1903 / 121 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 25 May 1903 18:00:01 GMT) scan diff

Von 933 Arbeiterinnen wohnten 542 bei den Eltern und 57. bei anderen Verwandten, bei solchen also zusammen 64,2 %; in Schlaf⸗ stelle wohnten 201 oder 21,5 %, ein eigenes Zimmer hielten sich 131 oder 14 %, in einem Arbeiterinnenheim wohnte nur 1 Person, 1 außerdem anderweitig. Hierbei konnte noch zahlenmäßig festgestellt werden, daß die schlechter gelohnten Arbeiterinnen mehr bei den Eltern wohnen. S¶Scobald der Lohn zur eigenen Lebenshaltung ausreichte, zogen viele Alrbeiterinnen von den Eltern fort, weil die Mutter verstorben und eine Stiefmutter oder Wirtschafterin ins Haus gekommen war, weil zu viel Hausarbeit zu verrichten oder die Behandlung zu streng war, oder weil sie ihren ganzen Verdienst abgeben sollten. Der Schlaf⸗ raum war unter 845 Angaben 758 mal ein Zimmer, 82mal eine Küche, 2 mal eine Bodenkammer und Zmal ein anderer Raum. In einzelnen Fällen wurden ganz ungeeignete Gelasse, ein lichtloser Korridor, selbst ein solcher Kellerraum zum Schlafen benutzt; die Küchen sind niemals einwandfreie Schlafräume. ie Zustände sind jedoch, wie in dem amtlichen Bericht be⸗ merkt wird, viel schlimmer, als die obigen Zahlen vermuten lassen. Unmittelbare Fragen nach der Beschaffenheit des Schlafraums

hatten gar kein Ergebnis, sie wurden gar nicht oder nur mit Wider⸗ streben beantwortet: nur in einzelnen Fällen wurde über ganz un⸗ zulässige Zustände in früheren Schlafstellen geklagt, während man die sinno ens meist als

ut (66 % der Angaben) oder ausreichend 32 % der Angaben) bezeichnete. Ein Urteil über die traurigen Zu⸗ stände in dieser Hinsicht gaben aber die Ermittelungen über die Be⸗ setzung der Räume. Von 832 Arbeiterinnen benutzten nur 169 (20,3 %) einen Raum allein, 193 (23,2 %) einen solchen mit einer Person zusammen und 470 (56,5 %) mit mehreren Personen. In einer Gewerbeinspektion, welche 384 Arbeiterinnen befragt hat, wurden folgende ungünstigen Zahlen gefunden: Wenn die Eltern der Arbeiterin eine Stube und Küche bewohnten, so wurden diese Räume in 44 Fällen von 5 bis 6 Personen leinschließ⸗ lich von Schlafburschen) benutzt. Wohnungen von 2 Stuben und Küche wurden in 34 Fällen von 6 bis 7 Personen und in 23 von 7 bis 11 Personen benutzt. Schlafstellenvermieter besetzten Woh⸗ nungen von Stube und Küche in 32 Fällen mit 4 bis 5, in 8 Fällen mit 6 bis 8 Personen und Wohnungen mit 2 Stuben und Küche in 15 Fällen mit 5 und in 10 Fällen mit 6 bis 10 Personen; auch hier waren Schlafburschen vorhanden. Die

ädchen müssen oft mit dem Vater und Bruder in einem Zimmer schlafen; 5 teilten das Bett mit einem anderen Mädchen. Diese letzte Zahl ist sicher zu niedrig, da dieser Uebelstand häufig vorkommt; er wird jedoch nicht gern erwähnt. Die Schlafstellen, für welche eine Polizeiverordnung besteht, sind, wie die Zahlen zeigen, etwas weniger ungünstig als die Wohnräume bei den Eltern.

Der Preis für die gesamte Kost (Haupt⸗ und Nebenmahl⸗ zeiten) betrug wöchentlich für 568 Arbeiterinnen (ausschließlich wieder derjenigen mit ganzer Pension) 6,77 ℳ; bis 6,00 zahlten 205, bis 7,00 147, bis 8,00 107, über 8,00 109 Arbeiterinnen. Diese Ausgaben für Beköstigung können jedoch nur zur Zeit normaler Verhältnisse gemacht werden. Gewöhnlich hat die Ar⸗ beiterin nicht genug gespart, wenn Miete gezahlt oder Kleider ge⸗ kauft werden sollen. Dann muß sie die Ausgaben für Essen be⸗ schränken, und sie geht damit auf 5, ja auf 2 bis 3 herunter. Um den Frühkaffee zu 8 trinken einzelne Arbeiterinnen ihn erst zum

Frühstück in der Fabrik.

