1885 / 18 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 21 Jan 1885 18:00:01 GMT) scan diff

tragen und in Verbindung mit allen anderen Bundesstaaten eine große ergiebige Reichsstempelabgabe zu gewinnen. Er ist aber dabei schon im Kreise der verbündeten Regierungen Schwierigkeiten begegnet; es bestanden da große Unterschiede und große Interessen einzelner Staaten, sich mit ihren partikularen Stempeleinnahmen einem solchen gemeinsamen Topf zu entziehen, und daran ist es gescheitert. Daß aber die überhaupt im Partikularstaat Preußen mögliche Ent⸗ wickelung des Stempels nicht dazu führen könnte, uns zu helfen, das, glaube ich, war auch wohl die Ueberzeugung des Herrn Mi⸗ nisters Camphausen. 3 b

Vielleicht aber ich darf das eigentlich nicht annehmen hat der Hr. Abg. Rickert dabei an die Erbschaftssteuer auch gedacht, obwohl wir die nicht mehr unter dem Stempel begreifen, sondern als eine besondere Steuer ansehen. Ich kann ihm da nur erwidern, daß bei der pflichtmäßigen Befassung der Regierung mit den Fragen, wie unser Einkommen zu verbessern sei, natürlich auch diese Frage nicht unerwogen geblieben ist, und sollte er diese Steuer wirklich gemeint haben, so würde ich vielleicht noch anderweit Gelegenheit haben, darüber mich mit ihm des Näheren aus⸗ einanderzusetzen. Die Vorstellung das will ich gleich hinzu⸗ fügen die vielfach gehegt wird, und die so nahe liegt, wenn man die kolossalen Erträge, welche die Erbschaftssteuer in Eng⸗ land, Belgien und auch in Frankreich hat, vergleicht, verliert sich bei näherer Betrachtung oft sogleich. Bei uns würden die Erträge einer noch so entwickelten Erbschaftssteuer unendlich zurücktreten, nament⸗ lich bei der Art des Deutschen, der nicht ohne eine gewisse Ge⸗ müthlichkeit auch in solchen Dingen neue Festsetzungen zu treffen gewohnt ist. Wenn wir zu der Besteuerung des Vermögens⸗ überganges in der direkten Linie übergingen, da bitte ich Sie, nur das Eine sich z. B. zu vergegenwärtigen, was bei uns die Theil⸗ nahme für die Wittwen und Waisen, die in jedem Fall, wenn sie eben ihren Gatten und Vater verlieren, doch in eine üblere Lage kommen —, was bei uns ollein die menschlich richtige Theilnahme für die Erben in diesem Fall für eine Herab⸗ setzung und eine Summe von Befreiungen von direkter Erb⸗ schaftssteuer zur Folge haben würde. In England, in Belgien ist man in dieser Beziehung wahrscheinlich härter.

Ich habe nun noch ich hoffe als letzten Punkt dem Herrn Abgeordneten in Bezug auf das Fiasko, dessen er sich gestern angenommen hat, einige Erwiderungen zu machen. Der Herr Ab⸗ geordnete hat zuerst gesagt, daß der Ausdruck doch wohl deshalb ganz richtig sei, weil im Reiche eine Reihe von Versprechungen gemacht worden seien bei Inaugurirung dieser Politik, welche nicht gehalten seien, und daß man deshalb von einem Fiasko dieser Politik sprechen könne. Nun, meine Herren, das ist das Thema, was ich die Ehre gehabt habe sechs, sieben, acht Mal schon mit demselben Herrn Abgeordneten in den verschiedenen parlamentarischen Ver⸗ sammlungen durchzusprechen. Ich glaube auch nicht, daß wir uns in dieser Beziehung jemals gegenseitig überzeugen werden. Aber, wenn der Herr Abgeordnete nicht darauf verzichtet, diese Rekriminationen stets zu wiederholen, dann glaube ich, kann ich „auch leider nicht darauf verzichten, sie immer von Neuem zurückzuweisen. Es ist sonst in der Legendenbildung der Nachtheil auf Seiten der Regierung. Wir werden mit der Zeit angeschuldigt, daß das ja zugestanden ist, und, so leid es mir thut, die Aufmerksamkeit des hohen Hauses für diese, wie ich selbst anerkenne, längst abgethane Sache nochmals in Anspruch nehmen zu müssen, so glaube ich mich nicht davon dispensiren zu können.

Meine Herren! Die Finanzpolitik ist eingeleitet worden durch den bekannten Dezemberbrief des Herrn Reichskanzlers, der überall abge⸗ druckt und bekannt ist. In ihm ist schon gesagt:

„Je ergiebiger man das Zollsystem in finanzieller Hinsicht ge⸗ staltet, um so größer werden die Erleichterungen auf dem Gebiete der direkten Steuern sein können und sein müssen.

Denn es versteht sich von selbst, daß mit der Vermehrung der indirekten Einnahmen des Reichs nicht eine Erhöhung der Ge⸗ sammtsteuerlast bezweckt werden kann. Das Maß der Gesammt⸗ steuerlast ist nicht durch die Höhe der Einnahmen, sondern durch die Höhe des Bedarfs bedingt, durch die Höhe der Ausgaben, welche im Einverständniß zwischen Regierung und Volksvertretung als dem Bedürfniß des Reichs oder Staats entsprechend fest⸗ gestellt wird. Höhere Einnahmen zu erzielen als zur Bestrei⸗

tung dieses Bedürfnisses 8 also einschließlich der Bedürfnisse und Ausgaben für Reich und kann niemals in der Absicht der

Staat

unbedingt erforderlich sind, Regierungen liegen. Dieselben haben nur dahin zu streben, daß das Erforderliche auf die relativ leichteste und erfahrungs⸗ mäßig minder drückende Weise aufgebracht werde. Jede Stei⸗ gerung der indirekten Einnahmen des Reichs muß deshalb die nothwendige Folge haben, daß von den direkten Steuern oder von solchen indirekten Steuern, deren Erhebung von Staats⸗ wegen etwa aus besonderen Gruͤnden nicht mehr wünschenswerth erscheint, so viel erlassen oder an Kommunalverbände überwiesen wird, als für die Deckung der im Einverständnisse mit der Volksvertretung festgesetzten Staatsaus⸗ gaben entbehrlich wird.“

In derselben Weise, meine Herren,

ist über den Zweck der

Reichs⸗Steuerreform in der bekannten Rede des Herrn Reichskanzlers vom 2. Mai 1879 Folgendes gesagt:

„Wir streben überhaupt nicht einen höheren Er⸗

trag an, eine höhere finanzielle Einnahme, insoweit

nicht der Reichstag und die Landtage die Nothwendig⸗

keit mit uns erkennen und Ausgaben votiren, zu deren Deckung die Mittel beschafft werden müssen.

An sich wüßte ich nicht, was das Reich mit einem Ueberschuß an Geldern anfangen sollte, wir haben es gehabt an den Milliarden und sind bei der Verwendung derselben in eine gewisse Verlegenheit gerathen.

