1903 / 129 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Jun 1903 18:00:01 GMT) scan diff

Als einschneidendsten Erfolg der Aktion möchte i vorheben, daß die Mitschuld Bertuas an der Plehns nunmehr ihre Sühne gefunden hat.

Oesterreich⸗Ungarn. 8

Der Zollausschuß des österreichischen Abgeordneten⸗ hauses nahm, dem „W. T. B.“ zufolge, gestern die Tarifklasse

achstuch und Waren daraus“ unverändert an und beriet sodann die Tarifllasse Kautschuk und Waren daraus“. Der Ausgleichs⸗ ausschuß begann die Beratung des zurückgestellten Artikels 21 des Zoll⸗ und Handelsbündnisses, betreffend den Viehverkehr.

Im ungarischen Unterhause interpellierte gestern der Abg. Benedek (Kossuthpartei) über eine gegen den Professor Felix Somlo der Groß⸗Wardeiner Rechtsakademie gerichtete Eingabe von fünf Professoren der Rechtsakademie, in der Somlo beschuldigt wird, durch einen auf der Grundlage von Herbert Spencerschen Anschauungen ehaltenen Vortrag Agitation gegen Familie, Eigentum und Religion gebilligt und den strafrechtlichen Rechts⸗ schutz, den diese Institutionen genießen, als unrechtmäßigen Uebergriff des Staats bezeichnet zu haben. Benedek, der unter lärmenden Zwischenrufen der klerikalen Volkspartei sprach, fragte, ob der Unter⸗ richtsminister jene Eingabe der fünf Professoren energisch zurückweisen werde. Der Kultus⸗ und Unterrichtsminister von Wlassies erklärte, Professor Somlo habe evolutionistische Theorien dargelegt; er möge dabei im Ausdruck vielleicht übertrieben gewesen sein, doch könne deswegen nicht die Freiheit der Wissenschaft und die Lehrfreiheit eingeschräankt werden. Den Männern der Wifsenschaft könne nicht verwehrt werden, daß sie als soziologische Forscher öffentliche Insti⸗ tutionen zum Gegenstand der Kritik machten. Er billige nicht den Weg, den die fünf Professoren durch ihre Eingabe gewählt hätten, erkläre jedoch, daß kein Grund vorliege, wegen jener Eingabe gegen die Professoren vorzugehen. Die Antwort des Ministers wurde unter

Ulgemeiner Zustimmung zur Kenntnis genommen. 8

Frankreich. Im Auftrage Seiner Feaeestst des Deutschen Kaisers

prach gestern, wie „W. T. B.“ erfährt, der deutsche Bot⸗ schafter Fürst Radolin den Ministern Delcassé und

elletan persönlich den Dank aus für die der „Amazone“ gewährte Hilfeleistung. Der Marineattaché, Kontreadmiral Siegel begibt sich heute nach Brest, um im Auftrage Seiner Majestät den Marinebehörden aus dem gleichen Anlaß zu danken.

Die Kolonialgruppe des Senats besprach gestern mit dem Ministerprösidenten Combes die Ereignisse in Südoran. Der Ministerpräsident erklärte, die Regierung haebe alle nötigen Maßnahmen ergriffen. Drei Kolonnen seien 8 gebildet worden, um von drei verschiedenen Seiten vorzugehen und eine energische Unterdrückung zu sichern. Im Bedarfsfalle werde man die Streitkräfte in Südoran noch verstärken und neue Militärposten errichten. Die Regierung beabsichtige in keiner Form neue Gebietsteile zu gewinnen, und sie sei nur gewillt, den status quo und die Sicherheit der französischen Besitzungen in Algerien zu erhalten.

Der Seepräfekt von Brest, Admiral Gourdon, hat den Matrosen und Schiffsjungen des Schulschiffes „Bretagne“ seine Befriedigung über den Eifer ausgesprochen, mit dem sie

dem deutschen Kreuzer „Amazone“ Hilfe geleistet haben. Es ist nunmehr festgestellt, daß die „Amazone“ tatsächlich kein Lotsenboot auf offener See angetroffen hat, weil die Lotsen wegen Nebels die Küste nicht verlassen konnten.

