bezahlt werde, so gehöre das wohl zur Sache. Schon beim nächsten Zusammentritt des Gemeindekirchenraths seien die vier alten Mitglieder nicht mehr eingeladen worden und dadurch die Beschlußunfähigkeit absichtlich herbeigeführt. Dieselbe Willkür liege vor betreffs der Auslegung des §. 39 in Bezug auf die kirchlichen Wahlen. Gegen die Ergänzungs⸗ wahlen für 3 Aelteste und 3 Gemeindevertreter sei sofort nach deren Vollziehung protestirt. Gleichwohl sei in der Sitzung des nicht beschlußfähigen Kirchenraths beantragt, die Gewählten sofort einzuführen. Auf Beschwerde hiergegen habe das Kon⸗ sistorium die sofortige Einführung der Gewählten für den nächsten Sonntag unter dem Hinzufügen verfügt, daß die §§. 39 und 40 auf Ergänzungswahlen nicht anwendbar seien. Diese Eile sei um so wunderbarer, als nun die Einführung auf den Todten⸗ sonntag gefallen sei. Allerdings sei mit der Einführung zweier neuer Aeltesten die Normalzahl der Mitglieder vorhanden ge⸗ wesen, und diese Normalzahl sei vielleicht dem Konsistorium sehr erwünscht gewesen, weil in einem gegen einige Mitglieder des Gemeindekirchenraths wegen eines schandbaren Flugblattes schwebenden Strafverfahrens ein unanfechtbares Zeugniß des Kirchenvorstandes dem Gericht vorgelegen habe. Ueber dieses Verfahren des Konsistoriums sei wiederum Beschwerde beim Ober⸗Kirchenrath eingelegt. Derselbe habe darauf an ihn ge⸗ schrieben, er habe bisher keine Veranlassung gehabt, der analogen Anwendung des §. 39 auf Ergänzungswahlen ent⸗ gegenzutreten; ein Präjudiz für die Rechtsnothwendigkeit könne daraus nicht entnommen werden. Danach bleibe also wiederum Alles nach wie vor im Belieben des Konsistoriums. Der Vorstand der Kreissynode Berlin II habe Ende August, nachdem demselben die Verhältnisse der Sophiengemeinde be⸗ kannt geworden seien, an den Vorsitzenden des Gemeinde⸗
Verfahren“ vorgeworfen, „welches die Würde der Synode verletze“; ferner auch „Anmaßung, mehrfache Verirrungen“ u. s. w. Eine Cirkular⸗Verfügung des Evangelischen Ober⸗ Kirchenraths sei ferner in den „amtlichen Mittheilungen“ des Konsistoriums nur theilweise abgedruckt worden unter Weg⸗ lassung gerade der Stellen, worin der Ober⸗Kirchenrath den Werth der Selbstverwaltung für die Kirche betont habe. Auf eine bezügliche Beschwerde des Gemeinde⸗Kirchenraths von St. Johannis habe das Konsistorium nicht geantwortet. Uebri⸗ gens habe das hervorragendste Mitglied des Konsistoriums auf der letzten Stadtsynode gesagt, man möge sich in Acht nehmen; wenn es (das Mitglied) einmal sein Amt niederlege, würde man vom Regen in die Traufe kommen. Er sel ein überzeugter Protestant, ein treuer Bewunderer des Erzketzers vonWittenberg zaber erbeneide doch manchmal die katholische Kirche um die Art und Weise, wie dort die Bischöfe, die den evangelischen Konsistorien entsprächen, sich in diesen äußeren Dingen ge⸗ bahrten; um den warmen Zusammenhang der Gemeinden mit den Bischöfen, um die Sympathien, die dort so allgemein für die Bischöfe vorhanden seien. Die Selbstverwaltung habe vielen Schaden und wenig Ehre den Gemeinden gebracht, aber dennoch sei es ihr gelungen, eine ganze Menge von Per⸗ sonen, die früher der Kirche ferngestanden hätten, zum kirch⸗ lichen Leben heranzuziehen; und die Kraft der evangelischen Kirche beruhe ja gerade auf dem freiwilligen Mitwirken der Gemeinden; die Gefahr für die Kirche liege weniger in den Gegnern von links und rechts, dem Unglauben und Aber⸗ glauben, als vielmehr im apalhischen Indifferentismus, der die Dinge gehen lasse, wie sie gingen. Man solle doch nicht, wie es das brandenburgische Konsistorium gethan habe, die Leute von der Mitwirkung gn kirchli
Eirche: ein Schreiben zur Mittheitung an die Aeltesten
gerichtet und Bericht über die derzeitige Lage erfordert. Der Vorsitzende des Gemeinde⸗Kirchenraths habe darauf gar nicht geantwortet, dagegen habe das Konfistorium eine Verfügung erlassen, welche ihn von der Antwort entbinde, die Verfügung des Synodalvorstandes aufhebe, und diesem eröffne, er habe sich durch sein Verlangen eine Befugniß beigelegt, welche allein dem landesherrlichen Kirchenregiment zustehe. Der Synodal⸗ vorstand habe auf die eingereichte Beschwerde gar nicht ant⸗ worten können, weil ihm die Akten nicht zugänglich gemacht seien; danach aber habe das Konsistorium über den Kopf des Synodalvorstandes hinweg erklärt, derselbe habe sich geweigert, auf den Rekurs zu entscheiden, und so habe auf Anordnung des Ober⸗Kirchenraths das Konsistorium als kirchliche Auf⸗ sichtsbehörde den Rekurs geprüft, erkläre ihn für unbegründet und weise ihn zurück. Durch diese Konsistorialverfügung werde das ganze 8e bei Seite geschoben, nach welchem der Kreissynodalvorstand die berufene Rekursinstanz sei. Die Eigenschaft des Konsistoriums als kirchliche Aufsichts⸗ behörde sei auch in dem Gesetz keineswegs begründet. Zwar habe der Ober⸗Kirchenrath dem Konsistorium eine solche Be⸗ fugniß durch einen Erlaß im Jahre 1881 gegeben. Dieser Erlaß beziehe sich aber auf eine Dienstinstruktion vom 23. Ok⸗ tober 1817, die doch nach dem klaren Wortlaut der Kirchen⸗ Gemeinde⸗ und Synodalordnung wie aller übrigen observanz⸗ mäßigen oder sonstigen Bestimmungen außer Kraft getreten sei. Nach allem