v
Hüttenwerke beruft eine Generalversammlung ein, auf deren Tagesordnung die Frage der Liquidation des Unternehmens steht.
Submissionen im Auslande.
8 I. Dänemark.
25. Februar, Mittags. Direktion der Seeländischen Staats⸗ bahnen. Lieferung von 66 800 Stück Schwellen. Bedingungen für die Lieferung und Beschreibung für das Imprägnirungsverfahren können im Komtoir des Ober⸗Ingenieurs auf dem Bahnhofe zu Kopenhagen in Empfang genommen werden.
„II. Italien.
1) 16. Februar. Schiffsbau⸗Direktion des II. Seedepartements zu Neapel. Lieferung von Blei in Scheiben, Klumpen, Röhren. Vor⸗ anschlag 40 200 Lire. Kaution 4000 Lire.
2) 18. Februar, 3 Uhr. Artillerie⸗Direktion der Gießerei zu Genua. 4000 m Segeltuch (je 1500 m zu 805 und 760 mm und 1b— — zu 690 mm Breite). Voranschlag 12 600 Lire. Kaution 1 ire.
3) 19. Februar. Rom. Generaldirektion der Eisenbahnen. Arbeiten und Lieferungen für Bau der Strecke Viareggio⸗Quiesa, auch der Eisenbabhn Lucca — Viareggio. Bahnlänge 8428,86 m. Vor⸗ anschlag 1 630 000 Lire. Kaution prov. 66 000, defin. 132 000 Lire.
4) 19. Februar, 10 Uhr. Artillerie⸗ und Torpedo⸗Direktion des I. See⸗Departements zu Spezia. Papier und Karnzleigegenstände. Voranschlag 24 899,60 Lire. Kaution: 2500 Lire. .
Die näheren Bedingungen an Ort und Stelle.
„III. Oesterreich. 8 23. eh2 Mittags. Wien. General⸗Direktion der österr. Staatsbahnen in Wien. Für den Bau der Linie Stryi— Beskid und die Station Strozi Lieferung von 6225 t Schienen, 428 t Winkellaschen, 58 t Laschenschrauben, 291 t Unterlagsplatten, 193 t Hakennägeln. Die näheren Bedingungen bei der Fachabtheilung für Bau⸗ und Bahnerhaltung der General⸗Direktion.
IV. Spanien.
24. April. Cadiz. Sociedad cooperativa Gaditana de Fabri- cacion de Gas. Aufstellung der Pläne für eine Gasfabrik, welche etwa 12 000 Flammen speisen kann, deren jede täglich etwa 600 1 Gas verbraucht, sowie die nöthigen Röhrenleitungen. Die näheren Bedingungen in der Expedition des „Deutschen Reichs⸗Anzeigers“.
Verkehrs⸗Anstalten.
Bremen, 9. Februar. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Fulda“ ist gestern früh in New⸗York, und der Dampfer „Amerika“ von derselben Gesellschaft gestern in Baltimore eingetroffen.
Hamburg, 10. Februar. (W. T. B.) Der Postdampfer „Suevia“ der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesellschaft hat, von New⸗York kommend, gestern Nach⸗ mittag 6 Uhr Lizard passirt.
New⸗York, 9. Februar. (W. T. B.) Der Dampfer „Helvetia“ von der National⸗Dampfschiffs⸗Compagnie (C. Messingsche Linie) ist hier angekommen.
8
Berlin, 10. Februar 1885.
Das Reichs⸗Postamt hat gestattet, daß Sendungen an die in Reih und Glied stehenden Soldaten bis zum Feldwebel oder Wachtmeister einschließlich aufwärts, soweit diese Sendungen auf Porto⸗ vergünstigungen Anspruch haben, vom Absender mit kleinen Zetteln von weißem oder gelbem Papier beklebt werden dürfen, auf welchen die Bezeichnung: „Soldatenbrief. Eigene Angelegenheit des Em⸗ pfängers.“ in schwarzem Drucke hergestellt ist.
Die Zettel können für alle derartigen an Soldaten ꝛc. gerichteten Sendungen Verwendung finden; bei Postanweisungen und Begleit⸗ adressen zu Packeten müssen dieselben in den für die Aufschrift be⸗ stimmten Raum geklebt werden. 8
Die Briefmarken⸗Handlung von H. J. Dauth in Frankfurt a. M., Vilbelerstraße 29, hat die Massenanfertigung dieser Soldaten⸗ briefmarken übernommen.
