1886 / 107 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 06 May 1886 18:00:01 GMT) scan diff

Wohlthätigkeits⸗Vorstellung im Palais Schwarzenberg zu Wien. 6 Abbildungen. Originalzeichnungen von W. Gause. 1) Im herab⸗ gekommenen Olymp (Aesculap vor Jupiter). 2) Das Brautpaar aus „Wiener Walzer“. 3) Die Garde aus „Excelsior“. 4) Der eiserne Mann. 5) Jupiter als Wiener Spaziergänger auf dem Kärntner⸗ ring. 6) Gruppe aus dem verjfüngten Olymp. Zum hundert⸗ fährigen Geburtstage Ludwig Börne's: Portrait desselben. Verödet. (Die Ruinen der alien römischen Hafenstadt Ostia.) Ge⸗ mälde von K. Heffner Der schlesische Zecher und der Teufel. Gemälde von Eduard Grützner. (Mit Erlaubniß der photograpbi⸗ schen Gesellschaft in Berlin.) Der Afrikareisende Paul Reichard. Bilder aus Sansibar. 5 Abbildungen. Nach der Natur ge⸗ zeichnet von L. B. 1) Am Hafen. 2) Harem. Leuchtthurm. Sultanat. 3) Ruine Betel M'toni. 4) eine Straße. 5) Das portugiesische Fort. Der merxikanische Kiemenmolch und die aus ihm hervor⸗ gehende Landform. 2 Abbildungen. Nach dem Leben gezeichnet von M. von Chauvin. Der Orden vom glänzenden Stern des Sultans von Sansibar. Polvytechnische Mittheilungen: Hiersemann⸗Tauberts Schnell⸗Sicherheitsausspanner. Das Wassercarrousel in San Fran⸗ cisco. Frauenzeitung: Gräfin Wilhelmine Wickenburg⸗Almssyv. Gewerbe und Handel.

In Gemäßheit der Allerhöchsten Ordre vom 7. März 1860 wird

diesjährige Wollmarkt hierselbst in den Tagen vom 19. bis 21. Juni auf dem Terrain der Berliner Lagerhof⸗Aktiengesell⸗ schaft abgehalten werden. Vor den bezeichneten Markttagen darf der Wollmarkt nicht beginnen. Die Verkaufsstellen und Lagerplätze wer⸗ den durch die Verwaltung der vorgenannten Gesellschaft angewiesen.

Vom Berliner Pfandbrief⸗Institut sind bis Ende

April 1886 3 780 300 3 ½ % ige, 20 017 200 4 %oige,

44 476 200 4 ½ %ige und 9 441 000 5 %oige, zusammen 77 714 700 Pfandbriefe ausgegeben, wovon noch 3 780 300 3 ½ %ige, 18 859 800 4 %ige, 31 386 900 4 ½ %ige und

5 295 300 5 %oige, zusammen 59 322 300 Pfandbriefe verzinslich sind. Es sind zugesichert, aber noch nicht abgehoben 594 900 ℳ, im Laufe des Monats April 1886 angemeldet 4 Grundstücke mit einem Feuerversicherungswerthe von 447 150 ℳ.

Die Landständische Bank des Königlich sächsischen Markgrafthums Oberlausitz hat im Jahre 1885 einen Rein⸗ gewinn von 241 961 gegen 238 182 im Jahre 1884 erzielt. Hiervon sind wie in den letzten Jahren zunächst 100 000 der Land⸗ reiskasse zu gemeinnützigen Zwecken überwiesen worden, so daß das

Erträgniß des Fundationskapitals der landständischen Bank, einschließ⸗

lich der davon an die Landkreiskasse nach den Bankstatuten zu zahlen⸗ den Zinsen, für die Landkreiskasse auch im Jahre 1885 auf ca. 9 ¼ % sich stellen wird. Der verbleibende Theil des Reingewinns ist theils nach Vorschrift der Statuten an den Verlustdeckungsfonds, theils an die übrigen Reservefonds vertheilt worden.

* In der Generalversammlung der Königin⸗Marienhütte

Abschreibung von 200 000 verbleibenden Reingewinn von 2223 n der Hauptsache als Vortrag auf neue Rechnung zu verwenden.

Amsterdam, 6. Mai. (W. T. B.) Der Preis für Privatsilber ist von 82 auf 81 Fl. per Kilo fein herabgesetzt.

London, 6. Mai. (W. T. B.) Die Bank von England

at heute den Diskont von 2 auf 3 % erhöht.

Leipzig, 5. Mai Die „Leipz. Ztg.“ schreibt von der Messe: Die Zufuhren zur Garledermesse waren von mäßigem Umfang, und es trug dieser Umstand wesentlich dazu bei, die flaue Stimmung zu überwinden. Die Fabrikanten waren zu Konzessionen meist bereit,

nd da auch der Bedarf sich mehrfach in angenehmer Weise bemerk⸗ bar machte, entwickelte sich bald ein reger Verkehr. Sohlenleder in schwerer, starker Waare blieb ebenso wie die stark zugeführten Mittel⸗ orten etwas vernachlässigt, ebenso Brandsohlleder und Vache ꝛc. In guten, gattlichen braunen Rindledern konnte der Nachsrage kaum genügt werden, und es wurden dergleichen Sortimente schnell um⸗ gesetzt. Braune Kipse waren nur in sauberen Bearbeitungen gesucht, während geringere Qualitäten in ungenügenden Trocknungen niedere Preise erzielten. Sattelleder waren unverändert. Braune Kalbfelle in guter Frage, ebenso Roßlederartikel in den verschiedenen Theilen. Un⸗ befriedigt sind die Fabrikanten von alaungaren und lohgaren Schaf⸗ ellen, welche infolge starker Lagerungen sich einem empfindlichen Preis⸗ druck fügen mußten. Die allgemeine Geschäftslage der Lederindustrie ist zwar nicht erfreulich, doch ist bei Beschränkung der Produktion eine Besserung der Rentabilitätsverhältnisse für Gerbereien sicher zu erwarten.

