1884 / 59 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 08 Mar 1884 18:00:01 GMT) scan diff

kassen verhängten Strafen (§. 80 Absatz 1) werden in derselben] 1878. beschlossenen vorwiegend redaktionellen Aenderungen im Wesent⸗ Weise beigetrieben, wie Gemeindeabgaben. lichen Rechnung getragen ist. Daber sind die Grundsätze der früheren

u ondert festzustellen und zu verrechnen; ebenso sind die nisse Mitcheilung zu machen, und können dazu von dem Reichs⸗ u §. 93. zu —ö 1 Versicherungsamt durch Geldstrafen bis zu Einhundert Mark ange⸗ Diejenigen Betriebsunternehmer, Bevollmächtigten oder Reprä⸗

liche wirthschaftliche Vortheile erreicht werden, ohne die Fabrikatio und den Handel in irgendwie empfindlicher Weise einzuengen.

Vorlage, Der Standpunkt des Entwurfs hat bei dem weit überwiegende

öffentlichen Sparkassen oder wie Gelder gelegt werden.

2— Gelder dürfen nur in evormundeter Personen an⸗

Sofern besondere gesetzliche Vorschriften über die Anlegung der Gelder Bevormundeter nicht bestehen, kann die Anlegung der verfüg⸗ baren Gelder in Schuldverschreibungen, welche von dem Deutschen Reich, von einem deutschen Bundesstaate oder dem Reichslande Elsaß⸗ Lothringen mit gesetzlicher Ermächtigung ausgestellt sind, oder in Schuld⸗ verschreibungen, deren Verzinsung von dem Deutschen Reich, von einem deutschen Bundesstaate oder dem Reichslande Elsaß⸗Lothringen gesetz⸗ lich garantirt ist, oder in Schuldverschreibungen, welche von deutschen kommunalen Korporationen (Provinzen, Kreisen, Gemeinden ꝛc.) oder von deren Kreditanstalten ausgestellt und entweder Seitens der In⸗ haber kündbar sind, oder einer regelmäßigen Amortisation unter⸗ Niegen, erfolgen. Auch können die Gelder bei der Reichsbank verzins⸗ lich angelegt werden. 6., 71

8e

Ueber die gesammten Rechnungsergebnisse eines Rechnungsjahres ist nach Abschluß desselben alljährlich dem Reichstag eine vom Reichs⸗ Versicherungsamt aufzustellende Nachweisung vorzulegen.

Beginn und Ende des Rechnungsjahres wird für alle Genossen⸗ schaften übereinstimmend durch Beschluß des Bundesraths fest⸗ gestellt.

VI. Unfallverhütung. Ueberwachung der Betriebe durch die Genossenschaften.

Unfallverhütungsvorschriften. ““

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Die Genossenschaften sind befugt, für den Umfang des Ge⸗ nossenschaftsbezirkes oder für bestimmte Industriezweige oder Be⸗ triebsarten oder bestimmt abzugrenzende Bezirke Vorschriften zu er⸗ lassen: 1) über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit der Einschätzung ihrer Betriebe in eine höhere Gefahrenklasse, oder falls sich die letzteren bereits in der höchsten Gefahrenklasse befinden, mit Zuschlägen bis zum doppelten Betrage ihrer Beiträge. 8 8

Für die Herstellung der vorgeschriebenen Einrichtungen ist den Mitgliedern eine angemessene Frist zu bewilligen;

2) über das in den Betrieben von den Versicherten zur Ver⸗ hütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit Geldstrafen bis zu sechs Mark.

Diese Vorschriften bedürfen der Genehmigung des Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamts.

§. 79.

Vor der Einholung der Genehmigung (§. 78) sind die Vor⸗ schriften durch Vermittelung der unteren Verwaltungsbehörden den betheiligten Arbeiterausschüssen (§. 41), oder sosern diese in Gruppen eingetheilt sind (§. 45), den Gruppen zur gutachtlichen Erklärung mitzutheilen.

Die untere Verwaltungsbehörde beruft den Ausschuß bezw. die Gruppe zu einer Berathung über die Vorschriften, leitet die Ver⸗ handlungen und stellt die den Erschienenen gemäß §. 44 Absatz 4 zu⸗ stehende Vergütung fest. Das über die Verhandlung aufzunehmende Protokoll ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Mittheilung an den Vorstand der Genossenschaft einzusenden.

Die Protokolle sind, sofern sie rechtzeitig eingehen, dem Antrage auf Genehmigung der Vorschriften beizufügen.

Die genehmigten Vorschriften sind den höheren Verwaltungs⸗ behörden, auf deren Bezirke dieselben sich erstrecken, durch den Ge⸗ nossenschaftsvorstand mitzutheilen. 85

Die im §. 78 Ziffer 1 vorgesehene höhere Einschätzung des Be⸗ triebes, sowie die Festsetzung von Zuschlägen erfolgt durch den Vor⸗ stand der Genossenschaft, die Festsetzung der in §. 78 Ziffer 2 vor⸗ gesehenen Geldstrafen durch den Vorstand der Betriebs⸗ (Fabrik⸗) Krankenkasse, oder wenn eine solche für den Betrieb nicht errichtet ist, Durch die Ortspolizeibehörde. In beiden Fällen findet binnen zwei Wochen nach der Zustellung der bezüglichen Verfügung die Beschwerde statt. Ueber dieselbe entscheidet im ersten Falle das Reichs⸗Versiche⸗ rungsamt, im zweiten Falle die der Ortspolizeibehörde unmittelbar vorgesetzte Aufsichtsbehörde. 1

Die Geldstrafen (§. 78 Ziffer 2) fließen in die Krankenkasse, welcher der zu ihrer Zahlung Verpflichtete zur Zeit der Zuwiderhand⸗ Iung angehört. §. 81

Die von den Landesbehörden für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Anord⸗ nungen sollen, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist, den betheiligten Genossenschaften und im Falle des §. 78 Ziffer 2 auch den betheilig⸗ ten Arbeiterausschüssen (Gruppen) zur Begutachtung nach Maßgabe des §. 79 vorher mitgetheilt werden.

Ueberwachung der Betriebe.

