1883 / 105 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 May 1883 18:00:01 GMT) scan diff

§. 17.

Referendare, welche in den Bezirk eines anderen Ober⸗ Landesgerichts versetzt zu werden wünschen, haben ihr an den Pvräsidenten dieses Gerichts zu richtendes Gesuch dem Präsi⸗

denten desjenigen Gerichts, in dessen Bezirk sie beschäftigt sind, einzureichen. Genehmigt der erstere das ihm zu über⸗ mittelnde Gesuch, so ist der Referendar von dem letzteren, ohne daß es einer Genehmigung des Justiz⸗Ministers dazu bedarf, zu überweisen.

Die allgemeine Beaufsichtigung und Leitung des Vor⸗ bereitungsdienstes liegt den Präsidenten der Ober⸗Landes⸗ gerichte ob. Dieselbe gewährt jedoch nicht die Befugniß, durch allgemeine Verfügung den Gang des Vorbereitungsdienstes in den Einzelheiten zu regeln. ““

m Anfange des Monats Juli ist dem Justiz⸗Minister ein Verzeichniß einzureichen, in welchem die einzelnen Refe⸗ rendare aufzuführen sind. b

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Die besondere Beaufsichtigung und Leitung des Vorberei⸗ tungsdienstes liegt den Vorständen der Gerichte, den Staats⸗ anwälten, den Rechtsanwälten und den Notaren, welchen die Referendare zur Ausbildung überwiesen sind, ob.

Dieselben haben sich, wenn die Beschäftigung der Refe⸗

rendare bei ihnen aufgehört hat, in einem an den Präsidenten

des Ober⸗Landesgerichts unmittelbar einzureichenden Zeugniß über das dienstliche und außerdienstliche Verhalten, sowie über die Leistungen derselben und die darin etwa hervorgetretenen Mängel auszusprechen.

Die Referendare sind während des Vorbereitungsdienstes bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft einem oder mehreren Richtern beziehungsweise Beamten der Staats⸗ anwaltschaft zu überweisen.

Diese haben die Ausbildung und Schulung derselben in allen Zweigen der gerichtlichen und staatsanwaltlichen Thätig⸗ keit, einschließlich der Justizverwaltung und des Bureaudienstes, zu leiten und zu fördern. Sie werden dabei der Ausbildung

der Referendare in schriftlichen Arbeiten ihre besondere Auf⸗ merksamkeit zuzuwenden und darauf zu achten haben, daß die⸗ selben nicht blos pünktlich, sondern auch in einer sorgfältigen Form erledigt werden. 8

Es ist darauf zu halten, daß dem einzelnen Beamten nicht mehr Referendare überwiesen werden, als mit der Auf⸗ gabe einer wirksamen Beschäftigung und Ueberwachung ver⸗ träglich erscheint. n

Es ist ferner darauf zu halten, daß die Referendare regel⸗ mäßig den Sitzungen beiwohnen, die von ihnen bearbeiteten Sachen mündlich vortragen, ihre Ansicht in freiem Vortrag entwickeln, auch in anderen als den von ihnen selbst bear⸗ beiteten Sachen in geeigneter Weise zur Darlegung ihrer An⸗ sicht veranlaßt werden. Auch sind die Referendare in ausge⸗ dehntem Maße zur Wahrnehmung der Verrichtungen eines Gerichtsschreibers heranzuziehen.

§. 23. 8

Die Ausbildung der Referendare erfolgt zunächst während sechs Monaten bei einem Amtsgericht, welches mit nicht mehr als drei Richtern besetzt ist, und zwar, wenn möglich, bei einem solchen Gericht, bei dem nicht eine Geschäftsvertheilung nach Gattungen besteht. Während des folgenden Jahres ist der Referendar bei einem Landgericht zu beschäftigen und demnächst vier Monate in den Geschäften der Staatsanwalt⸗ schaft und sechs Monate in den Geschäften der Rechtsanwalt⸗ schaft und des Notariats auszubilden. Nachdem der Referendar dann nochmals ein Jahr lang einem Amtsgericht überwiesen ist, erfolgt der Schluß der Ausbildung durch eine sechsmonat⸗ liche Beschäftigung bei einem Ober Landesgericht.

Der Staatsanwaltschaft wird der Referendar auf Ersuchen des Präsidenten durch den Ober⸗Staatsanwalt überwiesen.

§. 24.

Die Präsidenten der Ober⸗Landesgerichte können unter hesonderen Umständen, namentlich wenn in Folge der geschäft⸗ lichen Verhältnisse die Vorbereitung des Referendars sonst nicht ausreichend zu fördern ist, dessen gleichzeitige Beschäf⸗ tigung in mehreren der in §. 23 gedachten Zweige des Vor⸗ bereitungsdienstes gestatten, auch mit Rücksicht auf die Er⸗ füllung der allgemeinen Wehrpflicht von der in §. 23 vorge⸗ schriebenen Ordnung des Vorbereitungsdienstes Abweichungen zulassen. Von der Vorschrift, daß der Vorbereitungsdienst mit der sechsmonatlichen Beschäftigung beim Amtegericht zu beginnen und mit der Beschäftigung beim Ober⸗Landesgericht abzuschließen hat, ist ohne Genehmigung des Justiz⸗Ministers nicht abzuweichen.

Findet ausnahmsweise eine Beschäftigung bei der Staats⸗ anwaltschaft gleichzeitig mit der Beschäftigung in einem anderen Dienstzweige statt, so muß die Beschäftigung bei der Staatsanwaltschaft mindestens die Dauer von sechs Monaten umfassen.

