befriedigen werde. Mit der Kommissionsberathung sei auch er einverstanden. Hierauf nahm der Bepollmächtigte zum Bundesrath, Staats⸗Minister von Boetticher das Wort: eine Herren! Ich hätte an sich keine Veranlassung, in dem “ Stadium der Diskufsion das Wort zu ergreifen; denn die beiden ersten Herren Redner haben sich nach ihren Ausführungen der Vorlage gegenüber ünstig gestellt, und auch der letzte Herr Redner hat bei mir den Eindruck zurückgelassen, als ob er die Vorlage a limine zurückzuweisen nicht gesonnen sei. Was mich bestimmt, gleich nach ihm das Wort zu nehmen, das ist der Umstand, daß seine Ausführungen eine Reihe von Mißverständnissen enthalten, die ich nicht gerne in der weiteren Diskussion wieder erscheinen sehen möchte. Ich bätte eigentlich voraussetzen dürfen, daß ein Redner, der über dieses Gesetz in der Generaldiskussion spricht, es sich genauer ansieht, als wie es der Herr Vorredner nach seinen
Ausführungen gethan zu haben scheint. 1“]
1 e Hohedner hat seine Unzufriedenheit mit der Vorlage vornehmlich damit begründet, daß er gemeint hat, ein Gesetz, welches die Unfallversicherung auf weitere Kreise ausdehne, müsse auch schon im gegenwärtigen Stadium unserer sozialpolitischen Gesetzgebung vor allen Dingen Bedacht darauf nehmen, daß die fundamentalen Fehler des Unfallversicherungsgesetzes korrigirt würden, und er hat als solche fundamentale Fehler des Unfallversicherungs⸗ gesetzes bezeichnet einmal, daß nicht alle Arbeiter von der Unfall⸗ versicherung betroffen werden, und zweitens, daß die Arbeiter immer noch zu Beiträgen zu der Krankenversicherung herangezogen werden. Nun steht doch so viel fest, daß die Krankenversicherung mit der Unfallversicherung, wie der Hr. Abg. Frhr. von Wendt schon ganz richtig ausgeführt hat, zunächst nichts zu thun hat, und daß die Kran⸗ kenversicherung in dieses Gesetz überhaupt blos hineingekommen ist, weil man den Arbeitern, auf welche dieses Gesetz sich bezieht, auch die Wohl⸗ thaten der Krankenversicherung insoweit zuwenden wollte, als sie der⸗ selben bisher noch nicht theilhaftig geworden sind.
Was aber den anderen Punkt anlangt, daß nicht alle Arbeiter gleichzeitig von der Unfallversicherung erfaßt sind, so ist ja darüber in früherer Zeit schon so außerordentlich viel gesprochen und dabei nachgewiesen worden, daß es vorsichtig und zweckmäßig sei, schritt⸗ weise vorzugehen und die dringenderen Bedürfnisse zunächst zu befriedigen. Ich glaube, die Erfahrungen, die wir bei der Berathung der vorjährigen Vorlage gemacht haben, haben die Richtigkeit dieses procedere durchaus dargethan. Das gegenwärtige Gesetz ist ja gerade bestimmt, nun einen weiteren Kreis von Arbei⸗ tern der Wohlthaten der Unfallversicherung theilhaftig zu machen. Ich bin also der Meinung, daß der aus der Abgrenzung des Kreises hHeraus abgeleitete Vorwand des Herrn Vorredners in keiner Weise utrifft. 1 Wenn der Herr Vorredner durch Begründung dieses Vorwurfs noch besonders darauf Bezug genommen hat, daß das Unfallversiche⸗ rungsgesetz nur eine bestimmte Kategorie von Bauhandwerkern er⸗ faßt und daß andere Kategorien dieser Handwerker nicht obligatorisch unter die Unfallversicherung fallen, so kann ich ihn in dieser Be⸗ ziehung beruhigen; denn vor Kurzem hat der Bundesrath auf Grund der ihm im §. 1 des Unfallversicherungsgesetzes beigelegten Befugniß beschlossen, daß die Maler⸗ Tüncher, Verputzer, Gipser, Stuckateure, Bauklempner und Bauglaser, sowie die mit der Anbringung, Abnahme Verlegung und Reparatur von Blitzableitern befaßten Personen auch versicherungspflichtig sein sollen. Damit ist also diesem Wunsche Rechnung getragen. 8 1
Ebenso mache ich darauf aufmerksam, daß, wenn er es als einen Mißstand bezeichnet, daß Betriebe, in denen mindestens 10 Personen beschäftigt sind, unfallversicherungspflichtig sind, während Betriebe mit
iner Arbeiterzahl von weniger als 10 Personen nicht als Fabriken gelten und deshalb nicht unter den §. 1 des Unfallversicherungsgesetzes fallen. daß auch hier da, wo nach der Natur des Betriebes ein Bedürfniß vorliegt, das Reicks⸗Versicherungkamt auf Grund des §. 1 Alinea 5 solche Betriebe der Versicherungspflicht unterwerfen kann. Nun aber, meine Herren, ist dann in der That die Lektüre, welche der Herr Vorredner dem Entwurf hat zu Theil werden lassen, wie ich sogleich die Ehre haben werde, darzuthun, eine recht mangelhafte gewesen. Er hat nämlich die Behauptung auf⸗ gestellt, daß in dem Gesetzentwurf die Rechte der Arbeiter noch in ganz unzulässiger Weise weiter beschnitten wären und nicht zu so voller Geltung kämen, wie das im Unfallversicherungsgesetze der Fall ist. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, daß nach dem Entwurf über die Unfallverhütungsvorschriften nicht, wie es im Unfall⸗ versicherungsgesetze steht, die hierzu gewählten Arbeiter gehört zu werden brauchen. Meine Herren, gerade das Gegentheil ist der Fall. Allerdings ist im §. 3 des Entwurfs der §. 78 des Unfall⸗ versicherungsgesetzes von der Geltung für die im Staatsdienst be⸗ schäftigten Arbeiter ausgenommen, dagegen ist aber ausdrücklich im §. 9 des Entwurfs gesagt:
. „Vorschriften der Ausführungsbehörden über das in den Be⸗ trieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten sind, sofern sie Strafbestimmungen ent⸗ halten follen, vor dem Erlaß mindestens drei Vertretern der Ar⸗ beiter zur Berathung und gutachtlichen Aeußerung vorzulegen.“
Es ist also hier vollständig kongruent mit den Vorschriften des Unfallversicherungsgesetzes auch die Betheiligung der Arbeiter bei der Begutachtung der Unfallverhütungsvorschriften gewährleistet. Das allerdings, meine Herren, ist nicht die Absicht, daß Unfallverhütungs⸗ vorschriften, die nicht auf die eigene Thätigkeit des Arbeiters Bezug haben, sondern beispielsweise bei den Eisenbahnen und hier vorzüglich Bezug haben auf die Sicherheit des Betriebes, den Arbeitern zur Begutachtung vorgelegt werden sollen, und, meine Herren, damit, glaube ich, wird jeder Sachverständige und auch jeder Laie, der sich der Eisenbahn bedient und der also einem Eisenbahnunfalle ausgesetzt ist, sich nur einverstanden erklären können. Es ist unmöglich, solche Vor⸗ schriften, welche die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes im Auge haben, erst von der Zustimmung oder Nichtzustimmung eines Arbeiteraus⸗ schusses abhängig zu machen. —
Dann, meine Herren, ein weiterer Irrthum des Herrn Abgeord⸗ neten ist der, daß er gemeint hat, es sollten nach diesem Entwurfe die Arbeiter, welche Beisitzer der Schiedsgerichte werden, nicht gewählt. sondern ernannt werden. Gerade das Eegentheil ist der Fall. Es steht allerdings in dem §. 6:
„Die im §. 47 Abs. 3 a. a. O. bezeichneten Beisitzer werden von der Ausführungsbehörde ernannt.“ 3
Das sind aber diejenigen Beisitzer, welche aus dem Arbeit⸗ geberstande, welcher in diesem Falle die Staatsbehörde ist, in das Schiedsgericht zu berufen sind; es bezieht sich aber diese Vor⸗ schrift nicht auf diejenigen Mitglieder des Schiedsgerichtes, die dem Arbeiterstande angehören. Also, meine Herren, ich kann dem Herrn Vorredner nur empfehlen, sich zunächst mit dem vorliegenden Entwurfe gründlicher zu befassen, dann wird er sich auch vielleicht mit ihm befreunden.
