1903 / 80 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 03 Apr 1903 18:00:01 GMT) scan diff

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

In der einen Provinz ruhen fast alle Lasten auf 89 0. meinde; infolgedessen erscheinen die Gemeindeabgaben besonders hoch; in einer anderen Provinz tragen die Kreise einen großen Meil derselben Lasten, und die Steuern verteilen sich deshalb auf Kreis und Gemeinde; in einer dritten Provinz wieder hat die Provinz einen großen Teil dieser Ausgaben auf ihre Schultern übernommen,

und dadurch werden die Gemeindelasten verhältnismäßig geringer. Gern erkenne ich aber an, daß es ein Uebelstand ist, an dem wir kranken, daß heutzutage unsere Gemeinden und ich nehme da auch die größten Gemeinwesen nicht aus zu sehr überlastet sind mit Zuschlägen, und daß es dankenswert wäre, wenn wir Mittel und Wege finden könnten, allen diesen Gemeinden, den kleinen und den großen, neue Einnahme⸗ quellen zu eröffnen, ohne dadurch die Steuerkraft der Bewohner in Anspruch zu nehmen. Ob dies gelingen wird, das ist zweifelhaft. Es ist in der Kommission bereits hiervon gesprochen worden: die Mittel, die gegenwärtig die Gesetzgebung bietet, sind nur unvollkommen der Herr Vorredner hat auch darauf Bezug genommen —: Einführung oder Erhöhung der Umsatzsteuer, die Verteilung der Grundsteuer nach dem gemeinen Wert und nicht nach dem Katastralreinertrage und der⸗ gleichen mehr. Das sind allgemein durchgreifende Mittel nicht, und deshalb kann ich hier nur die Mahnung wiederholen, die Mahnung an alle Gemeinwesen, an die großen Städte und an die kleinen Städte, an die Provinzen, die Kreise und alle Gemeinden im Lande: suchen Sie zu sparen, zunächst in Ihren Ausgaben, strecken Sie sich nach der Decke, und wenn einmal bessere Zeiten kommen, wo die Steuerkraft eine höhere ist, dann führen Sie diejenigen Sachen aus, die in Ihrem Interesse gewiß erwünscht sind.

Oberbürgermeister Dr. Bender⸗Breslau: Es ist noch nicht das⸗ selbe, wenn in einem Dorf und in einer großen Stadt hohe Sätze erhoben werden; denn in den Städten werden die buchmäßigen Einnahmen versteuert, auf dem Lande aber nicht. Die großen Städte wären längst bankerott, wenn sie nicht andere Einnahmequellen hätten, die eine vorsorgliche Verwaltung früherer Jahrhunderte in den öffentlichen Dienft gestellt hat, wie Gaswerke, Elektrizitätswerke und ähnliche Anstalten, die in Breslau 120 150 Millionen Mark

Fesnhb. einbringen. Es gibt nicht nur eine Landflucht des Kapitals, ondern auch eine Stadtflucht, indem viele reiche Leute aus den Städten sich ein Gut kaufen und dorthin ziehen, um den hohen Kom⸗ munalsteuern zu entgehen. Der Herr Berichterstatter hätte es lieber anerkennen sollen, daß die Städte es als ihr nobile officium an⸗ sehen, sich in den öffentlichen Dienst zu stellen durch Unter⸗ haltung von Museen, Bibliotheken, Gymnasien ꝛc. Warum sind denn die Abgaben auf dem Lande so hoch? Weil die Träger der Lasten in so kleinen Verbänden organisiert sind. Die Diskrepanz fällt besonders auf bei einem Vergleich der Vororte mit den Landgemeinden. Die Vororte bei den großen Städten sind außer⸗ ordentlich viel schlechter gestellt, als die Landgemeinden. Die Vororte müssen jetzt die Geldquelle für die großen Landkreise bilden. Das