Diesen Zustand aber künstlich auf Kosten der Steuerpflichtigen zu erzeugen, indem wir in jedem Jahre mehr einnehmen wie aus⸗ geben, kann einer vernünftigen Staatsverwaltung an sich nicht zu⸗ gemuthet werden. Der Verdacht, der in dieser Beziehung stellen⸗ weise in der Presse ausgesprochen wird, ist ungerecht und ich kann sagen absurd.

Wir verlangen nicht mehr als wir jetzt haben, und als wir nach Ihnen und der Landtage Votum mehr haben sollen; wir wünschen aber, daß das, was nach Ihrem und der Landtage Votum nothwendig auf⸗ gebracht werden muß, in der Form aufgebracht werde in welcher es für die Kontribualen am leichtesten zu tragen ist.“

Meine Herren, das war in dem ersten und zweiten Jahre 1878 und 1879. Es sind dann gefolgt also die Berathungen im Reichstage über die Erhöhung der Brausteuer. Da habe ich die Ehre gehabt, dem Herrn Abgeordneten und seinen Freunden, die diese Einwen⸗ dungen wiederholt haben, am 11. März 1880 unter Anderem zu er⸗ widern in Bezug auf diesen Einwand:

Der Einwand stützt sich auf die schon angedeutete Behaup⸗ tung, daß die Versprechungen, auf die hin man die Steuer⸗ erhöhungen bewilligt habe, unerfüllt geblieben seien und unerfüllt bleiben würden. Ich habe schon einmal Gelegenheit genommen

dieses eine Mal schenke ich Ihnen, dies habe ich noch nicht ge⸗

funden, wo es steht diese Auffassung als eine irrige zu bezeichnen, und ich muß dies heute wiederholt hervorheben. Wenn wirklich einzelne geschriebene oder gesprochene Sätze zu der Auffassung Anlaß bieten, eine solche Wortinterpretation zulassen könnten, herausgelöst aus dem Zu⸗ sammenhang des Ganzen, so würden ebenso viele andere Sätze geltend zu machen sein, die klarer darthun würden, daß es sich Wum Versprechungen überhaupt, und um solche ausschließliche Versprechungen für die Steverreform nicht gehandelt hat. Meine Herren, es ist ganz selbstverständlich, daß weder die verbündeten Regierungen in ihrer Gesammtheit, noch eine einzelne Regierung für sich in der Lage ist, Versprechungen dieser Art zu ertheilen;

sie konnten hier nur in ihrer Gesammth und jede einzelne für si

das Ziel bezeichnen, welches sie emnächst mit den flüssig werden⸗

den und zu verwendenden Mitteln erstreben wollten und zu erreichen hoffen. Das ist geschehen. Es ist dabei als selbst⸗ verständ lich vorausgesetzt, daß nicht der einseitige Wille der Regierungen genügen könne, dieses Ziel wirklich zu erreichen, sondern daß es dabei auf außerhalb liegende Umstände und auf den guten Willen anderer Faktoren überall ankommt. Nun sind solche Umstände ja ganz ersichtlich vorhanden, welche hindernd einwirken müssen, sobald in den einzelnen Staaten das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht vorhanden ist, „sobald diese Staaten mit Defizits zu kämpfen haben; denn das liegt ja auf der Hand, daß, ehe man an die Erlasse von Steuern denken kann, man doch die vorhandenen Defizits decken muß, daß, so lange man noch Anleihen auf⸗ nehmen muß, um einen Etat zum Abschluß zu brin⸗ gen, man füglich nicht in demselben Augenblick auch noch zu Steuererlasse übergehen kann.

Ich will nur noch, nachdem ich summarisch erwähnt habe, daß in der schriftlichen Begründung zu dem Tabackmonopol⸗Gesetzentwurf und bei den mündlichen Verhandlungen über denselben auf das Ausführlichste gerade auch diese Seite der Frage behandelt worden ist, speziell an die Verhandlungen des Reichstages vom 10. Mai 1882 erinnern. Dort hatte ich die Ehre auszuführen:

Eine Art der Gegnerschaft gegen die Fortführung der be⸗ gonnenen Steuerreform aber, meine Herren, kann und muß ich von Neuem und nachdrücklich hier bekämpfen, weil sie mit ebenso unbegründeten, wie deutlich ausgesprochenen Argumentationen auf⸗ tritt. Ich meine die Gegnerschaft Derjenigen, welche der Regie⸗ rung den Vorwurf machen, daß die bisher bewilligten Mittel nicht der erklärten Absicht, nicht der Bewilligung gemäß bewilligt seien, daß die Mehreinnahmen den volksfreundlichen Zielen der Reform entfremdet worden seien, daß die Regierung bezügliche Ver⸗ sprechungen nicht erfüllt habe,

das ist also der Punkt, auf den es hier hauptsächlich ankommt.

In meinen damaligen Aeußerungen fuhr ich dann fort: Kann man wirklich mit irgend einem Grunde den verbündeten Re⸗ gierungen oder einer von ihnen solchen Vorwurf, solchen Zweifel entgegenhalten und damit ihre besten Absichten, ihr loyales Vor⸗ gehen vor dem Lande diskreditiren? Köante man nicht viel eher fragen, ob nicht für die in einem besonderen Sinne so bezeichneten volksfreundlichen Ziele der Steuerreform beispielsweise in Preußen sogar schon viel mehr geschehen sei, als irgend erwartet und ver⸗ langt werden konnte, indem man dort

in Preußen nämlich 1 zu Steuererlassen schritt, während noch der Haushalt nur mit Anleihen gedeckt werden konnte? Jedenfalls wird bei Erhebung solcher Vorwürfe und Zweifel in ganz ungerechtfertigter Weise ignorirt und unterdrückt, daß das erste Ziel der Steuerreform die Herbeiführung eines soliden Finanzzustandes im Reiche und in den Einzelstaaten war und bleiben mußte, die Beschaffung der nothwendigen Deckungsmittel für die nothwendigen Ausgaben; und es wird zweitens dabei in ebenso unzulässiger Weise leicht und geflissentlich darüber hinweggegangen, daß diese ganzen neuen Einnahmen nicht ohne die ausdrückliche Zu⸗ stimmung der Volksvertretung haben verwendet werden können und verwendet worden sind. Gerade darum, sollte ich meinen, müßte das überaus Bedenkliche und Mißliche solcher Angriffe selbst auf den Seiten empfunden werden, von denen sie bisher stets ausgegangen sind. Denn, meine Herren, könnten diese Angriffe Erfolg haben, den Erfolg eines entsprechenden Glaubens in weiteren Kreisen des Volks, so würde davon nothwendig eine üble Rückwirkung nicht blos auf die gegenwärtige Regierung und auf die eine oder andere politische Partei resultiren, nein, es würde nothwendig unsere ganze parlamentarische Institution damit diskreditirt werden.