Der Deutsche Landwirthschaftsrath begann gestern die Spezialdebatte über die Tarifvorschläge der Referenten. Die Position 1: für Weizen und Roggen (früher 1 ℳ) 3 ℳ per 100 kg Zoll zu fordern, gelangte einstimmig zur Annahme. — Eine lange, lebhafte Debatte veranlaßte die Position 2, laut welcher die Referenten für Gerste, Mais und Buchweizen einen Zoll von 1 ℳ 50 ₰ per 100 kg fordern. Mit 31 gegen 17 Stimmen wurde jedoch beschlossen: für Gerste und Buchweizen 2 ℳ und mit 28 gegen 21 Stimmen für Mais 1 ℳ 50 ₰ pro 100 kg zu fordern. Für Hafer und Hülsenfrüchten sowie nicht besonders genannte Getreidearten wurde ein Zoll von 2 ℳ, für Anis, Koriander, Fenchel und Kümmel 3 ℳ, für Raps. Rübsen und andere Oelsaaten 3 ℳ, für frische Wein⸗ beeren 15 ℳ, für neues Gemüse 5 ℳ, für Malz 3 ℳ 70 ₰, für getrocknete Cichorie, gedörrte Rüben 1 ℳ, für Mühlenfabrikate aus Getreide und Hülsenfrüchten sowie ferner für geschälte Körner, Graupe, Gries, Grütze, Mehl, gewöhnliches Backwerk und Backwaaren aller Art (früher 3 ℳ) 7 ℳ 50 ₰ pro 100 kg zu fordern beschlossen. — Eine längere De⸗ batte entspann sich hierauf über die Vieh⸗ bezw. Fleischzölle. Es wurde beschlossen: für ausgeschlachtetes, frisches und zubereitetes Fleisch, für Fleischextrakt und Tafelbouillon einen Zoll von 20 ℳ, für nicht lebendes Wild und Geflügel aller Art (bisheriger Satz 12 ℳ) 30 ℳ, für frische Fische 3 ℳ, für gesalzene Fische (mit Aus⸗ nahme der Heringe) 3 ℳ, für Kaviar und Kaviarsurrogate 150 ℳ, für Austern, Hummern und Schildkröten (bisher 24 ℳ) 100 ℳ, für Honig (bisher 3 ℳ) 20 ℳ pro 100 kg, für Pferde (bisher 10 ℳ) 30 ℳ, für Stiere und Kühe 9 ℳ, für Ochsen 30 ℳ, für Jungvieh 6 ℳ, für Schafe 2 ℳ, für Lämmer 1 ℳ, für Kälber 3 ℳ, für Schweine 6 ℳ, für Spanferkel 1 ℳ pro Stück, für Butter (auch Kunstbutter) 30 ℳ und für Käse 20 ℳ Zoll pro 100 kg zu fordern. — Endlich wurde noch beschlossen: für rohen Flachs einen Zoll von 2 ℳ, für gehechelten Flachs 5 ℳ, für Schaf⸗ wolle a. im Schmutz 15 ℳ, b. Rückenwäsche 30 ℳ, c. Fabrikwäsche 45 ℳ pro 100 kg zu fordern. — Sodann wurde die Sitzung auf heut vertagt. . 3
In der heutigen fünften und letzten Sitzung veranlaßten die Holzzölle eine lange, lebhafte Debatte.
Schließlich wurde ein Antrag angenommen, nach welchem Bau⸗ und Nutzholz 1) roh oder bearbeitet, eichene Faßdauben, ungeschälte Korb⸗ weiden und Reifenstäbe 30 ₰ pro 100 kg oder 1 ℳ 80 ₰ pro 1 fm, 2) mit der Art bewaldrechtet 40 ₰ pro 100 kg oder 2 ℳ 40 ₰ pro 1 fm, 3) in der Richtung der Längsachse beschlagen, ge⸗ sägt ꝛc. 1 ℳ pro 40 kg oder 6 ℳ pro fm, 4) nicht gehobelte Bretter, beschlagene oder gesägte Kanthölzer und ähnliche Säge⸗ und Schnittwaaren 2 ℳ pro 100 kg verzollt werden soll. 1
Im Weiteren gelangte der Antrag des Geh. Raths Prosessors Dr. Stöckhardt und ferner folgender Antrag des Präsidiums: „Der deutsche Landwirthschaftsrath spricht den verbündeten deutschen Re⸗ gierungen für die Tarifvorlage besten Dank aus“ zur Annahme. — Ein Antrag auf Einführung einer Brodtaxe wurde zurückgezogen. b “ war die Diskussion über die landwirthschaftlichen Zölle
eendet.
Den folgenden Gegenstand der Tagesordnung bildete die Frage der Zuckersteuer Der diesbezügliche Referent, Graf von Lerchenfeld (Häfering) befür⸗ wortete Namens der Kommission die Annahme folgender Resolution:
Der Deutsche Landwirthschaftsrath wolle beschließen:
.¹) Wenn sich auch zur Zeit das Vorgehen der gesetzgebenden Organe darauf wird beschränken müssen, die Verlängerung des Noth⸗ gesetzes vom 7. Juli 1884 für böchstens 2 Jahre herbeizuführen, so liegt doch eine weitere Ferisc⸗ Behandlung der Zuckerbesteuerungs⸗ frage nicht im landwirthschaftlichen Interesse.
2) Jedes Gesetz, durch welches die Zuckersteuer wesentliche Aen⸗ derungen erfährt, ist mindestens 1 ½ Jahr vor der Inkrafttretung zu
erlassen.
. 3) Jede zu wählende Steuerform muß das Ziel verfolgen, den einheimischen Konsum zu steigern, weil nur durch stetige Vermehrung des inländischen Verbrauchs eine dauernde Prosperität der landwirth⸗ schaftlichen Zuckerindustrie zu erwarten ist.
.4) Die im Jahre 1884 gewählte Zuckersteuerkommission besteht in ihrer jetzigen Zusammensetzung fort, um bei der bevorstehenden Aenderung der Zuckersteuer die landwirthschaftlichen Interessen bei den gesetzgebenden Faktoren zu vertreten.
5) Der Landwirthschaftsrath überweist den Antrag Knauer dieser Kommission als Material für ihre weitere Berathung und eventuelle Beschlußfassung.“
Diese Resolution wurde fast einstimmig angenommen. — Die Tagesordnung war damit erschöpft, und der Vorsitzende von Wedell⸗ Malchow schloß hierauf mit einem dreifachen Hoch auf Se. Ma⸗ jestät den Kaiser, die deutschen Bundesfürsten und die freien deutschen Reichsstädte die dreizehnte Sitzungsperiode des deutschen Landwirthschaftsraths.
