vpon Christ. Kraemer,
8 Das Scharlachfieber zeigte in Hamburg, Christiania eine Steigerung, in önigsbera, Hannover, St. Petersburg eine Verminderung der Sterbefälle. — Diphtherie und Croup traten in den meisten Orten wieder in gesteigerter Zahl als Todesveranlassung auf; so war die Zahl der Opfer namentlich in Berlin, Stettin, Danzig, Breslau, München, Nürn⸗ berg, Leipzig, Hamburg, Triest, Paris eine große, in Dresden, Plauen, Altenburg hat die Zahl derselben abgenommen. Nicht selten zeigte sich Diphtherie aber auch noch in Königsberg, Elbing, Schwerin in Mecklenburg, Halle, Magdeburg, Zeitz, Witten, Rheydt und a. O. — Typhöse Fieber riefen nur in Thorn, Paris, St. Petersburg mehr Todesfälle hervor. Sterbefälle an Flecktyphus kommen aus deutschen Städten nur 1, aus Plauen, zur Anzeige, ferner einzelne aus Malaga, Murcia, Saragossa und 4 aus St. Petersburg. — Sterbefälle an Kind⸗ bettfieber wurden aus deutschen Städten 20 gemeldet. — Darm⸗ katarrhe und Brechdurchfälle der Kinder zeigten im Allgemeinen wenig Veränderung in ihrem Vorkommen. — Sterbefälle an Pocken wurden seltener Aus deutschen Städten kamen 3 (1 aus Berlin, 2 aus Charlottenburg) zur Meldung; einzelne Sterbefälle kamen auch aus Liverpool, St. Petersburg, Granada, Turin zur Mitthei⸗ lung; in beschränkter Zahl zeigten sich Pocken in Wien, London, Paris, Birmingham, Warschau, Madrid, Murcia, Lissabon, St. Louis. In Triest, Brüssel, Malaga, New⸗Orleans hat die Zahl der Opfer erheblich zu⸗, in Prag und Rio de Janeiro etwas abgenommen. — Sterbefälle an Cholera kamen aus Kalkutta (Mitte Dezember) 24, aus Bombay (16.—22. Januar) 22 zur Anzeige. In Rio de — erlagen in der 2. Dezemberhälfte 16 Personen dem gelben ieber.
“ Kunst, Wissenschaft und Literatur.
Im Verlage von Rudolf Lincke, Leipzig 1884, erschien soeben eine Broschüre, betitelt: „Eine Antwort auf die soziale Frage“, b vormals Lehrer in Königswinter a. Rhein, (reis 50 ₰). Der Verfasser sucht auf diese wichtige, von so vielen Seiten beleuchteten und immer noch ihrer Erledigung harrenden Frage eine neue Antwort zu geben durch ein eigenartiges Iastitut, welches er den Familienbund nennt und selbst als ein volkswirthschaftliches Unternehmen bezeichnet. Er ist der Ansicht, daß die soziale oder Arbeiterfrage nicht allein durch sächliche, sondern auch vornehmlich durch sitttliche Kräfte gelöst werden könne, wozu eine gewisse menschliche Ver⸗ einigung der Kräfte des Arbeitens auf gemeinsamer Grundlage mit gemeinsamen Richtpunkten viel beitrage. Diese Vereinigung sei nun die Familie, welche das beste Bewahrungsmittel vor allen sozialen Ver⸗ irrungen bilde; die Tugenden derselben, Liebe, Ordnung, Fleiß, Spar⸗ samkeit, sie seien die werthvollste Garantie für ein gedeihliches, ge⸗ sellschaftliches Leben und Schaffen. So denkt der Verfasser durch einen allgemeinen Familienbund das sittliche und materielle Wohl seiner Mitglieder für die ganze Lebensdauer gründen und för⸗ dern zu helfen, soweit dies in seiner Macht liegt und in seinen Be⸗ reich gehört. Er entwirft ein Programm und provisorisches Statut nebst Darlegung der Zwecke dieses Bundes und seine in sozialer Beziehung bedeutende Wirksamkeit für Familie, Staat und Kirche. Zunächst soll dieser Bund durch Belehrung wirken. Unter Mitwirkung bewährter und auf dem Gebiete der Volkswirthschaft und des Familienlebens anerkannter Männer und Frauen soll zunächst an jedem Sonnabend ein Wochenblatt: „Die Familien erscheinen. Dasselbe wird, ohne au eigentlich staatliche und kirchliche Einrichtungen und Streitfragen einzugehen, dem Gewissen, dem Rechte und der Klugheit die gebührende Rechnung tragen und sich hiernach verbreiten über das Zustandekommen der Ehe, die Er⸗ ziehung der Kinder, die Gesundheitspflege, die Wahl des Lebens⸗ berufes, das Verhältniß des Arbeitsgebers zu dem Arbeitsnehmer, die Entstehung, Bezugs⸗ und Absatzquellen der Waaren, das Vermittelungswesen, insbesondere zur Erlangung von Stellen nicht allein für das Gesinde, sondern auch für Diejenigen, welche zu mehr geistigen Dingen, zur Aufsicht, Erziehung, Verwaltung u. s. w. be⸗ rufen sind, sei es innerhalb des Familienkreises als Kost⸗ und Woh⸗ nungsgenossen oder außerhalb desselben. Ferner die Zuträglichkeit ge⸗ wisser öffentlicher oder auch nicht öffentlicher Anstalten und Ein⸗ richtungen, wie Lebensversicherungen, Zufluchts und Versorgungshäuser, Unterstützungskassen, sowie das Erscheinen von Gesetzen, Verordnungen ꝛc. Zweitens durch Errichtung zweckmäßiger Anstalten. In einer längeren Betrachtung motivirt schließlich der Verfasser das Unternehmen. Um demselben die größtmöglichste Ausdehnung zu ver⸗ schaffen, werden in Stadt und Land General⸗ und Spezial⸗Filialen errichtet “ 8
8 Land⸗ und Forstwirthschaft. 1