b Da ich nun einmal das Wort habe, meine Herren, so möchte ich noch einige allgemeine Bemerkungen hinzufügen. Hr. Frhr. von Wendt hat bereits die Güte gehabt, die Gründe anzugeben, welche es erwünscht und auch ohne Schwierigkeit möglich erscheinen lassen, für die Krankenversicherung der in Frage befindlichen Arbeiter in diesem Gesetze zu sorgen. Die Er⸗ wägungen des Hrn. von Wendt sind auch die Erwägungen der verbündeten Regierungen gewesen. Es besteht gar keine Schwie⸗ rigkeit, die — um es kurz zu bezeichnen — den Transportgewerben angehörenden Arbeitern der Wohlthaten der Krankenversicherung theil⸗ haftig zu machen; wir brauchen zu diesem Zwecke keine andere Or⸗ ganisationen, als sie das Krankenversicherungsgesetz in Aussicht nimmt, und es hat eben weiter nichts bedurft, als des einen §. 15 dieser Vorlage, der, wenn er Ihre Zustimmung erhält, die Sicher⸗ blt dafür geben wird, daß die Arbeiter unter die Krankenversicherung allen.
Nun, meine Herren, könnten ja vielleicht noch in Bezug auf die Bewährung des Unfallversicherungsgesetzes und also auch in Bezug
auf die Zweckmäßigkeit einer Ausdehnung seiner Wirksamkeit einige Bedenken laut werden, und zur Zerstreuung dieser Bedenken möchte ich mir noch einige thatsächliche Anfübrungen über die bisherige Aus⸗ führung des Gesetzes vorzutragen erlauben. 1 8
Meine Herren, ich habe den Eindruck, daß alle die Befürchtungen, welche man bei der Berathung der früheren Vorlage hinsichtlich der Schwerfälligkeit des Apparates, hinsichtlich der Unmöglichkeit einer sach⸗ und zweckgemäßen Organisation der Berufsgenossenschaften geäußert hat, daß alle diese Bedenken hinfällig sind. Dank der hin⸗ gebenden und sachverständigen Mitwirkung unserer Arbeitgeber, soweit sie bis jetzt bei der Unfallversicherung in Frage kommen, und Dank der hingebenden und eifrigen Arbeit des Reichs⸗Versiche⸗ rungsamtes, welche ich mich verpflichtet halte, schon in diesem Stadium auch hier anzuerkennen, ist es gelungen, die Vorarbeiten für die Durchführung des Unfallversicherungs⸗Gesetzes so zu sördern, daß wir uns der Hoffnung hingeben können, daß mit dem 1. Oktober d. J. die Unfallversicherung im ganzen Reiche in Kraft treten wird. Es ist die Ausführung des Unfallversicherungs⸗ Gesetzes keineswegs leicht gewesen und noch täglich begegnen wir bei der Ausführung mannigfachen Schwierigkeiten, die auch zum großen Theile in Mängeln des Gesetzes selbst ihren Ursprung haben. Ich will Niemandem einen Vorwurf daraus machen, wir haben uns eben auf einem Boden bewegt, der für uns ein vollständig neues Terrain war. Ich danke es der Kommission des vorigen Jahres, daß sie mit großer Gründlichkeit auf allen Seiten und in allen Parteien das Richtige zu finden bestrebt gewesen ist. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß wir noch nicht überall und in jedem Punkte das Richtige gefunden haben, und daß namentlich einzelne Bestimmungen noch zu Zweifeln Veranlassung geben, für deren Be⸗ seitigung wir vielleicht noch im weiteren Verlauf der Entwickelung auch die Mitwirkung der Gesetzgebung werden in Anspruch nehmen müssen. Im allgemeinen aber — und das ist die Hauptsache — was die Organisation der Unfallversicherung anlangt, also die Bildung der Berufsgenossenschaften, da können wir heute schon sagen, daß der Plan, den wir gehabt haben, sich voll und ganz bewährt hat.
