Aichtamtliches. Berlin, 26. Februar. Im weiteren estrigen Sitzung des Herrenhauses er Berathung der Provinzial⸗Ord⸗ . die Provinz Hessen⸗Nassau, err Dr. Weigel in eingehender und sehr warmer Weise im Namen der Minorität des hessischen Kommunal⸗ Landtages die Annahme der Kommissionsanträge. Die Mi⸗ norität des hessischen Kommunal⸗Landtages habe die Ver⸗ einigung nicht nur aus staatspolitischen, sondern auch aus kommunalen Rücksichten für geboten gehalten. Eine Majori⸗ sirung sei nicht zu befürchten, denn niemals werde Hessen ge⸗ schlossen gegen Nassau stimmen, sondern unter beiden Stämmen würden sich die verwandten Interessen zusammenfinden; daraus aber müsse sich das Gefühl größerer Zusammengehörigkeit er⸗ geben. Er sehe mit frohem Blick in die Zukunft und glaube, hoffe und erwarte, daß aus diesem Gesetz ein neues und Fenenisches Leben für die vereinigte Provinz hervorgehen e. Fürst zu Wied äußerte: es sei sehr schwer, zwei getrennte Familien mit ungleicher Kinderzahl, die zehn Jahre getrennt gelebt haben, auf einmal zusammenzulegen und die trennen⸗ den Mauern ’ Im Interesse des Gesammt⸗ staats liege es 8 „ daß berechtigte partikularistische Be⸗ strebungen Berücksichtigung fänden. Durch nichts werde der Staat mehr gefördert als durch ein frisches, freudiges Leben in den kommunalständischen Verwaltungen. Man möge also die Trennung bestehen lassen und die Vorlage ablehnen.
Der Minister des Innern, von Puttkamer, erwiderte: Gegen die berechtigten Besonderheiten der Provinz habe er
ch nicht gewendet, nur gegen die Bildung zweier besonderen
PBrovinzen nach dem Antrage Matuschka. Keineswegs solle die Vorlage ein rauher Eingriff in die Eigenthümlichkeiten der Bevölkerung sein. Herr von Manteuffel unterschätze die Kraft der Neuorganisation. Die staatspolitischen Funktionen der neuen Behörden dürften nicht zu gering angeschlagen werden. Eine solche wichtige Funktion sei die Begutachtung von Gesetz⸗ entwürfen, welche sich auf die Verhältnisse der ganzen Provinz beziehen. Es komme hier ganz auf das richtige Maß der Be⸗ fugnisse an. Auch in den alten Provinzen beständen bei den Kommunalverbänden Funktionen, in die sich der Provinzial⸗ Landtag keineswegs mische. Auch die jetzt gehörten Argu⸗ mente seien nicht geeignet, die Motive der Regierung zu erschüttern.
Freiherr von Solemacher⸗Antweiler erklärte sich für die Vorlage.
Fürst zu Isenburg⸗Birstein sagte: er könne nicht an⸗ erkennen, daß die Gutachten des Provinzial⸗Landtages von so hohem Interesse sein würden. So würde es kaum möglich sein, das Gutachten über ein Verkoppelungsgesetz abzugeben, welches beiden Regierungsbezirken gleichmäßig zu Gute kommen.
Herr Adams empfahl die Regierungsvorlage.
Die Anträge des Herrn Lotichius und des Grafen Ma⸗ tuschka wurden schließlich abgelehnt und Artikel I der Pro⸗ vinzialordnung in der Fassung der Regierungsvorlage mit großer Majorität angenommen.
Nunmehr ging das Haus zur Berathung des Entwurfs einer Kreisordnung für die Provinz Hessen⸗Nassau über. Im §. 1 wird bestimmt:
Im Regierungsbezirk Cassel soll die bereits zur kur⸗ vilüchen Zeit bestandene Kreiseintheilung mit dem Unter⸗ chiede bestehen bleiben, daß ein besonderer Stadtkreis Cassel und Hanau gebildet wird. Das dem Bericht beigefügte Ver⸗ zeichniß weist 2 Stadtkreise und 24 Landkreise nach. Für den Regierungsbezirk Wiesbaden wird, unter Aufhebung der bisherigen nassauischen „Aemterverfassung“, eine Vermehrung der Kreise von 12 auf 16, darunter ein besonderer Stadtkreis Frankfurt a. M., vorzeschlagen.
Der neue Landkreis Frankfurt a. M. soll aus mehreren, von dem Kreise Hanau und dem jetzigen Stadtkreise Frank⸗ furt abzutrennenden Ortschaften gebildet und u. a. die Stadt Bockenheim, ferner Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim, Praunheim unb Preungesheim in den Landkreis Frankfurt a. M. aufgenommen werden.
Fürst zu Isenburg beantragte, auch noch einige andere Ortschaften von dem Kreise Hanau abzutrennen und mit dem neuen Kreise zu verbinden, nämlich Seckbach, Bergen, Fechen⸗ heim und Enkheim.
Herr Miquel unterstützte diesen Antrag mit dem Hinweise darauf, daß diese Orte wirtlich in sozialer und wirthschaftlicher Beziehung nach Frankfurt gravitirten; besonders bitte er, den Ort Seckbach mit dem neuen Landkreise zu verbinden.
Der Staats⸗Minister von Puttkamer und der Regierungs⸗ kommissar, Geheime Regierungs⸗Rath Halbey gaben zu, daß diese Abtrennung im Interesse der Gemeinden mit Rücksicht auf ihre Lage wünschenswerth sei; dieselbe würde aber eine in anderer Beziehung nicht erwünschte Verkleinerung des Kreises Hanau zur Folge haben und gleichzeitig in juris⸗ diktioneller Beziehung nicht unerbebliche Schwierigkeiten bieten. Der Minister sagte zu, die Frage, im Falle weiterer Anregung, nochmals in nähere Erwägung zu ziehen.
Der Antrag wurde sodann angenommen und Form das zu §. 1 gehörige Verzeichniß der Kreise ihm der ganze §. 1.
Die §§. 2 bis 29 wurden ohne Diskussion genehmigt.