Im Verlage von Carl Chun (Berlin, Steglitzerstr. 57) erschie oeben: Katechismus für den ö“ 2 scin gercchte Dressur des jungen Pferdes, von J. Blanck, Königl. Prinzl. Wagenmeister a. D. Preis einzeln 50 ₰, in Parthien 35 ₰. Der Verfasser giebt in der klar und faßlich geschriebenen und jedem Laien verständlichen Broschüre in Form von Frage und Antwort den Stallmeistern, Bereitern und solchen, die es werden wollen, Thatsachen an die Hand, wie es am leichtesten möglich ist, junge Pferde schulgerecht zu dressiren und zuzureiten. Die Broschüre wird in 3 Perioden eingetheilt. Die I. Periode umfaßt folgende Lektionen bei der Dressur des Remontepferdes: 1) das Handfrommmachen im Stall, 2) das Bekanntmachen des Pferdes mit der Reitbahn, 3) das Auf⸗ und Absitzen, 4) das Anreiten im Freien, den natürlichen Schritt und den Uebergang daraus zum natürlichen Trabe. II. Periode. Im Allgemeinen: 1) Die Bear⸗ beitung des Pferdes in der Stellung der Fäuste auf gerader Linie; 2) die Bearbeitung des Pferdes in der Stellung der Fäuste auf gerader Linie und auf dem Zirkel. Im Speziellen: 1) Entwickekung des natürlichen Trabes mit Herstellung eines natürlichen Gleich⸗ gewichts; 2) dreisteres Vorwärtsgehen auf verschränkten Schenkeldruck und Erlangung der richtigen Anlehnung, Rückwärtstreten und dadurch Vorbereitung zur Aufrichtung; 3) Entwicklung der cadencirten Trab⸗ arten, Weichmachen des Halses in der Bewegung und auf der Stelle Biegung des Genickes, vermehrte Aufrichtung und Gleichgewicht; 4) Bearbeitung in der Stellung auf gerader Linie, Arbeit auf dem Zirkel, vorbereitende Lektionen zu den Seitengängen; 5) Wendungen auf der Stelle und zwar anfänglich nur auf der Vor⸗ hand. Die III. Periode enthält: das Schulterherein, Travers, Ren⸗ vers, Volten, Kehrt⸗Wendung, kurze Kehrt⸗Wendung, der Galopp: der kurze Galopp, der starke Galopp, Fehler im Galopp, Wechseln im Galopp, Springen. Diese Broschüre sei biermit allen Stall⸗ meistern, Unteroffizieren, Bereitern und allen Freunden der Pferde⸗ 3 vüesagas ürgefüthns epseaen. zumal der Verfasser an eer Hand langjähriger Erfahrungen seine Rathschläge zur lei Dressur junger Pferde in derselben ertheilt. 8
Gewerbe und Handel.
Der Aufsichtsrath der Preußischen Immobilien⸗ Aktien⸗Bank hat die von der Direktion vorgelegte Gna. nehmigt. Das Gewinn⸗ und Verlustkonto ergiebt einen Reingewinn von 564 000 ℳ inkl. des Gewinnvortrags aus 1882. Hieraus resultirt 8 J b1ö1“ einc die Vertheilung eine ende von und ein Gew “ 0 i Gewinnvortrag auf dieses Jahr
— er ufsichtsrath der Berliner K . Spinnerei, Schwendy u. Co. hat die Dividende pro 1899 auf 1 ½ % festgesetzt. Die Gesellschaft hat im vorigen Jahre 330 000 Kilo Zephyrgarne und 130 000 Kilo Garne für Webezwecke produzirt. Die Fabrikation der letzteren erwies sich als ziemlich rentabel, doch . 6 b1“ . 8 Gesammtgewinn beläuft
auf ca. 5 , während der Gewi 8. 8 ewinn pro 1882 80 961 ℳ
— Der Aufsichtsrath des Schlesischen Bank 1 . nehmigte die Bilanz für das Jahr 1883, die mit Fhne eaesfste von 1 187 107 ℳ abschließt. Derselbe ermöglicht, nach Dotirung
Reservefonds mit 5 ℳ, Abschreibungen auf Fabrik⸗ und
Berlin, London,
arbeiten, an
Hausgrundstücke in Grünberg, sowie auf Ausfälle bei der Centrale mit 52 728 ℳ, Zahlung der Tantième an den Verwaltungsrath mit 49 500 ℳ, die Vertheilung einer Dividende von 5 ½ % und einen Gewinnvortrag pro 1884 von 35 332 ℳ
Köönigsberg i. Pr., 4. März. (W. T. B.) Die Betriebs⸗ einnahme der Serzsehse Südbahn im Februar 1884 betrug nach vorläufiger Feststellung: im Personenverkehr 58 684 ℳ, im Güterverkehr 187 704 ℳ, an Extraordinarien 15 000 ℳ, zusammen 261 388 ℳ, im Monat Februar 1883 definitiv 545 138 ℳ, mithin gegen den entsprechenden Monat des Vorjahres weniger 283 750 ℳ, im Ganzen vom 1. Januar bis ultimo Februar d. J. 566022 ℳ; gegen 1 078 049 ℳ im Vorjahre, mithin weniger gegen den ent⸗ sprechenden Zeitraum des Vorjahres 512027 ℳ
London, 3. März. (W. T. B) Wollauktion. Der Ton war während der letzten Tage wieder lebhafter, Preise fester.
Glasgow, 3. März. (W. T. B.) Die Verschiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 7100 gegen 10 200 Tons in derselben Woche des vorigen Jahres.
Bradford, 3. März. (W. T. B.) Wolle unverändert, Garne sehr matt, unregelmäßig, Stoffe unverändert. Kopenhagen, 3. März. (W. T. B.) Die Nationalbank setzt von morgen ab den Wechseldiskont und den Lombardzinsfuß auf 3 ½ — 4 % herab.
Verkehrs⸗Anstalten.
Bremen, 3. März. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Hohenstaufen“ ist am Sonnabend in Baltimore, der Dampfer „Frankfurt“ derselben Gesellschaft am 25. v. M. in Montevideo und der Dampfer „Rhein“ eben⸗ 8— Norddeutschen Lloyd heute früh 6 Uhr in New⸗Pork ein⸗ getroffen.
Hamburg, 4. März. (W. T. B.) Der Postdampfer „Lessing“ der Hamburg⸗Amerikanischen Boßdempftr Aktiengesellschaft ist gestern Abend 10 Uhr in New⸗York, und der Postdampfer „Wieland“ derselben Gesellschaft ist, von New⸗York kommend, Nachts 12 Uhr auf der Elbe angekommen.
Berlin, 4. März 1884.