St. Petersburg, 5. Mai. (W. T. B.) Der Minister⸗ rath beschloß als Endtermin der Prämiirung des in das europäische Ausland zu exportirenden Zuckers den 1. Juli d. J. festzusetzen und die Prämitrung des nach Persien und Central⸗Asien auszuführen⸗ den Zuckers bis zum 1. Mai 1891 zu verlängern.

Buenos⸗Alres, 5. Mai. (W. T. B.) Während des Monats April sind hier 41 Dampfer mit 8856 Auswanderern ein⸗ getroffen. Zolleinnahmen betrugen während desselben Monats

284 000 Piaster für Buenos⸗Arres und 384 200 Piaster für Rosario.

Berlin, 6. Mai 1886.

Nach dem Bericht des Central⸗Comités der deutschen Vereine vom Rothen Kreuz über seine internationale Hülfs⸗ thätigkeit während des serbisch⸗bulgarischen Krieges hatte dasselbe, abweichend von der in früheren Kriegen beobachteten Praxis, nach welcher es sich darauf beschränkt hatte, den Vereinen vom Rothen Kreuz in den kriegführenden Ländern durch Uebersendung von Geld und von für die Verwundetenpflege geeignetem Materiale aller Art Unterstützungen zuzuwenden, da es in diesem Falle angezeigt erschien, auch persönliche Hülfeleistung und zwar durch Chirurgen und Pflegepersonal eintreten zu lassen, 4 ärztliche Missionen, und zwar 2 nach Serbien und 2 nach Bulgarien, entsandt. Diese ärztlichen Missionen, deren jeder die erforderlichen Pflegekräfte beigegeben und von denen jede so reichhaltig mit chirurgischen Instrumenten, Medikamenten und Verbandmitteln ausgestattet war, daß damit der Bedarf für eine sehr erhebliche Anzahl von Verwundeten bestritten werden konnte, verließen Berlin und zwar: 1) die unter dem dirigirenden Arzte des Lazarus⸗Krankenhauses zu Berlin, Dr. Langenbuch, stehende, von 4 Aerzten und Schwestern des Lazarus Krankenhauses begleitete Mission, am 26. November 1885 nach Bulgarien reisend; 2) die unter dem ordinirenden Arzte des Augusta⸗Hospitals zu Berlin, Dr. Schmid, stehende, von 2 Aerzten und Pflegerinnen des Lazareth⸗ Vereins, sowie einem Wärter des Augusta⸗Hospitals begleitete Mission, am 29. November 1885 nach Serbien reisend; 3) die unter der Leitung des Professors Dr. Gluck und des Dr. Grimm stehende, von Schwestern des Victoria⸗Hauses und einem Krankenwärter be⸗ gleitete Mission, gleichfalls am 29. November 1885 nach Serbien reisend, und 4) die unter der Leitung des dirigirenden Arztes des Elisabeth⸗Kinder⸗Krankenhauses zu Berlin, Dr. Schütte, stehende Mission, von 2 Aerzten und Schwestern vom Orden der heiligen Elisabeth begleitet, am 4. Dezember 1885 nach Serbien reisend. Neben der in dieser Weise dargebotenen Unterstützung wurden die Ver⸗ eine vom Rothen Kreuz in den kriegführenden Ländern von dem Central⸗Comité durch mehrfache Sendungen bedacht, welche Lagerungs⸗ mittel, wollene Decken, Bekleidungs⸗ und sonstige Lazarethgegen⸗ stände enthielten. Derartige Sendungen wurden zwei nach Belgrad und eine nach Sofia dirigirt. Während die beiden ersteren in Folge der be⸗ stehenden Eisenbahnverbindung ohne besondere Hindernisse im Wege des gewöhnlichen Frachtverkehrs an ihren Bestimmungsort übergeführt werden konnten, bedurfte es zur Beförderung der nach Sofia bestimmten Sendung einer besonderen und umsichtigen Leitung, da ohne eine solche bei den großen und häufig fast unüberwindlichen Verkehrsschwierigkeiten auf ein sicheres Eintreffen dieser Sendung an ihrer Adr Fstation nicht zu rechnen war. Das Mittglied des Central⸗Comiten, Nitterguts⸗ besitzer von Hoenicka, erklärte sich bereit, die für 2r½ Lalgarischen Kriegslazarethe bestimmte Sendung persönlich an ihren Nestimmungs⸗

