1886 / 34 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 08 Feb 1886 18:00:01 GMT) scan diff

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von jener Seite über das Verhältniß der Staatsaufsicht z

munalen Leben reden hört, dann sollte man glauben, in der Städte⸗ ordnung stände etwa Folgendes: „Die Aufsicht über die Kommunen steht dem Staate zu, sie darf aber bei Strafe der Nichtigkeit nicht

ausgeübt werden.“ Ja, meine Herren, genau auf diesem Boden steht die Argumentation des Herrn Vorredners, und da komme ich gerade auf den Punkt mit der Politik. Ich möchte in der That wissen, aus welcher meiner Aeußerungen in irgend einem der vorhergegangenen Jahre oder bei irgend einer der früheren Debatten der Derr Vorredner das Recht herleitet, mir zu imputiren, als sei meine Aeußerung, politische Gesichtspunkte würden bei den Ent⸗ schließungen, die ich in Beziehung auf die Bestätigung kommunaler Wahlen entweder selbst zu treffen oder an Allerhöchster Stelle vor⸗ zubereiten habe, niemals mit in Erwägung kommen. Ich glaube, ich habe in der von ihm citirten Aeußerung gerade das Gegentheil gesagt, ich habe ausdrücklich erklärt, die Thatsache konstatirt, daß bis zu dem Moment, wo ich die Ehre hatte, diese Aeußerung zu thun, zu meiner Freude Konfliktsfälle nicht vorgekommen seien; aber ich abe dann hinzugefügt: ich will durchaus nicht sagen, daß ich im Nothfall, und wenn ich das Staatsinteresse dabei betheiligt finde, nicht im Rechte sei, die Bestätigung zu versagen. Also ich bin der Meinung, daß, wenn die Städteordnung und überhaupt alle kom⸗ munalen Ordnungen in der Monarchie das Recht der Staatsregierung in ihren verschiedenen Instanzen, kommunale Wahlen zu bestätigen oder nicht zu bestätigen, ausdrücklich präzisiren, das politische Ver⸗ hältniß des betreffenden Mannes und auch der betreffenden Kommune zu der Staatsregierung sehr wohl in Betracht zu ziehen, und daß danach ich nehme keinen Anstand, es zu erklären auch zu verfahren ist. (Sehr richtig! rechts. Abg. Dirichlet: Das wissen wir!) Das scheint den Herren verwunderlich zu sein. Wiederholt möchte ich betonen, daß die Staatsregierung sich dieses Recht niemals wird bestreiten lassen können. Weiter bin ich der Meinung, daß kommunale Wahlen, die als agitatorische Demon⸗ strationen gegen die Staatsregierung zu erachten sind, mit vollem Recht der Nichtbestätigung unterliegen, und ich kann mich des Rechts nicht begeben, so lange ich die Ehre habe, mein Amt zu führen, in diesem Sinne auch ferner meine Vorschläge zu machen resp. zu verfahren. Nun hat der Hr. Akg. Dirichlet mit unendlich viel Be⸗ hagen und gewiß auch mit sehr viel Witz hier eine Reihe von That⸗ sachen angeführt, die angeblich im Zusammenhang stehen sollen mit meiner Amtsführung. Also die drei Thatsachen, die er angeführt hat, sind ja völlig richtig. Aber nun möchte ich ihn fragen, ob er von mir verlangt, daß ich hier in die speziellen Motive eingehen soll, aus welchen die Nichtbestätigung in den betreffenden Fällen erfolgt ist? Das Recht eines einzelnen Abgeordneten, ja, ich sage sogar des ganzen Hauses, von der Regierung Rechenschaft darüber zu verlangen, aus welchen Motiven sie ein ihr verfassungsmäßig und auf Grund unzweifelhafter gesetzlicher Grundlage zustehendes Recht auszuüben gemeint ist, meine Herren, ein solches Recht werde ich nicht anerkennen, denn es besteht nicht. Aber wenn nun der Herr Abgeordnete in dem Tilsiter Fall hier eine wunderhübsche Geschichte erzählt hat von dem Verhältniß eines Tilsiter Denunzianten, wie er sich ausdrückte, mit einem hiesigen Blatte, welches in Be⸗ ziehung zur Regierung stehen soll, so muß ich sagen: diese ganze Ge⸗ schichte ist dem Herrn Abgeordneten ja natürlich erzählt worden, wie er sie uns mitgetheilt hat, aber daß sie irgend einen Schatten von reeller Begründung habe, wenigstens im Verhältniß zu meiner amtlichen Stellung, das muß ich ganz entschieden bestreiten. Die Gründe, welche zur Nichtbestätigung des Hrn. Brinckmann in Tilsit eführt haben, sind ganz anderer Natur als diejenigen, auf die sich

ier der Hr. Abg. Dirichlet beruft, und die mit einem Injurienprozeß, von dem ich gar nichts weiß, in Verbindung stehen jollen. 96 die Stadt Tilsit schließlich, ohne „drangsalirt“ zu sein, einen Mann gewählt hat, der notorisch auch liberaler Gesinnung huldigt und dem⸗ unerachtet ohne Anstand von der Regierung bestätigt ist, möge Ihnen doch wenigstens die Thatsache beweisen, daß von einem politischen Vorurtheil unberechtigter Natur beim Vorgehen in Bezug auf diese Stadt nicht die Rede ist. Nun, meine Herren, die Angelegenheit mit

Pefen soll ja noch, wie wir vom Hrn. Abg. Dirichlet hören, weiter zur prache kommen. Ich will nur das Eine hier sagen: Durch den Ausgang der Sache nämlich den, daß 8 Königliche Staatsregierung zur Verwaltung des ersten Bürgermeister⸗

