1907 / 294 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Dec 1907 18:00:01 GMT) scan diff

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3 eben werden,

punkt haben wir das größte Interesse, solchen kleinen Schikanen aufs schärfste zu begegnen. Ueberhaupt ist ein allgemeiner Nach⸗ teil der Vorlage, daß viel zu viel polizeiliche Angst vor dem roten Gespenst zwischen den Zeilen zu lesen ist. Ich erinnere an die Worte des Grafen Posadowsky, als er in der vorigen Session diese Vorlage ankündigte, es klang so, als ob man mehr an die Nähe der russischen Grenze als an die Nähe der französischen Grenze dachte. it der polizeilichen Anzeige muß gründlich aufgeräumt werden. Es bedeutet eine immense Ueberschätzung der polizeilichen Gewalt und der Be⸗ deutung der polizeilichen Willkür zu Gunsten der Staatsordnung, wenn man solche kleinen vormärzlichen Geschichten in das Gesetz bringt; es müßte genügen, daß dem Staate das Recht zur Ueber⸗ wachung der Versammlungen, wie es in einer großen Zahl von Staaten besteht, eingeräumt wird ohne die gleichzeitige Pflicht zur An⸗ zeige. Das Recht zur Ueberwachung können wir niemals inhibieren. Einen Mittelweg zeigt uns die württembergische Gesetzgebung, welche die öffentliche Bekanntmachung der polizeilichen Anzeige gleichstellt. Ich erwarte, daß die verbündeten Regierungen den Wünschen auf dieser Seite des Hauses unter allen Umständen Rechnung tragen und die öffentliche Bekanntmachung der polizeilichen Anzeige unter allen Umstüͤnden gleich erachten. Die Bedenken gegen den Begriff „Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten“ teile auch ich. Nach der Rechtsprechung können als politische Vereine auch Vereine zur Bekämpfung der Vivisektion, Turnvereine, Lehrlingsvereine, alle Berufsvereine, fast sämtliche wissenschaftlichen Vereine usw. erklärt werden. Wenn ein Rauchklub mit einem noch so friedlichen Namen wie „Friedenspfeife“ einmal über eine höhere Besteuerung des Knasters debattiert, so fällt er unter die öffentlichen Vereine nach der Judikatur des Oberverwaltungsgerichts und des Kammergerichts. Ebenso ist es mit dem Begriff der öffentlichen Versammlungen. Ein Frauenkomitee in Hamburg zur Abschaffung der Bordellwirtschaft, das in einem Privathaus über interne Vereinsverhältnisse beriet, erhielt einen Schutzmann zur Ueberwachung, der sogar in einem an⸗ maßenden Tone einen besonderen Tisch und Stuhl verlangte. Eine solche Ausdehnung des Begriffs der öffentlichen Versammlung darf nicht geduldet werden, wir müssen eine legale Definition in das Gesetz bringen. Gefährlich ist auch die allgemeine Befugnis der Polizei zur Auflösung von Vereinen. Wir müssen dagegen Rechtsgarantieen schaffen, vor allem eine Beschwerde im Verwaltungsstreitverfahren oder im Rechtsverfahren. Auch die Gefahr der Einführung eines Präventivverbots besteht. Wir müssen also einer solchen Ausdehnung allgemeiner Begriffe in dem Gesetz einen Damm vorschieben. Bei der crux der ganzen Vorlage, dem § 7, hat der Bundesrat selbst gefühlt, daß diese Bestimmung aus kulturellen Gründen nicht Sberoll durchgeführt werden kann, weil es eine Bloßstellung vor dem Auslande bedeuten würde, wenn bei wissenschaftlichen, künstlerischen und ähnlichen internationalen Kongressen erst die Landeszentralbehörde entscheiden soll, und er hat deswegen auch allgemeine Bestimmungen in den Motiven vorgesehen. Die Anerkennung dieses inter⸗ Schamgefühls, wie ich mich ausdrücken will,