Der Prior des Oblatenklosters in Lablachre ftet worden, weil er das Kloster hatte Zwischen der Gendarmerie und Anhängern er Mönche kam es zu einem Zusammenstoß, bei dem mehrere Personen verwundet wurden.

Einige Pariser Blätter melden aus Oran, daß der Generalgouverneur Jonnart sich geweigert habe, den Chef der marokkanischen Mission zu empfangen, der nach Saida ge⸗ kommen sei, um ihm das Bedauern über den Ueberfall bei Figig auszusprechen. Es heiße, die Militärbehörde werde dem marokkanischen Vertreter die Fortsetzun seiner Reise nach den Militärposten im äußersten Süden Algeriens nicht gestatten. Auf die Wachtposten des Forts von Beni Unif seien in der vergangenen Nacht zahlreiche Gewehrschüsse abgefeuert worden, die die Besatzung erwidert habe. Die Meldung, daß das Dorf Zenaga bereits bombardiert worden sei, bestätige sich nicht. Die Beschießung sei auf den nächsten Dienstag angesetzt.

(Dep. ist verha

umauern lassen.

Rußland. T. B.“ aus St. Petersburg gemeldet wird,

ie dem „W. zusolge⸗ der Kaiser den

enehmigte, dem „Regierungsboten“ 8d

Beschluß des Ministerkomitees, den Juden, bis zur Revision der Gesetze über die Juden auf dem Wege der Gesetzgebung, inner⸗ und außerhalb der in der Ansässig⸗ keitszone liegenden Gouvernements den Erwerb von Land und Immobilien sowie die Nutznießung derselben zu verbieten. Dagegen soll der jüdischen Bevölkerung gestattet sein, sich in den in ihrer Ansässigkeitszone gelegenen Ortschaften anzusiedeln, die infolge ihrer industriellen Entwickelung den Charakter von Städten annehmen, und dort Immobilien zu erwerben. Solcher Ortschaften gibt es bisher 101.

Italien.

Im Laufe der gestrigen Beratung der Deputiertenkammer über einen bereits seit einigen Tagen zur Verhandlung stehenden Antrag des Abg. Pantano, nach dem die Regierung aufgefordert werden soll, bezüglich der Eisenbahnfrage keine Verpflichtungen einzu⸗ ehen, bevor sie nicht dem Parlamente die Grundsätze mitgeteilt abe, nach denen die Regelung dieser Frage erfolgen solle, erklärte der Ministerpräsident Zanardelli, wie C B. erfährt: er hoffe, Pantano werde nicht auf seinem Antrage bestehen, denn die Regierung könne dem Parlament nicht Grundsätze an Stelle von konkreten Vorschlägen unterbreiten. Er selbst der Ministerpräsident sei stets für den Betrieb der Bahnen durch Private gewesen, er werde aber die Frage des Betriebs durch den Staat ernstlich und ohne Voreingenommenheit prüfen. Wenn man mit den rivatgesellschaften nicht zu Verträgen gelangen könne, die vorteil⸗ aft für das Land seien, werde die Regierung ihre Pflicht tun und dem Parlament den Betrieb durch den Staat vor chlagen. Der Ministerpräsident bat, den Antrag Pantano abzulehnen und einen An⸗ trag des Deputierten Rubini anzunehmen, nach dem die Regierung spätestens bis zum 30. November d. J. dem Parlamente konkrete Vorschläge machen solle. Der Antrag Pantano wurde hierauf in namentlicher Abstimmung mit 237 gegen 56 Stimmen bei 16 Stimm⸗ enthaltungen abgelehnt und der Antrag Rubini in einfacher Ab⸗

stimmung angenommen. Belgien.