Die Genossenschaften sind befugt, durch Beauftragte die Befol⸗ gung der zur Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften zu über⸗ wachen, von den Einrichtungen der Betriebe, soweit sie für die Zu⸗ gehörigkeit zur Genossenschaft oder für die Einschätzung in den Ge⸗ fahrentarif von Bedeutung sind, Kenntniß zu nehmen und behufs Prüfung der von den Betriebsunternehmern auf Grund gesetzlicher oder statutarischer Bestimmungen eingereichten Arbeiter⸗ und Lohn⸗ nachweisungen diejenigen Geschäftsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Löhne und Gehälter ersichtlich werden.

Die einer Genossenschaft angehörenden Betriebsunternehmer sind verpflichtet, den als solchen legitimirten Beauftragten der betheiligten Genossenschaft auf Erfordern den Zutritt zu ihren Betriebsstätten während der Betriebszeit zu gestatten und die bezeichneten Bücher und Listen an Ort und Stelle zur Einsicht vorzulegen. Sie können hierzu, vorbehaltlich der Bestimmungen des §. 83, auf Antrag der Beauftragten von der unteren Verwaltungsbehörde durch Geldstrafen im Betrage bis zu Dreihundert Mark angehalten werden.

Befürchtet der Betriebsunternehmer die Verletzung eines Fabrik⸗ geheimnisses oder die Schädigung seiner Geschäftsinteressen in Folge der Besichtigung des Betriebes durch den Beauftragten der Genossen⸗ schaft, so kann derselbe die Besichtigung durch andere Vertreter der Genossenschaft beanspruchen. In diesem Falle hat er dem Genossen⸗ schaftsvorstande, sobald er den Namen des Beauftragten erfährt, eine entsprechende Mittheilung zu machen und einige geeignete Personen zu bezeichnen, welche auf seine Kosten die erforderliche Einsicht in den Betrieb zu nehmen und dem Vorstande die für die Zwecke der Ge⸗ nossenschaft aothwendige Auskunft über die Betriebseinrichtungen zu geben bereit sind. In Ermangelung einer Verständigung zwischen dem Betriebsunternehmer und dem Vorstande entscheidet auf Anrufen des letzteren das Reichs⸗Versicherungsamt.

§. 84. Die Beauftragten sowie die Mitglieder der Vorstände der Ge⸗ nossenschaften haben über die welche durch die Ueber⸗

wachung und Kontrole der Betriebe zu ihrer Kenntniß gelangen, Verschwiegenheit zu beobachten. Die Beauftragten der Genossenschaf⸗ ten sind hierauf von der unteren Verwaltungsbehörde ihres Wohn⸗ orts zu beeidigen. §. 85

Namen und Wohnsitz der Beauftragten sind von dem Genossen⸗ schaftsvorstande den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirke sich jhre Thätigkeit erstreckt, anzuzeigen.

e Beauftragten sind verpflichtet, den nach Maßgabe des §. 139 b der Gewerbeordnung bestellten staatlichen Aufsichtsbeamten auf Erfordern, über jhre Ueberwachungsthätigkeit und deren Ergeb⸗

halten werden. §. 86.

Die durch die Ueberwachung und Kontrole der Betriebe ent⸗ stehenden Kosten gehören zu den Verwaltungskosten der Genossen⸗ schaft. Soweit dieselben in baaren Auslagen bestehen, können sie durch den Vorstand der Genossenschaft dem Betriebsunternehmer auf⸗ erlegt werden, wenn derselbe durch Nichterfüllung der ihm obliegen⸗ den Verpflichtungen zu ihrer Aufwendung Anlaß gegeben hat. Gegen die Auferlegung der Kosten findet binnen zwei Wochen nach Zustel⸗ lung des Beschlusses die Beschwerde an das Reichs⸗Versicherungsamt statt. Die Beitreibung derselben erfolgt in derselben Weise, wie die der Gemeindeabgaben.

VII. Das Reichs⸗Versicherungsamt. Organisation. §. 87.

Die Genossenschaften unterliegen in Bezug auf die Befolgung dieses Gesetzes der Beaufsichtigung des Reichs⸗Versicherungsamts.

Das Reichs⸗Versicherungsamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus mindestens drei ständigen Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden, und aus acht nichtständigen Mitgliedern.

Der Vorsitzende und die übrigen ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesraths vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nichtständigen Mitgliedern werden vier vom Bundesrath aus seiner Mitte und je zwei mittelst schriftlicher Abstimmung von den Genossenschaftsvorständen und den Arbeiterausschüssen aus ihrer Mitte unter Leitung des Reichs⸗Versicherungsamts gewählt. Die Wahl erfolgt nach relativer Stimmenmehrheit; bei Stimmen⸗ gleichheit entscheidet das Loos. Die Amtsdauer der nichtständigen Mitglieder währt vier Jahre. Das Stimmenverhältniß der einzel⸗ nen Genossenschaftsverbände und Arbeiterausschüsse bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder bestimmt der Bundesrath unter Berücksich⸗ tigung der Zahl der versicherten Personen.

Für jedes durch die Genossenschaftsvorstände bezw. die Arbeiter⸗ ausschüsse gewählte Mitglied sind ein erster und ein zweiter Stell⸗ vertreter zu wählen, welche dasselbe in Behinderungsfällen zu vertreten haben. Scheidet ein solches Mitalied während der Wahlperiode aus, so haben für den Rest derselben die Stellvertreter in der Reihenfolge ihrer Wahl als Mitglied einzutreten.

Die übrigen Beamten des Reichs⸗Versicherungsamts werden vom Reichskanzler ernannt.

Zuständigkeit. §. 88.

Die Aufsicht des Reichs⸗Versicherungsamts über den Geschästs⸗ betrieb der Genossenschaften hat sich auf die Beobachtung der gesetz⸗ lichen und statutarischen Vorschriften zu erstrecken. Alle Entschei⸗ dungen desselben sind endgültig, soweit in diesem Gesetze nicht ein Anderes bestimmt ist.

Das Reichs⸗Versicherungsamt ist befugt, jederzeit eine Prüfung der Geschäftsführung der Genossenschaften vorzunehmen.

Die Vorstandsmitglieder, Vertrauensmänner und Beamten der Genossenschaften sind auf Erfordern des Reichs⸗Versicherungsamts zur Vorlegung ihrer Bücher, Beläge und ihrer auf den Inhalt der Bücher bezüglichen Korrespondenzen, sowie der auf die Festsetzung der Entschädigungen und Jahresbeiträge bezüglichen Schriftstücke an die Beauftragten des Reichs⸗Versicherungsamts oder an das letztere selbst verpflichtet. Dieselben können hierzu durch Geldstrafen bis zu Ein⸗ tausend Mark angehalten werden.