Sehr richtig! verzeichnet hier der stenographische Bericht.

Wobin kann in Zeiten tiefen Friedens, unge⸗ störter Funktionirung aller politischen Organe, wo von Konflikten, Verfassungsbruch oder dergleichen Niemand etwas gesehen oder gehört hat, wohin kann, frage ich, in solcher Zeit das Geld kommen, welches das Reich und die Einzelstaaten einnehmen? Wo anders hin, als dahin, wo seine Verwendung auch die Volksvertretung für nothwendig erkannt, gebil⸗ ligt, gewollt hat? Darum sollte mit solch einem Vorwurf, mit solchem Zweifel Niemand kommen! Unser Volk müßte seine eigenen politischen Institutionen garnicht mehr kennen, müßte nur noch an eine große geheimnißvolle Wirthschaft hinter den Coulissen glauben, wenn es mit solchen Mitteln dem Gedanken der Reichs⸗ steuerreform, der darin allein bethätigten Fürsorge für sein eigenes Bestes abwendig gemacht werden könnte.

Dieser Ausführung hat der Here Reichskanzler persönlich später in der Sitzung vom 14. Juni 1882 zu denselben Punkten noch Einiges folgen lassen, worin er dann gesagt:

Der Herr Abgeordnete sagt ferner, in der Thronrede hieß es damals, daß die neuen Steuern und Zölle verwandt werden sollten zu Steuerentlastungen. Nun, meine Herren, die Steuern und Zölle haben wir ja nicht allein verwandt, son⸗ dern wir haben uns verständigt mit den parla⸗ mentarischen Körperschaften, mit dieser

dem Reichstage nämlich

und dem preußischen Landtag, über deren Ver⸗ wendung. Diese parlamentarischen Körperschaf⸗ ten haben in ihrer Majorität diejenigen Be⸗ schlüsse gefaßt, nach denen jetzt verausgabt wird; sie haben die Ausgaben, die sie beschlossen haben, jenen vorgezogen, die sonst gemacht werden konnten. Wer also diese Ausgaben angreift. greift das parla⸗ mentarische System und die Majorität an, der ist ein Reaktionär, indem er als laudator temporie acti die Beschlüsse des Reichstages umstürzen will. Er will Reaktion für den Freihandel treiben, die jetzt rite gefaßten Beschlüsse der Reichs⸗ gesetzgebung sucht er zu untergraben und an⸗ zufechten, als ob die Regierung ganz allein und willkürlich diese Verwendung gemacht hätte, während sie geprüft und eingehend berathen sind, von Ihnen beschlossen. Die Herren sind in der Mi⸗ norität geblieben und finden deshalb für gut, hier davon gar nicht zu sprechen, daß es sich um Parla⸗ mentsbeschlüsse handelt. Die von Ihnen sonst ver⸗ ehrte Majoritär sobald Sie sie haben, ist der Glanz der Majorität gar nicht hochgenugzupreisen, sobaldsie sie nicht haben, dannschieben Sie die Vertretung der Regierung zu, als ob sie durch willkürliche Akte Un⸗ heil angerichtet und ihre Versprechungen gebrochen hätte, als ob wir ein absolutes System in Händen hätten, von dem wir jederzeit Gebrauch machen könnten, und nicht an Parlamentsbeschlüsse gebunden wären.

Ich will, meine Herren, für jetzt es hiermit genug sein lassen. Es greift mich selber zu sehr an, wenn ich noch die weiteren, ganz in demselben Sinne gewechselten Reden in ihrem Haupttheile in Ihre Erinnerung brächte. Ich will die Frage erwägen, ob ich nicht gut thue, eine besondere Broschüre darüͤber anfertigen zu lassen, um diese Antworten eiamal übersichtlich zusammenzustellen und kcnfhi dann in der Lage zu sein, jedesmal ein Exemplar zu über⸗ reichen.

Also ich ziehe natürlich nur noch den Schluß daraus, daß der Gedanke, es ein Fiasko der Finanzpolitik zu nennen, wenn Versprechun⸗ gen, die überhaupt nicht gemacht worden sind der Herr. Reichskanzler hat in der beweglichsten Weise, an einer Stelle, die ich nicht mehr ver⸗ lesen, gesagt, wie er nicht Versprechungen gemacht habe, sondern

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gebe ttelt habe um die Summen, ie erforderlich wären, das aus-

zuführen, was seiner Meinung nach dem Reich und dem Lande gut sei ich sage, daß also der Gedanke ein überaus verfehlter gewesen ist, der Regierungspolitik ein Fiasko vorzuwerfen, weil Versprechun⸗ gen, die nicht gegeben worden sind, nicht erfüllt seien, und die, selbst wenn sie gegeben wären, doch bis jetzt unmöglich schon bätten erfüllt werden können, daß es ein vergeblicher Versuch der Rechtfertigung jenes kühnen Ausdrucks gewesen ist. Der Herr Abgeordnete hat dann gesagt, ebenso sei die Politik der Verwendungsgesetze zusammen⸗ gebrochen. Ja, meine Herren, von wem ist denn die Politik der Verwen⸗ dungsgesetze ausgegangen? Hat die Regierung das Bedürfniß gehabt, ihrerseits das, was geschehen soll, was vernünftiger Weise geschehen mußte in der Zukunft, vorweg durch eine ganz neue Art von Gesetzen festzulegen? Ist es nicht ein unerhörtes Mißtrauen gewesen, was Sie der Regierung entgegengesetzt haben und was allein dazu geführt hat? Ist es nicht jener vitiöse Cirkel gewesen, daß Sie im Reichstage stets gesagt haben, wir bewilligen die Einnahmen nicht, weil wir nicht wissen, wozu sie verwendet werden sollen, und im Landtage, wir bewilligen die Ausgaben nicht, weil wir nicht wissen, woher die Einnahmen kommen sollen? Ist nicht dieser vitiöse Cirkel, dessen Existenz wirklich nicht auf der Schuld der Regierung beruht, die Veranlassung gewesen, diesen an sich wirklich recht schwierigen und undankbaren Weg der Verwendungsgesetze zu ver⸗ suchen? Es ist ja nichts weiter gewesen als der letzte Versuch, das unbegründete Mißtrauen, welches stets der Regierung entgegengesetzt wurde, zu beseitigen. Kann dieses Mißtrauen mit den Verwendungs⸗ gesetzen auch nicht beseitigt werden, ja, dann fürchte ich, ist allerdings dieser Versuch umsonst gewesen; aber zu sagen, daß die Politik der Verwendungsgesetze Schiffbruch gelitten hätte, ist darum doch nicht richtig in diesen Triumphruf auszubrechen, wie es der Herr Abgeordnete gethan hat, ist unberechtigt. Es ist um so weniger berechtigt, daß der Hr. Abg. Rickert das versucht, als sein politischer Freund, der Hr. Abg. Richter erst neulich im Reichstage ausgeführt hat: „die Politik der Vorschuß⸗ bewilligungen ist zu Ende, wir sehen, wohin das führt“. Also sehen Sie niemals eine Befriedigung möglich, Mißtrauen in die Verwendung der Bewilligungen doch unrerändert festgehalten; und doch die Verwendungsgesetze gesallen Ihnen auch nicht! Wie soll denn dann endlich einmal ein Bedürfniß befriedigt werden! Wenn da nicht die Nebenrücksicht mitspielt: diese Regierung soll die Bedürfnisse nicht befriedigen dann weiß ich nicht, welchen Zu⸗ sammenhang man sich dabei denken kann. Und die Politik, die der Hr Abg. Rickert empfohlen hat, die Bedürfnisse, die bei uns auf de Tagesordnung stehen, nicht zu sehen, die Verwendungsgesetze auf sich be ruhen zu lassen und sich lediglich mit kleinen Reformen, wie sie also die Stempelgesetzgebung ermöglichte, abzufinden, meine Herren, die Politik möchte ich wirklich, ohne damit irgend wie verletzen zu wollen, mit der Politik des Vogel Strauß vergleichen, der auch denkt, wenn er seinen Kopf versteckt, dann sind die Dinge nicht da Wir haben nicht Schuld daran, es ist ja nicht unser Belieben daß diese Bepürfnisse bestehen! Ein unverantwortlicher Abgeordneter ein in der Minorität befindlicher Abgeordneter zumal, der kann sich den Luxus einer solchen Politik erlauben; aber eine verantwort liche Regierung kann das heute nicht und wird das nie können, in wessen Hände sie auch gegeben sei.

