“
Das „Journal de St. Pétersbourg“ spricht die Ueberzeugung aus, daß der Deutsche Reichstag zu der Ausdehnung des zwischen Preußen und Rußland abge⸗ schlossenen Vertrages auf ganz Deutschland seine Zu⸗ stimmung geben werde. Die Verhältnisse seien derartig, daß es zu wünschen und zu hoffen sei, daß dieses Uebereinkommen nicht vereinzelt bleiben werde. Vielmehr sei zu hoffen, daß es als Beispiel weiter werde befolgt werden im Interesse der Solidarität, die alle Monarchien verbinde und die sich auch der gesammten Gesellschaft aufnöthige, welche sich gegen die Unternehmungen einer Verbrechergruppe zu schützen wünsche, die sich keinen Zügel anlegt, wenn es sich darum handelt, ihre surchtbaren Leidenschaften zu befriedigen.
Amsrika. Washington, 22. Januar. (W. T. B.) Der Senat berieth heute den mit Nicaragua abgeschlosse⸗ nen Vertrag über den Kanal. Die Senatoren Morgan und Edmunds sprachen für die Genehmigung des Vertrages.
Das Comité der Repräsentantenkammer für die öffentlichen Ländereien hat der Kammer einen Bericht zugehen lassen, welcher die Annahme eines Gesetz⸗ entwurfs hefürwortet, der Ausländern oder anderen Personen, die nicht amerikanische Bürger sind, verbietet, in Amerika Gebiet zu erwerben.
Afrika. Egypten. (Allg. Corr.) Lord Wolseley telegraphirte an den Kriegs⸗Minister aus Korti, unter dem 20. Januar: Etwas Kavallerie und ein Kontingent des Kameel⸗Corps unternahmen von Handab aus eine Rekognoscirung etwa 35 Meilen auf der Straße nach Berber zu. Die Truppen begegneten nur wenigen Ein⸗ geborenen, aber die Bevölkerung von Berber wird durch die Bewegung beunruhigt werden, da sie u ser Vormarsch quer durch die Wüste erwarttet.
Zeitungsstimmen.
Dem HReichskanzler sind, wie die „Norddeutsche All⸗ gemeine Zeitung“ mittheilt, aus Anlaß der Reichstags⸗ abstimmung vom 15. Dezember v. J. weitere Zustimmungen zugegangen:
aus dem Kreise Falkenberg O./S. ein Nachtrag zu der schon er⸗
wähnten Adresse mit zahlreichen Unterschriften,
aus Jantecken (Kr. Darkehmen) von Privatpersonen,
aus dem Kanton Neustadt a. H. von circa 100 Wählern des Neu⸗
städter Thales, 1
aus Bunzlau mit 1972 Unterschriften,
aus Angermünde von 2924 Eingesessenen des Kreises,
aus Hameln im Anschluß an die bereits verzeichnete Adresse noch
nachträglich von 557 Wählern,
aus Lindenfels im Odenwald mit zahlreichen Unterschriften,
aus Fürth i. O., Fahrenbach, Lörzenbach, Ellenbach, Eulsbach
und Schlierbach mit circa 150 Unterschriften,
aus Bamberg von Privatpersonen,
aus Berlin mit zahlreichen Unterschriften,
aus Müncheberg von den Mitgliedern des dortigen Militair⸗Unter⸗ 8 8
stützungsvereins,
aus Wriezen und Umgegend von 1135 Bürgern,
aus Potsdam von Privatpersonen, 8
aus Kehl mit 1918 Unterschriften aus Kehl und Umgegend,
aus Wernigerode mit 1687 Unterschriften aus der Stadt und Um⸗ gegend.
— Der „Düsseldorfer Anzeiger“ stellt in einem Artikel „Wer hat Nutzen von Getreidezöllen“ folgende Be⸗ trachtungen an:
Für Freisinnler und Freihändler, sowie für diejenigen Städter, welche noch für manchesterliche Schlagworte empfänglich sind, ist es eine ausgemachte Sache, daß nur etwa 28 000 Großgrundbesitzer von der Erhöhung der Getreidezölle Vortheil haben würden und daß die sämmtlichen übrigen Bewohner des Reichs diesen Vortheil ihnen aus ihrer eigenen Tasche bezahlen müssen. Wie völlig verkehrt und falsck diese Ansicht ist, mögen folgende Erwägungen zeigen.
Nach der im Novemberheft der Statistik des Reichs enthaltenen Erntestatisiik beträgt der Durchschnittsertrag für den Hektar bei Winterroggen bei 20 Ctr., bei Sommerroggen etwa 15 Ctr., bei Kar⸗ offeln 170 Ctr. Angenommen, daß der Besitzer eines Grundstücks
on einem Hektar, ein Drittel davon mit Winterroggen, ein Drittel mit Sommerkorn, das letzte Drittel wenigstens zum größern Theil mit Karloffeln bebaut, so erntet er 6 ¾ Ctr. Winterroggen, 5 Ctr. Sommer⸗ roggen und etwa 50 Ctr. Kartoffeln. Man kann den Kartoffelver⸗ brauch für einen starken, an feinere Genüsse nicht gewöhnten Magen auf den Kopf pro Tag auf zwei Pfund veranschlagen, das giebt für das Jahr 730 Pfd., für eine Familie von 5 Köpfen 36 ½ Ctr. Auf den Kopf rechnet man an Getreideverbrauch 3 ½ Ctr. für das Jahr; doch ist es unter Voraussetzung starken Kartoffelverbrauchs, zumal wenn noch Kohl, Hülsenfrüchte und Fleisch hinzukommen, kaum möglich, ein so großes Quantum zu verzehren, vielmehr wahrscheinlich, daß eher der Kartoffelverbrauch gesteigert wird, um von den geernteten 11 ⅔ Ctr. Getreide, welches im Preise etwa dreimal so hoch steht als Kartoffeln, noch ein paar Centner verkaufen zu können. Dem⸗ gemäß können Ackerwirthschasften von 1 ha schon zu den Kornverkaufenden gehören, haben mithin veesentliches Interesse an der Höhe der Getreidepreise. Nun giebt es nach der landwirthschaftlichen Betriebsstatistik Betriebe unter 1 Hektar im Eanzen 2 302 652, über ein Hektar 2 975 692, — zu⸗ sammen 5 276 344. Was jene 2 302 652 unter ein Hektar umfassende Betriebe bedeuten, ergiebt sich schon daraus, daß die Zahl der selbst⸗ ständigen Landwirthe, welche nicht nebenher Tagelöhnerei treiben und ausschließlich dem Beruf zugehören, nach der Berufsstatistik nur 2 252 531 beträgt.
