1886 / 28 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Feb 1886 18:00:01 GMT) scan diff

der Reichskanzler nicht allein, sondern auch, was dle Abgg Enneccerus und von Eynern so nennten? Noch niemals sei mit einem Wort ein größerer Mißbrauch getrieben als jetzt. Bekanntlich bezeichneten die Offiziösen das Branntwein⸗Monopol auch als national. Hätten denn nicht auch die Nationalliberalen früher der „Üationalen“ Finanz⸗ politik des Kanzlers Widerstand geleistet? 1879 hätten sie einstimmig die 130 Millionen abgelehnt, 1885 die neuen 50 Millionen. Jetzt allerdings seien sie so zu der neuen nationalen Finanz⸗ und Wirthschaftspolitik be⸗ kehrt, welche die größten Steuerlasten auf die schwächsten Schultern, die des arbeitenden Volkes, lege. Der Name dieser Partei sei in feineh letzten Theil leider nicht mehr wahr. Keine Partei habe in der Heftigkeit der Angriffe gegen den Reichstag so viel geleistet, wie sie. Früher sei es, immer Sitte gewesen, daß Niemand hier Beschlüsse des Herrenhauses in mißliebiger Weise angreifen dürfe. Der Unwille des Hauses, wenn nicht die Disziplinargewalt des Präsidenten, hätte ihn davon abgehakten. Trotzdem wagte man jetzt, zwei Tage lang gegen die höchste Vertretung der Nation in so unerhörtem Tone zu sprechen. Der Abg. von Rauchhaupt habe es sogar gewagt, die deutsche Gesinnung der Reichstags⸗Majorität anzuzweifeln, die Aeußerungen meines Freundes Bamberger völlig auf den Kopf gestellt wiederzugeben. Nach des Abg. von Rauchhaupt Ausführungen hätte ja die Majorität des Reichstags keinen sehnlicheren Wunsch, als die Ostprovinzen zu posonisiren. Nenne man soölche Verhandlungen auch national? Was habe der Reichskanzler über das deutsche Volk hier gespottet? Habe er nicht sogar den Empfang der polnischen Flüchtlinge ver⸗ glichen mit dem Empfange unserer siegreichen Truppen? Es werde aber nicht gelingen, die Vertretung der deutschen Nation herabzusetzen und ihr Anfehn zu schädigen! Warum habe der Reichskanzler die Verhandlungen von 1862/63 über die Polenfrage rekapitulirt? Warum habe er dabei nicht auch die Stellung der Abgg. Löwe⸗Kalbe, von Sybel, Gneist erwähnt? Wie hingen diese Verhandlungen mit den Aus⸗ weisungen zusammen? Den Redner habe der Neichskanzler ge⸗ tadelt, als dieser einmal eine Rede von ihm von 1875 citirt habe: er halte es für keine Schande, belehrt und anderer Meinung geworden zu sein. Wozu die Erinnerung an jene Zeit, nachdem die Indemnität für die damalige Verfassungs⸗ verletzung ertheilt sei? Tief habe Redner bedauert, daß der Reichskanzler gesagt habe, er habe aus Papieren den Indizien⸗ beweis für eine Verbindung der damaligen Opposition mit der französischen Botschafft. Der Reichskanzler habe damit wohl schwerlich auch die jetzige Majorität verdächtigen wollen; aber es sei doch bedenklich, ohne Namen und Thatsachen an⸗ zugeben, solche Dinge hier vorzubringen. Solche unerhörten Vorwürfe müsse man jedenfalls auch näher begründen. Habe man die Freisinnigen nicht auch angeklagt, daß sie im Dienste des Cobdenklubs ständen? Sie seien solchen Angriffen gegenüber wehrlos und könnten nur antworten mit dem stolzen Bewußtsein, das ihnen ihr Patristismus gebe, der ebenso gut sei wie der des Kanzlers. Sie hätten nicht seine Macht, aber dieselbe Liebe zum Vater⸗ lande. Es wäre eine kolossale Ueberhebung, wenn Jemand ihren Patriotismus wagte. Sollten sie hier noch versichern, daß sie die Provinzen, in denen sie lebten und arbeiteten, nicht an Fremde ausliefern wollten? Sie seien vollständig bereit, jede Regierung zu unterstützen, sie möge heißen wie sie wolle, sofern sie zweckmäßige Mittel vorschlage, das deutsche Element im Osten zu pflegen. Aber die pflicht⸗ mäßige Prüfung über die Natur dieser Mittel müßten sie sich wahren als Mandatare des Volks. Niemand habe der Re⸗ gierung das Recht bestritten, Polen auszuweisen, ihre Ein⸗ wanderung zu hemmen. Die Freisinnigen hätten dies Recht sogar anerkannt: so insbesondere der Abg. Hänel in seiner Rede vom 1. Dezember. Was sie nicht billigten, seien solche mechanischen und drückenden Maßregeln, wie sie der Minister des Innern bezeichnet habe, diese Ausweisungen ohne Unterschied der Person, der Qualität, ob schuldig oder unschuldig, ob Frau, ob Kind, ob Mann, ob Jüngling. Redner habe sich über die Stimmung des Hauses gegenüber den vorgebrachten einzelnen Fällen gewun⸗ dert. Solche Sachen seien doch ernst genug, selbst wenn man mit der üfcege⸗ einverstanden sei, um sie nicht mit Lachen zu behandeln. Man denke doch an die Entstehungsgeschichte des Antrages im Reichstage. Der Kanzler habe sogar eine Inter⸗ pellation verhindert; nachdem er dies gethan, habe er selbst, obwohl er den Reichstag selbst nicht für kompetent erklärt habe, nach der Kaiserlichen Botschaft Angriffe gegen den Reichstag gerichtet. Hätten nicht auch die National⸗ liberalen die Kompetenz des 1 ohne Weiteres anerkannt? Nur Hr. von Rauchhaupt habe sie hier bestritten. Der Kanzler habe die Frage vollständig präzis bezeichnet: es handele sich um eine Verbesserung des Zahlenverhältnisses zwischen Polen und Deutschen; man habe an unseren Polen enug, deshalb müßten 30 000 ausgewiesen werden. Wenn iun aber trotzdem die polnischen berechtigten Staatsbürger urückblieben in Erbitterung und Erregung, sei dann eine solche Maßregel politisch klug? Könne es eine schärfere Agitations⸗ waffe geben, die Jahre und Jahrzehnte wirken werde, als eine solche „mechanische“ Maßregel? Ein Artikel der „National⸗ Zeitung“, herrührend von einem Manne, der die Verhältnisse n Posen kenne, erkläre die Maßregel ausdrücklich für nicht weckmäßig, denn statt der 30 000 Polen ohne politischen Rechte, die bis auf wenige kleine Agitatoren sehr harmloser Natur wären, würden 30 000 Polen treten mit allen poli⸗ tischen Rechten Feesgestatie⸗ der fünatischstsm Agitation zugäng⸗ lich. Sofern man die Maßregel beschränken würde auf solche, welche dem preußischen Staatswesen feindlich seien, welche vagabundirten, würden die Deutschfreisinnigen nichts dagegen haben. Nur die Massenausweisungen, ohne Unterschied, von Leuten, nec in dem Vertrauen, daß sie ge⸗ duldet würden, und thatsächlich Fefalne worden seien, ein⸗ gewandert seien, könnten sie nicht billigen. Die Regierung habe es zugelassen, daß jene Fremden in Preußen heiratheten, Haus und Hof gründeten und zu den Steuern herangezogen würden. Sei es da nicht eine Pflicht, daß man diese nicht büßen lasse, falls sie unser Staatswesen nicht gefährdeten? Warum bei der Ausweisung diese Hast und Eile? Die Schrift des Hrn. von Randow, welche darauf hinweise, daß in den letzten 10 Jahren 182 000 Köpfe nach dem Westen aus den Ostprovinzen gewandert seien, erkläre den Zudrang der Ein⸗ wanderer aus Polen. Die entstandenen Lücken sofort auszu⸗ füllen, habe seine Schwierigkeit, dazu bedürfte es wohl⸗ erwogener, langsam wirkender Maßregeln; und habe man denn gar nicht daran gedacht, welchen Einfluß die neue Wirth⸗ schaftspolitik auf die Ostprovinzen ausgeübt habe? Der „Merkur“, das offizielle Organ des Verbandes deutscher In⸗