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Der Referendar hat ein Geschäftsverzeichniß zu führen, in welchem eine Uebersicht seiner Thätigkeit unter Hervor⸗ hebung der einzelnen bedeutenderen Geschäfte zu geben ist.

Dasselbe ist allmonatlich dem mit der besonderen Leitung des Vorbereitungsdienstes Betrauten zu übergeben und von diesem zum Zeichen genommener Einsicht mit einem Vermerke zu versehen.

§. 26. Der Referendar hat sechs der von ihm während des Vor⸗ bereitungsdienstes beim Landgericht, bei der Staatsanwalt⸗ schaft oder beim Ober⸗Landesgericht angefertigten schriftlichen Arbeiten auszuwählen und zu den Dienstakten einzureichen.

Gehören die Urschriften dieser Arbeiten zu den Akten des Gerichts, so sind dieselben in Abschrift vorzulegen.

„Der Arbeit ist eine Aeußerung des betreffenden Gerichts⸗ mitgliedes oder Staatsanwalts über die praktische Verwend⸗ barkeit beizufügen und dabei insbesondere zu bemerken, ob die een Verhältnisse richtig und vollständig angegeben ind.

In der Auswahl der einzureichenden Arbeiten sind die Referendare nicht auf Referate und Gutachten oder auf Er⸗ kenntnisse in Rechtsstreitigkeiten beschränkt.

Aus den eingereichten Arbeiten und den Zeugnissen, welche die mit der Leitung des Vorbereitungsdienstes betrauten Per⸗ sonen den Referendaren über die Beschäftigung in den ein⸗ zelnen Zweigen des Vorbereitungsdienstes oder über einzelne Arbeiten ausstellen, ist ein besonderes Anlageheft der Dienst⸗ akten zu bilden.

§. 27.

Die Präsidenten der Ober⸗Landesgerichte und die mit der Beaufsichtigung des Vorbereitungsdienstes betrauten Personen (§. 19) haben darauf zu halten, daß die Referandere im Dienst wie außerhalb desselben ein den Zwecken des Vorbereitungs⸗ dienstes und ihrer amtlichen Stellung entsprechendes Ver⸗ beobachten (§. 18 Theil III. Titel 4 Allg. Ger.⸗

rdn.).

Wenn ein Referendar sich so tadelhaft führt, daß er zur Belassung im Dienste sich nicht würdig zeigt, oder wenn er seine Ausbildung durch Unfleiß vernachlässigt, so ist in Ge⸗ mäßheit des §. 84 des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (Gesetz⸗ Samml. S. 465) die Entlassung desselben aus dem Dienste in Antrag zu bringen.

Das Gesuch um Zulassung zur großen Staatsprüfung ist an den Präsidenten des Ober⸗Landesgerichts zu richten.

In dem Gesuch ist nachzuweisen, daß der Referendar seiner Militärpflicht genügt habe oder vom Militärdienste ganz oder theilweise befreit sei.

Dem Gesuch ist das Geschäftsverzeichniß beizufügen.

§. 29. Die Zeit, während welcher ein Referendar in Folge von

Krankheit oder von Einziehung zu militärischen Dienstleistun⸗

gen dem Vorbereitungsdienst entzogen war, ist auf die vorge⸗ schriebene Dauer des Vorbereitungsdienstes in Anrechnung zu bringen, wenn dieselbe während eines Jahres den Zeitraum von acht Wochen nicht übersteigt.

Dasselbe gilt, wenn der Referendar in Folge von Beurlaubung oder aus anderen Gründen dem Vorbereitungs⸗ dienst während eines Jahres auf die Dauer von nicht mehr als vier Wochen entzogen war.

Durch das Zusammentreffen der Fälle des Abs. 1 und 2 wird ein Anspruch auf Anrechnung von mehr als acht Wochen nicht begründet.

Wenn die Prüsung des Gesuchs um Zulassung zur großen Staatsprüfung ergiebt, daß der Referendar den gesetz⸗ lichen und reglementarischen Vorschriften genügt hat, so ist über die Zulassung unter Angabe seiner Beschäftigung in den einzelnen Zweigen des Vorbereitungsdienstes von dem Präsi⸗ denten unter Beifügung einer gutachtlichen Aeußerung dar⸗ über, ob der Referendar auf Grund der beigebrachten Zeug⸗ nisse und nach dem eigenen pflichtmäßigen Ermessen des Prä⸗ sidenten zur Ablegung der Prüfung für vorbereitet zu er⸗ achten sei, sowie unter Uebersendung der Dienstakten an den Justiz⸗Minister zu berichten.

6. 31

Den Auftrag zur großen Staatsprüfung ertheilt der Justiz⸗Minister der

Die schristliche Prüfung hat eine rechtswissenschaftliche Arbeit und eine Relation aus 1u“ zum Gegenstande.

Der Präsident der Prüfungskommission hat dem zur Prüfung zugelassenen Referendar die Aufgabe zur rechts⸗ wissenschaftlichen Arbeit zu ertheilen und nach deren Abliefe⸗ rung Prozeßakten zur Anfertigung einer schriftlichen Relation zuzufertigen.

Die wissenschaftliche Arbeit ist binnen einer sechswöchigen, die Relation binnen einer dreiwöchigen Frist in Reinschrift abzuliefern. Am Schlusse der Arbeiten hat der Referendar zu versichern, daß er dieselben ohne fremde Hülfe angefertigt und anderer als der von ihm angegebenen Schriften sich dabei nicht bedient habe.

