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Bartschat hat den Vorsitzenden des Bundes der Landwirte angegriffen. a er hier an geschützter Stelle steht, so kann ich einen derartigen Angriff nicht für sehr mutvoll halten. Ich möchte vorschlagen, daß er as, was er gestern hier gesagt hat, ohne den Sr der Immunität draußen wiederholt. (Zuruf links: Ist längst geschehen!) Dann wird sich ja zeigen, wie es in Wahrheit steht. Er hat den Vorsitzenden des Bundes der Handwerker angeschuldigt, daß er hohe Spesen bezöge. Ich stelle fest, daß die Spesen des Vogt 10 ℳ täglich betragen und außerdem ein Billett dritter Klasse. Ich möchte “ ob der Abg. Bartschat vom Hansabund so schlecht bezahlt wird. Er hat auch mit großer Erregung von dem imperativen Mandat gesprochen, das der Bund der Handwerker einzelnen Reichstagsabgeordneten erteilt habe. Nun, imperative. Mandate kennen Sie (links) doch in Hülle und Fülle; das ist bei Ihnen üblich. Der Vorstoß des Abg. Dr. Böhme gegen den Vorsitzenden des Bundes der Landwirte und gegen den Bund der Landwirte überhaupt hat auch den Zweck, die Tatsachen, die sich bei den Handelsverträgen und bei dem Zolltarif abgespielt haben, in einem anderen Lichte darzustellen, als sie gewesen sind. Jetzt wer⸗ den die damaligen Vorkämpfer geschmäht, weil sie gedrängt und ge⸗ drückt von den Sorgen der Caprivischen Zeit energisch einen allge⸗ meinen Zoll von 7,50 ℳ zu erfechten suchten. Die Herren sollten sich doch in die Lage jener Vorkämpfer hineinzusetzen versuchen, und wenn sich einige Posten zu sehr vorgewagt haben, so verdient dies Ver⸗ ständnis und nicht eine solche Kritik. Dr. Böhme hat auch die Frage der Einfuhrscheine behandelt. Ich fand seine Position sehr exponiert. Ganz überzeugungstreu scheint er mir dabei selbst nicht gewesen zu sein. Wie steht es denn überhaupt mit den Vertretern des Bauern⸗ bundes? Der Abg. Wachhorst de Wente wohnte einer Sitzung des Hansabundes bei; der Vorsitzende des Bundes hat ihn nur deshalb eingeladen, weil er der Meinung war, daß er mit den Zielen des Bundes übereinstimme. Bei anderen Bauernbündlern steht fest, daß sie den “ Zolltarif ohne Verklausulierung zu vertreten entschlossen sind. Eigenartig ist es, daß die linke Seite nicht beliebt, unsere handelspolitische Lage dem Auslande gegenüber zu stärken. Im Gegenteil, man schwächt immer von neuem 8gg Lage, z. B. durch den Hinweis auf das übermächtige Rußland, we ches uns jeden Augenblick einschnüren könne. Ueber die Frage der Zulassung russischer Saisonarbeiter muß eingehender gesprochen werden. Denn in der faktischen Zurückhaltung dieser Arbeiter würde allerdings eine Gefahr für die deutsche Landwirtschaft liegen. Nun hat aber der preußische Landwirtschaftsminister ausdrücklich erklärt, er müsse diese Befürchtung schon deshalb zurückweisen, weil Rußland auf Grund des Handelsvertrages diesen Arbeitern die 10 ½⸗Monatspässe bisher ohne Beanstandung ausgestellt hat, und weil es noch lange nicht soweit landwirtschaftlich fortgeschritten sei, um diesen Arbeiterüberschuß für sich selbst verwenden zu können. Sei es einmal soweit, so werde man bei uns die innere Kolonisation entsprechend stärker zu srdern haben. Der Abg. von Morawski, der genauere Kenntnis von den Agrarver⸗ hältnissen Rußlands besitzt, hat überdies ausgeführt, daß es sich bei der fortschreitenden Urbarmachung Bodens hauptsächlich um Ge⸗ meindeland handele, das die Eigentümer selbst bearbeiten, ohne dazu Hilfskräfte zu gebrauchen; wenn die russische Presse also von der künftigen Zurückhaltung dieser Arbeiter rede, so geschehe das nur, um bessere Bedingungen bei der Erneuerung des Handelsvertrages herauszuschlagen. . dürfte diese Flaumacherei auf ihren wahren Wert