Zur Arbeiterbewegung.
Die Lohnbewegung im Glasergewerbe wird, wie die „Voss. Ztg.“ mitteilt, das Einigungsamt des Berliner Gewerbe⸗ gerichts beschäftigen. Der bisherige Tarifvertrag ist gekündigt worden, und die Arbeitgeber haben einen neuen Tarifentwurf vor⸗ gelegt, in dem verschiedene Aenderungen in den Arbeitsbedingungen vorgesehen sind und auch die Einführung der Akkordarbeit verlangt wird. Die Gehilfen haben den Entwurf der Arbeitgeber in der ersten Sitzung der Schlichtungskommission abgelehnt, während die Arbeitgeber von ihren Bedingungen nicht abgehen wollten. Gestern trat nun die Schlichtungskommission noch einmal unter dem Vorsitz des Magistratsassessors Dr. Prerauer zusammen, aber auch diesmal wurde keine Einigung erzielt. Das Einigungsamt des Gewerbegerichts wird sich nun noch einmal mit dem Tarifstreit beschäftigen und erforderlichenfalls einen F fällen.
Die Etuifabrikanten in Pforzheim haben, der „Köln. Ztg.“ zufolge, das Ersuchen des Buchbinderverbandes abgelehnt, in Snicaae e lrncen vor dem Gewerbegericht einzutreten. (Vgl. NNr. 106 d.
8 Gestern nachmittag entstand, wie „W. T. B.“ meldet, in Vigneux bei Paris zwischen ausständigen Steinbrucharbeitern und Gendarmen, welche die am Streik nicht beteiligten Arbeiter in Schutz nahmen, ein Handgemenge, wobei die Gendarmen um⸗ ingelt wurden und gezwungen waren, von der Waffe Gebrauch zu machen. Ein Streikender wurde getötet, sechs wurden verletzt, von ihnen einer schwer, von den Gendarmen wurden vier, zum Teil erheblich, verwundet. 8 8
Kunst und Wissenschaft. Die XV. Ausstellung der Berliner Sezession.
Wilhelm Leibl.
Viele haben sich gewundert, gerade Leibl in der Sezession an⸗ zutreffen. Sie finden weder Leibl „sezessionistisch“, noch die Mit⸗
oll man sich aber durch solche Betrachtungen im Genuß dieser erlesenen einen Ausstellung stören lassen? Neulich ist versucht worden, aus der Vorführung altenglischer Bilder eine Partei⸗ und Tendenzsache zu machen, mit dem Erfolge, daß auch unbefangenen Kunstfreunden die Lust daran vergällt wurde. Ein ähnliches Schauspiel wiederholt sich hier, und Liebermann scheint dies vorausgesehen zu haben, wenn er im Vorwort des Kataloges versichert: Es liegt uns fern, eine Kunst als die alleinseligmachende hinstellen zu wollen. Noch weniger aber sollen wir versuchen, seine Kunst nachzuahmen, was uns ja doch nur im Aeußer⸗ lichen gelingen könnte.“ Auch ließe sich solchen Vorwürfen erwidern, ß Leibl einstmals Ehrenmitglied der Berliner Sezession gewesen
ist — und ist es nicht Berlin gewesen, das mehr für seinen Ruhm getan hat als seine rheinische und die bayerische Wahlheimat? Die Nazmen von Tschudi, Seeger, Hans Rosenhagen sagen dem Kundigen senug. Dank der Mitwirkung von Leibls Freund, des Arztes Dr.