Wie „W. T. B.“ aus Brüssel berichtet, öeschoß die permanente internationale Zuckerkommi sion in ihrer gestrigen Sitzung, zunächst die Gesetzgebung derjenigen Staaten in Beratung zu ziehen, die der Zuckerkonvention

nicht beigetreten sind. Die Kommission unterzog dann die Gesetzzebung Japans und Rumäniens einer Prüfung, doch wurde eine Beschlußfassung einstweilen aus⸗ gesetzt, weil gewisse Schriftstücke noch nicht eingegangen waren. Der Rest der Sitzung wurde der vorbereitenden Untersuchung von zwei Fens gewidmet, die auf der heutigen Tagesordnung stehen, nämlich der Liquidation der Vorräte und den Maßregeln, die zu ergreifen sind, um zu ver⸗ hindern, daß Prämienzucker bei der Durchfuhr durch Staaten, die Unterzeichner der Zuckerkonvention sind, der Fahlung der Kompensationsabgaben entgehe. Die Kommission beschloß, Amerika.

die Beratungen geheim zu halten. Die russische Gesandtschaft in

a nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“, Berichte aus St. Petersburg erhalten, die besagen, daß die Räumung der Mandschurei stetig fortschreite und die endgültige Zu⸗ rückziehung der Truppen im September erfolgt sein werde. Die chilenische Flottenabordnung ist von Monte⸗ video wieder nach Buenos Aires zurückgekehrt.

Aus Santiago de Chile wird gemeldet, daß Riesco

heute wieder die Präsidentschaft übernehmen werde. In⸗ fölgedessen werde eine Umbildung des Kabinett statt⸗

finden.

Wie dem „Standard“ aus Johannesburg gemeldet wird, hat die holländische Partei beschlossen, an den politischen Angelegenheiten in Transvaal tätigen Anteil zu nehmen. Versammlungen zu diesem Zweck sollen in Kürze einberufen werden.

Australien.

Aus Melbourne wird dem „W. T. B.“ berichtet, daß der Bundesminister für Handel und Industrie Kingston sich im Repräsentantenhause dahin ausgesprochen habe, seiner Ansicht nach könne Australien Großbritannien Vorzugsrechte vor dem Aus⸗ lande einräumen, ohne dadurch einen unerwünschten Ausfall an Ein⸗ nahmen herbeizuführen, wenn es die bestehenden Zölle gegenüber Großbritannien beibehalte und sie dem Auslande gegenüber erhöhe. Es sei die Pflicht Australiens, die Reichsregierung in jeder Weise zu unterstützen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Rittergutsbesitzer Julius von Bemberg⸗ lamers⸗ heim, Mitglied des Herrenhauses, ist am 1. .M. auf Burg Flamersheim (Rheinland) gestorben.

V. Internationaler Kongreß für angewandte Chemie. Die erste Plenarsitzung des

gresses für angewandte Chemie wur ittn um 10 Uhr eröffnet. In Vertretung Seiner Majestät des Kaisers war Seine Königliche Hoheit der Prinz Friedrich Heinrich von Preußen anwesend. Nach Begrüßung Seiner Königlichen Hoheit durch den Präsidenten wurde nachstehendes Huldigungstelegramm an Seine Majestät den Kaiser abgesendet:

An Seine Majestät den Kaiser.

Eure Majestät, den Erhalter des Friedens und erhabenen Förderer wissenschaftlichen und gewerblichen Fortschritts bittet der unter Teil⸗ nahme von 2500 Mitgliedern in Berlin tagende, zum ersten Male auf deutschem Boden versammelte Fünste Internationale Kongreß für an⸗ gewandte Chemie bei seiner Eröffnung begeisterte Huldigung und ehr⸗ furchtsvollen Dank für die ihm durch Entsendung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Heinrich von Preußen bewiesene Gnade entgegennehmen zu wollen. 1

Der Präsident. Witt.

V. Internationalen Kon⸗ e wurde am gestrigen Mittwoch

Dann folgte eine Ansprache des Staatsministers, Staatssekretärs Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner namens des Deutschen

Reichs: „Eure Königliche Hoheit! Hochgeehrte Herren!

Wenn auf dem Festzeichen dieses Kongresses die beiden Halb⸗ kugeln des Erdballs abgebildet sind, so bekundet sich darin offenbar das stolze Selbstbewußtsein der chemischen Wissenschaft, daß sie ihren geistigen und wirtschaftlichen Einfluß ausübt auf das Kulturleben der gesamten bewohnten Welt, und ferner lag darin die gastfreundliche Hoffnung, daß sich die Vertreter von Wissenschaft und Praxis aus allen gebildeten Staaten diesseits und jenseits des Ozeans an diesem Kongreß beteiligen möchten die sichtbare Erscheinung geistigen Weltbürgertums.