Der Abg. von Benda bezweifelte, daß die Eisenbahn politik zu einem Zusammenbruch führen würde; denn der Staatsschuld stehe der Eisenbahnbesitz gegenüber, der vie werthvoller sei. ie Zinsreduktion der 4 ½ prozentigen An leihe treffe allerdings manche Familie, allein es blieben ja die 4 ½ und 5 prozentigen Eisenbahnprioritäten wohl noch auf eine Reihe von Jahren bestehen. Die Erträge der Forstverwaltung hätten sich in der letzten Zeit gehoben; es sei nur zu bedauern, daß der Minister die Freude darüber durch die Erwähnung der Holzzollerhöhung getrübt habe. Auch bei der Domänenverwaltung sei ein Mehr zu erwarten. Betrü⸗

bend sei allerdings die Mehrausgabe bei der Justizverwaltung. Im

Ganzen wäre ohne die Erhöhung der Matrikularbeiträge der Etat ein befriedigender. Es wäre wohl besser, wenn man die vielfachen Forderungen für Schulen u. s. w., soweit es bei den preußischen Mitteln möglich wäre, zu befriedigen suchte. Die Schullehrer würden jetzt lieber 100 000 nehmen, als sich nochmals auf eine ferne Zukunft vertrösten lassen. Die schlechten Zustände des Reichsetats gestatteten solch kühnes Vorgehen jetzt nicht, denn sie würden nicht so schnell vorüber⸗ gehen. Die Rücksicht auf die Zuckerindustrie verhindere ein schnelles Vorgehen in dieser Beziehung; bezüg⸗ lich der Spiritussteuer sei erst eine Enquete vorge⸗ schlagen, die auch noch eine längere Zeit erfordern werde. Am meisten Aussicht auf baldiges Zustandekommen hätten noch die Getreidezölle, deren Genehmigung wohl nach der augenblicklichen Zusammensetzung des Reichstages zu erwarten stehe. Allein er möchte Herrn von Huene bitten, das Fell des Bären nicht eher zu vertheilen, ehe er ihn erlegt hätte. Die

Sache habe doch noch manche Bedenken und dürfte nicht so schnell gelöst sein.

Den Börsensteuerentwurf der National⸗ liberalen habe der Finanz⸗Minister, ohne ihn zu kennen, miß⸗ billigt. Er sei jetzt erst gedruckt dem Reichstage eingereicht und werde dem Wedell⸗Malchowschen Entwurf gegenüber gestellt werden; ob er allseitig befriedigen werde, bleibe noch dahingestellt. Was die Reform der direkten Steuern anbetreffe, so hätten die Ausführungen des Finanz⸗Ministers alle Anhänger der alten Steuerpolitik wahr⸗ haft in Schrecken gesetzt, denn er habe nicht nur den Plan auf⸗ gestellt, die 1. und 2. Steuerstufe zu befreien, sondern daneben auch die 3., 4., 5. und 6. frei zu lassen. Schon der Befreiung der 1. und 2. Stufe hätten die Nationalliberalen nur in der Erwartung zugestimmt, daß damit das Aeußerste geschehen sei, denn die Folge sei z. B. gewesen, daß in einem ihm, dem Redner, bekannten Gutsbezirke der Gutsbesitzer der alleinige Steuerzahler geblieben sei. Einer weiteren Ermäßigung zuzu⸗ stimmen, sei keine Neigung, auf solche Projekte einzugehen. Redner beantragte schließlich, gewisse Theile des Etats in die Budgetkommission zu verweisen.

Der Abg. Mooren sprach die Ansicht aus, das Bestreben

der Centralisation aller Verwaltungszweige in Berlin zeige

sich auch in diesem Etat in bedenklichem Maße; das diene nicht gerade zur Entlastung der Provinzen. Die Vagabunden

zögen noch immer im Lande umher, man sollte von der Huma- nitätsschwärmerei etwas ablassen. Die Wälder im Regierungs⸗

bezirk Münster verschwänden immer mehr, weil die Gemein⸗ schaften aufgelöst würden. Redner bedauerte, daß die Aus⸗ gaben für den kirchlichen Gerichtshof und für Schulinspektionen noch immer im Etat ständen. Die Landwirthschaft liege dar⸗ nieder, so daß die Auswanderung nach Amerika als einzige Rettung erscheine. Die Steuereinschätzung sei immer schärfer geworden; der mobile Besitz werde gar nicht getroffen.

Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, die ein⸗ fachsten Dinge würden immer zu politischen Rekriminationen benutzt; so habe Hr. Rickert die Mißerfolge der Regierung

zugeschoben und von einem Fiasko der Finanzpolitik ge⸗

Er habe wohl nur das Fiasko seiner Partei damit verdecken wollen. Die Verhältnisse seien eben stärker als die Menschen; die Ausgaben im Reiche könne auch der Abg. Rickert und seine Freunde nicht so beschränken, daß das Plus von 24 000 000 Matrikularbeiträge verschwinde. Das

sprochen.

allmähliche Steigen der Einnahmen bei den

und Forsten sei erfreulich. Die finanziellen Re⸗ sultate der Eisenbahnverstaatlichung seien allerdinas nicht so glänzend, wie zu wünschen, das liege aber an dem Ausbau der wenig rentirenden Strecken, an der großen Anspannung aller Kräfte. Der Niedergang der Zuckerindustrie ermäßige auch die Transporte. Man habe wohl den festen Punkt bei den Eisenbahneinnahmen erreicht; auf weitere Vermehrungen könne man vorläufig nicht rechnen. Wenn die Ueberschüsse aus den früheren Jahren fehlten, dann sei der Etat von vornherein schlechter gestellt. Die Ausgaben stiegen, wenn auch langsam, doch ganz naturgemäß wie in jedem größeren Gemeinwesen. Die Verhältnisse der Landwirthschaft seien sehr trübe und müßten ohne Aufenthalt geändert werden. Der Rück⸗ gang des Rapsbaues und der Wollproduktion sei schon vor Jahren erfolgt, verschmerzt sei er noch nicht; dazu der Rückgang der Brennerei und der Zuckerkrach. Das Hetzen auf dem Gebiete der Zuckerindustrie sei eine Spekulation, aus Verzweiflung sei die Landwirthschaft zu einer Ueberproduktion gekommen, um sich durch die Betheiligung bei der Zucker⸗ industrie aus den Verlegenheiten herauszuziehen; einzig und allein die hohen Butter⸗ und Viehpreise seien der einzige Licht⸗ punkt in der Landwirthschaft, aber eben so wenig, wie der Landwirthschaft allgemein der Uebergang zum Gemüsebau zu empfehlen sei, könnte man alles auf Butter und Vieh stellen. Daneben stehe die starke Vermehrung aller Lasten, die Theuerung aller Materialien für Bauten und das starke Heruntergehen der Getreidepreise, der Weizen⸗ preis z. B. stehe auf höchstens des Durchschnitts. Diese Lage der Landwirthscheft komme bei den neuen Domänen⸗ verpachtungen zum Ausdruck, wenn man die ganz exceptio⸗ nellen Verhältnisse in den Rübengegenden der Provinz Sachsen außer Rechnung lasse. Was Getreidezölle betreffe, so wolle er auf die Behauptung, daß dadurch das Brot vertheuert werde, nicht eingehen. Eine solche Behauptung erweise einen Mangel sowohl an Wissen wie an gutem Willen. Er hoffe, daß der Reichstag bald einen guten Griff in dieser Beziehung thun werde, sonst werde er bald einen Nachfolger haben, im Lande hätten die Leute es satt, sie sagten: erst leben und dann schwatzen. Wenn den Kommunen nicht durch Zuweisungen von der Centralstelle aus geholfen werden könnte, dann sollte man ihnen wenigstens Gelegenheit geben, eigene indirekte Steuern zur Erleichterung ihrer Finanzschwierigkeiten zu erheben. Mit der Verwendung der bei der Konvertirung ersparten 2 700 000 für die Lehrer sei auch er einverstanden. Weshalb gerade der Abg. Rickert dafür eingetreten sei, wisse er nicht, es müßte denn sein, daß er dafür für den Herbst Früchte er⸗ warte, die aber hoffentlich nicht in seinen Schooß fallen würden. Als Gegenstand der Steuerreform habe der Abg. Rickert nur die Stempelsteuer genannt, wenn er nur gesagt hätte, in welchen Punkten, so würden die Früchte davon viel⸗ leicht ihm im Herbst nicht zufallen. Die Getreidezölle würden außer ihrem wirthschaftlichen auch einen finanziellen Erfolg haben, und wenn dazu noch eine Konsumsteuer auf Bier und Branntwein, vielleicht auch auf Taback komme, so würden dem Reiche bedeutend mehr Einnahmen zufließen. Man würde dann allerdings demagogisch sagen, daß man diese neuen Steuern den Konservativen verdanke, allein man sollte doch bedenken, daß, wenn die Konservativen die indirekten Steuern nicht bewilligt hätten, so hätten die direkten Steuern ver⸗ doppelt und verdreifacht werden müssen. Demagogie habe man, wie die traurigen Vorfälle der letzten Zeit erwiesen hätten, genug gehabt, man sollte deshalb lieber friedlich zu⸗ sammenhalten. Auch für den kirchlichen Kampf sei augen⸗ blicklich kein Platz mehr vorhanden, er sage das allen Parteien, auch dem Centrum. Man habe davon ge⸗ sprochen, daß die konservative Politik in der letzten Zeit keinen Erfolg aufzuweisen habe. Das Haus habe verschiedene Land⸗ güterordnungen festgestellt, das Zwangsvollstreckungsgesetz, das Organisations⸗ und Zuständigkeitsgesetz, die Neuorganisation von Hannover und die Milderung der kirchlichen Verhältnisse, eine feste Majorität könne man dafür nicht verantwortlich machen, denn die Konservativen seien bald mit dem Centrum, bald mit den Nationalliberalen zusammengegangen. Wer eine Majorität dafür verantwortlich mache, wolle nur dadurch ver⸗ gessen machen, welchem ZJoch er sich selbst bei der Wahl habe unterwerfen müssen, und welches Joch ihm noch erst in der letzten Zeit in Folge der Kolonialpolitik auferlegt worden sei.

Hierauf ergriff der Minister der öffentlichen Arbeiten, Maybach, das Wort:

Meine Herren! Bei der vorgerückten Stunde nur wenige Worte. Es ist verschiedentlich der Eisenbahn⸗Etat gestreift worden mit der Bemerkung, daß derselbe für dies Jahr nicht ein so freundliches Ge⸗ sicht biete, wie früher. Der Hr. Abg. Rickert hat beklagt, daß der Mehr⸗ überschuß ich betone, der Mehrüberschuß gegen das laufende Jahr sich nur auf 3 ½ Millionen belaufe.

Meine Herren! Es wird uns nicht verdacht werden können, wenn wir bei Aufstellung dieses Etats mit großer Vorsicht zu Werke gegangen sind. Wir haben bei der Durchführung der Verstaatlichung der im vorigen Jahre in den Besitz des Staats überge⸗ führten Privatbahnen in Schlesien und im Osten die Erfah⸗ rung machen müssen, daß die Zurückführung vichtiger Tarife der früheren Privatbahnen in jenen Gegenden auf das jenige Maß, welches bereits in anderen Provinzen auf den Staatsbahnen bestand, doch mit erheblichen Ausfällen für die Staatskasse verknüpft gewesen ist. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich diesen Aus⸗ fall für die schlesischen Bahnen auf etwa 2 ½ Millionen beziffere. Diese Rücksicht, dann die Rücksicht auf die gegenwärtige nicht günstige Lage wichtiger wirthschaftlicher Zweige des Landes, die Erfahrung, die kürzlich in Nachbarländern gemacht worden ist auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens in Bezug auf den Fortgang der Einnahmen, haben uns die Nothwendigkeit auferlegt, in der Veranschlagung der Einnahmen für das nächste Jahr um so vorsichtiger zu sein, als ich erlaube mir daran zu erinnern in den diesjährigen Etat bei den alten Staats⸗ und den bis Anfang vorigen Jahres ver⸗ staatlichten Bahnen eine Mehreinnahme von nicht weniger als 38 000 000 eingestellt worden ist.