der Herr Kommissarius, den die

delegirt hat, gewählt worden ist bin Aber ich verwahre mich ausdrücklich der Staatsregierung auch nur der geringste Schritt gethan ist, um ein solches Ergebniß her⸗ beizuführen. Dasselbe beruht auf freier Entschließung der Posener Stadtverordnetenversammlung und ich begreife gar nicht, wie der Hr. Abg. Dirichlet dazu kommt er ist doch immer sonst so sehr für kommunale Körperschaften eingenommen diesen Entschluß in abfälliger Weise zu kritisiren. Ich glaube: die Stadtverordneten⸗ versammlung in Posen ist der Meinung gewesen, daß sie in dem bis⸗ herigen Landrath Müller einen sehr tüchtigen ersten Bürgermeister ge⸗ wonnen habe, und ich bezweifle auch keinen Augenblick, daß sie das Richtige getroffen hat. Eins möchte ich doch dem Hrn. Abg. Dirichlet noch ans Herz legen: Wenn er von verstorbenen Personen spricht ich meine hier den Ober⸗Bürgermeister, nachherigen Präsidenten Ellwanger dann sollte er das doch in einer etwas weniger weg⸗ werfenden Weise thun. Er hat gesagt: die Breslauer haben einen errn Ellwanger gewählt. Das ist nicht ein Herr Ellwanger; r. Ellwanger ist ein in der preußischen Staatsverwaltung als 8. vorragender Beamter bekannter und mit ihr in vortheilhaftester Weise verwachsener Mann, und ich kann in dem wegwerfenden Ton (hört! hört! rechts. Widerspruch links), in dem weg⸗ werfenden Ton, den der Hr. Abg. Dirichlet in Bezug auf diesen verstorbenen Ehrenmann anwandte, nichts Geschmackvolles finden. So viel kann ich ihm aus meiner eigenen Erinnerung und amtlichen Erfahrung mittheilen, daß die Stadt Breslau noch oft Gelegenheit hat, sich nach der Amtsthätigkeit dieses ihr an⸗ geblich aufoktroyirten Ober⸗Bürgermeisters zurückzusehnen, und ich meinerseits habe die Auffassung gehabt, daß die Thatsache seiner Nichtwiederwahl keineswegs auf seine Unfähigkeit oder irgend einen Mangel in seiner Amtsführung zurückzuführen sei. Ja, meine Herren, ich weiß nicht recht, anzen Ausführungen des Hrn. Abg. Dirichlet hier dienen ollen. Er wird mich niemals mit Erfolg dazu provoziren, hier ausführlich zu motiviren, aus welchen Gründen ich im einzelnen Fall die und die Stellung zu einer Kommunalwahl nehmen zu müssen geglaubt habe. Anbererseits muß ich aber ausdrücklich betonen, daß es vollkommen unrichtig ist, wenn der Abg. Dirichlet es dem Geiste der Kommunalverfassung für nicht entsprechend hält, daß aus irgend einem berechtigten politischen Bedenken die Bestätigung einer Kom⸗ munalwahl versagt werden könne. Davon kann meines Erachtens nach der Städteordnung gar keine Rede sein, und die Staats⸗ regierung erkennt es ihrerseits als ihre Pflicht, kraft ihres Auf⸗ sichtsrechts auch ihrerseits dafür zu sorgen, daß in den städtischen Korporationen diejenigen Elemente nicht die Oberhand gewinnen, 2885 sich in prinzipieller Opposition gegen die Staatsregierung be⸗ inden.

Der Abg. Dr. Wehr (Dt. Krone) meinte, wenn der Abg. Dirichlet eines kommissarischen Bürgermeisters Erwähnung ethan habe, wolle er einen Gegenfall anführen. Ein früherer ommissarischer Bürgermeister für Elbing sei von dieser Stadt zum Bürgermeister gewählt worden, habe derselben die größten Dienste geleistet und sei später zum Bürgermeister von Stettin gewählt worden. Was habe denn der Abg. Dirichlet nach einer vielversprechenden Einleitung gewußt! Nur drei Fälle. Es müsse also mit der Vergewaltigung und Drangsalirung der Kommunen doch nicht so schlimm stehen. Redner möchte bei dieser Gelegenheit den Herrn Minister fragen, ob die Regierung gewillt sei, das Gesetz dahin abzu⸗ ändern, daß gewissenlose Familienväter, die vollständig in der

postens in Posen auch ich überrascht. dagegen, daß von Seiten

wozu diese

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BE“ 1 2 s thäten, zu ihrer Pflicht angehalten würden, und schließlich ein

Lage wären, ihre Familien zu unterhalten, dies aber nicht 1u1u¹“] 88 8 8 8 1.*“ 8

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Gesetz vorzulegen, nach welchem VPagabunden unter Verzicht auf die Skrafhaft die doch nicht abschreckend wirke, sofort in eine Korrigendenanstalt gebracht werden könnten.

Der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister

des Innern von Puttkamer erwiderte:

Wer den, wie ich glaube, sachverständigen Ausführungen des Herrn Vorredners mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, und wer gleichzeitig sich dauernd beschäftigt hat mit den Zuständen, die sich auf dem Ge⸗ biete des Korrigendenwesens auf Grund des neuen Strafgesetzbuches herausgebildet haben, der wird nicht umhin können, dem größten Theile der Ürtheile, die der Herr Vorredner vorgebracht hat, beizutreten, gleich⸗ viel auf welchem politischen Standpunkte er sonst stehen mag. Ich will dabei nicht Anstand nehmen, auf den meiner Ansicht nach wich⸗ tigsten Theil der von ihm angeregten Reformen ganz kurz mit ein paar Worten einzugehen, wenn ich mir auch selbstverständlich große Zurückhaltung auferlegen muß, weil ich im Augenblick nicht im Namen der Königlichen Staatsregierung als solcher zu sprechen in der Lage bin, sondern nur den Standpunkt skizziren kann, den ich persönlich glaube einnehmen zu müssen.

Er berührte zunächst die Frage, ob nicht die indirekt durch die deutsche Reichsgesetzgebung erfolgte Aufhebung unserer Armennovelle von 1855 in manchen Beziehungen große Uebelstände herbeigeführt habe, insbesondere also die Pflichtvernachlässigung pflichtwidriger Familienväter, namentlich in Bezug auf die Unterbringung ihrer Angehörigen. Bekanntlich konnte nach der preußifchen Novelle die Ueberweisung eines solchen pflichtvergessenen Familienvaters an eine Besserungsanstalt erfolgen, und zwar ohne gerichtliche Mitwirkung im administrativen Wege durch Verfügung der Landespolizeibehörde. Diese Einrichtung ist jetzt weggefallen, und es wird sich fragen, ob die inzwischen gemachten Erfahrungen nicht dafür sprechen natür⸗ lich nur im Wege der Reichsgesetzgebung, denn die preußische ist dafür nicht mehr kompetent —, in dieser Beziehung Wandel zu schaffen. Meinerseits bin ich allerdings der Meinung, daß das geschehen kann und geschehen muß durch eine Veränderung des §. 361 des deutschen Strafgesetzbuchs, etwa in dem Sinne der begrifflichen Wieder⸗ herstellung der betreffenden Bestimmung unserer preußischen Armen⸗ novelle vom Mai 1855.