8 8* lagect; der Köni
„Der Bezirk der Königlichen Polizeiverwaltung zu Frank⸗ furt a. M. wird nach Maßgabe der Verordnung 9 8 Franc. 1867 auf sämmtliche Gemeinden des Landkreises Frankfurt a. M. nngeehat⸗ lizei⸗Präsident Frankfurt a. M
er Polizei⸗Präsident zu Frankfurt a. M. ist zugleich Land⸗ rath des Landkreises Frankfurt a. M. Der Ministe⸗ “
ist befugt, ihm in der letzteren Eigenschaft einen Hülfsbe ständigen Vertreter kee enen. Cöö Graf Pfeil beantragte für diesen Paragraphen folgende Bassungz⸗ Landrath des L „Der Landra es Landkreises Frankfurt a. M. hat seinen Wohnsitz in dieser Stadt. Auf die 3 Püfur Bildung des h kreises aus dem Polizeibezirk der Stadt Frankfurt a. M. aus⸗ scheidenden Ortschaften finden die Bestimmungen der Verordnung vom 29. Juni 1867 analoge Anwendung mit der Maßgabe, daß an Süen⸗ .. der Landrath des Frankfurter Land⸗ reises tritt.“ m seiner Begründung führte der Antragsteller aus: ein solcher Zustand, wie er hier geschaffen werden solle, näm⸗ lich, daß ein Polizei⸗Präsident zugleich Landrath sein solle, existire im ganzen preußischen Staate nicht. Solche Organi⸗ sationen sollte man namentlich vermeiden, wo im Interesse der Homogenität Opfer von Partikular⸗Interessen gefordert würden. Er sei gewiß für eine energische Handhabung der
Preußen. Verlauf der empfahl, bei nung für
in dieser und mit
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ülfsarbeiter geben. ehr ephemere Erscheinung, und ihr häufiger Wech der Polizeiverwaltung. Geheime Sachen könnten ih anvertraut werden. Breslau sei bedeutend Frankfurt, und es nichtsdestoweniger sei die Polizeiverwaltung, die und Landkreis getrennt bestehe, eine
besonderen Landrath zu erhalten.
Der Regierungskommissar, Geheime Regieru Dr. von Bitter trat dem Antrage entgegen, indem e nachwies, daß hier keineswegs etwas so Anomales
bestehe z. B. dasselbe Verhältniß. Die Maßregel sei durch die ganz hältnisse, mit welchen im vorliegenden Falle werden müsse, durchaus gerechtfertigt. Als der be
und Süddeutschland, und an Rheines belegen, licher Beziehung kämpfen gehabt. Diese Schwierigkeiten hätten sich, des rapiden Anwachsens der Stadt selbst und der
lung großer, von gefährlichen Elementen durchsetzter massen in den Vororten, in den letzten Jahrzehnt
der großen Heerst
dem Gebiete der politischen weit in diesem Maße nicht
verwaltungen im Stadt⸗ und Landkreise sein mü selbst sonstigen Einrichtungen niemals ein präzises Zusammenwirken erreicht werden könnte,
munale Interesse des neu zu bildenden Kreises hiergeg zurückstehen müssen. Thatsächlich seien indessen die
Beziehung geäußerten Besorgnisse nicht begründet. könnten bie Bedenken, welche aus der Bestellung eine
landräthlichen Geschäfte hergeleitet würden, als ; nicht anerkannt werden. Nicht nur, daß ähnliche Einri in anderen Staaten, keineswegs zu Unzuträglichkeiten
beamten besorgt werden könnten und dessen Krä Breslau seien andere,
der Stadt entfernt seien als in Frankfurt. Ein Antrages Graf Pfeil nicht gewährleistet. Graf Pfeil zog nunmehr seinen reichte einen neuen Antrag handschriftlich ein. Ihnsfolge dessen wurde die Beschlußfassung über d * Berausgesezzt, bis die Drucklegung dieses Antr. olgt ist.
§. 113 lautet: „Die Auseinandersetzung
kreise Frankfurt a. M. zugetheilten, bisher zu dem Krei
des Innern, unbeschadet aller Privatrechte Dritter, zu Uebereinkommen zu bewirken.
bis zum 1. Januar 1886 nicht zu Stande, so wird die
nendes Schiedsgericht bewirkt. bei der Ausführung ergeben, Verwaltungsgerichts.“
Die gesperrt gedruckten Worte Kommission; die Vorlage hatte die betreffende Regel dem Wege Königlicher Verordnung vorgeschlagen.
Streitigkeiten, w
für überflüssig, da die darin angeregte Materie schon d s 1 * fsa i es Gesetzes, welches die kommunalständische Verwal Nassau festsetzt, geregelt sei. 5
gerichts würde zum ersten Male tungs⸗Gesetzgebung vorgenommen. Hier ständen
interessen in Frage, die entweder durch Gesetz ode Königliche Verordnung geregelt werden müßten.
Präsident sein werde. Bisher sei die Frage noch ni
Wirklichkeit getreten, und er Interessen in Frieden und Güte auseinandergesetzt würden. Das werde 1 685 8 3 gerichts ihre Forderungen auf die Spitze zu treiben.
Der Staats⸗Minister von Eca aü erklärte, es ha nicht um eine Auseinandersetzung, sondern um den den Frankfurt durch den Eintritt in den Kommunal an dem Kommunalvermögen, d. h. an Nassauischen Landesbank, haben wolle. ziehe sich der richterlichen Behandlung,
die beste. Wenn irgend Einem an einer billigen un esselosen Regelung gelegen sein könne, so sei rung. Gerade diese vorgeschlagene Art
zu einigen.
fassung.