Wird die Frist zur Anfertigung der wissenschaftlichen Arbeit versäumt, so ist dem Kandidaten auf seinen Antrag eine andere Aufgabe zu ertheilen; wird die Frist zur Anferti⸗ gung der Relation versäumt, so sind ihm auf seinen Antrag andere Prozeßakten zur Anfertigung der Relation zuzuferti⸗ gen. Bei wiederholter Fristversäumung gilt die Prüfung als nicht bestanden (§§. 39, 40).

Die Nelation muß eine vollständige und wohlgeordnete Darstellung des Sach⸗ und Rechtsverhältnisses, ein begründetes Gutachten und einen enhalten.

Die Relation kann aus laufenden oder zurückgelegten

Akten erstattet werden.

Dem Präsidenten der Prüfungskommission sind zu diesem Zwecke von den Vorständen der Gerichte zur Prüfung geeig⸗ nete Prozeßakten auf sein Ersuchen mitzutheilen.

§. 36.

Die Beurtheilung der beiden schriftlichen Arbeiten liegt denjenigen Mitgliedern der Justiz⸗Prüfungskommission ob, vor welchen der Referendar die mündliche Prüfung ab⸗ legen soll.

§. 37.

Die mündliche Prüfung erfolgt vor drei Mitgliedern der Justiz⸗Prüfungskommission, einschließlich des Präsidenten derselben.

Mit der Prüfung ist ein freier Vortrag aus Akten zu verbinden, welche dem Referendar drei Tage vor dem Termin zugestellt werden. db“

Die Prüfung ist nicht

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Zu einem Prüfungstermin sollen nicht mehr als sechs Referenbdare geladen werden.

Die Frage, ob die Prüfung überhaupt bestanden, und im Bejahungsfalle, ob dieselbe „ausreichend“ oder „gut“ oder „mit Auszeichnung“ bestanden sei, wird durch Stimmenmehrheit und zwar nach dem Gesammtergebnisse der schriftlichen und mündlichen Prüfung öö

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Die Justiz⸗Prüfungskommission hat über die Erledigung der ihr ertheilten Aufträge dem Justiz⸗Minister zu berichten. Referendare, welche die Prüfung nicht bestanden haben, werden auf eine nach dem Ermessen der Prüfungskommission zu bestimmende Zeit behufs besserer Vorbereitung zur Beschäf⸗ tigung bei einem Gerichte vheeewissern 8

Es ist eine einmalige Wiederholung der großen Staats⸗ prüfung gestattet. Mißlingt dieselbe, so hat sich die Prüfungs⸗ kommission auf den Beschluß zu beschränken, daß die Prüfung nicht bestanden sei.

Die zu wiederholende Prüfung gilt als mißlungen, wenn die beiden zu wiederholenden schriftlichen Arbeiten nach dem einstimmigen Beschlusse der Kommission den zu stellenden An⸗ forderungen nicht gen

Für den Fall der zu wiederholenden Prüfung können

durch einstimmigen Beschluß der Kommission von der Wieder⸗ holung diejenigen Theile (wissenschaftliche Arbeit, Probe⸗ relation, mündliche Prüfung) ausgeschlossen werden, in der Referendar den zu stellenden Anforderungen ge⸗ nügt hat.

Ist nur die Proberelation und die mündliche Prüfung zu wiederholen, so gilt die zu wiederholende Prüfung als mißlungen, wenn die Proberelation nach dem einstimmigen Beschlusse der Kommission den zu stellenden Anforderungen nicht genügt. t

.43.

Der Kandidat, welcher die Versicherung der selbständigen Anfertigung einer schriftlichen Prüfungsarbeit (§§. 6, 33) nicht wahrheitsgemäß abgegeben hat, wird von dem Justiz⸗ Minister, je nach dem Grade der Verschuldung, auf Zeit für immer von der Prüfung vrvettbens 8

Die Vorsitzenden der Prüfungskommissionen Anfange eines jeden Jahres über die im verflossenen Jahre vorgenommenen Prüfungen und deren Ergebniß einen General⸗ bericht zu erstatten.

§. 45.

In Betreff der schon im Vorbereitungsdienst befindlichen Referendare haben die Präsidenten der Ober⸗Landesgerichte zu bestimmen, in welcher Weise der bereits zurückgelegte Theil des Vorbereitungsdienstes auf die in §. 23 gedachten Zweige des Vorbereitungsdienstes anzurechnen und inwieweit eine anderweite Ueberweisung nach Maßgabe des §. 21 und des §. 23 Abs. 1 erforderlich sei. v““

Berlin, den 1. Mai 1883. 8

Der Justiz⸗Minister. Friedberg.

Ministerium für Landwirthschaft, Domänen und Forsten.

Dem bisherigen Militär⸗Roßarzt Friedrich August Max Schulze ist die kommissarische Verwaltung der Kreis⸗ Thierarztstelle des Kreises Kempen, unter Anweisung seines Amtswohnsitzes in Kempen, übertragen worden.

8

Michtamtliches.

Dentsches Reich.

Preußen. Berlin, 7. Mai. Se. Majestät der Kaiser und König ertheilten gestern Mittag 12 Uhr dem bisherigen Botschafts⸗Rath bei der hiesigen österreichisch⸗ ungarischen Botschaft, Freiherrn von Pasetti⸗Friedenburg, eine Audienz.

Gestern nahmen Se. Majestät die Vorträge des Vize⸗ Präsidenten des Staats⸗Ministeriums, von Puttkamer, der Hofmarschälle und des Civilkabinets entgegen.

