Großhandels⸗Durchschnittspreise von Getreide an außerdeutschen Börsen⸗Plätzen für die Woche vom 28. Februar bis 5. März 1898 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für prompte [Loko⸗] Waare, soweit nicht etwas Anderes bemerkt.)
TLE 8 — 28 3 bi g= Wien 2885 woche eeggen 8 . 161,66, 162,43 1“ 228,88 231,31 afer ungari cher, priau“ 123,37] 122,46 Heffr, slovakische ö 180,38 180,28 u 8 Roggen, Mitteanmntahaha“ 150,60 151,08 Westen 111“ 227,45 227,91 afer, 111“ 118,27 115,65 14““ 136,14 136,06 St. Petersburg. 99 77 190112 11e“ . 8 “ 155,16 151,76 X““ 103,44] 106,67 Odessa. I01“ 101,68, 101,39 Weizen, Ulka... “ 155,82 155,50 a Rhecia 111“ 103,00 102,71 Weizen ... 11A“ 155,16 155,50 Paris. 3 F 8g . lieferbare Waare des laufenden Monats 130,02 13935 D C 169,78 170,34 ongdu * 1 Weizen - “ 181,48 181,73 a Amsterdam. e. bw.cc“ Roggen St. Petersburger—— 116,53 Weizen poln. Odessa“ 160,53 London. 8 a. Prhäertenhesse (Mark Lane). 8. dSe engl. weiß 1 Weizen 3“” 167,72 169,88 See b. Gazette averages. ““ eizen englisches Getreide, 1 Hafer 2 129,45 128,78 1 Hess. Mittelpreis aus 196 Marktorten 157,79 154,90 Liverpool. 8 Shirekekekes — . 164,37] 167,11 Sreaioc “ . — 189,64 Ce⸗ fhenge “ 1699 1g cago Sprigg“ 8 1 48 Weizen Northern Duluth . . . . . . . ... 183,16 185,89 Manitoba Spriing 188,80 189,64 La Plbatat . 178,46 — Kurrachee, weiß, ordinär . . . . . . . 170,48 — Hafer - engl weiser6 . 131,49 129,34 engr gelb“ 123,14 118, 41 Californ, Brau... 143,40 143,33 stte Canadische. . . .. ... 102,53] 100,92 8 Schwaͤrze Meerr, 99,03 96,63 Chicago. 1 Weizen, Lieferungs⸗Waare des laufenden Monats „ 162,47 162,10 * New⸗York. 1
¹) Nur an zwei Tagen notiert.
Bemerkungen.
1 Tschetwert Weizen ist = 163,80, Roggen = 147,42, Hafer = 98,28 kg angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Produktenbörse = 504 Pfd. engl. gerechnet; f die Gazette averages, d. h. die aus den Umsätzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Ge⸗ treide, ist 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerst
164,45] 161,81
erste = 400 Pfd. engl. angesetzt. 1 Bushel Weizen = 60 Pfd. engl.; 1 Pfd. engl. = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400 kg. Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tages⸗Notierungen im „Deutschen Reichs⸗ und Staats⸗ Anzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnitts⸗Wechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, ür Chicago und New⸗York die Kurse auf New⸗York, für St. setersburg, Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, ntwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze.
Deutscher Reichstag. 57. Sitzung vom 8. März 1898, 2 Uhr.
