Seitenkanals aus der Ems von Oldersum nach dem Binnenhafen nebst entsprechender Erweiterung des etzteren; zur Verbesserung der Schiffahrtsverbindung von der mitt⸗ leren Oder nach der Ober⸗Spree bei Berlin durch den unter theilweiser Benutzung des Friedrich⸗Wilhelm⸗Kanales zu bewirkenden Neubau eines Kanales von Fürstenberg nach dem Kersdorfer See, durch die Regulirung der Spree von dea bis unterhalb Fürstenwalde und durch den Neubau eines scaselbst beginnenden Kanales bis zum Seddin⸗See nach Maßgabe der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten festzu⸗ stellenden Projekte die Summe von 1186““ 111““ 58 400 000 ℳ 8 zu 2. 12 600 000 „ im Ganzen 71 000 000 ℳ zu verwenden.
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Mit der Erbauung des im §. 1 zu Nr. 1 gedachten Schiffahrts⸗ kanales ist erst vorzugehen, wenn der gesammte zum Bau, einschließ⸗ lich aller Nebenanlagen, nach Maßgabe der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten festzustellenden Projekter erforderliche Grund und Boden der Staatsregierung aus Interessentenkreisen unentgeltlich und lastenfrei zum Eigenthum überwiesen, oder die Erstattung der sämmtlichen, staatsseitig für dessen Beschaffung im Wege der freien Vereinbarung oder der Enteignung aufzuwendenden Kosten, einschließ⸗ lich aller Nebenentschädigungen für Wirthschaftserschwernisse und sonstige 6ö6 in rechtsgültiger Form übernommen und sicher⸗ estellt ist.
Der Finanz⸗Minister wird ermächtigt, zur Deckung der im §. 1 erwähnten Kosten im Wege der Anleihe eine entsprechende Anzahl von Staats⸗Schuldverschreibungen auszugeben.
Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchem Course die Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen, bestimmt der Finanzminister.
Im Uebrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der An⸗ leihe, wegen Annahme derselben als pupillen⸗ und depositalmäßige Sicherheit und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Dezember 1869 (Gesetzsamml. S. 1197) zur An⸗ wendung.
Die Ausführung dieses Gesetzes wird, soweit solche nach den Be⸗ stimmungen des §. 3 nicht durch den Finanz⸗Minister erfolgt, dem Minister der öffentlichen Arbeiten übertragen.
In dem allgemeinen Theile der Begründung zur Kanalvorlage ist zunächst darauf hingewiesen, daß das ursprüngliche Projekt des Rhein⸗Ems⸗Kanals eine Erweiterung erfahren. Die in Vorschlag gebrachten Wasserstraßen haben, wie weiter hervorgehoben wird, das Besondere, daß sie einerseits als selbständige Linien dem dringendsten Bedürfniß genügen werden, andrerseits aber sich allen überhaupt in Betracht kommenden weitergehenden Projekten unverändert einfügen können. Von diesem Gesichtspunkte aus werden auch die fortgesetzt, wenngleich mit mäßigen Mitteln weitergeführten Vorarbeiten geleitet und es erscheint, wie die Motive ausführen, nicht zweckmäzig, dieselben mehr zu beschleunigen, als der etwaige allmähliche Ausbau weiterer Kanalstrecken erfordern wird. Ebensowenig erscheint es noth⸗ wendig oder räthlich, schon jetzt für lange Jahre hinaus ein Pro⸗ gramm zu entwickeln, welches im Laufe der Zeit durch mancherlei Verhältnisse unabweisbaren Veränderungen unterworfen sein würde. Nach dem Ergebniß der Berathungen der früheren Kanalvorlage in den beiden Häusern des Landtages und der Diskussion in der Presse könne kein Zweifel darüber bestehen, daß im Allgemeinen die Nothwendig⸗ keit, Nützlichkeit und Lebensfähigkeit der künstlichen Wasserstraßen — wenn auch nicht ohne mehrfachen Widerspruch — anerkannt ist.
Was die Erweiterung der Kanalverbindung von Dortmund nach
den Emshäfen betrifft, so ist zu bemerfen, daß das vorliegende Pro⸗ jekt zwei räumlich von einander getrennte Anlagen, nämlich die schiff⸗ bare Verbindung des westfälischen Kohlengebiets mit der Ems bei Papenburg und diejenigen Einrichtungen umfaßt, welche zum sicheren und unmittelbaren Anschluß der Binnenschiffahrt an die große See⸗ schiffahrt bei Emden erforderlich sind. Der erste Abschnitt entspricht in der Hauptsache dem bereits in den Jahren 1882 und 1884 vorgelegten Projekte, welches indessen einige Erweiterungen erfahren hat; der zweite Theil entspricht den Anregungen, welche bei der Berathung des ursprünglichen Gesetzentwurfs im Hause der Abgeordneten gegeben worden sind. Der Kanal soll jetzt in unmittelbarer Nähe von Dortmund beginnen, um thunlichst allen Zechen und Werken, welche sich um Dortmund gruppiren, den Eisenbahnanschluß an die Wasserstraße zu gewähren. Er verfolgt dann das Thal der Emscher bis Henrichenburg, von wo aus später die etwa nach dem Rhein hin anzulegende Kanalverbindung auszugehen haben würde. Seine Länge beträgt bis Henrichenburg 15 km (gegen früher 11,1 km). Von Henrichenburg ist ein 7,8 km langer Zweigkanal neu projektirt worden, welcher die Bestim⸗ mung hat, der auf dem linken Ufer der Emscher liegen⸗ den Gruppe industrieller Anlagen ebenfalls die Eisenbahn⸗ verbindung mit der Wasserstraße zu ermöglichen. Die Haupt⸗ linie verläßt bei Henrichenburg das Thal der Emscher und führt über Münster nach Bevergern. Der Entwurf ist jetzt dahin eändert, daß die Stadt Münster von der Hauptlinie unmittelbar erührt wird, wodurch die ganze Länge Henrichenburg⸗Bevergern 96 km gegen früher 96,8 km beträgt. Im sonstigen ist das Projekt hier unverändert geblieben. Von Bevergern geht der Kanal nach Papenburg, indem er diese Stadt jetzt ebenfalls unmittelbar berühren soll. Die Länge der Kanalstrecke Bevergern⸗Papenburg beträgt 109,3 km gegen früher 99,3 km.