Den Kammerherrendienst bei Ihrer Majestät der

Kaiserin und Königin hat der Königliche Kammerherr

und Ceremonienmeister Graf Fürstenstein (nicht der Kammer⸗ herr Graf Fürstenberg) übernommen, was wir hiermit berich tigend bemerken.

In der unter dem Vorsitz des Königlich preußischen Staats⸗ und Finanz⸗Ministers Scholz am 5. Mai abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesraths wurde dem Gesetzentwurf, hetreffend die ReichsKriegshäfen und die Feststellung eines Nachtrages zum Reichshaushalts⸗Etat für 1883/84, in der von dem Reichstage beschlossenen abgeänderten Fassung die Zu⸗ stimmung ertheilt. Genehmigt wurden ferner die Ausschuß⸗ Anträge, betreffend die Vergütung für die Erhebung und Ver⸗ waltung der Tabacksteuer, eine internationale Vereinbarung über technische Einheit im Eisenbahnwesen, die Zurückweisung einer Eingabe wegen Rückerstattung des Zolls für Garne bei der Ausfuhr der daraus hergestellten Gewebe, die Zoll⸗ und Steuerverwaltung in dem südlichsten Theile des oldenbur⸗ gischen Fürstenthums Lübeck. Den zuständigen Ausschüssen wurden zur Vorberathung überwiesen: die Beschlüsse des Reichstags zu der Uebersicht der Reichs⸗Ausgaben und Ein⸗ nahmen für 1881/82, die Vorlage, betreffend den Erlaß der Ahgabe für das bei den Ueberschwemmungen gegen Ende 1882 verdorbene Salz, sowie mehrere Eingaben von Privaten.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für das Landheer und die Festungen und für Rechnungswesen, die vereinigten Ausschüsse desselben für das Landheer und die Festungen und für das Seewesen, die vereinigten Aus⸗ schüsse für Rechnungswesen und für Elsaß⸗Lothringen, die ver⸗ einigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Rechnungs⸗ wesen, sowie der Ausschuß für Rechnungswesen hielten heute Sitzungen.

Der Schlußbericht über die Sitzung des Reichstages vom Sonnabend befindet sich in der Ersten Beilage, die von dem Staats⸗Minister von Goßler in der Sitzung des Hauses der Abgeordneten gehaltene Rede in der Zweiten Beilage.

In der heutigen (81.) Sitzung des Reichstages, welcher die Staats⸗Minister Scholz und Bronsart von Schellen⸗ dorff sowie mehrere andere Bevollmächtigte zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten, erledigte das Haus ohne Debatte in erster und zweiter Berathung den Kon⸗ sularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Serbien.

Es folgte die erste und zweite Berathung des Freund⸗ schafts⸗, Handels⸗ und Schiffahrtsvertrages zwischen Deutschland und Mexiko.

Der Bundeskommissar Geheime Legations⸗Rath von Kusserow bat, den Vertrag zu genehmigen, und wenn nicht drin⸗ gende Momente vorlägen, von Klauseln Abstand zu nehmen, die dazu nöthigen würden, den Vertrag nochmals einem der gesetzgebenden Faktoren vorzulegen. Der jetzige, schon mehr⸗ mals verlängerte Vertrag laufe am 30. Juni d. J. ab. Es sei nur im Art. 14 ein: unbedeutende Aenderung vorgenom⸗ men worden.

Der Abg. Dr. Kapp befürwortete den Wunsch des Kom⸗ missars auf bedingungslose Genehmigung des Vertrages. Man müsse dankbar anerkennen, daß der mexikanische Minister⸗ resident Alles gethan habe, um Deutschland günstige Be⸗ dingungen zu sichern. Vor Allem sei durch den Vertrag⸗

.

v11“ 1“ die Uebertragbarkeit von Grundeigenthum an Angehörige des Deutschen Reiches ermöglicht worden. Auf diese wichtige Frage der Erwerbung von Grundeigenthum müsse das Aus⸗

3 wärtige Amt auch in Verträgen mit andern Staaten Werth

legen. 6 x - In der zweiten Berathung wurden die sämmtlichen Para⸗

graphen des Vertrages nach unwesentlicher Debatte unver⸗

ändert angenommen.

Bei Schluß des Blattes setzte das Haus die erste Be⸗

rathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Fest⸗

ellung des Reichshaushalts⸗Etats für das Etatsjahr eang in Verbindung mit der ersten Berathung des Ent⸗ wurfs eines Gesetzes, betreffend die Aufnahme einer Anleihe

für Zwecke der Verwaltungen des Reichheeres, der Marine

und der Reichseisenbahnen, fort.

In der heutigen (65.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der öffentlichen Ar⸗ beiten Maybach, sowie mehrere Kommissarien beiwohnten, er⸗ klärte das Haus zunächst gemäß dem Kommissionsantrage eine Reihe von Petitionen als zur Erörterung im Plenum unge⸗ eignet. Es folgte die dritte Berathung des Entwurfs eines Ge⸗ setzes, betreffend die Beschaffung von Mitteln für die Erwei⸗ terung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung des Staats⸗ Eisenbahnnetzes und die Betheiligung des Staats bei dem Bau einer Eisenbahn von Zajonskowo nach Löbau.