Frreiherr von Solemacher äußerte: ihren Beschlüssen wesentlich von einem royalistischen geleitet worden; sie habe die für die Entscheidung entlasten wollen.
vom Billigkeits⸗ als vom Rechtsstandpunkt aus
Polizei in Frankfurt am Main, gerade deshalb aber wolle
werden; er werde deshalb für die Regierungsvorlage st
nicht auch noch neue Geschäfte ausbürden. Gewissermaßen erkenne dieses Argument auch die Regierung an, denn sie wolle dem Landrath für diese Geschäfte einen Solche Hülfsarbeiter seien jedoch
gsrößer als herrschten dort auch gefährliche Zustände;
ganz vortreffliche. Er bitte, dem großen und zusammengeschweißten Kreise seinen
werden solle, wie der Vorredner annehme, denn in Coblenz hier vorgeschlagene ausnahmsweisen
Mittel⸗ und Sammelpunkt für den Verkehr zwischen Nord⸗
habe Frankfurt g. M. von jeher in polizei⸗ mit besonders schwierigen Verhältnissen zu
gesteigert, daß an die polizeiliche Thätigkeit, insbesondere auf und der Kriminalpolizei, ander⸗ gekannte Anforderungen gestellt werden müßten. Jede Zersplitterung der Kräfte würde die unvermeidliche Folge der Einrichtung zweier staatlicher Polizei⸗
s wenn dieselben vorläufig einer Leitung unterstellt würden, schon in Folge der Verschiedenheit der Organe und derartig schnelles und
durch eine organische Zusammenfassung ermöglicht würde. Die Nothwendigkeit der Vereinigung sei aus diesen Gründen eine so überwiegende, daß schlimmsten Falles auch das kom⸗
Namentlich
beamten des Polizei⸗Präsidenten für die ihm zuzuweisenden
darunter auch in Elsaß Lothringen, zweg geführt hätten, seien in der landräthlichen Verwaltung Geschäfte genug vorhanden, welche, wie beispielsweise die Bearbeitung der Militärangelegen⸗ heiten, ohne jeden Nachtheil für den Kreis von dem Hülfs⸗
ständig in Anspruch nehmen würden. Die Verhältnisse in da die Vororte dort viel weiter von
wirksames Eingreifen der Polizei werde durch Annahme des
Antrag zurück und
Die §§. 34 bis 112 wurden en bloc angenommen.
b ng zwischen dem kommunalständischen Verbande im Regierungsbezirk Kassel und dem kommunalfündischen Verbande im Regierungsbezirk Wiesbaden wegen der dem Land⸗
gehörigen Gemeinden ist durch ein, nach Anhörung der letzteren, zwischen den genannten Verbänden unter Genehmigung des Ministers
Kommt ein solches Uebereinkommen fende Regelung durch ein von dem Könige zu ernen⸗
unterliegen der Entscheidung des Ober⸗
sind eine Aenderung der
Graf von Matuschka erklärte den ganzen Paragraphen
Herr Miquel äußerte: die Einsetzung eines solchen Schieds⸗ in der preußischen Verwal⸗
königliche gelt 1 Er würde für die Regelung durch Königliche Verordnung sein, deren natürlicher Vermittler der allseitig Vertrauen besitzende Ober⸗
besser sein, als wenn man die im Hinblick auf die Entscheidung des Schieds⸗
dem Vermögen der 1 8 b ent⸗ lich sie sei von politischer Bedeutung, und die in der Vorlage vorgeschlagene herinscher
1— Ge der Eitsezeiduie nlegbe ein mächtiges Compelle für die Betheiligten sein, sich in Güte Fürst zu Isenburg erklärte sich für die Kommissions⸗ die Kommission sei bei Krone von der Verantwortung
Herr Adams meinte, diese Angelegenheiten könnten besser
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Die Kommissionsfassung wurde sodann abgele nt Fassung der Vorlage mit großer Majorität Lv’ Ebenso wurde der Rest der Kreisordnung ohne Debatte angenommen.
Das Haus vertagte sich darauf dis Donnerstag 11 Uhr.
— Im weiteren Verlauf der gestrigen (27.) Si des Hauses der Abgeordneten Atrs⸗ 384 zung gesetzter zweiter Berathung des Etats für das Ministe⸗ rium der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medi⸗ zinal⸗Angelegenheiten der Abg. Stöcker, er wider⸗ stehe der Versuchung, die ihm von der anderen Seite nahe gelegt sei, hier religiösen Streit anzufangen. Er habe das niemals gethan und werde es niemals thun Wenn schon am Sonnabend der Abg. Bachem gemeint habe, er (Redner) habe mehr als Hof⸗ und Domprediger wie als Abgeordneter gesprochen, so weise er das zurück und könne es getrost dem Urtheil des Hauses überlassen. Er habe gerade als der Abg. Windthorst von der Wahrheit der beiden Kirchen gesprochen habe, das abgewiesen und sich rein auf den staats⸗ rechtlichen Standpunkt gestellt. Der Abg. Rintelen habe gemeint, es sei nicht zweckmäßig, solche Aussprüche des Papstes in die Debatte zu werfen. Er könne das nicht zugeben. Das Centrum soge beständig daß es in staatsrechtlichen Dingen nicht auf eigene Hand handeln könne, daß es vollständig abhängig sei von Rom. Die Sache liege so, daß die Anschauungen, wie sie in Rom gälten, in der ganzen katholischen Kirche herrschen müßten. Der päpstliche Ausspruch zeige, daß der Konflikt zwischen Rom und dem modernen Staat nicht durch den modernen Staat sondern durch die intolerante Stellung Roms, welche immer und immer wieder hervortrete, hervorgerufen werde. Er müsse sich wundern, daß eine Partei, welche so oft erklärt habe, daß für sie in erster Linie kirchliche Gesichtspunkte maßgebend seien, eine Diskussion über solche Aussprüche ablehne. Der Abg. Cremer habe ja mit vollem Recht gesagt, daß man es hier mit der staatsrechtlichen Toleranz zu thun habe; er (Redner) habe an keine andere Toleranz erinnert, als an diese. Er glaube, daß dem Centrum diese Behandlung der Sache nicht ganz angenehm sei. Dasselbe könne seine (des Redners) Ausführungen nicht widerlegen, weil sie eben durch die Sache selbst unwider⸗ legbar sei. Das Entweder — Oder, welches er voriges Mal durchgeführt habe, schlage den Standpunkt des Centrums; da⸗ gegen lasse sich nichts einwenden. Wenn man von drüben mit historischen Argumenten komme, die 200, 300 Jahre und länger zurücklägen, so zeige das die Verlegenheit. Wenn man aber die päpstlichen Aussprüche, welche zu Weihnachten 1884 gefallen seien, mit einem Rekurs auf den