Wir haben heute schon für ganze Industriezweige das allgemeine Einverständniß dafür, daß sie sich berufsgenossenschaftlich zusammen⸗ fassen, und mehrere dieser Industriezweige haben sich auch nicht gescheut, ihren Kreis so weit auszudehnen, daß sie korporativ zusammengefaßt werden für das ganze Reich. Das ist im Interesse gerade der Er⸗ leichterung der Unfallslast ein sehr wesentliches Moment, und ich wünschte wohl, daß auch da, wo jetzt noch das Bestreben besteht, sich in kleineren Kreisen zu gruppiren, man doch — man verzeihe mir den Ausdruck — die etwas partikularistisch angehauchten Bedenken fallen lassen möge, und sich womöglich zu dem Beschlusse vereinigen, die betreffenden Betriebe berufsgenossenschaftlich für das ganze Reich zusammenzufassen. 1
Meine Herren, ich 88 nach dem, was mir bisher über den Fort⸗ gang der Organisation berichtet worden ist, mit großem Vertrauen der endgültigen Gestaltung der Unfallversicherung entgegen und ich glaube, daß auch die daran geknüpften Besorgnisse, und namentlich das Bedenken des Hrn. Abg. Kräcker, daß der Arbeiter von dem, was ihm auf Grund dieser Gesetze zu Theil wird, niemals befriedigt sein könne, sehr bald beseitigen werden, wenn nur erst die ersten Fälle da sein werden, in denen dem Arbeiter zur eigenen Anschauung gebracht wird, welche Wohlthaten ihm dies Gesetz zugewendet hat. 1
Meine Herren, ich bitte Sie, widmen Sie dasselbe Interesse und denselben Eifer, der die Arbeiten der vorjährigen Kommission ausgezeichnet hat, widmen Sie dieses Jateresse und diesen Eifer auch den neuen Vorlagen, und ich bitte Sie, helfen Sie sich und uns über untergeordnete Bedenken hinweg. Wenn es auch mal in einem Paragraphen nicht so ganz stimmt, wir werden uns zu helfen wissen, und wo wir uns nicht zu helfen wissen, werden wir Ihre Korrektur rechtzeitig in Anspruch nehmen.
Der Abg. Gebhard erklärte, seine politischen Freunde hielten den von der Regierung mit dieser Vorlage eingeschla⸗ genen Weg für richtig. Was im Einzelnen das Verhältniß dieses Entwurfes zur Krankenkassen⸗Gesetzgebung betreffe, so frage es sich, ob nicht für die im Eisenbahnbetrieb beschäf⸗ tigten Arbeiter, die bisher schon mit Rücksicht auf die beson⸗ dere Gefährlichkeit ihres Berufes im Haftpflichtgesetz besondere Begünstigungen genossen hätten, die Karrenzzeit von 13 Wochen auf einen geringeren Zeitraum reduzirt werden könne. Dies werde um so eher möglich sein, als der Eisenbahnbetrieb größtentheils in den Händen des Staates liege, der ja rößere Lasten als der Privatunternehmer tragen könne. kim die Frage näher zu prüfen, wünsche er statistisches viel höherem
Material darüber
zu erhalten, in wie Maße die Bahnarbeiter Betriebsunsällen ausgesetzt seien,
als Arbeiter in anderen Industriezweigen. Ein fernerer von ihm vertretener Wunsch sei die Ausdehnung der obliga⸗ torischen Unfallversicherung auf die bei der Seeschiffahrt be⸗ schäftigten Personen. Der Seeschiffer sei ja so zahlreichen Gefahren in seinem Berufe ausgesetzt, daß schon die frühere, noch von rein privatrechtlichen Gesichtspunkten ausgehende Gesetzgebung für den Rheder gewisse besondere Verpflichtungen zum Schadenersatz bei Unfällen seiner Leute statuirt habe. Kein Beruf absorbire schneller die Gesundheit des Arbeiters als die Seeschiffahrt; die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Seeschiffahrt würde in allen seemännischen Kreisen freudig begrüßt werden. Vielleicht gelinge es der Kommission, die für diese Ausdehnung vorhandenen Schwierigkeiten zu be⸗ seitigen und das Gesetz entsprechend zu erweitern. Eventuell behalte seine Partei sich besondere Anträge zu stellen vor.
Der Staats⸗Minister von Boetticher erwiderte, die Vor⸗ arbeiten zur Ausdehnung der Unfallversicherung auf die See⸗ schiffahrt seien von den Regierungen bereits in Angriff ge⸗ nommen, und nur mit Rücksicht auf die ganz besonderen Ver⸗ hältnisse der Seeschiffer erstrecke sich die gegenwärtige Vorlage noch nicht auf dieselben. Er habe zwar nichts dagegen, daß sich die Kommission mit dieser Frage beschäftige, würde diese Untersuchung aber für ziemlich gegenstandslos halten, weil dem Hause wahrscheinlich in nicht zu ferner Zeit eine bezüg⸗ liche besondere Vorlage zugehen werde, welche dem auch von ihm anerkannten Bedürfniß, die Seeschiffer in die Unfall⸗ versicherung aufzunehmen, entspreche.
Der Abg. Schrader bemerkte, er freue sich zu hören, daß auch eine Einbeziehung der Seeleute in das Unfallversicherungs⸗ gesetz in Erwägung gezogen sei. Allerdings würden hier ganz besondere Verhältnisse, die weiten Reisen, welche die Schiffe machten u. s. w., zu berücksichtigen und die ganze Angelegen⸗ heit einer sorgsamen Prüfung zu unterziehen sein. Was nun die bisherige Ausführung des Unfallversicherungsgesetzes be⸗ treffe, so glaube er, daß man keineswegs bereits so weit vor⸗ geschritten sei, als der Stlaatssekretär angedeutet habe. Bisher sei doch nur festgestellt worden, aus welchen Gliedern die Berufsgenossenschaften bestehen sollten. Aber auch hier hätten sich größere Schwierigkeiten ergeben, als man erwartet habe. Eines sei wenigstens ziem⸗ lich sicher, daß man mehr Berufsgenossenschaften erhalten werde, als angenommen sei: die Zahl 20 werde sicher über⸗ schritten werden. Im Uebrigen könne er seinen bescheidenen Zweifel daran nicht verhehlen, ob der Weg, den man zur Weiterführung der Unfallversicherung betreten habe, zweck⸗ mäßig sein werde. Man habe es bei dem ersten Gesetze mit
der Großindustrie und ihren Arbeitern zu thun gehabt, hier
aber trete dem Hause eine ganze Reihe von Betrieben ent⸗