Diese selbständigen Landwirthe werden also wohl ausschließlich den über 1 Hektar umfassenden Betrieben, deren Zabl 2 973 692 be⸗ trägt, angehören, während die unter 1 Hektar umfassenden Betriebe zu einem Theil mit von Tagelöhnern (die Zahl derartiger Landwirthe beträgt 866 493 nach der Berufsstatistik), zum anderen und zwar zum größeren Theil von industrieller Nebenarbeit leben, wie auch etwa noch 720 000 Betriebe über 1 Hektar zu diesen letzteren Kategorien gehören dürften. Zugegeben, daß die unter 1 Hektar umfassen⸗ den Betriebe Korn zukaufen müssen, also keinen direkten Vortheil von Getreidezöllen haben, so fällt doch ins Gewicht, daß sie Nebendienste aus der Landwirthschaft (durch Tagelöhnerei) oder (und zum bei Weitem größeren Theile) aus irgend welchem anderen Ge⸗ werbe haben. Man wird also jedenfalls die Bedürfnisse des eigentlich I und bauenden Standes nicht nach diesen in Neben⸗ erufen beschäftigten Betrieben bemessen können. Insofern die be⸗ treffenden „Landwirthe“ auch landwirthschaftliche Tagelöhner sind, richtet sich im Uebrigen ihr Interesse sehr wesentlich nach den In⸗ teressen der arbeitgebenden Besitzer der größeren Betriebe, von deren Prosperität die Höhe ihres Lohnes abhängt.
Fassen wir ins Auge, welche landwirthschaftliche Fläche die einen und die anderen inne haren, so ergiebt sich, daß die unter 1 ha um⸗ fassenden Betriebe, deren Zahl 2 302 652 betrug, im Ganzen nur 771 455 ba Acker, Gartenland, Wiese, Weide, Obstgärten und Wein⸗ berge innehaben, während die 2 973 692 Betriebe, denen also aus den E Zöllen Nutzen entsteht, 31 097 517 ha landwirthschaftlich bebauter Fläche umfassen, von einer landwirth⸗ schaftlich bebauten Gesämmtfläche von 31 868 972 ha. Von dem Ertrage dieser hängt also nicht nur das Wohl und Wehe der 2 252 531 selbständigen Landwirthe ab, sondern auch
8 “
1
—
jenige der zugleich in Tagelöhnerei beschäftigten 866 493 Landwirthe, ferner das der eigentlichen, nicht grundbesitzenden 1 373 744 Tage⸗ löhner, ferner das Schicksal der 1 872 834 Knechte und Mägde, der 47 465 landwirthschaftlichen Aufseher, sowie das der Dienstboten und Angehörigen, in Summa also das ganze ausschließlich oder haupt⸗ sächlich in der Landwirthschaft thätige Personal von 18 704 038 Per⸗ sonen. Demgegenüber kann die Zahl derjenigen, welche Betriebe unter 1 ba haben und dabei in anderen Gewerben thätig sind, für die Beurtheilung der rein landwirthschaftlichen Bedürfnisse nicht in Betracht kommen, weil sie eben ihre Subsistenzmittel nicht allein dem landwirthschaftlichen Betriebe verdanken. Welchen Vortheil an⸗ dere Erwerbszweige durch die Blüthe der Landwirthschaft haben, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Worauf es uns ankam, war zu beweisen, wie lächerlich das Märchen von den 28 000 Großgrund⸗ besitzern ist, die nach „freisinniger“ Meinung allein von Getreide⸗ zöllen Nutzen haben sollen.
— Die „Süddeutsche Presse“ berichtet:
Deer schwäbische Bauernverein hat gelegentlich seiner General⸗ versammlung zu Mertingen Protest gegen das von einem Führer dieses Vereins gelegentlich der Reichstagswahl abgeschlossene Bündniß mit den Ultramontanen Fsge. Außerdem wurde Absendung einer Petition an den Reichstag behufs Herbeiführung erhöhter Getreide⸗ zölle beschlossen. Gutsbesitzer Behrens von Burghof erklärte, daß es dem Landmanne nicht gleichgültig sein könne, von wem seine Interessen im Reichstage vertreten werden; er glaube, daß der Bauernverein von Schwaben neu zu organisiren sei und sich auf eine nicht ultramontane Unterlage und auf die Bismarcksche Reformpolitik stellen müsse. Die Ausführungen fanden allgemeine Zustimmung.
Statistische Nachrichten. MNiach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 11. Januar bis incl. 17. Januar d. J. zur Anmeldung gekommen: 126 Eheschließungen, 888 Lebendgeborene, 40 Todtgeborene und 577
Sterbefälle. 81 Beterinärwesen.
In Bulgarien ist in der zweiten Hälfte des Monats No⸗ vember v. J. die Rotzkrankheit unter den Remontepferden aus⸗ gebrochen. 38 Pferde, von denen 2 in Sofia und 36 in Schumla von der Krankheit befallen wurden, sind sofort getödtet worden.
Gewerbe und Handel.
Das „Institut für kaufmännische Informationen und Inkasso“ von W. Schimmelpfenz versendet soeben seinen Jahresbericht für 1884. 1
— Die nächste Börsenversammlung zu Essen findet am 26. Januar 1885 im Casino (bei C. Rothe) statt.
— Die Direktion der Oldenburger Versicherungs⸗ gesellschaft hat die Dividende für das Jahr 1884 auf 8 % oder 24 ℳ pro Aktie festgesetzt. 1
Breslau, 23. Januar. (W. T. B.) Wie die „Schles. Ztg.“ berichtet, zeigte sich der Roheisenmarkt etwas fester, nach⸗ dem bekannt geworden war, daß die Walzwerke auf 8 bis 12 Wochen mit Arbeit gut versorgt seien. Die Wochen⸗ produktion betrug 8600 t. Der Preis für Puddel⸗Roheisen stellte sich auf 5,15 bis 5,20 ℳ, für Gießerei⸗Roheisen auf 6 bis 6,50 ℳ Die Walzeisenindustrie war etwas reger beschäf⸗ tigt, und in der zweiten Hälfte des Monats begann die Abarbeitung neuer Aufträge. Auch die Grob⸗ und Feineisenstrecken, sowie die Walzenstraßen für Spezialitäten waren im regen Betriebe, die Preise waren jedoch noch immer unverändert gedrückt. Von Zink kamen in der letzten Zeit einige Posten von den Zinkweißfabriken ꝛc. zur Verladung. -
Bradford, 22. Januar. (W. T. B.) Wolle geschäftslos, Tendenz zu Gunsten der Käufer, wollene Garne ruhig, stetig, wollene Stoffe flauer. 8
London, 22. Januar. (W. T. B.) Bei der gestrigen Woll⸗ auktion waren Eröffnungspreise behauptet.