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vefeienen, hah⸗ 1879

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ausdrücklich zugestanden, daß die Küstenpro⸗ vinzen durch die neue Wirthschaftspolitik in Bezug auf die In⸗ dustrie geschädigt würden; dasselbe Blatt habe zur Abhülfe eine „Reihe von Maßregeln vorgeschlagen; aber sei etwas davon agsgeführt worden? Erst in der letzten Zeit besinne man sich aff positive Maßregeln. Selbst in solchen Fragen, wie in der beabsichtigten Verlegung des Kadettencorps von Kulm nach Pommern, wolle man Seitens der Regierung das nach unserer Meinung thatsächlich vorliegende nationale Interesse nicht in Rücksicht nehmen. Von den Ausführungen des Ministers des Innern sei der Abg. Enneccerus sehr befriedigt gewiesen. Noch ehe er den Minister gehört habe, hätte er sein Votum bereits abgegeben. Der angeblich erhängte Arbeiter Ritze aus Rastenburg sei schon von der Presse am nächsten Tage zum Leben befördert. Im Reichstage sei er, soviel er wisse, gar nicht erwähnt. Der Minister habe mit großer Theilnahme sich nach dem von dem Abg. Möller erwähnten Primaner er⸗ kundigt und habe also sehr fleißig die einzelnen Fälle studirt. Wie stehe es denn nun aber mit den übrigen Fällen? Kein ort habe er darüber gesagt. Wie stehe es denn mit dem Mediziner Manassewitsch, welcher aus⸗ gewiesen worden sei, obwohl er als freiwilliger Krankenpfleger den französischen Feldzug mitgemacht und die Medaille be⸗ kommen und Niemand zur Last gefallen sei? Jetzt müsse er in Amerika das Brot suchen, welches er hier gehabt habe. Wie stehe es mit dem 18 jährigen andlungslehrling, der seit frühester Jugend hier gelebt und trotzdem ausgewiesen worden sei; wie mit den beiden hinfälligen Greisinnen, welche zwar noch nicht ausgewiesen seien, bei denen aber von Zeit zu Zeit ein Polizeibeamter erscheine, um sich durch den Augenschein zu überzeugen, ob sie noch nicht transportfähig geworden? Wie stehe es mit den Fällen, die Redner aus Danzig, Breslau und Thorn angeführt. Er sei jeden Augenblick bereit, dem Minister noch mehr Details anzugeben. Noch in den letzten Tagen habe er Briefe mit neuen Fällen erhalten. Lachen habe man hier gehabt, aber kein einziges Wort des Mitleids, der Bitte an den Minister, daß er in solchen Fällen milde verfahren müsse, wie es dem Deutschen Reiche gezieme. Daß nicht blos bei den polnischen Staatsbürgern, sondern auch bei den Deutschen eine Erregung über diese Fälle vorhanden sei, könne man leicht erfahren. Selbst der Kriegsmann stehe im Kriege vor der Hütte still und gebe sie nicht dem feindlichen Feuer Preis, wenn es nicht nöthig sei im Interesse des Landes, welches er vertheidige. Glaube man wirklich, daß solche Fa⸗ milien in ihrer Existenz vernichtet werden müßten im Interesse der Sicherheit des Staates? Seien das die Begriffe der An⸗ tragsteller von Schonung des Eigenthums und der Familie? Dieselben moͤchten so lange Reden halten, wie sie wollten, über die nationale Nothwendigkeit, nie und nimmer würden sie den Stachel los, den diese Maßregel auch in ihr Herz drücke, und wenn es ein einziger Fall wäre, wo man ohne Grund Eigenthum und Familie vernichtet hätte, wäre er werth, hier verhandelt zu werden. Er müsse noch einmal darauf hinweisen, was der „Staats⸗Anzeiger“ 1870 proklamirte, als 60 000 Deutsche aus Paris während des Krieges ausgewiesen wor⸗ den seien. Er hoffe, daß noch so viel Mitgefühl im deutschen Volk vorhanden sei, daß man auf die Fa⸗ milien⸗ und Eigenthumsverhältnisse friedlicher Menschen Rücksicht nehme, die den Staat nicht gefährdeten. Glaube man nicht, daß diese Dinge gegen die Deutschen im Auslande wirken würden? Ihn habe immer die stille Hoffnung noch ge⸗ trieben, daß die aungen einen Eindruck machen würden auf den Minister, und daß auch die prinzipiellen Vertheidiger der Maßregel sich mit der Opposition zu der Bitte an den