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Zweite Beilage

B

erlin, Freitag, den 3. April

dreißig Jahre lang in einem Lande gelebt, wo fast alle größeren und mittleren Gemeinwesen, bis auf 1000, 1200 Einwohner herunter, den überwiegenden Teil ihrer Einnahmen aus den indirekten Steuern, aus dem sogenannten Oktroi, also Schlacht⸗ und Mahlsteuern und anderen Eingangsabgaben, gezogen haben, und diese Gemeinden haben sich alle wohl dabei befunden, und gerade der minder begüterte Teil der Gemeindeeinwohner hat sich am allerwohlsten befunden. Es wird die kleine Steuer, die der Geringbemittelte zu tragen hat, häufig zu einer viel schwereren Last als dem Wohlhabenderen die größere Steuer. Von dieser kleineren Steuer wird der kleine Mann nahezu gänzlich oder ganz befreit, wenn die Gemeinde in der Lage ist, indi⸗ rekte Abgaben zu erheben. Ich würde sehr wünschen, wenn dieses System der indirekten Abgaben in den Kommunalverwaltungen weiter ausgebaut werden könnte; aber, meine Herren, eine Aussicht dazu existiert zur Zeit nicht. Sie wissen alle, daß der Reichstag in der letzten Session trotz der Anstrengungen der Regierung, trotz der An⸗ strengungen einer großen Anzahl von Vertretern der dadurch betroffenen Gemeinden den Beschluß gefaßt hat, daß binnen zehn Jahren auch noch die Reste der Schlacht⸗ und Mahlsteuer in den Städten beseitigt werden sollen. Ich fürchte, daß eine ganze Anzahl von Gemeinden dadurch in eine sehr schwierige finanzielle Lage geraten wird, und an mir soll es nicht fehlen, wenn es möglich wird, darauf hinzuarbeiten, daß dieser Beschluß des Reichstages nicht zur Ausführung kommt, sondern eine Grundlage geschaffen wird, durch welche den Gemeinden ermöglicht wird, ihre Ausgaben durch indirekte Abgaben mehr als bis jetzt zu decken.

Herr von Bemberg⸗Flamersheim: In den kleinen Ge⸗ meinden, die ich kenne, werden 100 bis 200 % Kommunalsteuern er⸗ hoben; von Luxus habe ich aber in diesen Gemeinden nichts bemerkt, den Bürgermeistereien erwachsen höchstens Ausgaben durch allerlet staatliche Auflagen für Statistik usw. Die ländlichen Verhältnisse sind z. Z. sehr gedrückte, und die Gemeinden sind bemüht, die Aus⸗ gaben auch auf die Zukunft zu verteilen. Die Regierung möge gegen diese Gemeinden mit Milde vorgehen, denn von Luxus ist in diesen keine Rede.

Oberbürgermeister Schneider: Wer in der städtischen Ver⸗ waltung gestanden und die Steigerung der städtischen Budgets beob⸗ achtet hat, wird der Weiterentwicklung mit Sorge entgegensehen. Es ist gewiß richtig, daß die Ausgaben für die Erfüllung der Kultur⸗ aufgaben in den städtischen Budgets gewachsen sind; aber die wesent⸗ lichen Mehrausgaben treffen das Schulwesen, das Armenwesen und die Wegebaulasten. In Magdeburg sind beispielsweise die Schul⸗ ausgaben in den letzten zehn Jahren um 100 % gestiegen. Ich weise darauf hin, daß eine ganz wesentliche Einnahme, die wir früher auf dem Gebiet des Volksschulwesens hatten, das Volksschulgeld, Ffales ist. Weiter sind wir genötigt worden, das Gehalt der Lehrer beträchtlich

zu erhöhen und der begehaltskasse beizutreten, was uns sehr erheblich belastet. Wir sind dahin gelangt, daß wir jährlich eine Auf⸗

wendung von 2 600 000 für das Schulwesen allein machen, ohne

zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

versäumt, in Zeiten, wo sie konnten, wo alles gut ing, rechtzeiti entsprechende Fonds anzusammeln, und das rächt ssch C. rechthehis Die Hauptsache ist und bleibt: Es müssen neue Einnahmequellen er⸗ öffnet werden, und für Stadt und Land kann ich gleichmäßig hin⸗ weisen auf die Erweiterung des indirekten Steuersystems. Die Hinder⸗ nisse, die ihr entgegenstehen, müssen tunlichst von Preußen aus be⸗

kämpft werden. beschwert sich darüber, daß die von

Herr von erin Ete9 der Regierung genehmigten Ausführungsregulative, die von den

ovinziallandtagen zum Provinzialdotationsgesetz beschlossen worden sh vielfach dem Sinn und Geist des Gesetzes nicht entsprächen, und ittet, der Minister möge Remedur eintreten lassen.