Buenos Ayres, 22. Januar. (W. T. B.) Die argen⸗ tinische Regierung hat für die Banknoten der Bank von Santa⸗Fé den Zwangscours angeordnet.
Verkehrs⸗Anstalten. Odessa, 22. Januar. (W. T. B.) Die Rhede ist mit chis bedeckt, das Em⸗ und Auspassiren von Schiffen ist sehr er⸗ wert. Sanitätswesen 88n uu. ürkei.
Durch Erlaß der Sanitätsverwaltung vom 10. Januar 1885 sind die für die ottomanischen Häfen des Mittelländischen Meeres bestehenden Quarantänemaßregeln („R.⸗A.“ Nr. 7 vom 9. Januar 1885), wie folat, abgeändert worden:
1) Die Quarantäne für die Provenienzen aus Frankreich und 8” ist auf eine 24stündige Beobachtungsquarantäne herabgesetzt worden.
2) Für die Provenienzen aus Italien, Spanien und Algier be⸗ steht fortan nur eine Quarantäne von 3 vollen Tagen, welche in jedem Hafen, in dem sich ein mit einem angestellten Arzte versehene Amtsstelle befindet (oüb existe un office pourvu de médecin sani- taire), abgehalten werden kann.
Dänemark.
Zufolge Bekanntmachung des Königlich dänischen Justiz⸗Ministe⸗
riums vom 14. Januar 1885 ist die für Schiffe aus den französischen
Mittelmeerhäfen und aus den zwischen der spanischen und belgischen,
Grenze belegenen französischen Häfen angeordnet gewesene Quarantäne (vergl. „R.⸗A.“ Nr. 158 und 271 vom 8. Juli und 17. November 1884) nunmehr aufgehoben. Dagegen werden die Bestimmungen des 2. Abschnittes I des Gesetzes vom 2. Juli 1880, betreffend die Maß⸗ regeln gegen Einschleppung ansteckender Krankheiten, bis auf Weiteres gegen solche Schiffe zur Anwendung gebracht, welche von einem fran⸗
zösischen Hafen ankommen oder mit einem solchen in Verbindung ge⸗ standen oder Personen von einem derartigen Schiffe aufgenommen
oder noch an Bord haben.
Griechenland. Durch Erlaß der Königlich griechischen 24. Dezember 1884
5. Januar 1885 ist die für Provenienzen aus Triest an Stelle
der früher bestehenden 24 stündigen Beobachtungsquarantäne eingeführte einfache ärztliche Untersuchung („R.⸗A.“ Nr. 11 vom 14. Januar 1885) auf die Provenienzen aus sämmtlichen österreichischen Häfen ausgedehnt worden.
Regierung
Berlin, 23. Januar 1885.
Preußische Klassenlotterie. (Ohne Gewähr.)
Bei der heute fortgesetzten Ziehung der 4. Klasse 171. Königlich preußischer Klassenlotterie fielen:
1 Gewinn von 120, 000 ℳ auf Nr. 32 4b4b.
1 Gewinn von 15 000 ℳ auf Nr. 18 625.
1 Gewinn von 6000 ℳ auf Nr. 48 008.
42 Gewinne von 3000 ℳ auf Nr. 69. 1468. 3316. 4041. 5507. 8192. 9829. 12 037. 18 407. 21 038. 21 647. 31 815. 38 548. 40 112. 42 365. 50 433. 50 887. 51 725. 55 265. 55 289. 56 406. 57 767. 60 584. 62 445. 64 118. 64 892. 65 684. 66 346. 66 653. 67 452. 67 670. 72 095. 72 900. 73 042. 73 133. 81 079. 86 897. 88 904. 90 208.
91 667. 92 393.
I 8 .“
53 Gewinne von 1500 ℳ auf Nr. 632. 2276. 4420. 5377. 6756. 7134. 7321. 9754. 11 793. 13 619. 14 237. 14 306. 15 220. 20 342. 23 645. 24 475. 24 689. 26 163. 26 356. 26 799. 26 912. 27 324. 29 915. 35 880. 36 197. 37 741. 38 915. 41 267. 42 949. 44 777. 46 746. 47 652. 48 031. 52 095. 52 314. 54 579. 58 368. 61 780. 62 371. 69 990. 71 712. 72 260. 74 919. 76 924. 77 289. 84 076. 86 497. 83 125. 90 810. 90 241. 90 846. 91 244. 91 572.