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Minister vereinigen würden, langsamen Schrittes vorzugehen

und mehr Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse zu nehmen. Das wäre ein Erfolg der Verhandlungen gewesen. Den Reichstagsbeschluß bedauere seine Partei deaeagese Wenn ihn irgend etwas darin bestärke, daß er pflichtgemäß so hätte han⸗ deln müssen, dann wären es die Verhandlungen in diesen beiden Tagen gewesen. Wolle man den Gegensatz zwischen dem allgemeinen direkten Wahlrecht und dem Dreiklassensystem noch vergrößern, Redner und seine Freunde könnten es nicht hin⸗ dern. Dann werde sich zeigen, daß diejenigen Kreise, welche durch Besitz und Bildung verpflichtet wären, die Führer des Volkes zu sein, in den wichtigen Lagen des Vaterlandes diese Führung zu übernehmen nicht berufen wären, und daß die Massen sich auf sich selbst verlassen müßten. Weshalb werde denn die Entscheidung durch das allgemeine Stimmrecht nicht noch einmal eingeholt, weshalb stehe der Reichskanzler still vor derselben? Wenn es wirklich eine so große nationale Frage sei, warum appellire man nicht an das Volk? Redner habe be⸗ reits im Reichstage die Erklärung des Majors a. D. und Rittergutsbesitzers Freiherrn von Keyserling vorgelesen, welcher ausdrücklich die Maßregel für eine unüberlegte, ungeheuerliche und schädliche ansehe, welche C von Familien ins Elend stürze. So spreche ein konservativer Mann, und der land⸗ wirthschaftliche Verein des Strasburger Kreises habe ein⸗ stimmig (es waren Mitglieder aller Parteien und nur Deutsche) an den Minister des Innern die Bitte gerichtet, die Maßregel auszusetzen. Der größte Theil dieser polnischen Ueberläufer sei im Vertrauen auf eine Jahre lang geübte einge⸗ wandert, hätte sich mit preußischen Frauen ver heirathet und zahlreiche Familien würden im Falle der Ausweisung sub⸗ sistenzlos und sielen der öffentlichen Armenpflege anheim. Der beabsichtigte Zweck würde durch ein Verbot der ferneren Ein⸗ wanderung erreicht werden u. s. w. Wolle man auf dem Gebiete der Schule in den Provinzen mehr thun, so be⸗ grüße er das mit Freude. Seine Partei habe oft genug über die Unterlassungssünden in den letzten Dezennien geklagt. Wolle man gut dotirte, tüchtige Lehrer in die Ostprovinzen senden, neue Schulen gründen, der Ueberfüllung der bestehen⸗ den, in denen oft 120 Kinder auf einen Lehrer kommen, ab⸗ helfen, die Schulaufsicht verbessern und sie technischen Kräften übergeben: für diese Zwecke würde sie bereitwillig die Mittel zur Verfügung stellen. Auch die Kolonisation müsse reiflich erwogen werden; seit Jahren schon verlange seine Partei Parzellirungen in den östlichen Provinzen. Er würde sich noch Henpeth scher ausdrücken, machte ihn nicht die Rede des Reichskanzlers vorsichtig. Ihn mache stutzig die Aussicht, daß sämmtliche polnischen Grundbesitzer mit 300 Millionen Mark expropriirt werden könnten; und gar das etwaige Verbot, eine Polin zu heirathen! Seit Monaten bae man sich rivatim in engeren Kreisen mit der Frage be⸗ chäftigl, ob nicht durch Privatthätigkeit eine größere Kolonisation in den Ostprovinzen durch führbar wäre. Damit würde man mehr erreichen, als wenn 8. Staat es allein thue, der solche Dinge bekanntermaßen nicht immer zweckmäßig auszuführen verstehe. Der Reichskanzler habe auch wieder über die Friktionen geklagt. Früher seien es die Friktionen