BUHMeber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. 4 Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend einige Aenderungen von Bestimmungen über das Postwesen, wird fortgesetzt. 3 Nach dem Abg. Dr. Marcour (Zentr.) nimmt das Wort der Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): So sehr wir die Verbesserungen, welche die Vorlage bringt, mit Freuden begrüßen, so sehr müssen wir uns gegen den Artikel I1 erklären, den wir für undurchführbar halten, weil er nicht bloß den bestehenden Privatanstalten die Beförderung von eges gfsenn Briefen verbietet, sondern das Verbot auf jeden einzelnen Privatmann ausdehnt. Expreßboten können zwar zur Briefbestellung verwendet werden, aber es darf dieser Bote nicht für mehrere Auftraggeber zusammen thätig sein. In früherer Zeit war man nicht der Meinung, daß das Monspol der Fau ausgedehnt werden sollte. Dieser Ansicht war auch der eetzige Finanz⸗Minister von Miquel als Abgeordneter; jetzt freilich mag er anderer Ansicht geworden sein. Man hat die Lücke damals absichtlich geschaffen, um den Privatverkehr zuzulassen; man kann also nicht davon sprechen, daß die Privatanstalten sich wie Parasiten darin eingenistet hätten. Es wird den Privatanstalten vorgeworfen, daß sie Erwerbsinstitute seien. Welche der Oeffentlichkeit dienenden Institute sind denn nicht Erwerbsinstitute? Der Mittelstand besonders wird durch die Aufhebung der Privatposten geschädigt. Es wird gesagt,
daß sogar die sächsische Hofhaltung in Dresden sich dieser Privatunternehmungen bediene. zuberls beee Püebiitube iene. Wenn sie unzuverlässig wären,
b m bald das Zutrauen i 8 Unzuverlässigkeiten kommen auch bei 8.Sarh vor. 10Zchntee Hertertch
einen nach Berlin an Eugen Richter adressierten Brie ü i dem Postvermerk: Ohne nähere Angabe der Perten Brgif, zurncke mi Bezüglich der Wahrung des Briefgeheimnisses bei der oft ist mir aus Sozialistenprozessen bekannt, daß die Polizei die Post zur Herausgabe von Briefen gezwungen hat. Das Mitleid, welches der Staatssekretär für die schlecht befoldeten Ar⸗ beiter der Privatanstalten bewiesen hat, sollte er seinen eigenen Unter⸗ beamten gegenüber üben. Sehr schwierig wird die Entschädigungsfrage zu ordnen sein. Daß die Angestellten der Privatposten in den Reichs⸗ dienst übernommen werden sollen, wäre eine Unzgerechtigkeit gegen die vpoorhandenen Postbeamten, die dadurch bei Seite gedrängt würden. Die Ausdehnung des Postregals ist lediglich aus siskalischen Gründen
8 eichspost im Lokalverkehr die 1.““ vhelde⸗ dxSenne nis, Mehtong ste teten⸗ so würde die Konkurrenz den Privatanstalten sehr schwer sein. 1 — Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski: Meine Herren! Bloß einige thatsächliche Berichtigungen, da ich zunächst nicht die Veranlassung habe, mich in die Diskussion einzu⸗ mischen, um so weniger, als ja die Auseinandersetzungen über den wirthschaftlichen Werth, den die Vorlage für unsere gesammte Be⸗ völkerung bringt, besser in der Kommission durchgeführt werden können als im Plenum des Hauses. Daher also nur einige thatsächliche Be⸗ ichti en! haite ich gestern diese Zusammenstellung den Herren zur Verfügung gestellt, als mich Herr Lenzmann um die Einsicht bat; ich sagte aber, was die Bemerkungen anbelangt, so mache ich darauf aufmerksam, daß diese Bemerkungen allgemein gefaßt seien und nicht alle Einzelheiten enthalten. Er har nun eine Sache herausgegriffen. Er hätte aber es viel leichter, glaube ich, gehabt, wenn er in dem von ihm viel benutzten braunen Büchlein, welches einen Roman von den deutschen Privatposten enthält, auf Seite 18, wo es deutlich geschrieben steht, nachgesehen hätte. Meine Herren, es ist ganz naturgemäß: der Haushalt Seiner Majestät des Königs von Sachsen hat eben nach den Bestimmungen des Reichs⸗ postgesetzes freie Beförderung. Es ist also wohl keine Veranlassung, wenigstens nicht zu der Unterstellung, die von dort aus gemacht ist, daß man glaubte, diese Privatanstalt würde sicherer befördern als die Reichspost. Nach dem braunen Buch ist es lediglich die Hofkassen⸗ verwaltung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Georg von Sachsen, die in Betracht kommt.