In Folge der in das Projekt eingeführten Aenderungen vergrößert sich die Länge der Kanalverbindung von Dortmund nach der Ems von 207,2 km auf 220,3 km und das Gesammtgefälle von 64,30 m auf 68,94 m, während die Zahl der erforderlichen Schleusen mit 26 unverändert geblieben ist. Hierzu tritt noch der Zweigkanal von Henrichenburg nach Herne mit 7,8 km Länge und 1 Schleuse, so daß im Ganzen 228,10 km Kanal und 27 Schleusen zu erbauen sind. Die früher in Frage gekommene Vereinigung mehrerer Schleusen⸗ gefälle zu geneigten Ebenen ist endgültig aufgegeben worden.
Von Papenburg abwärts bis Emden ist das Fahrwasser der Ems zur Befahrung mit Kanalschiffen geeignet, so daß diese das Binnenfahrwasser und den Hafen von Emden erreichen können, um hier mit den Seeschiffen behufs Ueberladung der Kohle zusammen⸗ zutreffken. Da die Häsen von Papenburg, Leer und Emden zu klein sind, um einen lebhaften Umladeverkehr, wie ein solcher die Voraus⸗ setzung des gesammten Kanalprojekts bildet, zu vermitteln, so ist hierzu das frühere Kanalprojekt durch Hinzufügung eines Ka⸗ nals von der Ems bei Oldersum nach Emden und einer größe⸗ ren Hafenanlage daselbst erweitert. Emden wurde gewählt, weil hier der Hafen für die große Seeschiffahrt am leichtesten und am bequemsten zu erreichen ist und zugleich der Anschluß an den Ems⸗Jade⸗Kanal stattfindet; ferner weil dort vorzüglich geeignetes fiskalisches Terrain vorhanden ist und der ohnehin erforderliche Kanal von Oldersum nach Emden Gelegenheit giebt, die Berührung der Kanal⸗ und Seeschiffahrt in vollkommenster Weise zu vermitteln. Die Länge dieses Kanals beträgt 9,2 km. Gleich nach seinem Eintritt in den Königspolder theilt er sich in zwei Arme, von denen der eine den Kanalverkehr nach der Stadt Emden und dem Ems⸗Jade⸗Kanal zu vermitteln haben wird, der andere sich zu einem Bassin erweitert, in welchem die Umladung von Schiff zu Schiff stattfinden und dessen eine Langseite mit Eisenbahngeteisen behufs des Bahnanschlusses belegt werden soll. Die Seeschiffe erreichen dieses Bassin durch einen von der Nesser⸗ lander Schleuse ausgehenden, parallel zum Binnenfahrwasser ge⸗ führten Kana urch dessen Anlage sich eine breite, den See⸗ und Kanalscht en von beiden Seiten zugängliche, ebenfalls mit Eisenbahngeleisen zu versehende Landzunge bildet, welche für Schuppenanlagen, Lagerplätze u. s. w. bestimmt ist. Ein gesonderter
——.— —
Hetroleumhafen foll den Petroleumschiffen Gelegenheit geben, ihre Ladung in Emden, von wo aus dieselbe auf dem Wasserwege in das Innere des Landes befördert werden kann, zu löschen und zugleich als Rückfracht bezw. Ballast Kohlen einzunehmen. Diese Anlage ist vor⸗ läufig für 8 Seeschiffe berechnet, jedoch so eingerichtet, daß sie in jeder Beziehung erweiterungsfähig ist. 3 8 b
Was die Versorgung des Kanals mit Wasser betrifft, so wird betont, daß nach dieser Richtung hin neue Prüfungen stattgefunden haben, und die Bedenken, welche seiner Zeit geltend gemacht wurden, unbegründet sind. 3
Bezüglich des Kostenpunktes sind die früheren Berechnungen einer theilweisen Umarbeitung und Vervollständigung unterzogen worden. Die Erhöhung der Schlußsumme für die gesammte Bauausführung auf 64 660 000 ℳ, für den Grunderwerb auf 6 280 000 ℳ gegen den früheren Betrag von 50 300 000 ℳ bezw. 5 000 000 ℳ hat ihren Grund vorzugsweise im Hinzutritt des Hafenanschlusses bei Emden, dessen Kosten sich, einschließlich des Anschlußkanals von Oldersum nach Emden, auf 9 180 000 ℳ stellen, ferner in der Hinzufügung des Zweigkanals von Henrichenburg nach Herne, endlich in der Ver⸗ längerung des Kanals in der obersten Strecke bis Papenburg.
Da die Staatsregierung daran festhält, daß der Grund und Boden unentgeltlich und lastenfrei überwiesen werden muß, so beläuft sich die Summe, deren Bereitstellung für die Kanalverbindung von Dortmund nach den Emshäfen beantragt wird, auf 58 380 000 oder rund auf 58400 000 ℳ
Der Begründung sind eingehende Kostenberechnungen und Gut⸗ achten beigegeben.
Statistische Nachrichten.
Gemäß den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts sind in der Zeit vom 28. Februar bis 6. März cr. von je 1000 Einwohnern, auf den Jahresdurchschnitt berechnet, als gestorben gemeldet: in Berlin 24,7, in Breslau 27,3, in Königsberg 29,2, in Köln 26,8, in Frankfurt a. M. 20,8, in Wiesbaden 16,9, in Hannover 28,4, in Kassel 28,4, in Magdeburg 27,4, in Stettin 34,0, in Altona 41,6, in Straßburg 22,3, in Metz 23,1, in München 27,8, in Nürnberg 25,1, in Augsburg 21,3, in Dresden 21,6, in Leipzig 21,7, in Stuttgart 21,0, in Karlsruhe 19,6, in Braunschweig 26,3, in Hamburg 26,3, in Wien — in Budapest 36,9, in Prag 36,1, in Triest —, in Krakau 31,8, in Basel 22,2, in Brüssel 33,9, in Amsterdam 29,7, in Paris 30,6, in London 26,9, in Glasgow 30,3, in Liverpool 29,6, in Dublin 30,1, in Edinburg 22,5, in Kopenhagen 20,7, in Stockholm 24,9, in Christiania 23,9, in St. Petersburg 38,3, in Warschau 28,1, in Odessa 36,9, in Rom 30,9, in Turin 28,1, in Venedig —, in Bukarest —, in Alexandria —. Ferner in der Zeit vom 7. bis 13. Fe⸗ bruar cr. in New⸗York 23,5, in Philadelphia 22,0, in Baltimore 16,0, in San Francisco 19,5, in Kalkutta 30,5, in Bombay 23,5, in Madras 43,9.