Jene Erwägungen haben uns aber nicht verhindert, meine Herren, das bitte ich zu berücksichtigen, bei den Ausgaben noch alles Dasjenige vorzusehen, was wir für nöthig gehalten haben zur Melioration unserer Verkehrseinrichtungen und auch zur Verbesserung der Lage vieler Beamten. Ich darf darauf Bezug nehmen, daß wir an Erneuerungen im nächsten Jahre mehr ausgeben wollen, als nach dem regelmäßigen Satze auszugeben wäre, beinahe 4 ½ Millionen. Die gesammten Erneuerungen sollten kosten beinahe 43 000 000, darunter 16 ¾ Millionen für Betriebsmittel. Für Meliorationen, d. h. zur Ergänzung und Verbesserung bestehender Einrichtungen, die im Interesse der einzelnen Orte und des Betriebes selbst erwünscht sind, haben wir im Ordinarium nicht weniger vorgesehen, als 5 ¾ Millionen. Für Einkommensverbesserung der Beamten der verstaatlichten Bahnen haben wir in Ansatz gebracht für das nächste Jahr eine Summe von 1 316 000

Meine Herren, diesen Ziffern gegenüber und der sonst auch, wie ich glaube, nicht zu kargen Ausstattung des Etats in Bezug auf an⸗ dere Bedürfnisse, glaube ich, dürfen wir das Gesammtergebniß als

Domänen

günstig darstellen. Ich erlaube mir, auf dieses Gesammtergebniß speziell einzugehen, indem ich runde Ziffern anführe.

Sie finden im Etat als Gesammtüberschuß aufgeführt eine Summe von 200 ¾ Millionen nach Abzug von 85 112 000 für Verzinsung und Amortisation der Prioritäts⸗Obligationen verstaat⸗ lichter Bahnen, darunter allein 15 Millionen Mark für Amortisation dieser Prioritäts⸗Obligationen. Die gesammte Staatseisenbahn⸗Kapital⸗ schuld bedingt einen Aufwand zur Verzinsung von 157 399 000 Es bleibt also ein Ueberschuß noch von circa 43 Millionen Mark, welcher verwandt werden soll zur theilweisen Deckung des Defizits, welches der Etat aufweist, mit 2 200 000 ℳ, dem sogenannten Garantiegesetz von 1882 gemäß, ferner zur Amortisation von ¼ % des gesammten Staatseisenbahnkapitals nach demselben Gesetz, mit mehr als 30 Millionen Mark; es bleibt dann noch ein weiterer Ueberschuß von etwa 11 Millionen Mark für andere Staatszwecke, der nach der bisherigen Usance ebenfalls zur Schuldentilgung ver⸗ wendet worden ist. Es würde also nach Verzinsung der gesammten Staatsbahnkapitalschuld, die ungefähr gleich ist der gesammten Staats⸗ schuld, noch ein Betrag überbleiben, einschließlich der zur Amortisation der Prioritäten verwandten Schuld von praeter propter 56 Millionen Mark. Das ist das Finanzresultat der gesammten Verwaltung.

Ich glaube, Sie haben aus diesem Resultat keinerlei Besorgniß zu schööpfen, Sie haben vielmehr die Gewißheit, die Beruhigung, daß wir im Großen und Ganzen so wirthschaften, wie es dem Wohle des Staates entspricht, auch dem Finanzwohle des Stautes. Wenn Sie nun auch dem Spruche des Hrn. Abg. Huene folgen wollen: man halte den Daumen auf den Beutel, so glaube ich doch, daß Sie nicht karg sein werden, wenn wir demnächst mit einer Vorlage an Sie treten, welche darauf hinzielt, das Eisenkahnwesen im Interesse des Landes zu erweitern und zu verbessern, mit einer Vorlage die Allerhöchste Ermächtigung vorausgesetzt —, welche bezweckt, neue Meliorationsbahnen zu sichern; um dem Lande in denjenigen Theilen, welche in Bezug auf ihre wirthschaftlichen Interessen bisher vernachlässigt waren, die Wohlthaten, die anderen Landestheilen bereits geworden, zuzuführen. Ich glaube, wir haben gerade unter den jetzigen Verhältnissen der Landwirthschaft nicht zu kargen, sondern nach allen Richtungen dafür zu sorgen, daß die natürlichen Hülfsquellen, die das Land hat, er⸗ schlossen, und unter Ihrer Mitwirkung möglichst ergiebig gemacht werden.

Der Abg. Büchtemann wies aus den Reden im Reichs⸗ tage nach, daß sowohl von der Regierung als von den Par⸗ teien die Meinung getheilt worden sei, daß in erster Reihe Er⸗ leichterungen der Steuern herbeigeführt werden sollten, nicht eine Deckung des Defizits. Die Entlastung sei bisher nur in sehr geringem Maße erreicht; nicht einmal die Einzelstaaten hätten viel davon erhalten. Von den 130 Millionen neuer Steuern seien Preußen kaum 40 Millionen zugefallen, während der Finanz⸗Minister Hobrecht auf einen Ertrag von 166 Millionen gerechnet hätte, wovon 100 Millionen auf Preußen fallen sollten Die Erklärung des Ministers über das Aufhören der Verwendungsgesetzpolitik sei sehr erfreulich; sie rechtfertige das Verhalten der freisin⸗ nigen Partei. Die Ursache der finanziellen Mißerfolge liege in der Zuckerkrisis, die lediglich aus der hohen Exportboni⸗ fikation herstamme; aus der großen Schüssel wollten alle Leute mitessen. Eine rechtzeitige Aenderung sei von der Regierung versäumt worden, weil man lediglich die Inter⸗ essen der Großgrundbesitzer dabei berücksichtigt hätte. Die Nothlage der Landwirthschaft werde immer behauptet, auch in den Verhandlungen des Landes⸗Oekonomie⸗Kollegiums, ohne daß die Grundlagen dafür vorhanden seien. Denn dem Kolle⸗ gium hätten die amtsgerichtlichen Erhebungen vorgelegen, wo⸗ nach die Verschuldung beim großen Grundbesitz das 28fache, beim mittleren Grundbesitz das 18 fache, beim kleinen das 12 fache des Grundsteuer⸗Reinertrages betrage, eine Verschul⸗ dung, die nur einen kleinen Theil des Kaufpreises darstelle. Die beunruhigenden Zustände des bäuerlichen Besitzes seien also nicht so schlimm, man könne allenfalls von einer Nothlage des Großgrundbesitzes sprechen. Wenn die Thronrede es so darstelle, als ob alle übrigen Erwerbszweige außer der Landwirthschaft in blühendem Zustande wäremn: die Industrien, z. B. die Eisen⸗ und Kohlenindustrie, befänden sich in mindestens ebenso schlechter Lage. Deshalb sei es fehlerhaft, die Landwirthschaft zum Ausgangspunkt der Finanz⸗ politik zu machen. Redner trat dann der Behauptung ent⸗ gegen, daß Getreidezölle das Brot nicht vertheuerten, die statistischen Zahlen, welche man dafür anführe, seien falsch. Die Resultate der Eisenbahnverwaltung erschienen nicht so günstig, als man nach der Schilderung der Minister annehmen sollte. Die Besoldungsverbesserungen sollte man nicht stückweise, sondern generell vornehmen, weil sonst Verbitterung hervorgerufen würde. Der Minister habe freilich Anträge der Beamten wegen Verbesserung der Besoldungen ziemlich schroff abgewiesen und sie als „über⸗ flüssig und unangemessen“ bezeichnet. Wenn die Meliora⸗ tionsbahnen das finanzielle Resultat der Eisenbahnen ver⸗ schlechterten, dann sollte man zu einem andern System über⸗ gehen, vielleicht den Bau den Privaten überlassen. Zu ge⸗ sunden Verhältnissen könne man nicht kommen, wenn man nicht die direkten Steuern als werthvoll beibehalte. Die Grundsteuer sei allerdings für Kommunalzuschläge nicht geeignet. Den warmen Appell des Hrn. von Minnigerode zum gemeinsamen Arbeiten könne seine Partei nicht accep⸗ tiren, denn die Politik der Getreidezölle, welche die Sozial⸗ demokratie stärke, könne seine Partei nicht billigen.