diesen müsse er erklären: das Königliche Konsistorium fasse seine Aufgabe nicht dahin auf, wie der Allerhöchste Erlaß von 1873. Es sorge nicht dafür, daß die Selbstthätigkeit der Gemeinden gefördert werde, sondern es trete direkt mit seinem Einfluß und seiner Entscheidung den klaren Bestimmungen der Synodalordnung entgegen. Nehme man dazu die Art und Weise, wie das Kon⸗ sistorium die Beschwerden abfasse, die außerordentliche Schnelligkeit, mit welcher sie getroffen würden! Solche Einwirkungen möchten bei militärischen und polizeilichen Behörden wohl berechtigt sein, nicht aber in derjenigen Verwaltung, welche dem Königlichen Konsistorium unterstellt sei. Er spreche hier aus dem Herzen vieler es mit der Kirche wohlmeinender Personen, wenn er diesen Klageruf über das Konsistorium erschallen lasse. Er bitte den Minister, ihn nicht abzuweisen, zumal alle diese Fragen mit der Verwaltung des irchenvermögens zusammenhingen. Der Minister sei der kom⸗ etente Mann, er sei der Beirath der Krone, des Königs, welcher für die evangelische Landeskirche immerhin der summus episcopus sei: Er gebe dem Minister zur Erwägung, ob er nicht eine genaue Untersuchung anstellen wolle, ob er nicht verpflichtet sei, dem König andere Personen vorzu⸗ schlagen, die mehr im Sinne des Königlichen Erlasses für die Selbstthätigkeit und nicht für deren Unterdrückung einträten! „Hierauf ergriff der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten Dr. von Goßler das Wort: . Meine Herren! Trotz des warmen Appells, welchen der Herr Vorredner an mich gerichtet hat, halte ich mich nicht für befugt, in ine meritorische Erörterung der vorgetragenen Beschwerden einzugehen. Die Rechte, welche der Staat der evangelischen Landeskirche gegenüber hat, sind genau durch Gesetze festgelegt; diese bestimmen, daß die Ver⸗ waltung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche auf die neu geschaffenen Organe der Kirche, den Evangelischen Ober⸗Kirchen⸗ rath und die Konsistorien übergegangen ist, und daß diesen Organen zur Seite stehen in geordneter Aufeinanderfolge die Synoden. Die Rechte, welche die Staatsbehörden dieser Verwaltung gegenüber haben, sind genau definirt, und zu diesen Rechten, welche die Staatsbehörden wahrzunehmen befugt sind, gehört nicht die Erörterung derjenigen Spezialfragen, welche der geehrte Herr Vorredner zum Gegenstande seines Vortrages gemacht hat. Namentlich in den Art. 23 und 24 des Staatsgesetzes vom 3. Juni 1876 sind die Befugnisse der Staats⸗ behörden, insbesondere auch des Ministers bestimmt worden. Wenn, wie richtig hervorgehoben worden ist, dem Kultus⸗Minister eine Mitwirkung bei Besetzung kirchenregimentlicher Aemter zusteht, so ist ihm in keiner Weise die Möglichkeit gewährt worden, in einer so weitgehenden Weise, wie von dem Herrn Vorredner mir angerathen ist, in die Verhältnisse der evangelischen Landeskirche einzugreifen. Ich kann kein Mitglied der Landesvertretung bewegen, sich auf den Standpunkt zu stellen, den die Staatsbehörden nach Maßgabe des Gesetzes einzunehmen haben, aber wohl habe ich mir als Minister die Beschränkung aufzuerlegen, auch in der Diskussion im Landtage
nicht weiter zu gehen, als den Staatsbehörden auf Grund des Gesetzes eine Mitwirkung zugewiesen worden ist.
Der Abg. Zelle bemerkte, auch er müsse seine Beschwerden gegen das Konsistorium der Provinz Brandenburg vor dem Landtage und dem Minister vorbringen. Dieselben bezögen sich namentlich auf das Verfahren gegenüber dem Vorstande der Sophien⸗Gemeinde bezüglich des Neubaues einer Prediger⸗ wohnung, wo man den Gemeinde⸗Kirchenrath regreßpflichtig für die Baukosten habe machen wollen. Aehnlich sei das Ver⸗ fahren dem Rendanten der Thomas⸗Gemeinde gegenüber ge⸗ wesen. Keine andere Behörde schlage in ihren Reskripten einen solchen Ton an wie das Konsistorium, diese Behörde habe kein Vertrauen zu der kirchlichen Selbstverwaltung, welche hier gesetzlich festgestellt sei. Dem Vorstande der Kreissynode Kölln habe das Konsistorium gelegentlich ein „ungehöriges
Er möchte schließen mit dem Verse Rückerts: „So lange Eure — bange will die Menschen machen, soll die Thorheit achen!“
Der Abg. von Wedell⸗Piesdorff erklärte, obwohl der Mi⸗ nister bereits höchst sachgemäß nachgewiesen habe, daß er nicht in der Lage sei, den Beschwerden des Abg. Hermes abzuhelfen, habe doch der Abg. Zelle dem Hause auch nicht ein Theilchen seiner jedenfalls bereits vorbereiteten Rede geschenkt. In diesem Hause sei dabei weder das Konsistorium der Provinz Brandenburg, noch der Evangelische Ober⸗Kirchenrath vertreten. Die Herren hätten also ihre Beschwerden nicht hier, sondern in den Synoden vorbringen können. Die Herren hätten wohl auch nur deshalb jene Dinge hier zur Erörterung gebracht, weil sie glauben möchten, wegen der stenographischen Berichte hier ein größeres Publikum zu haben, als in den Synoden; oder auch vielleicht, weil sie meinten, es sei angenehmer, die Dinge in Abwesenheit Derjenigen vorzutragen, die sich sonst dagegen vertheidigen würden. Namens seiner politischen Freunde pro⸗ testire er dagegen, daß das Abgeordnetenhaus zum Forum für die Eroͤrterung innerer Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche gemacht werde.