Das Reichs⸗Versicherungsamt entscheidet, unbeschadet der Rechte Dritter, über Streitigkeiten, welche sich auf die Rechte und Pflichten der Inhaber der Genossenschaftsämter, auf die Auslegung der Sta⸗ tuten und die Gültigkeit der vollzogenen Wahlen beziehen. Dasselbe kann die Inhaber der Genossenschaftsämter zur Befolgung der gesetz⸗ lichen und statutarischen Vorschriften durch Geldstrafen bis zu Ein⸗ tausend Mark anhalten, und gegen die Beauftragten, sowie die Mit⸗ glieder der Vorstände, welche das Gebot der Verschwiegenheit ver⸗ letzen (§. 84) Ordnungsstrafen bis zu gleicher Höhe verhängen.

Geschäftsgang. §. 90.

Die Beschlußfassung des Reichs⸗Versicherungsamts ist durch die Anwesenheit von mindestens fünf Mitgliedern (einschließlich des Vor⸗ sitzenden), unter denen sich je ein Vertreter der Genossenschafts⸗ vorstände und der Arbeiterausschüsse befinden müssen, bedingt, wenn es sich handelt

a. um die Vorbereitung der Beschlußfassung des Bundesraths bei der Bestimmung, welche Betriebe mit einer Unfallgefahr nicht verbunden und deshalb nicht versicherungspflichtig sind (§. 1), bei der Genehmigung von Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§. 31), bei der Auflösung einer leistungsunfähigen Genossenschaft (§. 33), bei der Errichtung von Arbeiterausschüssen (§. 41),

b. um die Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten bei Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§. 32),

c. um die Entscheidung auf Rekurse gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte (§. 63), 8

d. um die Genehmigung von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen (S§. 78),

e. um die Entscheidung auf Beschwerden gegen Strafverfügungen der Genossenschaftsvorstände (§. 103).

So lange die Wahl der Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der Arbeiterausschüsse nicht zu Stande gekommen ist, genügt die von fuͤnf anderen Mitgliedern (einschließlich des Vor⸗ sitzenden).

Im Uebrigen werden die Formen des Verfahrens und der Geschäftsgang des Reichs⸗Versicherungsamts durch Kaiserliche Ver⸗ ordnung unter Zustimmung des Bundesraths geregelt.

Kosten. 1.

Die Kosten des Reichs⸗Versicherungsamts und seiner Verwaltung trägt das Reich.

Die nichtständigen Mitglieder erhalten, für die Theilnahme an den Arbeiten und Sitzungen des Reichs⸗Versicherungsamts eine nach ihrem Jahresbetrage festzusetzende Vergütung, und diejenigen, welche außerhalb Berlins wohnen, außerdem Ersatz der Kosten der Hin⸗ und Rückreise nach den für die vortragenden Räthe der obersten Reichs⸗ behörden geltenden Sätzen (Verordnung vom 21. Juni 1875, Reichs⸗ Gesetzblatt Seite 249). Die Bestimmungen im §. 16 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 (Reichs⸗Gefetzblatt Seite 61) finden auf sie keine Anwendung.

VIII. Schluß⸗ und Strafbestimmungen. Haftpflicht der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten. §. 92.

Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene können einen Anspruch auf Ersatz des in Folge eines Unfalls erlittenen Schadens nur gegen diejenigen Betriebsunter⸗ nehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebs⸗ oder Arbeiter⸗ aufseher geltend machen, gegen. welche durch strafgerichtliches Urtheil öb worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt

aben.

In diesem Falle beschränkt sich der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach den bestehenden gesetzlicher Vor⸗ schriften gebührende Enüscheädigang diejenige übersteigt, auf welche sie

nach diesem Gesetze Anspruch baben,

sentanten, Betriebs⸗ oder Arbeiteraufseher, gegen welche durch straf⸗ gerichtliches Urtheil festgestellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätz⸗ lich oder durch Fahrlässigkeit mit Auß rachtlassung derjenigen Auf⸗ merksamkeit, zu der sie vermöge ihres Amts, Berufs oder Gewerbes besonders verpflichtet sind, herbeigeführt haben, haften für alle Auf⸗ wendungen, welche in Folge des Unfalls auf Grund dieses Gesetzes oder des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883 (Reichs⸗Gesetzblatt Seite 73) von den Genossen⸗ schaften oder Krankenkassen gemacht worden sind. .

In gleicher Weise haftet als Betriebsunternehmer eine Aktien⸗ gesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft für die durch ein Mitglied ihres Vorstandes, sowie eine Handelsgesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft für die durch einen der Liquidatoren herbeigeführten Unfälle. .

Als Ersatz für die Rente kann in diesen Fällen deren Kapital⸗ werth gefordert werden.

§. 94.

Die in den §§. 92, 93 bezeichneten Ansprüche könn daß die daselbst vorgesehene Feststellung durch strafgerichtliches Urtbeil stattgefunden hat, geltend gemacht werden, falls diese Feststellung wegen des Todes oder der Abwesenheit des Betreffenden oder aus einem anderen in der Person desselben liegenden Grunde nicht er⸗ folgen kann.

Haftung Dritter.

Personen, welche den Unfall vorsätzlich herbeigeführt oder durch Ver⸗ schulden verursacht haben, bestimmt sich nach den bestehenden gesetz⸗ lichen Vorschriften. Jedoch geht die Forderung der Entschädigungs⸗ berechtigten an den Dritten auf die Genossenschaft insoweit über, als die Verpflichtung der letzteren zur Entschädigung durch dieses Gesetz begründet ist.

Verbot vertragsmäßiger Beschränkungen.

§. 96.

Den Berufsgenossenschaften, sowie den Betriebsunternehmern ist untersagt, die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zum Nachtheil der Versicherten durch Verträge (mittelst Reglements oder besonderer Uebereinkunft) auszuschließen oder zu beschränken. Vertrags⸗ bestimmungen, welche diesem Verbote zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirkung.

Aeltere Versicherungsverträge. . r. 8

Unternehmern der unter §. 1 fallenden Betriebe oder von den in den⸗ selben beschäftigten versicherten Personen gegen die Folgen der in diesem Gesetze bezeichneten Unfälle mit Versicherungsanstalten abge⸗ schlossen sind, gehen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf die Berufsgenossenschaft, welcher der Betrieb angehört, über, wenn die Versicherungsnehmer dieses bei dem Vorstande der Genossenschaft be⸗ antragen. Die der Genossenschaft hieraus erwachsenden Zahlungs⸗ verbindlichkeiten werden durch Umlage auf die Mitglieder derselben (§§. 10, 28) gedeckt.