Die Gesamtkosten von Wohnung und Essen betragen bei 867 Arbeiterinnen im Durchschnitt 7,62 wöchentlich. Hier sind nun auch diejenigen berücksichtigt, welche dafür einen Gesamt⸗ preis entrichten. Da dieser, namentlich wenn er an die Eltern gezahlt wird, niedriger ausfällt, als wenn die Arbeiterin Essen und Wohnung einzeln beschafft, so ist auch die obige Durchschnittssumme niedriger. Von etwa 70 Arbeiterinnen war keine Angabe zu erhalten, weil sie bei den Eltern wohnen und ihren oft sehr geringen Verdienst an diese abgeben. 1

Von 900 Arbeiterinnen hielten 402 (44,7 %) zu Mittag, 498

(55,3 %) am Abend ihre Hauptmahlzeit, und von 890 hielten 706 (79,4 %) diese zu Haufe, 84 (9,4 %) in der Fabrik und 100 (11,2 %) in Gasthaus, Kochschule oder Volksküche. Ein Zusammenhang dieser Zahlen mit dem Gewerbe der Arbeiterinnen läßt sich nicht herausfinden. Dsft macht es auch die geche Entfernung zwischen Wohnung und

3. S vnmöglich, daß die Arbeiterin zu Mittag ihr Heim aussucht.

de meisten Arbeiterinnen geben an, fast täglich warmes Essen zur

Hauptmahlzeit zu erhalten, der Durchschnitt von 829 Angaben stellt

sich auf 6,47 mal in der Woche; nur dreimal oder seltener erhielten

es 37 Arbeiterinnen. Einzelne Gewerbe treten hier nicht bervor; vielfach wird Sonnabends nicht warm gegessen, in einer Anzahl anderer Fälle konnten dies die Arbeiterinnen nicht, weil sie magen⸗ krank waren, ihr Verdienst nicht ausreichte, in der Schlaf⸗ stelle keine Kochgelegenheit oder des Abends keine Zeit zum Kochen

war oder dergleichen. Frühere Dienstmädchen hielten dagegen auf

warmes Essen, weil sie dieses gewohnt waren. Oefter wird über das bei der Mahlzeit Gebotene geklagt. Von alleinstehenden Arbeite⸗ rinnen wird meist Kartoffel⸗, Brot⸗ und Reissuppe gekocht, oder man ißt Eier oder gehacktes Fleisch mit Kartoffeln. Sonst gibt es Fleisch nur am Sonntag, namentlich auch in der Familie, und hier müssen die Arbeiterinnen oft gegenüber den männlichen Mitgliedern zurück⸗ stehen. Diese Ernährung ist als unzureichend anzusehen; die oben mitgeteilten Zahlen über den Genuß warmen Essens geben augen⸗ scheinlich ein zu günstiges Bild.

Ueber die Ausgaben für Kleidung wurden nur von 14 Ar⸗ beiterinnen genaue Angaben gemacht. Diese brauchten jährlich 40 bis 100 ℳ, im Durchschnitt 66,4 Auf die Woche berechnete sich die durchschnittliche Ausgabe zu 2,63 Dieser Betrag dürfte nur für die besser gelohnten Arbeiterinnen als zutreffend anzunehmen sein. Eine Anzahl anderer geben erheblich geringere Beträge an und kommen auf 1,60 bis 2,00 woöchentlich. Von etwa 500 Arbeiterinnen teilten 64 (12,8 %) mit, daß sie von den Eltern gekleidet werden. Oft wurde ausgesprochen, daß die Beschaffung der Kleidung schwer falle; wenn nicht Eltern oder andere Personen eine Unterstützung lieferten, Schulden gemacht, oder es muß die übrige Lebenshaltung in unzulässiger Weise eingeschränkt werden.