0 gegen, in denen der Unternehmer beinahe ein eben so kleiner Mann als der Arbeiter sei. Man könne also wohl fragen, ob es angänglich sei, die Grundlagen der früheren Gesetze auch auf dieses Gesetz zu übertragen. Aber man sei nicht in der Lage, etwas Neues zu schaffen, müsse auch bei der Ausdehnung aller Unvollkomme heiten und Mängel des früheren Gesetzes die Karenzzeit, die Berufsgenossenschaften mit in den Kauf nehmen. Man würde diese Schwierigkeit haben vermeiden können, wenn man, anstatt das frühere Gesetz auf eine bestimmte Arbeiter⸗ klasse zuzuschneiden, ein allgemeines Gesetz geschaffen hätte. Was nun die neue Vorlage betreffe, so sei er mit dem Staatssekretär darin einverstanden, daß die staatlichen Be⸗ triebe nicht in Berufsgenossenschaften gruppirt werden sollten. Aber er möchte darauf aufmerksam machen, daß damit eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen eine andere Bedeutun erhalte. Bei der Feststellung der Entschädigung würden au in diesen Betrieben Arbeiter mit betheiligt sein, aber das Verfahren werde hier weniger unparteiisch erscheinen, da die Arbeiter den Berufsgenossenschaften gegenüber eine freiere Stellung einnehmen würden als wenn sie, wie hier, mit ihren vorgesetzten Behörden zu Rathe sitzen sollten. Jede Entschei⸗ dung, welche der Arbeiter fälle, greife in sein Verhältniß zu seinen Vorgesetzten ein, und das vermindere die Unabhängig⸗ keit seiner Stellung. Daß bei den Vorschriften über die Unfallverhütung praltisch erfahrene Arbeiter in größerer Zahl zu Rathe gezogen werden sollten, halte auch er für wünschenswerth. Man habe jetzt schon viele derartige Vorschriften, die nicht ausgeführt würden, weil sie praktisch nicht ausführbar seien. Damit werde die Verantwortlichkeit der Behörden nicht ab⸗ geschwächt. Die Arbeiter hätten ja nur einen Rath zu er⸗ theilen. Die Eisenbahnarbeiter hätten sich unter dem Haft⸗ pflichtgesetz entschieden günstiger gestanden, als jetzt. Dieselben würden nur den einen großen Vortheil erhalten, daß die Entscheidung eine leichtere sei. Auch von den Privatverwal⸗ tungen könne er es bestätigen, daß sie nur selten zur Fest⸗ stellung der Schuldfrage es auf einen Prozeß hätten ankommen lassen. Nur ein Theil von Eisenbahnarbeitern werde günstiger gestellt, die Kategorie, welche der §. 2 betreffe, der größere Theil aber finde sich, wie er wiederholen müsse, in einer ungünstigeren Lage. Hier also sollte ein Ausgleich ge⸗ schaffen werden. Wenn seine Partei das verlange, so bitte sie zugleich, daß auch die noch schlechter gestellten Eisen⸗ bahnbeamten in die Wohlthaten dieses Gesetzes eingeschlossen werden sollten. Kein durchschlägender Grund könne dagegen geltend gemacht werden. Bei der Berathung der früheren Vorlage sei, wenn er nicht irre, der Vorschlag gemacht wor⸗ den, daß, wenn im Falle der Verunglückung eines Eisenbahn⸗ beamten der Betrag seiner Pension hinter der Summe zurück⸗ bleibe, auf die er nach dem Hastpflichtgesetz Anspruch habe, durch einen Zuschlag zur Pension die Differenz ausgeglichen werden solle. Es wäre sehr interessant, die Gründe zu hören, weshalb die Regierung nicht einen gleichen Vorschlag wieder aufgenommen habe. Jedenfalls wünsche er, daß die Kom⸗ mission auf diesen Punkt besondere Rücksicht nehme. Die Landes⸗Versicherungsämter würden eine praktische Bedeutung erst erhalten, wenn sie für Staatsbetrieb und für die land⸗ wirthschaftlichen Arbeiter zuständig würden. Er glaube aber, daß dieselben in ihrer jetzigen Konstruktion unbrauchbar seien. Die Reichs⸗ und die Landesämter hätten neben ein⸗ ander laufende Kompetenzen, so könne es kommen, daß über dieselbe Frage verschieden entschieden werde. Das sei ein un⸗ haltbarer Zustand, und da man mit diesen Vorlagen einen neuen Boden betrete, wäre es wünschenswerth, wenn die Landes⸗Versicherungsämter beseitigt würden. Noch einen Punkt möchte er berühren. Warum sei man nicht noch weiter mit der Ausdehnung des Gesetzes gegangen? Jetzt bleibe nur ein kleiner Theil von Arbeitern unversichert; fast nur die Handwerker. Auch von diesen sei ein Theil bereits einbezogen, die Bauhandwerker. Warum habe man das Gesetz nicht ein⸗ fach auch auf den Rest ausgedehnt? Man solle das Gesetz in zwei Theile zerlegen und in dem einen die Staatsbetriebe und in dem anderen die jetzt aufgenommenen Arbeiterklassen und die nicht aufgenommenen Handwerksbetriebe behandeln. Zum Schluß müsse er dem Wunsche noch Ausdruck geben, daß die Berathung nicht in ähnlicher Weise wie das vorige Mal abgeschnitten werde. Die Kommission habe sich die größte Mühe gegeben gehabt, das Gesetz bei der ersten Lesung in der Kommission nach Kräften zu verbessern. Aber in der zweiten Lesung sei ihre Mühe umsonst gewesen. Die Kom⸗ mission habe einem fertigen Kompromiß gegenüber gestanden und so sei das Gesetz damals in einer Form zu Stande ge⸗ kommen, welche große Mängel enthalte.
Hierauf nahm der Staats⸗Minister von Boetticher das Wort:
Meine Herren! Was den letzten Wunsch des Herrn Vorredners anlangt, daß nicht wieder, wie im vergangenen Jahre, sich die Herren in der zweiten Lesung einem Kompromisse gegenüber befinden möchten, so kann ich ja zur Befriedigung des Wunsches nichts thun, denn das Kompromiß ist nicht mit der Regierung abgeschlossen, sondern es ist unter verschiedenen Fraktionen dieses Hauses vereinbart und diese Fraktionen traten nachher geschlossen in die zweite Berathung. Uebrigens läßt sich aus den bisherigen Erfahrungen nicht nachweisen, daß dieses Kompromiß dem Gesetze schädlich gewesen wäre, im Gegen⸗ theil, ich darf annehmen, daß das Kompromiß, welches jedenfalls die Berathung außerordentlich gefördert hat, das Gesetz gegenüber den
Beschlüssen der ersten Lesung nicht wesentllch verschlechtert hat.