zurückgeführt sein. Ein anscheinend auch für die Linke höchst interessantes Thema, die innere Kolonisation, kann von jener Seite natürlich auch nicht ohne Verdächtigungen des Großgrundbesitzes be⸗ handelt werden. Dr. Böhme hat vorgeschlagen, die Umsatzsteuer dem kleinen Mann zu erlassen und dafür dem großen Grundbesitz eine höhere Umsatzsteuer aufzuerlegen. Solche Vorschläge und ihre Be⸗ “ sollte doch der Abg. Dr. Böhme dem Synditus des Bauern⸗ znndes überlassen. In derselben Richtung bewegt sich der Antrag Bassermann⸗Schiffer, betreffend den Ausbau des Bundesamts für das Heimatswesen zu einem Reichsamt für das Heimats⸗ und Finanz⸗ wesen behufs Uebernahme der letztinstanzlichen Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten aus dem Wehrbeitragsgesetz und dem Besitzsteuer⸗ gesetz. Hier wird gegen⸗ reußen Sturm gelaufen; warum hat man sich denn nicht um diese Fragen gekümmert, als Bayern seine Gesetz⸗ sehung von 1910 schuf? Der Fehler, der in unserer inneren Koloni⸗ ation durch die Aufhebung des Erbpachtrechtes seinerzeit gemacht wurde, ist wieder gutgemacht worden durch die Rentengutsgesetz⸗ gebung in Preußen, die die Grundlage der ganzen neueren inneren Kolonisation geworden ist. An dieser ganzen Gesetzgebung hat die konservative Partei den allerernstesten Anteil genommen. Rn wird hbehauptet, der Grundbesitz mißbrauche die innere Kolonisation, um sich billige und noch dazu an die Scholle gebundene Arbeitskräfte zu verschaffen. Dem steht schon die statistische Tatsache gegenüber, daß in 12 Jahren nicht weniger als 115 000 landwirtschaftliche Tagelöhner ihren Wohnsitz verlassen haben, das ist der 15. Teil aller landlichen Arbeiter überhaupt. Die Siedlungsgesellschaften tun ja ihr mög⸗ lichstes; aber entscheidend ist hier die Geldfrage, die immer brennen⸗ der wird, da die Landeskulturrentenbanken nicht genügen. Die Ver⸗ treter des Bauernbundes hätten auch in dieser Beziehung hee kä ich im industriellen Westen praktische Arbeit« leisten sollen, anstatt sich lediglich als die Propheten des Heils der inneren Kolonisation auf⸗ zuspielen. Die Ansiedlungskommission verfolgt bei ihrer inneren Kolonisation verschiedene Zwecke. Einmal hat sie dabei nationale Ziele und dann landeskulturelle im Auge, Sie will auch der Ab⸗ wanderung vom Lande etwas steuern. Einzelne Städte haben jeßt das Bestreben, für sie nicht wünschenswerte Arbeiter auf das Land ab⸗ Das tritt ganz besonders jetzt bei der Arbeitsnot zu Tage. Man darf aber da nicht etwa Gemeinden, wo drei oder vier steuer⸗ zahlende Bauern die ganzen Lasten aufzubringen haben, noch weitere aufbürden. Ich weise nur auf die immer mehr steigenden Schullasten hin. Die Erklärung des Abg. Winkler im preußischen Abgeordneten⸗ hause ist deshalb mit Freude zu begrüßen, daß mit der inneren Koloni⸗ sation gleichzeitig eine großzügige Neuregelung der Schullasten ein⸗ treten müsse. Notwendig ist natürlich in erster Linie die Erhaltung des vorhandenen Bauernstandes. Das geschieht aber hauptsächlich durch eine festgerichtete Wirtschaftspolitik und durch Festigung der Kolo⸗ nistenstellen. In letzterer Beziehung haben die Mittelstandskassen in Danzig und Posen Gutes geleistet, indem in den betreffenden Gegen⸗ den die Zinslasten der Kolonisten abgenommen haben. Dem preußi⸗ schen Landwirtschaftsminister ist der Vorwurf gemacht worden, daß er kein Domänenland zur inneren Kolonisation hergebe. Ich erinnere aber daran, daß allein im Jahre 1912 dreißig Objekte von der Domänenverwaltung zu Kolonisationszwecken hergegeben worden sind. Der Minister kann doch nicht auf einmal den ganzen Domänen⸗ besitz kurz und klein schlagen lassen. Hier be auch die Güter⸗ schlächterei eine große Rolle. In Pommern hat allein