Unterstützungen und Unterhaltungskosten für Ver⸗ wandte und Kinder zahlten von den befragten 939 Arbeiterinnen 197 oder 21 %. Art und Höhe war aber sehr verschieden; 116 Arbeite⸗ rinnen gaben an, Eltern oder Geschwister zu unterstützen, die meisten

jedoch gaben über ihre Ausgaben keine bestimmte Auskunft. Eine Inspektion ermittelte, daß in 24 Fällen die Mutter bei der Arbeiterin wohnte; dann muß die Arbeiterin meist ihren ganzen Ver⸗ dienst zur Bestreitung des Haushaltes aufwenden. 89 Arbeiterinnen (9,5 %) hatten Kinder zu erhalten; für diese mußten sie im Durch⸗ schnitt 1,50 bis 2 wöchentlich zahlen. 8 Einer größeren Anzahl 205 (22 %) gelingt es, noch etwas zurückzulegen; meist sind es 0,50 bis 1,00 ℳ, zuweilen auch 2,00 in der Woche. Einige haben auf diese Weise Summen von mehreren 100 gespart, andere haben auch Ausstattungsstücke angeschafft; vielfach geht aber das Ersparte alljährlich während der Zeit geringeren Verdienstes oder bei Krankheit und ähnlichen Fällen wieder verloren. In vorstehender Zahl sind die 81 Mädchen mitgerechnet, welche an die Lebensversicherungs⸗Gesellschaft „Victoria“ (Volksversicherung) einen durchschnittlichen Betrag von 0,35 oder 0,50 auf die Woche einzahlen. Dies sind meist junge Mädchen; sie gehen mit etwa 15 Jahren ein Versicherungsverhältnis ein, das ihnen nach etwa 10 Jahren die für ihre Ausstattung nötige Summe von einigen 100 verschafft. Dieser Versicherungsbeitrag wird zu Anfang öfter von den Eltern bezahlt. n Für Vergnügungen, hauptsächlich des Sonntags, machen 33 Arbeiterinnen Ausgaben in der durchschnittlichen Hobe von 1 ℳ; die Beträge schwanken von 0,75 bis 2 ℳ, bei Verdienst auch ausnahmsweise 3 Aus den bisherigen Mitteilungen ist aber bereits ersichtlich, daß besonders bei den mindergelohnten chon die notwendigsten Ausgaben den Verdienst meist auf⸗ jehren; es ist deshalz erklärlich, daß sehr viele Mädchen ihr Ver⸗ gnügen mit ihrem Bräutigam oder mit einem Herrn teilen, der

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für sie bezahlt. Eine Anzahl gehört Vereinen (Jungfrauen⸗, Arbeiter⸗,

heater⸗ und Sportvereinen) an, denen sie dann noch einen Beitrag von 0,10 in der Woche zahlen; andere besuchen die Versammlungen der Heilsarmee und auch mit Vorliebe die 8 Volksbühne. Bestimmte Angaben über den Aufenthalt am Abend machten 121, von denen 77 sich in ihrer eigenen Wirtschaft oder der ihrer Eltern und Wirte beschäftigten und 44 spazieren gingen oder die genannten Vereine besuchten. Es ist bereits oben erwähnt worden, daß weitere 195 gewerbliche Arbeit zu Hause leisten.

Sonntags gehen die jüngeren gewöhnlich in die beliebten Vororte, um frische Luft zu genießen. Genauere Angaben wurden von 381 Arbeiterinnen gesammelt; von diesen gingen 48 zu Ver⸗ wandten und mit diesen auch zu Vergnügungen, 93 gingen zur Kirche, 15 gingen grundsätzlich nicht dorthin, ohne andere Angaben zu machen; 22 gingen in Vereine, 5 zu ihren Kindern. 31 suchten 2 bis 3 mal monatlich Vergnügen, 91 an jedem Sonntag. 65 beschäftigten sich meist in der Wirtschaft, und 11 blieben stets zu Hause.

Die Fortbildungsschulen besuchen nur wenige, weil die Zeit fehlt, ebenso finden auch nur wenige in den Arbeiterinnenheimen ihre Unterhaltung.

Eine weitere Ausgabe ist für viele Arbeiterinnen das Fahrgeld zur Fabrik; von 78 Angaben betrug der Durchschnitt 0,88 Eine Anzahl hält sich eine Zeitung zum Preise von 0,15 wöchentlich, und andere geben noch an, ein Taschengeld zu ver⸗ brauchen, das sich mit dem oben für Vergnügen angegebenen Betrage decken mag.