Die Sterblichkeit hat in der Berichtswoche in den meisten Groß⸗ städten Europas zugenommen, doch blieb sie in den meisten Städten Süddeutschlands eine niedrige. Von den deutschen Städten melden nur die größeren Städte der niederrheinischen Niederung (Barmen, Elberfeld, Düsseldorf), sowie Magdeburg, Leipzig, Dresden, Hamburg erheblich niedrigere Sterblichkeitsziffern als in der vorhergegangenen Woche. — Insbesondere traten aller Orten in Folge der von hartem Frostwetter begleiteten östlichen, um Mitte der Woche auch vielfach nordwestlichen Windrichtungen noch immer akute Entzündungen der Athmungsorgane in großer Zahl zu Tage und bedingten besonders in Barmen, Bremen, Breslau, Dresden, Essen, Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, München, Straßburge London, Paris, Budapest, Warschau u. a. O. viele Todesfälle. — Darmkatarrhe der Kinder zeigten keine wesentliche Veränderung in ihrem Vorkommen. Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit blieb im Allgemeinen die gleiche wie in der Vor⸗ woche. Von 10 000 Lebenden starben in Berlin, aufs Jahr be⸗ rechnet, 58, in München 100 Säuglinge. — Die Infektionskrank⸗ heiten riefen meist etwas mehr, nur die Pocken in außer⸗ deutschen Städten etwas weniger Todesfälle hervor. — Masern wurden in Berlin, Dresden, Amsterdam, Budapest, London, Paris, Lyon, Rom (Anfang Februar), Prag, St. Petersburg vielfach Todes⸗ ursache; auch in Hamburg und in den Regierungsbezirken Düssel⸗ dorf, Hildesheim, Königsberg, Marienwerder waren Erkrankungen an Masern häufig. Scharlach zeigte sich in Berlin, Hannover, Chri⸗ stiania, St. Petersburg, sowie im Regierungsbezirk Schleswig nicht selten. — Die Sterblichkeit an Diphtherie und Croup blieb eine be⸗ deutende; namentlich stieg in Berlin, Barmen, Charlottenburg, Ham⸗ burg, Kassel, Königsberg, Magdeburg, München, Stuttgart, Paris, Warschau die Zahl der Sterbefälle, während sie in Altona, Dresden, Budapest, Christiania, London, St. Petersburg etwas abnahm. Auch aus Nürnberg, Kopenhagen, sowie aus dem Regierungsbezirk Schles⸗ wig werden zahlreiche Erkrankungen an Diphtherie mitgetheilt. Das Vorkommen von typhösen Fiebern blieb in deutschen Städten ein be⸗ schränktes; nur in Hamburg hat die Zahl der Erkrankungen und Todes⸗ fälle zugenommen, während sie in Paris, Warschau, St. Petersburg nahezu die gleiche wie in der Vorwoche blieb. — An Flecktyphus kamen aus Krakau und Edinburg je 1, aus Prag 2, aus St. Peters⸗ burg 3 Todesfälle, aus dem Regierungsbezirk Königsberg 1, aus St. Petersburg 8 Erkrankungen zur Mittheilung. — Rückfallsfieber wurden nur aus St. Petersburg (5 Todes⸗ und 39 Erkrankungsfälle) gemeldet. — Das Kindbettfieber forderte in London 6, in Berlin und Paris je 7 Opfer. — Der Keuchhusten hat in Berlin, London, Glasgow, Liverpool mehr, in Dublin weniger Todesfälle veranlaßt. — Im Regierungsbezirk Marienwerder kamen 4 Erkrankungen an Trichinosis zur Kenntniß. — Rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut traten in London, Nürnberg, Kopenhagen häufiger, in Berlin und Paris seltener zu Tage. — Aus London kam 1 Todesfall an Tollwuth zur Mittheilung. — Todesfälle an Pocken wurden aus Warschau 1, aus Liverpool 2, aus Prag und St. Petersburg je 4, aus Paris und Rom (Anfang Februar) je 9, aus Pest 26 gemeldet. Ferner kamen aus Berlin, Hamburg, Edinburg je 1, aus dem Re⸗ gierungsbezirk Marienwerder 2, aus Pest zahlreiche Erkrankungen an Pocken zur Mittheilung. — In der Nacht vom 9. zum 10. März ist in Venedig einArbeiter der Stazione maritama an der Cholera gestorben. In Douarnenez (Departement Finistère) sind seit dem 12. Februar noch vereinzelte Cholerafälle vorgekommen, doch ist die Epidemie ersichtli im Erlöschen; am 25. Februar waren daselbst nur noch 5 Cholera⸗ kranke. — In der ersten Januarwoche erlagen der Cholera in Kal⸗ kutta 32 Personen.
Gewerbe und Handel.
Der Cours für die hier zahlbaren Oesterreichischen Silber⸗Coupons ist auf 162,25 ℳ für 100 Fl. österr. Silber erhöht worden.
Frankfurt a. M., 15. März. (W. T. B.) Der Aufsichtsrath der Mitteldeutschen Kreditbank beschloß, die Vertheilung einer Dividende von 5 % bei der auf den 14. k. M. einzuberufenden Generalversammlung zu beantragen.
Wien, 15. März. (W. T. B.) Die Generalversammlung der Unionbank genehmigte nach längerer, stellenweise erregter Debatte die Anträge des Verwaltungsraths auf Reduktion des Aktienkapitals und Ausgabe von neuen Aktien. Seitens der Opposition wurde gegen diese Beschlüsse ein Protest zu Protokoll gegeben.