Die am Sonntag, den 22., in Berlin (im Architektenhause) stattfindende zweite ordentliche Generalversammlung des Deutschen Kolonialvereins hat durch verschiedene Punkte der Tagesordnung (von der wir durch die⸗Deutsche Kolonialzeitung“ Kenntniß erhalten) für seinen über ganz Deutschland verbreiteten Mitgliederkreis ein hohes Interesse, ja eine große Tragweite in Bezug auf seine dem⸗ nächstige Thätigkeit. Besonders aus Nord⸗ und Mitteldeutschland ist daher eine ansehnliche Betheiligung zu erwarten, wie auch sämmtliche Zweigvereine und Sektionen (ungefähr 35) durch Delegirte vertreten sein werden. Das außerordentlich schnelle Wachsthum des Vereins — in zweijährigem Bestehen auf ca. 9500 Mitglieder — wie die Bildung der vielen Zweigvereine machen eine Neugestaltung der Satzungen nothwendig; hierbei wird aber auch von verschiedenen Seiten beantragt, den Sitz des Deutschen Kolonialvereins von Frank⸗ furt a. M. nach Berlin zu verlegen. Die Motive, die hierfür von dem Zweigverein Chemnitz angeführt werden, betonen, daß die Thätigkeit des Vereins die praktische Lösung der Kolonialfrage in nächster Zeit in Angriff nehmen müsse, daß diese Aufgaben aber angesichts der Ent⸗ wickelung der deutschen Kolonialpolitik den Kolonialverein, als den bedeutendsten Träger dieser Bewegung, davauf hinweisen, in der Reichs⸗ Hauptstadt selbst seine Bestrebungen zu centralisiren, wo die einfluß⸗ reichen Strömungen sich vereinigen. Von anderer Seite (es ist der Mittelbadische Zweigverein) wird die Uebersiedelung nach Berlin noth⸗ wendig erachtet, um die Auswanderungsfrage — als die zunächst dringlichste — unter fortwährender Fühlung mit den leitenden Faktoren des Reiches lösen zu können. Von ganz besonderem Interesse wird aber die sich an den Antrag des Professor Dr. Fischer⸗Marburg knüpfende Diskussion werden, welcher die Thätigkeit und die Aufgabe des Vereins nach der praktischen Seite hin erweitern will, insbesondere durch „Errichtung einer aus erprobten sich ausschließlich dieser Thätig⸗ keit widmenden Kräften gebildeten Kanzlei als einer allgemeinen, ohne Entgelt Jedermann zugänglichen Vorbereitungs⸗ und Auskunfts⸗ stelle für private überseeische Unternehmungen Deutscher“. Wenn nun dieser Antrag schon bei seinem ersten Bekanntwerden auf der Eisenacher Versammlung großen Sympathien begegnete, so wird er es jetzt um so mehr, als derselbe nunmehr eine Erweiterung dahin erfahren hat, daß diese zu bildende Kanzlei als eine Centralstelle für im ganzen Reich zu errichtende Auskunftsstellen zu organisiren sei, welch' letztere besonders der Einwirkung der Auswanderer⸗Agenten entgegen zu arbeiten berufen sein sollen. Endlich wird die Generalversammlung des Deutschen Kolonialvereins aber noch die für den überseeischen deutschen Handel so überaus wichtige Währungsfrage zur Be⸗ sprechung bringen. Wie wir hören, hat Hr. Ober⸗Bürgermeister Dr. Miquel Frankfurt (Vize⸗Präsident des Kolonialvereins) das Referat hierüber übernommen.
Von der Kommission für den Bau des Kestner⸗Museums in Hannover werden die im Deutschen Reich ansässigen Architekten vurch ein eben veröffentlichtes Preisausschreiben zur Betheili⸗ gung an einer öffentlichen Konkurrenz eingeladen, zu welcher die Ent⸗ würfe bis zum 1. Juni d. J. an den Magistrat der Stadt Hannover einzureichen sind. Das m errichtende Gebäude, das dazu bestimmt ist, die von dem Hrn. H. Kestner der Stadt überwiesenen Kunst⸗ sammlungen aufzunehmen, soll seinen Platz in den Anlagen am Friedrichswall erhalten, nach den Bestimmungen des Stif⸗ ters in echtem Material unter Verzicht auf jede nicht nothwendig erforderliche Dekoration durch Ornamentik, Malerei oder Plastik im Renaissancestyl ausgeführt werden und in drei Geschossen eine in dem Programm nach Bestimmung und Umfang eingehend spezialisirte Reihe von Sammlungs⸗, Biblio⸗ theks⸗ und Diensträumen umfassen. Die Baukosten dürfen den Betrag von 236 000 ℳ nicht überschreiten, wobei jedoch die Kosten für die innere Einrichtung zur Unterbringung der Sammlungsgegen⸗ stände und diejenigen für die Anlage der geforderten Centralheizung ausgeschlossen bleiben. Außer Situationsplan, Erläuterungsbericht und Kostenanschlag werden an Zeichnungen die Grundrisse sämmtlicher Geschosse, die äußeren Ansichten des Gebäudes und die zur Erläute⸗ rung des Projekts erforderlichen Durchschnitte in vorgeschriebenen Maßstäben gefordert, während eine perspektivische Ansicht vom Friedrichswall aus als erwünscht bezeichnet wird. Für den relativ besten Entwurf ist ein Preis von 2000 ℳ, für den zweitbesten ein Preis von 1000 ℳ ausgesetzt und der Ankauf weiterer Entwürfe zu je 500 ℳ vorbehalten. Nach erfolgter Entscheidung durch die aus dem Geheimen Regierungs⸗Rath Hase, dem Ober⸗Baurath Mithoff, den Malern Kestner und Laves, dem Rechtsanwalt Fischer und dem Stadt⸗Baurath Bokelberg in Hannover sowie dem Baurath Professor Ende in Berlin bestehenden Jury werden sämmtliche Entwürfe im Rathhaus zu Hannover öffentlich ausgestellt werden. Ausführliche Programme werden auf Verlangen von dem Stadt⸗Baurath Bokkel⸗ berg übersandt.