Was nun die Bemerkungen betrifft, die ich gestern betreffs der Beamten, die in den Privatbeförderungsanstalten beschäftigt sind, gemacht haben soll, so glaube ich nicht zu irren, daß ich das Wort gebraucht habe: vorübergehende Beschäftigung. Ich meine also eine vorüber⸗ gehende, nicht eine dauernde Beschäftigung. Ich habe, glaube ich, gesagt: die Leute sehen in dieser Anstellung nicht eine dauernde, sondern eine vorübergehende Beschäftigung. So ist der Ausdruck ge⸗ fallen, ich habe also nicht, wie der Herr Abgeordnete verstanden haben will, eine wegwerfende oder falsche Kritik an die Sache geknüpft.
Nun wird auch wiederum Süddeutschland uns hier vorgeführt mit dem Dreipfennigs⸗Tarif. Wie steht es mit dem nun thatsächlich? Für 3 ₰ werden Briefe bis zu 15 g im Ortsverkehr und die Briefe über 15 g für 16 ₰ befördert, während wir hier eine einheitliche Taxe festsetzen wollen. Weiterhin ist aber auch für Briefe, die un⸗ frankiert sind, in Süddeutschland das Porto erhöht; es trifft also dort nicht das Gleiche zu, was hier bei uns zutrifft, da die Reichs⸗ postverwaltung eine einheitliche Taxe ohne Unterschied des Gewichts für den Ortsbriefverkehr festsetzen will.
Nun will ich hier nicht etwa als Ankläger erscheinen — es liegt mir das vollständig fern, ich habe deshalb auch gestern gegen die Privatbeförderungsanstalten nicht ein Wort des Tadels ausgesprochen und bin nicht in die Einzelheiten der Sache eingetreten; auch glaube ich, daß der Herr Abg. Lenzmann, wenn er meine ganze gestrige Rede durchliest, nicht ein Wort finden wird, welches eine abfällige Kritik enthalten hätte, weil ich es für ein gefährlich Ding halte, namentlich
von seiten der Verwaltung aus, gegen Institute vorzugehen, die sich nicht wehren können und nachher in der Presse dagegen remonstrieren. Ich halte mich aber für verpflichtet, ohne Namen zu nennen, Ihnen hier einige Zahlen vorzuführen. Dieselben erstrecken sich natürlich über die verschiedenen Jahre.
Es wurden in einer Anstalt, als sie ihren Betrieb einstellte,
4300 unbestellte Briefe gefunden. Von dem Inhaber einer anderen Anstalt wurden 6000 Briefe verbrannt. In diesem Fall hat auch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben; es
war aber ein eigenthümlicher Fall. Der Mann hatte die Briefe nicht erbrochen, sondern unaufgebrochen verbrannt, es lag also nicht eine Unterschlagung vor und das Gericht fand daher keine Veranlassung, dagegen einzuschreiten. Der Staatsanwalt hat da⸗ mals sein Bedauern ausgesprochen, daß die bestehende Gesetzgebung keine Handhabe biete, um einen derartigen schnöden Ver⸗
trauensbruch zu ahnden. Das ist doch ein Zustand, der gerade nicht sehr erfreulich ist. Seitens einer anderen Anstalt wurden Tausende von Briefen im Keller aufgespeichert. Ich nenne keine Namen. Aber es ist thatsächliches Material, welches mir zur Hand liegt, und welches immerhin zeigt, wie die Verhältnisse sind, wenn man auch natürlich unterscheiden muß zwischen gutgeleiteten und nicht gutgeleiteten Anstalten. Seit Januar sind mehrere Institute eingegangen; in einer Stadt hat sich eine Anstalt, welche 8 Jahre bestanden hat, aufgelöst. In einem anderen Falle hat ein Mann, der wegen Unterschlagung verurtheilt ist, ein neues Institat eingerichtet; in einer Stadt geht der Direktor weg, weil er verfolgt ist, und sein Bruder, ein junger Mann von 18 Jahren, übernimmt die Sache; in Gelsenkirchen ist ein Konkurs zu verzeichnen gewesen. Also scheiden wir zwischen Instituten, die thatsächlich etwas Gutes leisten, und denen, die als Eintagsfliegen erscheinen. Es ist doch ein eigenes Ding: überall im Reich ist es verboten, Werthzeichen auszugeben. Diese Institute ver⸗ kaufen aber dem Publikum Werthzeichen, das Publikum kauft solche Dinger auch, und wenn nachher recht viele davon verkauft sind, — weg sind die Leute. Es wird Gelegenheit sein, die Details in der Kommission noch näher zu erörtern.