Noch wichtiger ist der andere, von dem Herrn Abgeordneten an⸗ geregte Punkt, nämlich der, daß nach der jetzigen Gesetzgebung der Ueberweisung an die Korrektionsanstalt die Verurtheilung zur Haft obligatorisch immer vorhergehen muß. Ich kann nur bestätigen, daß nach den gemachten Erfahrungen die Haft für die sogenannten Kor⸗ rigenden durchaus kein Abschreckungsmittel ist. Im Großen und Ganzen wird man sagen können, sie suchen die Haft eher, namentlich in der ungünstigen Jahreszeit, als daß sie sich vor ihr fürchten. Viel wirksamer ist die Zwangsarbeit der Korrigendenanstalten, und ich bin allerdings auf Grund sorgfältiger Erwägungen zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine Aenderung der Reichsgesetzgebung an dieser Stelle es würde der §. 362 des Strafgesetzbuches sein nothwendig sein wird, nämlich dahin, daß der Richter ermächtigt sein soll, unter Ab⸗ standnahme von der Haft, gleich von vornherein auf Ueberweisung an die Zwangsanstalt zu erkennen, also ohne irgend welche Beschränkung der richterlichen Thätigkeit. Ich habe in Gemeinschaft mit dem Herrn Justiz⸗Minister diese Frage bereits erwogen, und ich bin, wie ich zu meiner Freude konstatiren kann, mit ihm zu einem grund⸗ sätzlichen Einverständniß gelangt. Selbstverständlich ist es für mich unmöglich, ohne eine ctge Befchlrsnaßtte des Königlichen Staats⸗Ministeriums zu dieser Frage eine bestimmte Stellung einzu⸗ nehmen. Der zwischen dem Herrn Justiz⸗Minister und mir vereinbarte Gesetzentwurf ist aber darauf gerichtet, den hauptsächlichen Bedenken und Beschwerden Abhülfe durch die Reichsgesetzgebung zu verschaffen. Wie das Königliche Staats⸗Ministerium bei seinen nunmehr ein⸗ tretenden näheren Erwägungen sich prinzipiell zu diesen Fragen stellen wird, ob es zu dem Entschluß gerathen wird, bei dem Bundesrath einen Antrag Preußens dahin zu stellen, daß ein solcher Gesetzentwurf dem Reichstag vorgelegt wird, darüber bin ich in dem jetzigen Stadium außer Stande, eine bestimmte Erklärung abzugeben. Ich wollte nur den allgemeinen Weg und die allgemeinen Gesichtspunkte bezeichnen, von denen ich allerdings glaube, daß eine Reform bei ihnen angesetzt werden muß.

Der Abg. Hänel nahm den Abg. Dirichlet gegen den Vorwurf in Schutz, als habe derselbe sich despektirlich über den verstorbenen Hrn. Ellwanger ausgesprochen. Er würde seinen Kollegen Dirichlet ohne Weiteres desavouirt haben,

wenn dies geschehen wäre. Er habe selbst zu Hrn. Ellwanger in persönlicher Beziehung gestanden, und hätte auch von seinem Fraktionsgenossen es nicht geduldet, wenn von einem so er⸗ probten und allgemein geachteten Mann irgend etwas, was dem Anstande zuwider sei, behauptet worden wäre. Im Uebrigen 85 er dem Minister sehr dankbar, daß er seinen Standpunkt so klar und unzweideutig präzisirt habe. Es folge daraus, daß Jeder, der irgendwie liberale Ge⸗ sinnungen unter diesem Ministerium in Preußen zum Ausdruck bringen zu können glaube, sich absichtlich täusche und belüge. Minister von Puttkamer habe eben die hohe Ehre, der Führer der konservativen Partei in Preußen zu sein. Er habe es sich zur Aufgabe gemacht, diese konservativen Prin⸗ zipien, die er vertrete, um jeden Preis durchzusetzen. Minister von Puttkamer habe die Ehre, ein strenges und absolutes Parteiregiment in Preußen aufzurichten. Minister von Putt⸗ kamer erkläre es rundweg für sein Recht und für seine Pflicht, auch seinen politischen Gesichtspunkten in den kommunalen Verwaltungen Geltung zu verschaffen, denn er halte es für seine Pflicht, entschieden liberale Elemente aus der kommunalen Verwaltung zu eliminiren, z. B. die Deutschfreisinnigen. Nedner erinnere auch an die berühmte Rede, wo der Minister auseinandergesetzt habe, daß es selbstverständ⸗ lich sei, die Wohlthaten, welche der Staat zu vertheilen habe, wesentlich an die Parteigenossen zu vertheilen, die prinzipiell Oppositionellen aber von Anfang aus⸗ zuschließen. Ebenso dankbar sei Redner dem Minister für die Offenheit, mit der er erklärt habe, daß er sich gar nicht verpflichtet fühle, hier auf einzelne Fragen, wenn sie auch vom ganzen Hause ausgingen, über die Bestätigung oder Nichtbestätigung eines Bürgermeisters eine Antwort zu er⸗ theilen; damit sei die gesammte konstitutionelle Verantwortlich⸗ keit einfach negirt. Diese Verantwortlichkeit bestehe darin, daß der Minister über die politischen Gesichtspunkte, die ihn bei seiner Verwaltung leiteten, dem Hause Rechenschaft gebe. Wie könne man denn beurtheilen, ob im Sinn und Geist der Verfassung regiert werde, wenn man nicht auch im einzelnen Falle von der Regierung Rechenschaft darüber zu fordern hätte, ob sie auch diesem Geist entsprechend ihre Maßregeln getroffen habe. Es könne nichts helfen, daß der Minister theoretisch seine Verantwortlichkeit anerkenne, die Anwendung in praktischen Fällen aber leugne. Das sei eben ein Stückchen Absolutismus, eine Konsequenz des scharfen Parteiregiments, unter dem man lebe. Der Minorität, die selbst von den nächsten Freunden in dieser wichtigsten Frage verlassen werde, bleibe nichts An⸗ deres übrig, als immer wieder zu protestiren gegen eine der⸗ artige Anschauung und die Gefahr immer wieder klar zu stellen, die Preußen jetzt laufe, unter das Parteiregiment gepreßt zu werden.

Der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern von Puttkamer eceklärte:

eine Herren, über den Ton, in dem über Jemand, in diesem

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Bürgermeister Herse in

all über einen Verstorbenen, gesprochen worden ist, kann man schiedenen Geschmackes sein, und ich kann sagen, daß ich den Aeuß⸗ mer

rungen des Hrn. Abg. Hänel gegenüber meinen Eindru vollkom aufrecht erhalten muß; wenn von Jemand, von dem der Hr Hänel selbst anerkannt hat, daß er ein hochgeachteter und auch 8 bekannter Mann in der „preußischen Verwaltung gewesen ist - wirdz ein Ellwanger ist gewählt, so halte ich das für 48 1 werfenden Ausdruck und für einen wegwerfenden Ton, und ich neg dem Hrn. Abg. Hänel, wie ich aufrichtig gestehe, kein Glück wünschen, daß er von meinem Standpunkt abweicht. du