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat nun am Ende seiner Auseinandersetzungen gemeint, es zeige sich, wie fehlerhaft es gewesen sei, früher nur einen Theil der arbeitenden Bevölkerung von den Wohlthaten der Unfallversicherung erfassen zu lassen, jetzt sei man, nachdem man einmal die, und zwar in der Havptsache für die Großindustrie zugeschnittenen Grundlagen ange⸗ nommen habe, in die Nothwendigkeit gesetzt, entweder diese Grund⸗ lagen, sie mögen nun passen oder nicht, auch bei der Ausdehnung zur Anwendung zu bringen oder etwas ganz anderes zu schaffen. Meine Herren, ich bin nicht der Meinung, daß eine solche Nothwendigkeit vorliege. Wir haben es hier jetzt mit einem neuen Kreise von Arbeitern zu thun, und ebenso, wie Sie aus dem Entwurfe über die Unfallversicherung der landwirthschaftlichen Arbeiter ersehen, daß die verbündeten Regierungen dort rücksichtlich der Konstruktion der Unfallversicherung sehr erheblich von den früher adoptirten Prin⸗ zipien abgegangen sind, ich sage ebenso, wie dort, ist auch hier bei diesem Gesetz gar kein Hinderniß vorhanden, daß, wenn Sie der Meinung sind, daß auf diese Arbeiter, auf diese Klassen von Arbei⸗ tern die Organisation, wie wir sie früher acceptirt haben, in toto oder im Einzelnen nicht passe, Sie dann beschließen, eine andere Organisation zu machen. Ich würde darin auch gar kein so großes Unglück sehen. Wir sind — und ich glaube nicht, daß der Reichs⸗ tag demnächst zu einer anderen Ueberzeugung kommen wird — wir sind schon durch die Nothwendigkeit, die landwirthschaftlichen Arbeiter in die Unfallversicherung einzubeziehen, für welche der Orga⸗
ismus, den wir
treten. Nur eins möchte ich bemerken, wir sind allerdings nach reif⸗
eerkennt, und noch dazu in einem Moment wo man für den ähnlich
mmehr in die Lage, daß die Entscheidungen der Landesversicherungs⸗
weniger eine Korrektur derselben habe. Nun, meine Herren, daß ist
Landwirthschaft, zu
dem Gesetze vom 6. Juli v. J. adoptirt haben,
111““ 2 “ 8 8 “ S nicht paßt, wir sind schon hierdurch in der Nothwendigkeit, von den dort angenommenen Grundlagen abzuweichen. In dieser Beziehung ist also der Herr Vorredner nicht behindert, die Vorschläge zu machen, die seiner Meinung nach dem Zwecke des Gesetzes besser dienen, und die eine bessere Organisation gewährleisten.
Meine Herren! Der Herr Vorredner ist nun auf die einzelnen Punkte des Gesetzes eingegangen. Ich werde ihm auf diese Punkie nicht folgen, denn ich kann mir kein Resultat davon versprechen, daß wir jetzt schon gewissermaßen paragraphenweise in die Diskussion ein⸗
licher Ueberlegung zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Unfall⸗ versicherung der Beamten sich am besten auf dienstpragmatischem Wege bewerkstelligen läßt, und es ist bereits in dieser Be⸗ ziehung im Gesetzentwurf ausgearbeitet worden. Die Absicht die Beamten, in specie also in diesem Falle die Eisenbahnbeamten, von den Wohlthaten der Unfallversicherung auszuschließen, ist niemals bei den verbündeten Regierungen vorhanden gewesen; im Gegentheil, man
gestelteen Eisenbahnarbeiter die Unfallversicherung schafft, das Be⸗ dürfniß als ebenso dringend an, auch für den Eisenbahn⸗ beamten zu sorgen, aber man glaubt, daß dies am wirksamsten und n zweckmäßigsten auf dienstpragmatischem Wege wird geschehen önnen. .
Wenn der Herr Vorredner dagegen das Bedenken erhoben hat, daß man durch ein Reichsgesetz nicht die Pensionsverhältnisse der Landesbeamten regeln könne, so ist das zwar richtig; wenn aber erst das Reich für seine Beamten auf diesem Gebiete mit gutem Beispiele vorangegangen sein wird, so läßt sich gar nicht anders annehmen, als dieselben Wohlthaten, die Kraft einer Ergänzung des Beamtengesetzes den Reichsbeamten zu Theil werden, auch im Weg der Landesgesetzgebung für die Landesbeamten werden sicher gestellt werden. ,
Meine Herren, nun hat der Herr Vorredner — und das ist der zweite Punkt, zu dem ich voch ein paar Worte bemgerken möchte — bezüglich der Landesversicherungsämter ausgeführt, daß jetzt, wo nach diesem Gesetze und namentlich nach dem Gesetze über die Versicherung der landwirthschaftlichen Arbeiter die Landesversicherungsämter fehr viel mehr in den Vordergrund treten, als wie dies nach dem Unfall⸗ versicherungssetze vom Juli v. J. der Fall ist, da um so ernst⸗ licher zu prüfen sei, ob dieses Institut nicht überhaupt eine gewisse Gefahr in sich berge. Nun, meine Herren, ich kann nicht finden, daß der Herr Vorredner durch seine Ausführungen diese Gefahr als eine besonders dringliche nachgewiesen hat. Er hat gesagt, wolle man die Landesversicherungsämter bestehen lassen, resp. den Kreis ihrer Kompetenz erweitern, so komme man je länger je
ämter in Divergenz treten mit den Entscheidungen des Reich⸗Versicherungs⸗ amts, da beide koordinirt seien, also das Reichs⸗Versicherungsamt keinen Einfluß auf die Entscheidungen der Landesversicherungsämter und noch
auch nach dem Unfallversicherungsgesetz schon der Fall, auch nach diesem kann in ein und derselben Frage eine verschiedenartige Ent⸗ scheidung der Landesversicherungsämter und des Reichs⸗Versicherungs⸗ amts eintreten. Ich persönlich bin gar kein Freund von den Landesversicherungsämtern gewesen; ich hätte viel lieber gesehen, man hätte es dabei belassen, nur das Reichs⸗ Versicherungsamt zu etabliren. Nachdem aber einmal aus verschiede⸗ nen Theilen des Reiches ein so lebhafter Wunsch hexrvorgetreten ist, für diejenigen Industriezweige, die sich innerhalb eines bestimmten Bundesstaates zu einer lebensfähigen Berufegenossenschaft gruppiren können, nicht die Reichskompetenz eintreten zu lassen, sondern eine Landeskompetenz zu schaffen, da habe ich gemeint, mich nicht weiter gegen dieses Unternehmen erklären zu sollen. Wie gesagt, eine Divergenz in den Entscheidungen ist ja möglich, aber das ist schon jetzt mehrfach der Fall. Der eine Richter entscheidet so, der andere entscheidet anders. Gerade das Beispiel mit der verschiedenartigen Behandlung der Beamten, was der Herr Vorredner angeführt hat gegen eine dienstpragmatische Regelung der Unfallversicherung der Be⸗ amten, möchte ich gegen ihn ins Gefecht führen. Auch da ist es möglich, daß der verunglückte Beamte in einem Einzelstaate sehr viel weniger bezieht als wie in einem anderen.
Nun, meine Herren, ich beschränke mich auf diese Ausführungen, indem ich mir eine nähere Besprechung und resp. Widerlegung der Monita des Herrn Vorredners für die Berathung in der Kommission vorbehalte.
Der Entwurf wurde darauf einstimmig an eine Kom⸗ mission von 28 Mitgliedern verwiesen.