Eine Kunstauktion von ungewöhnlicher Bedeutung findet in Rom vom 17. März bis 10. April statt. Es handelt sich um die Versteigerung der berühmten, von Alessandro Castellani hinter⸗ lassenen Sammlung von ebenso vielseitigem wie kostbarem Inhalt. Eine Vorstellung von ihrem Umfang und von der auserlesenen Qualität der in ihr vereinigten, das Gesammtgebiet künstlerischer und kunstgewerblicher Produktion des Alterthums, des Mittelalters und der Renaissance repräsentirenden Stücke giebt der in fran⸗ zösischer Sprache abgefaßte beschreibende Katalog, ein an⸗ sehnlicher Quartband von 312 Seiten Umfang, der auf 51 in Lichtdruck und Zinkogravüre hergestellten Tafeln, zu denen noch zahlreiche in den Text gedruckte Illustrationen hinzukommen, eine kleine Auswahl hervorragender Stücke veranschaulicht. Er zerfällt in zwei Abtheilungen von ziemlicher gleicher Ausdehnung, von denen die erste in 1420 Nummern die antiken Arbeiten, die andere in 1325 Nummern diejenigen des Mittelalters und der Renaissance umfaßt. In beiden Abtheilungen hat ein seltenes Sammlergeschick und ein nicht geringeres feines künstlerisches Ver⸗ ständniß eine Fülle der auserlesensten Objekte jedweder Technik ver⸗ einigt. Unter den Denkmälern antiker Kunst sind cs, abgesehen von einer ansehnlichen Reihe von Marmorfkulpturen, vornehmlich die Vasen und Terrakotten, die Bronzen, Medaillen, ge⸗ schnitteee Steine und Schmuckgegenstände, die nebst Mis⸗ cellaneen verschiedenster Art das Auge auf sich kenken. Unter den Kunsterzeugnissen der späteren Perioden stehen sodann die italienischen und persischen Fayencen, einige der seltenen Medici⸗ Porzellane, die venetianischen, deutschen und orientalischen Gläser, eine reiche Kollektion von Arbeiten in Gold, Silber und Email so⸗ wie die kostbarsten Gewebe und Stickereien in erster Linie. Daneben fehlt es nicht an hervorragenden Möbeln und Holz⸗ und Elfenbein⸗ schnitzereien, an Produkten der mannigfachsten Zweige der Keramik und der Metallindustrie, an bemerkenswerthen Leder⸗ Skulpturen, Gemälden, Manufkripten u. s. w. Von den Abbildungen ist die größere Hälfte den Werken antiker Kunst gewidmet, unter denen eine ganze Reihe von Stücken höchster Seltenheit und größter Schönheit der Arbeit sich präsentirt. Neben zwei Marmorbüsten, von denen ein überlebensgroßer, auf Sizilien ge⸗ fundener weiblicher Kopf auch durch seine tadellose Erhaltung sich auszeichnet, werden namentlich Bronzen, Vasen und Terrakotten vor⸗ geführt. An einen Spiegel alterthümlichsten Styls, dessen Handgriff die Statuette einer langbekleideten Venus mit zwei seitlich ange⸗ ordneten beflügelten Genien bildet, und einen anderen, dessen Gravirung eine auf einem Hirsch reitende Artemis zeigt, reihen sich hier Figuren und Gruppen des strengeren und eine köstliche Venus⸗ statuette des freiesten Styls sowie eine stattliche sechsflammige Lampe mit einem meisterlichen Medusenkopf als Mittelpunkt des plastischen Schmuckes. Noch reicher ist die Zahl der besten Terrakotten von Tanagra, Myrina und anderen Fundorten, von denen manche bereits in der archäologischen Litteraktur bekannt ist. Exotische und bacchische Gruppen, das figurenreiche Bildwerk eines Leichenschmauses eine Artemis in reichgeschmückter Kleidung und von vollendetster Feinheit der Modellirung und eine ruhende Aphrodite, deren Gewand von Eroten hinweggezogen wird, gehören hier zu den ausgezeichnetsten Arbeiten ihrer Art. Von den Vasen sei endlich noch eine ansehnliche Hydria des sog. schönen Styls hervorgehoben, die in einer Gruppe von Gottheiten die beiden mittleren Gestalten in reicher polychromer Malerei zeigt und auch bei den übrigen Figuren dem Roth zierliche farbige Zuthaten und Vergoldung hinzufügt. In der zweiten Abtheilung des Katalogs werden sodann eine männliche Porträtbüste florentinischer Renaissance und eine Madonna des Antonio Pollajuolo in altem Renaissancerahmen reproduzirt. Daran reihen sich als kunstvolle Metallarbeiten zwei interessante Reliquiarien, als ein sel⸗ tenes Stück geritzter italienischer Lederarbeit mit fertiger Bemalung und Vergoldung eine runde Dose mit religiösen Darstellungen, als Proben der Glassammlung ‚einige venetianische Gläser mit Emailmalerei u. ga. m. Die größte Zahl der Abbildungen aber ist den Fayencen gewidmet, von denen ein rhodischer Teller schönster Zeichnung, mehrere hervorragende sicilisch⸗arabische Gefäße und schließ⸗ lich eine Reihe von Stücken aus der reichen und kostbaren Gruppe italienischer Majoliken der verschiedensten Fabrikationsstätten wieder⸗ gegeben sind. Auch nach der Zerstreuung der Sammlung selber wird der Katalog durch diese vorzüglichen Abbildungen im Verein mit der genauen und sorgfältigen Beschreibung sämmtlicher bedeutenderer Stücke einen dauernden wissenschaftlichen Werth behalten.