Ich würde das vielleicht auf sich haben beruhen lassen kön wenn ich nicht doch genöthigt wäre, den politischen Ausführungen de Herrn Vorredners noch einige Erläuterungen hinzuzufügen M. des Herren, ich weiß nicht recht, ob ich mich irre, daß die Spitze 5 Argumentationen sich weniger gegen die Regierung und gegen Person als gigen eine andere Partei des⸗Hauses gekehrt habe undh nehme also bis auf Weiteres an, daß ihm auch auf diese Seite sei Ausführungen die ihm darauf gebührende Antwort von jener Partes des Hauses ertheilt werden wird. Ich bin nicht dazu berufen ere Wortführer der Herren, gegen die das gerichtet war, zu sein; ich habe hier nur den Standpunkt der Regierung zu vertreten,

Und da muß ich denn doch sagen, daß ich die Kunst bewunde aber daß ich auch hier wiederum dem Herrn Abgeordneten zu n-. Kunst kein Glück wünschen kann, mit welcher er versucht hat b-- gelungen ist es ihm nicht in dem letzten politischen Theil seinn Ausführungen den Standpunkt auszubeuten, den ich hier offiziell --. Ihnen eingenommen habe und einzunehmen für meine Pflicht halte Er sagt: wenn die Regierung es sogar verweigert in einzelnen Fall, wo sie von einer diskretionären Befugni Gebrauch gemacht, dem Hause Rechenschaft über die Motive zu 9 aus welchen sie ihre Entscheidung getroffen hat, so ist das die Wieder herstellung des reinen Absolutismus; die ganze politische Verantworz⸗ lichkeit der Regierung ist hiermit aus den Angeln gehoben, hört damit auf. Ja, meine Herren, ich glaube, in diesem Fall hat der Herr A⸗ geordnete doch die Argumente, die ich für meinen Standpunkt ange⸗ führt habe, in einer Weise erweitert, die kaum mehr als zulässig 8 achtet werden kann. Ich habe keineswegs erklärt, daß ich die Ve⸗ theidigung der politischen Verantwortlichkeit für irgend eine Maß⸗ regel, welche in meinem Ressort getroffen wird, und zwar auch für die auf dem Boden der diskretionären Gewalten getroffenen Anord⸗ nungen, hier irgend ablehne, das ist mir nicht eingefallen, sondern ich habe mich darauf beschränkt, zu sagen: bei der Frage der Bestätigung oder Nichtbestätigung einzelner Kommunalwahlen kann die Regierung allerdings die Verpflichtung nicht anerkennen, die inneren Gründe die fuͤr diese Bestätigung oder Nichtbestätigung maßgebend gewesen sind, hier vor Ihnen zu entwickeln, und, meine Herren, ih glaube, aus sehr zureichenden Gründen. Der Hr. Abg. Dirichlet hat ja heute schon da einen Riegel vorschieben wollen und hat gesagt: ja ich erklärte, schon im Interesse der einzelnen Personen wäre es nicht er⸗ wünscht, hier vor der Oeffentlichkeit die sie betreffenden Verhältnise zu erörtern. Ja, meine Herren, das ist allerdings ganz überwiegend der Grund, weshalb ich es vermeide, und wie ich hier 1e dauernd ablehne, über die einzelnen Bestätigungs⸗ oder Nichtbestäti⸗ gungsfälle hier, ich möchte sagen, den Schleier von den geschehenm Verhandlungen hinwegzunehmen. In den Fällen, meine Herren, wo es sich lediglich um die Politik handelt, habe ich ganz offen erklätt daß die Gründe, welche zur Nichtbestätigung führen, politischer Natur sein können und in manchen Fällen auch sind. Wenn der Hr. Abg. Dr. Hänel damit nicht zufrieden ist, daß ich ihm in dem einzelnen Falle sage: der und der betreffende Hen ist aus politischen Gründen, weil man geglaubt hat, daß durch seine Wahl und Amtsführung ein agitatorisches Element in eine städtische oder andere Kommunalverwaltung hineingeführt werde, nicht bestätigt worden ja, dann weiß ich nicht, was ich noch weiter thun soll. Also ich lehne es durchaus ab, wenn der Hr. Abg. Dr. Hänel meinem hier vor Ihnen entwickelten politischen Standpunk der Landesvertretung gegenüber die Ausdehnung gegeben hat, die er in seine Ausführungen hineinlegen wollte. Es ist ja, wie ich wohl noch⸗ mals betonen darf, lediglich geschehen, um einer anderen politischen Partei ihre Stellung hier im Hause und zur Regierung zu erschwere, und insofern war das ein ganz geschickter Schachzug, das will ich gar nicht leugnen; aber verfehlt war er meines Erachtens doch.

Nun soll ich Chef der konservativen Partei sein und als solcher es für meine Aufgabe halten, ein absolutes und starres Parteiregiment im Lande zu etabliren. Meine Herren, ich glaube, diese Aeußerung wird doch wohl mit einiger Verwunderung aufgenommen werden in sehr weiten Kreisen. (Sehr richtig! rechts, Widerspruch links) Natürlich in den Reihen derjenigen Herren, die da eben diese Töme von sich geben, gewiß nicht, denen paßt es sehr gut, eine solche Be⸗ hauptung aufzustellen; aber im Lande wird man das gar nicht ver⸗ stehen, im Lande ist man der Ueberzeugung, daß die Regierung von der ich ja nur ein Glied bin, aber ich kann wohl von ihrer Gesammt⸗ heit sprechen ihre Amtsführung richtet nach dem Maße der Er⸗ kenntniß, welches ihr beiwohnt, über die Bedürfnisse und über das Wohl des Landes. Von Parteiregiment kann gar keine Rede sein. Die Regierung kennt keine Partei, der sie besonders angehört, sonden sie hat zu regieren nach dem Willen Sr. Majestät und nach den fes⸗ stehenden Bedürfnissen des Landes.

Allerdings, wenn hier das Wort Partei gefallen ist, so wil ich mit einem Bekenntniß nicht zurückhalten: ich halte es allerdings für meine Lebensaufgabe, der verhängnißvollen Thätigkeit der freisinnigen Partei, wo ich irgend kann, entgegenzutreten. Je mehr es mir gelingen sollte, auf diesem Gebitt Erfolge zu erzielen, um so glücklicher werde ich mich schätzen. Daß mag der Hr. Abg. Hänel allerdings mit derselben Offenheit von mir entgegennehmen, mit der er seinerseits mir gegenüber getreten ist.