69 Gewinne von 550 ℳ auf Nr. 623. 1974. 3591. 5452. 5475. 5823. 6870. 7039. 7354. 7471. 8739. 8919. 9790. 10 189. 11 148. 13 070. 13 589 15 378. 16 080. 18 396. 18 718. 19 961. 20 637. 20 682. 21 898. 22 683. 24 811. 26 290. 26 894. 30 096. 31 517. 33 520. 35 482. 36 013. 36 494. 37 781. 39 671. 39 862. 40 321. 40 372. 42 399. 46 090. 46 108. 47 659. 48 382. 49 864. 50 409. 52 749. 54 635. 58 351. 58 877. 59 829. 69 390. 69 554. 72 195. 73 137. 74 552 76 366. —. 82 763. 84 516. 84 684. 85 814. 86 631. 87 503. . 92 039. 92
11“
1 Schon seit langer Zeit, schreibt Dr. Pauli, werden durch Engländer und Deutsche vom Kamerun Palmöl, Palmkerne und Elfenbein auf den Weltmarkt ge⸗ bracht, welche Produkte durch die Kamerunleute von den land⸗ einwärts wohnenden Stämmen eingehandelt werden. Wie die Kamerun als Zwischenhändler bestrebt sind, von den benachbarten Stämmen durch den Tauschverkehr einen gehörigen Nutzen zu ziehen, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Handelseifer treibt sie dazu, daß sie oft wochenlang, begleitet von einer Anzahl ihrer Weiber, bei den Nachbarn verbleiben, um viel Oel und Kerne auf einmal zu kaufen. Bislang wurde der Tausch⸗ handel der Kamerun auf den ihnen von den Weißen gegebenen Kredit betrieben. Der Europäer verleiht dem Schwarzen im guten Ver⸗ trauen eine bestimmte Menge an Waaren (es ist dies das so viel be⸗ sprochene und geschmähte Trust⸗System, dessen allmähliche Abschaffung erst mit der Zeit zu erwarten steht). Für das vorgeschossene Darlehen bringen die Kamerun nun obige Produkte in mehr oder weniger großen Mengen zurück, welche nach den von den Weißen innerhalb einer gewissen Grenze normirten Preifen, und gemäß dem ausgeliehenen Trust in Abrechnung gebracht werden. Als Wertheinheit ist das Kru in Gebrauch, welches den Negern als 1 £ angerechnet wird (den Namen Kru erklärt der Verfasser als noch aus der Zeit des Sklaven⸗ handels herstammend. wo ein eingefangener Schwarzer vom Stamme der Kru⸗Neger den Werth von etwa 1 ₰³ repräsentirte). Das Kru wird eingetheilt in 4 Kegg (Fässer) oder 8 Piggen (Eimer) oder 20 Bar; andererseits entsprechen dem Kru 10 Gallonen Palmöl. Besonders interessant ist, nach Dr. Pauli, das Leben und Treiben und der Verkehr in den Faktoreien bezw. auf den Hulks, wenn bald nach Sonnenaufgang (6 Uhr Morgens) die Neger mit Produkten in ihren Kanoes ankommen, um Waaren einzutauschen. Mit großer Schlau⸗ heit und listiger Verschlagenheit, viel bramarbasirender Beredsamkeit und zäher Ausdauer suchen sie den Weißen zu übervortheilen. Daß Zeit Geld sei, ist ihnen unbekannt. Im Laufe der Jahre hat sich allmälich ergeben, daß für bestimmte Pcodukte auch gewisse Waaren vorwiegend zur Auszahlung kommen. Waäͤhrend von den vielen Tauschartikeln — Zeuge, Gewehre, Pulver, Salz, Spirituosen, Taback, Eisentöpfe, Messingpfannen (Neptuns), Koffer, Beile, Perlen, Knöpfe, Nadeln, Klingeln, Kindertrompeten, Mundharmonikas, Glas⸗ und Porzellanwaaren, Lampen und anderen Kleinigkeiten — beim Eintausch für Palmkerne dem Schwarzen eine beliebige Auswahl zu⸗ steht, muß er beim Verkauf eines Elfenbeinzahns eine gewisse Menge Salz und Taback als Bezahlung annehmen. Zur Zeit, als Dr. Pauli seinen Bericht verfaßte, im (Oktober vorigen Jahres) stockte übrigens der Handel mit Elfenbein und wurde dieser Artikel von den Kamerun gar nicht mehr auf den Markt gebracht, weil die Weißen nicht den von ihnen geforderten Preis zahlen wollten. Was die anderen Handelsartikel betrifft, so gebe man beispielsweise für den Werth eines Kru (1 Pfd. Sterl.) den Eingeborenen an Waaren ab: 16 fathom (1 f. = 6 Fuß) common Prints, 12 fathom big Prints (geringere und bessere, bedruckte Baumwollzeuge von 1 m Breite und 2 m Länge durchschnittlich), 60 head Tobacco (Bündel von je. 7 bis 12 Tabackblättern). 1 Piggen werde gleich 10 Strängen haselnußgroßer, bunter Perlen (der Strang zu 10 Stück) geschätzt; 1 Bar mache sich mit 10 thönernen Pfeifen bezahlt. Für 1 Ei zahle der Weiße eine Pfeife, für 3 ECier ein Bündel Taback, für 1 Huhn Seife im Betrage von 1 Bar, für 1 Ente 2 Faden Zeug (also 1 Piggen), für eine mittlere Ziege 1 bis 2 Kru, vorwiegend in Salz. Zwei Tagereisen den Mungo⸗Fluß aufwärts erhalte man schon 2 Eier für 1 Pfeife: so wachse im Ver⸗ hältniß der Werth der Waaren nach dem Innern zu. — Der Ver⸗ kehr ist in Folge der Kreeks (kleinen Gewässer) lediglich auf das Wasser vermittelst der Kanoes angewiesen, welche von den Kamerun äußerst geschickt und schnell gelenkt werden. Die geringsten Kleinigkeiten, aber auch schwere Sachen, wie Körbe mit eingeernteten Früchten, pflegen die Kamerunfrauen und Sklaven auf dem Kopf zu tragen, denn der freie Mann wird sich niemals mit einem schweren Gegenstande be⸗
Kamerun. III. —
lasten. “
roße Allgemeine Gartenbau⸗Ausstellung, welche in den Tagen vom 5.—15. September d. J. in den Räumen der früheren Hygiene⸗Ausstellung stattfinden wird, ist bereits jetzt als gesichert zu betrachten. Dieselbe verspricht an Großartigkeit alle bisherigen gärtnerischen Schaustellungen zu übertrefen.
In ihrem zweiten Abonnements⸗Concert brachten vor⸗ gestern Abend, im Saale der Sing⸗Akademie, die Herren Emile Sauret und Heinrich Grünfeld zunächst unter Mitwirkung der Herren Alfred Grünfeld (Pianist), T. Aulin und V. von Herzfeld ein Quintett in B-dur von C. Goldmark zum Vortrage. Gespielt wurde dieses lang andauernde, mit überschwenglich süßen Melodien ausgestattete und durch Formlosigkeit und überraschende Wendungen den Zuhörer nur in Unruhe bringende Stück ganz vor⸗ trefflich. Das Werk ist mehr ein Klavierstück, zu welchem die Stim⸗ men der vier Saiten⸗Instrumente als Begleitung gesetzt sind. — Besonderen Reiz erhielt der Abend durch die Solovorträge des Hrn. Alfred Grünfeld, welcher sich wieder als der mit eminenter Technik und schönem poesievollem Anschlage begabte Pianist erwies. Reicher Beifall folgte seinen Gaben. Hr. Sauret spielte Ballade und Polonaise von Vieuxtemps mit dem ihm eigenen Feuer und vollendetr Technik. Ebenso bestätigte Hr. Heinrich Grünfeld von Neuem unsere Meinung, daß er seiner Begabung und Leistungs⸗ fähigkeit nach als einer der ersten Cellospieler unserer Zeit anzusehen ist. — Die Concertsängerin Fr. Schmidt⸗Köhne füllte den vokalen Theil des Programms durch Liedervorträge aus. Die Sängerin besitzt einen hellen hohen Sopran, bei welchem die Kopfstimme vor⸗ nehmlich durch Fülle und Klang ausgezeichnet ist. Dazu kommt saubere Technik und gute Aussprache. Wir wünschten nur, daß zu diesen guten Eigenschaften der Ton mehr Wärme und mehr Beweglichkeit des Ausdrucks in der Klangfarbe gehabt hätte. Das Publikum zeichnete Frau Schmidt⸗Köhne durch reichen Beifall aus.