In der Generaldiskussion bemängelte der Abg. Vygen den Ausdruck „Sekundärbahnen“. 1

Der Minister der öffentlichen Arbeiten Maybach erwiderte, da sein Befinden noch nicht derartig sei, um sich in weitläufige Auseinandersetzungen einlassen zu können, nur kurz, daß die Bezeichnung „Sekundärbahn“ auch der Staatsregierung anti⸗ pathisch sei. „Bahnen untergeordneter Bedeutung“, „minder wichtige Bahnen“, „Bahnen, die nicht Vollbahnen seien“, „Lokalbahnen“, alle diese Ausdrücke seien noch ungenügender, und man sei immer und immer wieder auf das Wort ‚Se⸗ kundärbahnen“ zurückgekommen.

Nachdem noch die Abgg. Lyskowski und Frhr. von Fürth in Betreff ihrer heimathlichen Bahnen einige Wünsche geäußert, schloß die Generaldebatte. 8

Die Nrn. 1—5 wurden ohne Diskussion angenommen.

Bei Nr. 6 bat der Abg. von Kalkreuth, die Kreise Birn⸗ baum und Samter durch eine Sekundärbahn aus ihrer Isolirt⸗ heit zu befreien.

Bei Nr. 14 wünschte der Abg. Stöcker die Vollendung der Bahn von Freudenberg nach Hohenmühl.

Bei Nr. 17 frug der Abg. Berger (Witten), wann die Niederwesterwaldbahn vollendet sein werde Der Ministerial⸗ Direktor Schneider gab eine befriedigende Auskunft. Der Rest des Tit. I. und die Tit. II. —VII. wurden unverändert genehmigt. 1

Hierzu lag folgender Antrag des Abg. Kieschke vor:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:

in §. 1 auf Seite 4 in Spalte 2 nach Zeile 17 von unten ein⸗ zuschalten:

„VIII. Zur Gewährung eines weiteren Zuschusses zu den Grunderwerbskosten der im §. 1 unter Nr. I. 13 des Gesetzes, be⸗ treffend die Erweiterung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung des Staatseisenbahnnetzes, vom 15. Mai 1882 (Gesetz⸗Samml. S. 280) zur Ausführung genehmigten Eisenbahn von Prüm über St. Vith und Montjoie nach Rothe Erde (Aachen) mit Abzwei⸗ gung von Faimonville oder einem anderen geeigneten Punkte der Hauptbahn nach Malmedy außer dem im §. 1 unter Litt. A. b. dieses Gesetzes bewilligten Zuschuß von 343 000 die Summe von 157 000 ℳ“

und in Zeile 16 von unten die Zahl „97 453 200 ℳ“ zu ändern in „97 610 200 ℳ“ b

Nachdem der Abg. Kieschke den Antrag kurz empfohlen, wurde derselbe vom Hause angenommen. §. 2 wurde mit folgender Modifikation angenommen:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:

In §. 2 Seite 5 Spalte 2 Zeile 4 von unten statt „und VII.“ zu setzen „VII. und VIII.“ und Zeile 2 von unten die Zahl „43 000 200 ℳ“ zu ändern in „43 157200 ℳ“.

Unverändert wurden die §§. 3 und 4 und hierauf mit

großer Mehrheit das ganze Gesetz genehmigt. Letzter Gegenstand der Tagesordnung war die dritte Be⸗ rathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Abänderungen des Gesetzes über die Erweiterung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung des Staatseisenbahnnetzes vom 15. Mai 1882. Dieser Gesetzentwurf war aber bereits durch Annahme obigen Antrags Kieschke und damit die ganze Tagesordnung erledigt.

Der Präsident von Köller erklärte, daß der Schwerpunkt der Arbeiten jetzt in die Thätigkeit des Herrenhauses falle, das Abgeordnetenhaus dagegen das übrig gebliebene Pensum auch nach den Pfingferien erledigen könne. Er schlage des⸗ halb vor, die nächste Sitzung am 25. d. M. abzuhalten.

Es erfolgte kein Widerspruch.

Das Haus vertagte sich darauf um 10 Uhr auf Freitag, den 25. Mai, 9 Uhr.

Se. Königliche Hoheit der Großherzog Friedrich Franz III. von Mecklenburg⸗Schwerin, bisher Oberst⸗Lieutenant à la suite des 4. Brandenburgischen Infanterie⸗Regiments Nr. 24 (Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg⸗Schwerin) und des Garde⸗Kürassier⸗Regi⸗ ments, ist unter Belassung à la suite des erstgenannten Re⸗ giments zum General⸗Major besördert und zum Chef des Hannoverischen Husaren⸗Regiments Nr. 15 ernannt worden.

Der General⸗Feldmarschall Graf von Moltke, Chef des Generalstabes der Armee, hat den ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten.

Als Aerzte haben sich niedergelassen die Herren Dr. Brunk in Bromberg, Dr. Schulte Tigges in Homberg, Dr. Ziegler in Elberfeld, Dr. Kranz in Werden, Dr. Helming in Werlte, Clementz und Dormagen in Cöln, Dr. Renvers in Trier und Dr. Senzig in Beckingen.

Bayern. München, 5. Mai. (W. T. B.) Der König empfing heute den neu ernannten russischen Ge⸗ sandten, von Staal, in seierlicher Antrittsaudienz.

—Braunschweig. Braunschweig, 7. Mai. (W. T. B.) Der Herzog ist heute Vormittag 8 Uhr nach Sibyllenort

abgereist.

Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 5. Mai. (W. T. B.) Eine Versammlung von etwa 1000 Bäckergehülfen veranstaltete eine Kundgebung im Vereinshause, welche in Thätlichkeiten ausartete. Die Tumultuanten zerstörten

¹Möbel und Fenster des Lokals und wurden mit den Wacht⸗

leuten handgemein. Nachdem die Straße abgesperrt war, wurde die Ruhe wieder hergestellt. Gleichzeitig fand vor der Wohnung des Vorstandes der Bäckergenossenschaft eine De⸗ monstration statt, an welcher sich gegen 400 Bäckergehülfen betheiligten. Auch hier wurden die Fenster eingeworfen und die Thüren zertrümmert.

7. Mai. (W. T. B.) Die conférence à quatre hat den Wortlaut der Konvention mit Einstimmigkeit fest⸗ gestelt, deren Unterzeichnung in den nächsten Tagen stattfinden wird.

Schweiz. Bern, 6. Mai. (Bund.) Ueber den der⸗ maligen Stand der Landesbefestigungs⸗Angelegen⸗ beit giebt der Geschäftsbericht des eidgenössischen Militär⸗ Departements für das Jahr 1882 folgende Auskunft: Die zur Behandlung der Landesbefestigungsfrage aufgestellte größere Kommission höherer Offiziere vermochte sich über das zu wählende Befestigungssystem, über Umfang, Ort und Art der Festungs⸗ anlagen nicht zu einigen. Sobald das Militär⸗Departement in den Besitz der bezüglichen Berichte gelangte, bestellte dasselbe eine neue kleinere Kommission, welcher das gewonnene Ma⸗ terial zugewiesen wurde mit dem Auftrage, die Angelegenheit an der Hand dieses Materials weiter zu prüfen und Anträge zu stellen. Die Arbeiten dieser Kommission und die von ihr unter verschiedenen Molen vorgenommenen Besichtigungen der in Frage kommenden Terrainabschnitte hatten das Ergebniß, daß sich dieselbe auf ein begrenzteres Projekt einigte, welches in einem Anfangs 1883 eingereichtem Gutachten nebst Skizzen dem Militärdepartement vorgelegt wurde. Letzteres gedenkt den eidgenössischen Räthen im laufenden die zu einem Abschluß der Angelegenheit erforderlichen Vorlagen zu machen.

Großbritannien und Irland. Dublin, 5. Mai. (W. T. B.) Die neue Verhandlung des Prozesses gegen Kelly ist auf nächsten Montag anberaumt.

Portsmouth, 5. Mai. (W. T. B.) Als heute Vor⸗ mittag einige Soldaten in dem Pulvermagazin von Priddys Hard im hiesigen Hafen mit der Füllung von Granaten beschäftigt waren, explodirte eine Granate und führte das Explodiren des ganzen Pulvermagazins herbei. Bei dem Unglücksfall sind 6 Personen ums Leben gekommen und mehrere andere verwundet worden.

Frankreich. Paris, 5. Mai. (W. T. B.) Der Ministerrath beschästigte sich heute mit den von gewissen Journalen verbreiteten Gerüchten, die den Zweck haben, die Einleger der Ersparnißkasse zu beunruhigen und zur Zurückziehung ihrer Einlagen zu veranlassen. Die alarmirenden Journale sollen gerichtlich verfolgt werden. Der Minister⸗ rath beauftragte ferner den Handels⸗Minister, die Frage wegen Aufhebung des Verbots aus dem Auslande kommenden gesalzenen Fleisches zu prüfen.

Im Senat richtete der ehemalige Justiz⸗Minister Batbie heute bezüglich der Ansicht des Staatsraths, daß die Regie⸗ rung berechtigt sei, die Gehälter der Geistlichen ein⸗ zuziehen, eine Anfrage an die Regierung. Er erklärte, er finde, daß die Erwägungsgründe des Staatsraths nicht ernst⸗ haft zu nehmen seien, und daß dieselben auf einer unrichtigen Auslegung des Konkordats beruhten. Jederzeit seien Unter⸗ schiede gemacht worden zwischen den Gehältern der ver⸗ schiedenen Geistlichen. Bischöfen und Pfarrern könne das Gehalt ohne Verletzung des Konkordats nicht geschmälert werden. Batbie warf der Regierung vor, daß sie einen Abweg betrete und neue Verlegenheiten heraufbeschwöre. Der Justiz⸗Minister Martin Feuills erwiderte: der Staats⸗ rath interpretire das Konkordat ganz richtig und stütze sich auf Präzedenzfälle unter dem Kaiserreich, der Restauration und der Julimonarchie. Der Dienst der Kulte sei ein öffentlicher Dienst, und der Staat dürfe nicht wehrlos sein. Der Minister konstatirte im Uebrigen, daß die Agitation gegen das Unter⸗ richtsgesetz nachlasse und daß die Mehrzahl der Bischöfe sich an derselben nicht betheiligte. Er, der Minister, werde stets für die Aufrechterhaltung des Konkordats eintreten und die an⸗ erkannten Kulte schützen, aber auch verlangen, daß dem Gesetze Gehorsam geleistet werde.

Die Bureaux der Kammer wählten heute die Budget⸗ kommission. Dieselbe ist ganz ebenso zusammengesetzt wie früher; die Majorität ist republikanisch und kein Mitglied der Opposition zugelassen.

6. Mai. (W. T. B.) An der heute im 16. Arron⸗ dissement von Paris vorgenommenen Ersatzwahl zur Deputirtenkammer nahmen von 10 249 eingeschriebenen Wählern gegen 8000 Theil. Es erhielten Bouteillier (In⸗ transigent) 2587, Calla (konservativ) 2309 und Thullié (radikal) 2299 Stimmen; sonach ist eine Stichwahl er⸗ forderlich.