Der Abg. Hahn dankte dem Regierungsvertreter für seine wohlwollende Aeußerung auf seine Anregung. Aber die Ein⸗ schränkung, welche derselbe gemacht habe, lasse seine Hoffnung wieder sinken. Er bitte zu erwägen, daß es sich in dem be⸗ regten Punkte um ein Kirchengesetz handele, welches nicht den Beschlüssen des Landtags unterliege, wie die kirchlichen Um⸗ lagen. Die Kirchenorgane hätten ihrerseits nichts ins Auge gefaßt, was den Maßregeln der Staatsverwaltung gleich käme. Er glaube, daß dem wiederholten Antrage der Kirchen⸗ behörden und der Bewilligung des Ober⸗Kirchenraths gegen⸗ über die Staatsregierung nicht an der Ansicht festhalten werde, daß der Bedarf nicht durch die Umlagen gedeckt werden könne. Alle Synoden, besonders die Generalsynode vom Jahre 1879, hätten sich in gleichem Sinne, wie er, ausgesprochen, und wenn wirklich eine Provinzialsynode gegentheilig beschlossen abe, so gelte hier der Satz exceptio firmat regulam. Der Zweck seiner Rede sei, möglichst bald Abhülfe zu schaffen, und er bitte den Finanz⸗Minister den diesbezüglichen Anträgen des Kultus⸗Ministers sich sympathischer zu erweisen.
Der Abg. Dr. Hänel erklärte, er könne die Zurückweisung nicht verstehen, die der Minister und der Abg. von Wedell den Beschwerden der Abg. Hermes und Zelle hätten zu Theil werden lassen. Es handele sich bei denselben keineswegs ledig⸗ lich um innere kirchliche Angelegenheiten, sondern um Fragen bei denen der Staat und seine Gesetze wesentlich in Betracht kämen. Diese Beschwerde enthalte auch nichts Neues. Wofür heute von der Linken plaidirt worden, sei nichts Anderes, als was der katholischen Kirche gegenüber auch von der Rechten als berechtigt anerkannt sei. Habe man nicht vor Kurzem erst noch klagen hören, daß der Staat sein Begnadigungsrecht gegenüber den Bischöfen nicht ausübe? Es sei zuerst Klage geführt worden über die Besetzung des brandenburgischen Konsistoriums, die den kirchlichen Frieden zu stören geeignet sei. Da nach Art. 23 der General⸗Synodalordnung dem Staate das Recht verbleibe, an den Gesetzen und der Be⸗ setzung kirchlicher Aemter mitzuwirken, so liege in solchen Klagen nichts Unberechtigtes. Auf Grund jenes Ar⸗ tikels übernehme der Minister die Verantwortlichkeit für die Besetzung der kirchlichen Aemter, und so sei hier auch der Ort für Klagen, die sich gegen die Besetzung richteten. Ueberdies stehe die evangelische Kirchenverfassung zum Staate in einem ganz anderen Verhältniß, als die katholische. Der König sei zugleich summus Episcopus der evangelischen Kirche, und wer diese Verquickung von staaͤtlichem und kirchlichem Oberhaupt haben wolle, der dürfe keine scharfe Scheidung ziehen zwischen innerkirchlichen und staatlichen Angelegenheiten. Dazu komme noch, daß die gesammte Gemeindeorganisation und auch die höͤheren Stufen des Kirchenregiments auf der Anerkennung Seitens des Staates beruhten. Und diese sei ihnen zu Theil geworden nur unter der Bedingung, daß sie die organisatorischen Vorschriften für die Kirche einhielten. Wenn nun geklagt werde, daß der Instanzenzug nicht ein⸗ gehalten, und die Kirchenräthe gesetzwidrig zusammengesetzt seien, dann wolle Jemand auftreten und sagen, derartige Beschwerden gehörten nicht hierher, weil sie innerkirchliche An⸗ gelegenheiten beträfen? Im Gegentheil, diese Beschwerden be⸗ wiesen nur, daß der Bestand der bestehenden Gesetze bedroht sei, und so gut, wie man von den Katholiken die Befolgung der Staatsgesetze verlange, so gut könne man das von den Pro⸗ testanten fordern. Er nenne es schwere Parteilichkeit, wenn die Herren, die bei den Beschwerden gegen die Katholiken ein⸗ getreten seien, sich jetzt, wo es sich um Beschwerden gegen die evangelische Kirche handele, hinter der Ausrede verstecken wollten, es handle sich hier um innerkirchliche Angelegenheiten. Was dem Einen recht sei, das sei dem Andern billig.
Der Abg. Dr. von Bitter bemerkte, das Recht des Staats der evangelischen Kirche gegenüber sei durch Art. 23 der Kirchen⸗ verfassung festgestellt. Wenn nun aus diesem Artikel das
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schen. Dingen ahschrecken!— beschränkt, dis äugerliche Geschäftsgebahr
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Recht hergeleitet sei, die Kirchenverwaltung vor dieses Forum zu ziehen, so bestreite er die formelle Befugniß zu einem solchen Vorgehen nicht. Darüber habe der Präsident dieses Hauses allein zu befinden. Aber materiell spreche der Artikel nicht zu Gunsten der Linken. Die ganze Angelegenheit gebe ihm noch zu einigen Bemerkungen Veranlassung. Vor wenigen Wochen sei das Haus hier mit der Berliner Stadtverordnetenversamm⸗ lung befaßt, heute geschehe dasselbe mit der Kreissynode. Immer handele es sich um Angelegenheiten, die in dieses Haus gar nicht gehörten. Begreiflich sei es allerdings, daß der Abg. Hermes diese Sachen hier vorgebracht habe, der seine politische Agitation auch auf das kirchliche Feld übertragen wolle. Der Abg. Zelle habe dann gesagt, daß die neue Kirchenordnung nicht gut funktionire; daß sie nicht gut wirke, daran sei allein die Agitation schuld. Der Abg. Hermes habe dann noch bemerkt, das Haus habe ein Recht, hier über alle⸗ diese Angelegenheiten zu verhandeln, da die evangelische Kirche aus der Tasche der Steuerzahler bezahlt werde. Formell werde sich gegen diese Auffassung nichts einwenden lassen, aber trotzbdem dürfe ein solcher Standpunkt gegenüber der evangelischen Kirche nicht vertreten werden. Durch feierliche Gewährleistungen habe der Staat auch gegenüber der evange⸗ lischen Kirche Verpflichtungen übernommen. Er lege schließ⸗ lich auch Namens seiner Partei dagegen Protest ein, daß der⸗ artige innerkirchliche Angelegenheiten hier zur Sprache ge⸗ bracht würden.