ort zu überführen. Diese seine freiwillig übernommene Mission hat er nach jeder Richtung auf das befriedigendste trotz Hindernissen aller Art erfüllt. Die Gesammtausgaben, welche aus der Hülfe⸗ leistung des deutschen Central⸗Comités entstanden sind, be⸗ laufen sich auf 72 261,85 ℳ, wobei noch besonders hervor⸗ zuheben ist, daß für die persönlichen Hülfeleistungen sämmt⸗ licher im Auftrage des Central⸗Comites in Serbien und Bulgarien thätigen Personen Seitens der Betheiligten jede Ent⸗ schädigung in bestimmtester Weise abgelehnt worden ist. Diesen Ausgaben stehen die Geldbeiträge von Vereinen und Privatpersonen im Gesammtbetrage von 33 316,07 gegenüber, so daß 38 945,78 aus der Kasse des deutschen Central⸗Comités entnommen werden mußten. Die Thätigkeit der ärztlichen Missionen war, wie aus den von deren Leitern erstatteten Berichten ersichtlich, eine umfang⸗ reiche und recht segensreiche. Die antiseptische Wundbehandlung hat sich auch in diesem Feldzuge vorzüglich bewährt. So sechreibt Dr. Schmid: „Wenn im Verlauf unserer Anwesenheit von 3100 Verwundeten nur 51, d. i. 1,6 %, gestorben sind, so ist dies ein Prozentsatz, welcher der Thätigkeit der Aerzte resp. dem Einfluß der Antiseptik alle Ehre macht.“

In der letzten zwanglosen Sitzung des Vereins für deut⸗

sches Kunstgewerbe gelangte ein aus dem Geheimen Civilkabinet Sr. Majestät des Kaisers und Königs an den Verein ge⸗ richtetes Schreiben zur Verlesung, durch welches Se. Majestät, aus Anlaß der stattgehabten Ueberreichung eines Exemplars der Abbildungen des Spielschreins, dem Verein Allerhöchstseine Anerkennung der Be⸗ strebungen und Leistungen desselben ausspricht. Demnächst berichtete Hr. Architekt Wallé über den Verlauf des in Dresden stattgehabten Delegirtentages der deutschen Kunstgewerbe⸗Vereine. Aus den Mit⸗ theilungen ist hervorzuheben, daß eine Norm für die bei Ausschreibung von Konkurrenzen anzuwendenden Bestimmungen ausgearbeitet worden ist, und daß der Berliner Verein zum Vorort des Verbandes gewählt wurde. Hr. Hofgraveur Otto referirte noch besonders über denjenigen Theil der Verhandlungen, welche sich auf die projektirte nationale Ausstellung zu Berlin bezog, und theilte mit, daß Seitens der Vertreter der auswärtigen Vereine der Ausstellung die wärmste Sympathie entgegengebracht sei. Redner knüpfte hieran die Mahnung, mit allen Kräften auf das Gelingen der Ausstellung hinzuwirken. Hr. Maler Hochlehnert (Bülowstr. 64) hatte eine Kollektion eigener Entwürfe für dekorative Zwecke ausge⸗ stellt, welche allgemeine Anerkennung fand. Es befanden sich darunter sehr gelungene Skizzen zu Plafonds und Wandmalereien in ver⸗ schiedenen Stylen, theils einfacher, theils reicher gehalten, welche vom Aussteller in hiesigen und auswärtigen Gebäuden ausgeführt worden sind; ferner Adressen, Meisterbriefe, ein Entwurf zu einem Wandschirm in Rococostil, zahlreiche hübsch erfundene Skizzen zu Geschäftsempfeh⸗ lungskarten und vieles Andere. Interessant waren auch eine Reihe von Entwürfen zu farbiger Bemalung von weißen Kachelöfen, deren farblose Erscheinung oft in unangenehmer Weise die stilgerechte Aus⸗ stattung der Wohnzimmer stört. Hr. R. Thiele (in Firma P. Bessert⸗ Nettelbeck, Hofstickerei) legte verschiedene, stilrichtig und reich ausgeführte Stickereien für kirchliche Zwecke vor, z. B. eine große Altardecke, eine Prozessionsfahne und mehrere Antependien. Aus der Diskussion darüber ging hervor, daß erfreulicherweise auch in protestantischen kirchlichen Kreisen der Sinn für künstlerischen Schmuck gottesdienstlicher Ge⸗ bäude zunimmt. Endlich war noch eine im Atelier der Hofgold⸗ schmiede Sy u. Wagner nach dem Entwurf und Modell von H. Zacharias ausgeführte prachtvolle silberne Statuette ausgestellt, das Ehrengeschenk des deutschen Graveurvereins an seinen langjährigen Vorsitzenden R. Otto.

Brindisi, 5. Mai. (W. T. B.) In der Zeit von gestern Mittag bis heute Mittag ist hierselbst an Cholera 1 Todesfall vorgekommen; in Ostuni 3 Erkrankungen, 1 Todesfall, in Latiano 2 Erkrankungen.

Chicago, 5. Mai. (W. T. B.) Ueber den gestern Abend stattgehabten Kampf zwischen der Polizei und den Sozialisten werden nachstehende Einzelheiten gemeldet: Als die Polizei den versammelten Sozialisten befahl, sich zu zerstreuen, rief einer der sozialistischen Redner: „Zu den Waffen!“ Alsbald wurden drei Bomben mitten unter die Polizeibeamten geschleudert, wodurch 21 derselben verwundet wurden. Gleichzeitig schossen mehrere Indi⸗ viduen mit Revolvern auf die Polizisten. Diese antworteten mit einem etwa zwei Minuten anhaltenden Gewehrfeuer. Die Menge floh hierauf nach allen Richtungen. Von den Polizeibeamten sind 3 todt und 39 verwundet, darunter 4 tödtlich; auf Seiten der Sozialisten wurde einer getödtet und viele verwundet. Die Mehrzahl der Theil⸗ nehmer an der Versammlung bestand aus professionellen Anarchisten.