Minister des Innern Freiherr von Ham merstein:

Meine Herren! Zunächst ist das vom Provinziallandtage von Schlesien beschlossene Reglement über die Verteilung der im vorigen Jahre bewilligten Dotationen noch nicht an mich gelangt. Ich kann mich also zu der Sache selbst gar nicht äußern. Der Herr Vorredner hat mir gütigst in Aussicht gestellt, mir morgen Details darüber vor⸗ zutragen, und es wird mir eine Freude sein, mich darüber mit ihm zu unterhalten. Aber prinzipiell lege ich Wert darauf, festzustellen, daß die beteiligten Minister bei der Genehmigung der verschiedenen Reglements in den einzelnen Provinzen von dem Gedanken aus⸗ gegangen sind, daß die wahren Bedürfnisse der Provinz in der Provinz besser erkannt werden als am grünen Tische des Ministeriums (sehr richtig!), und daß deshalb, wenn das Reglement sich nicht in direktem Gegen⸗ satze zu den Bestimmungen des Gesetzes befunden hat und das ist in den mir vorliegenden Fällen bis jetzt nicht der Fall gewesen die vom Provinzialausschuß vorgeschlagenen und vom Provinziallandtag beschlossenen Reglements auch die Genehmigung der beteiligten Ministerien gefunden haben. Wenn nun in einem Provinziallandtage eine Minorität oder auch nur ein einziges Mitglied gegen den Beschluß des Provinziallandtages gestimmt hat und ihn nicht für richtig hält, so glaube ich von meinem Standpunkt aus, wäre es richtiger, bei einem künftigen Provinziallandtage eine Abänderung zu versuchen, als gegen den Provinziallandtag die Hilfe des Ministeriums anzurufen (sehr richtig Abgesehen von diesen generellen Bemerkungen, bin ich gern bereit, mit dem Herrn Vorredner in eine Besprechung der Einzelheiten des schlesischen Reglements, das mir noch gänzlich unbekannt ist, einzu⸗ treten, und ich wiederhole: wenn eine Gesetzwidrigkeit vorliegt, werde ich eingreifen, wenn aber seitens des Provinziallandtages dem Gesetze konform beschlossen worden ist, so werde ich von meinem Standpunkt aus den Beschluß des Provinziallandtages genehmigen. 3

Oberbürgermeister Struckmann befürwortet, die Privatbeamten der Landräte in weiterem Umfange zu unmittelbaren staatlichen Hilfs⸗ arbeitern zu ernennen.

Ein Regierungskommissar erwidert, daß dies die Landräte selbst zum großen Teil gar nicht wünschten.

Oberbürgermeister Ir. Bender schließt sich dem Wunsche des

die Verzinsung und Amortisation der Schulgebäude, d. i. mehr, als die Gesamteinkommensteuer beträgt, die die Stadt Magdeburg auf⸗ bringt. Die Hoffnung, daß durch die sozialpolitische Gesetzgebung eine Ermäßigung der Armenlasten herbeigeführt werde, hat f nicht

Herrn Struckmann an. Die finanziellen Bedenken seien nicht erheblich. Es sei doch sonderbar, daß, während der Staat die Kommunen zwinge, ihre Beamten fest anzustellen, er es zulasse, daß die gleichen Funktionäre bei den Landratsämtern nur Privatangestellte der Land⸗

wirkt erbitternd. 8 8

Professor Dr. Loening: Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Ausführungen des Ministers besteht ein von ihm nicht ge⸗ löster Widerspruch; er begann mit dem Hinweis auf die notwendigen

großen Aufgaben der Landgemeinden und schloß mit dem Hinweis

auf die Nokwendigkeit, zu sparen; das ift bei notwendigen Ausgaben

eben nicht möglich. Die Verschiedenheit der Einnahmen zwischen

Land⸗ und Stadtgemeinden ist zunächst zu erklären durch die Verschiedenheit der Einschätzung. Leider ruht das so notwendige Wegebaugesetz seit einem Jahrzehnt, so lange ist die früher zugesagte Ausdehnung der Wegegesetzgebung der Provinz Sachsen auf den ganzen Staat nicht vorgenommen. Die Lastenverteilung hierfür ist gesetzlich zu regeln. Wir brauchen ein neues Kommunalsteuergesetz. Die indirekte Besteuerung muß den