eine einzige Firma 30 000 Morben auf dem Wege der Güterschlächterei verteilt. (Zuruf links: Das ist doch besser, als wenn nichts geschieht!) So, meinen Sien Aber die meisten Kolonisten konnten sich nicht halten, sie ihren Besitz wieder verkausen. Wie die Güterschlächteret wirkt, hat ein bayerischer Minister in der Kammer festgestellt. Viele Millionen kommen allein den betreffenden Firmen zugute. Dazu trit des Gruͤnd und Bodens. Man macht hier Preußen den Vorwurf, daß es für die innere Kolonisation nichts übrig habe. Man sehe sich aber einmal die Summen an, die nicht nur für imnere Kolonisation, sondern auch für die Besitzfestigung ausgegeben sind. Es ist unverständlich, wie Dr. Böhme da zu seinen Vorwürfen kommen kann. Ein hoher Beamter des Landwirtschafts⸗ ministeriums, ein begeisterter Anhänger der inneren Kolonisation, ist auf Grund der Erfahrungen zu der Einsicht gekommen, daß man hier nichts überstürzen soll. Der Abg. Gothein hat auch vom Bauernlegen gesprochen, aber vielfach kann ehen nur der Großgrundbesitzer als Käufer auftreten. Der Abg. Gothein hat doch selbst bezüglich eines Falles aus seiner Verwandtschaft angeführt, daß man nicht ver⸗ allgemeinern dürfe. Auch sein Parteifreund Koch hat ja, wie er solbst im Handbuch des Reichstags angibt, seinen Besitz sehr vergrößert, was auch nur durch Ankauf geschehen sein kann. Aber dem äöö it
senl eben auf jeden Fall ein Vorwuürf gemacht werden. J
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Neine Aus⸗ ührungen bezweckten nur, die Vorwürfe gegen unsere Wirtschafts⸗ politit zurückzuweisen. Halten Sie an ihr fest, dann ist es das beste Mittel gegen Landflucht. Wollen Sie das Land veröden lassen, dann schaffen Sie Getreide⸗ und Viehzolle ab⸗
von
Präsident Dr. Kaempf: Wie ich ersehe, haben Sie dem Abg. Dr. Böhme den Vorwurf gemacht, daß er bei seinen Ausführungen über die Einfuhrscheine doch selbst nicht ganz überzeugungstreu ge⸗ wesen zu sein scheint. Das ist ein Ausdruck, der parlamentarisch un⸗ zulässig ist. 1.“ Abg. Hestermann lbisher Hospitant der Nl.): Wir köoönnen uns nicht einverstanden erklären mit der Stellung, die der Staats⸗ sekretär in der Frage der Handelsverträge eingenommen hat. 1902 sind einzelne Zweige der Landwirtschaft etwas stiefmütterlich behandelt worden; das damals Versäumte muß jetzt nachgeholt werden. Der Landwirt muß aber damit rechnen, daß ein Teil seines Betriebes einmal unrentabel wird. Er kann nicht sagen, es sei gleich, wie es mit den anderen Betrieben werde, wenn nur sein Bekrieb rentabel sei. Ein Kommerzienrat sagte jemandem: Hüten Sie sich vor der Landwirtschaft. Es ist notwendig, daß bei den neuen Handelsver⸗ trägen die Betriebe, die bisher stiefmütterlich behandelt wurden, besser und gerechter behandelt werden. Gerade der deutsche Bauernbund hat in Bayern einen starken Hopfenzoll verlangt. Ferner ist not⸗ wendig ein Schutzzoll für unsern Obst⸗ und Gemüsebau. Andere Mittel können dem Landwirte nichts nutzen. Mir sagte ein Land⸗ wirt, er könne seinen Kohl überhaupt nicht los werden, es sei denn, daß er noch etwas hinterher würfe; die Produktionskosten sind zu hoch. Der Obstzüchter und Gemüsebauer, der doch der kleine Land⸗ wirt ist, muß geschützt werden. Dasselbe gilt vom Milch⸗ und Rahm⸗ zoll. Es ist doch erstaunlich daß ein Landwirt dem Abg. Gothein ge⸗ sagt hat, er produziere Milch für 8 ₰ das Liter, er sollte den anderen Landwirten dieses Rezept verraten. Man kann doch die Kühe nicht das ganze Jahr melken. Jetzt kann der deutsche Landwirt das Liter Milch nicht unter 11 bis 12 ₰ produzieren. Alles das muß bei den künftigen Handelsverträgen mit in Betracht gezogen werden. Die
Frage der Kolonisation wird als Schlagwort in die Versammlung.