letzte Weihnachten erschienenen Leibl⸗Biographie, ist es ermöglicht worden, die Ausstellung zu einer auch historisch wichtigen zu machen: eine Anzahl von Werken ist hier vereint, die teils zuerst durch jenes Buch bekannt wurden, teils überhaupt noch nicht in schon recht umfangreichen Leibl⸗Literatur vermerkt worden d. Der Kunstfreund wird immer dankbar sein, wenn ihm gute Kunstwerke aus Privatbesitz auf so bequeme Weise dar⸗ leboten werden, und hier handelt es sich um Gemälde aus Aibling, senheim, Brannenburg, Wasserburg und Güstrow! Darunter ist eine der frühesten Schöpfungen, das Porträt des Architekten Robert Franz, das Leibl als Achtzehnjähriger noch in Cöln im Jahre 1862 gemalt hat. 5 am nächsten steht diesem Brustbilde ein Gemälde, das, obschon Kopie, viel mehr von der Leibl eigentümlichen künst⸗ lerischen Handschrift zeigt als jenes Frühwerk. Es handelt sich um — eine in den Maßen nur kleine Wiederholung eines 1i Kennern un⸗ bekannten Gemäldes von Anton van Dyck, einer sehr stattlichen, vornehm gekleideten Dame, wie es scheint einer Antwerpnerin, mit ihrem kleinen Sohne an der Hand. Auch hier zeigt es sich wieder, daß keine besseren Kopien geschaffen werden als von solchen Künstlern, die nicht Ferefemaf 5 sondern nur vorübergehend sich mit einer derartigen so viel Se verleugnung voraussetzenden Aufgabe befassen. Dieses kleine Meister⸗ werk, dessen Besitzer Herr Geheimerat Seeger ist, zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen Schmelz der Farbe aus, und in der malerischen Behandlung verrät es ein solches Verständnis für die Kunst der alten Meister, daß man sich über die technische Reife des noch nicht fünf⸗ undzwanzigjährigen Künstlers ebenso sehr verwundern muß, wie über eine Feinfühligkeit im Erfassen des Zeitgeistes, die gerade bei so jungen Malern öeß selten anzutreffen ist. Aus der reichen Leibl⸗
Sammlung des Herrn Seeger stammen ferner die erste Vorstudie zur „Tischgesellschaft“, einem nicht ganz vollendeten Gemälde der ersten Münchener Periode (1870 — 1873), das berühmte Bild von 1893 „Bauernjägers Einkehr“, zwei Porträts Seegers von 1897 und 1899, schließlich das eine der Küchenbilder aus der Kutterlinger Zeit, das einen am Herde sitzenden Burschen reigt der sich die Pfeife stopft, während ein Mädchen zuschaut. So wirkungsvoll die Tonschönheit dieser malerisch sehr vollendeten, im Ausdruck etwas leblosen Schöpfungen aus Leibls Spätzeit erscheint, sie wird übertroffen von der köünstlerischen Ausdrucksfähigkeit des so⸗ genannten „Atelierbildes’. Dieses aus dem Museum der Stadt Reichenberg in Böhmen hergeliehene, früher im 28— des Barons KLiebig befindliche Hauptwerk der ersten Münchner Zeit — nur das im Cölner Museum aufbewahrte Porträt des alten Herrn Pallenberg ist ihm künstlerisch gleichwertig — gehört zu den Bildern, die einst⸗ mals Leibls Ruf begründet haben, späterhin aber vor anderen Hervorbringungen ungerechterweise in den Hinter⸗ grund getreten sind. Es stellt die jungen Maler Meggen⸗ dorfer und Schmitt in lebhaftem Gespräch an einem weißgedeckten Tische sitzend dar; der eine umklammert ein Weinglas; der andere, mit einem starken Ausdruck der Spannung in den von einem frühen Barte umrahmten Zügen lauscht den Darlegungen des Freundes und stützt das Kinn mit der rechten Hand, während die nachlässig herab⸗ leitende Linke eine Zigarre hält. So bestrickend die Delikatesse der f urchführung und die unendlich sorgfältig abgewogenen Tonwerte er⸗ cheinen, der Reit dieser an sich so anspruchslosen Schöpfung beruht Soch auch auf der Art, wie hier jwei Menschen miteinander in Kontakt besest sind. Es scheint, daß Leibl späterhin in einer an sich durchaus Erechtigten Opposition gegen das „Anekdotenbild allzu bewußt vom etrzählersschen sich abgewandt und so in das Extrem einer manchmal ist as geistlosen Modellmalerei, eines trockenen „Abmalens verfallen Schrd ifr siehen wir noch, ebenso, wie vor dem glaͤmenden, nur wenige 2 I. nü später entstandenen Bilde der beiden Dackauerinnen 8 — Err vier Nationalgalerie im Banne einer Kunst, die bei glänzendster
8 seelise lung koloristischer Qualitäten im gam leisen Anklingen Sschen Erlebens sich den besten Erzeugnissen der bolländischen Feiitenmaleret der großen Zeit des 17. Jahrhunderts nähert, en
Ge orch, Metsu und dem Delftschen Vermeer. Es ist eine innere
me penmtheit in diesen Figuren, nicht nur eine äußere wie in jenen
mnacüe bewunderten Hervorbringungen der spätesten Zeit. Auch Mayr
berger in seiner Biographie viel zu wenig Aufhebens von dem Reichen⸗
8 wercer Prachibilde; er erwähnt aber, daß es mit einigen anderen, stelliaer wichtigen Werken seinem Maler auf der Wiener Aus⸗
von 1873 die große goldene Medaille eingebracht hat.