muß im Gesetz selbst ausgedrückt werden. Auch für politische Kongresse muß das gelten. Im nächsten Jahre findet in Berlin der interparlamentarische Kongreß statt von Mitgliedern fast sämtlicher Parlamente der Welt. Welchen Eindruck müßte es bei den Kollegen der anderen machen, wenn erst das Berliner Polizeipräsidium gestatten müßte, daß auch Englisch und Französisch gesprochen wird. Schon die bloße Eingabe an das Polizeipräsidium müßte uns vor der politischen Welt bloßstellen. ger § 7 betrifft allerdings die gemischtsprachigen Gebiete. Ueber Elsaß Lothringen sind wirderselben Anschauung wie der Abg. Dr. Grgoire. Wir würden bedauern, wenn die Pazifikation Elsaß⸗Lothringens da⸗ durch gestört würde, daß man die erst neuerdings garantierten Rechte der Elsaß⸗Lothringer in den gemischtsprachigen Bezirken unter die Wilkür der Administrativbehörden stellen würde. Das wäre eine politische Kurzsichtigkeit, und wir würden dadurch die Sympathien für das Deutschtum untergraben. Unter allen Umständen darf ein solches Zurückschrauben der Rechte nie und nimmer von der Regierung auch nur versucht werden. Dasselbe gilt aber mutatis mutandis von den paar tausend stamm⸗ verwandten Dänisch sprechenden Schleswigern. Es würde kolossal un⸗ gerecht sein, mit derartigen Kampfbestimmungen gegen die kleine Schar von dänischen Schleswigern vorzugehen, deren ältere Generation die deutsche Sprache gar nicht gelernt hatte. Wer hätte denn den Nutzen? Nur die deutschfeindliche Bewegung. Die deutschfeind⸗ liche Kopenhagener „National Tidende“ erklärt, es könne den Dänen anz recht fein, wenn die fortschreitende Nationalisierung durch solche Beimmungen zum Stillstand gebracht würde. Auch für die litauischen, wendischen und masurischen Sprachgebiete müßte an sich im Gesetze selbst der Mitgebrauch der fremden Sprachen zugelassen sein. Dann bestände aber die Gefahr, daß die Bestimmung gegen die Polen noch mehr den Charakter eines Ausnahmegesetzes annehmen würde. Auch wenn man auf dem Standpunkt der verbündeten Re⸗ gierungen steht, ist die polnische Frage äußerst kompliziert. Auch der Abg. Trimborn müßte zugeben, daß die Politik der Polen nicht immer einwandsfrei oder deutschfreundlich ist. Was im Schulstreik gefündigt wurde, die fanatische Maßlosigkeit in Versammlungen und dergleichen können die Stellung der polnischen Nation nicht verbessern, sie wirken bloß verbitternd und verschlechtern die Stellung der Polen in der öffentlichen Meinung. Die Vorgänge in Lemberg und Wien trugen am meisten dazu bei, daß angenommen wurde, es handle sich hier nicht bloß um eine preußische, sondern um eine großpolnische Frage. Auch das deutsche Parlament hat ein Recht, zu protestieren gegen die Einmischung der slawischen und klerikalen Partei Oesterreichs in unsere inneren politischen Angelegenheiten. (Zuruf des Abg. Led e⸗ bour: Kommen Sie doch heraus mit Ihrer reaktionären 2 einung!) Bei den Sozialdemokraten ist ja der Größenwahn so gediehen, daß sie auch die neulichen Vorgänge hier im Reichstage als von der blassen Furcht vor der Sozialdemokratie diktiert erklären. Ich spreche doch nicht von den hiesigen Polen; verstehen Sie es nicht, daß ich von den österreichischen Polen spreche? (Große Unruhe; Vizepräsident Paasche bittet den Abg. Ledebour, keine Zwischenrufe zu machen, und den Redner, sich nicht auf solche einzulassen.) Wir haben die größten Bedenken gegen den § 7 bezüglich der polnischen Gebiets⸗ teile da, wo es sich um eine eingewurzelte polnische Bevölkerung uad wo es sich um gemischtsprachige Bezirke handelt. Ich halte für dringend nötig, daß in den polnischen Landesteilen der Beamte auch die polnische Sprache lernt; nur dann wird er seine Beamten⸗ autorität auch den Polen gegenüber wahren. Nicht den Polen, sondern dem Staatsinteresse zuliebe möchten wir, daß der Beamte auch Polnisch lernt. Darum geben Sie der polnischen Bevölkerung, wenn Sie die Frage großzügig lösen wollen, eine gute deutsche Schul⸗ bildung. Es scheint doch manches in dieser Beziehung gesündigt worden zu sein; es ist in dieser Richtung nicht alles zum besten geordnet. Dann scheint es uns eine große Gefahr, daß ein solches Sprachverbot die Agitation aus der Oeffentlichkeit in die Vereine und die Konventikel und Familienkreise hineintreiben wird, wo sie viel gefährlicher ist als in den Versammlungen und Vereinen, wo sie überwacht werden kann. Es gibt aber noch ein Drittes und noch Gefährlicheres, was die Wirkung dieser Vorschrift sein würde Wir schaffen damit ein Martyrium, einen Nimbus, der die groß⸗ volnische Agitation gegen das Deutsche Reich in der ganzen Wel vor allem in dem verbündeten Oesterreich, fördert und stärkt. ves. sind in einer Serie von Artikeln in der rechtonc ionalliberalen „Münchener Allgemeinen“ Zeitung geltend ge⸗ macht Die Herren sehen also, daß auch in nationalliberalen Kreisen 8 fis bche. Gefahr eines derartigen Kampfrufes nicht unter⸗ schätzt wird. Andererseits muß ich gerechterweise zugeben, daß der bis⸗ herige Zustand leicht zu einem Ausnahmegesetz gegen die Deutschen werden kann. Im württembergischen Abgeordnetenhause wurde in den letzten Tagen lebhaft darüber geklagt, daß die deutschen Ver⸗ sammlungen dadurch gesprengt werden, daß in ihnen plötzlich ein polnischer Agitator auftritt. Wenn die Poltzel das Recht der Ueberwachung hat, so muß ihr auch die praktische Möglichkeit diese öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Alle diese komente müssen bei der Neufassung des 8 7, die wir als eine