mit den Ministermm Camphausen, Achenhach der jett; glied des Hauses sei und Andern gewesen Friktionen sei der Reichskanzler niemals gewesen; e es auch nie sein. Auch die Frage der Ministerkandiden habe er wieder berührt, Redner sogar zum eventuellen Han Minister gemacht. Seit den Tagen aber, wo er 1 früheren Minister von Stosch eine Verschwörung zum 8 des gemacht haben sollte bekanntlich durch b Nationalliberalen in die Welt gesetzt wo der Neicheke ausdrücklich erklärt habe, er denke nicht daran, seinen Pr zu verlassen, glaube Redner nicht mehr, wenn der Reichskmd mit seinem Abgang drohe. Er möchte ihn auch seiner auf Ehrenwort fragen, ob er sich dazu verstehen würde. P. däs geschähe, dann möge sich ja Hr. Windthorst die Sache eim überlegen. Der Mann, der eine Machtfülle habe, wie Staatsmann in diesem Jahrhundert, klage über die Majo 3 des Reichstages. Was solle man im Ausland dazu s Noch nie sei einem Minister weniger widersprochen 5. solcher mehr von der Nation und der Volksvertretung kannt worden, als der Kanzler. Sei nicht im Volk die Rein art ständig, die man immer bekämpfen müsse: „Gebt Euch keine Muh⸗, Bismarck erreicht ja doch Alles, was er vij Sollte dieser mächtige Mann unter Friktionen zu Grnk gehen? Sollte er zu überlegen nöthig haben, ob er Kopf Ehre einsetzen müsse, um diese Reichstagsmajorität zus kämpfen, eine so zahme Majorität, die bewillige, was in im Interesse des Vaterlandes erforderlich sei? Er frage Kriegs⸗Minister: sei ihm nicht gegeben, was er brauche? Würh nicht Hunderte von Millionen sährlich bereitwillig gewährt?7 Reichskanzler spreche von Obstruktionspolitik auf finanziel Gebiet. Das habe der Abg. Windthorst verdient. 130 x lionen habe man 1879, 50 Millionen 1884 bewilligt. Sei Reichskanzler zufrieden? Derselbe brauche ein Parlament n dem er weiter „Geschäfte“ machen könne, er wolle 300 M. lionen aus dem Branntwein⸗Monopol. Werde dies abgelehr so wolle er dem Reichstage seine Gegenwart mehr vorr halten. Er werde ja wissen, ob er damit die Wege weit wandele, die er 1870 unter dem Jubel aller Deutschen ein⸗ schlagen habe. Das aber solle man bedenken: billi werde nicht, wenn man jetzt öfter die Ehre haben werde, 8* Reich kanzler im Hause zu sehen. Ueber 100 Millionen habe da selbe gestern schon in der Licenzsteuer verlangt; Redner wol sehen, ob man diese „nationale“ Politik ohne weiteres ni machen werde. Die Beutschfeiftnnigen seien gegen die staatz sozialistischen Experimente des Reichskanzlers, aber nicht deshabh weil sie den Reichskanzler bekämpfen wollten. Im Genem theil, es wäre ihnen lieber, Arm in Arm mit dichn grose Mann zu gehen. Es seien aber große Gegensätze in d beiderseitigen Auffassung des öffentlichen Lebens vorhanden Nicht aus Liebe zur Opposition, sondern in der Ueberzeugung daß diese Wege verlassen werden müßten, träten die zn sinnigen den Maßregeln des Kanzlers entgegen. Sie hätte nicht die Elastizität, ein Dezennium den Freihandel, das ande den Schutzzoll für das dem Lande Heilsame zu halten. Nih Nörgelei, sondern Pflicht und Gewissen treibe sie zu ihr Das Volk mese⸗ was es davon zu halt habe. Wo wäre denn das Reich, wenn der Reichstag nichti den letzten zehn Jahren den Hemmschuh angelegt hätten Welche Beschränkungen der Freiheit, der Macht des Pare ments, und welche staatssozialistischen Einrichtungen hätte me dann nicht längst? Von der zweijährigen Etatsperiohe bis zum Taback⸗Monopol! Der Reichstag habe de Lande damit einen Dienst erwiesen, daß er diss Gesetze abgelehnt habe. Auch die Nationalliberalen hätten dazu mtpeholen Große Männer gereichten einer Nation zun Glück, aber ihre Wirksamkeit werde nur dann in rechter Weit zum Heil gereichen, wenn neben ihnen eine bewußte Volk⸗ vertretung stehe, welche aus dem Innern des Volkes heraus ihre Meinung geltend zu machen verstehe. Das sei der Zwch und der Sinn der Verfassung. Möge man über den Reich tag sagen was man wolle, so lange er das durch allgemein direkte Wäahl ihm übertragene Mandat inne habe, so lang⸗ werde er auch dafür sorgen, daß die Vertretungen der Partikularstaaten, sobald sie über ihre Schranken hinaus⸗ gingen, zurückgewiesen würden. Es werde nicht gelingen, den Reichstag in seinem Ansehen vor dem Volk herabzusetzen. werde diejenige Stellung aufrecht zu erhalten wissen, die ih von Gott und Rechtswegen gebühre. 1 Darauf erklärte der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums Minister des Innern, von Puttkamer: Meine Herren! Wenn ich mir zunächst den letzten Theil der Aus⸗ führungen des Herrn Vorredners vergegenwärtige, 1 überkommt nich das Gefühl: wo sind die schönen Zeiten geblieben, als die wi ich anerkenne glänzende Beredtsamkeit desselben sich in Babna bewegte, die der Königlichen Staatsregierung wenigstens im Großen und Ganzen freundlich und nicht unsympathisch waren? Ich erinnen mich noch lebhaft seiner glänzenden Improvisation gegen seinen jetzigen Parteichef im Reichstage; ich habe ihn damals meine Bewunderung dafür auszusprechen Gelcger⸗ heit gehabt, wo er so erfolgreich die Angriffe des Hrn. Abg. Richte⸗ gegen die Wehrkraft des Deutschen Reiches zurückwies. Das ist um Alles anders geworden. Seit einer Reihe von Jahren, seitdem die Politik des Herrn Reichskanzlers, wie allgemein oder doch von 6 großen Mehrheit des Volkes anerkannt wird, aus guten Gründan auf vielen Gebieten andere Wege eingeschlagen hat, als der Hr. Iüg. Rickert es für nützlich hält, seit jener Zeit hält der Herr Vorrednch es leider für nöthig, seine glänzende Beredtsamkeit dagegen zu kehren und ich muß sagen, daß auf mich seine politische Entwicklung in d Jahren den Eindruck macht, als ob er sich auf einer schiefg Ebene befindet, und daß er in bedenklicher Weise immer mehr herab⸗ gleitet. (Sehr richtig! rechts; Widerspruch links.) Meine 6 diesen Eindruck, das muß ich konstatiren, habe ich auch ro allen übrigen Theilen üls- Rede gehabt. Ich will zunächst auf Dasjenige eingehen, was den Eingang seiner Rede bildete, also auf den allgemeinen politischen Theil, inden ich mir vorbehalte, auf die speziefl gegen mich gerichteten Ars führungen noch spaͤter zurückzukommen. 1 Er fand es zunächst bedenklich und dem Vorwurfe ansgefee daß der Herr Reichskanzler neulich an die Stellung erinnert habe, 1 ihm das Abgeordnetenhaus in der Polenfrage 1863 bereitet har Der Herr Reichskanzler, so meint Herr Rickert, habe ganz 92 vHen, daß über jene Ereignisse inzwischen der Schleier der ag nung gezogen sei, daß die Indemnität über jenen von der preußisf Staatsregierung begangenen Rechtsbruch Verzeihung gebreitet üe widerstehe es dem Herrn Reichskanzler da nicht, nach diesem Verst nungsakt auf jenen alten Konflikt wiederum zurückzukommen? t Meine Herren! Ich muß da doch zunächst einschaltend behg daß von diesem Tische aus der sogenannten Indemnität die Hedae tung niemals wird zuerkannt werden können, welche ihr der Abg. Ricke heute beimaß. . . bewuft Die Regierung Sr. Majestät des Königs ist sich niemals be dc gewesen, daß sie einer Verzeihung für die Maßregeln, die sie in damaligen Nothlage während der Konfliktszeit getroffen ge lan dürfte, sondern sie hat die Indemnität als einen Waffenstilf Uttig als einen Kompromiß, als einen gegenseitigen Vergleich über streit

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ich gestern bruchstückweise

e und Pflichten angesehen. Aber, meine Herren, wenn aus der Partei nüch nnih notorisch die einzige gewesen ist, welche der Indemnität widersprochen hat, auf diese Sache exemplisizirt wird, err Abg. Rickert ist ja damals noch gar nicht einmal Mitglied der Partei und ich glaube, überbaupt auch noch nicht des Abgeordneten ause ge⸗ wesen aber die Fortschrittspartei des preußischen Abgeordnetenhauses hat bei der Schlußabstimmung gegen die Indemnität gestimmt, und ich spreche jetzt ihren Mitgliedern das Recht ab, heute in dieser Weise auf diese Frage zurückzukommen.

Und dann, meine Herren, waren die Ausführungen des Abg. Rickert auch nach einer anderen Richtung ganz verfehlt: dem Herrn Reichskanzler ist es, wenn ich seine Rede nur einigermaßen korrekt im Gedächtniß habe, gar nicht in den Sinn gekommen, zurückzu⸗ kommen auf den Verfassungskonflikt zu Anfang der sechziger Jahre, und deshalb ist es auch durchaus unzutreffend, wenn der Abg. Rickert durch Verlesung der von dem Herrn Reichskanzler gehaltenen Rede darauf zurückkam. Diese Rede beschäftigt sich ganz ausschließlich mit der Frage, ob das damalige Abgeordnetenhaus in verfassungsmäßigem Rechte gewesen fei, wenn es die Regierung im Anfang der sechziger Jahre als verfassungswidrig hekämpfte; neulich hat der Herr Reichskanzler lediglich von der Haltung des Abge⸗ ordnetenhauses in der Polenfrage gesprochen, in der großen Konfliktsangelegenheit, die sich auf diesem Gebiete abspielte. Und Sie sollten es sorgfältig vermeiden, auf die Haltung des damaligen Abgeordnetenhauses in dieser Frage irgendwie zurückzukommen, dieses Zurückkommen kann nur zum Nach⸗ theile Ihrer politischen Stellung ausschlagen. Ich glaube auch, daß die ganze Stimmung, in der der Abg. Rickert diese Aus⸗ führung gemacht hat, in sehr nachtheiliger Weise reflektiren kann auf seine unmittelbar daran sich anknüpfenden Ausführungen über die eigentliche Polenfrage.