Der Abg. Zelle erklärte, der Abg. von Wedell habe, was er gesagt, entweder nicht gehört, oder nicht richtig verstanden, wenn derselbe gemeint habe, daß er von innerkirchlichen Angelegenheiten gesprochen habe. Er habe sich lediglich darauf
— dafür auch die Verantwortlichkeit des Kultus⸗Ministers in
rurng zur Sprache zum bringen. Dann habe der Abg. von Wedell ihm und seinem Kollegen insinuirt, daß seine Partei vielleicht eine Freude⸗ darüber empfunden hätte, in Abwesenheit des Konsistoriums Vorwürfe gegen dasselbe hier zu erheben. Er frage den Abg. von Wedell, wenn hier Klagen über Behörden geführt würden, geschehe das nicht immer in Abwesenheit der Betreffenden? Wie wäre das auch anders möglich, wenn das Haus nicht die ganzen Behörden vor sein darust ziehen wolle? Der Abg. von Bitter habe bemerkt, er (Redner) habe gesagt, die neue Kirchen⸗ ordnung funktionire nicht gut. Er habe aber im Gegentheil hervorgehoben, daß dieselbe ganz gut wirken würde, wenn ihr nicht Hindernisse in den Weg gelegt würden. Der Minister
habe gemeint, er habe keine Kompetenz, auf die Maßnahmen
der Kirchenbehörden einzuwirken. Wie nun, wenn dies Behörden sich einmal daran machen sollten, die kirchlichen
Gesetze umzustürzen? Solle da der Staat diesem Treiben
machtlos gegenüberstehen, oder verbleibe demselben nicht natur
gemäß die Einwirkung, die derselbe auf alle Staatsbehörden
ausübe?
„ Der Abg. Weis (Hirschberg) betonte, die Aufmerksamkeit, mit der die Debatte auf allen Seiten verfolgt werde, beweise
zur Genüge, daß es sich hier nicht um eine innerkirchlich Angelegenheit handele.
hätten ihre Klagen nicht aus Lust an der Agitation hier erhoben.
tönen hören, was er empfunden habe, als er die Klagen ver⸗ nommen habe.
Hause ein Nothstand vorgeführt worden, der schreiender und gefährlicher sei. lichen Behörden ein Aufsichtsrecht ausüben, aber das müsse
er sagen, was dem Hause heute geschildert sei, sei ein offen⸗
barer Kriegszustand zwischen den Gemeinden. die nur stark sein könne, wenn die Gemeinde sich betheilige an der kirchlichen Arbeit und dem Ausbau der Verfassung. Er habe geraume Zeit in kirchlichen Diensten gestanden, und könne sagen, daß diese Mitwirkung schwer sei. Umsomehr sei es im Interesse der Kirche geboten, die Arbeit so leicht als möglich zu gestalten, um die Gemeindemitglieder mit Freude und Be⸗ geisterung zu erfüllen. dürfe man sich nicht wundern, wenn Viele nach solchen Er⸗ fahrungen auf eine weitere Mitarbeit verzichteten. Wie oft nicht geklagt, daß die Massen unkirchlich geworden eien. befördere ein Verfahren, wie es von dem brandenburgischen Konsistorium beobachtet worden sei. Linken das Recht bestreite, so schreiende Nothstände hier zur Sprache zu bringen, so müsse die Rechte auch dem Centrum entgegentreten, wenn es in gleicher Weise hier aufhetze. Denn Berlin seufze unter einer gleichen Last wie das Centrum. Der Minister habe es zwar abgelehnt, auf die Klagen ein⸗ zugehen. Aber er zweifle nicht, daß der Nothschrei auch⸗ so an der Stelle gehört werde, wohin derselbe gehöre.
Der Abg. Dr. Hänel bemerkte, er erkenne die Pflicht des⸗ Staates, die evangelische Kirche zu unterstützen, unumwunden an. Aber es sei doch ein ungeeigneter Moment, an diese Dotation jetzt zu erinnern. Sei nicht das Sperrgesetz gegen die katholische Kirche erlassen worden, weil deren Organe die Gesetze des Staats verletzt hätten? Die Linke beklage sich gerade über Gesetzesverletzungen der kirchlichen Behörden. Wie komme der Abg. von Bitter dazu, dem Kollegen Hermes einen spezifischen kirchlichen Standpunkt zu imputiren? Wie komme derselbe zu dieser Art von Gewissensrichterei? Der Abg. Hermes habe nie einen spezifischen kirchlichen Standpunkt be⸗ kundet. Um ihn zu widerlegen, habe der Abg. von Bitter gemeint, nach seinen Deduktionen könnte man sich in jede Angelegen⸗ heit der Kirche mischen. Das habe er nie gesagt. Das Haus. könne sich nur dann einmischen, wenn die Einmischung des Staates vorbehalten sei, dies sei der Fall in Bezug auf die kirchenregimentlichen Behörden, für welche ausdrücklich die Verantwortlichkeit des Kultus⸗Ministers festgestellt sei. Das Haus habe darüber zu wachen, daß die in den Gesetzen vor⸗ gesehenen Organisationen nicht gefälscht werden. Diesen Ge⸗ setzen zuwider . aber die Beschlußunfähigkeit kirchlicher Organe zugelassen worden.