Die öffentlichen Behörden sind verpflichtet, den im Vollzuge

dieses Gesetzes an sie ergehenden Ersuchen des Reichs⸗Versicherungs⸗ amtes, anderer öffentlicher Behörden, sowie der Genossenschafts⸗ und Sektionsvorstände und der Schiedsgerichte zu entsprechen und den be⸗ zeichneten Vorständen auch unaufgefordert alle Mittheilungen zukommen zu lassen, welche für den Geschäftsbetrieb der Genossenschaften von Wichtigkeit sind. Die gleiche Verpflichtung liegt den Organen der Genossenschaften unter einander ob. Die durch die Erfüllung dieser Verpflichtungen entstehenden Kosten sind von den Genossenschaften als eigene Verwaltungskosten (§. 10) insoweit zu erstatten, als sie in Tagegeldern und Reisekosten von Beamten oder Genossenschaftsorganen, sowie in Gebühren für und Sachverständige oder in sonstigen baaren Auslagen be⸗ tehen.

Gebühren⸗ und Stempelfreiheit. §. 99.

Alle zur Begründung und Abwickelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Berufsgenossenschaften einerseits und den Versicherten andererseits erforderlichen schiedsgerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen und Urkunden sind gebühren⸗ und stempelfrei. Das⸗ selbe gilt für die behufs Vertretung von Berufsgenossen ausgestellten privatschriftlichen Vollmachten.

Strafbestimmungen.

Die Genossenschaftsvorstände sind befugt, gegen Betriebsunter⸗ nehmer Ordnungsstrafen bis zu Fünfhundert Mark zu verhängen:

1) wean die von denselben auf Grund gesetzlicher oder statuta⸗ rischer Bestimmung eingereichten Arbeiter⸗ und Lohnnachweisungen unrichtige thatsächliche Angaben enthalten;

2) wenn in der von ihnen gemäß §. 35 erstatteten Anzeige als Zeitpunkt der Eröffnung oder des Beginnes der Versicherungspflicht des Betriebes ein späterer Tag angegeben ist als der, an welchem dieselbe stattgefunden hat.

101

Betriebsunternehmer, welche den ihnen obliegenden Verpflichtungen in Betreff der Anmeldung der Betriebe und Betriebsänderungen (§§. 11, 35, 38 und 39), in Betreff der Einreichung der Arbeiter⸗ und Lohnnachweisungen (§§. 60 und 71) oder in Betreff der Erfüllung der für Betriebseinstellungen gegebenen statutarischen Vorschriften (§. 17 Ziffer 7) nicht rechtzeitig nachkommen, können von dem Ge⸗ nossenschaftsvorstande mit einer Ordnungsstrafe bis zu dreihundert Mark belegt werden. .

Die gleiche Strafe kann, wenn die Anzeige eines Unfalls in Gemäßheit des §. 51 nicht rechtzeitig erfolgt ist, gegen denjenigen verhängt werden, welcher zu der Anzeige verpflichtet war.

§. 102.

Die Strafvorschriften der §§. 100 und 101 finden auch gegen die gesetzlichen Vertreter handlungsunfähiger Betriebsunternehmer, des⸗ gleichen gegen die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, Innung oder eingetragenen Genossenschaft, sowie gegen die Liqui⸗ datoren einer Handelsgesellschaft, Innung oder eingetragenen Ge⸗ nossenschaft Anwendung.

§. 103.

Zum Erlaß der in den §§. 100 bis 102 bezeichneten Strafver⸗ fügungen ist der Vorstand derjenigen Genossenschaft zuständig, zu welcher der Betriebsunternehmer gemäß §. 34 gehört.

Gegen die Strafverfügung des Genossenschaftsvorstandes steht den Betheiligten binnen zwei Wochen von deren Zustellung an die Beschwerde an das Reichs⸗Persicherungsamt zu.

Die Strafen fließen in die Genossenschaftskasse. 8

Zuständige Landesbehörden; Verwaltungsexekution.

§. 104.

Die Centralbehörden der Bundesstaaten bestimmen, von welchen Staats⸗ oder Gemeindebehörden die in diesem Gesetze den höheren Verwaltungsbehörden, den unteren Verwaltungsbehörden und den Ortspolizeibehörden zugewiesenen Verrichtungen wahrzunehmen sind und zu welchen Kassen die in §§. 11 Absatz 3, 35 Absatz 2, 82 Ab⸗ satz 2 und 85 Absatz 2 bezeichneten Seiaten fließen. Diese, sowie die auf Grund der §§. 49 Absatz 3, 100 bis 102 erkannten Strafen, desgleichen die von den Vorständen der Betriebs⸗ (Fabrik⸗) Kranken⸗

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,auch ohne

Die Haftung dritter, in den §§. 92 und 93 nicht bezeichneter

Die Rechte und Pflichten aus Versicherungsverträgen, welche von

Die von den Centralbehörden der Bundesstaaten in Gemäßheit vorstehender Vorschrift erlassenen Bestimmungen sind durch den Deutschen Reichs⸗Anzeiger bekannt zu machen.

8 I Zustellungen. b §. 105.

Zustellungen, welche den Lauf von Fristen bedingen, erfolgen

durch die Post mittelst eingeschriebenen Briefes gegen Empfangsschein.

Gesetzeskraft.

Die Bestimmungen der Abschnitte II, III, IV und VII, sowie die auf diese Abschnitte bezüglichen Strafbestimmungen treten mit dem Tage der Verkündigung dieses Gesetzes in Kraft.

Im Uebrigen wird der Zeitpunkt, mit welchem das Gesetz in Kraft tritt, mit Zustimmung des Bundesraths durch Kaiserliche Ver⸗ ordnung bestimmt. 8

Dem Reichstage ist folgender Entwurf eines Gesetzes über den Feingehalt der Gold⸗ und Silberwaaren vor⸗ gelegt worden: .

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen ꝛc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: .

Gold⸗ und Silberwaaren dürfen zu jedem Feingehalt angefertigt und feilgehalten werden. Die Angabe des Feingehalts auf denselben ist nur nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gestattet.

9.