Meine Herren, das ist ja selbstverständlich und dafür bedurfte es gar keiner Versicherung aus dem Munde des Abg. Rickert, daß in diesem Hause und namentlich auch unter seinen Freunden Riemand sein wird, der den Polen preußisches Land ausliefern will. Aber wenn er außerdem sagte so habe ich wenigstens ihn verstanden auch von Seiten der polnischen Abgeordneten könnte so etwas nicht beabsichtigt werden, so vergißt er den Eindruck unserer Verhand⸗ lungen aus den letzten Tagen doch vollständig. (Abg. Rickert: Das habe ich nicht gesagt!) Ich habe allerdings zu hören geglaubt, daß von ihm in diesem Sinne gesprochen worden ist. Und wenn das sein Standpunkt ist, dann, muß ich auch sagen, finde ich es voll⸗ kommen begreiflich, daß er gegenüber all den Abwehrmaßregeln, welche die Regierung im Interesse des Landes gegen diese Bewegung treffen zu müssen glaubt, einen mehr als platonischen Standpunkt einnimmt. Wenn man so kühl über die nationale Frage, die hier im Spiel ist, denkt, wie meiner Auffassung und meinem Eindruck nach aus den Worten des Abg. Rickert hervorging, so helfen alle hochtönenden Redewendungen, die das Gegentheil versichern, nicht, sondern dann hat der Gegner den Eindruck, daß allerdings die Nothlage, in der die preußische Regierung sich den Polen gegen⸗ über befindet, von dem Abg. Rickert nicht in genügendem Maße ge⸗ würdigt wird, und das erklärt seine gesammte Haltung der Aus⸗ weisungsmaßregel gegenüber, auf die ich jetzt noch mit einigen Worten zurückkommen will.

Hat denn der Abg. Rickert ganz und gar vergessen ich kann von ihm nicht verlangen, daß er meine Reden vollständig studirt und stets bei sich führt, aber so viel hätte ich doch von ihm verlangen können daß er die Hauptargumente, die ich im vorigen Jahre die Ehre hatte hier vor Ihnen auszuführen, nicht vollständig ignorirt und einfach unter den Tisch wirft. Er thut so, als wenn die preußische Regierung mit einem Mal in einem Anfall von übler Laune sagt; wir haben 30 000 fremde Polen, die müssen heraus. Ich denke, es ist mir doch in mei⸗ nen vorjährigen Ausführungen gelungen ich habe wenigstens den Eindruck gehabt, die Majorität dieses Hauses diesen Stand⸗ punkt theilte Ihnen zu beweisen, daß eine sehr schwere all⸗ gemein wirkende nationale Gefahr für das deutsche Wesen in diesen massenhaften polnischen Zuzügen liege; und wenn der Herr Abgeordnete mir als unabsichtliches Gegenargument sagen will, ja, die Agitatoren könnt Ihr hinausbringen, aber warum die armen unschuldigen Leute, so wiederhole ich ihm, daß ich die persönliche Harmlosigkeit ich habe es schon im vorigen Jahre gethan einer großen Anzahl dieser Leute vollkommen anerkenne. Aber, meine

erren, bedenken Sie doch gefälligst das, was ich schon im vorigen Jahre ausgeführt habe. Es ist hier zunächst völlig gleichgültig, ob die

große Masse der Leute, um die es sich hier handelt, persönlich harmlos

ist oder nicht. Ihre Gegenwart innerhalb unseres Staates legt uns, so namentlich auf dem Schutzgebiete gewisse Verpflichtungen auf, die wir ohne Gefährdung der deutsch⸗nationalen Intteresen nicht erfüllen können. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir genöthigt sind, ihnen den ferneren Aufenthalt zu versagen. Ferner, meine Herren, ganz abgesehen von den von dem Hrn. Abg. Rickert bereits preisgegebenen Agitatoren, wie denken Sie sich die Haltung dieser durch kein nationales Band an uns gerknüpften, durch keine Ver⸗

8. pflichtung uns gegenüber engagirten Leute in einer Zeit der Unruhe unnd des Aufstandes, ich will gar nicht sagen bei uns, sondern

in den Nachbarreichen? Werden Sie nicht von vornherein zu⸗ eben müssen, daß die bloße Thatsache der Gegenwart einer so großen Anzahl fremder, durch keine Verpflichtung der Treue an uns gebundenen Polen in solchen Zeiten eine sehr ernstliche Gefahr bedeutet? Ja, meine Herren, wer das verkennt, der nimmt es in allen diesen Sachen zu leicht. Diese Dinge sind von uns sehr ernst er⸗ wogen worden, und ich möchte den Herrn Abg. Rickert bitten, wenn er diese leidenschaftlichen Angriffe auf eine wohl erwogene Maßregel häuft, die Verantwortung seinerseits zu würdigen, die er übernimmt, wenn er mit solcher Entschiedenheit dagegen ankämpft. Nun, meine Herren, hat der Herr Abgeordnete mich sehr heftig angegriffen, daß und gewissermaßen ironisch einzelne Fälle, die zu besonderen Härten bei den Ausweisungen haben Veranlassung

geben sollen, zur Anregung der HKeiterkeit gemißbraucht habe, und er

hat mich provozirt, um auch noch dasjenige zu beantworten, was der Hr. Abg. Möller im Reichstage hierüber gesagt hat und was er seiner⸗ seits der Regierung vorwirft. Ja, meine Herren, wenn Sie mich durch⸗ aus zwingen, auf alle diese Gegenstände hier einzugehen, ich bin vollständig in der Lage dazu dann muß ich von vorn⸗ erein sagen, der Hr. Abg. Rickert thut einer großen Anzahl von Leuten, um die es sich handelt, gar keinen Gefallen damit, aber er cheint es zu wünschen, ich will ihm zu Willen sein. Also mit großer