Speierer Protest zu beseitigen glaube, dann sei man entschieden im Irrthum. Das sei keine parlamentarische Beweisführung. Die Sache liege nicht so, wie der Abg. Windthorst meine. Gewiß, die Protestanten hätten es damals abgelehnt, auf die Bedingungen einzugehen, daß sie in ihren Territorien die katholische Kirche dulden sollten. Warum hätten sie es abgelehnt? Weil sich die katholischen Mächte in keiner Weise dazu hätten verstehen wollen, die Protestanten bei sich zu dulden. Das sei doch natürlich. Diese Art von Toleranz, daß die Katholiken überall Recht haben wollten, wo sie in der Minorität seien, aber kein Recht gewährten, wo sie die Majorität hätten — dieser Standpunkt sei ja die Wurzel aller Kämpfe zwischen Staat und Kirche. Das dürfe man nicht übersehen. Das Citat cujus regio ejus religio sei um kein Haar besser. Dieser Grundsatz sei heute im Bereich der evangelischen Kirche durchaus überwunden. Der Abg. Cremer habe ausgeführt, daß in Schweden Gesetze, welche den Protestanten den Uebertritt verböten, noch beständen. Auch in Schweden gälten sie nicht mehr; sie seien fast in allen Ländern abgeschafft. (Rufe: Rußland!) — Das wisse er ja; er sage: sast. — In katholischen Ländern seien sie zum Theil durch Revolution abgeschafft, was man ja bedauern könne, aber noch mehr sei zu bedauern, daß heute noch die katholische Kirche die Stellung einnehme, die endlich zu Stande gekommene Haltung der staatsrechtlichen Toleranz zu bekämpfen. Daß das Centrum niemals den Antrag ge⸗ stellt habe, andere Glaubensgemeinschaften zu unterdrücken, gebe er zu. Aber sonst leide das deutsche Volk unter dem Bestreben der katholischen Kirche, den evangelischen Glauben zu unterdrücken, in dem empfindlichsten Maße. Er erinnere an die Mischehenfrage. Da stelle die katholische Kirche die natürliche wie die christliche Ordnung auf den Kopf. Der Mann sei das Haupt des Weibes, sage die Natur, sage die Bibel; trotzdem werde in den Mischehen anders verfahren. Solle man das einfach hinnehmen? Solle man darüber nicht reden? Das Centrum rede so laut über seine Beschwerden, es möge auch die Gegner bescheiden über die Beschwerden reden lassen, die sie hätten, nicht über religiöse Streitfragen, sondern über unerträgliche stastsrechtliche Grundsätze, die von Rom aus durch ausdrückliche Aussprüche des Papstes immer wieder von Neuem in die Welt geworfen würden, und das Verhältniß der Konfessionen unerquicklich machten. Das Centrum sage, die Toleranz sei auf seiner Seite — nun, das müsse wirklich erst noch bewiesen werden. Vom protestantischen Kaiserthum habe er niemals geredet; er rede nur vom protestan⸗ tischen Kaiser und thue das mit Freuden. Wohl aber sei vor Jahren hier im Hause eine Aeußerung des Abg. Dr. Windthorst des Inhalts gefallen, der Kulturkampf habe auf dem Schlachtfelde von Königgrätz begonnen. Hinter dieser Anschauung lägen politische Gründe für den Kulturkampf mehr als in irgend einer Aeußerung von anderer Seite. Der Altkatholizismus habe erst eine kurze Geschichte, aber er habe eine Geschichte. Gewiß, die altkatholische Kirche habe öffentlich noch nicht viel Bedeutung. Der Versuch, sie zu gründen, sei zu einer Zeit gemacht, wo für eine Kirchengründung die Bedingungen im Volk vorhanden gewesen seien. Daß aber deutsche Männer, weil sie einen Glaubenssatz nicht annehmen könnten, der in Rom neu beschlossen sei, ihre Kirche verließen und ein eigenes Kirchenwesen zu gründen unternommen hätten, um nicht einen fremden Glauben mit den Lippen zu bekennen, währen das Herz anders sühle, — das sei ein Standpunkt, der immer Achtung verdienen werde.
Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, noch vorgekommen,
christ bezeichnet habe. Protestire er nicht hiergegen vom seinem Standpunkte der Tole⸗ ranz? Redner bestritt sodann die Ausführungen des Abg. Stöcker über römische Intoleranz. Man solle auf deutschem Boden bleiben, sich wechselseitig lieben und achten. Diesen Stand⸗ punkt nehme das Centrum ein, aber gerade darum müsse es
b 1 erst kürzlich sei es daß ein Hofprediger den Papst als Anti⸗ Wie stelle sich hierzu der Abg. Stöcker?
immen.
die Aufhebung der Maigesetze verlangen. Das Recht der Alt⸗
die Universitäten.
fatholiken, aus der römischen Kirche auszuscheiden, erkenne er natürlich an; es sei nur unzulässig, daß sie immer noch be⸗ en, Katholiken . sein, und die Rechte derselben in Anspruch nehmen. Deshalb könne auch das Centrum auf den Antrag Eynern nicht eingehen; es gebe keine alten und keine neuen Katholiken, sondern nur Katholiken, und mit denen hätten die Herren, die sich Altkatholiken nennten, gar nichts thun. zu bur. Abg. von Eynern konstatirte einen Widerspruch wischen den Abgg. Rintelen und Windthorst. Als er, Redner, dem Centrum im Sinne des Abg. Rintelen entgegengekommen sei, hätten Windthorst und Schorlemer sich gleichwohl ablehnend ecklärt. Er seinerseits stimme für die Position. Wenn das Centrum sie ablehne, so könne es eben mit demselben Recht auch alle staatlichen Zuwendungen an die protestantische Kirche ablehnen; denn auch diese letztere sei im Protest gegen Rom entstanden, so wie die altkatholische. Der Staat habe die Konfessionen paritätisch anerkannt. Wenn man dagegen auf⸗ trete, sei man nicht berechtigt, noch von Toleranz zu reden, dann verlange man, daß der Staat sich in den Dienst der römischen Kirche stellen solle. Mit der Ablehnung dieser Po⸗ sittkon verlange das Centrum die vollständige Unterwerfung des Staates unter die Herrschaft der römischen Kirche. Die Bedeutung des Votums werde im Lande erkannt werden, und da der Abg. Windthorst das Centrum doch bestimmen werde, entgegen der Anschauung des Abg. Rintelen die Position ab⸗ zulehnen, so ziehe er seinen Antrag zurück. Die Position wurde gegen die Stimmen des Centrums und der Polen bewilligt.