Auf Silberwaaren darf der Feingehalt nur in 800 oder mehr Tausendtheilen, auf Goldwaaren nur in 585 oder mehr Tausend⸗ theilen angegeben werden.

Der wirkliche Feingebalt darf weder im Ganzen der Waare noch auch in deren einzelnen Bestandtheilen bei Silberwaaren mehr als 8, bei Goldwaaren mehr als fünf Tausendtheile unter dem angegebenen Feingehalt bleiben. Bei Ermittelung des Feingehalts bleibt die Löthung außer Betracht.

§. 3.

Die Angabe des Feingehalts geschieht durch ein Stempelzeichen, welches die Zahl der Tausendtheile und die Firma des Geschäfts, für welches die Stempelung bewirkt ist, kenntlich macht. Die Form des Stempelzeichens wird durch den Bundesrath bestimmt.

Waaren, welche für den Absatz im Inlande nicht bestimmt sind, unterliegen den Beschränkungen der §§. 2 und 3 nicht. Es ist jedoch nicht gestattet, dieselben mit einem Zeichen nach Maßgabe der §§. 2 und 3 zu versehen, wenn sie den Anforderungen des §. 2 nicht ent⸗ sprechen.

Aus dem Auslande eingeführte Gold⸗ und Silberwaaren, deren Feingehalt durch eine diesem Gesetze nicht entsprechende Bezeichnung angegeben ist, dürfen nur dann feilgehalten werden, wenn sie außer⸗ dem mit einem Stempelzeichen nach Maßgabe dieses Gesetzes ver⸗ sehen sind.

Für die Richtigkeit des angegebenen Feingehalts haftet der Ver⸗ käufer der Waare. Ist deren Stempelung im Inlande erfolgt, so haftet gleich dem Verkäufer der Inhaber des Geschäfts, für welches die Stempelung erfolgt ist.

Gold⸗ oder Silberwaaren, auf welchen der Feingehalt angegeben ist, dürfen mit anderen metallischen Stoffen nicht ausgefüllt sein; Verstärkungsvorrichtungen, welche im Innern der Waare angebracht sind, dürfen mit der letzteren metallisch nicht verbunden sein.

Mit Geldstrafe bis zu Eintausend Mark oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten wird bestraft:

1) wer Gold⸗ oder Silberwaaren, welche nach diesem Gesetz mit einer Angabe des Feingehalts nicht versehen sein dürfen, mit einer solchen Angabe versieht;

2) wer Gold⸗ oder Silberwaaren, welche nach diesem Gesetz mit einer Angabe des Feingehalts versehen sein dürfen, mit einer anderen, als der nach diesem Gesetz zulässigen Feingehaltsangabe versieht;

3) wer gold⸗ oder silberähnliche Waaren mit einem durch dieses Gesetz vorgesehenen Stempelzeichen oder mit einem Stempelzeichen versieht, welches nach diesem Gesetze als Feingehaltsbezeichnung für Gold⸗ und Silberwaaren nicht zulässig ist;

4) wer Waaren feilhält, welche mit einer gegen die Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes verstoßenden Bezeichnung versehen sind.

Mit der Verurtheilung ist zugleich auf Vernichtung der gesetz⸗ widrigen Bezeichnung oder, wenn diese in anderer Weise nicht möglich ist, auf Zerstörung der Waare zu erkennen.

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1886 in Kraft. An demsel⸗ ben Tage treten alle landesrechtlichen Bestimmungen über den Fein⸗ gehalt der Gold⸗ und Silberwaaren außer Geltung.

Begründung.

Veranlaßt durch eine aus den Kreisen der Silberwaarenindustrie hervorgegangene Petition, hat der Bundesrath im Jahre 1873 die auf den Feingehalt der Gold⸗ und Silberwaaren bezüglichen Verhält⸗ nisse einer näheren Prüfung uuterzogen und auf Grund umfassender Erhebungen ein Einschreiten der Gesetzgebung gegen die auf diesem Gebiete herrschenden Uebelstände für angezeigt erachtet.

Ein zu diesem Behufe aufgestellter Gesetzentwurf wurde am 6. März 1878 dem Reichstag zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorgelegt (Drucksachen des Reichstags II. Session 1878 Nr. 65). Bei der ersten Berathung im Reichstag (Stenogr. Bericht S. 514 ff.) fand der Entwurf im allgemeinen eine günstige Aufnahme. Derselbe wurde an eine Kommission verwiesen, von dieser mit einigen Abände⸗ rungen mit elf gegen drei Stimmen angenommen (Drucksache Nr. 231), wegen Sessionsschlusses indessen nicht mehr im Plenum in zweiter Lesung berathen.

Seitdem sind in den Jahren 1880 und 1881 aus den Kreisen der betheiligten Gewerbetreibenden wiederholt Petitionen um gesetz⸗ liche Regulirung des Feingehalts der Gold⸗ und Silberwaaren an den Reichstag gelangt. In beiden Jahren beantragte die Petitions⸗ kommission, „die Petition dem Herrn Reichskanzler zur Erwägung zu überweisen“, wobei sie in ihrem Berichte vom 11. Juni 1881 ihre Ueberzeugung dahin aussprach,

„daß der Erlaß eines Gesetzes nach dem mehrfach erwähnten Entwurf dazu beitragen werde, die Bestrebungen unserer Fabrikanten zur Hebung unserer Kunstgewerbe und zur Wiedererlangung des Vertrauens zu deutschen Gold⸗ und Silberwaaren zu unterstützen“. (Dragchen des Reichstags für 1880 Nr. 110 und für 1881

Auch diese Anträge der Petitionskommission kamen nicht zur Be⸗ rathung des Plenums.

In jüngster Zeit endlich haben nicht nur einzelne Handels⸗ kammern in ihren Jahresberichten dem Wunsche nach gesetlicher Regelung dieses Gegenstandes Ausdruck gegeben, sondern es ist auch aus der Mitte der Reichstagskommission, welche mit der Berathung der jüngsten Gewerbeordnungsnovelle befaßt war, die gleiche Anregung laut geworden.

In der That bestehen die Gründe, welche seiner Zeit zur Ein⸗ bringung der Vorlage geführt haben, auch heute noch fort.