Emphase wurde darauf hingewiesen, daß ein Student Namens Manasse⸗

wicz der Mann ist übrigens zu recht hohen Semestern gekommen; enn wenn er 1870 freiwilliger Krankenträger gewesen ist .. .. dieser Fall ist mir vollständig bekannt, und ich bin nun genöthigt, die Charakterisirung dieses Mannes vorzulesen, und dann werden Sie sich selbst ein Urtheil darüber bilden können, ob auf das Verbleiben desselben im preußischen Staat ein so großer Werth zu legen ist. Also der mir vorliegende amtliche Bericht sagt, dieser Mann ich will den Namen nicht wiederholen war ein verkommenes Subjekt, welcher in dem Verdachte stand, mit den Nihilisten in Verbindung zu stehen. Er sollte schon vor mehreren Jahren, als er noch im Regierungsbezirk Gumbinnen war, ausgewiesen werden. Zur Kranken⸗ pflege ging er allerdings im Jahre 1871 mit, weil er keine Be⸗ schäftigung hatte; die Medaille hat er natürlich wie jeder andere Krankenpfleger bekommen. Wie er diesen Dienst delen hat, ist nicht bekannt. Wenn man überhaupt die Anwesenheit fremder Polen bei uns für schädlich hält, dann glaube ich, ist ier ein experimentum in anima vili vollständig bewiesen, und ich kann nicht einsehen, warum dieser Fall eine besondere Berück⸗ sichtigung verdient. Dann ist die Rede von einem jungen Hand⸗ lungsgehülfen gewesen, der trotz seiner Bitte, für seine erkrankte Mutter sorgen zu dürfen, ausgewiesen sei. Mein Kgac er Bericht besagt, daß er vollkommen abkömmlich gewesen sei und daß alle An⸗ ührungen, welche er zur Unterstützung seines Befristungsgesuches gemacht habe, auf Unwahrheit beruhen.

Zwei Greisinnen sollten ausgewiesen worden sein.

Der amtliche

Bericht, der mir vorliegt, sagt, daß auf ihre Reklamationen ihnen der fernere Aufenthalt gestattet war.

Nun hat Hr. Abg. Rickert auch von mir verlangt, ich solle auch auf die Fälle eingehen, die ihm näher liegen, nämlich auf die Danziger. Der einzige Fall, der hier zu meiner Kenntniß gelangt ist, ich

laube, es wird derjenige sein, der identisch ist mit dem von Hrn.

Abg. Rickert angeführten betrifft einen Mann, von dem ich doch nur sagen kann, er ist doch mindestens sehr fragwürdiger Natur. Hr. Abg. Rickert sagt, das sei ein Mann, der in den besten Verhält⸗ nissen in Danzig gelebt habe, ein blühendes Geschäft betrieben habe und dessen Ausweisung doch eine große Härte involvire. Meine Herren, dieser Mann ist dadurch einigermaßen fragwürdig, daß er 5 verschiedene Namen führt.

Ich glaube, die Juristen unter Ihnen werden das, was man unter dem Begriff „alias“ versteht, kennen und von vornherein daraus kein günstiges Vorurtheil über den betreffenden Mann schöpfen. Aber das wäre ja an sich sehr gleichgültig. Ich glaube, es würde ja sehr hart sein, wenn wirklich durch die den Mann treffende Ausweisung sein Vermögensstand ruinirt wäre. Meine Herren, ich will hier ganz offen sprechen: nach dem mir vorliegenden amt⸗ lichen Bericht ist der Konkurs allerdings unmittelbar veranlaßt durch die Ausweisung, aber der Bankerott ift schon seit Jahren latent vorhanden. (Zurufe links. Große Heiterkeit rechts.)

Meine Herren, das hat mir eine verantwortliche Staatsbehörde amtlich versichert, und der muß ich Glauben schenken. Also wenn ich auch anerkenne, daß es ein sehr trauriger Fall ist, so hat er doch bei weitem nicht die Tragweite, die der Hr. Abg. Rickert ihm unter⸗ schiebt. Aber, meine Herren, alle diese Einzelfälle ich werde ja vielleicht noch beim Etat des Ministeriums des Innern der Hr. Abg. von Jazdzewski hat dies ja angekündigt in der Lage sein eine ganze Anzahl solcher Fälle vor Ihnen diskutiren zu müssen ich behaupte nur Folgendes: Sie handeln nicht richtig, wenn Sie mich hier auf einzelne Fälle von Härten zu engagiren suchen. Ich bin und fühle mich verantwortlich und über⸗ 8vö2 die Verantwortlichkeit dafür, daß ich mich engagirt habe für das Prinzip, und daß ich bei Ausführung des Prinzips durch generelle Maßregeln möglichst die Härten und Schwächen zu nehmen bemüht bin, und wenn der Hr. Abg. Rickert mir eine Resolution des land⸗ wirthschaftlichen Vereins im Strasburger Kreise vorführt, in welcher der dringende Wunsch ausgesprochen ist, man solle mit den Aus⸗ weisungen der ländlichen Arbeiter und kleinen Besitzer nicht so scharf und hart vorgehen, so ist dieser Wunsch vollkommen erfüllt. Es ist nicht richtig, daß die Ausweisungsmaßregel überstürzt und übereilt ausgeführt wird, sondern ich habe in der Verfügung, die der Hr. Abg. v. Jazdzewski allerdings mit irrthümlicher Inhaltsangabe gestern zitirte, und ich habe das ausdrücklich auch ausgeführt mit allem Nachdruck betont: die Herren Oberpräsidenten hätten vollkommen die Latitüde, in allen dringenden und Nothfällen Fristen zur Abwickelung der Verhältnisse zu gewähren. Also, meine Herren, das, was auf dem prinzipiellen Gebiete der Maßregel überhaupt geschehen konnte, ist geschehen. Freilich, wenn der Hr. Abg. Rickert immer wieder darauf zurückkommt, wir dürfen nicht zu dieser, auch völkerrechtlich bestrittenen Maßregel der Massenausweisungen schreiten, dann kann ich natürlich mit ihm nicht weiter diskutiren; aber das schien doch in seinen Wünschen zu liegen, daß ich nunmehr, nachdem das Prinzip von uns angenommen ist und auch, wie der Herr Reichs⸗ kanzler mit vollem Einverständniß des Staats⸗Ministeriums er⸗ klärt hat, weiter durchgeführt werden wird, ich mich bemühe, diejenigen Moderamina und Modifikationen anzubringen, welche mit dem Staats⸗ interesse überhaupt verträglich sind. Das werde ich fortgesetzt zu thun bemüht sein. Es ist auch kein Grund, anzunehmen, daß mir das nicht gelingen sollte, aber ein weiteres kann ich dem Hrn. Abg. Rickert allerdings nicht in Aussicht stellen.