reich ee diese Tatsache hervor, weil sie mit der von zahl⸗ enes Kanstschrifstellern behaupteten Vernachlässigung Leible 8n seinem mühsamen Aufkommen nicht im Einklange steht. S9h em Reichenberger Museum stammt ferner die „Dame in 8 warz“ mit dem etwas mürrischen, trotzigen Ausdruck des rundlichen Gesichtchens und ein holbeinisterender Mädchenkopf. Ueberhaupt Miegen die Bildnisse in dieser Ausstellung vor; meistens sind es solche, Leibl nicht im Auftrag“, sondern als Geschenk für Freunde gemalt hat. Das Temperabild des bebrillten Dr. Rauert⸗Güstrow, Megezeichnet durch eingehende Charakteristik bei größter Feinheit der Malerei, besonders des gesunden und zugleich jarten Inkarnats, wird
8 lieder dieses Künstlerbundes auf den Wegen Leibls. Beides ist richtig.
zulius Mayr in Brannenburg, des Verfassers der ausgezeichneten,
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unter diesen wohl die meisten Bewunderer finden; genannt seien wenigstens noch das kleine Bildnis des Tierarztes Reindl mit dem Hintergrunde des sommerlichen Gartens, ein Juwel der Galerie Knorr in München, und das nicht ganz vollendete Bildnis der Gräfin Rosine von Treuberg. Unter den Studienköpfen fällt mehr durch die Stärke des Ausdrucks als durch erlesene malerische Eigenschaften das Brustbild einer alten, die Hände auf einen Stock stützenden Bäuerin auf, das der Besitzer, Herr Oberlehrer Meilinger in München, ehe⸗ mals in einem Tändlerladen aufgefunden hat und sich von Leibl be⸗ glaubigen ließ. Glückliches München, in dem solche Entdeckungen möglich sind!
Leibls Ruf und seine Bedeutung für die neuere deutsche Kunst⸗ entwicklung sind so gefestigt, daß sie durch eine Ausstellung, und sei sie so interessant wie diese, nicht mehr gewinnen können. Es gibt keine größere deutsche Sammlung, die nicht gewisse für ihn bezeichnende Werke aufzuweisen hätte, die immer aufs neue für diesen großen Maler und Wirk⸗ lichkeitsmenschen werben werden. Aber durch das sewwiß mühsame Zu⸗ sammenbringen der mehr als 60 Nummern des Leibl⸗Kabinetts in der Sezession (einschließlich wertvoller Handzeichnungen) hat diese Künstler⸗ gruppe sich ein Verdienst erworben, das auch diejenigen anerkennen sollten, die sich mit den Leistungen ihres jüngeren Nachwuchses nicht einverstanden erklären können. Sie tragen Schuld an der nur schlecht verhüllten Niederlage, die die Sezession in diesem Jahre erlitten hat. Ein „Zurück zu Leibl“, wenigstens in dem Sinne, daß seine außer⸗ ordentliche Treue gegenüber der Natur und die Gewissenhaftigkeit seines Arbeitens wieder vorbildlich werden sollten, ist die stille Mahnung der Sammlung. Und, darf man hinzufügen, eine Hoffnung für neue Siege. Dr. C. B.