Der vorltegende Gesetzentwurf nimmt deshalb jene Vorlage wieder auf, wobei den von der Reichstagskommission im Jahre

daß Gold⸗ und Silberwaaren zwar zu jedem Feingehalt an⸗ fertigt, mit einem Zeichen des Feingehalts aber nur dann bezeichnet werden dürfen, wenn sie einen bestimmten Gehalt an Edelmetall besitzen, 3 8 1

daß das Feingehaltszeichen im ganzen Reich ein einheitliches sein und in unzweifelhafter Weise den wirklichen Feingehalt erkennen lassen soll,

daß endlich jeder Verkäufer der Waare, und, sofern deren Stempelung im Inlande erfolgt ist, auch der Inhaber des Geschäfts, für welches dieselbe erfolgte, für die Richtigkeit des angegebenen Feingehalts haftet,

unverändert aufrecht erhalten. 3

Diese Grundsätze rechtfertigen sich durch folgende, den Motiven der früheren Vorlage entnommenen Ausführungen: 2

„Der Feingehalt der Gold⸗ und Silberwaaren hat seit langer Zeit die Gesetzgebung des Inlandes wie des Auslandes beschäftigt. Während die meisten anderen europäischen Staaten in Folge dessen längst zu einer gesetzlichen Ordnung gelangt sind, welche, wie wenig sie auch allen Interessen gerecht werden mag, mindestens doch Klarheit und Sicherheit in den Verkehr gebracht hat, ist es in Deutschland bei einer Verschiedenartigkeit des Rechtszustandes und, „in unmittelbarer Verbindung damit, bei einer Unklar⸗ heit der Verhältnisse des Edelmetallgewerbes geblieben, unter welcher alle betheiligten Interessen zu leiden haben. Nur in wenigen Bundesstaaten sind über den Feingehalt der Gold⸗ und Silberwaaren neuere, den gegenwärtigen Gewerbeverhältnissen angepaßte Bestim⸗ mungen in Geltung, in anderen Theilen des Reichs sind die bestehen⸗ den Vorschriften thatsächlich mehr oder weniger außer Gebrauch getreten, und in dem überwiegenden Theile Deutsch⸗ lands fehlt es überhaupt an Bestimmungen über den Gegenstand. Die deutschen Gold⸗ und Silberwaaren weisen in den verschie⸗ denen Theilen des Reichs einen ganz verschiedenen Gehalt an Edelmetall auf; die Bezeichnung dieses Gehalts ist mehr oder weniger willkürlich, unsicher und dem allgemeinen Verständniß entzogen; die Fabrikation ist vielfach genöthigt, unter Aufwendung erhöhter Kosten, welche der ausländischen Konkurrenz erspart bleiben, in verschiedenen Mischungsverhältnissen zu arbeiten; der Käufer einer Waare ist ungewiß über deren Gehalt an edlem Metall und fast immer außer Stande, in solchen Fällen, in welchen der Gehalt seinen Voraus⸗ nicht entspricht, sich an den Händler oder Fabrikanten zu halten.

Das Bedürfniß nach einer klaren und einheitlichen Ordnung auf diesem Gebiete ist auch in Deutschland seit Jahrzehnten empfunden; seit dem Jahre 1845 sind wiederholt Versuche unternommen worden, eine Vereinbarung über eine den Verhältnissen des deutschen Gewerbes entsprechende Regelung unter den betheiligten Regierungen herbeizu⸗ führen. Alle diese Versuche sind indessen gescheitert und seit dem Jahre 1857, in welchem ein solcher Versuch zum letzten Male in Frage stand, ist die Sache überhaupt nicht wieder aufgenommen worden.

Das Einschreiten der Reichs⸗Gesetzgebung wurde im Jahre 1872 von 155 Firmen, angesehenen Vertretern des Silberwaarengeschäfts aus allen Theilen Deutschlands, bei dem Bundesrath in Anregung gebracht. Die eingehende Erwägung des Antrags Seitens der Bun⸗ desregierungen führte zu dem Ergebnisse, daß es sich empfehle, eine reichsgesetzliche Regelung vorzubereiten. Gleichzeitig war man auch darüber einig, daß eine gesetzliche Regelung auf diesem Gebiete nicht unternommen werden könne, ohne zuvor die betheiligten gewerb⸗ lichen Kreise gehört zu haben, und daß eine befriedigende Lösung der Aufgabe nur in einer Richtung zu finden sei, welche den in jenen Kreisen vorherrschenden Anschauungen und Wünschen ent⸗ spreche. Demgemäß wurde ein vorläufiger Gesetzentwurf ausgearbeitet, welcher an allen denjenigen Orten, die für die deutsche Edelmetall⸗ Industrie eine Bedeutung besitzen, einer sachverständigen Prüfung unterstellt worden ist. Durch Vermittelung der Landesbehörden sind zahlreiche Fabrikanten und Kaufleute, sowohl aus den Kreisen des kleinen wie des großen Gewerbes, und insbesondere auch aus dem Bereiche der Kunstindustrie, über den Entwurf gehört worden.

Von vornherein war unter den Bundesregierungen darüber Ein⸗ verständniß erreicht, daß eine gesetzliche Regelung für das Reich nicht auf den Grundlagen der Gesetzgebung in den großen Nachbarländern Deutschlands, insbesondere Englands, Frankreichs und Oesterreich⸗ Ungarns erfolgen könne. Die Gesetzgebung der letzteren beruht auf dem sogcnannten Legirungszwange, nach welchem die Verarbeitung von Gold und Silber nur in wenigen bestimmten, meist hohen Fein⸗ gehaltsstufen zugelassen wird. Eine solche sehr empfindliche Beschränkung des Gewerbes ist für Deutschland aus keinem Gesichtspunkte des öffent⸗ lichen Wohles zu begründen. Im Gegentheil liegt es durchaus im Interesse unserer Industrie, daß Niemandem verwehrt wird, in jeglicher Me⸗ tallmischung, wie es dem augenblicklichen Begehr entspricht, zu ar⸗ beiten. Je mehr die Fortschritte in der Technik des Vergoldens, Ver⸗ silberns und Plattirens, sowie in dem Anfertigen und Ausfüllen hohler Waaren die Darstellung von Gegenständen mit einer mehr oder weniger starken Hülle aus edlem Metall in Aufnahme gebracht haben, um so nachtheiliger muß das Gewerbe durch eine Beschrän⸗ kung in der Legirungsweise berührt werden. Ganz besonders empfind⸗ lich sind in dieser Beziehung das Kunstgewerbe und der Ausfuhr⸗ handel. Jenes wie dieser verlangen die möglichste Freiheit in der dhheeg des zu den verschiedenen Waaren zu verwendenden Ma⸗

erials.