getragen. Glauben Sie denn, daß ich Ihnen lauter blauen Schwindel vorgemacht habe? Weisen Sie mir doch nach, daß ich anders ge⸗ sprochen habe, als ich handle. Dem Volke werden sehr häufig ganz andere Sachen vorgetragen, als wie es sich in Wirklichkeit verhält. Man muß vor allem berücksichtigen, daß die innere Kolonisation nicht eine Gefahr wird für den Landwirt. Die Landwirte müssen sehen, daß sie so viel verdienen, daß ihre Söhne sich ein Kolonat kaufen können. Man muß dafür sorgen, daß der Besitzer auf seiner kolo⸗ nisierten Scholle auch existenzfähig bleibt. Durch eine Kolonisation darf der Bauernbesitz nicht mobilisiert werden. Das Erbgesetz in Westfalen ist ein Verdienst des verstorbenen Vaters des Ministers
Schorlemer, unseres Bauernkönigs. Natürlich bekämpft man dies Erbgesetz, weil der Besitz festgelegt und da kein Geschäft zu machen ist. Das beste Geschaft macht man bei den kranken Bauern, nicht bei den gesunden. Die Güterschlächterei in unserem Vaterlande muß auf das äußerste bekämpft werden. Bei dem Abg. Dr. Böhme habe ich diese Bekämpfung vermißt. Es ist sonderbar, daß sich auf meinen Reisen gerade die Güterschlächter an mich heran⸗ gemacht haben, und mir nahegelegt haben, doch ein Gesetz gegen die Güterschlächterei zu hintertreiben. Ich bin aus dem deutschen Bauern⸗ bund ausgetreten. Ich habe bedauert, daß der Abg. Böhme nicht ein einziges Wort gegen links gefunden hat, sondern nur nach rechts. Es S. anerkannt werden, daß die rechte Seite sich der Landwirte sehr kräftig annimmt. Aber Dr. Böhme hat doch seinerzeit die Lücken im Zolltarif selbst erkannt. Ich habe von Lornherein im deutschen Bauernbund Front gemacht gegen das Paktieren mit den Freisinnigen. (Vizepräsident Dr. Paasche: Ich ersuche den Redner, diese per⸗ sönlichen Auseinandersetzungen mit dem Abg. Dr. Böhme und uüber die Stellung des Redners zum Bauernbund zu unterlassen; sie haben mit dem Gehalt des Staatssekretärs nichts zu tun.) In der Frage sind wir uns doch wohl ohne Ausnahme in den bürgerlichen Parteien einig, daß es sich für uns handelt um den Kampf gegen den inneren Feind! 8 Abg. Bruhn (d. Reformp.): Die Ausarbeitung einer Novelle zum Handwerkergesetz von 1897 wird anscheinend immer wieder hin⸗ ausgezögert. Dringend notwendig ist die endliche Scheidung zwischen Fabrik und Handwerk durch eine gesetzliche Definition.é Ohne diese Scheidung kann das Handwerk nicht zu einer geschlossenen Organisation gelangen. Chenso laßt die Inkraftsetzung des zweiten Teiles des Ge⸗ setzes zum Schutz der Bauhandwerker noch immer auf sich warten; Offenbar fürchtet man den Sturm aus den Reihen der Bau⸗ und Terrainspekulanten und läßt die Not und das Elend unter den Bau⸗ handwerkern immer größer werden. Dem Fortschrittsredner, Abg. Bartschat, scheinen nur die Warenhäuser der Beamten und Offiziere ein Dorn im Auge zu sein; gegen die großen jüdischen Warenhäuser baben die Herren absolut nichts einzuwenden. Was soll man übrigens
dazu sagen, wenn eins der größten Warenhäuser Berlins wirkliche