Auch im Laufe des heutigen Tages fanden wieder mehrere Ruhestörungen statt. Eine auf 8000 Personen an⸗ gewachsene Menge griff Mittags mehrere Läden an und plünderte dieselben. Die Polizei zerstreute die Unruhestifter. 25 Buchdrucker, welche im Bureau der „Arbeiter⸗Zeitung“ beschäftigt sind, wurden unter Anschuldigung der böswilligen Beschädigung verhaftet; auch zwei hervorragende Anarchisten sind verhaftet worden.

Nach den vorliegenden Nachrichten kam es heute auch in Mil⸗

waukee wiederum zu einem Zusammenstoß mit den

Sozialisten, bei welchem Miliz und Polizeimannscha,ten von der Schußwaffe Gebrauch machten und mehrere Personen verwundeten und tödteten. Die Menge, unter welcher eine große Anzahl Polen waren, machte einen Angriff auf eine Brauerei und plünderte dieselbe. Schließlich gelang es der Polizei die Meuterer zu zerstreuen.

Das Deutsche Theater giebt am nächsten Sonnabend Shakespeare's Lustspiel „Der Widerspenstigen Zäh⸗ mung“ in einer eigenen, neuen Einrichtung, über welche die Direktion uns folgende Mittheilung macht: „Bisher ist das Stück in unver⸗ fälschter Gestalt in Deutschland noch nicht aufgeführt worden. Ab⸗ gesehen von früheren, ganz unzulänglichen Verstümmelungen ist in den letzten Jahrzehnten auf allen deutschen Bühnen die von Deinhardstein herrührende Bearbeitung die einzig gebräuchliche gewesen, welche jedoch ebenfalls nur als eine Verunstaltung des Originals gelten kann. Die Charakteristik der Personen ist darin verflacht, die Handlung selbst verschoben und der Dialog durch viele willkürliche und platte Zusätze verdorben. Die Einrichtung des Deutschen Theaters greift deshalb gänzlich auf das Original zurück und giebt den Text möglichst unver⸗ kürzt nach der Schlegel⸗Tieckschen Uebersetzung. Nur solche unwesent⸗ lichen Aenderungen sind vorgenommen, welche zur Vermeidung allzu häufigen Scenenwechsels geboten erschienen. Eine kleine Neuerung, welche nur die Aussprache eines Wortes betrifft, sei deshalb erwähnt, weil sie trotz ihrer Geringfügigkeit dem Zuhörer befremdlich erscheinen könnte: Der italienische Name des Freiers der Wider⸗ spenstigen wurde bisher immer „Petruchio“ geschrieben und „Petrukio“ ausgesprochen. Eine solche Form dieses Namens existirt aber im Italienischen nicht, vielmehr wird derselbe „Petruccio“ geschrieben und „Petrutscho“ gesprochen. Nach einer Vermuthung des engli⸗ schen Kritikers Gascoigne, welche unzweifelhaft richtig ist, und der sich auch Karl Simrock anschloß, hat Shakespeare bei der Schreibung des Namens das „h“ nur eingeschoben, um seinen Schauspielern die richtige Aussprache des italienischen Namens im Englischen zu er⸗ leichtern, so daß auch zu seiner Zeit „Petrutscho“ gesprochen wurde. Mißverständlich war in die deutschen Uebersetzungen der überflüssige Buchstabe herübergenommen worden, der nun die Irrung hervorgerufen hat. Es ist aber kein Grund vorhanden, die falsche Aussprache blos leidigen Gewohnheit willen nunmehr noch länger beizube⸗ halten.“

Im Wallner⸗Theater haben gestern Abend mit Juchzern und Lachen, Zitherklang und Schuhplattler⸗Tanz, Böllerschüssen u Stutzengeknatter die „Münchener“ hrern Einzug gehalten. Und der Willkomm, der den bei uns stets geren gesehenen Gästen vom Königlichen Theater am Gärtner⸗Platz bereitet wurde, war ein ebenso herzlicher wie in allen früheren Jahren. In den Haupt⸗