unbedingt notwendige ansehen, berücksichtigt werden. Die Rechte des Staates müssen in Einklang gebracht werden mit Interessen, deren Verletzung geradezu eine der großpolnischen Agitation be⸗ deuten würde. So, wie dieser § 7 jetzt lautet, wird er nach unserer Ueberzeugung kaum eine Mehrheit in diesem Hause finden. Wir werden unsererseits alles tun, um die berechtigten Interessen beidor Teile, einerseits des Staats, andererseits der betreffenden Landesteile, in Einklang zu bringen. Wir bedauern, daß die Wünsche, welche die Mehrheit des Reichstages in ihrem Beschluß von 1896 ausgesprochen hat, nach zwei Richtungen nicht berücksichtigt sind. Einmal bezüglich der Wahlversammlungen. Die Regierung hat selbst gefühlt, daß sie die Wahlversammlungen anders behandeln müsse als die anderen Ver⸗ sammlungen. Sie hat infolgedessen die zwölfstündige Anzeigefrist eingeführt. Die ist nach unserer Ueberzeugung vollkommen wertlos. Diese Versammlungen finden alle Nachmittags oder Abends statt; wie soll da die Frist eingehalten werden? Sollen sich etwa die Leute Nachts 12 Uhr oder früh 6, 7 Uhr an die Polizeiverwaltung wenden? Das bayerische Gesetz kennt eine solche Anzeige nicht.