Kap. 117 (Provinzial⸗Schulkollegien) veranlaßte keine ebatte. 1¹ Bei Kap. 118 (Prüfungskommissionen) fragte der Abg. Schmidt veea. ob ein neues Prüfungsreglement pro facultate docendi für die Kandidaten des höheren Schulamts fertig gestellt sei. Eine Verbesserung des jetzigen Reglements sei schon auf der vom Minister Falk im Oktober 1873 nach Berlin berufenen Konferenz über verschiedene Fragen des höheren Schulwesens angeregt worden. Schon damals seien die drei Zeugnißgrade und das zu große Gewicht, welches bei Ertheilung der Zeugnißgrade auf die Nebenbefähigungen ge⸗ legt werde, bemängelt worden.
Der Abg. Peters rügte verschiedene Mängel, die bei dem gegenwärtigen Prüfungsverfahren der katholischen Schulamts⸗ kandidaten hinsichtlich ihrer religiösen Vorbildung vorhanden seien. Namentlich in Greifswald und Halle würden diese Schulamtskandidaten noch nicht von katholischen Geistlichen eprüft. 18 nch Hierauf bemerkte der Staats⸗Minister Dr. von Goßler:
Ich möchte den Herrn Vorredner bitten, mir die gedachten Petitionen zugänglich zu machen. Bei mir sind derartige Gesuche nicht cingegangen, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich den Wünschen dieser katholischen Philologen entgegenkommen kann. Daß es geschehen kann und gern geschieht, ist in Königsberg und Berlin darge⸗ than. Ob es möglich sein wird, in Marburg, Göttingen, Halle, Greifs⸗ wald in gleicher Weise zu verfahren, hängt wesentlich davon ab, ob diejenigen katholischen Geistlichen, welche zwar nicht an der Universität angestellt, aber doch in oder in der Nähe des Universitätsorts sich befinden, die erforderlichen Fakultäten haben, um die Philologen in dem gedachten allgemeinen Bildungsfach zu prüfen.
Es schien mir ein Mißverständniß bei dem Herrn Vorredner darüber vorzuwalten, als ob diejenigen katholischen Philologen oder überhaupt diejenigen Philologen, welche nicht die allgemeine Bildung in der Religion nachgewiesen hätten, weil an den Stätten, wo die Prüfungskommisston fungirt, geeignete Examinatoren nicht vorhanden sind, nicht in der Lage wären, ein Zeugniß, welches sie zur Anstel⸗ lung befähigt, zu erreichen. Es wird diesen Kandidaten anheim gegeben oder empfohlen, den in Rede stehenden Prüfungsgegenstand vor einer andern Kommission zu absolviren; N. können ihn ohne neue Kosten absolviren, und wenn das geschieht, ist ihnen die Er⸗ reichung des anstellungsfähigen Zeugnisses in keiner Weise ver⸗
schlossen. 8 1 1 se die Anfrage des vorletzten Herrn Vorredners betrifft, so
kann ich dieselbe nur dahin beantworten, daß das neue Prüfungs⸗ reglement im Wesentlichen fertig gestellt ist, und daß ich auch die Hoffnung habe, es eines Tages zu vollenden und zu publiziren. Die Position wurde bewillclit. Das folgende Kapitel (119) enthält die Forderungen für
Bei Tit. 1 (Universität Königsberg) kam der Abg. Reichensperger (Crefeld) auf seine fruͤheren Ausführungen zu⸗ rück, daß die Studenten, und namentlich die jungen Juristen, nicht genug studirten, und erläuterte dies an einzelnen Bei⸗ spielen. Die jungen Leute föchten, ritten, tränken Früh⸗ schoppen und thäten alles Andere, nur nicht studiren. Es gebe eine kleine Universität, in der sich diese Zustände ein wenig gebessert hätten, das sei Greifswald. Durchweg müßten nament⸗ lich die Juristen zu einem strengeren Studium angehalten werden, das bewiesen die großen Zahlen der jährlich durch die Examina Fallenden. Er bedauere aber, daß er hei dem gegen⸗ wärtigen Minister auf wenig Entgegenkommen in dieser Be⸗ jiehung rechnen könne. Er wünsche, daß die Studirenden mehr kontrolirt würden, daß sie Kollegia nicht nur belegten, sondern auch wirklich hörten, doch wolle er hier nichts Be⸗ stimmtes anregen. Das Duellunwesen habe seit dem vorigen Jahre bedeutend zugenommen. Er habe sich ein Verzeichniß angelegt, das, den Zeitungen entnommen, jedenfalls nicht voll⸗ ständig sein könne, trotzdem umfasse es eine so große Menge von Fällen, daß der Minister alle Ursache haben würde, diesen Erscheinungen seine Aufmerksamkeit zu⸗ zuwenden. Namentlich hätten die Pistolenduelle zu⸗ genommen, in einem Monate hätten nach seinem Wissen deren fünf stattgefunden, das komme von der zu milden Beurthei⸗ lung der Duelle durch die Gerichte, 3 Monate Festung kämen im Durchschnitt auf ein Duell, das sei eine zu niedrige Strafe. Die Frage des Trinkens wolle er hier nicht berühren, er wolle sie lieber den Mäßigkeitsvereinen überlassen, damit auch diese Veranlassung hätten, sich den Universitäten zuzu⸗ wenden. Ebensowenig wolle er sich hier mit der Vivisektions⸗ frage beschäftigen. Nur einen Punkt wolle er berühren. Die
rt, wie die Regierung der Resolution gerecht geworden
sei, erinnere ihn an das bekannte Kunststück Münchhausens, der sich an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpfe heraus⸗ gezogen haben soll.