Redacteur: Riedel.
Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W. Elsner. Fünf Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).
8
mmit Gemeindebürgschaft und nur 18 ohne solche. das System der Gemeindesparkassen sich bisher vorzüglich be⸗ woährt; die Beamten kämen dabei in nähere Beziehungen zu den
nzeiger ind Körigich Prꝛnßischen Stauts⸗Anzeiger
Berlin, Freitag, den 23. Januar
1885.
—
Nichtamtliches.
Preußen. Berlin, 23 Januar. Im weiteren Verlauf
der gestrigen (31.) Sitzung des Reichstages begann das
Haus die erste Berathung des Entwurfs des Postspar⸗ kassengesetzes. Der Abg. Ackermann bemerkte, seine Fraktionsgenossen, namentlich seine sächsischen Landsleute in der Fraktion, könnten der Vorlage nur sehr bedingt zustimmen. Er erinnere zu⸗ nächst daran, daß man es hier mit einer Abänderung der Verfassung zu thun habe. Die Post sei nach der Verfassung u einer einheitlich organisirten und verwalteten Verkehrs⸗ anstalt bestimmt. Das Sammeln von Ersparnissen sei aber Gegenstand der Verkehrsanstalten, noch lasse etwa unter das dem Reich ja ebenfalls zu⸗ Bankrecht unterbringen; denn die Sparkassen h keine Bankgeschaäfte betrieben. Wenn nun frei⸗ lich der Bundesrath die Verfassungsfrage nicht gestellt habe und die Mehrheit des Hauses die Vorlage annehme, dann sei ja eine Debatte über die hier vorhandene Abänderung der Verfassung überflüssig; immerhin ergebe sich aber, daß man es hier mit einer schwerwiegenden, die Kompetenzen des Reiches berührenden Frage zu thun habe. Die hohe Entwickelung seines Sparkassenwesens verdanke Deutschland hauptsächlich den Gemeinden; diese hätten, ohne Unterstützung vom Reich oder Staat zu verlangen, die Sparkassen gegründet und zur Blüthe gebracht lediglich zu humanen Zwecken und zu Nutz und Frommen der Gesammtheit. Unter allen vor⸗ handenen Sparkassen überwiegen denn auch die der Gemeinden ei Weitem; in Preußen gebe es neben 890 Gemeindespar⸗ kassen nur 117 Vereins⸗ und Privatsparkassen; in Bayern ur eine einzige Privatsparkasse neben 278 der Gemeinden; auch in Sachsen sei das System der Gemeindeverwaltung fast ausschließlich anerkannt, und in Baden gebe es 90 Sparkassen Nun habe
Sparern. Die Organisation der Gemeindesparkassen passe sich agenthalben den besonderen örtlichen Verhältnissen an, was bei den Postsparkassen niemals möglich sein werde. Der in den Mo⸗ tiven der Vorlage den Gemeindekassen gemachte Vorwurf, die⸗ selben dienten mehr dem Nutzen des Mittelstandes als dem der kleinen Leute, sei völlig unbegründet; die Kassen dienten vielmehr den Interessen beider Kategorien gleichmäßig. In Preußen und Sachsen bestehe die Hälfte aller Sparer aus solchen, deren Guthaben die Summe von 150 ℳ nicht über⸗ steige. Auf die kleinen Einlagen unter 600 ℳ kämen in Preußen und Sachsen 3,4 Millionen Einleger; auf die großen nur 0,9 Mil⸗ lionen. Im ganzen Reich gebe es etwa 6 Millionen Sparer; dabei kämen im Durchschnitt auf ein Sparkassenbuch 530 ℳ In Sachsen gehörten 26 Proz. der ganzen Bevölkerung zu den kleinen Einlegern, d. h. relativ 4 Mal so viel wie in England, dem Musterlande der Postsparkassen. Die Sparkasse in München habe 1882 26 Proz. ihrer Einlagen von Dienst⸗ boten, 28 Proz. von Handwerkern und Arbeitern gehabt; auf die einzelne Dienstboteneinlage seien im Durchschnitt 126 ℳ, auf die eines Arbeiters 127 ℳ gekommen. In Württemberg seien 49 Proz. der Einlagen von Dienstboten mit je 54 ℳ gewesen; 38 Proz. von Arbeitern mit je 65 ℳ im Durchschnitt. In Sachsen sei der Durchschnittsbetrag der Einlagen der kleinen Leute noch wesentlich geringer gewesen; die größte Sparkasse dort, Dresden, nehme nur Ein⸗ lagen bis zur Höhe von 600 ℳ an; der Durchschnittsbetrag des einzelnen Guthabens sei 182 ℳ In Leipzig, der zweit⸗ größten Sparkasse, seien ¾% aller Einleger aus dem Dienst⸗ boten⸗ und Arbeiterstande. Der fernere Vorwurf der Motive gegen die Gemeinde⸗Sparkassen, daß sie wegen der wenigen Annahmestellen den ärmeren Klassen nicht genug zugänglich seien, sei offenbar, seitdem das System der Sparmarken mehr und mehr Platz greife, gänzlich gegenstandslos; seitdem hätten denn auch die Einlagen der kleinen Leute noch mehr und mehr zugenommen. Im Deutschen Reich seien 1881 Spar⸗ marken zu 5 und 10 ₰ bereits im Betrage von 1 300 000 ℳ verausgabt. In Sachsen werde in allen Werkstätten, Volks⸗ schulen, Fabriken in dieser Weise gespart; jeder dritte Ein⸗ wohner Sachsens sei jetzt Inhaber eines Sparkassenbuchs. Die Motive bemängelten ferner bei den Gemeindesparkassen, daß die Uebertragbarkeit der Einlagen im Wege der Ver⸗ einbarung nicht zu erreichen sei. Auch dieser Vorwurf sei unbegründet; in Rheinland, Westfalen, dem Königreich Sachsen, sei die Uebertragbarkeit bereits eingeführt; es werde davon aber ein außerordentlich geringer Gebrauch gemacht; in Sachsen hätten es nur 0,7 Proz. der Sparer gethan; in Berlin sollten seit Einführung der Uebertragbarkeit überhaupt nur 3 Fälle ihrer Anwendung vorgekommen sein. Es sei dann gesagt, daß die Gemeinden die Vermittelung der Post in Bezug auf die ihnen von diesen