„So lebhaft auch das Lutherjubiläum des vorigen Ja Reichshauptstadt gefeiert worden ist, so hat der ” 1“ chen die Feier hier in Berlin annehmen mußte, für welchen die Kirchen nicht zureichten, ähnliche Festveranstaltungen, wie sie in Jena und Worms das höchste Interesse erregten, in den Jubiläumstagen nicht möglich gemacht. Dies soll nun jetzt in würdigster Weise nach⸗ geholt werden. Es hat sich ein Comitée hervorragender Männer der Aufgabe unterzogen, das Wormser Lutherfestspiel von Dr. H. Herrig, welches in Worms vom 30. Oktober v. J. an elf Mal mit immer größerem Erfolg aufgeführt wurde, hier in Ber⸗ lin im Saale des Stadtmissionshauses, Johannistisch 6 zur mehrmaligen Aufführung zu bringen. Die dazu nöthigen zahl⸗ reichen Mitwirkenden sind, ebenso wie in Worms und Jena, aus Privatkreisen zusammengetreten und haben sich in steigender Begeiste⸗ rung die Einübung des Festspiels angelegen sein lassen. Am Don⸗ nerstag, den 6. d. M., wird die erste Aufführung stattfinden. Es han⸗ delt sich hier um eine ganz eigenartige Kunsterscheinung, welche schon um der äußeren Form willen geeignet ist, hohes Interesse zu erwecken. Da
der Kirche berechnet war, so mußte von allem scenischen Appara allem im eigentlichen Sinne Theatermäßigen so gut wie 2 sehen werden. In gleicher Weise, wird dasselbe auch hier in Berlin vorgeführt. Man wird dabei an die mittelalterlichen kirchlichen My⸗ sterien oder auch an die ursprünglichen Shakespeare'sche Bühnen⸗ einrichtung erinnert. Auch der Inhalt des Festspiels hält sich durchaus in den Grenzen einer weihevollen Feier zum Zweck innerer Erhebung und Andacht. Auch hier ist Alles nur Theatralische mit Geschick und taktvollem Sinn vermieden; nicht eigentlich historische ö,e da ao Foten, sendee 4— belebte Bilder jener großen Tage, und in den Persönlichkeiten mehr geschichtliche Typer als dramatisch durchgeführte Charaktere. G 8 Am Mittwoch findet die Generalprobe statt. Die Einstudirung, die von dem Direktor Ahlers geleitet wurde, hat nicht geringe Mühe gekostet, da zwanzig Rollen zu besetzen waren und außerdem über hundert Statisten mitwirken. Die von dem Hoflieferanten Straube gelieferte Orgel ist hinter der Bühne aufgestellt.
Der Tagesverkauf der Billets findet nur im „Invalidendank“, Markgrafenstr. 51 a, sowie Abends an der Kasse statt.
(A. Woldts wissenschaftl. Corr.) Der berühmte russische Reisende Oberst N. Przewalski hat auf seiner letzten Reise zwei deutschen Forschern die Ehre erwiesen, große, von ihm entdeckte Schneegebirge in Centralasien mit ihrem Namen zu benennen. Durch die bereits früher gemachte Entdeckung des kolossalen Gebirges Altyn⸗tag wurde die bis dahin unbekannte Verbindung zwischen dem Kuen⸗Luen und dem Nan⸗schan als Thatsache festgestellt und zugleich die Lage des Nordrandes des ganzen tibetanischen Hochlandes in allgemeinen Zügen klar gelegt. 90 Werst östlich von der Schneegipfelgruppe Anembar⸗ula erhebt sich in der Hauptaxe des Nan⸗schan⸗Gebirges eine kolossale Kette von Bergen mit ewigem Schnee, die sich über 100 Werst in der Richtung von Westnord⸗ west nach Ostfüdost hinzieht. An das Ostende dieser Ketie schließt sich, von Südfüdwest her, fast unter einem rechten Winkel ein anderes, gleichfalls in den ewigen Schnee hineinragendes und vielleicht nur wenig kürzeres Gebirge, das mit seinem südlichen Theile in der Nähe des Sees Iche⸗Zaidaminnor an die Wüste von Nordzaidam stößt. Przewalski berichtet hierüber in seinem Reisewerk: Da diese beiden Schneeketten keinen allgemeinen Namen von den Eingeborenen erhalten haben, diese vielmehr, wie gewöhnlich, nur einzelne Theile und die Hauptzipfel durch Namen unterscheiden, habe ich von dem Rechte des ersten Erfor⸗ schers Gebrauch gemacht, und die Schneekette, die sich in der Hauptaxe des Nanschan hinzieht, Humboldt⸗Gebirge und die perpendikulär zu dieser stehende Rittergebirge genannt, um zwei große Gelehrte en. sich 18 fäfrig ör. dee ongepne “ bemüht haben. Einzelne Gipfel des Humboldt⸗Gebirges erheben sich bis zu 19 000 Fuß absoluter Höhe. . sis Das Deutsche Theater hat durch die Aufnahme der „Valen⸗ tine“ von Gustav Freytag wiederum bekundet, daß es bei der Zu⸗ sammenstellung seines Repertoires, das uns schon so manchen edlen Genuß geboten hat, sich durch feinen Geschmack und Achtung vor dem Urtheil des literarisch gebildeten Publikums in gleicher Weise leiten läßt. Denn man kann nicht leugnen, daß schon heute die Zahl Der⸗ jenigen nicht gering ist, die geneigt sind, die dramatischen Werke Freytags mit dem Verdikt „veraltet“ zu belegen: ein Makel, der der heutigen raschlebigen, zur Ueberhebung neigenden Generation alle inneren Vorzüge aufwiegt. Sie weiß eben nichts mehr von den geistigen Kämpfen um „Freiheit und Selbstbestimmung“, welche noch in den Dialog zwischen Valentine und Saalfeld hineinspielen und vor bei⸗ nahe 4 Jahrzehnten so viele Köpfe verwirrten und begeisterten; sie sieht sich im glücklichen, unangefochtenen Besitz alles dessen, wonach damals mit ebensoviel aufrichtigem Enthusiasmus wie schwülstiger Unklarheit gerungen und gestrebt wurde. Aber wenn auch das Interesse an dem Stoff nur mehr ein historisches als aktuelles ist, kann man eine herzerquickende Freude an den Hauptcharakteren haben, die so ganz aus übervoller Dichterbrust geschöpft, so ungekünstelt und bei aller Idealisirung zu so voller Lebensfähigkeit ausgestaltet vor uns hintreten. Die mit dem ganzen Zauber edler Männlichkeit geschmückte, von dem Schimmer der Ro⸗ mantik umlichtete Figur des Saalfeld ist immer eine der dankbarsten und schönsten Rollen für Helden⸗Liebhaber gewesen, und Hr. Barnay bringt nicht nur alle äußeren Erforderlichkeiten für ihre Re⸗ präsentation mit, sondern vermag sie auch innerlich so über⸗ zeugend zu gestalten, wie sie es verlangt. Selbst der etwas schwerflüssige Konverse tionston, der ihm bei der Darstellung leichterer Salonfiguren Hindernisse bereitet, war dem Ausdruck dieser unschmiegsamen Ueberzeugungstreue und Ehrlichkeit förderlich. Auch dem Frl. Haverland stehen für die Verkörperung der Titelrolle, dieser „Löwin, die mit Mäusen spielt“, alle wünschenswerthen äußeren Vorzüge reichlich zu Gebote, indessen schien die geschätzte Künstlerin, trotz vieler herrlicher Momente, noch nicht ganz gleichmäßig in ihrer Rolle aufgegangen zu sein; wenigstens zeigte sie hier und da, nament⸗ lich wo die höfische Intrigantin hindurchbricht, eine gewisse Unfreiheit, die allerdings vielleicht auf Rechnung der erklärlichen Befangenheit bei der ersten Darstellung einer so schwierigen Rolle zu setzen sein dürfte. Die letzte Scene wischen ihr und Saalfeld wurde dagegen vollendet gespielt. Frl. Sorma war als Prinzeß Marie so elegant, natürlich und naiv, wie wir noch keine Rolle so, glücklich von dieser jungen Dame dargestellt gesehen haben. Die undankbare Rolle des Fürsten gab Hr. Peppler mit guter Re⸗ präsentation, obgleich der liebenswürdige, joviale Künstler sich sichtlich vielen Zwang dabei auferlegen mußte. Den Minister von Winegg spielte Hr. Förster mit Wärme und Ueberzeugung, und den Hof⸗ marschall hielt Hr. Kierschner mit vielem Glück in trefflichster Charakteristik von jeder Charge und Uebertreibung fern. Hr. Fried⸗ mann schob dagegen den Benjamin fast zu sehr in den Vordergrund und fand bei der überlauten Betonung der niedrigen Kniffe und Pfiffe dieses Vertreters vom Stamme „Nimm“ eine häufig beinahe unheimlich beifällige Zustimmung von Seiten eines Theils des Audi⸗ toriums. — Die sehr willkommen zu heißende neue Einrichtung der seitlichen Ausgänge bewährte sich bei Füllung und Leerung des Zu⸗ schauerraums vortrefflich und zu allgemeiner Zufriedenheit.