Es folgte die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Unfallversicherung der in land⸗ und Forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen. 1G
Der Abg. von Sczaniecki erklärte, die polnischen Ab⸗ geordneten ständen der sozialpolitischen Reformgesetzgebung im Allgemeinen sehr freundlich gegenüber und wünschten ihre Ausdehnung auf immer weitere Kreise der Bevölkerung; seine Partei glaube indeß, daß genügende Erfahrungen über die bisherige Wirksamkeit des Unfallversicherungs⸗Gesetzes noch fehlten, um dieses ohne Weiteres auf den der Zahl der Be⸗ schäftigeen nach umfangreichsten Erwerbszweig, auf die übertragen. Eine Hauptschwierigkeit liege in der Zuziehung auch der kleinen und kleinsten Betriebe zur Versicherung und in der Verpflichtung der Ge⸗ meinden zur Tragung der Kosten des Heilverfahrens für die ersten 13 Wochen der durch den Unfall herbeigeführten Krank⸗ heit. In dem Augenblick, wo dieser Entwurf Gesetzeskraft erlange, werde dadurch den Gemeinden eine ihnen bisher unbekannte Last auferlegt, die sehr leicht zu einer drückenden werden könne. Auch sonst lege der Entwurf der Landwirthschaft eine Reihe neuer und nicht unbedenklicher Verpflichtungen auf; trotz aller dieser Bedenken aber habe seine Partei an der Durch⸗ berathung der Vorlage, welche einen nach Millionen zählenden Theil der Bevölkerung in Mitleidenschaft ziehe, das größte Interesse und befürworte die Ueberweisung an eine Kommis⸗ sion. Schließlich bitte er nur noch, wenn das Gesetz zu Stande gekommen sei, der polnischen Sprache bei den Anmel⸗ dungen und beim schriftlichen Verkehr mit den Behörden die weiteste Zulassung nicht versagen zu wollen.
Der Abg Frhr. von Ow bemerkte, auch seine Partei wolle den Zweck der Vorlage, die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Land⸗ und forstlichen Ar beiter, in Uebereinstimmung mit der schon vor mehreren Jahren ausgesprochenen Ansicht des deutschen Landwirthschaftsraths. Dennoch erkenne er die Ablehnung von Anträgen gleicher Tendenz bei der Berathung des Unfallgesetzes für die industriellen Arbeiter als zweckmäßig und gerechtfertigt an, denn eine direkte Ausdehnung der Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes auf die Land⸗ und Forstwirthschaft wäre sehr unpraktisch gewesen und hätte umfassende Organi⸗ sationsänderungen nöthig gemacht. An Gründen für die Dringlichkeit der gegenwärtigen Vorlage führten die Motive die nicht geringere Unfallgefahr, den Mangel jeder Haftpflicht, auch den des bestehenden ungenügenden Haftpflichigesetzes, die numerisch hervorragende Bedeutung der landwirthschaft⸗ lichen Arbeiter an; alle diese Gründe sprechen nur für die Ausdehnung selbst, nicht für die Dring⸗ lichkeit. Wenn man indeß bedenke, wie großes Interesse die⸗ jenigen Persönlichkeiten an hoher Stelle hätten, möglichst viel
von sozialpolitischen Reformen in kurzer Zeit zu erreichen, so liege die Erklärung dafür, daß diese sozialpolitischen Gesetze I
mit einer gewissen Eile einander folgen sollten, sehr nahe. Bei langsamerem Tempo würde man aber zu viel sicherern und mehr praktischen Resultaten gelangen. Das bestätigten schon die wenigen bisherigen Erfahrungen mit dem Unfall⸗ versicherungsgesetz durchweg. Auch entstehe mit dieser raschen Ausemanderfolge für die Gemeinden und die Verwaltungsbehör⸗ den eine ganz kolossale Ueberlastung; und der vorliegende Ent⸗ wurf vermehre dieselbe noch erheblich. Trotz alledem aber verhalte seine Partei sich keineswegs ablehnend gegen dies Gesetz; im Gegentheil, sie wolle ausdrücklich nicht mißverstan⸗ den sein; seine Partei nehme die Opfer, die den In⸗ dustriellen zugemuthet worden seien, auch in vollem Um⸗ fange auf sich, wenn das Gesetz in einer praktischen Form zu Stande komme. Vor Allem werde die Kommission die ungeheuer wichtige Frage zu prüfen haben, ob nicht vor der Ausdehnung der Unfallversicherung die Ausdehnung des Krankenkassengesetzes zu erfolgen habe. Die Motive beantwor⸗ ten die Frage mit Nein und verwiesen auf die Möglichkeit, statutarisch die Ausdehnung des Krankenkassengesetzes auf die land⸗ und forstwirthschaftlichen Arbeiter anzuordnen. Indessen sei von dieser Fakultät bis jetzt nur ein ganz verschwindender Gebrauch gemacht worden. Auch das patriarchalische Verhältniß zwischen Arbeiter und Arbeitgeber auf dem Lande, worauf die Motive verwiesen, sei immer mehr im Verschwinden begriffen, und die Naturalwirthschaft habe in Deutschland fast ganz aufgehört. Der eigent⸗ liche Grund für das Verfahren der Regierung liege darin, daß die Ausdehnung des Krankenversicherungsgesetzes viel schwieriger sei, da aber die Ausdehnung auch dieses Ge⸗ setzes für die nächste Zukunft in Aussicht genommen sei, so werde die Kommission sich die Prüfung der Vorfrage um so mehr angelegen sein lassen müssen. Im Einzelnen werde schon er Umfang der weiteren Ausdehnung zu den vperschieden⸗ aͤrtigsten Anträgen Veranlassung geben. Erfreulich sei es unter allen Umständen, daß man über den Kreis der eigent⸗ lichen Arbeiter hinausgegangen sei und alle Diejenigen mit einbegriffen habe, welche nicht gegen bestimmten Lohn und Vergütung, sondern als Angehörige der Familie beschäftigt seien, denn diese Kategorie betrage allein etwa 2 ½ Millionen Deutscher. Ebenso bedeutsam sei die Ausdehnung des Zwanges auf sämmtliche land⸗ und forstwirschaftlichen Betriebe; trotz der damit verbundenen enormen Belastung des ganzen Apparates und des unverhältnißmäßigen Steigens der Verwaltungskosten, schließe seine Partei sich in dieser Beziehung doch der Vorlage vollständig an. Sehr human sei die Bestimmung, daß der durchschnittliche Arbeitsverdienst sämmtliche Nebenerwerbe mit umfassen solle; ebenso human sei die andere Bestimmung, daß verunglückten jugendlichen Arbeitern voller Ersatz auch für die ihnen später als Erwachsenen entgehende Arbeit werden solle. Diese humanen Bestimmungen begrüße er als eine weitere Durchführung des praktischen Christenthums in die Gesetz⸗ gebung mit Freude. Aus der Nichtsausdehnung des Krankenversicherungsgesetzes ergebe sich die Schwierigkeit, für die ersten dreizehn Wochen die Kosten des Heil⸗ verfahrens aufzubringen. Die Vorlage verlange, daß die Gemeinden diese Kosten tragen sollen. Der land⸗ wirthschaftliche Arbeiter stehe dabei nicht schlechter als der industrielle; der 116ng ber sogar besser, indem demselben die Beitragspflicht der industriellen Arbeitgeber nicht obliege. Zwingende Gründe aber würden gegen diese Aufbürdung der Last auf die Gemeinden sprechen. Zunächst dieselben prin⸗ zipiellen Gründe, welche zur Ablehnung des Reichszuschusses geführt haben; das Bedenken vor der Hineintragung eines kommunistischen Prinzips in die Gesetzgebung; dann aber auch die ungerechte Wirkung, welche eine solche Bestimmung nach verschiedenen Richtungen ausüben würde. Er meine demnach, daß dieser Theil des Entwurses ganz fallen gelassen werden solle, zumal derselbe das Provisorium nur verlängern würde. Das Korrektere wäre jedenfalls, den Arbeitgebern und ihren Organen, den Berufsgenossenschaften, die Aufbringung der Mittel aufzuerlegen. Ein großer Vorzug des Entwurfs sei die nur fakultative Zulassung der Genossenschaften; bedenklich dagegen die Befugniß der letzteren, die Gefahrenklassen fest⸗ zusetzen. Mit der Vertretung der Arbeiter sei er einverstan⸗