Politische Gesichtspunkte durch meine Thätigkeit in die Kon⸗ munalverwaltung hineinzutragen, meine Herren, das fällt mir gar nicht ein; im Gegentheil, ich wünsche durch meine Thätigkeit dazu beim⸗ tragen, daß politische Gesichtspunkte aus der Kommunalverwaltung fern gehalten werden, und nur in dieser Beschränkung halte ich es füt meine Pflicht, bei der Frage, vor welche ich in dem einzelnen Fall ge⸗ stellt werde, ob ich mein Votum für Bestätigung oder Nichtbestät⸗ gung 1b einer einzelnen Person eintreten lassen soll nur in dieser Beschränkung erkenne’ ich das allerdings ganz rückhaltlos an. Wenn der Hr. Abg. Dr. Hänelsagt: also die Sache ist lediglich gerichtet gegen die freisinnige Partei, die soll aus den Kommunalverwaltungen her ausgedrängt werden so hat er auch zu dieser Aeußerung durch meine Ausführungen keine Berechtigung. Ich behaupte nur das eine: es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß diejenigen Elemente, welche ich als agitatorische bezeichnet habe, aus den städtischen Verwaltungen, soweit ich dazu beitragen kann, fern gehalten werden. Es ist ja gamg notorisch, und ich begreife nicht die Kühnheit des Hrn. Abg. Hänel, wie er dieser notorischen Thatsache gegenüber mir so etwas entgegen⸗ halten will, daß fast alle Tage an sich freisinnige Leute sowohl in der Regierungsinstanz, wie auch an allerhöchster Stelle in kommunalen Stellen bestätigt werden. (Abg. Hänel: Das ist mir nicht bekannt⸗

Das ist Ihnen nicht bekannt? aber deshalb haben Sie do nicht das Recht, das alles als nicht vorhanden zu behaupten. Das geschieht täglich, und ich berufe mich dafür auf das Zeugniß aller derer, die sich irgendwie, nicht blos von ihrem Kirchthurmsinteresse aus, sondern im allgemeinen mit diesen Dingen beschäftigen. Alfo ich weise durchaus ab, das die Feindschaft gegen den Liberalismus an sich hier irg endwie min spielt, sondern nur diejenigen Personen, von denen i individue anzunehmen habe, daß sie in dieser von mir gekennzeichneten Richtung die städtische Verwaltung beeinflussen und leiten, nur solche Personen werden aus politischen Gründen durch Nichtbestätigung ihee Wahl aus den städtischen Verwaltungen fern gehalten werden. Das halte ich für meine Pflicht und werde auch künftig darnach handeln

Der Abg. Kennemann wies darauf hin, daß der frühen; 1 Posen dazu mitgewirkt habe, g Deutschen zu spalten und zu zersplittern. Er habe dadu das Polenthum gestärkt. Wenn der Bürgermeister Herse nic⸗ bestätigt worden sei, so habe ihn das Schicksal ereilt, was er

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Deutscher verdient habe. Alle Deutschen, wenigstens die roße uüschezn der Deutschen, würden dem Minister dafür ein.

nkbar Abg. Büchtemann hob dem gegenüber hervor, daß ver I rgermeister Herse nach 18 jähriger Dienstzeit einstimmig einer Stadtverordneten⸗Versamm ung zum Ober⸗Bürger⸗

von er gewählt worden sei, in der neben liberalen auch kon⸗ Feitive Mitglieder säßen. Nachdem die Versagung der Be⸗ füͤtigung erfolgt sei, sei Hr. Herse ebenfalls einstimmig zum sweiten Bürgermeister wiedergewählt worden, und damit nicht be nachdem eine nochmalige Ausschreibung der ersten Fürgermeisterstelle erfolgt sei, sei er zum dritten Male, und war mit großer Majorität, zu diesem Posten gewählt worden. Begenüber der dreimaligen Nichtbestätigung könne der Wunsch, die Gründe der Versagung kennen isa lernen, nicht über⸗ raschen. In der konservativen „Schlesischen Zeitung“ habe sich die Meinung verlautbart gefunden, Hr. Herse sei als Bürger⸗ meister den Polen eneigter gewesen, als der deutschen Sache ent⸗ spr ochen habe, er habe nahe Verwandte in Warschauund dergleichen. Letzteres sei richtig, aber die Behauptung, daß er nicht durch und durch ein deutscher Mann gewesen sei, sei unrichtig. Er gabe z. B. dem Sedanverein seit seiner Begründung angehört und wiederholt in demselben Festreden gehalten. Es bleibe nur übrig, anzunehmen, daß der Minister ihm die Bestätigung versagt habe, weil er der deutschfreisinnigen Partei angehört abe, wenigstens sei dies die allgemeine Anschauung unter den Deutsch in Posen. Nun sei der entsandte Staatskommissar

8r 9 ist ählt worden. Redner bezweifl Ober⸗Bürgermeister gewählt worden. dner bezweifle vp konstatire aber, daß

zut die formelle Gültigkeit der Wahl,

nicht die tadtverordneten nur 15, darunter 3 Polen, an der Wahl theilgenommen hätten. Mehrere Stadtverordnete aätten deshalb ihr Mandat niedergelegt, und der Versamm⸗ G habe sich eine große Aufregung und nicht etwa Freude bemächtigt. Den ausgeschiedenen Mitgliedern habe dieselbe Versammlung dafür, daß sie sich der Wahl wider⸗ settt hätten, sogar eine wahre Ovation darge⸗ bracht. Solche Vorgänge, die der kommunalen Entwicklung Posens an sich nur schaden könnten, seien um so bedauerlicher, als Posen ein Vorposten des Deutschthums sei gegenüber dem polnischen Element. Die Ausführungen des Abg. Hänel gegen den Minister seien nicht sowohl gegen eine Partei als gegen ihn selbst gerichtet ge⸗ wesen, insofern er die Interessen der konservativen Partei mit seiner amtlichen Stellung als Minister in Verbindung bringe. Wer es als seine Lebensaufgabe bezeichne, die freisinnige Partei zu bekämpfen, trete damit unmittelbar in den Partei⸗ kampf hinein. Wenn ferner der Minister alle Auskunft über die Gründe der Nichtbestätigung verweigere, wie solle man ihn als verantwortlichen Minister hier zur Rede stellen können?

r. Herse sei schon lange nicht mehr Vorsitzender des frei⸗ innigen Vereins gewesen und sei durchaus nicht öffentlich agitatorisch hervorgetreten. Offenbar habe der Minister nur die konservative Partei fördern wollen. Daß hier und da auch Liberale bestätigt seien, gebe Redner zu, so z. B. in Berlin. Hier wisse aber der Minister, daß die Berliner Penamane pa hn sich 88 etwaige Nichtbestätigung doch nicht einschüchtern lassen würde.