Hierauf ergriff der Finanz⸗Minister von Scholz das Wort:

Nicht um in eine längere Erörterung über direkte und indirekte Steuern mit dem Herrn Vorredner mich einzulassen, bitte ich noch⸗ mals, mir einige Minuten Gehör zu gewähren, sondern um einige seiner speziellen Ausführungen nicht unwiderlegt zu lassen. Der Herr Vorredner hat im Eingang seiner Rede namentlich den von dem Hrn. Abg. Rickert vertretenen Standpunkt weiter zu vertheidigen gesucht, daß die Versprechungen, die von der Steuerreform gemacht worden seien, nicht gehalten worden seien, und er hat an den Allegaten, die ich mir erlaubt habe, in dieser Beziehung dem Hause vor⸗ zuführen, nachzuweisen gesucht, daß diese nach der Reform von 1879 erst datirten. Ich habe begonnen, meine Herren, mit der Grund⸗ lage der ganzen Reformbeweßung, mit dem berühmten Dezemberbrief des Herrn Reichskanzlers vom Jahre 1878; da ist die erste Stelle vorgekommen. Aber ich kann auch das gar nicht dem Herrn Vor⸗ redner zugeben, daß die Reform, die wir im Auge haben, von der wir nur sprechen können, etwas Fertiges sei, daß das etwas dem Jahre 1879 Angehöriges sei, und daß wir so jetzt davon sprechen könnten, was die Regierung vor und nach der Reform gesagt habe. In meiner Auffassung ist das Verhältniß das, daß wir mitten in der Re⸗ form drin stehen, daß wir im Jahre 1879 den ersten unzu⸗ länglichen Schritt gemacht haben, daß wir dann bei der Erhöhung der Brausteuer, Tabacksteuer, beim Reichs⸗Stempelgesetz u. s. w., uns immer auf demselben Boden weiter bewegt haben, und daß alle Reden, die in dieser Zeit gehalten worden sind, zu der Reform, nicht nach der Reform gehalten worden sind. Der Ver⸗ such, in dieser Weise meinen Ausführungen entgegen zu treten, dürfte mißglückt sein.

Dann aber möchte ich noch mit ein paar Worten auf die Zucker⸗ steuerfrage zurückkommen. Der Herr Abgeordnete hat, ich glaube mit

Unrecht, das, was von Seiten des Herrn Freiherrn von Minnigerode ousgeführt worden ist, als nicht zutreffend bezeichnet. Er hat aber überhaupt auch nicht Recht, wenn er sagt, die Kalamität, der Mangel, an dem wir leiden, komme hauptsächlich nur von der Zuckerindustrie. Es ist das nur ein Theil dessen, was unseren Mangel verschuldet. Er hat gesagt, die ganze Kalamität der Zuckerindustrie hätte man vorhersehen können. Ich habe schon neulich im Reichstage mir er⸗ laubt, auf diese Bemerkung hin dem Hra. Abg. Richter zu erwidern, daß ich überzeugt sei, daß auch der Hr. Abg. Richter, der diesen Einwand sich aneignete, wirklich nicht vorausgesehen habe. n. wir eine solche Kalamität auf diesem Gebiete haben würden. Es ist überraschend gekommen für alle Welt, am allerüberraschendsten für die Nächstbetheiligten selbst; denn wie der Hr. Abg. Frhr. von Minnigerode, glaube ich, ganz überzeugend ausgeführt hat: wer würde denn daran gedacht haben, noch Fabriken zu gründen, in diesen aussichtslosen Konkurrenzkampf mit einzutreten, wenn er irgend hätte vorhersehen können, daß eine solche Kalamität ein, zwei Jahre, nachdem er in die Industrie eingetreten ist, ausbrechen würde? Man muß doch annehmen, daß die Nächstbetheiligten zu allererst sich über diese Dinge, soweit man sie irgend voraussehen kann, auch orien⸗ tirt haben werden, und daß in der That nicht zu verlangen ist, daß andere, weiter entfernt stehende Kreise noch sich wer in dieser Be⸗ ziehung hätten vorher orientirt sein sollen.

Der Herr Abgeordnete bat der Ueberzeugung Ausdruck gegeben unsere Gesetzgebung sei Schuld daran gewesen. Nun frage ich aber, meine Herren, ist die Kalamität auf Deutschland beschränkt? Hat die österreichische Rübenzucker⸗Industrie frohe oder traurige Tage? Ist in Dänemark die Industrie von der deut⸗ schen Gesetzgebung abhängig gewesen? Wenn es der Zuckerproduktion auf Cuba, wie Sie doch auch gelesen haben werden, schlecht geht, ist daran die deutsche Gesetzgebung Schuld? Ich glaube, das wahre Sachver⸗ hältniß habe ich neulich im Reichstage schon bezeichnet, wenn ich sagte: wären wir vor vier Jahren vielleicht oder vor fünf Jahren in der Lage gewesen, in der Zuckergesetzgebung einen Schritt thun zu können, so würden wir wahrscheinlich den Erfolg gehabt haben, in Beziehung auf die betheiligten Personen und in Beziehung auf den Umfang des betheiligten Kapitals, eine Milderung der Krisis bei uns herbeigeführt zu haben, und das wäre ja immerhin schon sehr erfreulich. Aber daß es in der Möglichkeit der deutschen Gesetzgebung gelegen hätte, die Zuͤckerkrisis, die die ganze Welt ergriffen hat, zu vermeiden, das bestreite ich auch heute.