A. F. Die „Brandenburgia“, Gesellschaft für Heimat⸗ kunde, ist in den letzten Wochen sehr tätig gewesen. Die erste Sitzung. brachte den vom Professor Dr. Pniower und dem Schatz⸗ meister Herrn Rönnebeck erstatteten Jahresbericht, wonach die Mitgliederzahl z. Z. etwa 350 beträgt und die Finanzen des Vereins in bester Ordnung sind. b
Den Vortrag des Abends hielt Professor Dr. Galland über „ein Dürer⸗Fest zu Berlin vor 80 Jahren“. Am 18. April 1820 hatte die Königliche Akademie der Künste zu Berlin den 300 jährigen Todestag von Raffael Sanzio gefeiert und hierbei in Aussicht genommen, da Albrecht Dürers Todestag auf das gleiche Datum fiel, die 300 jährige Wiederkehr dieses Tages im Jahre 1828 würdig zu begehen. Am gleichen Tage war in Nürnberg die Grundstein⸗ legung für ein acht Jahre später zu enthüllendes Dürer⸗Denkmal, das Rauch übertragen war, unter Teilnahme vieler deutscher Künstler mit Festzug und großem Gepränge erfolgt. Als das Jahr 1828 herannahte, erinnerten sich die Kreise der Künstler des früher gefaßten Vorsatzes und trafen Anstalten, ihn würdig zur Tat werden zu lassen. Keine Totenfeier, 1.. ließ sich Schadow vernehmen, solle das Fest sein, vielmehr ein Zeugnis für die fortlebende Wirksamkeit alles Großen und Schönen. In diesem Sinne wurde Zelter gebeten,
eine von dem Archäologen Conrad Levetzow gedichtete Fest⸗ hymne zu vertonen. Er lehnte ab, empfahl aber, dem damals erst 19 jährigen Felix Mendelssohn⸗Bartholdy die Aufgabe
anzuvertrauen. Der Auftrag wurde von diesem bereitwillig übernommen, obgleich inzwischen Januar 1828 berangekommen war, und in der kurzen 88 von sechs Wochen ausgeführt. Als Ort für die Feier wurde der Saal der Singakademie bestimmt, zu dessen Aus⸗ schmückung sich namhafte Künstler bereit fanden. Selbst Friedrich Schinkel erbot sich, die Hinterwand des Saales mit architektonischem Schmuck nach Dürerschen Motiven zu zieren. Vor diesem aus einer
Säulenanordnung in korinthischem Stil bestehenden Aufbau erhob sich die von Ludwig Wichmann geschaffene Büste Dürers, umgeben von vier die Künste versinnbildlichenden
Figuren von Friedrich Tiecks Meisterhand. Außerdem waren hier zwei Statuetten aus Buchsbaumholz aufgestellt, die Dürer zugeschrieben werden, pompejanisch rot war der Hintergrund getüncht, der Aufbau aber war überragt von einem kuppelartig geformten Rahmen, der ein großes, von Professor Deling nach Dürers „Heiliger Dreifaltigkeit“ entworfenes Oelgemälde umschloß. Die Zeitungen jener Tage rühmen die Gesamtausschmückung des Festsaales als sehr eindrucksvoll. Ganz Berlin war Wochen vorher in einer gewissen Aufregung, alle Welt drängte sich zur Teilnahme. Es wurden über 800 Einladungen ausgegeben. End⸗ lich nahte der denkwürdige Tag. Programmäßig versammelten sich die Lehrer und Schüler der Akademie um 11 Uhr im Kastanienwäldchen. Um 12 Uhr setzte sich ein langer Zug in Bewegung, in dem man den Direktor der Akademie Schadow mit entblößtem Haupte schreiten sah, umwandelte die Universität, kreuzte das Kastanienwäldchen und löste sich an der Pforte der Singakademie auf. Nachdem sich alle Teilnehmer an ihre Plätze im Festsaal verfügt und die Mitglieder des Königshauses, an ihrer Splitze das kronprinzliche Paar, erschienen waren, begann die Feier mit dem Vortrag der von Mendelssohn ver⸗ tonten Festhymne durch den Sängerchor. Ihr folgten noch eine Anzahl anderer musikalischer Vorträge und auf diese die vom Sekretär der Akademie, Professor Tölken gehaltene Festrede, die mit einem Heanrcegan an die Kunst ausklang. Hiermit endete die offizielle eier, der sich am Abend noch im Künstlerverein ein Festmahl an⸗ schloß, bei dem Schadow Dürer als einen Heros deutscher Kunst eierte und vom 18. April 1828 als von einem der glänzendsten age in den Annalen vaterländischer Kunst“ sprach. Auch war das Festmahl durch