angebotene Verwaltung der Sparkassen nicht angenommen hätten. Die Bedingungen der Post seien aber thatsächlich unannehmbar. Wäh⸗ rend gegenwärtig den sächsischen Gemeinden die Ver⸗ waltung ihrer Sparkassen nur 3,10 Millionen Mark koste, hätte die Post den Gemeinden für diese Ver⸗ waltung 10,19 Millionen Mark abgenommen. Die Motive suchten die Befürchtung zu widerlegen, daß die Post⸗ sparkassen die bestehenden Kommunalsparkassen schädigen würden. Letzteres würde allerdings der Fall sein, wenigstens, wenn die Postsparkassen mit den Privilegien der Vorlage ausgestattet würden. Im Auslande habe man ähnliche Er⸗ fahrungen gemacht. Vielleicht würden die großen Gemeinde⸗ sparkassen durch die Konkurrenz der Postsparkassen unberührt bleiben. Gerade die mittleren und kleineren aber würden ganz sicher zu Grunde gehen, und gerade diese letzteren hätten in neuester Zeit um 30 Proz. zugenommen. In Sachsen seien ferner 284 Millionen Mark oder 70 Proz. des gesammten Spargut⸗ habens Seitens der Sparkassen in Hypotheken angelegt. Wenn nun ein kleiner Gutsbesitzer eine Hypothek gebrauche, so sei er zum Bürgermeister gegangen und sie sei ihm von diesem, welcher seine persönlichen Verhältnisse genau kenne, aus den kleinen Gemeindesparkassen ewährt worden. Auch in Preußen seien 73 Proz. der sämmtlichen Sparkassen
den lokalen Kreditbedürfnissen zugewandt. Das werde anders werden mit Einführung der Postsparkassen. Dann fließe das Gut⸗ haben an die Staatskasse und der Hypothekenverkehr werde ganz empfindlich darunter leiden. So oft sei ferner geklagt wor⸗ den über die gegenwärtige Ueberlastung der Gemeinden Durch die Postsparkassen werde man den Gemeinden aber noch die Vortheile entziehen, die sie bisher aus den Ueber⸗ schüssen ihrer Sparkassen gehabt hätten. Das sei ein großer Schaden, der für die Gemeinden aus der Vorlage resulti⸗ ren würde. Es gebe nun ja Gegenden in Deutschland, wo das Sparkassenwesen noch wenia entwickelt sei, dort könnte ja die Post beauftragt werven, Spareinlagen für Rechnung der einzelnen Gemeinden anzunehmen, um den Leuten das Sparen zu erleichtern. Wolle man die Postsparkassen überhaupt ein⸗ führe, so werde im Gesetz bestimmt werden müssen, daß erstens der Zinsfuß von 3 auf 2 ½ Proz herabgesetzt werde, daß zweitens die Maximaleinlagen nur höchstens 300 ℳ statt 800 ℳ betragen dürften, und daß endlich auch sonst die Post⸗ sparkassen in keiner Weise gegenüber den Gemeindesparkassen privilegirt seien. Eine Schädigung der Gemeindesparkassen wäre eine solche für das ganze Land.
Der Abg. Kallerklöärte, es seien vielerlei Bedenken, die gegen die Vorlage überhaupt vorgebracht würden. In Bezug auf das Bedenken, ob die Vorlage mit der Verfassung ver⸗ einbar sei, genüge für ihn, daß sie von verschiedenen rechts⸗ kundigen Männern im Bund srath geprüft sei, und daß diese sich für dieselbe ausgesprochen hätten. Was das konstitutio⸗ nelle Bedenken, die Furcht vor allzugroßer Stärkung der Staats⸗ gewalt durch die Postsparkassen betreffe, so weise er darauf hin, daß dieselben aus dem klassischen Lande des self governement gekommen seien; er halte dieses Bedenken für nicht erheblich. Wich⸗ tiger sei die Befürchtung, daß der Staat in Zeiten wirthschaftlicher oder politischer Krisen in Verlegenheit gerathen könne. Die Erfahrungen, die in den Kriegsjahren 1866 und 1870/71 ge⸗
acht worden seien, haben aber bewiesen, daß dieselbe nicht be⸗ gründet sei. In Preußen hätten im Jahre 1866 bei den Sparkassen Rückzahlungen nur in unbedeutendem Umfange stattgefunden, nur die Einnahmen seien geringer gewesen; und 1870 sei sogar das Guthaben pewachsen. In Frankfurt a. M. seien 1866 nur 10 Proz mehr Rückzahlungen als Ein⸗ zahlungen erfolgt. In Wien seien sogar 2 Millionen Gulden mehr ein⸗ als zurückgezahlt. In ganz Frankreich sei 1870/1871 das Guthaben um 22 Proz. zurückgegangen. Diese Zahlen müßten sicher beruhigend wirken Gerade die kleineren Leute seien eben am wenigsten ängstlich und hätten am ehesten das Vertrauen bewahrt. Jedenfalls sei aber in dieser Hinsicht die größte Vorsicht geboten. Man werde namentlich durch zweck⸗ mäßige Anlage der Kapitalien und zweckmäßige Einrichtung der Kündigungsfristen dieser Gefahr vorbeugen müssen; und nach dieser Richtung enthalte der dem Hause vorliegende Entwurf entschiedene Vorzüge gegenüber dem englischen und französischen Gesetz. Endlich werde eingewendet, daß die Postsparkassen die bestehenden Sparinstitute schädigen würden. Seine politischen Freunde und er erkennten das Verdienst der bestehenden Spar⸗ kassen vot und ganz an, insbesondere den hohen Werth, den sie gehabt hätten und noch hätten für die Befriedigung des lokalen Kredits. Er stimme vollständig dem Referenten auf dem Hannöverschen Sparkassentage bei, daß die Geschichte der Sparkassen ein Ehrenblatt in der Geschichte des deutschen Volkes sei. Er wolle deshalb alle Bedenken nach dieser Seite ernstlich prüfen, umsomehr, als manche seiner Freunde dieselben für so schwerwiegend erachtet hätten, daß sie die ganze Vorlage deshalb mit wenig günstigen Augen