„Die Königliche Akademie der Künste veranstaltet am Freitag, den 7. d. Mts., Abends 7 ⅞ Uhr, im Saale der Sing⸗ Akademie ihr 4. Abonnements⸗Concert * Cyklus) unter Mitwirkung der Hrrn. Joachim Andersen und Hofopernsänger Franz von Milde aus Hannover und unter Leitung des Hrn. Prof. Rudorff. — Das Programm lautet: 1) Brahms, Variationen f. Orchester über ein Thema von J. Haydn. 2) Sachini, Arie. 3) Mozart, Concert f. Flöte. 4) Beethoven, Ouverture „Leonore“ Nr. III. 5) Spohr, Arie aus „Jessonda“. 6) Haydn, Sinfonie D-dur Nr. 5. Billets zu 5, 4 u. 2 ℳ sind in der Sing⸗Akademie bei H. Schaeff zu haben. Das 3. Abonnements⸗Concert der Sing⸗Akademie findet am Sonnabend, den 15. d. M., Abends 6 ½ Uhr, statt. Zur Aufführung gelangen die „Jahreszeiten“ von Haydn. Einlaßkarten zu 4 ℳ (Loge 3 ℳ, Balkon 2 ℳ) sind bei dem Hauswart der Sing⸗ Akademie käuflich.
Im Concerthause kommt morgen die C-moll-Symphonie 1g0 Geethg Ler Aucfüchrung⸗ Werke 78 Mozart, Mendelssohn
agner, Liszt, Lassen, Rubinstein ꝛc. vervollständigen das sehr inter⸗ essante Programm dieses Abends. b 1
Redacteur: Riedel.
Fünf Beilagen
das Lutherfestspiel in Worms von vornherein für die Darstellung in
chließlich Börsen⸗Beilage). v“
wie verderblich in diesen Ländern
lotterien. lionen Mark, dagegen Sachsen, welches nur den neunten Theil
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 4. März
Erste Beila ü
—
.
1884.
Preußen Berlin, 4. März. Im weiteren Verlaufe der gestrigen (57.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten wurde die dritte Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Feststellung des Staatshaus⸗ halts⸗Etats für das Jahr vom 1. April 1884/85 fort⸗ gesetzt. gesebad, Spezialetats der Domänenverwaltung, der Forst⸗ verwaltung, der Centralverwaltung der Domänen und Forsten, der direkten und der indirekten Steuern, sowie die Rente des Kronfideikommiß⸗Fonds wurden ohne weitere Debatte ge⸗ nehmigt.
DnCs folgte der Etat der Lotterieverwaltung, zu welchem folgender, von den Abgg. Dr. Löwe (Bochum) und Dr. Windthorst eingebrachte Antrag vorlag:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: Die Königliche Staatsregierung aufzufordern, ihre Be⸗ mühungen für den Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten lassen zu wollen, durch welches alle in den Staaten des Deutschen Reiches bestehenden Lotterien aufgehoben werden und die Errichtung neuer verboten wird. Der Abg. Dr. Wagner (Osthavelland) erklärte, dieser Antrag entspreche durchaus seiner persönlichen Stellung zur Sache. Die Aufhebung der Staatslotterien sei schon oft, schon auf dem vereinigten Landtag von 1847 gefordert wor⸗ den, wo sich der spätere Finanz⸗Minister von der Heydt sehr scharf gegen die Lotterien ausgesprochen habe. Der nord⸗ deutsche und der deutsche Reichstag seien vielfach mit ähnli⸗ schen Diskussionen befaßt gewesen; noch 1881 sei in der Kom⸗ mission für das Stempelgesetz ein gleichlautender Antrag mit geringer Minorität abgelehnt. Auch der gegenwärtige Augen⸗ blick lege dem Hause die ernstliche Beseitigung der Staats⸗ lotterien nahe. Die hauptsächlichsten Kulturstaaten duldeten diese Lotterien nicht mehr, England habe sie 1828, Frank⸗ reich 1835 abgeschafft, auch Nordamerika und Rußland hätten sie nicht mehr. Außer Deutschland hätten nur noch Hol⸗ land und Dänemark eine Klassen⸗ und Oesterreich, Un⸗ garn und Italien eine Zahlenlotterie. Jedermann wisse aber, das Lotteriespiel ge⸗ wirkt habe, wie es Unwirthschaftlichkeit und Abgerglauben gefördert habe. Die Reineinnahme von 8 Millionen Gulden, die Oesterreich daraus ziehe, sei jedenfalls die schlimmste Form einer Staatseinnahme; ebenso stehe es in Italien, und auch für Ungarn seien für diese Einnahme hauptsächlich finanzielle Rücksichten maßgebend. Solche lägen aber für Preußen nicht vor. Im Deutschen Reiche hätten noch Preußen, Sachsen, Braunschweig, Hamburg und Mecklenburg⸗Schwerin Staats⸗ Preußen habe einen Reinertrag von über 4 Mil⸗
der Einwohnerzahl Preußens habe, 4 406 000 ℳ, das kleine Braunschweig 1 164 000 ℳ, Hamburg 1 454 000 ℳ Das Mißverhältniß sei offenbar; Preußen müßte seine Loose ver⸗ zehn⸗ oder verzwölffachen, um Sachsen gleich zu kommen, welches 1880 zudem den Preis der Loose unter der Hand er⸗ höht habe. Durch die Ausgabe der Loose, die ja zum großen Theil in Preußen gespielt würden, hätten jene Kleinstaaten sich einen unverzinslichen Kredit verschafft, namentlich Sachsen, dessen Kosten von Preußen getragen würden. Hier müsse Abhülfe geschafft werden. Die Kompetenz des Reiches sei nicht zu bestreiten, da schon dessen Rechtsvorgänger, der Nord⸗ deutsche Bund, die Spielbanken aufgehoben habe. Solle nun