Italien. Rom, 6. Mai. (W. T. B.) Die „Riforma“ konstatirt den äußerst günstigen Eindruck, den der Ab⸗ schluß des deutsch⸗italienischen Handelsvertrages hervorgerufen habe. Es sei zu hoffen, daß der Vertrag nicht blos eine große kommerzielle Wichtigkeit für beide Länder haben, sondern auch von hervorragender politischer Bedeutung und ein Beweis der wahren Absichten Deutschlands und der gegenwärtigen Richtung seiner Politik sein werde.

Türkei. Konstantinopel, 6. Mai. (W. T. B. Der österreichisch⸗ungarische Botschafter Frhr. von Calice reklamirte in seiner Eigenschaft als Doyen des diplomatischen Corps gestern bei Aarisi Pascha v. der unabsehbaren Verzögerung der Einberufung der Libanonkonferenz, und erklärte, daß die Botschafter binnen Kurzem die Einbe⸗ rufung wünschten. Aarifi Pascha versprach, möglichst bald zu antworten. Hafiz Pascha ist nach Kreta abgereist, wohin ihm 6000 Mann Truppen aus Scutari und Albanien nach⸗ folgen werden. b

6. Mai. (VW. T. B.) Das „Reutersche Bureau“ meldet: Die Botschaster der Mächte und die Vertreter der Pforte traten heute zu einer Sitzung zusammen, von der Pforte wurde Wassa Effendi zum Gouverneur des Liba⸗ non vorgeschlagen, die Botschafter nahmen den Vorschlag ad referendum. Am Dienstag soll eine weitere Sitzung statt⸗ finden, in welcher eventuell das die Ernennung Wassa Effendi'’s bestätigende Protokoll unterzeichnet werden dürfte.

Rumänien. Bukarest, 6. Mai. (W. T. B.) Bei⸗ den Kammerwahlen des zweiten Wahlkollegiums errang die Opposition nur drei Sitze.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 5. Mai. (W. T. B.) Der Großfürst Konstantin ist hier ein⸗ getroffen. 8

7. Mai. (W. T. B.) Gestern fand in der hiesigen

katholischen Kirche die feierliche Ueberreichung des Palliums an den neuen Erzbischof von Warschau, Popiel, statt. Als päpstlicher Delegat fungirte der Bischof von Kjelze, Kulinsky. Popiel leistete den Eid der Treue in russischer Sprache und überreichte das unterschriebene Eides⸗ formular dem Minister des Innern, Grafen Tolstoi.

Die Meldung des „Russischen Kourier“ über Aus⸗ schreitungen gegen die Juden in Jekaterinoslaw sind, wie von dort berichtet wird, übertrieben und unrichtig Es hat dort nur ein Streit in dem Laden eines jüdischen Kaufmanns stattgefunden. Auch wurde der Ladenbesitzer nicht geschlagen und keine Deputation der jüdischen Bevölkerung zum Gouverneur gesandt, um Schutz zu erbitten. 1

In Krementschug (Gouvernement Poltawa) sind die niedrig gelegenen Stadttheile unter Wasser gesetzt. Die Bewohner derselben haben sich gerettet.

Süd⸗Amerika. Peru. Lima, 5. Mai. (W. T. B.) Zwischen Abtheilungen chilenischer und peruanischer Truppen haben zwei Zusammenstöße stattgefunden, bei welchen die Peruaner mit einem Verlust von 59 Todten zurückgeschlagen wurden. Die Chilenen verloren 4 Todte und 12 Verwundete.

Zeitungsstimmen.

Die „Essener Zeitung“ schreibt in ihrem Leit⸗ artikel:

Wir befinden uns allem Anschein nach seit 5 Jahren zum so und so vielten Mal in der peinlichen Situation, einen großen Theil, vielleicht die Majorttät der Volksvertretung in schroffer und prinzi⸗ pieller Opposition zu finden gegen Regierungsvorlagen, die von der Bevölkerung und den Betheiligten als im wohlverstandenen allge⸗ meinen Interesse begründete und wohlwollendster landesväterlicher Gesinnung entstammte Maßregeln erkannt werden, die sogar theil⸗ weise von der Volksvertretung zu anderen Zeiten als wünschenswerth bezeichnet worden sind

Erinnern wir uns an die Samoavorlage, den ersten vorsichtigen Fühler in der Kolonialpolitik, einer der Lebensfragen unseres Landes, deren Ablehnung im Reichstag durch eine hauptsächlich aus Ultra⸗ montanen, Sezessionisten, Fortschrittlern und Sozialdemokratie be⸗ stehende Mehrheit eine tiefe und berechtigte Verstimmung nicht nur im Lande, sondern unter den Deutschen in der ganzen Welt hervorrief und bis auf diesen Tag als scharfe Dissonanz nachklingt.

Erinnern wir uns daran, daß die Gesetze wider die Sozial⸗ demokraten gegen die linke Seite des Hauses durch eine Neuwahl durchgesetzt werden mußten.

Wir erinmern ferner an die leidenschaftliche Anfeindung, welche die Schritte erfuhren, mit denen die Regierung den Anschluß Ham⸗ burgs an den Zollverein veranlaßte, der jetzt von allen, namentlich auch den Hamburgern selbst, als eine der segensreichsten und wichtig⸗ sten Maßregeln anerkannt wird.