Der Abg. Janssen bemerkte, es sei vom Centrum ge⸗ wünscht worden, daß bei der über die Vivisektionsfrage anzu⸗ stellenden Enquete auch die Gutachten von Gegnern eingeholt werden möchten. Nun sei dem Centrum ein Auszug aus den Gutachten der Universitäten zugegangen und ziemlich a tempo sei eine Schrift des Professor Heidenhain erschienen, die eine Parteischrift durch und durch sei. Unmittelbar darauf sei in den Blättern eine Cirkularverfügung des Ministers veröffent⸗
— werde. Er stelle an die ve zezene die Anfrage, ob sie Denkschrift auch den Gegnern der Vivisektion unterbreiten, oder ob das Cirkular des Ministers die endgültige Entschei⸗ dung der Regierung auf die von diesem Hause beschlossene Resolution bilden solle.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, auch er sei der Ansicht, daß das Haus in Bezug auf den von ihm gefaßten Beschluß nicht mit der zugestellten Denk⸗ schrist abgefunden werden könne, und er müsse weiter hervor⸗ heben, daß gerade in Berlin, wo sedes materiae sei, die Ant⸗ wort gerade auf die wichtigste Frage, ob Privatvivisektionen von Studenten und Aerzten vorgenommen würden, nur mangelhaft Ausdruck verliehen sei. Es heiße in der Denk⸗ schrift, man wisse hierüber nichts. Man habe sich so wohl ausgedrückt, weil man sich so am besten aus der Verlegenheit habe ziehen können. Das werfe auf die Sache ein bedenk⸗ liches Licht. Der Minister habe zugesagt, das von ihm eingesammelte Material auch bei dieser Frage nicht interessirten Personen zu unterbreiten. Er (Redner) halte das in der That für nothwendig, um dem Volke zu zeigen, daß Alles gethan sei zur Aufklärung der Sache. Vergleiche er übrigens die englische Denkschrift über die Vivisektion mit der vorgelegten, so müsse er sagen, daß das Material der letzteren sehr dürftig sei. Was die von dem Minister unter dem 2. Februar erlassene Verfügung betreffe, so müsse er sagen, die ersten 3 Punkte derselben seien so allgemein, daß der Willkür der weiteste Spielraum eröffnet werde. Eine Kon⸗ trole, daß nichts Unerlaubtes geschehe, fehle gänzlich; es werde ein Leichtes sein, durch die Maschen der ministeriellen Verfügung hindurchzuschlüpfen. Er könne deshalb nur an⸗ nehmen, daß ein abschließendes Resultat in der angeregten Frage dem Hause noch nicht vorliege.
Der Abg. Dr. Virchow drückte sein Bedauern darüber aus, daß der Minister den Anklägern — so dürfe er wohl die Gegner des Thierexperimentes nennen, da man in dieser Frage auch von Angeklagten spreche — nicht dieselbe Gelegenheit, ihre Ansichten vorzutragen, ermöglicht habe, wie den Ver⸗ tretern des Thierexperiments. Er glaube im Namen jener Angeklagten versichern zu können, daß kein einziger widerstrebt haben würde, sich in allen Einzelheiten von den Klägern ver⸗ hören zu lassen. Die Absurdität der Fragen würde die be⸗ redten Herren, welche hier so viel zu erzählen wüßten, bald zum Schweigen gebracht haben. Der Abg. von Minnigerode habe gesagt: sedes materiae sei hier in Berlin. Er (Redner) verstehe das nicht. Sedes materiae sei Florenz, und er könne hierüber Geschichten erzählen. Er möchte den Herrn weiter bitten, ihm anzugeben, was er in der Ant⸗ wort der Berliner Fakultät auf die Frage nach etwa vorge⸗ kommenen Privatvivisektionen vermisse. Er (Redner) habe sich die Denkschrift noch einmal angesehen und gefunden, daß die Berliner Fakultät auf diese Frage antworte, sie vermöge aus eigener sicherer Erfahrung hierüber keinen Aufschluß zu geben, während alle anderen Fakultäten die Frage verneint hätten. Aber das sei begreiflich, in Halle und Bonn könne in Betreff dieser Frage wohl eine Kontrole ausgeübt werden, aber nicht in Berlin. Die Antwort der Berliner Fakultät sei also nicht eine Ausflucht, sondern es sei die ehrliche An⸗ gabe der Thatsachen. Wenn die Herren, die sich gelegentlich mit der Vivisektionsfrage befaßten, Berlin als sedes materiae bezeichneten, so dürfe man sich nicht wundern, wenn der be⸗ kannte Divisionspfarrer Knoche in Hannover in einem Pam⸗ phlet behaupte, daß die Angeklagten vom Minister zu Rich⸗ tern in der eigenen Sache bestellt seien. Es werde weiter in diesem Pamphlet behauptet, daß in Berlin russische Studenten im Thierversuch angelernt würden, und zum Beweis auf das vom Redner redigirte „Archiv“ verwiesen, wo fünf auf dem Thierversuch beruhende Arbeiten von Russen veröffentlicht seien. Vier dieser Arbeiten bezögen sich nun aber auf Ex⸗ perimente, welche die Herren in ihrer Heimath, in Rußland, angestellt hätten. Nur ein Experiment sei hier in Berlin ge⸗ macht worden, und dieses habe sich auf eine Frage bezogen, die auch für die Landwirthschaft von größtem Interesse sei, die Frage, ob der thierische Körper selbständig befähigt sei, durch die Auf⸗ nahme von Fett Fett zu erzeugen. Man habe zu diesem Zwecke Thiere mit Fett gefüttert und sie dann getödet, um festzustellen, was für Fett im Leibe sei. Das nenne man dann Vivisektion! Das Resultat sei ein sehr nichtiges ge⸗ wesen. Es sei positiv festgestellt worden, daß das dargebotene Fett in den Geweben inkorporirt gewesen sei. Das angestellte Experiment sei um kein Haar breit schlimmer gewesen, als wenn von Landwirthen Vieh gemästet, Kapaunen gezogen und Gänse genudelt würden, was doch jeden Tag geschehe. Daß es auch grausame Experimente gebe, wolle