Abg. Frhr. von Minnigerode bedauerte, daß der Abg. Büchtemann erst so spät und lediglich, um dem Vorgehen der Opposition ein Relief zu geben, für deutsches Wesen in den Ostmarken eingetreten sei. Der Abg. Hänel habe seinerseits ausdrücklich erklärt, Minister von Puttkamer sei der eigentliche Chef der konservativen Partei; daraus entspringe ein arges Parteiregiment. Es sei nun doch sehr begreiflich, daß zwischen dem Minister und den Konservativen ein starkes geistiges Band bestehe, da diese die Ehre und Freude gehabt hätten, ihn lange Zeit unmittelbar in ihren Reihen zu sehen; aber wenn der Abg. Hänel ihm diese Führerrolle attribuire, so habe er wohl die parlamentarischen Ideale der Nachbarstaaten auf Preußen übertragen, weil er die Konservativen so stark im Hause sehe und nun meine, weil der Minister dieser Partei im Hause angehöre, hätte man endlich das unglückselige parlamentarische Regiment. Aber nicht die Parteien und Majoritäten, sondern gottlob die Krone ernenne die Minicter. Diese hätten die Interessen der Krone zu vertreten, und wenn sie der freisinnigen Partei rastlos zu Leibe gingen, so thäten sie es nicht, weil sie konservativ seien, sondern kraft ihres Auftrags, den Feind zu bekämpfen, der den Interessen ihres Vollmachtgebers am meisten gegenüberstehe. In ihrer Aktion seien die Konservativen ganz selbständig. Wenn dieselben daneben bereit seien, aus ihren allgemeinen politischen Empfindungen heraus in erster Gg diesen Minüster der Krone zu unterstützen, so erkläre sich as ganz von selbst.

Der Abg. Dirichlet hielt es für überflüssig, sich in den Konkurrenzstreit zwischen dem Abg. von Minnigerode und dem Minister über die Führerschaft der konservativen Partei ein⸗ zulassen. Die Behauptung, daß die freisinnige Partei die eifrigste Gegnerin der Krone sei, sei mindestens unparlamen⸗ tarisch. Dieselbe leiste an Staats⸗ und Königstreue ganz gewiß ebenso viel, wie die konservative Partei, vielleicht noch etwas mehr. Es sei immer verdienstvoller, königstreu zu sein, wenn dabei nichts zu holen sei. Zahlreiche Aeußerungen Sr. Majestät des Königs hätten bewiesen, daß diesem mit jenen Unterstellungen am allerwenigsten gedient sei. Von Hrn. Ellwanger habe Redner nicht gewußt, ob er Ober⸗Regierungs⸗ Nath, Regierungs⸗Rath oder Assessor hige eh sei, als er die Verwaltung Breslaus übernommen habe. Daher habe er einen Titel nicht genannt. Ob es für Hrn. Hobrecht oder Hrn. von Forckenbeck sehr schmeichelhaft gewesen sei, vom Mi⸗ nister zu erfahren, daß die Breslauer die Nichtwiederwahl des Hrn. Ellwanger tief hätten beklagen müssen, wisse Redner nicht. Die Breslauer seien mit der Verwaltungsthätigkeit des Hrn. Ellwanger zufrieden gewesen, hätten ihn aber nicht wieder gewählt, weil sie ihn in Bezug auf seine Stellung gegenüber den politischen Wahlen nicht für ganz unparteiisch gehalten

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Der Abg. Kantak suchte die gegen Hrn. Herse gerichteten An⸗ Friffe zu widerlegen. Für die Wahl des Kommissars zum Ober⸗

ürgermeister hätten die polnischen Stadtverordneten gestimmt, weil sie dem Konflikt im Interesse der städtischen Angelegen⸗ heiten hätten ein Ende machen wollen. Daraus allein könne E ersehen, daß sie nicht Oppositionsmänner

Vand méême seien.

Der Abg. Zelle wies den gegen die Deutschfreisinnigen er⸗ ag Vorwurf der Staatsfeindschaft entschieden zurück. Es ei nicht staatsmännisch klug von einem Herrn, der hier die Geschäfte führe, in die Welt hinauszurufen, daß der König in einer eigenen Hauptstadt unter Gegnern und Republikanern sitze. Die ve⸗Haunaen könnten freilich diesen Vorwurf schon

mit dem einen Gedanken entkräften: Se. Majestät weiß es besser! Sie leugneten nicht die Nothwendigkeit staatlicher Auf⸗ sicht über die Städte und wollten nicht, daß die Kommunen als kleine Republiken ihre eigenen Wege gingen. Aber soweit gehe Redner nicht, wie der Minister, und er werde sich unter einem liberalen Ministerium mit aller Kraft der Nichtbestätigung konservativer Kommunalbeamten widersetzen. Dunkle An⸗ deutungen über „ganz andere“ Gruüͤnde, aus denen die Bestätigung versagt würde, seien gefährlicher, als wenn man Einem sage, er habe silberne Löffel gestohlen. Er möchte die Konservativen bitten, zu erwägen, was ein gewählter Kommunalbeamter, der bereits die Gratulationen seiner Be⸗ kannten empfangen habe, fühlen müsse, wenn er aus der Zeitung ersehe, daß ihm die Bestätigung versagt sei; es müsse also etwas gegen ihn vorgelegen haben, wogegen er sich gar nicht einmal vertheidigen könne. Durch das Verschweigen der Gründe werde er viel schwerer gekränkt, als durch offene Ver⸗ handlung derselben. Wenigstens sollte auf eine ausdrückliche Anfrage einer Stadtvertretung vom Minister oder Ober⸗ Präsidenten eine Auskunft über die Gründe der Nichtbestätigung gegeben werden.

Der Abg. Kennemann meinte, er halte es für seine Pflicht, für die Interessen der Provinz Posen überall einzu⸗ treten. Er habe nicht gesagt, daß Hr. Herse mit den Polen Hand in Hand gegangen sei, aber derselbe habe dazu beige⸗ tragen, daß die Deutschen in Posen auseinandergegangen seien, daß sie nicht mehr eine nationale Partei bildeten. Den Polen gegenüber müßten doch die Parteiunterschiede unter den Deutschen schwinden. Hr. Herse sei allerdings mehrmals ge⸗ wählt worden; indeß, wenn man 18 Jahre in einer Stadt die Verwaltung geleitet habe, dann könne man sich schon eine Partei schaffen. Eine Nachwirkung der Thätigkeit des Hrn. Herse in Posen sehe Redner auch darin, daß dort der Abg. Büchtemann gewählt sei, obgleich dieser von den dortigen Ver⸗ hältnissen wenig zu verstehen scheine.

Der Vize⸗Präsident von Heereman bemerkte, daß nach dem stenographischen Wortlaut die Rede des Abg. von Minni⸗ gerode allerdings dahin verstanden werden könne, als wenn er von Parteien gesprochen habe, die in Feindschaft gegen die b ständen. Ein solcher Ausdruck sei parlamentarisch unzu⸗ ässig.