Vergleicht man den Durchschnittsverdienst mit den Ausgaben, so ergibt sich, daß der erstere in Höhe von 11,36 durch die unentbehrlichsten Bedürfnisse aufgewogen wird. Diese berechnen sich für Wohnung und Essen im Durchschnitt zu 7,62 und im übrigen bei niedrigen Sätzen für Kleidung zu 1 bis 2 ℳ, Wäsche, Fceeing und Licht zu 0,50 bis 1 und zu 1 für andere kleine Ausgaben, Fahrgeld oder auch für das bescheidenste Vergnügen, zusammen mithin auf 10,12 bis 11,62 Alles andere kann also nur in Frage kommen, wenn die Arbeiterin noch von ihren Eltern unterstützt wird oder einen hohen Lohn verdient und dabei sparsam ist. Jede wesent⸗ liche Behinderung am Verdienen oder jeder außergewöhnliche Anspruch bringt sie in Not.

Ueber die vigelmäßig eintretenden Zeiten unzureichender Arbeit wurden 607 Arbeiterinnen genauer befragt. 34 von ihnen mußten die Arbeit bis zu einem Monat, 107 einen bis 3 Monate, 16 über 3 Monate ganz oder teilweise aussetzen. Die durchschnittliche Dauer der unzureichenden Arbeit betrug 2,2 Monate; betroffen

werden davon 25,8 % der Arbeiterinnen. Ueber die Lebenshaltung während dieser Zeit geringeren Verdienstes war nichts genaues zu er⸗ mitteln. Fast alle Arbeiterinnen gaben an, daß sie sich wie sonst be⸗ köstigen und die Mittel dazu aus Ersparnissen und Zuschüssen nähmen oder von Eltern und Wirtinnen auf spätere Abzahlung unterhalten würden. Nur 20 gaben zu, sich wesentlich einzuschränken; es dürfte aber anzunehmen sein, daß dies fast durchweg geschehen wird.

Die Mitteilungen der Gewerbeinspektion geben, wie sie selbst ausdrücklich betont, nur ein annäherndes Bild und bedürfen in vielen Hinsichten einer weiteren Prüfung, Ergänzung und Klärung.

Zur Arbeiterbewegung.

In Magdeburg sind, der „Magdeb. Ztg.“ zufolge, die Maler⸗ gehilfen in eine Lohnbewegung eingetreten. Eine am Mittwochabend abgehaltene Gehilfenversammlung lehnte zwar sowohl einen Antrag auf sofortige Niederlegung der Arbeit wie einen auf Hinaus⸗ schiebung des Streiks bis zur nächsten Saison ab, erklärte jedoch, an der Forderung von 45 Stundenmindestlohn für Gehilfen und 40 für Junggesellen und Anstreicher festhalten zu wollen. Nächsten Mittwoch soll, nachdem diese Forderung inzwischen den Meistern unterbreitet worden, über etwaige weitere Schritte beschlossen werden.

Wegen Lohndifferenzen sind nach der „Frkf. Zig.⸗ 99 Arbeiter der Metallwarenfabrik G. Knodt in Bockenheim bei Frankfurt a. M. in den Ausstand eingetreten.

Die von dem Arbeitgeberverband beabsichtigte Aussperrung der Verputzer und Fuger sowie der Maurer in Cöln (vgl. Nr. 117 d. Bl.), die sich weigerten, Verputzarbeiten auszuführen, ist, wie die „Rh.⸗Westf. Ztg.“ berichtet, noch nicht erfolgt. In mehreren Straßen F zu Ausschreitungen zwischen Streikenden und Arbeitswilligen gekommen.

Der Ausstand der Bäcker in TCassel (vgl. Nr. 120 d. Bl.) hat nach demselben Blatte für die Gesellen eine ungünstige Wendung genommen. Aus Cöln, Berlin, Leipzig und anderen Städten trafen zahlreiche Bäckergehilfen ein, die unter starker polizeilicher Bedeckung in die Stadt geleitet und sofort in Arbeit gestellt wurden. Der polizei⸗ liche Schutz hatte sich als notwendig erwiesen, da es am Bahnhof zu Zusammenrottungen der E kam, welche die fremden Gesellen verhindern wollten, die Stadt zu betreten. Der Zuzug Arbeitswilliger hat zur Folge gehabt, daß die Zahl der Ausständigen bereits auf 170 zurückgegangen ist. Die Bäckermeister sind zu einer Lohnerhöhung von 10 % geneigt. 3 8

In Mainz wurden, wie der „Köln. Ztg.“ telegraphiert wird, die Zimmerleute, die eine Lohnerhöhung verlangten und die An⸗ erkennung der bisherigen Lohnsätze verweigerten, am Sonnabend sämtlich ausgesperrt. Die Maurer sind bereits seit vier Wochen ausgesperrt. Val. Nr. 115 d. Bl.)