Bradford, 15. März. (W. T. B.) Wolle ruhig, aber stetig, Halbwollen knapp, fest. Garne ruhig. Stoffe geschäftslos.
Sanitätswesen und Quarantänewesen.
1 Oesterreich⸗Ungarn.
Laut Verfügung der K. K. Seebehörde zu Triest unterliegen Pro⸗ venienzen aus italienischen ghen, und zwar von der öster⸗ Grenze bis einschließlich Ankona, einer siebentägigen Qua⸗ rantäne.
Berlin, 16. März 1886.
8 8 1 8 8 8 Be “ Der Verein für Besserung entlassener Straf⸗
efangener trat gestern unter dem Vorsitz des Geh. Justiz⸗Raths Wirth
im Landgericht in der Jüdenstraße zu einer Sitzung zusammen. Wie
leider konstatirt werden mußte, ist die Zahl der Arbeitslosen noch immer
eine gewaltige. Tag für Tag sammeln sich vor dem in dem alten Kadettenhause belegenen Bureau 200 und mehr Personen, welche
Beschäftigung erbitten. Allein im letzten Monat sind 305 neue Pfleglinge
hinzugekommen. Um die Noth wenigstens etwas zu lindern, werden dreimal in der Woche an alle sich meldenden Pfleglinge Speisemarken, für Volks-
küchen gültig, vertheilt; die vier übrigen Tage sind freilich für viele Fasttage. In Fällen dringendster Noth hat das Arbeitsnachweisebureau
auch Kleidungsstücke bewilligt. In Arbeit gebracht wurden 106 Per⸗
sonen, und zwar 61 Handwerker, 11 Schreiber, Buchhalter und dergl.,
10 Kutscher, Hausdiener und dergl., und 24 Arbeiter. Gerade für diejenigen,
welche keine Handfertigkeit gelernt haben, für die gewöhnlichen Arbeiter,
Beschäftigung zu verschaffen, ist im Winter ungemein schwer. Einem
Krüppel wurden die Mittel bewilligt, um einen kleinen Handel 8 einen Pflegling, der hier lohnende Be⸗
zu beginnen. Für
schäftigung gefunden, jetzt aber seiner Vorstrafe wegen aus⸗
gewiesen werden soll, beschloß der Verein, sich an geeigneter Stelle zu verwenden. In einem zweiten ähnlichen Fall wurde dagegen ein offizielles Eintreten des Vereins nicht für angezeigt erachtet. Die kirchliche Vereinigung zur Fürsorge für Entlassene, die mit ihren
Mitteln da eintritt, wo Würdigkeit vorhanden, ein Eingreifen des
Vereins selbst aber nicht möglich ist oder nicht angezeigt erscheint, theilte 8
mit, daß sie sich nunmehr über 18 Kirchengemeinden erstreckt und im letzten Jahre 1095 ℳ verausgabt hat. le mac 1 auch die Unterstützung der Familien von Inhaftirten zur Aufgabe.
Von dem schlesischen Provinzialverein lagen Mittheilungen vor, die eine
erfreuliche Fortentwickelung der dortigen Vereinsbestrebungen konstatiren.
Dem Provinzialverein steht eine große Zahl von Lokalvereinen zur
Seite. S
Die letzte Ausstellung der „Cy pria“, die im vorigen Monat hier stattfand, hat, wie in der gestrigen, im Restaurant Imperial ab⸗ gehaltenen Vereinssitzung mitgetheilt wurde, ein Defizit von 4602 ℳ gebracht. Der ungeeigneten Lage des Ausstellungslokals wird die Hauptschuld beigemessen.
Madrid, 16. März. (W. T. B.) Die durch das vorgestrige
Erdbeben in Granada verursachten Beschädigungen erweisen sich als unerheblich. Menschenleben sind nicht verloren gegangen.
New⸗York, 15. März. (W. T., B.) Der Dampfer „Oregon“ der Cunard⸗Linie ist bei der Einfahrt in den hie⸗ sigen Hafen mit einem Schooner zusammengestoßen und gesunken. Die Passagiere und die Mannschaft des Dampfers „Oregon“ sind an Bord der „Fulda“ wohlbehalten hier eingetroffen. Sämmt⸗ liches Gepäck ist verloren, von den an Bord des „Oregon“ befindlich gewesenen 600 Postbeuteln aber 69 gerettet. Der Name des Schooners, mit welchem der „Oregon“ kollidirte, ist unbekannt. Der Schooner ist ebenfalls gesunken, und ist zu befürchten, daß alle an Bord desselben befindlichen Personen umgekommen sind.
Bremen, 15. März. (W. T. B.) Die Zahl der durch den
Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Fulda“ geretteten Personen,
welche sich auf dem gestern untergegangenen Cunard⸗Dampfer
„Oregon“ befanden, beträgt 186 Kajütenpassagiere, 455 Zwischen-⸗
deckspassagiere und die 255 Personen starke Mannschaft. Das Ret⸗ tungswerk nahm 16 Stunden in Anspruch.