glaube berechtigt zu sein, zu sagen: die bayerische Regierung hat alles aufgeboten, um diese Bestimmung auch dem Reichsgesetz einzu⸗ verleiben. Leider ist es ihr nicht gelungen. Bayern hat mit dieser Bestimmung die allerbesten Erfahrungen gemacht. Selbst das reaktionärste Vereinsgesetz nach dem russischen und sachsen⸗ weimarschen, das österreichische Gesetz von 1867, hat eine der⸗ artige Bestimmung, auch das ungarische und das italienische. Es ist ein Forderung der Gerechtigkeit und politischen Ver⸗ nunft, des gesunden Menschenverstandes geradezu, daß in den Zeiten größter politischer Kraftentfaltung das Volk nicht mit kleinlichen polizeilichen Vexationen verärgert wird, sondern daß es nach Maßgabe des gemeinen Rechts seine Meinung aussprechen kann. Wir sprechen hier aus eigener Die Herren von den Verwaltungsbehörden, von den verbündeten egierungen ahnen gar nicht, welche Propaganda gerade diese kleinlichen Vexationen in den Wahlzeiten zu Gunsten der Sozialdemokratie machen. Diese Bestimmung ist weiter nichts als ein Korrelat, eine logische Konsequenz zu der Bestimmung der Gewerbeordnung, die von der behördlichen Genehmigung die Verteilung aller Drucksachen vom Tage der Bekanntmachung der Wahl an befreit. Die politische Gesamtwirkung der Schrift ist doch tausendmal größer als das ge⸗ sprochene Wort. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an die Parteien und die verbündeten Regierungen die dringende Bitte richten, endlich einmal auch die leidige Plakatfrage zu lösen. Vor kurzem durfte in der Freien Hansestadt Hamburg nicht über das Thema „Sexuelle Ethik“ gesprochen und darüber kein Plakat veröffentlicht werden, weil sexuelle Ethik etwas vollkommen Unsittliches sei. Die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung liegt der erdrückenden Mehrheit des deutschen Volkes im Blut. Die Regierungen können also Vertrauen haben, von der Polizeibehörde kann man leider nicht dasselbe sagen. Ich vermisse dieses Vertrauen auch in einem zweiten Punkt. Dieses Besetz soll nach unserer Ueberzeugung der Grundstein sein zu einer völligen staatsbürgerlichen Gleichstellung der deutschen Arbeiter.

Die jetzige Behandlung der Gewerkschaftsbewegung wirkt ge⸗ radezu wie ein Ausnahmegefet gegenüber dem deutschen Arbeiter, das diesen schwer bedrückt. Es wäre die aller⸗

beste Unterstützung der bürgerlichen Arbeiterbevölkerung im Kampfe gegenüber der Sozialdemokratie, wenn in dieser Beziehung mehr geschaffen würde; erst dann wird der deutsche rbeiterstand in allen seinen Schichten als ein gleichwertiger Faktor in unserem deutschen Volkskörper fühlen. Deshalb halten wir es für dringend notwendig, daß eine Bestimmung getroffen wird, die bereits in dem Entwurf von 1896 enthalten war, daß Zwecke, die unter den § 153 der Gewerbeordnung fallen, als politische oder öffentliche Zwecke nicht anzusehen sind. Auch ich meine, nicht die Normen dieses Gesetzes, sondern ein liberalerer Zug in unserer Verwaltung bei der Anwendung dieses Gesetzes ist die Hauptsache. Hier gilt Machiavellis Grundsatz, daß Gesetze allein nichts helfen, es müssen die guten Sitten hinzukommen, um sie zu erhalten. Leider sind diese guten Sitten von den deutschen Polizeibehörden sehr häufig verletzt worden. Es wird Pflicht des deutschen Parlaments

sein, gerade die Durchführung dieses Gesetzes einer gewissen⸗ haften kritischen Kontrolle immer wieder zu unterziehen. resümiere mich: wir bedauern prinzipiell, die ver⸗

da

bündeten Regierungen mit der Beseitigung des polizeilichen Miß⸗ trauens nicht radikaler vorgegangen sind, erkennen aber igern an, daß der vorliegende Entwurf ein begrüßenswerter Fortschritt und eine passende Grundlage ist zu einer freiheitlicheren Gestaltung unseres öffentlichen Staatslebens. Wir hoffen und wünschen, daß es der Kommission gelingt, ein Gesetz zu schaffen, das nicht nur zu begrüßen ist von dem Standpunkt des Satzes: ein Volk, ein Recht, sondern auch von dem Standpunkte: ein zur politischen Freiheit reifes Volk, ein freiheitliches Recht. Wir sind durchdrungen von der Ueberzeugung, daß ein derartiges Gesetz unter allen Umständen zum Segen des deutschen Volkes und des deutschen Vaterlandes gereichen wird.

Abg. Fürst Radziwil!] (Pole): Wenn ich das Wort ergreife, so werden Sie wahrscheinlich annehmen, daß ich nach den Vor⸗ würfen, die nicht bloß unserer Fraktion, sondern unserem ge⸗ samten polnischen Volkstum gemacht worden sind, in erster Linie mich berufen fühle, das zurückzuweisen. Nehmen Sie nicht an, daß ich vergessen werde, daß ich hier im deutschen Parlament spreche, und daß ich mich streng an die Bestimmung halte, daß jeder Vertreter dieses Hauses das Interesse des ganzen Reichs zu vertreten hat. Ich muß also die unerhörten und vollständig un⸗ bewiesenen und unbeweisbaren Angriffe gegen unser Volkstum und seine legitime Vertretung in diesem Hause zurückweisen. Ich erkenne vollständig den Pon einer objektiven, ich möchte sagen freibeitlichen Auffassung an, die der Staatssekretär sich bemüht hat, in seiner einleitenden Rede zum Ausdruck zu bringen. Aber er wird sich doch wohl kaum der Auffassung hingeben können, daß er mit diesen Ausführungen einen großen und überzeugenden Widerhall in diesem Hause gefunden hat. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß,