Frankopostkarten mit Ansichten der Geschäfts⸗ und Prunkräume für
4 ₰ das Stück in das Publikum gebracht hat? Ist das etwa fair? Mit der Enquete in der Müllerei hat der Staatssekretär nach seiner gestrigen Angabe schlechte Erfahrungen gemacht, weil die Müller die Formulare nicht hätten ausfüllen köoͤnnen. Das wird ihm wohl auch in anderen Branchen passieren, denn die Fragebogen sind viel zu aus⸗ führlich und enthalten viel zu viel Ueberflüssiges und Verwirrendes. Im Brauereigewerbe macht die Aufsaugung durch das Großkapital rapide Fortschritte; selbst eine immerhin bedeutende Brauerei wie Friedrichshain hat sich aufsaugen lassen müssen. Auch hier sind gesetzliche Maßnahmen zum Schutze des Mittelstandes dringend notwendig. Die Denkschrift über die Chancen einer Herabsetzung der Altersgrenze für die Altersrente vom 70. auf das 65. Lebensjahr sollte nicht bis 1915 hinausgeschoben werden. Der Abg. Dr. Werner⸗Gießen hat vor längerer Zeit eine Anfrage über die Reform der amtlichen Nachrichten⸗ vermittlung an die Regierung gerichtet; die Antwort blieb sehr lange aus; sie ist jetzt gekommen und sehr dürftig. Der Abg. Dr. Werner hat dabei darauf hingewiesen, daß das Wolffsche Telegraphenbureau nicht als ein unabhängiges anerkannt werden könne und hat sich dabei auch auf das „Kleine Journal“ und den Dr. Leipziger bezogen, die doch nicht im Geruch des Antisemitismus stehen. Er hat behauptet, daß das Bankhaus Bleichröder in engster Beziehung zu dem Wolffschen Tele⸗ graphenbureau stehe, und daß verschiedentlich Depeschen diesem Bank⸗ hause vor der Veröffentlichung vorgelegt würden. Am nächsten Tage hat das Wolffsche Telegraphenbureau in einer Erklärung „In eigener Sache“ diese Behauptung als in allen ihren Teilen aus der Luft ge⸗ riffen bezeichnet. Das Wolffsche Telegraphenbureau scheint gewisse Vorgänge aus dem Jahre 1900 vergessen zu haben, wo gerichtlich festgestellt worden ist, daß, wie der Direktor des Wolffschen Tele⸗ graphenbureaus, Dr. Mantler, noch ausdrücklich zugegeben hat, in mehreren Fällen Depeschen diesem Bankhause vor der Veröffent⸗ lichung vorgelegt worden seien. Es geht doch daraus tatsächlich her⸗ vor, daß dieses Wolffsche Telegraphenbureau als ein unabhängiges Nachrichtenvermittlungsinstitut nicht angesehen werden kann. Es wird nicht mit der notigen Unparteilichkeit verfahren. Im Moment sind mir einzelne Fälle nicht bekannt. Aber auch ich habe als Zei⸗ tungsmann in der Praxis dasselbe gefunden, was auch in anderen Zeitungen kritisiert worden ist. Man muß deshalb die Verstaat⸗ lichung des amtlichen Nachrichtenwesens fordern. In den Ansiedler⸗ dörfern herrscht im allgemeinen große Unzufriedenbeit, weil sie zu teuer angesetzt worden sind. Wenn die Domänenpachten ablaufen, sollte man doch nicht bloß Vorwerke, sondern auch die großen Do⸗ mänen parzellieren. Unsere Zollpolitik hat sich durchaus bewährt und muß deshalb erhalten bleiben. Eine kaufkräftige Landwirtschaft ist ein wesentlicher Faktor für das Blühen von Handel und Gewerb in den kleinen Städten.