Im Belle⸗Alliance⸗Theater hat am Sonnabend Hr. Felir Schweighofer sein Gastspiel begonnen. Der beliebte Wiener Komiker bereitete seinen zahlreich erschienenen Verehrern diesmal da durch eine besondere Ueberraschung, daß er sich ihnen auf einem ganz neuen Gebiet, nämlich als Charakterdarsteller präsentirte. Er hatte dazu ein Volksstück von Carl Morré gewählt, welches in den stexeri⸗ 8. Alpen spielt und „'s Nullerl“ betitelt ist. Das Stück gehört einer äußeren Anlage und Tendenz nach in die jetzt besonders vom Münchener Theater am Gärtnerplatz gepflegte Gattung, die uns von den fast alljährlichen hiesigen Gastspielen der Mitglieder dieser Bühne wohlbekannt ist. Jedoch zeigt das nach der Schablone der Bauern schauspiele eines Anzengruber, Ganghofer, Neuert u. A. gearbeitete Morré'sche Stück zu viele grobe und possenhafte Züge, die es von diesen kernhaft ernsten und doch humorreichen Stücken nicht eben vor⸗ theilhaft unterscheiden. Gerade deshalb aber stellt es im Ganzen auch nicht die ernsten Anforderungen an die Darstellung, welche den genannten Münchener Theater mit seinen Repertoirestücken eine so wohlberechtigten, weiten Ruf erworben hat. Nur die Titelrolle ist von dem Autor mit größerer Sorgfalt ausgestaltet und fand durch den Wiener Gast auch in der That eine vorzügliche Verkörperung alle übrigen Figuren kommen dagegen eigentlich so wenig in Berechnung daß dieses „Nullerl“ schließlich die Hauptziffer in dem Stück bildet. Es genügten denn auch für die Darstellung immerhin die sonst in der Operette beschäftigten Mitglieder der jetzigen Dependenz de Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theaters, welche zum Theil als geborene Oesterreicher sich auch mit dem Dialekt leidlich abfanden. Trotz aller redlichen Bemühungen aber konnte die Aufführung doch keinen einheitlichen Eindruck machen, umsoweniger als das Stück ganz auf die virtuose Darstellung der Titelrolle zugeschnitten ist. Diese fand, wie schon bemerkt, durch Hrn. Schweighofer allerdings eine ganz un übertreffliche Interpretation. Der „Null⸗Anerl“ ist ein alter „Ein lieger“ oder Gemeinde⸗Armer, der bei dem Grundbesitzer Volkmar Quarzhirn den Rest seiner Tage verlebt, von seinem eigenen Unnutz überzeugt ist, von Jung und Alt verächtlich behandelt und umher gestoßen wird, dem es aber schließlich doch gelingt, an dem Bauern, der ihn von seinem Hofe gejggt hat, dadurch eine edle Rache zu nehmen, daß er seine Lieblingstochter von Verzweiflung und To errettet. Hr. Schweighofer hat diese Gestalt ungemein sorgfältig un charakteristisch ausgearbeitet und mit hundert kleinen humoristischen Zügen ausgestattet, so daß man über die Wahrheit dieser Kunst⸗ schoͤpfung staunen und sie, wenigstens nach der komischen Seite hin, noch über ähnliche vorzügliche Leistungen des geschätzten Müncheners Neuert stellen möchte, der solche Charaktere dafür mehr nach der ernsten Seite zu vertiefen pflegt. Das Publikum ließ es übrigen auch an vielfältiger Anerkennung für den beliebten Künstle nicht fehlen und überschüttete ihn mit Beifall. Besondere Auszeichnung erfreute sich sein höchst wirksam nüaneirte Vortrag eines, übrigens mit beißenden Wahrheiten für die moderne Gesellschaft gepfefferten Couplets von der „Welt als Narrenhaus“ welches der Gast mit dem Tragekorb auf dem Rücken, wie einst Ferdinand Raimund in seiner berühmten Rolle als Aschenmann, sang. — Von den übrigen Darstellern verdienen Hr. Binder als Bauer Quarzhirn, Hr Swoboda als Großknecht Ruppert, Hr. Hanno als Stoffel, Frl. Fehl als Gabi und Hr. Lieban als Kraller⸗Hias genannt zu werden. Sie machten Söö um den Erfolg des Abends mitverdient, im Verlauf dessen aber doch auch schon vielfach Stimmen verlautbarten, welche lebhaft den Wunsch ausdrückten, den geschätzten Künstler auch bald einmal wieder in seinem eigentlichen Element als drastischen Komiker zu sehen.
Redacteur: Riedel. Berlin: Verlag der Expedition (Scholz). Druck. W. Elsner. Sechs Beilagen “ (einschließlich Börsen⸗Beilage), 9 . sowie das Verzeichniß der gekündigten Schubdverschreibnnger
der Preußischen Staats⸗Auleihen vom Jahre 1850, 1852 und 1853.
Sie macht sich namentlich
ilage
zum Deut hen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußisc
Berlin, Dienstag, den 16. März
1886.
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Preußen. Berlin, 16. März. Im weiteren Ver⸗ lauf der gestrigen (67.) Sitzung des Reichstages folgte die dritte Berathung der von dem Hause an Stelle des ursprüͤnglichen Antrages Lenzmann angenommenen beiden Gesetzentwürfe, betrefsend die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen, und betreffend die Ab⸗ änderung und Ergänzung der Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Der Abg. Hartmann rechtfertigte seinen in zweiter Lesung fast einstimmig abgelehnten Antrag, den persoͤnlich zu ver⸗ theidigen er durch Krankheit verhindert gewesen sei, und den er, als aussichtslos, auch jetzt nicht von Neuem einbringen wolle. Er führte aus, sein Antrag habe, im Unterschied von den Beschlüssen des Hauses, das Entstehen des Entschädigungs⸗ anspruchs beschränken wollen auf die Fälle, wo erstens deshalb auf Freisprechung erkannt sei, weil die That, wegen welcher die Verurtheilung erfolgt sei, überhaupt nicht oder nicht vom Verurtheilten begangen, oder weil die sämmtlichen Beweise, auf welche die Verurtheilung sich gründete, beseitigt worden seien, und wo zweitens ein erlittener Vermögensnachtheil des Verurtheilten evident und genau substanziirt sei. Dem Entwurf, wie er in zweiter Lesung be⸗ schlossen sei, könne er (Redner) nicht zustimmen auf die Gefahr hin, das mit solcher Ablehnung verbundene Odium allein zu tragen oder mit den Regierungen zu theilen. Er halte ihn für undurchführbar und höchst bedenklich, und müsse dies auf Grund der Erfahrungen einer langjährigen Praxis behaupten. Es sei ein sehr gewagtes Experiment, welches das Haus vor⸗ zunehmen im Begriff stehe; und man müsse um so vorsichtiger sein, als Deutschland der erste Staat sei, der den Entschädi⸗ gungsanspruch in die Gesetzgebung einführe.