Tecklenb orgs Werft in Geestemünde (vgl. Nr. 120 d. Bl.) hat dem W. T. B.“ zufolge am Freitagnachmittag die weitere Einstellung von Arbeitern fortgesetzt, so daß die Zahl der aus besonderem Grunde nicht Wiedereingestellten nur gering ist. Die Werft ist, wie sie mit⸗ teilt, zur Zet derartig mit Aufträgen versehen, p sie mindestens die bisherige Zahl der Arbeiter auch fernerhin nötig hat.

Eine Versammlung von Arbeitgebern sämtlicher am Baugeschäft beteiligten Gewerbe in Bremen hat beschlossen, die Innungen der Tischler, Schlosser, Glaser, Maler, Dachdecker, Steinhauer und Stuckateure zu veranlassen, bis Montagabend zu der Aussperrung sämtlicher Bauhandwerker Stellung zu nehmen (vgl. Nr. 120 d. Bl.). 1

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Kunst und Wissenschaft.

A. F. In der Maisitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie wurde mitgeteilt, daß eine vom Museum für Völkerkunde nach Chinesisch⸗Ostturkestan entsandte Expedition in etwa einem Monat nach Berlin zurückkehren werde. Es ist ihr gelungen, die gestellte Aufgabe Untersuchung mehrerer unter dem Wüsten⸗ ande entdeckter Städte von hohem Alter zu lösen.

rofessor von Luschan legte etwa 15 aus Kameelhaut geschnittene, ewegliche und teils auf einer, teils auf beiden Seiten bunt bemalte menschliche Figuren von ungefähr 30 cm Höhe und 10 cm Breite vor, die er aus der Türkei mitgebracht hat. Sie sind Bestandteile des im ganzen Orient bekannten und häufig geübten Kargösspiels. Dies unserm Kasperletheater nahe verwandte Schattenspiel stammt ursprüng⸗ lich aus China und hat sich von da über ganz Asien verbreitet. In der Türkei wird die Herkunft des Spiels aus weiter Ferne dadurch angedeutet, daß die das Spiel begleitenden Textworte in eigentümlichem Dialekt gesprochen werden. Als ein Novum in der Völkerkunde wurde eine im Original vorgelegte, von Hauptmann von Seyfried beim Stamm der Wakonde in Ostafrika gefundene weibliche Brust⸗ und Bauchmaske bezeichnet. Zu ihr gehört als Ergänzung eine im gleichen Farbton gehaltene, karikierte weibliche Gesichtsmaske. Merkwürdige Mit⸗ teilungen über den Volksstamm der Huzulen, die an den Ostabhängen der genannten Karpathen, im Quellgebiet und am Ober⸗ lauf des Pruth wohnen, machte Dr. Träger aus eigenen, in den Dörfern der Huzulen selbst angestellten Beobachtungen. Die Huzulen werden zu den Ruthenen gerechnet, sie sprechen gleich diesen einen kleinrussischen Dialekt, von dem noch nicht untersucht ist, ob und welche Reste alter Sprachen er enthält. Sie sind in vielen Stücken

zuweisen ist, man habe es hier mit einem zu irgend einer Zeit von einem größeren Stamm abgesorengten Völkerrest zu tun, der zu seiner Sicherheit das Gebirge aufsuchte. Dr. Träger hat eine bedeutende Anzahl von Photographien aufgenommen, die übereinstimmend einen gesunden und kräftigen Menschenschlag, überwiegend von semmelblondem, schlichtem Haar zeigen. llen Volksgenossen eigentümlich ist ein psychologischer Zug, der dem Vortragenden noch nirgend anders in solcher Stärke entgegengetreten ist, nämlich ein negepee et ästhetisches Bedürfniß, alle und jede Gegenstände ihres Haushalts mit irgend welcher Zierat, irgend welchem Schmuck zu 1.. Die mitgebrachte und vorgelegte Sammlung ergab den Beweis für die Richtigkeit dieser Beobachtungen.