Direktor des Reichsamts des Innern Dr. Caspar: Man hat davon gesprochen, daß einem blinden Rentner die Rente zum großen Teil entzogen worden ist, weil er sich an seinen Zustand all⸗ mählich gewöhnt hat. Der Fall liegt anders. Es wird oftmals, wo es notwendig ist, eine sogenannte Zusatzrente, eine Rente für be⸗ sondere Hilflosigkeit, gewährt. Nachdem nun von dem erblindeten Manne bekannt geworden war, daß er infolge von Gewöhnung an seinen Zustand nicht mehr so hilflos wie früͤher war, ist ihm ein Teil dieser Hilflosenrente wieder entzogen worden.
Abg. Dr. Erdmann (Soz.): V
r om Unternehmerstandpunkt kann man es ja verstehen, daß
die Industrie die gelben Gewerk⸗
schaften unterstützt, aber nicht vom moralischen Standpunkt aus. In den Kreisen des Dr. Böttger herrscht ein stark entwickeltes Standes⸗ bewußtsein, aus dem heraus man sich mißliebige Elemente vom Leibe hält. Da soll man es doch auch den Arbeitern nicht verargen, wenn sie ebensoviel Standesbewußtsein und Korpsgeist haben. Aus allen Aeußerungen geht hervor, daß die gelben Gewerkschaften auf den Streik verzichten. Die Unternehmer geben eben für diese Bewegung das Geld, damit die Gelben Streikbrecherhilfe leisten. Die soziale Müdigkeit, von der Abg. Giesberts sprach, ist in Deutschland sehr alten Datums. Auch das Zentrum ist nicht frei davon. Man will eben bezüglich der Sozialpolitik nicht ernster vorwärts gehen, als es bei den Nachbarn der Fall ist. Aber nicht nur die Industrie und beson⸗ ders die Großindustrie, sondern gerade die Zünftler und der ganze Mittelstand sind ebenso der Sozialpolitik abgeneigt. Das kam auf der Tagung in Leipzig, wo das Kartell der schaffenden Stände ge⸗ gründet wurde, zum Vorschein. Auf ihr waren ja auch die Mittel⸗ ständler vertreten. Warum spricht man nicht von dem Terrorismus des bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber dem Koalitionsrecht der Eisenbahnarbeiters In der Arbeiterbewegung gibt es auch eine Sünde gegen den Heiligen Geist, das ist jedes Vergehen gegen die Einigkeit der Arbeiter. Wären alle Arbeiter einig, dann wäre den Scharfmachern ein großer Teil ihres Uebermutes vergangen. Die christlichen Gewerkschaften hatten in den letzten Tagen mehr schlaflose Nächte als der Reichskanzler. Sie sind daran, ihr Firmen⸗ schild zu ändern. Man möchte an die Stelle des Wörtchens „christ⸗ lich“ doch das Wörtchen „national“ setzen. Man will sich unter die Fittiche der preußisch⸗deutschen Regierung flüchten, um sich vor den Fängen Roms zu schützen. Eine Regierung, die scharfmacherisch ist, wird keine gute Bundesgenossenschaft für die christlichen Gewerk⸗ chaften sein, zumal, da sie nicht fest und zuverlässig ist. Der Staats⸗ schaftan sagte, er habe 197 heeh Fragen bearbeiten lassen. Wir waren auf eine solche Arbeitsfülle im Reichsamt des Innern nicht ge⸗ faßt. Wir würden zufrieden gewesen sein, wenn das Amt sich auf die beiden Hauptfragen beschränkt hätte: ein wirksames Koalitions⸗ recht und den gesetzlich festgelegten Höchstarbeitstag. Darauf hat sich aber der Staatssekretär nicht eingelassen. Eine grundsätzliche Rege⸗ lung der Arbeitszeit ist nicht in Aussicht Lenommen, nur der bureau⸗ kratische Apparat ist erweitert worden. Troßdem veckächeh er, daß die soziale Gesetzgebung zu einem gewissen Abschluß weke, ist. Wo bleibt da das Versprechen des bekannten Kaiser ichen Erlasses, das jetzt sein 25 jähriges Jubiläum feiern kamn⸗ Her Seee sprach von einer „verständigen“ Sozialpolitik. 