Der Abg. Träger äußerte: Nachdem in der letzten Sitzung das Haus die Prinzipien der Kommissionsvorschläge so gut wie einstimmig angenommen habe, müsse er sich sehr wundern, daß gerade der Abg. Hartmann, der in der Kommission ein warmer Befürworter der gesetzlichen Regelung dieser Materie gewesen sei, heute für diesen Entwurf nicht stimmen zu können erkläre. Wenn eine in so viel Parteien gespaltene, von so viel widerstreitenden Interessen bewegte Volksvertretung wie der Reichstag sich mit solcher Einhelligkeit für einen Entwurf erkläre, so sei das gewiß ein Zeichen für das allgemein empfundene Bedürfniß; und jedes Wort, mit dem man das Vorhandensein dieses Bedürfnisses noch nachweisen wollte, würde verschwendet sein. So lange es gegen die Folgen irriger Nichter⸗ sprüche keine Remedur gebe, werde der Unwille über jeden Fall der Verurtheilung eines Unschuldigen sich gegen den Richterstand kehren. Ein Irrthum, dessen Folgen beseitigt werden könnten, werde dergleichen bedenkliche Erscheinungen nicht nach sich ziehen. Wenn gesagt werde, in anderen Staa⸗ ten habe man nicht eine solche Gesetzgebung, wie das Haus sie hier mache, so meine er doch, Deutschland sei groß und mächtig genug, um auch für sich allein das Nechte zu thun; und es werde sich gerade dadurch, daß es auf diesem Gebiet den ersten Schritt wage, ein unsterbliches Verdienst erwerben. Er bedauere sehr, daß die Regierungen über den Gegenstand noch nicht schlüssig geworden seien. Der frühere wohlwol⸗ lende aufgeklärte Absolutismus habe vielfach auch wider⸗ willige Völker in die Bahnen des Fortschritts gezwungen; wenn jedoch heute die Regierung einem einheitlich erklärten Volks⸗ willen gegenüber sich ablehnend verhalten sollte, so wäre das eine Art Absolutismus, der weder Wohlwollen noch Aufklärung besitzen würde. Im eigenen Interesse der Regierung wünsche er, daß sie dem Kommissionsbeschluß zustimmen möge; sie sollte bedenken, daß sonst jeder neue Fall der Verurtheilung eines Unschuldigen eine Ankkage gegen die Regierung sein würde.
Der Abg. Reichensperger bemerkte: Da der Abg. Hart⸗ mann keinen Gegenantrag gestellt habe, so wolle derselbe, daß nichts geschehe, damit nicht etwa zu milde gegen den Ange⸗ klagten vorgegangen werde. Er wolle nur dem wirklich Un⸗ schuldigen eine Entschädigung gewähren. Ja, könne denn der Richter die absolute Wahrheit finden? Er müsse sich doch an die gegebenen Beweise halten, und wenn diese nicht genügten, trete der Angeklagte in die Reihe der übrigen Staatsbürger ein. Ein zu mildes Gesetz sei ihm immer noch lieber als gar kein Gesetz.
Der Gesetzentwurf, betreffend die Entschädigung für un⸗ schuldig erlittene Strafen, wurde gegen die Stimmen mehrerer Deutschkonservativen (Hartmann, Gamp, Graf Moltke, von Kleist⸗Retzow, Kropatschek, von Busse) angenommen.
Zugleich hat die Kommission einen Gesetzentwurf vor⸗ geschlagen, welcher die Wiederaufnahme des Ver⸗ fahrens erleichtern will.
Der Abg. Veiel erklärte, daß er gegen dieses Gesetz stimmen werde.
Der Abg. Rintelen bemerkte, daß das Entschädigungs⸗ gesetz ohne das vorliegende Gesetz nicht durchgeführt werden könne.
Der Gesetzentwurf wurde gegen die Stimmen eines Theils der Deutschkonservativen und einiger Nationalliberalen angenommen.
Auch der Gesetzentwurf, betr. die Wiedereinführung der Berufung, über den die Abstimmung ausgesetzt war, wurde nunmehr gegen die Stimmen der Deutschkonservativen und einiger Nationalliberalen angenommen.
Darauf wandte sich das Haus der Berathung der ver⸗ schiedenen Anträge der Arbeiterschutzgesetzgebung zu, über welche von der Kommission bereits ein Bericht erstattet ist, soweit sie sich auf die Einrichtung der Fabrikinspektion und auf die Gewerbegerichte beziehen. Die von der Kommission “ Resolution bezüglich der Fabrikinspektoren autet:
den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die Ver⸗ mehrung der Zahl der mit der Beaufsichtigung der Fabriken be⸗ trauten Beamten (§. 139 b) unter thunlichster Verkleinerung der Aufsichtsbezirke überall da herbeigeführt werde, wo sich das Bedürf⸗ niß einer solchen Maßregel zur vollkommenen Erreichung der Auf⸗ sichtszwecke bereits herausgestellt hat oder noch herausstellen wird.
Hierzu lagen zwei Anträge vor: 1) vom Abg. Auer: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, in nächster Session dem Reichstag einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Stellung der Fabrikinspektoren (Gewerberäthe) gesetzlich regelt; 2) vom Abg. Halben: 1 dem Schluß der Resolution folgende Fassung zu geben: „überall da herbeigeführt werde, wo die gesetzlichen Zwecke der Aufsicht wegen der geringen Zahl der vorhandenen Beamten bisher nicht in völlig genügender Weise erreicht werden konnten, oder wo es nicht möglich sein würde, erforderlichenfalls alle vorhandenen Betriebe mindestens einmal im Jahre zu besichtigen.“
Dieser Antrag wurde nicht genügend unterstützt. Er ist, wie der Referent Abg. Lohren mittheilte, in der Kommission mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt worden.
Der eben mitgetheilte Antrag Auer, welcher der Kom⸗ mission nicht vorgelegen hat, ist nach Ansicht des Referenten infofern von Interesse, als er das von den Sozialdemokraten in ihrem ursprünglichen Antrage geforderte Institut der Arbeitsämter aufgiebt. Die Sozialdemokraten haben in der Kommission auch für die Resolution gestimmt.