Der Abg. von Wedell⸗Piesdorf erklärte, daß der Geschäfts⸗ gang vor den kirchlichen Behörden eine rein innerkirchliche Ange⸗ legenheit sei. Er bedauere nochmals, daß diese Dinge hier vorge⸗ bracht seien, wo die Behörden sich nicht vertheidigen könnten. Bei den Staatsbehörden könnten die Ressort⸗Minister eintreten. Der Kultus⸗Minister sei bei Angriffen gegen Konsistorien und den Ober⸗Kirchenrath dazu nicht in der Lage. Mit dem summus episcopus habe das Abgeordnetenhaus gar nichts zu thun. Der §. 23 der Kirchengemeinde⸗ und S nodalordnung handle nur von der Anstellu in den Konsistorien; abe
kirchlichen Behörden und
welche der ehemalige Kultus⸗Minister Falk der Aufhebung der
gebung von denjenigen Garantien frei geworden sei, deren
der einmal klar hervorgehoben worden sei.
Den Gang der kleinen detaillirten Verhandlungen habe er nicht behalten, aber er meine, das Gefühl würden Alle gewonnen haben, die Beschwerdeführer Im Herzen dieser Herren habe er dasselbe Gefühl en h Die Rechte habe bei vielen Gelegenheiten von dem kirchlichen Nothstand in Berlin gesprochen, und denselben aus dem Mangel an Kirchen hergeleitet, aber heute sei dem
noch viel. Allerdings müßten die kirch⸗
Wie solle das zum Heile der Kirche ausschlagen,
Aber nach dem, was man hier gehört,
Das sei richtig, aber die Ursache der Unkirchlichkeit Wenn die Rechte der
on hätten die Herren von der Linken gar nicht gesprochen. dae übenn ne 85 Staatsgesetze liege nicht vor; am aller⸗ wenigsten aber eine Analogie mit dem Centrum; dasselbe habe sich noch niemals über einen Bischof beschwert, sondern alle innerkirchlichen Fragen vom Abgeordnetenhause fern
ten.
gehalton. Abg. Hermes bemerkte, er habe dem Hause aus den Akten die Gesetzesverletzungen, welche vom Konsistorium aus⸗ gegangen seien, mitgetheilt, und den Minister gebeten, die Sache zu untersüchen und eventuell weitere Ergänzungen an⸗ zustellen. Von einer Agitation, gar von einer kirchlichen Agitation, sei gar nicht die Rede gewesen; das seien nur Verdächtigungen. Er müsse sich Derartiges vom Abg. von Bitter verbitten; derselbe wisse von seinem (des Redners) kirch⸗ lichem Standpunkt doch absolut nichts.
Der Abg. Dr. von Bitter erklärte, jede Verdächtigung des Abg. Hermes habe ihm vollständig fern gelegen; wenn der⸗ selbe sich verletzt fühlen sollte, wolle er seine Worte zurück⸗ nehmen; er habe ihm in keiner Weise zu nahe treten wollen. Er meine nur, diese Berliner Angelegenheit gehöre ebenso wenig in das Haus, wie die Stadtverordnetenwahlen. Die Beschwerden der Kirchenräthe über die Aufsichtsbehörde müß⸗ ten innerhalb der kirchlich n Organisation erledigt werden; von Verletzungen von Staatsgesetzen sei keine Rede.
Der Abg. Dr. Hänel betonte, der Artikel 2 des Staats⸗ gesetzes über die Kirchengemeinde⸗ und Synodalordnung er⸗ kenne die kirchlichen Organe staatsgesetzlich an, und stelle die Art ihrer Beschlußfassung fest. Deshalb müsse man hier wegen Gesetzesverletzung Klage erheben. Das Haus könne
Anspruch nehmen; eventuell habe das Haus doch auch die Klinke der Gesetzgebung in der Hand. 8
Der Abg. Frhr. von Hammerstein erklärte, wenn er den früheren Kultus⸗Minister Falk als Gesetzesinterpreten anneh⸗ men wolle, müsse er dem Abg. Dr. Hänel im Wesentlichen Recht geben, und er habe schon bei Gelegenheit der Berathung des Antrages Reichensperger auf die Bedeutung hingewiesen,
Artikel 15, 16 und 18 der Verfassung für die katholische Kirche beigemessen habe. Der Kultus⸗Minister habe jetzt her⸗ vorgehoben, daß durch die Aufhebung dieser Artikel die Gesetz⸗
sich die evangelische Kirche durch diese Artikel erfreut habe, und zwar mit der Wirkung, daß die evangelische Kirche sich in ihrer Organisation ändern lassen müsse durch ein Staats⸗ gesetz. Liege die Sache so, so sei für ihn diese Debatte von der allerhöchsten Bedeutung gewesen, und ꝛes sei hm sehr wünschenswerth gewesen, daß der Zustand, in dem sich die evangelische Kirche gegenüber dem Staate befinde, wie⸗ 1 Angesichts dieses Zustandes werde nun hoffentlich den Bestrebungen der Rechten, die Kirche selbständiger zu machen, von links kein so großer Widerstand mehr entgegengesetzt werden. Man sage ja, die taatliche Mitwirkung bei der Besetzung kirchenregimentlicher Aemter müsse so lange dauern, als die Gehälter im Etat ständen. Deshalb plaidire er für die Dotation und Selbst⸗ ttändigmachung der Kirche. Aber die Dotation passe der Linken nicht, weil sie auf eine andere Zeit hoffe, wo es wieder möglich sein werde, die Hülfe des Staates für ihre Richtung in der Kirche in Anspruch zu nehmen, und daß es dann möglich sein werde, mit Hülfe des Art. 23 diejenigen Personen nicht zu en Aemtern gelangen zu lassen, die der Linken nicht kon⸗ enirten. Einen Vorgeschmack der Absichten der Linken habe man damals erhalten, als die Herren Hofprediger Baur und Kögel berufen seien, und es sei der Minister Falk interpellirt, wie er als Minister sein placet dazu habe geben können. Der Minister Falk sei damals klug genug gewesen, zu schweigen. Das seien die Forderungen, nach denen die Linke strebe, des⸗ halb halte sie den Moment jetzt nicht für gekommen. b Kap. 112 wurde bewilligt. Im Kap. 113 werden für evangelische Geistliche und Kirchen 1 331 639 ℳ gefordert. 8 M Der Abg. Seer beklagte die Verwaisung so vieler evan⸗ gelischer Pfarrstellen in der Provinz Posen, die in letzter Zeit wieder außerordentlich zugenommen habe. Man könne dreist behaupten, daß stets die fünfte Pfarre in der Provinz wegen Mangel an geeigneten Bewerbern unbesetzt sei. Schon im vorigen Jahre habe er die Ursache dieses betrübenden Zustan⸗ des gekennzeichnet: als solche seien auch jetzt noch immer das zu geringe Einkommen der Pfarrstellen, die zu große Aus⸗ dehnung der Kirchsprengel, der Mangel eines fest regulirten und vielmehr auf Accidenzien beruhenden Einkommens hervor⸗ zuheben. Er fordere die Regierung auf, den beregten Miß⸗ ständen durch bessere Dotirung der Pfarrstellen in der Pro⸗ vinz Posen abzuhelfen. u““ Dieses und Kap. 114 „Katholische Konsistorien zu Hildes⸗ heim und Osnabrück 35 371 ℳ“ wurden bewilligt. Hierauf vertagte sich das Haus um 3 ¾ Donnerstag 11 Uhr.