Der Lokalausschuß des Vereins zur Besserung entlassener Strafgefangener tagte gestern unter Vorsitz des Geheimen Ober⸗ Justiz⸗Raths Starke im Präsidialsaal des Landgerichts in der Jüden⸗ straße. Die Versammlung erörterte namentlich die Frage, wie man sich zu der evangelischen Vereinigung zu stellen habe, die sich behufs Pflege der Entlassenen gebildet hat. Die Nothwendigkeit einer größeren seelsorgerischen Thätigkeit, namentlich den jugendlichen Straf⸗ entlassenen gegenüber wurde allseitig anerkannt, zugleich aber besonders von Pastor Torfstecher betont, daß die Geistlichen selbst, bei der Ueberhäufung mit Arbeit, der sie in Berlin ausgesetzt seien, wohl kaum sich noch diesem Zweige der Thätigkeit widmen könnten. Die neue evangelische Vereinigung, die, wie Ober⸗Inspektor Homuth mittheilte, für jede Parochie einen Pfleger bestellen will, könne somit in der That eine große und segensreiche Wirksamkeit entfalten, wenn sie Hand in Hand mit dem Verein gehe; eine Zersplitterung der Kräfte müsse jedoch im Interesse der Sache unter allen Umständen vermieden werden. Gerade dem Ver⸗ brecherthum gegenüber sei, wie der Vorsitzende hervorhob, eine einheitliche Operation nöthig, um einer Ausbeutung der Wohlthätigkeit vorzubeugen. Es gelte vor Allem, die von den verschiedenen Organen gesammelten Mittel einheitlich zu verwenden, und es empfehle sich das auch aus dem Grunde, weil die armen Gemeinden gerade die meisten, die reichen die wenigsten Strafentlassenen in sich schlössen, die Strafentlassenen im Allgemeinen auch einen stark fluktuirenden Bevölkerungstheil bildeten. Ober⸗Inspektor Homuth theilte hierauf mit, daß die evangelische Vereinigung in der That beabsichtige, aus den von den Kirchengemein⸗ den aufgebrachten Mitteln den Verein zu subventioniren, und daß die Pfleger streng angewiesen werden sollen, außer in Fällen aller⸗ dringendster Noth keine Unterstützungen zu bewilligen, ohne sich vor⸗ her mit dem Verein in Verbindung gesetzt zu haben. Diese Mit⸗ theilung wurde mit größter Befriedigung aufgenommen und der Hoff⸗ nung Ausdruck gegeben, daß das gemeinsame Wirken von immer ge⸗ segneterem Erfolg begleitet sein möge. Lehrer Brosche regte dann noch an, auch die Waisenräthe für die Beaufsichtigung der Jugend⸗ lichen zu gewinnen. — Was die Thätigkeit des Vereins betrifft, so ist namentlich das Arbeits⸗Nachweise⸗Bureau wieder sehr in Anspruch
—
Zumeist meldeten sich täglich über 100 Arbeit⸗ 8 in 1 gg 8—, b-ene; 12 Per⸗
nen eingetragen; rbeit konnte leider nur nach⸗ e G Eine neue Arbeitsstätte hat sich c Verein im Grunewald erschlossen; die Leute verdienen dort täglich etwas über 2 ℳ Von mehreren Seiten sind dem Verein alte Kleidungsstücke überwiesen worden, die er für seine Pfleglinge gerade jetzt sehr aut verwerthen kann. In die Abtheilung der Jugendlichen wurden 3 Entlassene neu aufgenommen; alle drei waren vaterclos und nur in Folge mangelnder Erziehung auf den Weg des Verbrechens
geführt worden.
lenommen worden. e Neu wurden
Der Berliner Kinderschutzverein hielt gestern Aben unter Vorsitz des Hrn. v. d. Wyngaardt im Bürgersaale des Rath.
hauses seine diesjährige Generalversammlung ab. Der Verein hat, wie der Bericht konstatiren konnte, auch im vergangenen Jahre eine segensreiche Wirksamkeit entfalten können. Leider ist die Zahl der Mitglieder etwas zurückgegangen; 52 traten aus nur 38 gewann der Verein neu, sodaß er jetzt nur 1042, gegen 1056 Mitglieder im Vor⸗ jahr, zählt. Am Wedding sowie in der Rosenthaler und Schön⸗ hauser Vorstadt macht sich vor Allem der Mangel an Pflegedamen wie auch von Herren als recherchirenden Mitgliedern geltend. Die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen betrugen 5397 ℳ An ein⸗ maligen Beiträgen gingen von 324 Wohlthätern 487 ℳ ein, an Ge⸗ schenken wurden 240 ℳ überwiesen. Die zum Besten des Vereins veranstaltete Matinée brachte 870, der Bazar 4461 ℳ. Erträge an Pflegegeldern wurden 7962 ℳ vereinnahmt, sodaß die Gesammteinnahme, einschließlich der 2538 ℳ Zinsen und einiger kleiner Posten, die Höhe von 23 502,70 ℳ erreichte. Durch diese Mittel wurde der Verein in die Lage versetzt, 154 Kindern (4 mehr als im Vorjahr) seinen Schutz angedeihen zu lassen. Davon verstarben im Laufe des Jahres 34, ein höherer Prozentsatz wie sonst, trotzdem sich im Allgemeinen die Sterblichkeitsziffer in Berlin günstiger gestaltet hat; der überaus traurige Zustand, in dem die Kinder zumeist dem Verein übergeben werden, mag wohl die Ursache dieser Erscheinung sein. Aus der Pflege entlassen wurden 42, und zwar 6, weil die Verhältnisse der Mutter sich gebessert, eins, weil die Mutter Berlin verließ, 10, weil die Mütter heiratheten (und zwar in 3 Fällen den Vater des be⸗ treffenden Kindes), 3 wurden in ein Waisenhaus gebracht, und 13 Kinder wurden entlassen, weil sie das dritte Lebensjahr erreicht hatten; 6 davon verblieben bei ihren bisherigen Pflegeeltern. 