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darstellern zeigt die unter der ausgezeichneten Leitung des bayerischen Hofschauspielers, Hrn. Max Hofgpauer, stehende Gesellschaft eben⸗ falls noch die bewährte, frühere Zusammensetzung. Da ist zunächst Hr. Direktor Hofpauer selbst, als unübertrefflich komischer Darsteller tölpelhaft gutmüthiger und doch verschmitzter Bauerburschen und Knechte; Hr. Hans Albert, der vorzügliche erste Liebhaber, ein Künstler von feurigem Temperament, echter Leiden⸗ schaft und ausdrucksvollem Spiel, Hr. Hans Neuert, geschätzt als ergreifend wahrer Charakterdarsteller, und überdies auch als drama⸗ tischer Schriftsteller und Regisseur für die Bühne, der er angehört, unermüdlich thätig; endlich, last not least, Frl. Amélie Schönchen, im Fach der komischen alten Bäuerinnen eine Künstlerin von ganz einzigartigem Humor und echter, im Innersten packender Lebenswahrheit. Zu diesem bewährten Stamm traten am gestrigen ersten Gastspiel⸗ Abend noch die Damen Kathi Thaller und Marie Paukert hinzu, welche sich mit ihrer verschiedenartigen Begabung, Erstere durch warmblütiges munteres Spiel, Letztere durch tiefe Herzens⸗ töne und eine von schönem Organ getragene, wohllautende und echt klingende Dialektsprache, dem Ensemble harmonisch ein⸗ fügen. Zu ihrem diesjährigen Debüt hatten die Münchener Gäste eine Bearbeitung der bekannten Gartenlauben⸗Erzählung „Almen⸗ rausch und Edelweiß“ von Hermann von Schmid gewählt, welche Hr. Hans Neuert besorgt hat. Die Bearbeitung zeugt im Ganzen von vielem Geschick; indessen könnte doch vielleicht hier und da (namentlich im 4. Akt) der Rothstift des Regisseurs seine guten Dienste thun; da Bearbeiter und Regisseur dieselbe Person sind. wären ja in diesem Falle auch gar keine Schwierigkeiten vorha‚den. Die Erzählung ist allbekannt. Sie bietet in dem rechtschaffenen Bühelbauer (Hr. Neuert), seinem Weibe (Frl. Schönchen), ihrem rauf⸗ lustigen, verliebten Sohne Mentl (Hr. Albert), der braven, opfer⸗ willigen Evi (Frl. Paukert), der böswillig verlassenen, ihr Unglück aber mit leichtem Sinn und hellem Lachen verträllernden Kordl (Frl. Thaller), dem verlumpten Wilddieb und Verbrecher Quasi (Hr. Schwar), dem heimtückischen herrschaftlichen Jäger Gaberl (Hr. Berndl), dem lustigen tölpischen Hies von Bühel (Hr. Hofpauer) ꝛc. ꝛc. eine ganze Reihe jener derben, naturfrischen Typen aus den ober⸗ bayerischen Gebirgsdörfern dar, wie sie uns das Repertoire der Gesell⸗ schaft schon öfter vor Augen geführt hat. Gerade darum aber, weil es, im Grunde genommen, stehende Typen sind, ist die Kunst der Münchener um so bewunderungswürdiger, welche uns dieselben doch immer wieder in einem neuen Lichte zeigt und uns durch neue Gestalten hinstellt. Die Vorzüge ebenso ausgezeichneter Einzelleistungen wie eines vollendet abgerundeten Zusammenspiels traten auch gestern in wirksamster Weise zu Tage und fanden in reichem wohlverdientem Beifall für die Gesellschaft nach jedem Akt⸗ schluß ihren gebührenden Lohn. Die Ausstattung und Einrichtung des Stücks ist fast noch echter als bei früheren und hat namentlich durch die Zugabe eines Trupps höchst gewandter und an sich allein sehens⸗ werther Schuhplattl⸗Tänzer, eines dörflichen Musikcorps und eines Zithervirtuosen noch an Reiz und stimmungsvoller Echtheit gewonnen. Wie die den ganzen Abend hindurch bis zu dem ziemlich späten Schluß anhaltende Animirtheit des zahlreich erschienenen Publikums bewies, haben die Münchener Gäste sich nicht nur ihre frühere Be⸗ liebtheit erhalten, sondern auch wieder neue Freunde erworben.

Auch der zweite Abend der eben eröffneten Sommersaison in Krolls Theater hatte sich eines zahl eichen Besuches und günstigen Erfolges zu erfreuen, besonders, da eine so beliebte Sängerin wie Fr. Carlotta Grossi, sich zum ersten Mal in diesem Jahr auf jener Bühne dem Publikum, dessen Gunst sie bereits von früheren Gast⸗ spielen her besitzt, in ihrer besten Rolle, der „Martha“, in Flotows gleichnamiger Oper zeigte. Die prächtigen Stimmmittel der Künst⸗ lerin genügen schon allein, um den Zuhörern einen Genuß zu gewähren, aber sie gewinnen noch an Wirksamkeit durch die ausgezeichnete schau⸗ spielerische Leistung, welche die Dame bietet. Der wechselnde Aus⸗ druck der Empfindungen gelangte zur schönsten Geltung, so daß Auge und Ohr in gleicher Weise von dieser Martha entzückt wurden. Ein weiteres Interesse bot die gestrige Vorstellung insofern, als in der Rolle des Lyonel ein auf jener Bühne noch nicht gesehener Künstler auftrat, Hr. Erl, welcher, wie verlautet, bereits an der Königlichen Hofoper mitgewirkt hat. Das Organ des jungen Künstlers ist nicht sehr stark, hat aber einen sympathischen Klang und verspricht, bei der tüchtigen Schulung, die es aufweist, dem Sänger hübsche Erfolge. Die mimische Darstellung des Lyonel ließ zwar Manches zu wünschen übrig, doch werden diese Mängel im Laufe der Net wohl noch verschwinden. Tüchtig wie am Abend vorher als

zucena, zeigte sich Frl. Baader gestern auch als Nancy, welcher sie gesanglich wie schauspielerisch zu erfreulicher Wirkung verhalf. Hr. Riechmann war ein wackerer Plumkett und fügte sich glücklich in das Ensemble ein. Reichlicher Beifall lohnte sämmtliche Mitwirkenden.