Nach den Bestimmungen des vorliegenden Entwurfs soll die volle Freiheit bestehen, Waaren in jedem Feingehalte herzustellen, und ebenso Niemand gezwungen sein, den Feingehalt auf der Waare anzu⸗ geben. Dagegen sollen gewisse Grade des Feingehalts auf den Waaren durch eine bestimmte, in ganz Deutschland gleiche Stempelung bezeichnet werden koͤnnen und andere als diese Gehaltsbezeichnungen überhaupt nicht zulässig sein. Die maßgebenden Gesichts⸗ punkte sind dabei auf ein zwiefaches Ziel gerichtet: zu⸗ nächst soll das Publikum im Handel und Verkehr mehr als bisher gegen Täuschung gesichert werden, sodann soll die Fabri⸗ kation in ihren auf die Vereinfachung der bestehenden Legirungs⸗ verhältnisse gerichteten Bemühungen durch das Gesetz unterstützt wer⸗ den. Auch in dieser zweiten Beziehung ist das Interesse des Publikums betheiligt, weil Täuschungen um so eher möglich sind, je mannigfaltiger die Legirung der auf dem deutschen Markt angebote⸗ nen Waaren ist. Aber vorwiegend wird dadurch doch den Interessen des Gewerbes Rechnung getragen, insofern für dieses die Kosten und die Schwierigkeiten der Fabrikation sich steigern, je verschiedener der Gehalt des auf dem Markt verkäuflichen rohen und Bruchmetalls und je mannigfaltiger der Feinheitsgrad der von dem Publikum verlang⸗ ten Waare ist.

Nach beiden Richtungen hin sucht der Entwurf nicht durch Zwang und Verbote, sondern dadurch zu wirken, daß er Waaren, welche eine in technischer und wirthschaftlicher Rücksicht vortheilhafte Legi⸗ rung enthalten, durch gewisse Begünstigungen auszeichnet: das Publikum soll darauf hingewiesen werden, vorzugsweise Waaren eines bestimmten Feingehalts zu verlangen, und andererseits das Ge⸗ werbe angeregt werden, vorzugsweise auf die Anfertigung solcher Waare sich zu verlegen. Während damit Fabrikation und Handel in ihrer freien Bewegung nicht beschränkt werden, ist doch den betheilig⸗ ten Kreisen die Möglichkeit geboten, aus eigener Initiative ein⸗ fachere und solidere Verhältnisse in das Edelmetallgewerbe einzuführen. So gewährt der Entwurf einen beachtenswerthen Vortheil, ohne andererseits Gefahren zu erzeugen. Es ist zuzugestehen, daß seine Bestimmungen insofern an einem Mangel leiden, als sie eine unmittelbare und sichere Wirkung in der von ihnen begünstigten Richtung nicht zu äußern vermögen. Erst allmählich wird die Er⸗ fahrung ergeben, ob die betheiligten Kreise die Gewerbetreibenden ebensowohl wie die Käufer geneigt sind, den ihnen geöffneten Weg mit Ernst zu beschreiten. Erfüllt sich diese Aussicht nicht, so kann immer noch erwogen werden, ob die Gesetzgebung mit strengeren Be⸗ stimmungen vorangehen soll. Erfüllt sie sich aber, so werden erheb⸗

Theil der gewerblichen Kreise Zustimmung gefunden. Mehrfach i der gegenwartige Zustand, wonach bezüglich des Feingehalts der Edel⸗ metallwaaren nicht nur in den verschiedenen 8

ein verschiedenes Recht gilt, sondern auch Fabrikation und Handel von verschiedenen Gewohnheiten beherrscht werden, als unhaltbar bezeichnet worden. Es wird zugegeben, das Täuschun⸗ gen des Publikums über den Feingehalt vorkommen, daß eine große Menge von Waaren im Verkehr ist welche einen geringeren, als den allgemein gebräuchlichen und selhst als den ausdrücklich angegebenen Feingehalt besitzen. Es wird be⸗ hauptet, daß unter den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen der Fein⸗ gehalt der Waaren immer mehr sich verringern müsse und auch thatsächlich in stetiger Abnahme begriffen sei. Es wird be⸗ klagt, daß hierdurch die Technik, namentlich nach der kunstgewerb⸗ lichen Seite hin, in sehr nachtheiliger Weise berührt werde und daß der Absatz deutscher Waare, insbesondere in das

heilen Deutschlands

der Waaren häufig

Ausland wenn auch vielleicht durch die Billigkeit der gering⸗

haltigen Waare vorübergehend gehoben auf die Dauer jedenfalls zurückgehen müsse. In den gewerblichen Kreisen ist die Ueberzeugung

verbreitet, daß diesen Uebelständen und Gefahren mit Erfolg entgegen⸗ gearbeitet werden könne, wenn, wie der Entwurf dies beabsichtigt, den

Fabrikanten und Kaufleuten die Möglichkeit geboten wird, ihre bessere

Waare in allgemein gültiger und allgemein verständlicher Weise kennt⸗

lich zu machen.

Die Gegner des Entwurfs haben sich in zwei Lager getheil Nur sehr wenige Stimmen sind es, welche sich überhaupt gegen eine Intervention der Gesetzgebung ausgesprochen haben, sei es weil sie solche für unnütz, sei es weil sie dieselbe für schädlich halten. Zahl⸗ reichere Gegner hat der Entwurf deshalb gefunden, weil er nicht scharf genug gegen die bestehenden Mißstände vorgehe. Einig mit der vorherrschenden Anschauung in der Verurtheilung des Bestehenden, theilen diese Gegner doch nicht die Hoffnung, daß ein auf der Grundlage des Entwurfs erlassenes Gesetz nachhaltige Wirkungen äußern werde und haben deshalb die Ein⸗ führung eines Stempelungszwanges, theils sogar eines Legirungs zwanges empfohlen. In Norddeutschland nur wenig vertreten, haben

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derartige Ansichten in Süddeutschland weit verbreiteten Ausdruck ge-

funden.

Die Frage, ob auch die Goldwaarenindustrie der gesetzlichen Regelung zu unterstellen sei, ist in den sachrerständigen Kreisen beson⸗ ders eingehend erwogen worden.

