfahren, nach welchen Grundsätzen ihre Kinder erzogen werden, welche Kenntnisse und Fertig⸗ keiten sie in der Schule erlangen, welche Bildung sie empfangen sollen. Ebenso darf der Zusammenhang nicht verkannt werden, in welchem 8 die Vorschriften über die Einrichtung der Schule mit dem Aufwande
8
¹) Verordnung vom 28. September 1717.
²) General⸗Landschulreglement vom 12. August 1763 9 Katholisches Schulreglement vom 18. Mai 1801