— Das Protokoll der sechsten (Schluß⸗) Sitzung des Volkswirthschaftsraths lautet: Berlin, den 28. Januar 1884. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 11 ½8 Uhr. Das Protokoll der 5. Plenarsitzung liegt zur Einsicht aus. Für heut entschuldigt sind die Herren Meyer und Sar⸗ tori, außerdem für den ersten Theil der Sitzung die Herren Dietze, Kade, Kahlcke und Schimmelpfennig. Als Regierungskommissarien sind anwesend: der Direktor im Reichsamt des Innern Hr. Bosse, der Geheime Ober⸗Regierungs⸗Rath Hr. Dr. Thiel, der Geheime aesearg eee Hr. Bödiker, 8 der Geheime Regierungs⸗Rath Hr. Gamp, der Geheime Regierungs⸗Rath Hr. Freytag.
Uhr auf
Nachdem die Zusammenstellung der bisher gefaßten Be⸗
schlüsse unter die Mitglieder vertheilt worden war, wird in die weitere Berathung der Grundzüge für den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, ein⸗ getreten und bei Abschnitt VII der Vorlage begonnen. 1 Hr. Graf Frankenberg hat den Antrag gestellt, die Nr. 44 wie folgt abzuändern: , 16““ Die Reichs⸗Versicherungsämter haben ihre Sitze in den DOdrten, wo die Ober⸗Landesgerichte ühes Sitze haben. Sie bestehen aus drei ständigen, vom Kaiser auf Vorschlag des Blundesraths ernannten Mitgliedern und aus nichtständigen Mitgliedern, zu denen auf Grund des Verfahrens bei Bil⸗ dung der Schiedsgerichte (Nr. 26) aus jeder Genossenschaft zwei Mitglieder und zwei Stellvertreter gewählt werden. Die Beschlußfassung wird bedingt durch die Theilnahme
delt es si 8— 8 FIe M des Bestandes der Genossenschaften
bei Genehmigung von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen, B b. um Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten (Ziffer 16), c. um Entscheidung auf Rekurse gegen Entscheidungen der Schiedsgerichte (Ziffer 42),) so müssen an der Beschlußfassung je zwei Vertreter der von der Entscheidung betroffenen Genossenschaften, bezw. betrof⸗ fenen Genossenschaft theilnehmen.
Das letzte Alinea 44 zu streichen.
Der Referent der freien Kommission, Hr. Kalle, führt aus, der Antragsteller habe diesen Antrag dahin be⸗ gründet, daß das Reichs⸗Versicherungsamt in der von der Regierung geplanten Zusammensetzung nicht lebensfähig sein werde, weil insbesondere Mitglieder, welche die Zeit für eine derartige Beschäftigung haben möchten, nicht zu finden sein würden. Er halte deshalb eine Organisation nach den Ober⸗ Landesgerichtsbezirken für angezeigt. Freilich werde eine ein⸗ heitliche Rechtsprechung dann nicht erreicht, indessen das sei ja auch in anderen Materien nicht der Fall. Er, Referent, habe dagegen hervorgehoben, daß der Antrag nach Ablehnung obligatorischer Sektionen nicht ausführbar sein werde. Auch würden häufig Kompetenzstreitigkeiten entstehen, und man würde doch nicht umhin können, über diese Aemter dann noch eine Centralbehörde zu setzen, um diejenigen Aufgaben zu lösen, welche die einzelnen Genossenschaften nicht lösen könn⸗ ten. Zulässig erscheine ihm nur eine bessere Vertretung der 2 chajten in dem. Neichs⸗Ve. Hr. Geheimer Regierungs⸗Rath Gamp habe darauf erklärt, daß eine bureaukratische Organisation des Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamts dem Entwurf gewiß nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Im Gegensatz zu der sonstigen Organisation der Central⸗Verwaltungsbehörden sei im Reichs⸗ Versicherungsamt eine Mitwirkung der Betheiligten bei der Entscheidung und Beschlußfassung in allen prinzipiellen und sonstigen wichtigeren Fragen vorgesehen. Der Ausführung des Antrags Graf Frankenberg ständen die erheblichsten prinzipiellen und praktischen Bedenken entgegen. Eine Central⸗ stelle für die Zwecke der Unfallversicherung könne nicht ent⸗ behrt werden, weil die Entscheidungen der vorgeschlagenen kleineren Versicherungsämter mit einander kollidiren könnten und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht preisgegeben werden dürfe. Aber auch die Beaufsichtigung der Berufsgenossen⸗ schaften könne nur von einer Centralstelle ausgeführt werden, wenn dieselben, was als Regel festgehalten werden solle, sich über das ganze Reichsgebiet erstrecken; sei der Bezirk der Ge⸗ nossenschaften aber größer als der Bezirk der Aufsichtsbehörde, so würden Theile der ersteren dieser, andere Theile jener Auf⸗ sichtsbehörde unterstehen und hieraus müßten die größten Schwierigkeiten und zahlreiche Differenzen sich ergeben. Da das Reichs⸗Versicherungsamt Kommissare an Ort und Stelle schicken könne, um alle etwa nothwendigen Erhebungen zu bewirken, so treffe auch der weitere Vorwurf, daß diese Be⸗ hörde dem praktischen Leben allmählich zu sehr werde ent⸗ fremdet werden, nicht zu.