manche Kunstgenüsse, unter anderm durch den Vortrag einer Zelterschen Komposition „an den König“ gewürzt. Mehrere im Verlauf des Abends gesungene Festlieder sind uns er⸗ halten, darunter eines von dem später in Berlin viel genannten „W. Gubitz. Ueber die Mendelssohnsche Komposition waren die einungen geteilt. Eduard Devprient besprach sie abfällig, als eines großen Zuges bar, wogegen Präsident Schadow alsbald seine eigene und anderer Zufriedenheit durch Ernennung des jungen Komponisten zum Ehrenmitglied des Künstlervereins bekundete. Andererseits wurde einmütig die Festrede Tölkens als formvollendet, belehrend und inhaltlich gedankenreich gelobt und hervorgehoben, daß sie überaus zutreffend das soziale und künstlerische Milieu des damaligen Nürn⸗ berg in engste Beziehung gebracht habe zu der Eigenart des Dürerschen Schaffens, das nur so richtig zu würdigen sei. 3 , * Geheimrat Friedel sprach dem Redner den Dank der Versamm⸗ lung für seinen Vortrag aus und gab dem wahrscheinlich von vielen Zuhörern geteilten Eindruck Worte, daß in den seit jener Feier verflossenen 80 Jahren sich ein Umschwung im Denken und Empfinden der Berliner vollzogen habe, der unser von der Politik mehr als erfreulich durchsetztes öͤffentliches Leben in wenig freundlichem Licht zeige, verglichen mit jener harmloseren Zeit, da ganz Berlin noch Anteil an einem Feste so idealistischer Art nahm, wie diese Dürer⸗ Feier es war. 1 3 Eine am zweiten Sonntag im Mai unternommene Wander⸗ fahrt nach Potsdam diente dem besonderen Zweck des Nachweises, wie recht Herr Robert Mielke in einem vor längerer Zeit gehaltenen Vortrage über Potsdam hatte, als er die immer deutlicher in die Erscheinung tretende Entfremdung Potsdams von den friderizianischen Traditionen im Punkte seiner Straßenanlagen und Neubauten beklagte. Diesem Programm ent⸗ sprechend galt der Besuch nicht der Umgebung und ihren Schlössern, sondern der inneren Stadt allein und der Vergegenwärtigung dessen, was die beiden Herrscher, denen Potsdam so viel verdankt, Friedrich Wilhelm I. und der große Friedrich, zur Verschönerung der Stadt ewollt und geschaffen hatten. Es war nur im Sinne dieses Programms, daß man mit Besichtigung des vielen Ber⸗ linern ganz unbekannten Stadtschlosses begann, des ältesten, auf Joachim I. zurückgehenden Schloßbaues in Potsdam, der im wesentlichen von jenen beiden Königen seine gegenwärtige Gestalt empfangen hat, wenngleich schon nach den Zerstörungen des 30 jährigen Krieges der Große Kurfürst die bessernde Hand angelegt hatte. Auch der Lustgarten ist dessen 5 Freilich hat dieser schon unter der Regierung des Enkels und Soldatenfreundes aufgehört, als Garten zu bestehen, und ist seitdem der kahle, sandige Exerzierplatz
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eblieben, als der er sich noch heute zeigt, umschlossen von den konnten wir auch diesmal nicht allen an uns herantretenden — von
weitläufigen Schloßbauten einerseits und von hübschen, sich gegen die Havel erstreckenden Parkanlagen andererseits. Auf diesen „Lustgarten“, ein „lucus a non lucendo“ in doppelter Hinsicht, denn hier fanden die von Offizieren wie Soldaten gleich gefürchteten täglichen Paraden der Riesengarde statt, bei denen König Friedrich Wilhelm I. mit seinem Krückstock bei geringen Verstößen ohne Ansehen der Person Schläge austeilte, waren seinerzeit mehr als ein halbes Jahrhundert lang die Augen der Welt gerichtet: erst wegen der fast sagenhaft gewordenen Riesengarde und später aus Bewunderung der anfänglich verspotteten „Potsdamer Wachtparade“, des siegreichen Heeres Friedrichs II. Aber, wie die liebenswürdigen Führer der Berliner Gäste, die orts⸗ und lokal⸗ geschichtskundigen Vorstandsmitglieder des Potsdamer Geschichtsvereins, erzählen, mit der gerühmten schnurgeraden Richtung der Wachtparade im