Kommunen in größerem Umfang zugestanden werden, als das Reich es bis jetzt zuließ. Auch bei den direkten Steuern muß den Kommunen ja manches zugestanden werden, aber

namentlich sind Bier⸗ und Branntweinsteuer als Einnahmequellen auch den kleinen Gemeinden zuzuweisen, wodurch diese ihre hoch⸗ espannte direkte Besteuerung ermäßigen und doch ihre Aufgaben er⸗ üllen könnten. Auf diesen Gebieten sind bei den Staatsbehörden unendliche Aktenstücke angesammelt; ich bitte die Staatsregierung, nun diese bisher unfruchtbaren Aktenstöße fruchtbar zu machen und auch bei der Reichsregierung sich dahin zu verwenden, daß den Kommunen eine größere Mäöglichket zur Benutzung indirekter Steuern ge⸗ geben wird. 8 Minister des Innern Freiherr von Hammerstein: Wenn der Herr Vorredner geglaubt hat, einen gewissen Wider⸗ spruch zwischen dem ersten Teile meiner Ausführungen und dem Schlusse konstatieren zu müssen, so muß dies in einer mangelhaften Ausdrucksweise meinerseits liegen. Selbstverständlich stehe ich auf dem Standpunkte, daß notwendige Ausgaben und Arbeiten im Inter⸗ esse des Verkehrs und der Entwickelung der Gemeinwesen gemacht werden müssen. Aber Luxusausgaben und selbst ein Teil von notwendigen Ausgaben können beschränkt werden: Luxusausgaben, indem sie überhaupt eingestellt werden, andere Arbeiten, indem sie nicht in einem Jahre ausgeführt, sondern auf eine gewisse Periode verteilt werden. Ich habe das in der Budgetkommission näher aus⸗ geführt und glaubte deshalb, hier einem Mißverständnis nicht zu bpegegnen. Es ist mein Fehler, wenn ich mich nicht deutlich genug * ausgesprochen haben sollte. Wie notwendig dieser Hinweis aber ist, lehrt mich die tägliche Erfahrung. Es liegt augenblicklich dem Ministerium ein Antrag vor zur Genehmigung des Baues einer Bürgermeisterwohnung. Das ist etwas Hübsches und Angenehmes. Bedenklich aber ist, daß der Bau etwa 250 000 kosten soll, und daß die Gemeinde mit über 250 % Zuschlägen belastet ist. Ich habe deshalb die Genehmigung verweigert, und ich FeS. ich habe sie im Interesse der Gemeinde verweigert. (Sehr richtig!) Die Gemeinde mag derartige Ausgaben machen, wenn sie mit ihren Finanzen dazu in der Lage ist, sie ohne eine weitere Steuerheranziehung zu leisten. In diesem Sinne bitte ich, meine früheren Ausführungen aufzufassen. Notwendige Ausgaben im Interesse des Verkehrs, im Interesse der Entwickelung der Gemeinde, dürfen nicht hintangestelt werden, sondern müssen im Interesse der Gemeinde gemacht werden; nicht notwendige Ausgaben oder solche, die verschoben werden können, müssen zurückgestellt werden. ne nn Herr Vorredner sich ganz in dem Sinne, der auch der meinige ist, ausgesprochen über die indirekten Steuern. Ich habe

erfüllt. Zu den Wegebaulasten gehören, was nicht zu vergessen ist, auch die Ausgaben für Kanalisation, Wasserleitung usw. Auch in dieser Be⸗ kehung sind wir teilweise durch den Staat zu Ausgaben gezwungen worden, die wir freiwillig nicht gemacht hätten, die sich teilweise sogar als unnötig herausgestellt haben. In Magdeburg sind wir genötigt worden, eine neue Kanalisation anzulegen, obwohl wir eine gut funktionierende Kanalisation hatten. Wir haben auf 13 Em von der Stadt hinaus Kanäle wegführen müssen auf große, gewaltige Riesel⸗ felder unter zwei Armen der Elbe hindurch und mußten dafür, nach⸗ dem wir schon vorher eine Kanalisation für viele Millionen Mark

hergestellt hatten, 10 Millionen Mark ausgeben. Wenn wir mit einer Kläranlage vorgegangen wären, hätte uns das bedeutend weniger gekostet, und es hätte auch genügt.