keeine bloße einheitliche Regelung genügen, wonach die Lotterien
er Einzelstaaten entweder auf das Reich übergehen sollten, oder den Einzelstaaten vom Reiche ein Spielplan vorgeschrieben werde? Wenn man das Lotteriespiel als reines Hazardspiel für un⸗ moralisch erkläre, wenn man letzteres strafrechtlich verfolge,
wenn man selbst die Börse unter demselben Gesichtspunkt
höher besteuere, dann müsse man sich für die Aufhebung der Staatslotterien aussprechen. Ohne zu übertreiben, könne man diese Frage mit der der Prostitution zusammen berühren. Würde es recht sein, letztere etwa so zu regeln, wie in Frank⸗ reich, weil es sich hier doch auch um Glieder der Menschheit handele, oder solle man nicht vielmehr sie mit allen Mitteln zu unterdrücken trachten. Er sage mit seinem geliebten Lehrer Robert von Mohl: Es handele sich für den Staat stets darum, nicht mit dem Laster zu paktiren, sondern es zu verfolgen, wo man es treffe. Prinzipiell müsse man daher der Aufhebung der Lotterien geneigt sein. Preußen dürfe natürlich damit nicht allein vorgehen, denn sonst würden die kleineren Staaten einfach ihre Loose noch weiter vermehren, wie zum Beispiel
Säachsen die Zahl von 34 000 auf 100 000, Hamburg von 22 000,
Braunschweig von 25 000 ebenfalls auf 100 000 erhöht hätten. Hier müsse also reichsgesetzlich eingegrifften werden. Finan⸗ zielle Einwände seien in Preußen auch nicht stichhaltig; die vier Millionen könnten wohl auf andere Weise beschafft wer⸗ den, und selbst Zuschläge zur Klassensteuer seien lange nicht so schlimm, als diese Lotterie, welche gerade den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche locke. Zum Schlusse komme er auf das dem Hause zugegangene „ergebenste Promemoria der unterzeichneten Hamburger Einwohner und Inhaber von Lotteriegeschäften“, welches er zuerst für die Eingabe irgend eines Spaßvogels gehalten habe, denn die Beweisführung sei so hochgradig naiv und andererseits ironisch, daß ein Gegner der Lotterien nichts Besseres hätte schreiben können. Zunächst werde auf die im Dienste ergrauten Collecteure hingewiesen; aber schon der Abg. Virchow habe in den sechziger Jahren gesagt, um der Collecteure Willen seien die Lotterien gewiß nicht beizuhalten. Dann werde die Gemeinschädlichkeit der Lotterien bestritten, während doch heutzutage schon mit Vier⸗ undsechzigsteln und Hundertachtundzwanzigsteln operirt werde, und die Collecteure an jedem dieser Antheile sich bereicherten. Auch solle das Lotteriespiel unvergleichlich besser sein, als das Börsen⸗ und Aktienspiel, und das letztere zu beschränken geeignet seien. Wenn nun auch dem Lotterie⸗ piel durch die staatliche Genehmigung die levis notae macula genommen werde, werde doch das Börsenspiel durch dasselbe keineswegs verringert. Das wunderbarste Argu⸗
nent in dem Promemoria sei aber jene tiefere psychologische Begründung des Spiels: der Mensch verlange nach Abwechse⸗
lung, der kleine Mann müsse wenigstens im Lotteriespiel eine Hoffnung haben, die ihn den tagtäglichen Sorgen einiger⸗ maßen entziehe. Kürzer könne man wohl frei nach Schiller sagen: „Ein Lotterieloos muß er sein eigen nennen, oder er wird morden und brennen!“ Diese Art der Lösung der sozia⸗ len Frage möge wohl den Hamburger Lotterie⸗Collecteuren entsprechen, seiner Partei entspreche sie nicht. Der Staat mit der stärksten Entwickelung des Lotteriespiels habe bekanntlich auch die allerschlimmste und heftigste Sorte der Sozialdemo⸗ kraten erzeugt, das Lotteriespiel habe hier also keine Ausgleichung der Gegensätze herbeigeführt. Das Beste an dem Promemoria aber seien die Namen der Unterzeichner, sie sprächen Bände. Hier seien sie: Lilienfeld, Blumenthal, Sally Levy, Westphal, Manasse, Kallmann, Seligmann, Mansfeld, Rosenberg, Herz, Marienthal u. s. w. u. s. w. Man solle diese Namen einfach an die große Glocke hängen; es sei gegen den guten Geist des deutschen Volkes, daß man solche Promemorias einem deutschen Parlament zu überreichen wage, daß sich in Deutsch⸗ land eine Reihe von Leuten finde, die dem Hause so etwas zu bieten wagten!