wenn der Staatssekretär davon ausgegangen ist, es hätte sich darum

gehandelt, die Ueberreste aus der Rumpelkammer des alten Polizei. staats zu beseitigen, niemand den Eindruck hat haben können, daß dies durch den Entwurf gelungen ist. Ich kann mich um so kürzer fassen, als die Ausführungen der Abgg. Trimborn und Heine wohl darüber keinen Zweifel gelassen haben, daß von einem freiheitlichen Zuge in dem Gesetzentwurf, wie er hier vorliegt, nicht die Rede sein sann. Der Staatssekretär hat sich aber auch berufen gefühlt, mit besonderem Nachdruck den Teil der Motive hervorzuheben, der sich gegen den Gebrauch der Muttersprache innerhalb unseres Bevölkerungskreises wendet. Der Staatssekretär wird doch nicht die Tatsache ableugnen wollen, daß im Deutschen Reiche Millionen deutscher Reichsangehöriger wohnen, deren Muttersprache eben die polnische ist. Und wenn er auf die Vorschrift des Gebrauchs der deutschen Sprache bei den Behörden usw. verwiesen hat, so wird er doch zugeben, daß es sich hier um den Verkehr von Nichtdeutschen unter sich handelt, um den Verkehr der nach Millionen zählenden polnischen Volksgenossen, denen doch nicht kurzweg ein Recht versagt werden kann, welches allen übrigen Reichsbürgern zu⸗ gesprochen ist. Wir, die wir im preußischen Abgeordnetenhause die Interessen unserer Volksgenossen in deutscher Sprache ver⸗ freten haben, haben Ihnen bewiesen, daß wir unseren Mann stehen. Aber anders ist es doch in den polnischen Volkskreisen, bei dem Verkehr der Volksgenossen unter sich. Gegen die Worte des Staatssekretärs und der Motive, durch die die polnischen Reichsangehörigen als illoyal bezeichnet werden, erhebe einen feierlichen Protest. Dieser Protest richtet sich auch gegen die Abgg. Dietrich und Hieber, die eine Diffe⸗ renzierung in der Loyalitat unseres und anderer Volksstämme machen wollten. Dafür lagen keinerlei Beweise vor. „Wer Behauptungen aufstellt, die er nicht beweisen kann, der verdächtigt, und als beweis⸗ lose Verdächtigung muß ich den Vorwurf der Absonderungsgelüste hinstellen, die unserem Volksstamme untergeschoben werden, auch von den verbündeten Regierungen; bisher war das nur in Preußen üblich.

Alle die Herren, die diese Verdächtigung aufgestellt haben, fordere ich

heitliche

auf, Beweise zu liefern, andernfalls muß ich ihre Ausführungen als Verleumdungen bezeichnen.

Vizepräsident Dr. Paasche: Sie haben nicht das Recht, auch nicht in hypothetischer Form, Behauptungen von Mitgliedern des Ss als Verleumdungen zu bezeichnen. Ich rufe Sie deswegen zur

rdnung. (Lebhafter Widerspruch. Zurufe: Das hat er gar nicht getan!) Sie haben von Verleumdungen gesprochen.