Potsdamer Lustgarten hatte es eine besondere Bewandtnis. Es lagen da nämlich früher, schnurgerade ausgerichtet, eine Anzahl Granitplatten, eine dicht neben der andern, am Boden, und mit deren Hilfe ergab sich spielend eine scharfe Richtung, wenn der Soldat seine Stiefelspitzen in genaue Uebereinstimmung mit der Vorderkante der Platten brachte. Ja auch die Breite der Platten soll eine willkommene Erleichterung dafür gewährt haben, daß die Grätschstellung, die im 18. Jahrhundert, nach dem bestehenden Exerzierreglement, der preußische Soldat beim Gewehr⸗Präsentieren einnahm, das richtige Maß einhielt, und die Beine nicht zu eng, auch nicht zu weit 1 wurden. Viele ähnlich interessante Erinnerungen wurden bei der Besichtigung der Innenräume des E“ laut: Im Flur des Mittelportals
ortunaportals) die überlebensgroßen Marmorfiguren von Mars und
elllona, an die sich die pikante Notiz knüpft, daß die heidnischen Gottheiten bis 1740 ihren Platz in der Garnisonkirche hatten, um diese sinnfällig als für das Militär bestimmt zu kennzeichnen, das Schlafgemach und Bett Friedrichs II., (der wohl den Sommer im Schloß Sanssouci zubrachte, den Winter aber stets im Stadtschloß) mit anschließendem behaglichen Frühstücks⸗ und Speisezimmer, darin ein runder Tisch, dessen vertikal verschieb⸗ bares Mittelstück dazu diente, Speisen und Getränke in der einfachsten Art aus der Küche heraufzubefördern, — der länglich viereckige Ar⸗ beitstisch des großen Königs, mit schwerem, blauem Seidendamast be⸗ zogen, an dem auch Napoleon gesessen und von dessen Bezug er ein großes Stück abgerissen und als Andenken mitgenommen (man hat den Schaden nicht repariert, die klaffende Wunde des Ueberzuges er⸗ zählt dauernd von den feinen Sitten des korsischen Eroberers) — zwei große Oelbilder, mythologische Gestalten darstellend, von Friedrich Wilhelm I. gemalt, wenn er von der Gicht geplagt war (in tor⸗ mentis pinxit), die Figur einer Nymphe dadurch merkwürdig, daß sie infolge von Verzeichnung zwei linke Füße besitzt, (den Schaden vösathesern hatte der König indessen lachend abgelehnt und hiermit auf die Nachwelt einen humoristischen Zug von sich überliefert). Auch Er⸗ innerungen an die Königin Luise und an Friedrich Wilhelm IV. und Ge⸗ mahlin birgt das Stadtschloß, vor allem aber eine große Anzahl schöner Oelgemälde erster Meister, darunter ein interessantes Doppelporträt, -ne Wilhelm I. neben dem ihn körperlich weit überragenden
ugust den Starken darstellend. Wer Barock in schönster Anwen⸗ dung auf Innendekoration studieren will, ebenso, wer eine richtige Vorstellung von der Blüte des Rokoko zu gewinnen wünscht, dem kann nur geraten werden, im ersteren Falle die in der Zeit Friedrichs I. und seines Vaters entstandenen Räume des Stadtschlosses in Augen⸗ schein zu nehmen, im anderen die unter Anleitung Friedrichs II. im edelsten Geschmack eingerichteten Räume eingehend zu besichtigen. Recht dankenswert ist es auch, auf die geniale Art aufmerksam gemacht zu werden, wie Friedrich der Große durch seinen Baumeister Knobelsdorf die vorher etwas einförmige Fassade des Schlosses durch Anbringung von Pilastern verschönern ließ. — Auf der ferneren Wanderung durch Potsdam wurden eine Anzahl von Bauten gezeigt, die teils von den mehrgenannten beiden Königen erbaut, teils wenigstens unter ihrem Einfluß entstanden waren. Der Vergleich der Neubauten hiermit be⸗ stätigt in vielen Fällen, namentlich bei Privatbauten, eine fast barbarisch anmutende Abirrung von dem guten Ge⸗ schmack der Vorbilder, „nur die modernen fiskalischen Bauten machen hiervon zumeist eine erfreuliche Ausnahme. Eine Schöpfung Friedrich Wilhelms I., das 600 Zöglinge beherbergende Militärwaisenhaus wurde eingehend besichtigt und mit Vergnügen von seiner trefflichen Einrichtung und dem gesunden Aussehen der Knaben Vormerkung genommen. In den frühen Nachmittagsstunden hörte man dann in den Räumen der Heiligengeist⸗Kirche einen inter⸗ essanten Vortrag über die wechselvolle Geschichte dieses seltsam ver⸗ bauten Gotteshauses. Daran schloß sich außerhalb auf dem