ansähen. Die bestehenden Sparkassen genügten dem Zwecke, den arbeitenden Klassen das Spa⸗ ren zu ermöglichen, nicht vollkommen. Es beständen freilich 3000 Sparkassen in ganz Deutschland, und die Einlagen in dieselben beliefen sich auf 3 Milliarden Mark. Aber es fehle ein gleich⸗ mäßiges, großes Netz von Sparkassen; während das Spar⸗ kassenwesen in Sachsen, Hessen, Hannover, im Rheinland und Westfalen, in den Bezirken Oppeln und Liegnitz reich aus⸗ gebildet sei, komme im Osten nur auf 60 000 Einwohner eine Sparkasse. Und darunter gebe es Kassen, die nur ein⸗ oder zweimal wöchentlich geöffnet seien, und die täglich zum großen Theil in den Mittagsstunden geschlossen seien. Auch die verschiedene Einrichtung der verschiedenen Kassen erschwere das Sparen. Diese Mängel seien übrigens nicht von der Regierung zuerst zur Sprache gebracht worden. Schon auf den deutschen Sparkassentagen seien sie wiederholt ausgesprochen und Abänderungen angeregt worden. Er freue sich, daß neuerdings auch vieles geschen sei, um Besserungen herbeizuführen; er denke namentlich an die Pfennigsparkassen. In seinem Wahlkreise allein seien 61 Pfennigsparkassen ein⸗ gerichtet worden. Den bestehenden Mißständen aber gründ⸗ lich Abhülfe zu schaffen, dazu seien nur die Post⸗ sparkassen im Stande, namentlich auch in Hin⸗ sicht der Uebertragbarkeit der Einlagen. Daß die Post⸗ sparkassen den Bedürfnissen gerade des kleinen Mannes ent⸗ sprechen würden, beweise der Umstand, daß im ersten Jahre des Bestehens derselben in Holland ein Drittel der Einlagen unter 1 Gulden und in Oesterreich 90 Proz. unter 5 Gulden betragen hätten. Der Rückgang der bestehenden Sparkassen nach Errichtung der Postsparkassen in England habe nur seinen Grund in der Verrottetheit der zur Zeit dort vorhandenen Privatsparkassen gehabt. In Frankreich sei eine solche Schä⸗ digung nicht eingetreten. Er wünsche aber eine Verbesserung der Vorlage im Sinne der an ihn herangetretenen Wünsche der Vertreter der bestehenden Sparkassen. Es möge in der Kommission namentlich die Frage des Zinsfußes, der Maximaleinlage, der Be⸗ lehnung von Schuldverschreibungen erwogen werden. Es solle auch dafür Sorge getragen werden, daß nicht mehr Geld als nothwendig nach der Centralstelle fließe; ein möglichst großer Betrag solle den Sparkassen, die die nöthigen Garantieen bieten, verbleiben. In diesem Sinne bitte er, die Vorlage an eine Kommission zu verweisen und hoffe, daß das Deutsche Reich, das auf dem Gebiete des Arbeiter⸗Versicherungswesens die Führung übernommen habe, nun auch auf dem Gebiete des Sparkassenwesens seine Pflicht erfüllen werde.
Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staatssekretär des Reichs⸗Postamts Dr. Stephan das Wort:
Meine Herren! Ich möchte glauben, es ist doch sehr wesentlich,
daß die Diskussion über diesen äußerst wichtigen Plan nicht zu sehr in den Flugsand technischer Details, die ja in der ausgiebigen Lite⸗ ratur über diesen Gegenstand in der Tagespresse, in den Verhand⸗ lungen der verschiedenen Sparkassentage aufgehäuft sind, sich verliere, und dadurch die großen Gesichtspunkte, von denen die Bundesregierungen bei dieser Vorlage ausgehen, in den Hintergrund gedrängt werden. Die Vorlage ist lediglich ein Ausfluß des staatsmännischen Gedankens, welcher in der Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 niedergelegt ist, und alle Diejenigen, welche entschlossen sind, dem Banner dieser Kaiserlichen Sozialpolitik zu folgen, werden sich, wie ich hoffe, auch mit dieser Vorlage befreunden. Die ver⸗ bündeten Regierungen betrachten die Vorlage als ein wich⸗ tiges Glied in der Reihe derjenigen Maßregeln, welche zur positiven Förderung des Volkswohles, namentlich des Wohles der unbemittelten Klassen, der Arbeiter, der Landbevölkerung, kurz was man die breiten Schichten der Nation nennt, bestimmt sind.
Daß der Spartrieb ein wichtiger Faktor ist zur Verbesserung und Hebung der wirthschaftlichen Verhältnisse, braucht ja hier vor dem hoben Hause nicht erwähnt zu werden. Ebensowenig braucht auf seinen Werth hingewiesen zu werden in moralischer Beziehung. Er ist aber auch gleichzeitig ein Element staatserhaltender Kraft, und es ist demnach gerade die Aufgabe einer weisen Politik, den Spartrieb durch alle möglichen Mittel zu fördern. Nun soll zu diesem Zwecke der mächtige Organismus in Thätigkeit gesetzt werden, den das Reich in seiner großen Verkehrsanstalt besitzt. Wir haben im Reiche gegenwärtig 14 Tausend und einige Postanstalten. Die Zahl der Postsparkassen für das Gebiet, welches hier in Be⸗ tracht kommt — also ausschließlich Bayern — beläuft sich gegenwärtig auf 3000, und es würde mit einem Schlage diese Summe um 12 000 sich erhöhen, wenn die Vorlage zur Annahme kommt. Es kommt jetzt eine Sparkasse auf je 13 500 Einwohner und 155 qkm. Es würde nach dem Inslebentreten der neuen Organisation, wenn sie die Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren erhält, künftig auf je 4500 Einwohner und je 49 qkm eine Sparkasse kommen. Das ist an sich schon ein ganz unermeßlicher Erfolg.