Der „Allgemeine Richard Wagner⸗Verein“, welcher sich die Aufgabe gestellt hat, die Bühnen⸗Festspiele in Bayreuth sowohl in ideeller als materieller Hinsicht wirksam zu fördern, hat auf Antrag seiner Centralleitung beschlossen, zu den diesjährigen Fest⸗ spielen eine namhafte Anzahl von Eintrittskarten zu erwerben, welche als Freikarten mittelst Verloosung an seine Mitglieder zur Verthei⸗ lung gelangen werden. In einem eben zur Versendung gelangten Aufruf fordert nun die Centralleitung neuerdings die so zahlreichen Freunde der Kunst Richard Wagners, sowie die vielen Korporationen, denen die Pflege idealer Interessen am Herzen liegt, auf, das Lebens⸗ werk des Meisters durch ihren Anschluß an den Verein (der Jahres⸗ beitrag ist auf nur 4 festgesetzt) zu unterstützen. Durch einen Bei⸗ tritt im gegenwärtigen Zeitpunkte wird auch das Recht der Theilnahme an der Verloosung der Freiplätze erworben.

Am Dienstag fand das mehrmals verschobene Lieder⸗Concert des Hrn. von Zur⸗Mühlen in der Sing⸗Akademie statt. Der Concertgeber ist ein Sänger von schöner Begabung und guter Schulung nicht nur, sondern überdies ein feinsinniger und verständniß⸗ voller Interpret der von ihm vorgetragenen Weisen. Sein schöner Tenor ist biegsam und ausdrucksfähig, doch nicht immer so kräftig und ausgiebig, wie man es wünschen möchte; aber gerade an solchen Stellen tritt die technische Durchbildung des Organs am auffälligsten hervor. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß die liebenswürdige und gefällige Vortragsweise des Künst⸗ lers sich des ungetheiltesten Beifalls erfreute. Einige Lieder, welche an die Vortragsweise besonders hohe Ansprüche stellen, können auch in der Wirkung als besonders gelungen bezeichnet werden; wir heben da besonders Schumanns „Märzveilchen“ und „Le sais-tu?“ von Massenet hervor; aber auch in den übrigen Nummern, wie namentlich in den Liedern aus der „Winterreise“ von Schubert kommen Empfindung und Wärme des Vortrages zur vollen Geltung. Fr. Schultzen von Asten, welche als be⸗ währte Kraft den Concertgeber unterstützte, brachte mit der ihr eignen herzgewinnenden Art Lieder von Giordani, Paradies und Ida Becker unübertrefflich zu Gehör und zeichnete sich auch in den Duetten, welche sie mit Hrn. von Zur⸗Mühlen sang, namentlich in dem Schumannschen „Unterm Fenster“, durch den Wohllaut und die Frische ihrer Stimme aus. Schließlich sei noch der geschmackvollen Klavier⸗ begleitung des Frl. Julie von Asten mit Feshretsse Anerkennung gedacht. Das Publikum zollte den schönen Leistungen reichen Beifall und forderte einige Lieder da capo.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W. Elsne r. Fünf Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

Berlin:

lebenswahre Individualisirung immer ganz

so irre er.

Anzeiger und Königlich Preußischen Staals⸗

6“

Erste Beilage

Berlin, Donnerstag, den 6. Mli⸗

Anzeiger

Aicchtamtlichs.

Preußen. Berlin, 6. Mai. In der gestrigen (66.) Sitzung des Hauses der Abgeowrdneten bemerkte bei Fort⸗ setzung der Berathung des Ges 8 ntw urfs, betreffend Ab⸗ änderungen der kirchenpolitischen Gesetze, der Abg. Rickert: er fühle sich gedrungen, den Angriffen des Reichs⸗ kanzlers gegenüber die Stellungnahme seiner Partei ins rechte Licht zu stellen. Schon 1883 bei der vorletzten Kirchenvorlage habe die „Kölnische Zeitung“ gesagt: der Kanzler stehe im Hofe von Kanossa, und die „Magdeburger Zeitung habe einen Artikel gebracht: Ein kirchenpolitisches Olmütz. „Jetzt freilich erkläre die „Kölnische Zeitung“, daß es mational“ sei, für die jetzige Vorlage zu stimmen. Nach der offiziösen Presse sehe es ja fast so aus, als ob die Vorlage vornehmlich den Zweck habe, das Centrum und seine „Lehnspflichtigen“ zu vernichten. Redner glaube nicht, daß sie das erreichen werde. Das Volk werde aber diese Kirchenpolitik nicht so ruhig hin⸗ nehmen wie frühere Meinungswechsel. Die Freisinnigen seien zu kleine, bescheidene Männer, um in den wichtigsten Dingen oft die Meinung wechseln zu können, das könnten sich nur große Staatsmänner erlauben. Wie der Reichskanzler seine politischen Gegner behandele, habe sich vorgestern wieder klar gezeigt. Er habe den Abg. Richter beschuldigt, daß er lehns⸗