Ueber Studien im Tempel von Angkor⸗Vat in der jetzt zu Siam, früher zu dem unter französischem Prorektorat stehenden Kambodscha, gehörigen Provinz Angkor berichtete Dr. Stönner. Nach seinen von zahlreichen Lichtbildern begleiteten Mitteilungen ist diese Tempel⸗ anlage, in deren Nähe sich eine zweite, weniger gut erhaltene, Angkor⸗ Tom, befindet, von einer alle bekannten ähnlichen hinterindischen Tempel weit übertreffenden Großartigkeit. Dies bezeugt die 240 m betragende Länge und der aus drei massiven Terrassen mit 4 sie über⸗ höhenden Türmen bestehende, mächtige Aufbau. Der Schmuck der Mauern, sowohl der äußeren Umfassungsmauern der ersten Terrasse, die einen Hof von riesiger Ausdehnung einschließen, als sämtlicher Innenwände, besteht aus Steinreliefs von außerordentlicher Größe und fast unerschöpflichem Reichtum der künstlerischen Darstellunge Das Hauptportal, dem man sich über eine Freitreppe nähert, abweichend von sonstigem Gebrauch bei buddhistischen Tempeln nach Westen gerichtet. Dieser Umstand und viele andere Zeichen, vor allem manche Inschriften in Sanskrit bezeugen, daß der jetzt und seit Jahr⸗ hunderten Buddha geweihte Tempel von Bekennern des Brahma⸗ nismus erbaut worden ist und ursprünglich Wischnu geheiligt war.

„Ethnologische Nova aus Amerika’ betitelte sich der letzte Vortrag

des Abends, worin Dr. Ehrenreich von dem eigentümlichen Ein⸗ fluß berichtete, den Schamaner und Schamaninnen, Zauberer und Zauberinnen, auf die im fernen Westen der Union, namentlich im Washingtonterritorium wohnenden, von der Kultur bisher nur wenig berührten Indianerstämme ausüben. Recht merkwürdige Vorstellungen knüpfen sich vornehmlich das sogenannte „Geisterboot“. Dieser Begriff überrascht den Ethnographen, weil ihm bekannt ist, daß die Australneger eine gleichartige Vorstellu besitzen. Liegt hier eine ethnologische Parallele vor? Genau betrachtet, handelt es sich aber nur um eine sehr entfernte Aehnlichkeit, ja im Grunde genommen, haben das australische und das amerikanische Geisterboot gegensätzliche Bestimmung. Während ersteres glei Charons Nachen die Geister der Abgeschiedenen ins Geisterland ab⸗ zuschieben bestimmt ist, soll mittels des zweiten die Seele eines Schwerkranken, die als schon in der Unterwelt anwesend ange⸗ nommen wird, aus ihr zurückgeholt und dem Leben wieder⸗ 8 e werden. Das Geisterboot ist ein mit wunderlich ge⸗ taltetem und bemaltem Gerät ausgestattetes kleines Boot, das in die Hütte des Schwerkranken gebracht und in das der Kranke gelegt wird, worauf durch den im Boot sitzenden Schemen eine Zeitlang, wenn) es notwendig erscheint, sich 4 Tage hintereinander wiederholend, mit den Rudern Ruderbewegungen gemacht werden. Genest der Kranke wieder, so hat es sich als möglich erwiesen, die Seele aus der Unterwelt mittels des Boots zurückzuholen; stirbt er, so hat sich die Rückkehr in die Oberwelt als unmöglich erwiesen Auf einem ähnlichen Fundament beruhen die Krankheitsbeschwörungen mit Hilfe eines eigenartigen Reifenspiels, das in der Behausung des Kranken vom Schamanen oder von der Schamanin vorgenommen wird und bei dem hölzerne Reifen, die auf einem Quadranten gelb, auf dem zweiten rot, auf dem dritten blau, auf dem vierten 8 be⸗ malt sind, eine geheimnisvolle Rolle spielen.