den, obwohl gerade bei der Landwirthschaft die Arbeiter⸗
interessen auch ohne eine solche Vertretung nicht weniger ge⸗ wahrt sein würden. Seine Partei beantrage die Verweisung an eine Kommission von 28 Mitgliedern, vielleicht an die eben beschlossene, und wünsche, daß die Kommissionsarbeit eine fruchtbare sein, das Resultat einen weiteren Baustein zu dem neuen sozialpolitischen Gebäude liefern werde.
Der Abg. Frhr. von Wendt erklärte, auch seine Partei sei ebenfalls für eine Kommissionsberathung des Ertwurfs. Im Allgemeinen liefere die Vorlegung desselben den erfreulicen Beweis, daß die an das Zustande⸗ kommen des Unfallgesetzes geknüpften Hoffnungen sich bewahrheitet hätten. Wären die Schwierigkeiten der Organisation nicht relativ leicht zu überwinden gewesen, so hätte sich die Reichsregierung zu dieser Ausdehnung nicht sogleich entschlossen. An und für sich sei es wünschenswerth, auch der Landwirthschaft alle die Vortheile der Unfallver⸗ sicherung zuzuführen. Aber die Materie sei eine durchaus schwere, und auch der Vorredner, im Allgemeinen gewiß ein warmer Anhänger der Vorlage, habe dieselbe unversehens zer⸗ stückelt. Die Schwierigkeiten seien theils persönlicher, theils realer Natur. Die Vertheilung des Grundbesitzes in Deutschland zerfalle bekanntlich in drei Gruppen. Im Osten und namentlich Nordosten habe man vorwiegend Großgrundbesitz; im mittleren Deutschland den mittleren, und im Westen, namentlich im Süd⸗ westen, den kleinen Grundbesitz. Diese verschiedenen Kategorien machten es schwierig, ein Gesetz zu schaffen, das allen Ver⸗ hältnissen Rechnung trage. Beim Großgrundbesitz werde es verhältnißmäßig leicht sein, Bestimmungen zu finden, welche ohne Weiteres die Ausdehnung der bestehenden Unfall⸗ und Krankenversicherung auf die landwirthschaftlichen Arbeiter möglich machen würden. In den Theilen Deutschlands, wo der mittlere und kleine Grundbesitz fast ausschließlich vor⸗ komme, würde es nicht möglich sein, derartige Bestimmungen einzuführen. Man habe blos als Thatsache hingestellt, daß die Verhältnisse in Bezug auf die Unfallversicherung so schwierig nicht seien, man habe das nachzuweisen unterlassen. Die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes bestätigten seine An⸗ sicht vollkommen. Die ganze Grundlage des Gesetzes sei eine unsichere. Es sei absolut unmöglich, stets zu sagen, wer sei Arbeitgeber und wer Arbeiter. Wie stehe es mit dem, der den größten Theil des Jahres Arbeiter sei, aber dann, wenn er sich Zeit nehme sein Stückchen eigenes Land zu versehen, dazu einen Arbeiter zur Hülfe annehme? Es sei schwer, die Grenze zwischen selbständigen und unselbständigen Leuten in der Land⸗
wirthschaft zu finden. Er glaube deshalb auch, daß es nicht
schon in dieser Session möglich sein werde, aus dem Entwurf ein Gesetz zu machen, wenn er es auch sehr wünsche; er sei aber mit der Ueberweisung desselben an die Kommission, welcher der eben verhandelte Entwurf zugewiesen sei, einver⸗ standen. 8
Der Abg. Dr. Buhl führte aus, sein Standpunkt gipfele in dem einen Satz: jede Art der Unfallversicherung der land⸗ wirthschaftlichen Arbeiter, welche ihre Lage gegenüber dem bisherigen Zustande zu verbessern geeignet sei, werde seinen Beifall finden; auch das unvollkommenste Gesetz werde ein Fortschritt gegenüber den bestehenden Verhältnissen sein, wenn man die Landestheile des rheinischen Rechts aus⸗ nehme, welche in dieser Richtung anders gestellt seien. Bei dem vorigen Unfallversicherungs⸗Gesetz sei dem Arbeitgeber die Fußangel des Haftpflichtgesetzes genommen; in Folge dessen dürfe man auf eine freundlichere Stimmung derselben gegen das Gesetz rechnen. Bei diesem Gesetze aber müsse sich die öffentliche Meinung der Sache annehmen, denn die Arbeitgeber würden sich sträuben, eine Entschädigungs⸗ pflicht anzuerkennen, die ihnen vollständig neu auferlegt werde. Was die Durchführbarkeit des Gesetzes betreffe, so sei zu beachten, daß dasselbe so weit ausgedehnt werden solle, daß der, der fast das ganze Jahr Arbeitnehmer sei, dann, wenn er einmal zur Erntezeit selbst Arbeiter beschäftige, Arveitgeber werde. Es würde sich ferner vielleicht empfehlen, für den Umfang der Vorlage eine Grenze nach unten zu finden, ebenso wie man dies für den Begriff „Fabrik“ gethan habe. Daß die Last während der Karenzfrist durch die Gemeinden getragen 8 werden solle, sei bedenklich; wenn man blos die größeren Betriebe in das Gesetz aufnehmen würde, so werde man diese Last den Betriebsunternehmern auflegen können. Nach der preußischen Gesindeordnung habe der Arbeitgeber bereits eine ähnliche Verpflichtung. Die ganze sozialpolitische Seite des Gesetzes erhalte ein anderes Gesicht, wenn man die Frage der Karenzzeit in dieser Weise regeln würde. Diese Frage komme auf dem Gebiet der Landwirthschaft um so mehr in Betracht, als Maschinen, die tödten, hier seltener seien und die kleineren Unfälle deshalb vorwiegend seien. In den kleineren landwirthschaftlichen Betrieben sei dann die Gefahr wieder noch eine viel geringere. Was die Frage der Organisation betreffe, so wäre es zweckmäßig, die Provinzialvertretungen mit der Einrichtung des Unfallwesens zu betrauen. Die Unterabtheilung in Sektionen werde allerdings durch⸗ geführt werden müssen. In wie weit man die Gemeinden heranziehen könne, werde auch in der Kommission besonderer Prüfung bedürfen. Sodann würden Kautelen für die richtige Regelung der Gefahrenklassen geschaffen werden müssen. Wenn auch die kleineren Betriebe in dem Gesetze bleiben würden, so fürchte er, daß die größeren auf die mindere Gefährlichkeit derselben bei der Bildung der Gefahrenklassen nicht gebührende Rücksicht nehmen würden. Die Berufung der Arbeiter zu Schiedsrichtern und zur Untersuchung der Unfälle scheine ihm eine sehr angreifbare Bestimmung zu sein, und empfehle er dieselbe der besonderen Prüfung der Kommission. Die Reichsgarantie endlich, die man auch in dem vorigen Gesetzentwurfe habe missen können, sei hier noch mehr entbehrlich. 1
Hierauf vertagte sich das Haus um 5 Uhr auf Sonnabend 11 Uhr.