flichtig sei und deshalb für die Vorlage stimmen müsse. Den erlangten Beweis dafür habe er nicht geliefert. Diese Be⸗ schuldigung sei um so interessanter gewesen, als Redner vorgestern vor der Sitzung vorhergesagt habe, daß solche Anklagen kommen würden. Er hätte gewünscht, daß der Kanzler dieser Sitzung beigewohnt hätte, dann würde derselbe wissen, daß sich die freisinnige Partei einmüthig gegen jedes Hineinziehen von taktischen Momenten oder gar Wahlpolitik in diese Frage erklärt habe. Dieselbe sei schon daran gewöhnt, daß der Kanzler politische Gegner so behandele. Gewundert habe sich Redner aber, daß der Kanzler sich gestern dabei auf das Urtheil seiner diplomatischen Kollegen des Auslandes be⸗ rufen habe. Der Reichskanzler möge Recht haben: von Di⸗ plomatie verständen Redner und seine Freunde wenig. Er gebe zu, daß man ein gewiegter, auswärtiger Diplomat sein nüsse, um es zu verstehen und zu bewundern, was der Reichs⸗ kanzler im Herrenhause gesagt habe: daß der Papst mehr Verständ⸗ aiß und Interesse für die Befestigung des Deutschen Reichs habe, als die Majorität des Reichstages. Um dies zu verstehen, müsse nan wohl wirklich ein auswärtiger Diplomat sein. Das deutsche Volk verstehe es nicht, es sei in allen Kreisen und Parteien dieses fortgesetzten diplomatischen Feilschens und Handelns müde in einer Frage, welche die Religion und das Gewissen eines großen Theils des Volkes betreffe. Die frei⸗ sinnige Partei wolle klare, verständliche Wege. Das werde nan auch im Auslande begreifen, schwerlich aber, wie ein Staatsmann in einer so wichtigen Frage eine so schwankende Politik einschlagen könne. Man habe schon vieles erlebt, aber eine Kritik, wie sie der Reichskanzler an seinem eigenen Werk, den Maigesetzen, geübt habe, noch nicht. Hier sitze noch eine Anzahl von Männern, welche den Reichskanzler in den siebziger Jahren hier gehört und die Maigesetze mitgemacht hätten. Auch in der nationalliberalen Partei, der der Redner damals noch angehört habe, seien Männer gewesen, die nur mit größtem Widerstreben eine Reihe von Bestimmungen der Maigesetze angenommen hätten. Aber man habe damals erklärt, diese scharfen Bestimmungen brauche der Reichskanzler nothwendig, ohne sie könne er die Verantwortung für erfolgreiche Führung des Kirchenstreits nicht übernehmen. Zögernd habe man da⸗ nals nachgegeben, denn man habe sich in der Täuschung be⸗ funden, daß es sich um jenen großen welthistorischen Geistes⸗ kampf handele, für welchen der Reichskanzler die scharfen Mittel verlange. Um der hohen Ziele willen habe man diese bewilligt. Es werde hoffentlich einmal die Zeit kommen, wo der Minister Falk werde sprechen können und müssen, und dann werde nan die Betheiligung des Reichskanzlers an den Kampfgesetzen vielleicht in anderem Lichte erkennen. Jetzt thue man so, als ob die Liberalen Diejenigen gewesen seien, welche den Kampf herbeigeführt und geschürt hätten, und als ob diese ihn jetzt verleugneten. Das widerspreche den Thatsachen, das sei nicht Geschichte. Man möge sich nur daran erinnern, wie die Kon⸗ servativen, welche damals nicht hätten mitgehen wollen, in der offiziösen Presse behandelt worden seien. Die Fortschritts⸗ partei habe Lob und Anerkennung erhalten. Nach diesen Er⸗ ahrungen seien die Freisinnigen gewitzigt geworden, sie hätten bereits bei dem Sozialistengesetz und den Polenvorlagen be⸗ wiesen, daß sie nicht mehr solche Wege sich führen lassen wollten. Sie wüßten jetzt, wie leicht man sich nachher zurück⸗ ziehe und die Schuld auf Diejenigen schiebe, welche gezwungen worden seien, mitzustimmen. Wenn wirklich die Maigesetze so werthlos und schädlich gewesen seien, wie der Reichskanzler sie dargestellt habe, weshalb habe er denn nicht schon längst auf ihrer Revision bestanden, da doch alle Parteien zu einer solchen definitiven Revision bereit gewesen seien? Ein national⸗ liberales Blatt, die „Kölnische Zeitung“, habe 1881 gesagt: es wäre ein Frevel an dem Volkswohl gewesen, in den Kulturkampf mit seiner Beunruhigung der Gewissen einzutreten, wenn nicht der ernste und feste Wille vorhanden gewesen wäre, ihn kraftvoll zu Ende zu führen. Weshalb habe der Reichskanzler den Kulturkampf aufgenommen und ihn trotz der Erkenntniß von der Schädlichkeit der Maigesetze bis heute nicht beseitigt? Der Erfolg sei die Macht des Lentrums: sie zu brechen werde dem Kanzler nicht gelingen. Wenn er die freisinnige Partei im Herrenhause und am Dienstag wieder als den tertius gaudens bezeichnet habe, der den Kulturkampf um der politischen Existenz willen brauche, Redner nehme es ihm nicht übel, wenn er die Freisinnigen für boshaft halte; man pflege es aber für eine Beleidigung zu erklären, wenn man für dumm und ein⸗ fältig gehalten werde, Einfältigere Politiker könnten die Freisinnigen aber ncheen, als wenn sie glaubten, daß die Fortsetzung des Kampfes in ihrem Parteiinteresse läge. Gerade ie hätten darunter gelitten, daß das Centrum in der Zwangs⸗ age des Kulturkampfes geblieben sei, daß es Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, wie der Reichskanzler sie in Note vom 20. April 1880 klar genug ausgedrückt