Der Herr Abgeordnete hat insbesondere mir persönlich vorge⸗ worfen, daß ich kein Ohr für die Mahnungen gehabt habe, die da⸗ mals aus dem Reichstage an die Regierung gerichtet worden seien. Meine Herren, das ist nicht richtig, alle solche Mahnungen sind mit der größten Aufmerksamkeit angehört und gewürdiat worden. Ich habe damals die Herren, eine Gegengabe gegen diese Mahnungen nur gebeten, sich ibrerseits zu vergegenwärtigen, um was es sich handle: um eine der größten, damals blühendsten Exportindustrien! Ich weiß nicht mehr genau die Zahlen, aber ich glaube, es waren 120 Millionen Mark, die wir damals schon als reinen Nettoeingang von der deut⸗ schen Zuckerindustrie im Welthandel hatten. Ich habe Ihnen gesagt, daß es unmöglich sei, daß eine Regierung, die sich die Pflege der nationalen Arbeit und der nationalen Industrie zum Grundsatz gemacht hat, auf dem Gebiete einer so geoßen, bedeutenden Exportindustrie, die zugleich eine der wichtigsten Nebenindustrien unserer Landwirthschaft ist, kü—hn und unvorsichtig vorging. Sie hatte die Pflicht, auf das äußerste zu untersuchen, wie weit sie gehen durfte, und was sie ohne Schaden thun könne. Wenn wir etwas zu vorsichtig, zu zaudernd gewesen sein sollten, so muß ich sagen, angesichts dessen, was einne⸗ treten ist, freue ich mich darüber nachträglich sehr. Wäre die Re⸗ gierung anders vorgegangen, so würde heute Jedermann mit Fingern auf sie weisen als den eigentlichen Urheber des Elends, und die Regierung würde angeklagt werden, daß sie durch ihre Maßregeln zu allererst den Ruin der Zuckerindustrie verschuldet habe. Ich bätte mich gegen die damals von dem Abg. Witte beantragte Reso'ution erklärt, wirft mir der Herr Abgeordnete vor. Weshalb habe ich mich gegen diese Re⸗ solution ausgesprochen? ich habe die Worte nicht vor mir, aber ich irre gewiß nicht, daß ich es damals mit der ausdrücklichen Erklärung gethan habe: einer solchen Anregung, die Frage zu studiren, bedarf die Regierung nicht; sie ist im Studiren fortwährend drin, sie widmet dieser Sache die größte Sorgfalt. Auf etwas weiteres ging aber die Resolution nicht hinaus, als die Regierung zu einem solchen Studium und zu solcher Sorgfalt aufzufordern. Wenn mir bekannt war, in welchem Maße sich die Regierung bereits um die Sache bemühte, so fonnte ich mich sehr wohl gegen die Resolution wenden, ohne damit der Sache selbst entgegenzutreten.

Der Herr Abgeordnete sagt, ich hätte jetzt alles anerkannt. Das ist, glaube ich, auch ein Mißverständniß. Ich habe aber das wohl anerkannt, daß seit 1881 die Zuckerindustrie in ihrer technischen Ent⸗ wickelung nicht geruht hat und daß seit jener Zeit noch vielfach eine Vervollkommnung erreicht worden ist, von der wir im Jahre 1881 noch gar nichts gewußt haben, die natürlich wieder neue Gesichts punkte gebracht und zu neuen Schlußfolgerungen berechtigt hat

Ein dritter Punkt, den ich noch berühren will, betrifft di Ausführungen des Herrn Vorredners über die Landwirthschaft; denn seine Ausführungen zum Eisenbahn⸗Etat glaube ich heute nicht weite berühren zu dürfen als mit der Bemerkung, daß die das Jah 1883/84 betreffenden Zahlen, welche ich hier erwähnt habe in der demn Hause bereits zugegangenen Uebersicht über di Einnahmen und Ausgaben des Jahres 1883/84 so enthalten sind wie sie in den Büchern der Staatsverwaltung stehen, so daß man an diese Zohlen, glaube ich, nicht mit einer besonderen Vorsicht her anzutreten braucht. Wenn danach 19 Millionen aus den Ueberschüssen des Jahres 1883/84 zur Schuldentilgung haben verwendet werden können, so bürfte ich das mit vollem Recht als einen günstigen Er⸗ folg des Jahres 1883/84 bezeichnen, und wenn dagegen die Vergleichung mit dem Istresultat des Jahres 1882/83 gezogen wird, so ist eine solche Veragleichung unvollständig, wenn mon nicht zu gleicher Zeit die Momente berücksichtigt, die bei der Etatsausstellung für 1883/84 bereits berück⸗ sichtigt worden sind und zu anderen Ansätzen geführt haben. Sie müssen ja bedenken, daß, als wir den Eisenbahnetat für 1883/84 vorlegten, wir bereits thatsächliche Momente in Anschlag zu bringen hatten, die eben den neuen Etatsansatz, ein Mehr oder Minder gegen den vorigen Etat rechtfertigten. Also dieses Glied aus der Kette der Vergleichung darf man nicht auslassen oder unerheblich nennen und blos gegenüberstellen die beiden Ist⸗Einnahmen der Jahre 1882/83 und 1883/84 Nun aber hauptsächlich die Ausführungen zur Landwirthschaft! S Vorredner ohne Grund der Regierung einen Vorwurf gemacht wegen dessen, was in der Eröffnungsrede über die Lage der Landwirthschaft gesagt ist. Meine Herren, ich erinnere mich, vor einigen Jahren einmal, wo hier bei ähnlicher Gelegesheit debattirt wurde, den Wunsch aussprechen gehört zu haben: wenn der liebe Gott nur dem Landwirth wieder eine gesegnete Ernte giebt, so sind alle die Sorgen, mit denen wir uns so viel quälen, leicht über⸗ wunden. Das war die Ansicht, welche damals, ich glaube, der Hr. Minister Bitter aussprach, und sie wurde mit allgemeiner Zu⸗ stimmung aus dem Hause aufgenommen. Nun, wie sich seitdem die Verhältnisse geändert haben, können Sie sich gar nicht klarer vergegenwärtigen, als wenn Sie einen Augen⸗ blick annehmen, ich hätte heute gesagt: wir haben Gott sei Dank eine gesegnete Ernte gehabt im vorigen Jahr, da werden wir keine große Sorge mehr uns über die übrigen Kleinigkeiten zu machen haben. Für Jeden würde es da auf der Hand liegen, wie verhältnißmäßig unerheblich leider das Faktum heut ist, ob wir eine gesegnete Ernte gehabt haben, oder nicht. Auch die gesegnetste Ernte ist heute nicht mehr im Stande, uns so leicht mit der Be⸗ friedigung und dem Zutrauen zu erfüllen, daß Alles gut gehen würde. Das ist gerade das Unglück, an dem wir leiden, daß dieser Segen nicht mehr die große Bedeutung hat für das Land und daher diese Wahrnehmungen, welche die Regierung im großen Ganzen hat machen müssen und welchen sie in der Eröffnungsrede Ausdruck gegeben hat. Andererseits gebe ich bezüglich des Satzes: „Der durch die Gesetzgebung