— Im weiteren Verlauf der gestrigen (12.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten ergriff bei Kap. 96 (Straf⸗ anstaltsverwaltung) auf die von dem Abg. Seyffardt (Cre⸗ feld) gemachten Vorschläge in Betreff der Abstellung der Va⸗ gabondage der Staats⸗Minister von Puttkamer das Wort:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat in seinen Aus⸗ führungen eine Reihe von Gegenständen berührt, deren eminente Wichtigkeit für das Volkswohl in keiner Weise verkannt werden kann, und ich darf sagen, daß ich den mir von ihm empfohlenen Ar⸗ beiten des Kongresses für Armenpflege mit der größten Sorg⸗ falt gefolgt und sogar damit beschäftigt bin, ernsthaft zu er⸗ wägen, welche Resultate für die Verwaltung sowohl wie für die Gesetzgebung aus diesen Arbeiten zu ziehen sein möchten. Indessen, meine Herren, darf doch andererseits nicht un⸗ beachtet bleiben, daß der Herr Vorredner ein Programm von einer so kolossalen Ausdehnung auf dem ganzen hier in Frage kommenden Gebiet des Va gabondenwesens und der Armenpflege entwickelt hat, daß ich mir doch glaube versagen zu müssen, meinerseits in die Details dessen, was er hier allerdings nur in allgemeinen Strichen angedeutet hat, näher einzugehen, schon aus dem einfachen Grunde, weil ja, wie er selbst anerkannt, die mögliche Lösung dieser Frage größtentheils auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung liegen wird, während nur ein verhältnißmäßig geringer Theil den Organen der preußischen Gesetzgebung resp. der preußischen Verwaltung anheimfallen könnte.
Ich habe wesentlich das Wort genommen, um im Anschluß an die Eingangsäußerungen des Heern Vorredners ctwas zu betonen, was zu betonen, wie ich sagen darf, mir zur großen Freude gereicht. nämlich, daß durch die im Laufe der letzten Jahre immer mehr sich entwickelnde freie Liebesthätigkeit auf dem Gebiete der Vorbeugung und Abhülfe des Vagabondenwesens Ergebnisse und Resultate ge⸗ zeitigt worden sind, die meines Erachtens über alles Erwartete hinausgehen. “
Ich erinnere hier blos an zwei Institutionen, die theils isolirt, aber namentlich auch in ihrer Kombinirung mit einander nach allen Wahrnehmungen und Erfahrungen von den allerwohlthätigsten Folgen auf die Linderung — ich will nicht sagen: Abstellung — des so sehr zum Unsegen des Landes gereichenden Vagabondenthums gewesen sind; — ich meine: die Verpflegungsstationen und die Arbeiter⸗ kolonien. 1
Meine Herren! Ich glaube auch, daß es niemanden, der sich einen Menschenfreund nennt, geben wird, der etwa Anstoß daran nimmt, daß wenigstens ein großer Theil dieser Einrichtungen, und jedenfalls der bahnbrechende, wesentlich auf christlichem Boden er⸗ wachsen ist; ich will dies doch hier besonders betont haben.
Es ist zu konstatiren, daß jetzt vielleicht schon ein Drittel aller landräthlichen Kreise der Monarchie ein wohlgeordnetes Netz von Verpflegungsstationen mit den allgemeinen bekannten Zwecken besitzt. Ich brauche nicht näher zu erörtern, daß diese Einrichtung — nament. lich mit Rückficht darauf, daß die in diesen Verpflegungsstationen Aufnahme findenden Personen sich demnächst auch den Arbeiter⸗ kolonien anschließen und dort das Ende ihrer bisherigen unstäten Laufbahn finden — daß diese Einrichtunz sich in hohem Maße bewährt hat. In der Mehrzahl der Provinzen sind auch schon diese Arbeiterkolonien eingerichtet und, wie ich ich aus eigener Anschauung zu meiner Freude bekunden kann, in segensreichster Wirksamkeit begriffen. Man muß in der That wiederholt Zeuge des Arbeiterbetriebes und namentlich auch der Fürsorge nach der Ent⸗ lassung aus der Arbeiterkolonie für einzelne in ihnen verkehrende In dividuen gewesen sein um beurtheilen zu können, in wie hohem Maß segensreich diese Einrichtung seit ihrer Entstehung gewirkt hat und noch fortdauernd wirkt. Ich kann nämlich betonen, daß mir bei dem Besuch einer dieser Arbeiterkolonien — ich glaube, es war die zu Käbdorf in Hannover — nach einer kaum mehrmonatlichen Wirksam keit derselben die Bücher gezeigt wurden, welche die Verwaltung anlegt über jeden Einzelnen, der nach mehrmonatlichem Aufent halt in der Anstalt nach seiner Heimath oder in eine neu (Krbeitsstätte entlassen war; und daß die Correspondenz