Der Abg. Frhr. von Minnigerode hatte inzwischen fol⸗ genden Gegenantrag eingebracht:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: Die Staatsregierung aufzufordern, ihre Bemühungen für den Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten zu lassen, durch welches eine einheit⸗ liche Regelung des Lotteriewesens innerhalb der Einzelstaaten an⸗ gebahnt wird.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode befürwortete seinen An⸗ trag. Er (Redner) stehe dem Grundgedanken des Antrages Windt⸗ horst sympathisch gegenüber, derselbe erscheine ihm aber zu weitgehend. Zunächst seien es die finanziellen Momente, die für ihn, auch wenn sie noch so klein seien, ins Gewicht fielen, er meine, daß dringende Vorsicht bei der Beseitigung einer Einnahmequelle geboten sei, er verkenne aber nicht, daß dies ein Nebenpunkt sei. Prinzipiell könne er sich nicht gegen die Lotterien erklären. In allen Menschen liege die Neigung, ihre Verhältnisse durch Glücksversuche zu verbessern. Wolle man von der moralischen Verpflichtung sprechen, solche Ver⸗ suche zu verbieten, so müßte man zunächst das Börsenspiel aus der Welt schaffen, und das könne man nicht. Die mora⸗ lische Entrüstung über das kleine Lotteriespiel sei also nicht angebracht, mit demjenigen an den Spielbanken sei dasselbe gar nicht zu vergleichen. Bei der Lotterie sei durch die Kontrole des Staates ein normaler Verlauf garantirt, die Chancen ständen dabei von vornherein fest, die Leidenschaft des Augenblicks falle dabei fort. Diese Form des Hazards sei gewiß die mildeste, verbiete man sie, so werde man das Spiel in der Stille begünstigen, und Extra⸗ vaganzen herbeiführen. Wenn man erwäge, daß Braun⸗ schweig und Hamburg verhältnißmäßig zur Einwohnerzahl viel größere Einnahmen hätten als Preußen, und daß das viel kleinere Sachsen sogar im Ganzen einen größeren Rein⸗ ertrag erziele, als Preußen, so müsse man zugeben, daß grobe Mißstände in Preußen nicht vorlägen. Nachdem das Deutsche Reich geeinigt sei, könne eine Ueberproduktion von Loosen in einigen Staaten gehindert werden. In Preußen liege gerade in der Beschränkung der Loose, die durch die große Nachfrage nach Loosen konstatirt sei, eine Garantie gegen ein Ueberhand⸗ nehmen des Spiels. Die einheitliche Regelung im Reich könnte etwa so vor sich gehen, wie die Ausgabe der Kassen⸗ scheine für die Einzelstaaten, oder es könnte nach der Zahl der Bevölkerung eine Regelung erfolgen. Ob es überhaupt möglich sein werde, eine Regelung vom Reich aus vor⸗ zunehmen, das zu beweisen überlasse er den Abgg. Windthorst und Löwe. Sein Antrag sei ein modifizirender Abänderungs⸗ vnag der wesentlich von praktischen Gesichtspunkten aus 8 Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, er bedaure sehr, daß sein Mitantragsteller durch schwere Krankheit verhindert sei, heute seinen Antrag zu vertheidigen. Er sei von jeher ein Gegner der Lotterie gewesen und sei es auch heute noch. Er hätte⸗ eigentlich erwartet, daß ein solcher Widerspruch gegen seinen Antrag sich nicht erheben würde, obwohl er wisse, daß einige seiner Freunde anderer Ansicht seien, wie er. Der Antrag von Minnigerode lehne den einheitlichen Gedanken der An⸗ tragsteller ab, und wolle nur eine einheitliche Regelung, also den Fortbestand der Lotterie. Der Abg. von Minnigerode wolle auch in Preußen nichts geändert sehen, und nur den kleinen Staaten zu Leibe gehen. Das wolle er nicht. So lange die Lotterien beständen, müßten die Einzelstaaten genau dasselbe Recht haben, wie Preußen. Die Spielneigung des Menschen verdiene keine Förderung. Man habe auch bereits die früheren Spielbanken verboten, und es wäre gut, wenn Deutschland seinen durschlagenden Einfluß im Auslande verwendete, um auch die auswärtigen, speziell in Monte Carlo zu beseitigen, denen auch Deutsche alljährlich zum Opfer fielen. Das Lotteriespiel sei aber noch verderblicher, als die Spielbanken, weil die niederen Volksschichten absolut nicht im Stande seien, die Dinge so klar zu übersehen, wie Diejenigen, die an der Spielbank säßen. Ein heiml iches Lotteriespiel nach dem Verbot wäre gewiß nicht so gut möglich, wie das heimliche Spiel an Spielbanken. Denn daß man da noch spielen könne, bewiesen die verschiedenen Gelegenheiten selbst in Berlin, wo Angehörige der höheren Klassen dem verderblichen Spiele fröhnten. Wolle man einem an sich ver⸗ derblichen Dinge endlich ein Ende machen, so müsse es ganz und gründlich geschehen. Mit „Anbahnen“ sei es nicht gethan. Ob für den Fall einer solchen Aufhebung ein Uebergangsstadium nothwendig sein werde, wolle er nicht entscheiden, er glaube es nicht, würde aber nicht dagegen sein, wenn aber die Sache Erfolg haben solle, so müͤsse sie für ganz Deutschland geschehen, und es müsse dann selbstverständlich auch der Vertrieb fremdläandischer Loose vom Reiche verboten werden. Einnahmen aus unmoralischen Hand⸗ lungen wünsche er nicht, das non olet könne er nicht unter⸗ schreiben. Wie viele hätten in der Hoffnung, ihren Ruin durch Lotteriespiel abzuwenden, gerade dadurch ihr Unglück herbeigeführt. Er wisse, daß ein Antrag, wie der seinige, nicht gleich am ersten Tage praktisch zur Durchführung kommen werde, besonders wenn die Regierung sich zu demselben ablehnend
oder schweigend verhalte. Der Abg. Dr. Löwe und er habe dies wohl erwogen und sich doch gesagt: ein Antrag, der auf so guter Basis ruhe, werde, wenn der Antrag im ersten Jahre nicht durchschlage, es in dem folgenden thun. Er wünsche, daß sein Kollege Dr. Löwe genesen, und im folgen⸗ den Jahre, wenn der Antrag in diesem keinen Erfolg haben
sollte, den Antrag erneuern möge. Sollte der Abg. Löwe es
nicht können, so werde er es thun, um das Lotteriespiel, von
dessen Verderblichkeit er überzeugt sei, zu beseitigen.