Wenn dann gesagt wird: wir sollen sparen, so erkenne ich das durch⸗ aus an. Gewiß! Aber ich halte es für außerordentlich schwierig, wirklich so zu sparen, daß es nennenswert ist, und ich halte es namentlich für außerordentlich schwierig, in schlechten Zeiten zu sparen. In schlechten Zeiten fallen zunächst die Einnahmen aus der Ein⸗ kommensteuer; wenn sie vorher vielleicht 2 Millionen Mark betragen haben, so fallen sie um 200 300 000 in einem Jahre. Die Aus⸗ gaben gehen aber unvermindert weiter; infolge dessen gibt es ohne weiteres höhere Zuschläge auf die Einkommensteuer. Ebenso liegt es mit der Gewerbesteuer usw. Die Ausgaben nehmen nicht nur nicht ab, sondern sogar zu, zum Teil wieder infolge von An⸗ regungen des Staats, die ich gar nicht mißbilligen kann, so auf dem Gebiete des Armenwesens. Wir müssen die Beschäftigung ausdehnen; denn wenn die Privattätigkeit zurück eeht, so sind die Städte im höchsten Grade daran interessiert, daß die Arbeit weitergeht. Ich habe unserer Stadtverordnetenversammlung vor kurzem dargelegt, daß wir für Museen usw. im Jahre ungefähr 100 000 aus⸗ eeben; wir haben aber einen Etat von 10 Millionen Mark. Hiese Ausgaben spielen also eine verschwindende Rolle. Auch die Mittel, die der Minister zur Kräftigung unserer Finanzen genannt hat, helfen nicht viel. Die Erhöhung der Umsatzsteuer bringt nur ein paar hunderttausend Mark mehr, die Steuer nach dem gemeinen Wert scheint auch keine großen finanziellen Erträgnisse ab⸗ zuwerfen. Andere Steuerquellen haben wir aber nicht. In hohem Maße ist zu begrüßen, daß der Minister erklärt hat, daß er ein über⸗ zeugter Freund der kommunalen indirekten Steuern sei; hier muß entschieden die bessernde Hand angelegt werden. In diesem inne ist es außerordentlich bedauerlich, daß die preußische Staatsregierung dem Reichstage wahrscheinlich in einer Notlage die Konzession gemacht hat, daß die bestehenden Oktrois demnächst aufgehoben werden sollen. Es liegt wirklich gar kein Bedürfnis vor,

etwas von diesen indirekten Steuern abzubröckeln und sich auf theoretische Erörterungen zu werfen. Ich habe in unserer Srf verordnetenversammlung bewiesen, daß die Leute, die keine

städtische Steuer zahlen, im ganzen 100 000 allerhöchstens an

Oktroigebühr tragen. Diese Leute bilden aber einen sehr e.eang deh⸗ Prozentfatz unserer Gesamtbevölkerung. Jedes Kind, das sie in die Schule schicken, kostet einen Barzuschuß

von 36 ℳ; da ist es doch wahrhaftig nicht unbillig, wenn sie in indirekter Weise etwas beitragen. Am allerwenigsten ist dagegen etwas zu sagen, wenn es sich um solche indirekten Steuern handelt, die nicht leisch, Mehl usw. treffen, sondern speziell Bier, eine sehr ergiebige Renh Menl. ebenso Branntwein und andere Genußmittel. Etwas will ich zugeben, und wenn der Minister dahin seinen Einfluß geltend machen wollte, so würde das zu begrüßen sein: Ich glaube, daß unsere Gemeinden in einer Beziehung schlecht gewirtschaftet haben, nämlich insofern, als jedes einzelne Etatsjahr in ängstlicher Weise isoliert für sich behandelt wird und man sich nicht zu dem Ge⸗ danken aufschwingen will, dieses eine Jahr als Glied einer großen Entwickelungskette zu betrachten. Infolgedessen haben die Gemeinden

räte blieben.