Abg. Fürst Radziwill (fortfahrend): Die polnische Sprache gibt nicht, wie das hier behauptet wurde, einen Deckmantel irgend welcher deutschfeindlicher Absonderungsbestrebungen. Es ist vollständig un⸗ angebracht, wenn auch in den Motiven eines solchen Gesetzes solche unbeweisbaren Behauptungen stehen. Ich kann den Satz geradezu umkehren: Unbewiesene und unbeweisbare Absonderungsgelüste werden hier als Deckmantel gebraucht, um einen den Deutschen gleich⸗ berechtigten Volksstamm in seinen vitalsten Interessen zu schädigen, in seiner kulturellen Entwicklungsfähigkeit zu unterbinden und ihn auf diese Weise ökonomisch und geistig zu vernichten. Denn wie stimmt es zusammen, wenn man gleichzeitig über polnische, deutschfeindliche Absonderungsgelüste klagt und anderseits durch § 7 dort, wo das Bedürfnis des Volkes gerade dahin geht, diejenige Mitarbeit zu leisten, die in der Besprechung allgemeiner, allen Teilen des Reichs gemeinsamer politischer Gesichtspunkte liegt, ihm durch das Verbot des Gebrauchs der Muttersprache einen Knebel in den Mund zu stecken? Auch abgesehen von diesem monströsen § 7, ist das Gesetz außerordentlich unklar in einer Reihe von Begriffs⸗ bestimmungen; wird hier nicht gründliche Veresernieen in der Kommission geleistet, so bleibt es bei der bisherigen Willkür der Polizeigewalten, ja diese Willkür wird noch mehr um sich greifen, obwohl auch bei uns schon das Menschenmögliche wird, indem sie sogar tief in die Familienverhältnisse hineindringt, und alles bis zu den Liebhabertheatern zum Gegenstande ihrer Ver⸗ folgungssucht macht. Der Reichskanzler hat aus der Polenfrage eine vebensfrage für das Deutsche Reich und Preußen gemacht und bei der Eröffnung des Landtags die Antipolenpolitik als die Achse der ganzen deutschen und preußischen Politik hingestellt und sich dabet auf den Vorgang Friedrichs des Großen berufen. Ueber die Politik jenes autokratischen Königs will ich nicht sprechen, aber den Herrn Philosophen aus der Wilhelmstraße im 20. Jahrhundert, als den ich wohl den Staatssekretär des Innern ansehen darf, möchte ich auf⸗ fordern, sich ein Beispiel zu nehmen an dem großen König, dem