Der Abg. von Uechtritz⸗Steinkirch erklärte, er habe sich früher mit Genehmigung der Mehrheit seiner politischen Freunde für die Aufrechterhaltung der preußischen Klassen⸗ lotterie ausgesprochen, wegen der finanziellen Lage des Staates, und weil das Lotteriespiel bei der Neigung des Volks ein Bedürfniß sei. Er für seine Person stehe auch jetzt noch auf diesem Standpunkte. Er bestreite von vorne herein, daß das Spielen in der preußischen Staatslotterie eine Ausbeutung des Volkes sei, das Volk wisse sehr wohl, daß es mit dem Ankauf eines Looses eine Abgabe an den Staat entrichte, und er glaube, daß im Volke geradezu ein Bedürfniß dazu vor⸗ handen sei. Wenn gesagt werde, man rege durch die preußische Staatslotterie die Spielleidenschaft an, so glaube er, daß dies in viel höherem Maße die auswärtigen Lotterien thäten. Wenn aber hier eine Regelung nicht eintrete, so halte er die Beschränkung der preußischen Klassenlotterie für unstatthaft, weil dadurch die Leute veranlaßt würden, in auswärtigen Lotterien zu spielen. Er würde daher selbst für eine Vermeh⸗ rung der preußischen Staatslotterieloose sein.
Der Regierungskommissar, Unter⸗Staatssekretär Meinecke entgegnete, seine Erklärung bei der zweiten Lesung des Etats, daß die Staatsregierung nach den Verhandlungen des Jahres 1881 den Beschluß gefaßt habe, vorläufig die Initiative zur Veränderung des Lotteriewesens nicht zu ergreifen, sei er jetzt nicht in der Lage, zu ändern. Zunächst könne er unumwun⸗ den erklären, daß der jetzige Zustand ein sehr unerwünschter sei, namentlich auch in der Beziehung, daß die preußische Be⸗ völkerung durch Loose von benachbarten Staaten vielfach über⸗ schwemmt werde. Wenn es sich um eine Neueinführung oder Wiedereinführung einer aufgehobenen Lotterie handelte, so würde schwerlich ein solcher Antrag gestellt, und an das Haus gebracht werden. Vom idealen Standpunkte aus betrachtet, sei die Lotterie, so wie der Abg. Windthorst es ausgefuührt habe, immerhin etwas Mißliches, da immer dem Spiel die Absicht zu Grunde liege, reich zu werden ohne ent⸗ sprechende Arbeit, und auch wirthschaftlich durchaus nicht zu billigen. Aber zwischen dem und der Aufhebung der Lotterien liege doch ein weiter Raum. Sie bringe 4 000 000 ℳ, was an sich kein absolutes Hinderniß der Auf⸗ hebung sein würde, wenn man sich überzeugen könnte, daß die Staatslotterie, wie sie gehandhabt werde, in der That ein unmoralisches Institut sei. Aber sie mit den Spielbanken in eine Reihe zu stellen, sei doch entschieden übertrieben. Denn bei ihr falle vor allen Dingen die Aufreizung durch die augenblicklichen Chancen, wie bei den Spielbanken, weg. Solche Verhältnisse, wie sie der Abg. Windthorst als nach⸗ theilige Folgen des Lotteriespiels angeführt habe, seien der Staatsregierung nicht zu Ohren gekommen. Ihm seien akten⸗ mäßig keine solche Fälle bekannt, — und es wäre doch von der einen oder anderen Seite darauf aufmerksam gemacht worden, — daß irgend ein vernünftiger Mensch durch das Lotteriespiel ruinirt wäre. Vereinzelte Fälle der Art möchten vorgekommen sein, aber in denen würde auf eine Geistes⸗ verwirrung geschlossen werden müssen. Schon die langjährigen Verhandlungen zeigten, wie verschiedene Auffassungen in Bezug auf das Lotteriespiel in der ganzen Bevölkerung herrschten, und wie man deshalb zu einer bestimmten Reso⸗ lution nicht habe gelangen können. Solle das Reich jetzt in Bewegung gesetzt werden, so werde zunächst die Kompetenz⸗ frage zu erörtern sein. Er möchte sich der Erörterung dieser Frage hier enthalten, und auch das Haus sei nicht in der
age, darüber entscheiden zu können. Aber das könne er dem Abg. Wagner doch bemerklich machen, daß der bloße Hinweis darauf, daß das Spiel in den Spielbanken aufgehoben sei, keinen Beweis dafür abgebe, daß die Reichs⸗ kompetenz vorhanden sei. Da habe es sich um eine zweifellos straf⸗ bare Handlung gehandelt, um etwas, was dem Strafrecht anheim⸗ falle, und die Strafgesetzgebung sei dem Reich übertragen. Die Staatslotterien aber, wie sie in Preußen gehandhabt würden, seien seither nicht nur geduldet, sondern vom Staate selbst, von den konstitutionellen Körperschaften ausdrücklich gebilligt worden: sie nun plötzlich als etwas Strafbares hin⸗ stellen und aus diesem Grunde der Reichsgesetzgebung über⸗ weisen zu wollen, das scheine ihm doch in hohem Grade ge⸗ wagt. Der Antrag, wie derselbe hier vorliege, habe 1881 dem Reichstage vorgelegen, und sei dort abgelehnt, und zwar mit dem Zusatz, daß eine Erweiterung der bestehenden Lotterien inzwischen nicht solle stattfinden dürfen. Ein Jahr darauf habe die sächsische Regierung ihren Lotterieetat vergrößert; sie habe die Zahl und den Preis der Loose erhöht, so daß die Lotterieeinnahmen dort etwas über die in Preußen hinaus⸗ gingen. Der Abg. Wagner habe aus dem starken Spielen in der Lotterie in Sachsen gefolgert, daß damit der Sozial⸗ demokratismus gefördert werde; aber als diese Position des sächsischen Etats in der Zweiten Kammer zur Berathunggekommen sei, habe der Abg. Bebel beantragt, die Position zu streichen, weil er die Lotterieeinnahme nichi wolle, und dieser Antrag sei mit allen gegen drei Stimmen abgelehnt. Darum bitte er, das richtige Maß in der Beurtheilung inne zu halten, nicht allzuscharf zu verdammen, was bisher als straflos gegolten habe, aber auch nicht zu verkennen, daß die Lotterie vom prinzipiellen Standpunkt aus nichts Wünschenswerthes sei. Er schließe mit der Versicherung, daß, wohin der Antrag des Hauses auch gehen möge, die Staatsregierung ihn in ernst⸗ liche Erwägung nehmen und sich die Frage vorlegen werde, ob sie in Folge desselben nun eine weitere Aktion eintreten lassen solle. Nach seiner Auffassung habe der Antrag des Abg. von Minnigerode mehr Aussicht, von der Regierung an⸗ genommen zu werden, als der erstere, weil derselbe nicht gleich so entschieden Front gegen das ganze Lotteriespiel mache. Er lege ihn übrigens nicht so aus, als sollte danach für Preußen