Ihrer Wissenschaft, meine Herren, ist es in stets fortschreitendem Maße gelungen, die Materie zu erforschen und zu beherrschen. In einem Kreise von so hervorragenden Kennern darf ich mich darauf be⸗ rufen, was die Chemie für unsere Industrie, insbesondere für unsere größten Industrien der Eisen⸗, Gewebe⸗, Leder⸗ und Glaserzeugung ge⸗ leistet hat. Sie hat es verstanden, die Erzeugungskosten unendlich zu verbilligen und gleichzeitig die Erzeugnisse selbst zu verschönen und zu veredeln und so nicht nur die Gegenstände einer verfeinerten Lebens⸗ haltung immer weiteren Kreisen zugänglich zu machen, sondern auch Geschmack und Kunstsinn zu heben. Mit wissenschaftlichem Ver⸗ ständnis geleitete landwirtschaftliche Betriebe haben, dank den Ent⸗ deckungen der angewandten Chemie, ihre Ernteerträge wesentlich ver⸗ mehren können. Die Rübenzuckerindustrie ist nur mit Hilfe der Chemie wettbewerbsfähig mit den Tropenzuckern geworden. Der Chemie ist es auch gelungen, durch die Erfindung wirk⸗ samer Sprengmittel Berge zu verseen und Täler zu füllen und so über die höchsten länderscheidenden Gebirgszüge eine Ausdehnung und Schnelligkeit des Verkehrs zu ermöglichen, welche eine mächtige Rückwirkung auf die gesamte Güter⸗ Irtns geübt hat. Und wenn die chemische Wissenschaft auch im Dienste des Menschenleben zerstörenden Krieges und seiner Hilfs⸗ maschinen steht, so kann sie mit desto mehr Nachdruck darauf hin⸗ weisen, in wieviel höherem Grade sie durch ihre Entdeckungen Schmerzen stillt und heilt, wie sie das Menschenleben vor ansteckenden Seuchen bewahrt und durch ihre Untersuchungen auf dem Gebiete der Nahrungsmittelindustrie fortgesetzt die mensch⸗ liche Gesundheit schützt. Es gibt wenige Wissenschaften, wo gelehrte Forschung und praktische Verwertung so eng miteinander verbunden sind wie in der chemischen Wissenschaft; die industriellen Anlagen und landwirtschaftlichen Betriebe sind ihre großen Laboratorien, und die dort gesammelten Erfahrungen geben wiederum der wissenschaftlichen Forschung immer erneute Belehrung und An⸗ regung. Und diese Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis findet ihren glänzenden Ausdruck auch in diesem Kongreß, wo wir die berühmtesten Forscher vereint sehen mit den Vertretern der großen Weltindustrien. Indem ich Sie namens des Deutschen Reichs be⸗ grüße, wünsche ich, daß Ihre Wissenschaft zum Heile der Menschheit immer tiefer eindringen möge in das Ig der Elemente, gestärkt durch den unerschütterlichen Glauben, daß forschende Geist lich doch die spröde Materie meistert.“ K1

Der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt hielt

namens des preußischen Staats folgende Ansprache: „Eure Königliche Hoheit! Hochansehnliche Festversammlung!

Wenn der Zusammentritt des V. Internationalen Kongresses für angewandte Chemie den Blick in erster Linie auf die überaus groß⸗ artige Entfaltung der chemischen Industrie lenkt, die allein in unserem Vaterlande jährlich Werte von mehr als einer Milliarde erzeugt, wenn dem Beschauer dabei deren Einwirkungen auf die verschiedensten Industrie⸗ zweige, auf Landwirtschaft, Heilkunde und so viele andere Arbeitsgebiete des öffentlichen und täglichen Lebens staunend bewußt werden, so ziemt es nicht minder, heute der wissenschaftlichen Grundlagen dieser Ent⸗ wickelung zu gedenken. Gestatten Sie darum heute mir als Chef der preußischen Unterrichtsverwaltung, ein Wort herzlicher Begrüßung an Sie zu richten. 3