4 Kinder konnten den Vätern zurückgegeben werden, nachdem diese sich wieder verheirathet hatten, und der Rest wurde ven den Angehbörigen aus sonstigen Gründen, zurückgefordert. Es blieben somit am 1. Januar 78 Kinder in der Pflege des Vereins. Verausgabt wurden für die Kinder 15 840 ℳ an Pfleggeldern, 715 ℳ an Arznei und Stärkungs⸗ mitteln, 428 ℳ an Honorar für ärztliche Bemühungen und 261 ℳ zum Ankauf von Kleidungsstücken; 3066 ℳ erforderte die Verwaltung, 555 ℳ die Veranstaltung des Bazars. Die Gesammtausgabe belief sich auf 22 532,50 ℳ; es blieb somit ein Ueberschuß von 970 ℳ 20 ₰; in Folge dessen wuchs das Vermögen des Vereins von 57 932 ℳ 60 ₰ auf 58 902 ℳ 80 ₰; 53 500 ℳ sind davon als eiserner Fonds reservirt. Die bisherigen Mitglieder des Vorstandes wurden wieder gewählt, eine noch vorhandene Lücke auszufüllen dem Vorstande jedoch selbst überlassen. 8 1
Im Verlage der Optischen Industrie⸗Anstalt von b Bartels in Rathenow erschien eine Schrift, welche von einer neuen interessanten Erfindung handelt, nämlich einem Apparat zum Unhörbar⸗ machen von Tönen und Geräuschen. Der Erfinder, M. Pleßner, hat demselben den Namen „Antiphon“ gegeben. Der Erfinder, zugleich Verfasser der Schrift, führt in derselben aus, daß sich bei der stetigen Zunahme geräuschvollen Verkehrs in allen größeren Verkehrscentren und der dadurch verursachten Ueberreizung der Gehörnerven das Bedürfniß nach einer Vorrichtung immer dringender fühlbar mache, mittelst deren man in den Stand gesetzt werden könne, inmitten dieser Geräusche Stille um sich her zu schaffen. Es müsse daher als eine dringende Aufgabe der Gegen⸗ wart bezeichnet werden, Abhülfe zu schaffen gegen eine Vollkommen⸗ heit des akustischen Sinnes, welche sich allmählich als unbequem zu erweisen beginne. Ein solcher, allen berechtigten Ansprüchen genügender Nothbehelf sei nun nach Angabe des Verfassers gefunden worden in Gestalt dieses kleinen, den äußeren Gehörgang luftdicht abschließenden Apparats, welcher in Art eines Wellenbrechers die Brandung heftiger Luftoscillationen bricht, ehe sie das Trommelfell erreichen. Das Instrument, welches mit Leichtigkeit in der Ohr⸗ muschel selbst befestigt und wieder daraus entfernt werden kann, und ähnliche Dienste für den Gehördienst zu verrichten bestimmt ist, wie sie die Augenlider dem optischen Sinne leisten, schwäche die Schallwellen, ohne sie absolut unhörbar zu machen, doch in so beträchtlichem Maße ab, daß Töne und Geräusche von mäßiger Intensität thatsächlich unhörbar gemacht werden könnten. Jedes direkte Erschüttern des Trommelfells werde durch eine am unteren Ende des Antiphons befindliche, den äußeren Gehörgang luftdicht abschließende hohle Kugel verhindert, während das obere Ende des Instruments in der eigentlichen Ohrmuschel Aufnahme findet, und, von der Gegenleiste der Aurikel umfaßt, in einer solchen Lage erhalten wird, daß ein jedes Berühren des Trommelfells ausgeschlossen ist. Was die Form des Antiphon betrifft, so ergab sich als praktisches Resultat einer größeren Anzahl von Konstruktionsversuchen ein Apparat von ankerartiger Gestalt, nur daß an Stelle der Ankerarme eine Kugel, und an Stelle des Ankerstockes eine halbmondförmige Scheibe an dem diese Theile verbindendenSchafte befestigt sind. Die Sehne der halb⸗ mondförmigen Scheibe mußte dabei an beiden Enden nach oben zu etwas ausgebaucht werden zu dem Zweck, um Raum zu bieten für das vordere Ende der bei vielen Personen in eine scharfe Spitze aus⸗ laufenden Ohrenkrempe; ein in der Scheibe befindliches Loch dient zum Aufhängen des Apparats an einem kleinen Karabinerhaken, sodaß man denselben zu stetem Gebrauch bereit halten kann. Die An⸗ fertigung und der Engrosvertrieb der Antiphone ist von dem Erfinder der optischen Industrie⸗Anstalt von Schulze u. Bartels in Rathenow anvertraut worden. Die Antiphon⸗Erfindung ist durch deutsches Reichspatent geschützt.
Im Circus Renz üben die „lustigen Heidelberger“ immer noch die gleiche Anziehunzskraft. Die Galavorstellung am Sonn⸗ abend war wieder besonders glänzend ausgestattet. Das hippologische Potpourri, die staunenswerthen Tremplinsprünge, die Schulpferde und die eleganten Reiterproduktionen waren im Stande, das zahl⸗
ich versammelte Publikum über drei Stunden zu unterhalten.
Der diesjährige Fastnachtsball im Krollschen Eta⸗ blissement, am Deenstag, den 17. Februar, wird sich durch eine besonders anziehende Neuerung auszeichnen. Es werden nämlich eine Reihe lebender Bilder nach Meisterwerken von Rubens, Thorwaldsen, Canova und Makart zur Vorführung gelangen und von der für diesen einen Abend engagirten Damengesellschaft Excelsior“ aus Wien, unter Lei⸗ tung des Hrn. Joseph Maizenovia gestellt werden. Makarts „Jagd⸗ zug der Diana“ und die allegorische „Blumenfontaine“ dürften ein hervorragendes Interesse erregen.
Redacteur: Riedel.
Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W. Elsne
Sieben Beilagen einschließlich Börsen⸗Beilage).
Berlin:
dem
Gründen befürworte seine Partei
Erste Beilag
8
8⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 10. Februar
1885.