1“ 1i Eahpantte des Grafen Westarp die Scharfmacherpoliti der Auf. rung. Es ist und bleibt eine glatte Phrase. Wir “ ü8 2 85 trage der Arbeiterklasse, die nach einem Wort des Reichs Bnz nrh 5 intelligenteste der Welt ist. Der Staatssekretär sprach von dem 5 schwung des Handels und der Industrie; er hat uns vamit ni 88 Neues gesagt! Die Sozialdemokratie hat an diesem Aufschwunge ng 5 gearbeitet. Der Staatssekretär sprach von einem Wachsen des 8 2 standes der Arbeiter, dem Steigen der Löhne der Arbeiter. Löhne von 1053 ℳ scheinen ihm besonders günstig zu sein! Er wollte nicht erörtern, ob die Löhne ausreichend sind. Darauf kommt es aber gerade an. Nur aus der Art, wie die Arbeiter leben, läßt sich ein Schluß ziehen auf die Wirkung unserer Wirtschaftspolitik. Der Staatssekr⸗ tär hat uns eine Denkschrift über die Wirkung der sozialen Gesetz⸗ gebung in Aussicht gestellt. Dazu braucht er Zeit; wir gönnen sie chm, wenn er uns auch mitteilt, wie die Steigerung der Lebensmittei⸗ preise sich zu dem Steigen der Löhne verhält. Wir behaupten, daß der höhere Lohn reichlich aufgewogen wird durch die Steigerung der Lebensmittelpreise. Mehr als die Hälfte der Arbeiter ist mangelbaft ernährt; das wird auch von autoritativer Seite bestätigt. Daß wir nicht sozial vorwärts schreiten zeigt die Tatsache, daß unsere Delegierten auf der Berner Konferenz sich gegen die Heraufsetzung der Schutz⸗ grenze der jugendlichen Arbeiter auf das 18. Lebensjahr erklärt haben. Seik dem Jahre 1839 ist hier keine Aenderung eingetreten. Die Regierung ist sogar dabei, die Schutzbestimmungen für die Jugendlichen rückwärts zu rebidieren, und zwar im Kohlenbergbau, in dem nach einer Verordnung des Bundesrats die Arbeitszeit auch während der Nacht verlängert worden ist, auch die Ruhepause ist gegenüber der in anderen Betrieben auf eine Stunde beschränkt. Der Einfluß der modernen Technik, namentlich der Maschinentechnik auf das geistige Leben der Arbeiter ist noch lange nicht genügend gewürdigt worden. Die Kaiser Wilhelm⸗Akademie hat auch die Erforschung der Arbeits⸗ physiologie auf ihr Programm gesetzt. Die zunchmende Mechanisierung des Wirkschaftswesens, die Automatisierung durch die Maschinen zwingt geradezu mit Naturnotwendigkeit zu einer Verkürzung der Arbeitszeit. Das zerrüttete Nervensystem eines Volkes kann nur durch wirksamen Arbeiterschutz dieser Art tatsächlich wieder gesunden. Wir danach, aus den deutschen Arbeitern gesunde und lebensfrohe Menschen zu machen; dafür werden wir stets eintreten, sei es hier, sei es draußen im Lande! 2 Abg. Giesberts (Zentr.): Was der Vorredner über die christ⸗ lichen Gewerkschafien gesagt hat, trifft nicht zu. Die katholischen Arbeiter haben volle Freiheit, sich an die Organisationen anzuschließen, die ihnen zusagen. (Zuruf bei den Soz.) Gerade Sie Gu den Soz.) haben die gewerkschaftlichen Organisationen zersplittert; deswegen sind wir ja, die wir früher bei Ihnen und unter Ihnen standen, von Iöhnes gegangen und haben die christlichen Gewerkschaften gegründet. 