an

Die Berichte über den bisherigen Verlauf der englischen Südpolarexpedition sind in England eingetroffen und werden von der R. Geogr. Society jedenfalls bald der Oeffentlichkeit über⸗ geben werden. Bisher ist nur ein Ueberblick über die wichtigen Er⸗ gebnisse bekannt geworden, die, wie wir Petermanns „Mitteilungen aus Justus Perthes Geographischer Anstalt“ entnehmen, von Kapitän Scott folgendermaßen zusammengefaßt werden: Ent⸗ deckung ausgedehnter Landmassen am Ostende der großen Eismauer; Nachweis, daß die Me Murdo⸗Bai keine Bucht, sondern eine Straße ist und daß die Vulkane Erebus und Terror auf einer verhältnismäßig kleinen Insel liegen; Auffindung eines guten unter 770 50“ S., 166° 42“ 0., mit Land in unmittelbarer Nähe, welches zur Anlage magnetischer Observatorien usw. geeignet ist; die niedrigste Temperatur betrug 600 F (51° O); eingehende physikalische und biologische Beobachtungen, die sich auf einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten erstrecken; aus⸗ gedehnte Schlittenreisen während des Frühjahrs und Sommers, auf denen die südliche Breite von 820 17“ erreicht und die Aus⸗ dehnung des Landes bis 830 30 entdeckt wurde mit Gebirgen bis zu 14 000 Fuß (4300 m) Höhe; Erreichung des Binneneises weit im Westen von der Küste in einer Höhe von 9000 Fuß (2700 m); zahlreiche magnetische Beobachtungen, Tiefseemessungen. Dredschzüge usw. Es bestätigt sich, daß die „Discovery“, als der Hilfsdampfer „Morning“ die Rückreise nach Neuseeland antrat, noch vom Eise besetzt war, doch Kapt. Scott hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, daß es ihm in einigen Tagen gelingen würde, sich von der Eisumklammerung freizumachen und die Forschungs⸗ fahrt fortzusetzen. Alle Vorräte an Proviant und Kohlen, welche Kapt. Colbeck auf der „Morning“ mitgebracht hatte, waren an Bord der „Discovery“ geschafft worden, so daß die Expedition in bester Ausrüstung der zweiten Ueberwinterung entgegensehen kann. Da aber die Befreiung der „Discovery“ aus dem Eise jedenfalls unsicher und es auch nicht ausgeschlossen ist, daß sie am 15 des zweiten antarktischen Sommers 1903⁄4 vom Eise besetzt bleibt, so ist die abermalige Entsendung der „Morning“ im Dezember 1903 eine un⸗ bedingte Notwendigkeit, damit sie für den ungünstigen Fall, daß die „Discovery“ vom Eise besetzt bleibt, Mannschaft, Sammlungen usw. zurückbefördern kann. 5 1 * 88

Man hat sich daran gewöhnt, in der Familie den ersten Keim des Staats zu sehen. Schurtz, der jüngst Enbreragen⸗ Direktor des Museums für Völkerkunde in Bremen, weist dagegen in seinem Werke „Altersklassen und Männerbünde“ nach, daß größere politische Gründungen von einer andern Kraft, dem Geselligkeits⸗ triebe der Männer, auszugehen pflegen. Nun beschäftigen sich auch die „Grenzboten“ im Anschluß an die genannte Publikation mit dem interessanten Gegenstand und bringen in ihrem letzten Heft einen Artikel, dem wir folgende Einzelheiten entnehmen: Auf Nukahiwa bilden Reiche und Arme Schmausgesellschaften in der Weise, daß die Wohlhabenden verpflichtet sind, in Hungersnöten den Schmaus auszurichten und die mit demselben Felchen tätowierten armen Mitglieder mitessen zu lassen. Bei einem Negerstamm in Kamerun ist der Klub als Altersversicherungsanstalt organisiert. Die Mitglieder zahlen im arbeitfähigen Alter Beiträge, meist in Gestalt von Feeteralen und erwerben damit den Anspruch, im Greisenalter vom Verein mit Kleidung und Nahrung versorgt zu werden. Bei den Kru, die sich den Europäern truppweise als Arbeiter verdingen, nehmen die Vereine die Gestalt der russischen Artelle an; ein älterer Mann schließt als Vorsteher den Vertrag ab und hält Disziplin unter seinen Burschen. 1 1”

Wie nun schon die Altersklassen dadurch eigentlich Geheimbünde werden, daß bei der Knaben⸗ oder der e t die Zauberkünste und Zauberformeln des Stammes mitgeteilt werden, so neigt der Klub mit seinen Graden erst recht der Geheimniskrämerei zu. Förmlüse⸗ Geheimbünde bestehen in Ozeanien wie im indischen Archipel, in Afrika und in Amerika zu dem Zweck, die Weiber und die Sklaven durch Furcht und Schrecken im Zaume zu halten. Von eit zu Zeit eSS scheinen vermummte Gestalten mit Tierköpfen oder scheußlichen Masken,

aber von ihren Nachbarn so verschieden, daß die Vermutung 688 ab⸗

die wüste Tänze aufführen, sich wild gebärden, beim Umherrennen jeden