er nicht leugnen; für gewisse Hauptfragen der Wissenschaft müsse man auch bisweilen grausam sein. Aber auch in dieser Beziehung brauche keine einzige Univer⸗ sität die strengste Untersuchung zu scheuen. Er möchte nun noch einen Blick auf die Frage der Extraordinariate werfen, deren nach Ausweis des Etats eine große Zahl neu errichtet werden solle. Nun ergebe sich aber auch aus dem Etat, daß in Bezug auf das Verhältniß der besoldeten und nicht besol⸗ deten Extraordinariate die größten Gegensätze obwalteten. Be⸗ sonders groß sei die Zahl der unbesoldeten Extraordinariate in der medizinischen Fakultät, in den übrigen, mit Ausnahme der philosophischen Fakultät, sei das nicht der Fall. Fast in allen medizinischen Fakultäten, mit Ausnahme der Göttinger und Kieler Fakultät, sei die Zahl der un⸗ besoldeten Extraordinariate größer als die der besoldeten. Diese Frage sei auch in der Budgetkommission eingehend erörtert worden, und da sei vom Regierungskommissar eine zu Protokoll genommene Erklärung abgegeben worden, daß es zwei Arten von Extraordinariaten gebe. Die eine, mehr persön⸗ licher Art, werde gewissermaßen als Belohnung verliehen, die andere werde mehr als eine Ergänzung und Vervollständigung des akademischen Lehrkörpers aufgefaßt. Die erste Kategorie pflege nicht besoldet zu werden, während für die zweite der Gesichtspunkt zur Geltung komme, daß alle Staatsämter be⸗ soldet seien. Er erkenne an, daß einige Extraordinariate nur um des Verdienstes willen verliehen würden, zuweilen sei das auch geschehen, ohne daß man erfahren habe, weshalb. Aber im Großen und Ganzen sei es doch eine ver⸗ gebliche Mühe, die Extraordinariate nach den vom Re⸗ gierungskommissar aufgestellten Gesichtspunkten in zwei solche Hälften einzutheilen. Auch wenn der Minister die Be⸗ richte nachlese, die auf Grund neuzuerrichtender Extra⸗ ordinariate an ihn ergangen seien, werde er zugeben müssen, daß in der Mehrzahl der Fälle die Extraordinariate aus dem Bedürfnisse des Unterrichts hervorgegangen seien. Daher finde
1
2 ü Lö “ 8 2 4 8 darauf hinweisen, daß sich nach Ausweis der Etats selbst eine
Gleichmäßigkeit in den Dotirungen der Extraordnariate nicht erkennen lasse. Hier sei der Willkür ein weites Gebiet er⸗ öffnet, die leicht zur Ungerechtigkeit führen könne. Aehnlich aber wie in der medizinischen Fakultät sehe es in der philosophischen in Bezug auf diese Frage aus. Er wolle noch bemerken, daß der Budgetkommission Namens der Regierung erklärt worden sei, daß die besondere Bezeichnung der Bestimmung, welche im Etat den Extraordinariaten beigefügt werde, nur für das Abgeordnetenhaus bestimmt sei. Die Extraordinariate würden nicht mit einem bestimmten Lehrauftrage eingerichtet, sondern es solle nur ausgesprochen werden, daß der betr. Professor einer bestimmten Fakultät zugetheilt sei. Er erkenne an, daß es den rechtlichen Verhältnissen entspreche, wenn die außer⸗ ordentlichen Professoren der Fakultät zur Verfügung gestellt würden, damit sie eintreten könnten, wenn etwa Vakanzen in irgend einer Disziplin der Fakultät einträten. Eine derartige Einrichtung sei durchaus nothwendig.
Hierauf ergriff der Staats⸗Minister Dr. von Goßler das Wort: Meine Herren! Mit dem letzten Herrn Vorredner habe ich mich schon wiederholt darin einverstanden erklärt, daß die Stellung, welche die unbesoldeten außerordentlichen Professoren bei unseren preußischen Universitäten einnehmen, mit Schwierigkeiten verbunden ist. Ich habe bereits bei früheren Gelegenheiten darauf hingewiesen, daß die preußische Regierung, soweit ich ihre Grundsätze kenne, stets bei den außerordentlichen Professoren unterschieden hat zwischen Dozenten, die zur Berathung und Aufmunterung ihrer Studien, sowie in Aner kennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen und ihrer Lehrthätigkeit den Charakter als außerordentlicher Professor erhalten, und solchen außerordentlichen Professoren, welche mit einem bestimmten Lehr⸗ auftrag angestellt werden. Die Unterscheidung ist nicht etwa neuer⸗ dings von mir oder meinem letzten Amtsvorgänger eingeführt worden, sondern sie hat bereits in den Universitätsstatuten von Bonn im Jahre 1827 einen prägnanten und Allerböchst gebilligten Ausdruck gefunden. Ich räume ein, daß in der Praxis bei der Unterscheidung für die Unterrichts⸗ verwaltung Schwierigkeiten eintreten können, namentlich dann, wenn, wie heute, in Folge der Ueberproduktion auf den verschiedenen Ge⸗ bieten es den jungen strebsamen und sehr tüchtigen Privatdozenten nicht möglich ist, entsprechend ihrer Leistung, ihrem Alter und ihrer Erfahrung einen Ruf, eine feste Anstellung zu erhalten. Aber was die Gehaltsfrage anbetrifft, so kann ich doch nur den Grundsatz erneut aussprechen, daß alle diejenigen außerordentlichen Professoren Gehalt beziehen, welche einen bestimmten Lehrauftrag empfangen haben. Darin ist auch meines Erachtens eine ganz angemessene Basis und ein sicheres Kriterium gegeben. Der Unterschied tritt schon bei der Bereitstellung der Mittel zur Besoldung eines neuen Professors deutlich hervor Ich muß bei meinen Anträgen der Finanzverwaltung gegenüber das Bedürfniß für eine neue außerordentliche Professur auf das aller⸗ bestimmteste und genau so eingehend nachweisen wie die Nothwendig⸗ keit zur Errichtung einer