Abg. Dr. Foerster⸗Neustettin (b. k. F.) spricht die Hoffnung aus, daß die Vorlage auch ohne den Artikel II zu stande kommen werde. Wenn der Artikel II angenommen werden sollte, so sollte die Postverwaltung dahin streben, den gemeinnützigen Unternehmungen so entgegenzukommen, wie dies die Privatanstalten gethan hätten. Idealismus gebe es bei der Reichspost nicht; sie sei ein Erwerbs⸗ institut wie alle anderen und daher von der Fiskalität beherrscht. Wenn der Artikel II angenommen werden sollte, dann müßte eine Entschädigung aus Billigkeitsgründen gezahlt, und die Beamten der Priratanstalten müßten von der Post, soweit es geht, übernommen
werden.
Kommissar des Bundesraths, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Dambach: Meine Herren! Ich will über die Ausdehnung des Regals kein Wort verlieren; ich möchte nur die Reichspostverwaltung schützen gegen einige herbe Angriffe seitens der Herren Abgg. Lenz⸗ mann und Dr. Barth: Angriffe rein juristischer Natur, die aber so schwer waren, daß, wenn sie begründet wären, man in der That der Reichspostverwaltung die ersten Kenntnisse der Jurisprudenz ab⸗ sprechen müßte. Ich ergreife diese Abwehr um so nothwendiger, weil der Herr Abg. Lenzmann die Güte gehabt hat, mich selbst zu erwähnen, und zwar in Betreff eines Buches, welches ich über das Postrecht geschrieben habe. Es sind zwei Angriffe, die gemacht worden
sind, und die ich, wie gesagt, gern widerle
1d, . gt, gen möchte. Der erste An⸗ 11 gegen das Gutachten gerichtet, welches 68 Herr Staats⸗ ekretär gestern dem hohen Hause vorgelesen hat. Es wird in dem
vielfach vor dem Briefgeheimniß wenig Respekt bewiesen habe. Die
Gutachten ausgeführt, daß die Privatgesellschaften kein jus quae- 1 Reah⸗ kein wohlerworbenes Recht, auf Entschädigung hätten; der Herr Abg. Lenzmann sagt hierüber, daß dies, anders ausgedrückt, eine vollständige Ignoranz auf juristischem Gebiet gewesen wäre — die Ausdrücke waren vielleicht etwas anders, aber der Sinn war derselbe. Ich glaube nun, daß der Herr Abgeordnete doch zugeben wird, daß die Reichspostverwaltung nicht so thöricht ist, nicht zu wissen, daß es auch jura quaesita im öffentlichen Recht giebt. Es fragt sich eben nur, ob hier ein jus quaesitum des öffentlichen Rechts oder ein solches des Privatrechts vorliegt. Es kann nun aber gar kein Zweifel sein, daß es sich hier lediglich handelt um ein jus quae- situm des Privatrechts; denn es handelt sich einfach darum, ob die Privatgesellschaften ein Recht haben, Geld zu bekommen, und die Frage, ob eine Gesellschaft das Recht hat, Geld zu bekommen, ist doch ganz gewiß eine Frage des Privatrechts. Wenn in dem Gutachten ausgesprochen ist, daß die Privatgesell⸗ schaften kein jus quaesitum auf Entschädigung hätten, so ist das eben der Ausdruck: es liegt hier nicht vor ein jus quaesitum des Privatrechts — und lediglich um diese Frage hat es sich im Gutachten gehandelt. Also ich glaube auch heute noch mit Sicherheit sagen zu können: ein jus quaesitum des Privatrechts haben die Privatgesellschaften nicht. Von dieser Frage ist ja nun selbstverständlich ganz getrennt die andere Frage, ob eine Billigkeit für die Ent⸗
schädigung spricht; über diese Frage habe ich mich garnicht auszusprechen, sondern ich habe eben nur das Gukachten ct Schutz zu nehmen, welches der Herr Staatssekretär vorgelesen