Der Abg. Rickert bezeichnete die Behauptung des Abg. Kennemann, die Stadt Posen sei nicht national gesinnt und Hr. Herse habe die Deutschen auseinandergebracht, als ganz vage Verdächtigungen. Den Minister möchte er noch speziell wegen einer anderen Angelegenheit um Antwort bitten. In einer Zeit, wo er sich selbst der Kunstfertigkeit gerühmt habe, die er als junger Landrath in der Wahlkreisgeometrie ent⸗ wickelt habe, sei es ja nicht wunderbar, wenn dies Beispiel auch anderwärts Nachahmung fände. Eine wahre Muster⸗ leistung sei aber im Kreise Herzogthum Lauenburg vorge⸗ kommen. Dort habe man in ganz unerhörter Weise durch künstliche Zerklüftung der Bestandtheile des Wahlkreises die Zahl der liberalen Wahlmänner vermindert, die der konser⸗ vativen vermehrt. Es habe bekanntlich nichts geholfen, denn der Abg. Berling sei doch gewählt worden. Selbst 35 konservative Gemüther seien durch die unerhörte Wahlkreis⸗ geometrie so empört worden, daß sie Berling gewählt hätten. Selbst das Konfliktsministerium habe nicht ein so krasses Parteiregiment, wie der Minister von Puttkamer geführt. Der Konfliktsminister von Eulenburg I. habe ehrlich die Nicht⸗ bestätigung kommunaler Beamten in der Konfliktszeit als ver⸗ fächlte Maßregel bezeichnet und gesagt, die Regierung sei von ieser Praxis zurückgekommen. Minister von Puttkamer

roklamtre diese Praxris nun von Neuem aufs Schärfste!

Zohin solle das führen? Man solle doch daran denken, daß auch einmal ein liberaler Minister keinen Konservativen mehr bestätigen könnte! Das führe ja zur Untergrabung der staats⸗ bürgerlichen Verhältnisse. So etwas sei selbst in Frankreich und Amerika trotz aller dortigen Korruption nicht als Regie⸗ rungsgrundsatz proklamirt worden. Es verlohne sich nicht mehr, etwas darüber zu sagen. Es bestehe eben ein Partei⸗ regiment in schlimmster Form.

Der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, des Innern, von Puttkamer erwiderte: 18

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners ließen ja an Lebhaftigkeit gar nichts zu wünschen übrig. Ich glaube fast, es ist eine Art von Nachklang an unsere neuliche dreitägige Debatte, bei der seine Partei nicht gerade eine glänzende Rolle gespielt hat. Das ist ja auch im Kriege so, meine Herren, ein geschlagener Feldherr sucht seinen Rückzug zu decken durch eine kolossale Kanonade; so hat es der Hr. Abg. Rickert heute auch gemacht, sonst wüßte ich in der That nicht, wie er Fu diesem unmotivirten plötzlichen Ausfall gegen mich gekommen ist. Die Aeußerungen des Herrn Abgeordneten über das Parteiregiment habe ich mir schon erlaubt zurückzuweisen. Ich will nur auf Eines zurück⸗ kommen, was in seinen Ausführungen mich besonders frappirt hat, namentlich mit Rücksicht darauf, daß wir uns über diesen Punkt schon öfter unterhalten haben, und ich glaube, das ist ein Punkt, in Betreff dessen die liberalen Herren Redner mit ihren Aeußerungen doch sehr vorsichtig sein sollten ich will mich nicht stärker ausdrücken ich meine, wenn gesagt wird: ja, der Hr. Minister von Puttkamer sucht als konservativer Minister seine Macht jetzt auszubeuten, wie soll das werden, wenn ein liberaler Minister kommt? der wird es ebenso machen. (Rufe links: Nein!) Meine Herren, der wird es sehr viel schlimmer machen, und die Berufung auf andere parlamentarisch regierte Länder, mit der der Hr. Abg. Rickert seine Rede zu verbrämen sucht, zeigen ja ganz deutlich den ungeheuren Unter⸗ schied, der in dieser Beziehung zwischen einem monarchisch regierten Lande und zwischen parlamentarisch regierten Ländern besteht und be⸗ stehen muß. Meine Herren, die preußische Monarchie ist stark genug, um mit Milde und Versöͤhnlichkeit diese Rechte zu handhaben, welche die Verfassung und die Gesetze ihr in die Hand geben. Eine parla⸗ mentarische Regierung, d. h. eine solche, wie der Hr. Abg. Rickert sie wünscht und sie anstrebt, die kann das eben nicht; der Herr Abgeord⸗ nete braucht sich nur in unseren Nachbarländern umzusehen, um den besten Beleg dafür in Händen zu haben. Der Herr Abgeordnete hat ein sehr kurzes Gedächtniß, denn ich habe das sowohl hier als im Reichstage wiederholt nicht theoretisch als Grundsatz ausgesprochen, sondern aus der vorliegenden Erfahrung nachgewiesen. Welche Partei, meine Herren, war es denn, welche in der sogenannten neuen Aera das damalige, ich will nicht sagen liberale, aber mit liberalen Schattirungen versehene Ministerium auf das ungestümste dahin drängte, mit dem konservativen Beamtenthum aufzuräumen? das war die Partei, welche der Abg. Rickert jetzt vertritt. Ich habe offizielle Aeußerungen der Parteiorgane, die niemals desavouirt worden sind, vorgelesen, nach welchen sogar in einer Adresse ausdrücklich verlangt wurde: räͤumt auf mit dem konservativen Beamtenthum. Und wenn da von kommunalen Wahlen und deren Bestätigung keine Rede gewesen ist, so ist das wohl eine reine Lücke, denn wenn man einem Staatsbeamten eine solche Behandlung in Aussicht stellt, wie die Herren sich zu thun nicht gescheut haben, dann würde man die Frage der Bestätigung kommunaler Beamten kaum anders be⸗ urtheilen.

Minister

Also diese Ausführungen sind so nutzlos und so gegenstandslos,

daß ich in der That im höchsten Maße erstaunt bin, wie der Hr Abg. Rickert mit dem Aplomb, welcher ihm eigen ist, darauf zurück⸗ kommt.

Der Abg. Frhr. von Minnigerode meinte, die freisinnige Partei sei über eine von ihm gebrauchte Redewendung artseht⸗ deren Form er nach dem Monitum des Präsidenten preisgebe. Wenn aber der Abg. Rickert in demselben Athem von einem Parteiregiment Puttkamer spreche, dann müsse man doch zu⸗ geben, daß er gegenüber einem Minister Sr. Majestät des Königs nicht allzu zartfühlend sich ausgedrückt habe. Das Weitere überlasse er der Loyalität des Hauses. Graf Eulen⸗ burg I. habe seiner Zeit rund und klar herausgesagt, der Fortschritt müsse unter allen Umständen niedergehalten werden! Das sei auch nur der kräftige Grundton der Ausführungen des Redners gemesen.