Deutsches Reich.
8 sahvweifung v“ 8 1. Januar bis 31. Januar 1885 innerhalb des deutschen Zollgebiets mit dem Anspruch
ZAA1111“
.“
auf Zoll⸗
und Steuervergütung abgefertigten Zuckermengen. ¹)
vvrheaneeen
Menge des abgefertigten Zuckers.
Kandiszucker und Zucker in weißen vollen harten Broden, (Nr. 697 des statistischen Waarenverzeichnisses)
in der Zeit
vom 16. bis 31. Jan.
kg
zusammen
Aller übrige harte Zucker, sowie alle weißen trockenen Zucker in Krystall⸗, Krümel⸗
und Mehlform von mindestens 4 jstische dSoec ven geis ft (Nr. 999 des statistischen
(Nr. 698 des statistischen Waarenverzeichnisses) Waarenverzeichnissee) 8
Rohzucker von mindestens 88 % Polarisation
in 1“q der Zeit der Zeit vom vom 1. Jan. bis 1. Jan. bis 16. bis
15. Jan. 15. Jan. 31. Jan.
kg kg V kg kg
in der Zeit
vom 16. bis 31. Jan.
in der Zeit .588 zusammen
Preußen. Provinz Ostpreußen. Westpreußen. Brandenburg — Pommern.. 316 389 1 ͤ1ö116““ — “ — Sachsen einschließlich der Schwarzb. Unterherrschaften] 1 007 036 Schleswig⸗Holstein. 330 421 eeee“ 552 4 739
estfalen. 723 363
239
1185 376 317 258 3 249 4617
437 257
504 628
2 192 412 647 679
3 801
9 356
1 160 620
V
4 617 321 5 899 917 2 966 582 2 148 096
16840 a- 3 446 212 1 549 182
18 145 124 6 448 243 8 668 707 10 038 678
10 517 238 5 114 678 1 634 800 4 995 394
24 593 367 18 707 385
464 841 1 535 410 625 942
341 687, 470 175 538 755
806 528 2 005 585 1 164 697
64425 64 425 569 735 1 109 59] 1 679 326
2 135 996. 334 958
Hessen⸗Nassau Rheinprovininz. Sa. Preußen 2 382 500 293 005 6 465
9 919 9 711 — 69 931
88 X“ — Mecklenburg “] Thüringen, einschließl. d. Großh. sächsischen Aemter Allstedt und e““
419 831
“* 1b — —
4 518 496
627 963 6 465 19 630 69 931
747289
67 242 188 120 697
38 713 681 28 828 507 120 498
2 636 193 1 425 042 4 061 235
149 888 149 883
802 099 350 350
184 963 379 995 F 200 200
88 5
Ueberhaupt im deutschen Zollgebiet 5013 382 2976 892 In demselb. Zeitraum d. Vorjahres 2 063 914 2 838 4440
5 990 274 4 902 358
39 106 433 29 558 784 68 665 217
57 21 305 042 24 879 534] 46 184 576
2 739 770
2 809 566 1 266 682
1 610 005 1 473 088
¹) Die Nachweisung bezieht sich auf diejenigen Zuckermengen, welche zum Export oder zu einer öffentlichen Niederlage abgefertigt
nd dadurch dem inländischen Beerlin, den 7. Februar 188
Markte entzogen worden sind, nicht also auf die wirklich zur Aus
u“
Kaiserliches Statistisches Amt. Becker. 8
Nichtamtliches.
Preußen. Berlin, 10. Februar. Im weiteren Ver⸗ lauf der gestrigen (16.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten bemerkte bei fortgesetzter Berathung des Kap. 29 des Etats des Ministeriums für Handel und Gewerbe der Abg. Dr. Enneccerus, die Zusammen⸗ fassung des gesammten technischen Unterrichtswesens in einer Hand sei gewiß von Bedeutung. Aber für die gewerblichen Schulen mittleren Grades und die Fortbildungsschulen ent⸗ schieden doch die technischen, praktischen Gesichtspunkte, wie sie in der Denkschrift dargelegt seien. Mit allen den Dingen, die bei denselben am meisten ins Gewicht fielen, wisse der Handels⸗ Minister am besten Bescheid. Am schwersten werde ihm (dem 8 Redner) die Uebertragung der Fortbildungsschulen. Denn er 8 könne den idealen Gesichtspunkt nur theilen, daß dieselben eine Fortsetzung der allgemeinen Bildung gewähren sollten. Gegen⸗
“ wärtig fungirten sie aber thatsächlich zum großen Theil als AZachschulen, und gerade deswegen scheine die Uebertragung
angezeigt. Lebhafte und tiefgehende Interessen sprächen aber gegen eine Trennung der technischen Hochschule von dem Kultus⸗Ministerium, und er begrüße es mit Freuden, daß von Seiten des Handels⸗Ministeriums diesem Vorschlage widersprochen worden sei. Die technischen Hochschulen sollten an ihre Aufgabe von dem höchsten wissenschaftlichen und künst⸗ lerischen Standpunkt herantreten, und deshalb müsse der Zusammenhang mit demsenigen Ministerium aufrecht erhalten werden, welches die Pflege der wissenschaftlichen und künst⸗ leriscen Interessen zur Aufgabe habe. Er fürchte, eine Verflachung des Gewerbebetriebes wäre sonst die Folge. Wer die Fülle seines künstlerischen onnens in den Dienst der kleinen Handwerks⸗ arbeit stelle, werde kaum Abnehmer finden und auch mit seinem Geiste das nicht erreichen, was ihm sonst für die Kunst selbst und das Kunsthandwerk zu leisten ermöglicht sei. Einer Zurückdrängung des klassischen Alterthums aus den ymnasien widerspreche er ganz entschieden. Das Gewerbe⸗ museum habe nicht die Aufgabe, Muster aufzustellen, welche unmittelbar nachgebildet werden könnten, sondern Vorbilder zu sammeln, wobei in erstem Maße die künstlerischen und nicht die praktischen Gesichtspunkte maßgebend seien. Daß
daraus, daß der künstlerische Geschmack gehoben werde, auch
gewerbliche Vortheile erwüchsen, sei ja richtig. Aus diesen ’ das Festhalten an der Verbindung des Kunstgewerbe⸗Museums mit der Kunst und emjenigen Ministerium, dem die Pflege der Kunst obliege. er Titel wurde bewilligt. Bei Titel 1 der Ausgaben, Minister ohne Gehalt, be⸗ nerkte der Abg. Büchtemann, er möchte die Aufmerksamkeit