Der Abg. Hagens meinte, die Erregung des Abg. Rickert egen die gute Sache, die seine Partei hier vertrete, erkläre sich eicht aus dessen Bitterkeit über die Angriffe des Reichskanzlers gegen die Haltung der deutschen Fortschrittspartei in der Polendebatte von 1863. Müßte es aber nicht auch dem Reichskanzler schmerzlich sein, jetzt nach 23 Jahren, nach dem beispiellosen geschichtlichen Aufschwunge Preußens und Deutsch⸗ lands, in einer dem Kernpunkt nach gleichen Angelegenheit so entschiedenen Widerspruch an derselben Stelle zu erfahren? Die nationalliberale Partei gehöre in dieser Frage nicht zu denen, die halb heiß, halb kalt seien, sie sei im Wesentlichen nur heiß und habe nicht blos das Land, sondern Europa hinter sich. Die Absicht des Staatsstreichs sei dem Kanzler ohne Grund untergeschoben worden, er habe am Schlusse seiner ersten gewaltigen Rede ausdrücklich die Worte zugefügt: ‚soweit es Gesetz und Verfassung erlauben“. Auf die Monopolfrage gehe Redner nicht ein, er pflege nicht über Dinge zu reden, die noch garnicht fertig seien. In das Verdammungs⸗ urtheil über die wirthschaftlichen Maßnahmen des Kanzlers könne er nicht einstimmen; habe derselbe nicht die Eisenbahn⸗ verstäaatlichung mit Konservativen und Liberalen zum Segen des Landes durchgeführt? In den Blättern der jüngsten Tage sei häufig zu lesen gewesen, daß der erfindungsreiche Odysseus gegen Bismarck ein Waisenknabe sei. Wer hätte wohl geglaubt, daß heute ein Staatsmann, um einen Konflikt zwischen zwei sonst befreundeten Mächten zu lösen, sich an das Seegt der katholischen Kirche wende, daß der Papst das Schiedsrichteramt annehmen und sich für die Uebertragung, wie geschehen, bedanken würde? Der vorliegende Antrag be⸗ grüße die Absicht positiver Maßregeln mit Freuden, ohne die Maßregeln selbst im Voraus 8P. Weiteres gut zu heißen. Die Verhandlungen darüber ließen sich sehr wohl als eine Antwort auf die Thronrede, als ein Stück Adreßdebatte auf⸗ assen. Die Majorität habe damit keineswegs Alles unter⸗ chrieben, was die Regierung vorzuschlagen für gut finden

bleibe immer noch übrig, nein zu sagen, werde man vom Standpunkt positiver Mitwirkung an den beabsichtigten Maßnahmen, die an das Haus kommenden Vorlagen zu verbessern und zu amendiren. Ebensowenig habe man im Voraus das Geld in unbegrenzter Höhe für unbekannte Zwecke bewilligt. Die Gegenparteien hätten nun drei Gegenanträge eingebracht, von denen der deutschfreisinnige, auf die Schulverhältnisse bezügliche die Unterschrift hervorragender Mitglieder dieser Partei ver⸗ missen lasse. Im Uebrigen habe ja diese Partei bei der Be⸗ rathung des Antrags Uhlendorff einfach ertlärt, die Majorität hier sei auf Grund der öffentlichen Abstimmung und unter dem Druck einer administrativen Pression gewählt, sie sei nicht die 8 Vertretung der Ueberzeugung des preußischen Volkes, ihre Abstimmung sei werthlos und bestellte Arbeit, das preußische Volk werde uns nicht glauben. Aber die Herren Deutschfreisinnigen säßen doch auf Grund dieses selben nichts⸗ würdigen Wahlrechts hier, und wenn sie dem Hause dann die Reichstagsmajorität gegenüberstellten, die ohne Anhörung der betheiligten Staatsregierung einen guten Beschluß in der Polenangelegenheit gefaßt haben solle, so müsse doch festgestellt werden, daß für die Deutschfreisinnigen auch das Resultat der geheimen Wahl kein besonders glänzendes gewesen sei; hervor⸗ ragende Führer der Partei seien erst in engerer Wahl mit Hülfe von Sozialdemokraten und Centrum gewählt. Eine Partei, die diesen Helsern Garantien habe geben müssen, müßte eigentlich nicht freisinnige, sondern gebundene Partei heißen. Gegen den Katholizismus richte sich der Antrag absolut nicht; man dürse in dieser Beziehung den Ausführungen des Abg.

werde. Es versuchen aber

von Stablewski ebenso wenig unbedingtes Vertrauen schenken, wie der Behauptung, daß die Katholiken in der Armee und im Zivil zurückgesetzt würden. Unter den General⸗ Adjutanten des Kaisers seien zwei Katholiken, Fürst Anton Radziwill, zugleich Pole von Abstammung, und General von Los; in dem Ministerium des Fürsten Bismarck seien die Herren Lucius und Maybach Kotholiken; im diplomatischen Dienst Fürst Hohenlohe und Graf Hatzfeldt. Freilich, wenn die Herren nicht zugleich Zentrumsmitglieder seien, seien es überhaupt keine Katholiken mehr! Der Redner ging dann zu einer historischen Betrachtung über, um die systematische und allen Toleranzgrundsätzen Hohn sprechende Vernichtung evangelischer Religionseinrichtungen in Posen darzulegen, erwähnte, daß noch 1724 in Thorn neun Personen des Glaubens wegen durch Henkersbeil ge⸗ richtet seien, und suchte in einem besonderen Exkurs unter Zitirung des französischen Textes der Wiener Schlußakte die Nichtigkeit der polnischen Rechtsansprüche auf die Verträge und Verheißungen nachzuweisen. Die sehr ins Einzelne gehenden Darlegungen des Redners wuͤrden von dem Hause mit steigender Unruhe und Unaufmerksamkeit entgegenge⸗ nommen. Der Antrag bedeute keineswegs einen Schlag gegen den Reichstag, man habe ja innerhalb gewisser Schranken die Kompetenz des Reichstages anerkannt. Auch gerathe man mit dem Reichstage gar nicht in Widerspruch, denn das dort nach dem Ausspruch Windthorsts gefällte Kontumazialurtheil sei ja gar nicht mehr vorhanden. Die vorgekommenen Härten seien ungeheuer aufgebauscht, in Posen habe gar keine besondere Aufregung geherrsche die „Posener Zeitung“ ihre Haltung bereits geändert; der Abg. Büchtemann habe keineswegs un⸗ bedingte Zustimmung zu seinem Posener Vortrag über die Ausweisungen gefunden, und erst kürzlich sei der freikonser⸗ vative Landrath Müller mit Unterstützung polnischer Stadt⸗ verordneten zum Ober⸗Bürgermeister der Stadt gewählt wor⸗ den. Redner schloß, nachdem er noch die Idee der Begrün⸗ dung einer Universität Bromberg erwähnt: Auf das Positive gehe er nicht weiter ein, er könnte noch Stunden lang sprechen. Die Nationalliberalen sagten Suum cuique auch für die Staats⸗ bürger polnischer Zunge, der preußischen Regierung aber riefen sie zu: Sincere et constanter!