Der geehrte Herr Vorredner hat Ihnen außerdem ein sehr leben⸗ diges Bild davon entworfen, wie verschiedenartig die Sparkassen über die einzelnen Gaue Deutschlands vertheilt sind, wie viele Gegenden in dieser Beziehung noch der Aufhülfe bedürfen, wie die Einrichtungen gegenwärtig so beschaffen sind, daß sie für einen großen, vielleicht für den größten Theil der Landbevölkerung als absolut unbenutzbar sich erweisen. Dem gegenüber sind die Postanstalten jeden Tag zugänglich, zugänglich in der besten Tageszeit, sie sind ausgerüstet mit den erforderlichen sachkundigen Beamten, und wenn der Hr. Abg. Ackermann — ich möchte das hier gleich anknüpfen — vorhin erwähnt hat, daß die Postbeamten den Sparern nicht so nahe treten wie die Gemeindebeamten, daß sie auch öfter wechseln, so möchte ich das gerade als einen Vorzug der neuen Einrichtung in Anspruch nehmen, indem die Beamten dann nicht so tief in die Verhältnisse hineinblicken, was den Sparern keines⸗ wegs angenehm ist, heispielsweise vom Standpunkte der Veranlagung zur Steuer. Außer diesem Personal besitzen die sämmtlichen Postanstalten die nöthigen Lokale, die erforderlichen Kassenbehälter und den noth⸗ wendigen, durch das ganze Reich einheitlich ausgebildeten Kontrol⸗ apparat, der ohne irgend welche Kosten zur Verfügung der großen Institution gestellt werden kann. Darüber hinaus geht nun die ein⸗ heitliche Organisation ihrer Tausende von Postanstalten, die durch das ganz Reich nach einer Norm entworfen sind. Diese einheitliche Organisation ermöglicht den ungeheuren Vortheil der ffreizügigkeit der Sparkassenbücher, was man gewöhnlich die Uebertragbarkeit be⸗ nennt. Es ist auf diesen Punkt ein um so größerer Werth zu legen, als gerade die Arbeiterbevölkerung, für die diese Einrichtung besonders mitbestimmt ist, in der heutigen Zeit bei der ganzen Gestaltung unserer sozialen, unserer wirthschaftlichen und industriellen Verhält⸗ nisse ja nicht mehr seßhaft ist, sondern wesentlich fluktuirend, selbst die Arbeiter auf dem Lande, wie Sie Alle wissen, in den Zeiten der Ernte. Ich erinnere an die große Arbeiterbewegung während der Zuckerkampagne, wo die Arbeiter aus dem Westen, aus West⸗ und Ostpreußen nach Sachsen gehen; ferner an die Arbeiter, die bei großen Tunnelbauten, Melio⸗ rationen, Kanalisationen, bei großen Eisenbahnbauten beschäftigt werden; an die Arbeiter, die während der Zeit der Ernte in andere Gegenden gehen, bei der Heuernte sowohl, wie bei der Körnerernte. Ferner, um ein Beispiel noch zu erwähnen, an die Ziegel⸗ streicher aus Lippe⸗Detmold, welche aus ganz Deutschland in der Zeit, wo die Baubedürfnisse sich regeln, sich durch ganz Deutschland begeben. Bei denen ist es unbedingt nöthig, daß die leichte Ueber⸗ tragbarkeit, die Freizügigkeit, wie man es nennt, der Sparkassen durchgeführt wird, und sie kann in einer bequemen Weise nur durch⸗ geführt werden durch die einheitliche Institution der Postverwaltung. Daß diese Uebertragbarkeit in Sachsen bisher nur in geringem Maße in Anspruch genommen ist, wie der geehrte Hr. Abg. Ackermann uns ausgeführt hat, das beweist nicht, daß das Bedürfniß gering ist, sondern daß die Einrichtung nicht genügt. Nach den Zahlen, die mir hier vorliegen, kamen in England auf die sogenannten cross entries im Jahre 1862, als die Postsparkassen begründet wurden 4 %, im Jahre 1868 nach 6 Jahren waren diese Fälle schon au 19 %, also ⅛6 der ganzen Sparkassenbücher, gestiegen. Sie sehen von welcher immensen Wichtigkeit gerade dieses Moment ist. In Frankreich, wo die Sparkasse im Jahre 1881 eingerichtet ist, war im Jahre 1883 die Uebertragungszahl auf 5,98 % gestiegen, und, was den Werth der Sgpareinlagen betrifft, so betrug sie 8,44 %. Es ist dies außerordentlich bedeutend. Die Postanstalten behandeln gegenwärtig schon einen Geldverkehr von 16 000 Millionen Mark jährlich, und darunter sind über 3000 Mil⸗ lionen Mark, die in ganz einzelnen Beträgen durch die Hand der Postbeamten laufen, nämlich der sogenannte Bankverein der Post⸗ anstalten, das ist also das Postanweisungswesen, das Postnachnahme⸗ wesen der Wechsel und sonstige Postbeträge. Sie sehen also, daß auch nach dieser Richtung hin die Postanstalt sicher ihren Zweck erreichen wird. 3
Neben diesen stabilen Postanstalten besißen wir aber 20 000 mobile Postanstalten, das sind unsere Landbriefträger, die bis in den 5 Wohnort, bis in das äußerste letzte Wohnhaus täglich, und in sehr vielen Distrikten nach der eingreifenden neuen Organisation bereits zweimal täglich gehen. Da nun die Landbriefträger Postnach⸗ nahmegelder annehmen, sogar die Zeitungsabonnementsgelder, die Postvorschüsse einziehen, so liegt nichts näher, als daß man die Frage in Erwägung zieht. daß sie die Postsparkassengelder direkt in Empfang nehmen, um dem Landmann, der nicht viel Zeit zu vergeuden hat, den Weg zur Postanstalt zu ersparen.
In England ist von 1861 —1882 die ungeheure Summe von 41 768 000 durch die Anstalten der Post niedergelegt, in Italien von 1874 bis jetzt 174 Millionen Franks; in Frankreich von 1882, wo die Postsparkassen eingerichtet wurden, 105 Millionen Franks, in Oesterreich, wo die Einrichtung unlängst ins Leben getreten ist, 45 Millionen Gulden, in Belgien seit 1872, 52 ½6 Millionen; in dem kleinen Lande, in Holland, wo sie eben erst ins Leben getreten ist, 3 ½ Millionen Gulden. Die Zahl in Indien, Kanada und Japan, wo ebenfalls Sparkassen der Post eingerichtet sind, interessirt weiter nicht, ich habe sie auch augenblicklich nicht vorliegen.
Diesen Erfolgen entspricht unsere Ueberzeugung, die ich nachher noch näher motiviren werde, daß die Postsparkassen in keiner Weise gefährliche Konkurrenten der Privat⸗ und Gemeindesparkassen sind,