Das Aufblühen der chemischen Industrie ist, wenigstens in Deutschland, aufs engste mit dem Universitätsunterricht ver⸗ wachsen. Wer vermöchte die Fülle der Anregungen zu er⸗ messen, die aus dem ersten kleinen Gießener Universitäts⸗ laboratorium Justus von Liebigs erflossen sind, dessen 100 jährigen Geburtstag wir soeben gefeiert haben! Wie der Gedanke, allen Studierenden an der Universität Gelegenheit zu praktischem Arbeiten zu geben, für andere Zweige unseres höchsten naturwissen⸗ schaftlichen Unterrichts vorbildlich geworden ist, so erwies er sich zu⸗ gleich als das fruchtbare Samenkorn, das, von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkend, an Unipersitäten und Technischen Hoch⸗ schulen weitergetragen, durch Liebigs Schüler, die selbst wieder als Meister der Forschung und Lehre ein neues Geschlecht heran⸗ bildeten, den Wunderbau der heutigen Chemie geschaffen hat. Soll ich nur an einige der bereits Dahingeschiedenen erinnern, die einst preußische Hochschulen geschmückt haben, an Wöhler, Mitscherlich, Rose, Magnus, an Bunsen, an Kekulb dem dankbare Ver⸗ ehrung in den nächsten Tagen dort, wo der Rhein mit seinen Wellen so mancher Burg bemooste Trümmer grüßt, ein würdiges Denkmal weihen will oder an Aug. Wilh. von Hofmann, der so lange die Zierde der Berliner Universität gewesen ist? Sie alle kennen sie, und viele von Ihnen, mögen Sie der reinen oder der angewandten Chemie, mag Ihr Beruf der Hochschule oder der Fabrik angehören, haben ihnen die unmittelbarste und reichste Förde⸗ rung zu danken. 1

Sind doch Wissenschaft und Praxis in der Chemie durch ein untrennbares Band verknüpft, und wie der allgemeinen wissenschaft⸗ lichen Ausbildung unserer Chemiker in der Industrie die wesentlichsten Fortschritte verdankt werden, so haben auch die chemischen Groß⸗

etriebe wissenschaftliche Laboratorien eingerichtet und in der Lösung forscherischer Probleme mit den Hochschulen gewetteifert. Die Deutsche chemische Ausstellung in Paris, die jetzt in der Charlotten⸗ burger Technischen Hochschule zu neuem Leben erstehen soll, legt davon Zeugnis ab, und ich erblicke es als ein nicht minder erfreuliches Zeichen für diesen Zusammenhang, wenn die deutschen chemischen Betriebe sich entschlossen haben, ihre für 1904 in St. Louis geplante Ausstellung mit der Unterrichtsausstellung zu vereinigen. Aber wenn ich von dem in Deutschland Erreichten, als dem mir Zunächst⸗ liegenden, gesprochen habe, so bleibt uns dankbarst bewußt, wie nicht minder das Ausland auf chemischem Gebiete vorangeschritten ist, wie⸗ viel insbesondere auch die deutsche Chemie, zumal in ihren Anfängen, dem Auslande schuldet und wie vor allem auf anorganischem Gebiete

von den Meistern anderer Nationen, die wir zum Teil hier zu be⸗ grüßen die Ehre haben, die größten, bei uns bisher nicht erreichten Erfolge errungen sind. Lassen Sie uns daran erinnern, daß hier wie überall Einseitigkeit und Stillstand zurückgehen bedeutet und nur dem friedlichen Wettkampf aller Nationen der Weg zu den höchsten Zielen offensteht.