Der Abg. Kalle meinte: Die Sozialdemokraten hätten in ihren Anträgen ein scheinbar weitgehendes Entgegenkommen bewiesen. Er erblicke darin lediglich einen Akt kluger Politik. Der Antragsteller sei sich sehr wohl bewußt, daß die große Mehrheit der Arbeitgeber, der besonders tüchtigen Unternehmer, gar nicht in der Lage sein werde, sich an den Geschäͤften der vorgeschlagenen Organe zu betheiligen, während die Arbeiter stets vorhanden seien und die Mehrheit bei den Sitzungen der Arbeitskammer u. s. w. bilden würden. Die ganze Organi⸗ sation würde den außerordentlich hohen Kostenaufwand von 3 Millionen jährlich erfordern. Dies Bedenken sei aber nicht ausschlaggebend. Der Schwerpunkt liege in den Arbeitsämtern, welche nach der Ansicht der verbündeten Re⸗ gierungen eine Verwirrung in die Kompetenzen der Landes⸗ behörde bringen würden. Noch bedenklicher sei die Zusammen⸗ setzung der Arbeitsänner. Glaube man wirklich, daß Arbeiter, oder gar Frauen, die auch Mitglieder sein könnten, geeignet seien, um der schwierigen Aufgabe der Fabrikbeaufsichtigung zu genügen? Diese erfordere ein ungewöhnliches Maß technischen, wirthschaftlichen Verständnisses, Menschenkenntniß und Objekti⸗ vität. Seine Partei sei für die vorgeschlagene Resolution und gegen den Antrag Auer.
Der Abg. Kayser sprach sich folgendermaßen aus: Für die Arbeitervertreter handele es sich vor allen Dingen um die Gewinnung einer offiziellen Stellung des Arbeiters im heuti⸗ gen Produktionsprozeß. Von diesem Gesichtspunkt aus seien diese Organisationsanträge zu verstehen. Der Arbeiter sei heutzutage nichts anderes als Rohmaterial; er solle aber auch etwas mitzureden haben in dem Produktionsprozeß. Aus der Arbeiten der Kommission sei nichts herausgekommen als eine Resolution, die gar keine praktischen Konsequenzen haben könne. Der Staat solle den Krieg Aller gegen Alle mildern. Während die Freunde des Abg. Bamberger durchaus den Arbeiter der freien Konkurrenz preisgeben wollten, fordere seine (des Redners) Partei in Deutschland, wo man schon so lange von Sozialreform reden höre, einfach und klar eine Theilnahme des Arbeiters an dem Pro⸗ duktionsprozesse. Die Arbeiter hätten auf wirthschastlichem Gebiet nicht wie die anderen Klassen ihre Vertretung. Gegen⸗ über der Forderung einer solchen Vertretung sollte das Haus sich nicht ablehnend verhalten; denn nur aus dem Mangel derselben gewönnen die Lohnstreitigkeiten heutzutage ihre Schärfe. Der Bericht der Kommission sei bedauerlicher Weise nicht objektiv abgefaßt, er gebe, wie er (Redner) auf seine Er⸗ kundigungen erfahren habe, nicht die in der Kommission zum Ausdruck gekommenen Meinungen, sondern zum großen Theil⸗ die persönlichen Ansichten des Referenten wieder. So stehe z. B. darin, daß die Arbeiter in Ausführung des Kranken⸗ und Unfallgesetzes nicht gut genug arbeiteten, man müsse die Beobachtung machen, daß die Arbeiter ihre Thätigkeit dabei lediglich als lästige Pflicht betrachteten. Dieser Vorwurf sei vollkommen ungerechtfertigt und in der Kommission nicht aus⸗ gesprochen worden. Die Fabrikinspektoren sollten nach der Meinung der Sozialdemokraten Reichsinstitute sein, denn die soziale Gesetzgebung habe ja das Reich seiner Fürsorge vor⸗ behalten. Deshalb verlange seine Partei auch eine reichs⸗ gesetzlche Regelung, und der Referent erblicke mit Unrecht in diesem Vorschlage einen Büßergang gegen⸗ über diesem Antrag auf Einsetzung von Arbeits⸗ ämtern. Eine Vermehrung von Beschwerden wäre durch diese reichsgesetzliche Regelung durchaus nicht zu befürchten, z. B. seien bei Weitem mehr Beschwerden aufgetaucht in Folge des den Partikularstaaten zur Ausführung überlassenen Kranken⸗ versicherungsgesetzes, als gegenüber der durch das Reichs⸗ Versicherungsamt ausgeführten Unfallversicherung. Die Re⸗ solution sei zwar in der Kommission einstimmig angenommen worden, die Sozialdemokraten würden aber im Plenum gegen dieselbe stimmen, da sie sich von ihr keinerlei praktischen Erfolg versprechen könnten. Der Einwand, daß die Durchführung ihrer Vorschläge zu viel Geld kosten würde, sei keinesfalls durchschlagend, er brauche nur an andere größere Posten des Etats zu erinnern, in denen die Anlage bei Weitem nicht so produktiv gemacht sei, wie hier die etwa 1 ½ Millionen Mark im Interesse der Arbeiter⸗ organisation. Das Bedauerlichste aber sei, daß durch solche Resolutionen eine systematische einheitliche Sozialgesetzgebung unmöglich werde, da stets nur Flickwerk zu Stande komme, das baldigst wieder Korrekturen veranlasse. Auf diese Weise werde die Hoffnung und das Vertrauen der Arbeiter nicht ge⸗ stärkt, sondern herabgemindert. Mit etwas mehr Wohlwollen gegenüber den Anträgen leiste man der versöhnlichen Stim⸗ mung unter den Arbeitern Vorschub. Das bitte er zu be⸗ denken.
Um 4 ¾ Uhr wurde die weitere Berathung auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.
— Im weiteren Verlauf der gestrigen (41.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten erwiderte bei Fortsetzung der Berathung des Etats des Ministeriums der
geistlichen, Unterrichts⸗-und Medizinal⸗Angelegen⸗
heiten auf den von dem Abg. Dr. Virchow ausgesprochenen Wunsch, einige Räume des Polytechnikums für ein elektro⸗ technisches Laboratorium zur Verfügung zu stellen, der Regierungskommissar Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Wehrenpfennig, das physikalisch⸗mechanische Institut, von wel⸗ chem der Vorredner gesprochen habe, sei ursprünglich Seitens der preußischen Behörde geplant worden. Auf Anregung des Geheimen Naths Siemens, der sehr bedeutende Opfer für den Neubau eines physikalischen Instituts habe bringen wollen, sei im Einverständniß mit dem preußischen Finanz⸗Minister die Sache an das Reich gebracht worden. Seit der Zeit habe von Preußen selbstverständlich nichts ge⸗ schehen können, da in nicht zu langer Zeit diese Sache von dem Reich in die Hand genommen werden würde. Was der preußische Kultus⸗Minister selbständig dafür habe thun können, habe er gethan. Er habe einige Räume in der tech⸗ nischen Hochschule bereit gestellt. Leider fehlten ihm aber die Mittel, die Räume entsprechend auszustatten. Es seien auch keine Apparate vorhanden. Ob es möglich sein werde, in diesen Räumen Untersuchungen über die elektrischen Einheiten anzustellen, stehe dahin. Man sei nicht in der Lage, die er⸗ forderlichen Kräfte zu remuneriren.