Kirchplatz noch der Vortrag eines anderen ortskundi ⸗ gleiters, der fröhlichen Anklang bei der Zuhsrerschaft 18 Danach ließ der praktische König Friedrich Wilhelm I.,
der Erbauer der Kirche, unter dieser einen Weinkeller anlegen, um die in den Königlichen Weinbergen in der Nähe von Potsdam neenhhene Weine in großen Stückfässern aufzunehmen. Diese Weine landen aber geringen Beifall bei Hofe, sodaß der Keller sich mit der Zeit mit älteren und jüngeren Jahrgängen davon füllte. Da beschloß der König, den Wein an seine Riesengarde zu Ferseörufen. jedem Grenadier sollte eine Gamelle davon aus dem Faß a geefüllt werden. Der Kommandeur hatte den Königlichen Befehl auszuführen. Da er aber fürchtete, daß die Leute sich betrinken würden, und andererseits den Wein so gut fand, daß ihn diese Ausantwortung eines guten Tropfens an Kehlen, die an ein kratzigeres Getränk gewöhnt waren, verdroß, so ließ er zwar Mann für Mann mit ihren Eßgeschirren zum Weinempfang im Keller antreten, kaufte draußen aber den Leuten den Wein wieder ab. Im weiteren wurde dem Theater mit seiner wunderlichen Inschrift „Dem Vergnügen der Einwohner“ ein flüchtiger Besuch gemacht (es bildet fast die einzige Potsdamer Erinnerung an Friedrich Wilhelm II.), die frideriziani⸗ schen sowie die modernen Kasernen von außen besichtigt, und am Kanal die Frage erörtert, ob seine angeblich beabsichtigte Beseitigung nicht dem Stadtbild Potsdams einen seiner anmutigsten Züge rauben würde? Am alten und neuen holländischen Viertel wurde dann noch ein Vortrag von Dr. med. Netto entgegengenommen, der die Entstehung dieser Anlage und die damit verbundenen Absichten Friedrich Wilhelms I. erläuterte. Es war die berechtigte Vorliebe für die damals den brandenburgischen Kulturzuständen überlegenen holländischen, welche diese Nachahmung eines guten Vorbildes ver⸗ bunden mit der Entwässerung einer sumpfigen Gegend nahe legte, eine Nachahmung, die straßenweise sich getreu an die holländischen Originale anlehnt und so erhalten zu werden verdient. In diesem Viertel steht auch der unter dem Namen Tabaks⸗ häuschen“ bekannte, vom König als ein Rendezvous für die Offiziere angelegte Pavillon, der zu Unrecht in den Ruf heievmmen ist, daß er jemals das berühmte Tabakskollegium beherbergt abe. (Dessen historisch beglaubigten Versammlungsraum hatte man am Vormittage schon im Stadtschloß gezeigt erhalten.) — Damit war im wesentlichen das Programm des Besuches in Potsdam er⸗ ledigt; doch trennte man sich erst nach Stunden geselligen Zusammen⸗ seins von den Potsdamer Freunden, die mit so außerordentlicher dankenswerter Gefälligkeit und so viel Sach⸗ und Geschichtskenntnis die Führung übernommen hatten.
Die Deutsche Schiller⸗Stiftung hat, wie ihr Jahresbericht mitteilt, 1907 57 157 ℳ ausgegeben. n9 8 auf lebenslängliche 12 850 ℳ, auf vorübergehende (auf ein oder mehrere Jahre
ewilligte) Pensionen 31 325 ℳ, auf einmalige Bewilligung 12 982 ℳ. Hierzu kommen die Leistungen der Zweigstiftungen im Betrage von 10 741,20 ℳ und 6890 Kronen 5. W. Das ergibt für die Gesamt⸗ leistung der Deutschen Schillerstiftung im Jahre 1907 eine Summe von 73 768,50 ℳ. Der Jahresbericht erwähnt, daß ein in Hamburger Kreisen gesammeltes Kapital, dessen Zinsen für den Unterhalt der Hinterbliebenen des plattdeutschen Dramatikers Fritz Stavenhagen bestimmt sind, auf Wunsch der Geschäftsleitung von der Schiller⸗ Stiftung in Verwaltung genommen worden ist. Der Bericht macht dann die bittere Schlußbemerkung: „In allem übrigen ist das Jahr für uns in normalem, ruhigem und stetem Wirken verlaufen. Wohl