des Hauses auf die von der Regierung beabsichtigte Bildung
von Gewerbekammern lenken, welche, nachdem Reichstag und Landtag den Volkswirthschaftsrath abgelehnt, jetzt als Schatten des Volkswirthschaftsraths in jedem Regierungsbezirk wieder auftauchen sollten. Die Motive in den Vorlagen an die Provinzial⸗Landtage nähmen darauf Bezug, daß es sich darum handle, dem preußischen Volkswirthschastsrathe lokale Organi⸗ sationen zur Seite zu stellen. Die schon bestehenden derartigen Organisationen seien ihres einseitigen Gesichtspunktes wegen für diesen Zweck nicht geeignet, da es wesentlich auf einen Aus⸗ gleich unter den verschiedenen Interessengruppen ankomme. Ob die Organisation aber, so wie sie gedacht sei, mit Erfolg ins Leben treten könne, sei zweifelhaft. Eine dauernde Bestimmung über das Verhältniß der Vertretung derjenigen Branchen, welche zu einer Gewerbekammer zusammentreten sollten, also der Land⸗ wirthschaft, der Industrie, des Handels u. s. w., sei in dem Entwurfe nicht gegeben, diese Bestimmung vielmehr dem Sei⸗ tens des Ministers zu erlassenden Reglement vorbehalten. Es sollten die Mitglieder nicht aus dem Interessentenkreise selbst gewählt werden, sondern zur Wahl sei der Provinzial⸗Landtag berufen. Daß dieser die beste Instanz dasfür sei, sei schon in den einzelnen Provinzial⸗Landtagen vielfach bestritten worden. Am eigenthümlichsten aber sei es, daß die Zusammensetzung der Gewerbekammern nach Regierungsbezirken erfolgen solle, obwohl sich doch diese mit denjenigen Distrikten, deren zweck⸗ mäßige Vertretung herbeigeführt werden solle, durchaus nicht deckten. Diese ganze Organisation mache auf seine Partei den Eindruck, daß hier lediglich wieder eine Institution auf andere bereits bestehende gepropft werden solle. Man habe aber deren schon genug. Gesetzlich beständen bereits die Handelskammern. Eine wirkliche Ausgleichung der Interessen finde aber doch nicht statt. Wenn solche Korporationen zusammenträten, wenn sie zur Ausgleichung aller Interessen eine für alle Branchen gemeinschaftliche Abstimmung vornehmen sollten, dann würden jedesmal von den vier vertretenen Branchen drei als Nicht⸗ sachverständige mitstimmen. Der sogenannte Ausgleich der Interessen werde also zum Theil auf Kosten der Wahrheit stattfinden. Die Wahrheit selbst könne nur durch . enqueten oder dadurch vermittelt werden, daß die einzelnen Zweige sich freiwillig organisirten. Nun habe man ja für die Landwirthschaft den Landwirthschaftsrath, man habe die Handelskammern, die Innungen mit ihren Ausschüssen und Innungsverbänden, man habe die freiwilligen Ver⸗ bände vieler und bedeutender industrieller Branchen, wo⸗ her wolle man denn eine bessere Organisation als von diesen nehmen? Das von ihnen gelieferte Material sei ja das Material der Interessenten, das wisse man und solle man wissen, es sei nur bis zu einer gewissen Grenze zuverlässig, aber die Grenze dieser Zuverlässigkeit werde durch weese neue Art der Majoritäts⸗ bildungen verwischt. Die Majorität sei in diesem Falle nur ein formelles Mittel, um die Wahrheit festzustellen. Ein
1]
zusammen
Zollgrenze gelangten Mengen.
innerer Zusammenhang dieser Kammern mit den Provinzial⸗ verbänden bestehe auch nicht, werde vielmehr in den Motiven als wünschenswerth hingestellt, nur bezüglich der Wahl und der Aufbringung der Kosten werde dieser Zusammenhang konstruirt. In der That sei denn auch die neue Einrichtung eine rein staatliche, die den Provinzialbehörden nur zum Zweck der Kostentragung zugewiesen werde. Aber auch die Gesetz⸗ mäßigkeit dieses Verfahrens sei ihm zweifelhaft. Die Pro⸗ vinzial⸗Landtage seien gar nicht berechtigt, Beschlüsse über die Wahlen und über die Uebernahme der Kosten auf die Pro⸗ vinzen zu fassen. In Bezug auf das Dotationsgesetz sei das völlig unzulässig, wie auch der Provinzial⸗Landtag von West⸗ preußen fast allseitig anerkannt habe, und auch die Provinzial⸗ ordnung enthalte durchaus nichts, was die Provinzial⸗ verbände dazu berechtigte. Der nassauische und der Casseler Kommunal⸗Landtag dagegen hätten die Vor⸗ lage abgelehnt, die Landtage von Westpreußen, Pommern und Hannover hätten zugestimmt. Nach diesen divergirenden Ent⸗ scheidungen schwebten die neuen Kammern erst recht in der Luft. Der Staat habe offenbar eine Aufgabe, welche durch⸗ zusetzen im Reichs⸗ und Landtage ihm nicht gelungen sei, den Provinzen zuschieben wollen, um auf diese Weise die Kosten aufbringen zu lassen. Diesen Standpunkt halte er dem preußischen Landtage gegenüber nicht für den richtigen, und bedauere, daß auf dem Wege trotz der zu befürchtenden Kollision weitergegangen sei. Es würden Behörden auf Behörden auf⸗ gebaut, ohne daß man den Zweck sehe. Sei denn die wirth⸗ schaftliche Regierungspolitik so schwach, daß sie solche Zu⸗ sammenkoppelungen brauche, um sich Zustimmung zu ver⸗ schaffen? Der richtige Weg wäre gewesen, dem Landtage eine umfassende Vorlage zu machen.