ordentlichen Professur. Ich bin auch gar nicht im Stande, der Finanzverwaltung gegenüber die Etatsaufstellung für die einzelnen Universitäten zu rechtfertigen und zu vertheidigen, wenn ich nicht den Nachweis erbringe, daß derjenige Professor, der mit einem bestimmten Lehrstoff oder Lehrauftrag betraut worden und für welchen deshalb ein bestimmtes Gehalt erbeten ist, die Besoldung empfängt, welche durch den Staatshaushalts⸗Etat zu diesem Zwecke bereit gestellt ist. Auch Sie, meine Herren, würden es befremdend finden, wenn eine Besoldung, deren Einstellung in den Staatshaus⸗ halts⸗Etatsentwurf z. B. durch das Bedürfniß der Berufung eines Professors der Ohrenheilkunde begründet ist, dem mit diesem Fache beauftragten Lehrer demnächst vorenthalten würde. Dagegen finden allerdings bezüglich des Gehaltssatzes Verschiebungen statt wie das auch anderweitig geschieht, wenn beispielsweise für eine neue Stelle der Durchschnittssatz der Besoldung der Beamtenkategorie er⸗ beten wird. Es tritt nöthigenfalls eine Verschiebung ein, um einen älteren und vielleicht noch verdienteren Beamten mit einem besseren Gehalt zu versehen. Wenn ich danach auch zugeben will, daß es vielleicht für Denjenigen, welcher draußen steht, an ganz sicheren, objektiven Merkmalen und Kriterien fehlt, so kann ich dies vom Standpunkt der preußischen Unterrichtsverwaltung aus nicht zuge⸗
stehen. 1—
Wenn Verhältniß werden, so weiß ich nicht, wie dieselben zu den sind, wenn die Unterrichtsverwaltung sich dem Auswege entschließt, der bei den Schwierigkeiten, die nament⸗ lich auch Seitens des Herrn Vorredners in dieser Beziehung gemacht werden, eigentlich immer näher rückt, daß es demnächst durchaus ab⸗ gelehnt wird, zur Belohnung und Aufmunterung von tüchtigen und strebsamen Privatdozenten den Charakter als außerordentlichen Pro⸗ fessor zu verleihen. Dann würden wir dahin kommen, daß wir nur noch ordentliche und außerordentliche Professoren haben, welche be⸗ stimmte Stellen und Lehraufträge haben. Ich müßte diese Ent⸗ wickelung allerdings im Interesse unserer Privatdozenten bedauern, weil, wie ich früher schon gesagt habe, die Berufung nach anderen Ländern ihnen dadurch wesentlich beschränkt werden würde. Es be⸗ steht, wenn Sie wollen, das Vorurtheil, daß ein Professor einer fremden Regierung annehmbarer erscheint, als ein Privatdozent.
Wenn ich nun übergehen darf auf die andern Materien, die be⸗ rührt worden sind, so möchte ich mit einigen Worten zunächst auf die Vivisektion eingehen, weil sie gerade die letzten Herren Red ner wesentlich beschäftigt hat. Ich darf anknüpfen an die Beschlüsse des hohen Hauses vom Jahre 1883, welche dahin gehen, daß die mehrfach erwähnte hannöversche Petition der Staats⸗ regierung zur Erwägung überwiesen werden solle, ob und in welchem Maße die Vivisektion als Mittel des Unterrichts auf den öffentlichen Lehranstalten zu entbehren ist, und ob eine Anregung in Beziehung auf die strafgesetzlichen Bestimmungen wegen Mißbrauchs der Vivi⸗ sektion von Reichs wegen geboten sei. 1 1 1
Nach diesen beiden Richtungen hin habe ich, wie das auch in der Beantwortung in Aussicht gestellt ist, Erwägungen eintreten lassen und die Resultate meiner Erwägungen finden Sie zum Theil schon vor Ihnen ausgebreitet. 8
Das hohe Haus beschäftigte sich früher nur mit der Frage: In⸗ wieweit kann Vioisektion entbehrt werden für unterrichtliche Zwecke? Die Frage der Privatvivisektion zu Forschungszwecken ist zwar auch erörtert; aber nicht zum Gegenstande eines Beschlusses des hohen Hauses gemacht worden. Gleichwohl habe ich meine Enquete gern auf diese Frage ausgedehnt, und wenn diese Sie nicht befriedigt hat, so kann ich das bedauern. Aber ich möchte doch übereinstimmend mit dem letzten Herrn Vor⸗ redner bestimmt mich dagegen aussprechen, daß unsere Univ ersi⸗ täten in die Rolle von angeklagten Anstalten gedrängt werden und nun ihrerseits die Unschuld beweisen sollen. Ich habe seit zwei Jahren wiederholt Sie gebeten: be⸗ weisen Sie, daß unsere Universitäten die Grenzen über⸗ schritten haben, die selbst Ihre Redner wiederholt als die richtigen bezeichnen. Das ist, glaube ich, das Mindeste, was unsere Universitäten, verlangen können. 8
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß alte Geschichten, die aus Frankreich und England beigebracht werden, ja ganz geeignet sind, um die öffentliche Meinung zu beunruhigen. Wenn man solche Flugblätter sieht und liest, wie sie noch in neuerer Zeit von dem Verein gegen die wissenschaftliche Thierfolter verbreitet werden, die auch noch mit Abbildungen versehen sind, so kann ich darauf nur be⸗ merken: Alles, was in den Flugblättern an Abscheu erregenden Abbil⸗ dungen gegeben ist, betrifft ausländische Verhältnisse, und ich halte es doch für hart, daß unsere preußische Unterrichtsverwaltung und unsere preußischen Anstalten sich gefallen lassen müssen, daß das, was anderwärts als Ausschreitung erkannt und von uns verurtheilt worden ist, nun mit
aus diesem Berufungen
er es nicht billig, daß man von vornherein sage, ein Theil
licht worden, die dem Forschungsexperiment am lebenden Thiere Thür und Thor öffne, ja dasselbe noch befördern
von Extraordinariaten bekomme nichts. Dabei wolle er noch
aller Gewalt unseren Anstalten supponirt werden soll. Ich erwarte,