Auf die Anfrage des Hrn. Grafen Frankenberg, ob die Reichsregierung denn glaube, daß das Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamt in der beabsichtigten Zusammensetzung die ihm zugewiesenen Aufgaben werde erfüllen können, habe Hr. Ge⸗ heimer Regierungs⸗Rath Gamp zugegeben, daß die Arbeitslast im Anfang groß sein werde; sie werde sich dann aber nach und nach vermindern. Zur Bewältigung der Arbeitslast in der Uebergangsperiode könne man ja Hülfskräfte heranziehen.
Hr. Leuschner habe demnächst erklärt, daß der Gedanke, lokale Genossenschaften zu bilden, ihm an sich nicht unsym⸗ pathisch sei; wenn man aber die Genossenschaften als Regel über das ganze Reichsgebiet erstrecken wolle, sei die vom Grafen Frankenberg vorgeschlagene Organisation undurchführ⸗ bar. Uebrigens würden so kleine Versicherungsämter, wie Antragsteller vorgeschlagen habe, oft nicht genügende Be⸗ schästigung finden, da in manchem Jahr nur zwei bis drei Fälle in ihrem Bezirk vorkommen möchten. Hr. Heimen⸗ dahl habe sich dem angeschlossen und habe noch die Meinung
eäußert, daß auch im Anfang die Arbeitslast so groß nicht ein werde, wie Hr. Graf Frankenberg besorge. Hr. von Tiele⸗Winkler dagegen habe die Befürchtungen des letzteren getheilt, sei jedoch der Meinung gewesen, man solle es der Reichsregierung überlassen, wie sie in dieser Beziehung Ab⸗ hülfe schaffen wolle, und habe deshalb beantragt: in Nr. 44 der Vorlage folgenden Satz einzufügen: Eine Erweiterung des Reichs⸗Versicherungsamts, die Einrichtung von Neichs⸗Versicherungsämtern oder die Ernennung von örtlichen Kommissarien des Reichs⸗ Versicherungsamts erfolgt nach Maßgabe des einge⸗ ttretenen Bedürfnisses durch Kaiserliche Verordnung.
Nunmehr habe Hr. Geheimer Regierungs⸗Rath Bödiker Folgendes ausgeführt: Die in dem Reichs⸗Versicherungsamt gegebene einheitliche Spitze zur Beaufsichtigung des Unfall⸗ versicherungswesens sei schon um deswillen nicht entbehrlich, um die nach Artikel 4 der Verfassung dem Reich obliegende Aufsicht in sachgemäßer Weise üben zu können, es sei denn, daß man diese Last der Aussicht dem Reichskanzler unmittel⸗ bar übertragen wolle. Es komme hinzu, daß, wenn es zu der von der Reichsregierung geplanten Regelung der übrigen Versicherungszweige (Lebens⸗, Feuer⸗, Hagel⸗, Vieh⸗, Trans⸗ portversicherung) komme, worüber ja die Vorarbeiten längst im Gange seien, durchaus eine Reichsbehörde geschaffen werden müsse, welche die nach Artikel 4 der Verfassung dem Reich zufallende Oberaufsicht zu üben habe. In der jetzigen Vor⸗ 9 “ man den Anfang für die Errichtung einer solchen
ehörde.
Daß das Reichs⸗Versicherungsamt, wie es nach den Grund⸗ zügen zusammengesetzt sein solle, seine Aufgabe werde erfüllen können, sei nach den bei anderen Behörden gemachten Er⸗ fahrungen zweifellos. Ob etwa aus dem Antrag des Grafen Frankenberg ein Kern nach der Richtung sich werde heraus⸗ schälen lassen, daß man Unterorgane des Reichsamts schaffe, welche den Verhältnissen nahe ständen und in gewissen Fällen zu entscheiden haben würden, möchte weiter zu erwägen sein; mit Rücksicht auf die Konkurrenz der Landesbehörden und die ghüg. des Verfassungsrechts sei die Frage nicht ohne Schwierig⸗
eiten.
Nach diesen Ausführungen habe Hr. Graf Franken⸗ berg erklärt, daß seine Bedenken 18. nicht gehoben seien, daß er aber darauf verzichten wo e, den Gedanken, Ver⸗ sicherungsämter für den Bezirk der einzelnen Ober⸗Landes⸗ gerichte zu bilden, weiter festzuhalten. Er ziehe daher die
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wie vor wünschen, daß aus den zur Sache inieressirten Ge⸗ nossenschaften Laienmitglieder als Beisitzer in das Reichs Versicherungsaut berufen würden. Dem so beschränkten An trag Graf Frankenberg habe Hr. Baare zustimmen wollen, wenn die Zuziehung von Vertretern der von der Entscheidung betroffenen Genossenschaften nur auf Antrag der letzteren zu geschehen habe; er habe demgemäß beantragt, in den Antrag des Hrn. Grafen Frankenberg
Absatz 4 hinter das Wort „müssen“ die Worte ein⸗ zuschalten: 1 soefern der Vorstand der betreffenden Genossenschaft
dies beantragt, 1 3 und dabei ausgeführt, man könne ja bei den Genossenschafts⸗ vorständen jedesmal anfragen, ob sie von dieser Befugniß Gebrauch machen wollten. Hr. Geheimer Regierungs⸗Rath Gamp hahe dazu bemerkt, daß die Regierung natürlich auch die Frage sich vorgelegt habe, ob es zweckmäßig sei, Mitglieder der Genossenschaften bei der Berathung der die letzteren be⸗ treffenden Fälle zuzuziehen. Sie habe aber dabei erwogen, daß an einem Tage jedenfalls eine größere Anzahl von Streit⸗ fällen zur Entscheidung kommen würden, und daß man dann einen zu komplizirten Apparat schaffen werde. Man möge erwägen, ob dem Gedanken der Antragsteller nicht schon aus⸗ reichend entsprochen werden würde, wenn den Genossenschaften das Recht beigelegt würde, zur Vertretung ihrer Interessen Mitglieder zu den Sitzungen des Reichs⸗Versicherungsamts zu. kommittiren. Diesen Gedanken habe Hr. Dr. Websky mit der Ausführung, daß diese Delegirten nicht mit Stimmrecht ausgestattet, sondern gewissermaßen als Anwälte betrachtet lten,; atfgenommen, und beantragt:
in der Vorlage hinter Alinea 4 der Nr. 44 folgenden
neuen Absatz einzufügen:
Die Genossenschaften haben das Recht, bei den Sitzungen des Reichs⸗Versicherungsamts durch De⸗ . ohne Stimmrecht auf ihre Kosten sich vertreten
z3;u lassen.