hilosophen von Sanssouci Ausgangs des 18. Jahrhunderts. Der at sich zu seinen Lebzeiten ein Denkmal gesetzt in der Mühle von Sanssouci, vielleicht schöner als das Denkmal Rauchs, ein Denkmal des Respekts, den der große König vor der freien Auffassung eines preußischen Bürgers hatte, der sich auf dem Boden des Rechtsstaats sicher fühlte, auch dem Willen des Königs gegenüber. Den Aus⸗ spruch: „Es gibt noch Richter in Berlin’ wollen die Herren heute nicht mehr als die Grundlage des bürgerlichen Staatsbewußtseins an⸗ erkennen; denn ist es nicht eine Negation des Eigentumsrechts und der Sicherheit des Eigentums, des Fundaments der staatlichen Ge⸗ sellschaftsordnung, wenn ein preußischer Justizminister im Ab⸗ geordnetenhause bei Gelegenheit der Kundgebung seiner Auffassung über das, was beim gewöhnlichen Expropriationsgesetz öffentliches Wohl heißt, dieses mit dem Staatswohl identifiziert und zugleich dabei im Namen dieses Staatswohls an Stelle jedes Rechts das administratirve Gutdünken einer nichtrichterlichen Behörde setzt, die über Sein oder Nichtsein von Millionen deutscher Staats⸗ bürger und Reichsangehöriger zu entscheiden hat? Der Reichskanzler berief sich auch auf den Fürsten Bismarck; aber Windthorst sagte damals: Der Fürst muß bleiben, der eiserne Kanzler, der diese Gesetzgebung der Leidenschaft geschaffen hat, der ist allein der Mann, der sie wieder redressieren kann. Ich würde es bei dem jetzigen Reichskanzler nicht als Mangel an Größe ansehen, wenn auch bei ihm die Ueberzeugung sich mehr und mehr durchringt, daß die Polenpolitik, die nur eine partielle Fortsetzung der Kulturkampfpolitik war, auch einmal verdient, revidiert zu werden. Der Justiz⸗ minister hält das öffentliche Wohl für identisch mit dem Staatswohl! Wissen denn die Herren in der Regierung, im Reich und in Preußen nicht, daß der Begriff des öffentlichen Wohles in der Geschichte die größten Verbrechen veranlaßt hat? Fiel nicht in der französischen Revolution das Haupt Ludwigs XVI. und anderer unter der Gutllotine? Wurde nicht das öffentliche Wohl vorgeschützt, als das edelste Blut Frankreichs in Strömen auf den Straßen in Paris an der Richtstätte floß? Hat nicht neulich der Reichskanzler daran erinnert, wie unter der Kommune Ordensleute und ein Erzbischof Fischer ihr Blut vergießen mußten, Hach unter dem Begriff des öffentlichen Wohls, deren einziges Verbrechen es war, daß sie geist⸗ liche Kleider trugen und ihr Leben der selbstlosen Nächstenliebe hin⸗ gegeben hatten? Mit dieser Auffassung des öffentlichen Wohles dürfen Sie uns nicht kommen, wir verlangen objektive Rechtsnormen. Das Staatswohl involviert das Wohl aller Bürger im Reich und in Preußen, und von Ausnahmen darf nicht gesprochen werden⸗ Wenn wir heute nicht mehr das Vertrauen zu der Regterung haben mit dem sonst der Staatsbürger an seine Obrigkeit appellieren darf, so hoffen wir wenigstens, im Deutschen Reichstage ein Verständnis dafür zu finden, wenn sich unser Appell an eine wirklich frei⸗ Auffassung des Ber,sen richtet, und wir hoffen, daß dieser Appell in der deutschen Volksvertretung nicht ohne Echo bleibt. Diese Bestimmungen gegen den polnischen Volksstamm haben in der ganzen zivilisterten Welt einen Schrei der Entrüstung aus⸗ gelöst. Ich meine das nicht in dem Sinne, als ob das deutsche Selbst⸗ gefühl beleidigt worden sei, in allen diesen Kundgebungen hat sich die Achtung und hohe Würdigung der Stellung, die Deutschland unter den Kulturnationen der Welt einnimmt, gleichfalls kundgegeben. Und nur dem brutalen Faktum der Vorlegung dieser Gesetzentwürfe in Preußen und im Reich ist dieser elementare Ausbruch der communis opinio der ganzen zivilisierten Welt gefolgt. Ich darf daher ohne erletzung des deutschen Selbstgefühls, der ich immer fern gestanden habe, annehmen, daß Sie in diesem Sinne die Folgen aus diesen Kundgebungen ziehen werden.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Reichsamts des Innern, Staatsminister von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Ich werde auf den zweiten Teil der Rede des Herrn Abg. Fürsten Radziwill nicht eingehen. Wir verhandeln heute das Vereinsgesetz (sehr richtig! rechts), und ich werde mich an die Tagesordnung halten. (Sehr richtig!)

Der Herr Abg. Fürst Radziwill hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich in meinen gestrigen Ausführungen gegen seine Stammes⸗ genossen Vorwürfe erhoben hätte, die ich nicht beweisen könne. Ich habe von polnischen Stammesgenossen gestern kein Wort gesagt (sehr richtig! rechts); ich habe gestern lediglich ausgeführt, daß, wenn der § 7 angegriffen würde als ein Ausnahmegesetz, ich den Standpunkt verträte, daß er eine Konsequenz sei des nationalen Charakters des Deutschen Reiches. (Sehr richtig!) Ein weiteres habe ich nicht ge⸗ sagt, ich habe kein Wort von den Polen gesprochen.

Dann hat der Abg. Fürst Radziwill mit einer sehr starken Be⸗ merkung sich gegen Ausführungen der Motive gewandt, in denen von⸗ nationalen Absonderungsgelüsten die Rede ist. Er hat diese nationalen Absonderungsgelüste auf seine Landesgenossen bezogen, und er hat recht daran getan (hört! hört! rechts), denn solche Absonderungsgelüste sind vorhanden. (Lebhafte Rufe von den Polen und aus der Mitte: Wo denn?) Sie fragen: wo? meine Herren. Lassen Sie mich ganz ruhig

Ihnen die Beweise dafür geben, die der Abg. Fürst Radziwill bisher

vermißt hat. Ist es denn den Herren unbekannt, daß mit Hilfe der Presse eine allgemeine Boykottierung aller deutschen Kaufleute, aller deutschen Handelsleute stattfindet? (Unruhe bei den Polen.) Meine Herren, nennen Sie das nicht Absonderungsgelüste (Widerspruch von den

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