Der Abg. Dr. Virchow bat die Regierung, ihre: beim Reich geltend zu machen, um diese Einris Interesse des nationalen Ruhmes herbeizuführen.
Der Titel wurde bewilligt. .
Bei Tit. 15: Zuschüsse für Gewerbe
resp. Real⸗Anstalten mit Fachschulen wies der Abg. Freiherr von Minnigerode auf den stetigen Rückgang dieser Schüulen hin. Die obersten Klassen derselben würden sehr schwach besucht. Dieser Rückgang sei auf die mangel⸗ hafte Berechtigung dieser Schulen zuxückzuführen. Die Abiturienten dürften zwar die Bau⸗Akademie besuchen, auf⸗ fallenderweise aber nicht die Berg⸗Akademie. Dies sei sehr zu beklagen. Eine gründliche Prüfung dieser Sache sei im Plenum unmöglich, und demgemäß beantrage er, den Titel an die Budgetkommission zu verweisen. 1 Der Abg. Schmidt (Stettin) betonte, daß eine höhere Schule nicht ohne ausreichende Berechtigungen in Preußen bestehen könne. Deshalb falle auch das Eingehen von An⸗ stalten nicht auf — sie gewährten den Schülern zu wenig für ihren Lebensberuf. Der Unterrichts⸗Minister müsse deshalb eintreten, um durch Erreichung der gewünschten Berech⸗ tigungen die Lebensfähigkeit der qu. Anstalten sicher zu stellen. Letztere hätten einen 9jährigen Kursus wie die Real⸗ gymnasien.
Der Regierungskommissar, Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath D. Bonitz meinte, daß die Frequenz dieser Schulen im All⸗ gemeinen doch nicht in so hohem Maße zurückgegangen sei. Er verweise z. B. auf die Gewerbeschulen in Berlin und Magdeburg. Ueber die Frage der Berechtigung würden die Verhandlungen fortgeführt.
Der Abg. Berger befürwortet fung dieses Titels, um zu unters dieser Schulen liege.
Der Titel wurde der Budgetkommission überwiesen.
Bei Tit. 18, Kunstgewerbe⸗Museum, erwiderte der Regierungskommissar, Ministerial⸗Direktor Greiff auf eine Anfrage des Abg. Cremer, daß die Anrechnung der Dienstzeit für diejenigen Aufseher des Museums, welche bereits vor der Verstaatlichung desselben dabei angestellt worden seien, bei Be⸗ rechnung der Pensionen auf gesetzlichem Wege eine Regelung erfahren werde. 8
Die einzelnen Positionen wurden genehmigt. 8
Zu Kap. 124, Kultus und Unterricht gemeinsam kam folgender Antrag des Abg. Frhrn. von Liliencron zur Berathung:
Der Staatsregierung das dringende Ersucher in den nächsten Etat des Staatshaushalts eine Su aus welcher die Königlichen Superintendenten
ne. vors er d
e die kommissarische Prü⸗ uchen, woran der Rückgang
Der Antragsteller befürwortete seinen Vorschlag mit dem Hinweis darauf, daß der darin ausgesprochene Wunsch ein sehr alter sei, welcher dem Hause bereits zweimal vorgelegen habe. Mittlerweile wäre in drei General⸗Synoden die dring⸗ liche Nothwendigkeit einer solchen Gewähr allgemein anerkannt worden. Da der Antrag ohnehin der Budgetkommission werde überwiesen werden müssen, so enthalte er sich jedes speziellen Eingehens auf die Sache, namentlich auf die Höhe der erfor⸗ derlichen Summe, gebe sich aber der Hoffnung hin, daß dies⸗ mal der Antrag das Haus zum letzten Male beschäftigen werde.
Der Abg. Dr. Windthorst erklärte Namens des durch Krankheit verhinderten Abg. Brüel, daß derselbe dem Antrag zustimme. Was ihn selbst betreffe, so stehe er auch dem An⸗ trage sympathisch gegenüber, jedoch müsse er gegen eine Auf⸗ fassung protestiren, welche den Superintendenten und General⸗ Superintendenten als staatlichen Organen die Zuwendung ge⸗ macht wissen wolle. Dieselben seien lediglich Beamte der evangelischen Kirche; als solchen gebühre ihnen aber auch die vom Staate gewünschte Hülfeleistung hinsichtlich der Bureau⸗ kosten.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗ Angelegenheiten, Dr. von Goßier erwiderte, ein Antrag, wie ihn der Abg. von Liliencron hier befürwortet habe, sei zum ersten Male in diesem Jahre offiziell zu seiner Kenntniß ge⸗ kommen, und zwar als Beschluß der General⸗Synode durch den Oberkirchenrath. Augenblicklich würden in Bezug auf diesen Antrag seinerseits Unterhandlungen mit dem Finanz⸗Minister gepflogen. 8
Der Antrag des Abg. Freiherrn von Liliencron ging an die Budgetkommission; es solgte die Berathung nachstehenden Antrages des Abg. Stöcker:
Die Staatsregierung zu ersuchen, die gecigncten Schritte zu thun, daß in den nächstjährigen Etat die erforderlichen Mittel behufs Inangriffnahme der Theilung übergroßer Parochien und der Gründung neuer Gemeinden in Berlin eingestellt und den zuständi⸗ gen Behörden der evangelischen und katholischen Kirche nach der konfessionellen Verhältnißzahl der Bevölkerung zu weiteren Maß · nahmen überwiesen werden.
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