Der Abg. Czwalina trat den Angriffen gegen den frtheras Bürgermeister Herse energisch entgegen. Herr Herse abe sich stets als guter Patriot und guter Deutscher erwiesen. Den Luxus politischer Parteidivergenzen habe sich die deutsche Be⸗ völkerung Posens, wie es ihr Recht sei, erst dann erlaubt, als es sestgestanden habe, daß die deutschen Stimmen die Majorität nicht mehr hätten. Auch bei den Wahlen seien zuletzt die Deutschen immer zusammengegangen. Herr Kennemann sei der Erste, der sich über die unverdienten Kränkungen Herse’s gefreut habe. Im Allgemeinen habe in der deutschen Bevölkerung darüber tiefer Kummer geherrscht. 2

Der Abg. Hobrecht bemerkte, die vom Abg. Kantak zitirte Aeußerung des Abg. Hagens über die Bürgermeister⸗ wahl in Posen 53 mit der Bestätigungsfrage keinen Zusammenhang gehabt. Wenn es übrigens ein Ge⸗ biet gebe, auf dem die liberalen Parteien dieselben Ziele verfolgten, und sich nicht gegenseitig schwächen sollten, so sei es auf dem Gebiet der kommunalen Selbstver⸗ waltung. Die Nationalliberalen hätten stets dahin gewirkt, das Bestätigungsrecht nach Möglichkeit einzuschränken. In dieser Thätigkeit der Aussichtsbehörde könne Redner nur die Veranlassung erblicken, eine Agitation in die kommunale Ver⸗ waltung erst hineinzutragen. An der Diskussion hätten sich die Nationalliberalen nicht betheiligt, weil ihnen die angeführ⸗ ten drei Fälle zufällig nicht genügend bekannt gewesen seien; und wie bedenklich es sei, ein Urtheil ohne genaue Kenntniß der Verhältnisse zu fällen, habe dem Redner die Erwähnung Ell⸗ wangers gezeigt. Der Fall sei hüben und drüben falsch be⸗ urtheilt worden. Redner sei dem Manne seinerzeit sehr nahe getreten, und wenn demselben auf seine Kosten eine Anerken⸗ nung zu Theil geworden sei, so möchte er ihm dies sehr gern bestätigen. Der Gegensatz liege aber ganz anders, wie Abg. Dirichlet dargestellt habe.

Der Abg. Dr. Windthorst betonte, die Bestätigungsfrage habe eine generelle Bedeutung und sei in der Praxis am schwierigsten zu handhaben. Der Minister würde gewiß sehr geneigt sein, dieses Bestätigungsrecht gar nicht ausüben zu dürfen, es sei für ihn eine wahre Crux. Ohne Zweifel habe man sehr häufig dieses Recht zu sehr im Interesse der Parteien gehandhabt, und es wäre eine Aufgabe für das Haus, auf Mittel zu sinnen, es so einzurichten, daß derartige Klagen nicht mehr vorkommen könnten. Im Allgemeinen möchte

Redner sich den Anschauungen des Abg. Hobrecht zuneigen.

Nichts mache mehr konservativ, als die praktische Thätigkeit in der kommunalen Verwaltung, und so sollte man mit der Bestätigung tüchtiger Männer, auch wenn man sie als Gegner ansehe, nicht so ängstlich sein. Aufgabe einer monarchischen Regierung sei, mit der äußersten Peinlichkeit in diesen Dingen zu ö und die Bestätigung ohne zwingende Gründe nicht zu versagen. Es sei aber ein großer historischer Irrthum, wenn der Abg. Hobrecht diese Anschauung als die von seinen Freunden stets festgehaltene hinstelle. Bei Beginn des Kulturkampfes hätten gerade die Nationalliberalen mit Ungestüm verlangt, daß Kommunalämter nicht an Katholiken vergeben würden, man habe damals sogar völlige Proskriptionslisten aufgestellt. Kämen dieselben wieder ans Regiment, so würden sie ebenso wie früher verfahren, und weil Redner das wisse, wirke er mit aller Kraft dahin, daß dieselben nicht wieder obenauf kämen. Der Abg. Kennemann, den Redner nicht zu kennen die Ehre habe, habe ihm mit seinem Urtheil über den Bürger⸗ meister Herse einen peinlichen Eindruck gemacht. Er kenne Hrn. Herse nicht persönlich; heute jedenfalls sei hier nichts vorgebracht worden, was die Versagung der Bestätigung recht⸗ fertige. Von dem Abg. Kennemann aber 8 man schon früher gehört, daß er durch seine Theilnahme am Kultur⸗ kampfe sehr wesentlich dazu beigetragen habe, die Deutschen auseinanderzubringen. Ehe man also Anderen Frieden predige, solle man ihn zunächst selbst halten. Der Abg. Hänel hielt es für wichtig, zu konstatiren, daß der Abg. Hobrecht Namens seiner Partei den Minister von Puttkamer hinsichtlich der grundsätzlichen Auffassung des Bestätigungsrechtes desavouirt habe, um den Gegensatz hervor⸗ zuheben, in welchem sich der Minister zur Majorität des Hauses besinde. Der Minister sei auf die Verhandlungen der vorigen Woche zurückgekommen. Der erste Redner der Majorität vom vorigen Sonnabend, Abg. von Rauchhaupt, habe den Antrag als eine gegen den Reichstag gerichtete Demonstration und Billigung der Ausweisungsmaßregel erläutert. Der andere Redner der Majorität, der Abg. Hobrecht, habe gesagt, daß es seiner Partei schlechterdings nicht darum zu thun sei, ein Mißtrauensvotum fuͤr den Reichstag zu konstruiren, und habe festgestellt, daß ihm nichts ferner liege, als eine Billigung der Massenausweisungen. Einem so verschieden motivirten Beschluß gegenüber hätten die Freisinnigen nicht nöthig gehabt, sich zurückzuziehen. Minister von Puttkamer habe den Freisinnigen sodann vorgeworfen, sie würden, wenn sie am Ruder wären, ebenso und noch schlimmer, natürlich im entgegengesetzten Sinne, handeln, und habe dabei auf das liberale Ministerium Schwerin exemplifizirt. Diese Exempli⸗ fikation sei schlechterdings falsch. Niemals sei von der da⸗ maligen liberalen Partei eine Anwendung des Bestätigungs⸗ rechtes verlangt worden, wie sie Minister von Puttkamer grundsätzlich proklamire; das liberale Ministerium habe sich zu entgegengesetzten Grundfätzen bekannt. Allerdings hätte es nicht geduldet werden können, daß der Landrath von Putt kamer unter dem liberalen Ministerium Schwerin eine konser vativen Wahlen günstige Wahlgeometrie gemacht und für ihr als Beamten an sich schon unzulässige Wahlbeeinflussungen gegen den Willen seines Chefs ausgeführt habe Hier, wo sich Ungesetzlichkeit und Unbotmäßigkei die Hand eboten hätten, hier sage auch Redner einen solchen Landrath von Puttkamer setze auch er Knall un Fall ab. Dann werfe man den Freisinnigen immer ihre Hin neigung zum parlamentarischen Regime vor. Man solle sie doch hier auch vom Reichskanzler belehren lassen; er habe es j

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