hat, und welches dahin geht, daß in der That die Privatgesellschaften unter keinen Umständen ein jus quaesitum rher Ehehsch bekannt geworden, ist in all den Streitschriften und Petitionen von keiner Seite aus behauptet worden, daß die Privatgesellschaften ein Recht hätten, entschädigt zu werden. Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt, welcher von dem Herrn Abg. Dr. Barth — und auch von dem Herrn Abg. Lenzmann — vorgebracht ist, betrifft die b über den expressen Boten, ob also künftig, wenn das Gesetz angenommen werden sollte, nicht ganz Folgen für das Publikum entständen in Bezug auf die Beförderung von Briefen im Ort durch expresse Boten. Ja, wenn das richtig wäre, was die beiden Herren vorgebracht haben, dann müßte in der That die Postverwaltung geradezu ein thörichtes Gesetz vorgelegt haben, dann wäre es allerdings so, daß man gar keine Briefe mehr 1I in Berlin anders als durch die Post verschicken könnte. Die Sache liegt aber rechtlich absolut anders, und zwar ist durch Art. 2 in Bezug auf die Beförderung von Briefen durch Boten in Berlin — um das mal hervorzuheben — absolut gegen früher keine Aenderung eingetreten. Die Sache liegt folgendermaßen: § 2 des Postgesetzes sagt: es ist erlaubt, durch expresse Boten gegen Bezahlung Briefe zu befördern auf andere Weise als durch die Post (Zuruf) — von einem Ort nach einem anderen Orte. Wenn also das Regal ausgedehnt wird auf die Ortsbriefe, dann kommt genau dasselbe heraus für den Ortsverkehr. Nun fragt es sich: wie ge⸗ staltet sich die Sache jetzt in der Praxis? Es ist nöthig zunächst, daß der Brief abgeschickt wird von einem Absender. In dieser Be⸗ ziehung hat gestern der Herr Abg. Dr. Barth gesagt, es könnten dann ja nicht mehr Vereine durch ihre Boten Briefe in der Stadt befördern. Das ist nicht der Fall. Es muß allerdings ein Absender sein; ob das aber eine Privatperson ist oder ein gewöhnlicher Verein, oder ein Verein, der juristische Persönlichkeit hat, ob es eine eingetragene Genossenschaft ist oder was sonst, das ist ganz egal. Es kommt bloß darauf an, daß es ein Absender, ein Verein ist. Es kann also infolge dessen jeder Verein Briefe durch einen expressen Boten abschicken und den expressen Boten bezahlen. Zweitens. Es wird nun gesagt: wenn aber ein solcher Verein seinen gewöhnlichen Boten u. s. w. abschickt, der nicht in die Kategorie der expressen Boten fällt, dann darf er es nicht thun. Das ist auch nicht richtig; denn, um bestraft zu werden, gehört nach § 1 des Postgesetzes dzau, daß der Bote bezahlt wird. Wenn aber ein Verein einen gewöhnlichen Kassenboten u. dgl. hat, und er schickt seine Briefe durch diesen Kassenboten ab, so ist dies erlaubt, denn der Kassenbote wird nicht besonders bezahlt. Man könnte nun einwenden: in der gewöhn⸗ lichen Bezahlung, die er sonst bekommt, liegt die Bezahlung für den Brief mit. Es ist von der Reichspostverwaltung aber schon wieder⸗ holt ausgesprochen worden, daß es eine expresse Bezahlung für den expressen Gang sein muß. Es kann also jeder Verein durch seinen Kassenboten ohne weiteres unter den sonstigen Bedingungen seine Briefe abschicken. Ich glaube infolgedessen, daß irgend eine Besorgniß, daß durch die Ausdehnung des Regals in dieser Beziehung eine Aenderung oder Beunruhigung des Publikums entstehen könnte, nicht vorliegt, und ich kann nur in Bezug auf diese beiden Punkte die Reichspost⸗ verwaltung in Schutz nehmen gegen den etwaigen Vorwurf, daß sie das Publikum durch die Novelle irgendwie habe einschränken wollen.