Oberbürgermeister Dr. Lentze⸗Barmen ist unzufrieden mit der Ausführung des Fürsorgeerziehungsgesetzes. Durch die Rechtsprechung des Kammergerichts würden die Kosten für die Fürsor eerziehung den Gemeinden auferlegt, während sie nach der Absicht des esetzgebers dem

Staate zufallen sollten. 8 2 Herr Dr. von Dziembowski betont, daß die Kosten nach dem zwischen Staat und Gemeinde geteilt

Gesetz im Verhältnis von 2:1 werden sollten. 8

Ein Regierungskommissar erwidert, daß nach der Ansicht der Regierung dieser Kostenbeitrag von ꝛ³⁄, den die Regierung an die Kommunalverbände zu leisten habe, sich nicht auf die Kosten der all⸗ gemeinen Verwaltung, der Bauten zc. beziehe. Die Kommunal⸗ verwaltungen seien entgegengesetzter Meinung. Die Sache unterliege zur Zeit richterlicher Entscheidung. Eine Revision des Gesetzes sei noch verfrüht. Man müsse ein so schwieriges Gesetz, wie das Fürsorge⸗ erziehungsgesetz, sich erst ordentlich einleben lassen, ehe man die Klinke der Gesetzgebung wiederum in die Hand nehme.

Dr. Freiherr von der Goltz meint, man solle doch nicht so zaghaft sein. Man solle das glühende Eisen in die Hand nehmen, wenn es gelte, eine Wunde auszubrennen. Es habe seit der Ein⸗ führung der „Fürsorgeerziehung“ eine nervöse Scheu vor g maßregeln Platz gegriffen. Das sei ganz verfehlt. Es müsse eine stramme Zucht geführt werden, wenn man ordentliche Resultate erzielen wolle. Im übrigen erklärt sich der Redner gleichfalls gegen eine gesetzliche Neuregelung, für die die Zeit noch nicht gekommen sei, und sucht das Urteil des Kammergerichts zu rechtfertigen. 1

Professor Dr. Loening ist ebenfalls dagegen, daß das Fürsorge⸗ erziehungsgesetz jetzt schon abgeändert werde. Auch er hält die Recht⸗ sprechung des Kammergerichts für eine durchaus richtige. I

Freiherr von Manteuffel rät gleichfalls, mit der Revision des Gesetzes noch eine Zeitlang zu warten, obgleich die Entscheidung des Kammergerichts einen Zustand herbeigeführt habe, der bei der Abfassung des Gesetzes entschieden nicht beabsichtigt gewesen sei.

Beim Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten führt

Professor Dr. Hillebrandt⸗Breslau aus: Es kommen von allen Seiten Klagen über den Niedergang der humanistischen Bildung. Das humanistische Gymnasium bringt die Schüler in keiner Sprache zu einer abgeschlossenen Bildung. Alle Fakultäten sind mit der jetzigen Vorbildung der Studenten unzufrieden. Alle Freunde des verane schen Gymnasiums setzten große Hoffnungen auf den Kaiserlichen Erlaß; sie hofften, icß wenigstens auf den Gymnasien das Griechische und Lateinische wieder seine alte Kraft erhielte. Man legt jetzt zu viel Gewicht auf das multa, statt auf das multum. Von den Reformgymnasien ist auch nichts anderes zu erhoffen als ein Zurückschrauben der Kenntnisse. Gerade für die unteren Klassen ist das Lateinische von größter Wichtigkeit. Die Gymnasiallehrer flagen über Ueberlastung mit Unterricht, insbesondere in den höheren Klassen.

Hierauf wird ein Antrag auf Vertagung angenommen.

Schluß der Sitzung 5 Uhr. Nächste Sitzung: Freitag, 11 uhos ( 89 Beratung des Staatshaushaltsetats, Gesetzentwurf, betreffend die Biloung eines Ausgleichsfonds für die Liä asget und kleinere Vorlagen).