Hierauf entgegnete der Staatssekretär Dr. von Möller: Die Regierung verhandele über den vom Vorredner be⸗ rührten Gegenstand gegenwärtig nicht mit dem Landtage, sondern mit den Provinzial⸗Landtagen; die Verhand⸗ lungen seien noch nicht abgeschlossen, und er würde besorgen müssen, durch ein Eingehen auf die Ausführungen des Vorredners präjudizirend in die Entschließungen derjenigen Landtage einzugreifen, welche sich noch nicht schlüssig gemacht hätten. Solches wünsche er durchaus zu vermeiden, da die Beschlußfassung der Landtage eine durchaus freiwillige sei. Es werde ihnen keine Verpflichtung auferlegt oder angesonnen, sondern es hänge von ihrer freien Entschließung ab, ob sie dazu beitragen wollten, daß die Gewerbekammern ins Leben träten. Nur auf die juristischen Einwände gehe er etwas näher ein. Es sei keineswegs die Absicht, den Handels⸗ kammern den Boden ihrer Wirksamkeit zu entziehen; ihre Stellung werde sich vielleicht etwas modifiziren, sie würden in Zu⸗ kunft wieder mehr sein, was sie ursprünglich sein sollten: Spezial⸗ vertretungen der Handelsinteressen; einen wesentlichen Abbruch an ihren Befugnissen würden sie aber nicht erleiden. erste Anregung zu der Schaffung von Gewerbekammern sei gerade von einer Handelskammer ausgegangen, welche die Unzulänglichkeit der bisherigen Einrichtungen erkannt hätte. Auch bezüglich der Bestimmungen der Provinzialordnung sei die Rechtsauffassung des Vorredners irrig; sie enthalte nichts, was die Provinzial⸗Landtage hindern könnte, die vorgeschlagenen Beschlüsse zu fassen. Die Provinzialordnung spreche in ihren verschiedenen Paragraphen von Angelegenheiten, besonderen Einrichtungen und von Interessen des Provinzialverbandes, und zwar ganz allgemein; eine erschöpfende Definition sei nirgend gegeben, sie sehle und müsse fehlen, wenn man der Selbstverwaltung nicht ganz unmotivirte Schranken setzen wolle. Nur aus der Natur der Sache heraus könne also beurtheilt werden, was eine An⸗ gelegenheit des Provinzialverbandes sei und was nicht. Zwischen den Angelegenheiten rein lokaler und rein allgemei⸗ ner Natur liege ein weites Gebiet solcher Dinge, welche sich sowohl zur provinziellen als zur staatlichen Behandlung eigneten, und zu diesen zähle die Institution der Gewerbe⸗ kammern. Bei ihnen handele es sich keineswegs um Ange⸗ legenheiten allgemeiner Art — eine solche sei der Volkswirth⸗ schaftsrath gewesen —, sondern um die Schaffung von In⸗ stitutionen mit lokal begrenzter Wirksamkeit, um die wirth⸗ schaftlichen Interessen dieser beschränkten Gebiete zu vertreten und der Regierung gegenüber zur Geltung zu bringen. Es stehe z. B. auch in keiner Städteordnung etwas von der Befugniß der Städte, Gymnasien zu errichten; fände sich keine Stadtgemeinde, die die Kosten dafür tragen wollte, so würde das eine reine Staatsangelegenheit sein. Nun würden aber doch seit fünf Dezennien immerfort neue städtische Gymnasien errichtet. Man dürfe also ebenso wenig, wie es hinsichtlich der Städteordnungen geschehe, die Pro⸗ vinzialordnung zu eng interpretiren. Der Ober⸗ wie der Regierungs⸗Präsident brauchten einen sachverständigen Beirath in wirthschaftlichen Angelegenheiten, namentlich in solchen Be⸗ zirken, wo die verschiedenen Erwerbsgruppen mit einander in Konflikt träten; durch Spezialenqueten sei die Herbeiführung einer Ausgleichung der Interessen nicht möglich. Von der Wahl der Mitglieder durch die Interessenten selbst habe die Regierung Abstand nehmen müssen; welche Unsummen von direkten und indirekten Wahlen würden entstehen, wenn die sämmtlichen großen und kleinen Industriellen, sämmtliche Handwerker, sämmtliche Kaufleute, sämmit⸗ liche Landwirthe zu solchen Wahlen aufgeboten wür⸗ den? Zur Erlangung unabhängiger Wahlen hätten sich die Provinzial⸗Landtage als das einfachste Mittel dargeboten; an der Möglichkeit, daß es diesen Vertretungen gelingen werde, die richtigen Persönlichkeiten auszusuchen, könne nicht mit Grund gezweifelt werden.
Der Abg. Dr. Wehr sprach sich dahin aus, wolle man die Provinzialordnung so eng interpretiren, wie der Abg. Büchtemann empfehle, dann würde man in den Provinzial⸗ Landtagen bei jedem zehnten Gegenstande sich nach der Berech⸗ tigung, sich mit ihm zu befassen, zu fragen haben. Er müsse sich wundern, daß gerade von der linken Seite, welche sich immer darüber beklage, daß das Maß der Selbstverwaltung viel zu gering sei, jetzt der Vorwurf erhoben werde, daß man den Provinzialverbänden zu viel Freiheit geben werde. Diese
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