Daß dieser Weg nur der des durch keine sonstigen Interessen be⸗ einflußten Forschens sein kann, darüber ist kein Zweifel. Eindringlich wie keine andere Wissenschaft lehrt die Chemie durch ihre Geschichte, daß die Früchte der Praxis nur an dem Baume der abstrakten Forschung reifen. Wenn die Chemie ursprünglich den Stein der Weisen suchte, der unedle Metalle in Gold wandle, oder die Panacee, die Unsterblichkeit verleihen sollte, wenn Paracelsus in ihr die Mittel zur Bekämpfung der Krankheiten fand wenn also nach Liebigs geistvoller Bemerkung die Chemie einst ganz unter dem Banne des Strebens nach irdischer Glückseligkeit stand dem wunschlosen, allem Praktischen abgewandten Forschen der chemischen Meister unserer Zeit ist es geworden, was die Vergangenheit vergebens er⸗ sehnte. Das Gold fand sich ein in der immer reicher empor⸗ blühenden Industrie und in der Hebung des nationalen Wohl⸗ standes. In Physiologie und Hygiene wie in der Auffindung kräftiger Heilstoffe hat der exakte Geist chemischer Forschung uns vielfa auch die Mittel zur Krankheitsbekämpfung zu eigen gemacht. Und sie selbst haben die Männer, die in selbstloser Arbeit und mit Verzicht auf praktischen Vorteil die Chemie zu dem gemacht haben, was sie heute ist, die Unsterblichkeit errungen. So lassen Sie mich hoffen und wünschen, daß dieser Geist in der Chemie fortwalte und auch Ihren Beratungen zum dauernden Segen sei. Mit diesem Wunsche heiße ich Sie namens der preußischen Regierung herzlich willkommen.“

Nach dem Minister sprachen: Bürgermeister Dr. Reicke, namens der Stadt Berlin, Professor Conze, namens der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, namens. der Universität Professor Dr. Gierke, namens der Technischen Hochschule Professor Kammerer und namens der Jubiläumsstiftung der chemischen Industrie Geheimer Rat Rietschel.

Es sprachen dann für Frankreich: Moissan, für Großbritannien: Tilden, für Oesterreich- Ungarn: Ludwig, für Rußland: Jacowkim, für Spanien: Don Vincente de Lafitte, für die Vereinigten Staaten: Clarke, für Italien: Paterno di Sessa. Im Namen der anderen noch nicht zu Worte gekommenen Länder sprach Lunge,

ürich.

Von den deutschen Gesellschaften kamen zu Worte: die Deutsche Chemische Gesellschaft (Liebermann), der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands (J. F. Holtz) und der Verein Deutscher Chemiker (E. A. Merck). Für die aus⸗ wärtigen Gesellschaften sprachen Fvan Levinstein, Manchester, und J. Eder, Wien.

Der Präsident gab sodann eine kurze Geschichte des Zustandekommens des V. Kongresses und schritt schließlich zur Konstituierung des Bureaus. Nach Bestätigung des Ehrenpräsidenten. Clemens Winkler, der durch Ferankheit am Erscheinen verhindert ist, wurden durch die Versammlung auf Vorschlag von Moissan der Präsident, die Vizepräsidenten sowie der Sekretär bestätigt. Eine stattliche Anzahl von Chrenvizepräsidenten wurde zur Wahl vorgeschlagen und durch Akklamation bestätigt.

Statistik und Volkswirtschaft.

In der von Professor Dr. Albrecht herausgegebenen „Zeit⸗ schrift für Wohnungswesen“ erörtert der Beigeordnete Dominicus in Straßburg i. E. die Gestaltung der städtischen Wohnungsaufsicht unter prinzipiellen Gesichtspunkten. Der Verfasser hält die Ernennung einer nicht zu großen Zahl von Wohnungspflegern für praktisch. Für eine Stadt von 150 000 bis 200 000 Einwohnern genügen nach seiner Meinung 15 bis 20 solcher Pfleger, denen je zu zweien oder dreien ein Distrikt zugeteilt wird. In diesem sollen sie gemeinsam mit einem im Hauptamt angestellren Bautechniker (Wohnungsinspektor) besichtigen. Dieser

nimmt über die vorgefundenen Mangel sofort ein Protokoll auf und macht gemeinsam mit dem Pfleger die nötigen Besserungsvorschläge. Hierauf soll im Regelfall (wenn nicht wegen besonderer Wichtigkeit des Falls nochmalige Besichtigung durch andere Sachverständige erscheint) der Vorsitzende des Wohnungsamts (ebenfalls

nötig ein Beamter) ohne weiteres entsprechend jenem Antrage die Auflage⸗