Darauf erklärte der Kriegs⸗Minister, General⸗Lieutenant Bronsart von Schellendorff:

Meine Herren! Der Herr Abg. Rickert hat in seiner heutigen Rede zweimal mich provozirt durch Aeußerungen, auf die zu erwidern ich mich für verpflichtet halte. Einmal hat der Herr Abgeordnete ge⸗ sagt: es wäre doch wunderbar, daß in dem Moment, in dem die preußische Regierung mit Maßregeln zur Abwehr des Polonismus vorgehe, gleichzeitig in Aussicht genommen werde die Verlegung des Kadettenhauses in Kulm nach einer Stadt Pommerns. Ueber diese Frage ist eine Entscheidung noch nicht getroffen. Ich möchte aber doch darüber keinen Zweifel lassen, daß meiner Meinung nach die Frage, ob das Kadettenhaus in Kulm verbleibt oder nicht, von sehr geringem, vielleicht gar keinem Einfluß auf die Frage ist, um die sich's hier handelt. Der Herr Abgeordnete hat mich hingewiesen darauf, daß Friedrich der Große dieses Kadettenhaus dort errichtet habe. Das ist ganz richtig: Friedrig der Große ging dabei von seh bestimmten Absichten aus, die sich auch zu seiner Zeit und unmittel bar nach seiner Regierung vollständig erfüllt haben. Es war die Absicht des Königs, durch ein derartiges Militairknaben⸗Institut den Adel der polnischen, neu erworbenen Landestheile zum Dienst im preußischen Heere zu veranlassen und so überhaupt eine Konsolidi⸗ rung und baldige Assimilirung der neuen Provinzen mit den alten herbeizuführen. Das ist ihm auch zuerst gut geglückt: von 1785 bis 1794 waren 97 Knaben aus polnischen katholischen Familien in dem Kadettenkorps, von 1795 bis 1804 93, von 1815 nur noch 20, von 1825 bis 1834 nur noch 16; von da sinkt die Zahl

sehr schnell und seit einer langen Reihe von Jahren befindet sich aus

den polnischen katholischen Familien des Großherzogthums Posen kein einziger Knabe mehr in dem Institut. schlesiens dient weiter in der Armee; da steht eine ganze Masse von Offizieren auch heute noch in der Armee. Ich komme auf den Punk nachher noch weiter zurück. Nun, meine Herren, werden Sie mi zugeben, daß, wenn eine Anstalt, die mit einem bestimmten Zweck auf einen bestimmten Punkt gelegt ist, nicht mehr erfüllt und wir haben kein Mittel, der polnischen Familien dort in das Kulmer zu nöthigen, daß dann die Frage ungünstigen Lage und all den anderen Verhältnissen es nicht zweck⸗ mäßig ist, das Corps zu verlegen. Wenn hier nun übrigens wirklich wichtige Germanisirungsinteressen auf dem Spiele ständen, würde i 8 gar nicht leichten Herzens an die Verlegung dieser Anstalt heran⸗ gehen. Aber, meine Herren, das ist doch keine Frage, daß ein Institut, das seiner großen Mehrzahl nach aus Kindern besteht, bei welchem nur 7 Personen, Pfarrer und Lehrer, aus dem Civilstande angestellt sind, zu denen noch ein Civilerzieher hinzutritt, 5. dieses Institut einen wesentlich germanisirenden Einfluß nicht ausüben kann. Abgeordnete sagt: auch der Magistrat von Kulm hätte einstimmig sich dafür ausgesprochen, daß das Corps dort verbleibe. Das ist ganz richtig, aber ich möchte doch nicht mit Bestimmtheit sagen, meine Herren, daß der Magistrat aus nationaler Ueberzeugung oder aus nationalem Interesse dazu gekommen ist. Meine Herren, 2 erlebe es alle Tage, daß, wenn eine kleine Stadt in der Garnison geschwächt werden soll, daß dann mit Rücksicht auf die Erwerbsverhältnisse der ganzen Einwohnerschaft bei mir petitionirt wird und mir gesagt wird, man sollte doch die Garnison lieber da lassen. Nun glaube ich auch, daß die Interessen der Stadt auf diesem Gebiet 1 Aus diesen Gründen also, meine Herren, möchte ich glauben, daß wir diese Frage nicht mit der gegenwärtig schwebenden Frage ver⸗

die Kinder

mischen sollen. In meinem Streben, im vorigen Jahre eine Position

zur Projektbearbeitung im Reichstage durchzubringen, bin ich mir nicht

bewußt, eine besondere Unterstützung der polnischen Fraktion gefunden

zu haben, ich habe die Herren nicht darum gebeken, es ist auch 5

keiner der Herren zu mir gekommen und hat mir gesagt: machen Sie

das nur, das entspricht unseren beiderseitigen Interessen! Ich weiß nichts davon, ich weiß nicht mal, ob die Herren wirklich dafür ge⸗ stimmt haben oder nicht. Nun, meine Herren, komme ich auf einen anderen Punkt. Das sind die Bemerkungen, die der Herr Abgeordnete in den mehr scherzhaften Theil seiner Rede einflocht bei Gelegenheit der Kritik der Beziehungen des Herrn Reichskanzlers zu den parlamentarischen Körper⸗ schaften. Er sagte, sowohl der Herr Chef der Admiralität als ich, wir würden wohl gefunden haben, daß es gar nicht 12 schlimm wäre, sich mit den Herren zu verständigen, das hätte sich bei den verschiede⸗ nen Etatsberathungen u. s. w. immer mit der höchsten Gemüthlich⸗ keit gemacht. Meine Herren, so ganz kann ich das doch nicht zu⸗ geben. Ich habe aus meinen Unterhaltungen mit den Herren, namentlich in den Kommissionen, wo ja die Leidenschaften keine Rolle spielen, allerdings persönlich die angenehmsten Erinnerungen, es ist da immer wirklich, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, ganz gemüthlich hergegangen, aber wenn es zum Abstimmen kam, dann hörte die Gemuͤthlichkeit auf, wie dies leicht eintritt, wenn es sich um Geldsachen handelt, das ist ja eine bekannte Sache, und da muß ich sagen, daß gerade in diesem Jahre es gehört ja eigentlich nicht hierher, ich bitte, das zu entschuldigen, weil der Abg. Rickert diese Frage angeschnitten hat, daß ich in diesem Jahre doch im höchsten Maße unbefriedigt bin durch das, was dort Alles abgesetzt ist, und mir in sehr ernstbafter Weise die Frage vorgelegt habe, ob es mir überhaupt möglich ist, mit den dort bewilligten Mitteln die Militairverwaltung, namentlich soweit die Militair⸗ bauvp erwaltung in Frage kommt, weiterzuführen. Das sind Neben⸗ ¹

is 1824

Der katholische Adel Ober⸗ 6

diesen Zweck absolut

Der 3

8

88 Kadettenkorrs sehr berechtigt ist, ob bei der

iegen.