Wir erinnern endlich um eine ganze Reihe minder bedeuten⸗ der zu übergehen vor allem an den fanatischen Widerstand, den die Umkehr von der Freihandelspolitik zum gemäßigten Schutzzoll, von der vorwiegend direkten zur vorwiegend indirekten Besteuerung ge⸗ funden und trotz aller Erfahrungen bis auf diesen Tag noch nicht zu überwinden vermocht hat.

Heute befinden wir uns einer ähnlichen Vorlage von höchster Wichtigkeit, der Kanalvorlage gegenüber, die mit einer seltenen Einmüthigkeit aus allen Schichten der Bevölkerung ohne Unterschied des religiösen oder politischen Bekenntnisses als eine ebenso wohlthätige, wie wohlwollende Regierungsmaßregel begrüßt wird. Welches muß die Folge sein, wenn die Bevölkerung Deutschlands und speziell Rheinland⸗Westfalens für die Lebensfragen ihres Er⸗ werbs und ihrer materiellen Existenz bei der Majorität ihrer Volks⸗ vertreter nicht das nöthige Verständniß und bei dem größten Theil der linken Seite sogar eine doktrinäre und eigensinnnige Gegnerschaft findet und in der Regierung ihren einzigen wahren Anwalt zu sehen gewöhnt und genöthigt wird?

Wählen wir unsere Vertreter zur Wahrung unserer Landes⸗ interessen, namentlich auch der materiellen, oder damit sie in Berlin unter Vernachlässigung und direkter Schädigung dieser Interessen dem Ehrgeiz hervorragender Führer dienen und dem Phantom einer parlamentarischen Regierung nachjagen?

Die parlamentarische Geschichte des Deutschen Reiches und Preußens in dem letzten Jahrzehnt ist uns den Beweis schuldig ge⸗ blieben, daß wir für ein parlamentarisches Regiment reif seien, selbst für diejenigen, denen die Erfolge dieses Regimentes in andern 1 namentlich in Frankreich und England verlockend erscheinen

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Der „Westfälischen Volkszeitung“ schreibt man aus Bochum, 5 Mai:

Zu der von uns mehrfach betonten und mit Beweisen erhärteten Behauptung, daß der neue Zolltarif vom Jahre 1879 auf die allge⸗ meinen Verhältnisse des Industriebezirkes günstig eingewirkt habe, liefert auch die in der „Westfälischen Volkszeitung“ dieser Tage mitgetheilte Statistik über die Bevölkerungsbewegung in der katholischen Pfarrgemeinde Bochum einen Beleg. Obschon leichtsinnige, oft aus unsittlichen Verhältnissen resultirende Heirathen in der Mark nichts Seltenes sind und als betrübende Folge davon die Zahl der eheverlassenen Frauen keine geringe ist, so darf man doch als Regel festhalten, daß zwei junge Leute dann den Bund für das Leben schließen, wenn sie für sich und ihre Nach⸗ kommen gegründete Aussicht auf Durchkommen haben oder doch zu haben glauben. In den „flotten Jahren“ von 1871 1874 wurden in der karholischen Gemeinde kirchlich getraut 319, 386, 368 und 421 Paare. Trotz der Zunahme der Bevölkerung fiel diese Ziffer im Jahre 1875 auf 336 der Rückgang der Erwerbsverhältnisse war eingetreten und das Vertrauen in die Zukunft geschwunden und sank in den folgenden vier Jahren bis 1879 inkl. weiter auf 330, 277, 265 resp. 233 Paare. Nach der Bewilligung des Eisenzolles im Jahre 1879 stiegen die Arbeitslöhne zwar nicht, wie im im Industriebezirk trotz aller gegentheiligen Versicherungen jedes Kind weiß, wohl aber war Aussicht gegeben, daß die Werke ihren Arbeiter⸗ stand halten konnten, die Arbeitsgelegenheit mehrte und das Ver⸗ trauen hob sich und in Folge dessen nahm die Zahl der Nup⸗ turienten sofort wieder langsam, aber stetig zu Sie betrug im Jahre 1880 bereits wieder 293, im folgenden Jahre 318, im letzten Jahre 320, und wird im laufenden Jahre diese Ziffer weit überschreiten.

Der „Schwäbische Merkur“ entnimmt dem Jahresberichte der Stuttgarter Handels⸗ und Gewerbekammer für 1882 folgende Aeußerung:

Bei der Großindustrie ist seit 3 Jahren eine durch wirklichen Bedarf hervorgerufene Besserung von ganz gesundem Gepräge und das Fernbleiben der früheren, fieberhaften Bewegung zu konstatiren. Die Konkurrenzfähigkeit unserer Großindustrie auf dem Weltmarkt erweist sich mit jedem Jahre stärker, und zwar vermelden von den betreffenden Geschäften seit 1879 immer mehr Berichte eine Abnahme der Geschäftsstille. Bei verschiedenen Fabriken waren Er⸗ weiterungen der vorhandenen Einrichtungen und theilweise Neubauten erforderlich. Bezüglich des Geld⸗ und Effektenmarktes, welcher zwar im Einzelnen verschiedenartige Resultate aufweist, wird im Berichte der Jahrgang als ein mittelmäßig guter bezeichnet. Auf dem Ge⸗ biete des Engrosgeschäfts machte sich eine Steigerung des Ausfuhrhandels und eine energische Ausbeutung guͤnstiger Konjunkturen bemerklich. Der Bericht bezeichnet in seiger Einleitung trotz der mannigfach eingelaufenen Klagen des schlechten Ernteausfalls und trotz der augenblicklich prekären Lage mancher Industriezweige doch das Jahr 1882 gegenüber einer Reihe seiner

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