88b ist die Pflicht jedes denkenden Arbeiters, sich den Gristlich-nationaid Verbänden anzuschließen. Der Rat der „Tremonia“, das Firmenschee. zu ändern, veranlaßt mich zu der Erklärung, daß die christlichen Smn werkschaften gar nicht daran denken. Dieses Firmenschild ist Pössalen und hat sich als so glänzend erwiesen, namentlich nach Ihrem ko Ursache Hereinfall im Colner Prozeß, daß wir dazu nicht die geringfte Ueemo⸗ baben. Es ist charakteristisch, daß der dritte Redner der Sozie kraten in dieser Debatte gerade jetzt, wo die Arbeitersche tionsrecht bedroht sieht, diese Angriffe auf die christlich 1 schaften richtet und damit einen neuen Keil in die Einigkei schen Arbeiterschaft hineintreibt. ““ Gesundheitszustandes
Abg. Schwabach (nl.): Ob bezüglich des uden sind, kann der Arbeiter der Großeisenindustrie Mißstände vorhan en nur durch amtliche Erhebungen festgestellt werden, um der Ur ernhen durch das Reichsgesundheitsamt wir die verbündeten ift über das bitten. Wir haben ferner die Vorlegung einer Den Staatsbetrieben Rechts⸗ und Arbeitsverhältnis des in den Reichs⸗ und sonals gefordert. außerhalb des Beamtenverhältnisses beschäftigten Perien dieser Ange⸗ Es ist jetzt außerordentlich schwer, bei jedem e Staatsarbeiter zu stellten oder Beschäftigten festzustellen, ob sie als. —e
8 5 für eine Reihe von Bei⸗ betrachten sind oder nicht (der Redner füͤhrt dafür 5 Jedenfalls sind eine Menge
Feigesten von 11 und ). — Hor Unklarheiten in dieser Hinsicht vorhanden. Eene Klarheit schaffen läßt, können wir nicht vbedl sunser Ant beaeee Prüfung wird erforderlich sein, und diese ob diese A Wege leiten. Es wird sich dann auch mncben,— bi rhe Angelegenheit überhaupt zur Reichskompetenz gehört und nich 88S eür zit der e einzelnen Landesverwaltungen. Durch 8 ablehnenden Beschluß der verbündeten Regierungen auf hierher Fehrige Petitionen von Arbeitern in Staatsbetrieben sollten wir uns nicht abhalten lassen, dieses Ziel weiter zu verfolgen. Die Schwierigkeiten, die binsichtlich der gesetz⸗ lichen Regelung z. B. bezüglich dnr im Reichs⸗ oder Staatseisen⸗ bahndienste beschäftigten Arbeiter, ihrer Dienstzeit usw. sich ergehen, verkennen wir keineswegs. Ebenso und vielleicht noch mehr als über anstrengenden Dienst und zu ] Einkommen beklagen sich die Betreffenden, daß ihre personlichen Angelegenheiten zu wenig einheit⸗ lich geregelt sind und sie zu sehr von der Willkür der Vorgesetzten ab⸗ angen. Es sind ja eine Reihe von wohlwollenden Bestimmungen bezüglich der Denstzeit getroffen worden. Diese sind aber vielfach durch allerlei Erlasse wieder illusorisch gemacht worden. Auf 888 Gebiete des Lohnwesens sind ja eine ganze Reihe erheblicher Ver⸗ besserungen zu verzeichnen, ganz besonders bei den Eisenbahnarbeitern Preußens und der Reichslande. Auf jeden Fall sollte man diese auch auf die Güterbodenarbeiter ausdehnen. Den Uebelständen, die sich herausgestellt haben, daß bei gleicher Leistung nicht immer gleiche Ent⸗ lohnung eintritt, soll ja abgeholfen werden. Vielleicht tritt man auch der Frage der Schaffung eines Existenzminimums näher. Darau
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