Nachdem noch Hr. Heimendahl für den Antrag von Tiele⸗Winkler sich ausgesprochen, habe die freie Kom⸗ mission den modifizirten Antrag Graf Frankenberg mit dem Unterantrag Baare, sowie den Antrag Dr. Websky abgelehnt, den Antrag von Tiele⸗Winkler dagegen und mit demselben die Vorlage angenommen, wobei die aus den früheren Beschlüssen sich ergebenden redaktionellen Aenderungen E“ vorbehalten worden wären. Die freie Kom⸗ mission empfehle diese ihre Beschlüsse zur Annahme.
Diesen Antrag der freien Kommission befürwortet dem⸗ nächst auch der Korreferent Hr. Leuschner im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes, indem er insbesondere noch betont, daß der Antrag Graf Frankenberg, kleinere Versicherungsämter zu bilden, zwar nicht unzweckmäßig sei, aber das Prinzip der Vorlage, die Genossenschaften über das ganze Reich zu erstrecken, durchbrechen werde.
Da das Wort nicht weiter verlangt wird, und der An⸗ trag Graf Frankenberg, nachdem die Absätze 1, 2, 4 des⸗ selben zurückgezogen, nur noch bezüglich des Absatzes 3 zur Diskussion steht, während der Unterantrag Baare zu dem⸗ selben, sowie die Ergänzungsanträge von Tiele⸗Winkler und Dr. Websky zu der Vorlage wieder eingebracht sind, konstatirt der Vorsitzende zunächst, daß gegen die Absätze 1 bis 4 der Nr. 44 der Vorlage ein Einspruch nicht erhoben sei, dieselben also als angenommen gelten. Sodann wird zunächst in eventueller Abstimmung der Unterantrag Baare, sodann der modifizirte Antrag Graf Franken⸗ berg, ebenso der Antrag Dr. Websky abgelehnt, der Zusatzantrag von Tiele⸗Winkler und mit demselben die ganze Nr. 44 der Vorlage aber angenommen, ebenso die Nr. 45 derselben.
Zu Nr. 46 beantragt Hr. Leyendecker:
Die Ziffer 46 mit folgendem Satz beginnen zu lassen:
„Für alle nach Maßgabe des Unfallversicherungs⸗ gesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene tritt das Haftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871, sowie alle einschlägigen Bestimmungen des Landrechts, des code civil und der Gewerbeordnung außer Kraft.“
und dann fortzufahren: 8 Dieselben können u. s. w. (wie in der Vorlage).
Nachdem der Referent der freien Kommission, Hr Kalle, ausgeführt hatte, daß die letztere dem in diesem An⸗ trag ausgedrückten Gedanken, welcher auch von der gesammten Industrie getheilt werde, zugestimmt habe, so daß nur der Fall einer durch strafrichterliches Urtheil festgestellten Vorsätz⸗ lichkeit oder groben Fahrlässigkeit im Sinne des Strafgesetz⸗ buchs noch Berücksichtigung zu finden habe, trägt Hr. Mini⸗ sterial⸗Direktor Bosse vor, wie sich die mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beauftragten Kommissarien die Fassung der betreffenden Bestimmungen gedacht hätten, worauf Hr. Leyendecker seinen Antrag zurückzog, weil der Zweck desselben durch das, was die Regierung beabsichtige, erreicht werde. Der Vorsitzende konstatirt darauf die unveränderte Annahme der Nr. 46 und 47 der Vorlage.
Zu Nr. 48 bemerkt der Referent der freien Kommission, Hr. Kalle, Hr. Baare habe das Bedenken erhoben, daß, wenn unter dem, Dritten“ auch Werkbeamte verstanden werden sollten, die Haftpflicht theilweise bestehen bleiben werde, weil die Betriebsunternehmer, wie dies schon jetzt geschehe, ihre Beamten nicht im Stich lassen würden. Er habe deshalb beantragt: 8 3 8 die Worte „oder durch Verschulden verursacht“ zu
streichen.
Kr. Geheimer Regierungs⸗Rath Bödiker habe anerkannt, daß diesem Antrage ein berechtigter Gedanke zu Grunde liege; es könne allerdings hart sein, Werkbeamte als „Dritte“ nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts zur Verantwortung heranzuziehen, und somit dem Arbeitgeber als Hintermann eine über das Unfallversicherungsgesetz hinausgehende Ver⸗ antwortlichkeit aufzuerlegen. Hr. von Velsen habe unter Bezugnahme auf die Denkschrift der Knappschaftskassenvorstände den Wunsch des Hrn. Baare unterstützt; Hr. Dr. Websky habe gemeint, demselben könnte am besten entsprochen werden, wenn man in Ziffer 46 Zeile 2 hinter dem Worte „Betriebsbeamte die Worte hinzufüge: „und dessen Beauftragte“; Hr. Leyen⸗ decker habe es vorgezogen, die Ziffer 48 ganz zu streichen und event. den Antrag Baare unterstützt. Nachdem Hr. von Hammerstein einen unzweideutigen Ausdruck des dem An⸗ trag Baare zu Grunde liegenden Gedankens befürwortet, seien alle Anträge zu Gunsten des Antrags Baare zurück⸗ gezogen, gegen diesen aber von Hrn. Geheimen Regierungs⸗ Rath Bödiker geltend gemacht worden, daß dann die Be⸗ auftragten günstiger gestellt seien als die Betriebsunternehmer.
von mindestens drei Mitgliedern inkl. des Vorsitzenden.
Absätze 1, 2, 4 seines Antrags zurück. Dagegen müsse er nach
Er, Referent, habe dem beipflichten müssen, worauf Hr.