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Wenn aber ein Bureau⸗ diener ausgeschickt wird mit 100 Briefen und er soll die Antworten bringen, so liegt die Sache doch so, daß nicht mehr ein Absender vor⸗ banden ist. Ein solches Verfahren muß aber auch möglich sein. Herr Lenzmann beruft sich auf den Minister von Miquel. Der Letztere ist ein praktischer Mann, der lernt; das ist der Unterschied zwischen ihm und den Herren vom Freisinn, die nichts lernen wollen. Es handelt sich bei der Vorlage um eine ausgleichende Gerechtigkeit, die jetzt nicht vorhanden ist, wenn den 8 ½ Millionen Städtern billigere Beförderung der Brief⸗ sendungen gestattet wird, als den Bewohnern des platten Landes. Wenn wir die großen Strecken Berlin —Hamburg, Berlin— Köln c. den Privatbahnen überlassen wollten und dem Staat nur die Nebenbahnen so wäre das ganz dasselbe, wie der jetzige Zustand auf dem Gebiel des Postwesens. Durch solche künstlichen Mittel wird nur die Eni⸗ völkerung des platten Landes zu Gunsten der Städte noch mehr befördert. Der Artikel II ist nicht ein nothwendiges Uebel, sondern er ist die Hauptsache. Mir ist Artikel II ohne Artikel 1 viel lieber als das Um⸗ gekehrte. Wenn die Privatposten direkte Verluste erleiden, was nicht leicht festzustellen sein wird, so wird eine Entschädigung gezahlt werden können. Aber nothwendig ist eine Entschädigung nicht. Man hat die Versicherungsgesellschaften auch nicht entschädigt, als die Unfall⸗ versicherungen ꝛc. eingerichtet wurden. Solche Anschauungen haben durchaus nichts Sozalistisches. Die Arbeiter der Prwwatposten haben auch keinen Anspruch auf Entschädigung, denn sie sind nicht fest an⸗ gestellt. Wenn man ihnen, soweit sie längere Zeit im Dienst waren, din. tüicane Entschädigung gewährt, so wird das auch nicht be⸗ trächtlich sein.
Kommissar des Bundesraths, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Dam bach: Ich wollte blos durch eine thatsächliche Berichtigung den Herrn Vorredner beruhigen über einen Punkt. Wenn ich racht ver⸗ standen habe, so bemerkte der Herr Vorredner, daß es allerdings nach meinen Ausführungen auch nach dem neuen Artikel 2 erlaubt sei, durch expressen Boten jemandem Sendungen hinzuschicken, aber es sei zweifelhaft, wie es mit dem Rückschicken wäre. In der Beziehung ist nun die Sache ganz einfach. Der jetzige Parasraph?2 des Postgesetzes, der also dann Anwendung finden wuürde auf die Fälle, lautet: „Es darf der Expresse nur von Einem Absender abgeschickt sein, und dem Postzwang unterworfene Gsgerhchh. weder von Anderen mitnehmen, noch für Andere zurückbringen“. Also, wenn eine Gesellschaft, ein Verein einen expressen Boten nimmt gegen Be⸗ zablung, so darf dieser expresse Bote an den Verein ꝛc., der ihn ab⸗ geschickt hat, unzweifelhaft postzwangspflichtige Sachen
bringen, nur nicht etwa für Andere. Ist aber im gesetzlichen Sinne kein expresser Bote, sondern der gewöhnliche Kassenbote (wenn ich ihn einmal so
nennen will), welchen der Verein gebraucht, der die Briefe ꝛc. hin⸗ befördert, so ist das überhaupt nicht strafbar, weil die Strafbarkeit nur anfängt, wenn die Beförderung gegen Bezahlun Köfjorgt wird. Da aber der Bote in einem solchen Falle nach der Auffassung des Reichspostamts keine besondere Bezahlung für die Beförderung bekommt, so kann er hinbringen und mitnehmen, was er Lust hat. Ich zglaube, damit werden die Bedenken des Herrn Vorredners sich erledigen.
Abg. Wurm (Soz.) behauptet, daß in früherer Zeit die Polizei
8 E1““