Eine über den Bereich der amtlichen Erhebungen weit hinaus⸗ gehende Erörterung hat sie an den Hauptsitzen der deutschen Gold⸗ waarenindustrie, in Hanau, Stuttgart, Schw. Gmünd und Pforz⸗ heim, erfahren. Während, von letzteren Orten abgesehen, in Süd⸗ deutschland fast einstimmig, in Norddeutschland, und namentlich in Berlin, einstimmig eine gesetzliche Regelung für die Goldwaaren ge⸗ wünscht worden ist, bildeten sich in den genannten Städten unter der Einwirkung lebhafter Agitation zwei Parteien, von welchen die eine ebenso entschieden für diese Regelung sich ausgesprochen, als die an⸗ dere dieselbe verworfen hat.

Das Gesammtergebniß der aus den sachverständigen Kreisen ein⸗ gegangenen Aeußerungen hat die Ueberzeugung bestärkt, daß mit dem vorgelegten Entwurfe der richtige Weg für die Lösung der Frage ein⸗ geschlagen wird.

8 Reichstagskommission hat sich auf denselben Standpunkt gestellt.

Zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfs ist Folgendes zu bemerken:

Zu §. 1. 1

Dem Beschlusse der Reichstagskommission entsprechend, ist der §. 1, von der früheren Vorlage redaktionell abweichend, dahin gefaßt, daß die Freiheit der Anfertigung und des Feilbietens von Gold⸗ und Silberwaaren zu jedem Feingehalt ausdrücklich ausgesprochen und nur die Angabe des Feingehalts auf denselben gewissen Beschränkungern unterworfen ist.

Der Gesetzentwurf bezieht sich, wie auch aus der Fassung des §. 4 hervorgeht, nur auf den inländischen Ver⸗ kehr; er soll nur auf solche Fabrikationsgegenstände Anwen⸗ dung finden, welche im inländischen Handel feil gehalten werden. Ebenso werden solche Gegenstände, welche außerhalb des gewerblichen Verkehrs durch Verkauf von Hand zu Hand gehen, durch den Entwurf nicht getroffen. Mit Rücksicht auf den derart be⸗ schränkten Geltungsbereich des Entwurfs ist es nicht nöthig erschienen, Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen zu machen. Insbesondere ist dies unterblieben in Ansehung älterer Gold⸗ oder Silbergeräthe, welche einen besonderen Kunst⸗ oder Alterthumswerth behaupten; ohnehin werden an diesen Geräthen eigentliche Feinheitszeichen, welche nach den Bestimmungen des Entwurfs als unzulässig gelten müssen, nur selten sich vorfinden. -. 1

Der Entwurf geht davon aus, daß nur bessere Metkallmischungen mit der Bezeichnung des Feingehalts versehen werden dürfen. Daß für die sogenannte kurrente Waare sich mehrere Legirungen in Deutsch⸗ land eingebürgert haben, und zwar für Silberwaaren in Süddeutsch⸗ land eine schwerere als in Norddeutschland, und in Norddeutschland selbst noch verschiedene, ist ein in weiten Kreisen empfundener Uebelstand, dessen Folgen bereits oben angedeutet sind. Er kann nur dadurch beseitigt werden, daß der besseren Legirung ein gewisser Vorzug eingeräumt wird, indem die Hervorhebung des Feingehalts nur für sie gestattet bleibt. In den gewerblichen Kreisen ist die Zahl derjenigen Stimmen, welche, diesem Grund⸗ satze entgegen, für jede Mischung die Angabe des Feingehalts gestattet wissen wollen, eine verschwindend kleine gewesen. Kein erhebliches Interesse wird verletzt, wenn die Bezeichnung des Feingehalts für die niedrigen Feinheitsstufen ausgeschlossen wird; die Folge kann lediglich die sein, daß in manchen Kreisen mehr Werth als bisher auf den Besitz gestempelter Geräthe gelegt, daß damit die Nachfrage nach solcher Waare gesteigert und, wie dies auch in der Absicht liegt, die Verbreitung schlechterer Waare eingeschränkt wird

Die Angabe des Feingehalts kann nach dem Entwurfe durch den Fabrikanten oder durch den Händler erfolgen. Eine amtliche Prüfung der Richtigkeit des Zeichens soll nicht stattfinden. Die Einzeichnung geschieht unter der Verantwortlichkeit der Fabrikanten und Händler und ist lediglich unter ihre und der Käufer Kontrole gestellt.

In dem oben bezeichneten vorläufigen Gesetzentwurfe war die Einführung einer fakultativen Kontrole durch öffentliche Beamte vor⸗ gesehen, obwohl es von vornherein zweifelhaft erschien, ob dies räth⸗ lich sei. Die stattgehabten Erhebungen haben die Bedenkken bestätigt, indem nicht nur zahlreiche Sachverständige sich gegen den Vorschlag ausgesprochen haben, sondern auch Erfahrungen ihm entgegen⸗ getreten sind. Denn in Bavyern bildet die Einrichtung, wie sie anfänglich in Aussicht genommen war, bereits gegenwärtig geltendes Recht; thatsächlich ist aber von derselben nur äußerst selten Gebrauch gemacht worden. Ein allgemeines Interesse an derselben ist also nicht anzuerkennen. Soweit an einzelnen Orten das Bedürfniß nach entsprechenden Einrichtungen hervortreten sollte, sind die betheiligten gewerblichen Kreise in der Lage, sich selbst zu helfen, und sie haben dies bereits gegenwärtig mehrfach gethan, indem sie sich einer Kontrole durch gewählte Sachverständige unterwerfen. Auch ist die Gesetzgebung hier schon insofern entgegengekommen, als durch §. 36 der Gewerbeordnung ein Weg gegeben ist, um den kontrolirenden Sachverständigen mittelst der Berufung durch die verfassungs⸗ mäßig dazu befugten Staats⸗ oder Kommunalbehörden oder Korporationen das allgemeine Vertrauen zu sichern. Eine weitere gesetzliche Begünstigung der Kontrole würde nicht nur über das Bedürfniß hinausgehen, sondern auch mit vielfachen Unbequem⸗ lichkeiten, mit unverhältnißmäßigen Kosten für die Gewerbetreibenden verbunden sein. Sie würoe endlich noch die Gefahr erzeugen, daß die Fabrikation in den größeren Orten, welche eine Kontrolstelle besitzen, begünstigt wird zum Nachtheile der kleineren Orte, welche, den Kontrolstellen mehr oder weniger fern gelegen, nur mit Zeitverlust, mit Unbequemlichkeiten aller Art und mit erh hten Kosten derern

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