habe, worin er eine Einwirkung des Papstes auf die politischen Abstimmungen des Centrums verlangt habe. Es sei die Wahrheit: keine Partei habe ein größeres Interesse an der Beendigung des Kulturkampfes, als die freisinnige. Möge der Kanzler einmal die Probe auf das Exempel machen, wie es mit deren Friedensbedürfnisse stehe, möge er noch in dieser Saison ein Gesetz vorlegen oder das vorliegende dahin erweitern, daß die dunkelen Versprechungen zukünftiger Revi⸗ sionen der Maigesetze fortfielen, dann werde diese Partei soweit irgend möglich mitgehen. Gerade weil sie diese Vorlage für den Keim zukünftiger Zwistigkeiten und eines erneuten Kultur⸗ kampfes halte, könne sie dafür nicht eintreten. Selbst⸗ verständlich nehme sie einige dringliche Punkte des Gesetzes an, z. B. die Freigebung des Sakramentspendens und Messelesens; ja trotz aller Bedenken könnte sie auch die übrigen annehmen, wenn in der That ein definitives Revisions⸗ werk vorläge. Aber das Versprechen einer weiteren Revision hindere sie, den dunklen Weg mitzugehen. Ob die Vorlage den Charakter eines Konkordats trage, wolle Redner nicht ein⸗ gehender erörtern, die anderen Gründe gegen die Vorlage reichten aus. Er gebe zu, eine absolute Verpflichtung, für die spätere desinitive Revisionsvorlage zu stimmen, liege bei der Annahme des Gesetzes nicht vor; aber immerhin übernehme man eine gewisse Verantwortlichkeit mit der Abstimmung, und doch wisse man nicht, welche Gesetze revidirt werden sollten, und was darin. Könne der Minister dar⸗ über eine klare, offene Antwort geben? Solle auch das Schulaufsichtsgeset, das Civilehegesetz mit herein⸗ gezogen werden? Man lasse das Haus darüber im Dunkel, dasselbe solle später vor einem fait accompli stehen. Bevor man eine klare Antwort habe, könne die freisinnige Partei die Mitverantwortlichkeit für den Weg, der gegangen werden solle, nicht übernehmen. Sie wolle die schnelle Beendigung des Kulturkampfes; man solle die definitive Revision der Mai⸗ gesetze vorlegen! Sie wolle die Beseitigung des diplomatischen Feilschens und Handelns, sie wolle offene, verständliche Politik; sie wolle nicht, daß das, was der Bevölkerung das Heiligste sei, die Frage der Religion und Gewissenssachen, vermengt werde mit politischen Dingen, wie Branntweinsteuer und dergl. Deshalb sage sie heute Nein, werde aber der Vorlage zu⸗ stimmen, welche hoffentlich, das wünsche auch sie, den definitiven Frieden bringen werde. . 8 1 Der Abg. Stöcker meinte, die Rede Richters für und die Rickerts gegen die Vorlage bewiesen beide, wie unangenehm dem Fortschritt diese Vorlage sei, die diesem einen Weg der praktischen Agitation verlege. Wenn der Abg. Rickert letzteres nicht gelten lassen wolle, so glaube Redner, täusche er sich selbst. Nur darin hätten beide Herren Recht, daß in gewissen Kreisen der Evangelischen, besonders in gemischten Bezirken, die Wendung der Kirchenpolitik großes Befremden und mannig⸗ fache Bedenken hervorgerufen habe. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es nützlich erscheinen, daß gerade ein evangelischer Geistlicher seine Zustimmung zu der Vorlage ausspreche, wenn auch unter einer von den bisherigen abweichenden Motivirung. Wenn Redner in der Vorlage nur einen gesetzgeberischen Akt sähe, so wüßte er nicht, ob er ihr ohne Kommissionsberathung zustimmen könnte; die Form der staatlichen Autonomie in gesetzgeberischen Dingen sei freilich gewahrt, aber die beständige Beeinflussung er Entschließungen des anderen Hauses von Rom aus auf telegraphischem Wege habe offenbar für Jedermann etwas Unbehagliches gehabt. Er würde dann auch nicht begreifen, daß man allgemein zugestandene, bisher vom Staate der römischen Kirche gegenüber behauptete Prinzipien, wie den recursus ab abusu, die Abweisung auswärtiger Jurisdiktion und ähnliche ohne Weiteres preisgeben könne, er würde dann auch die Klarstellung der unbestimmten Zusagen bezüglich der Anzeige und der weiteren Revision vor dem Abschluß eines definitiven Arrangements für nöthig halten. Aber er sehe die Vorlage nicht blos für einen legislatorischen Akt, sondern für einen Staatsakt, für einen Akt der Versöhnung zwischen der Regierung und ihren katholischen Unterthanen an, der durch das Oberhaupt der katholischen Kirche getragen und gefördert werde. Er erkenne das Wort eines katholischen Kirchenfürsten an: daß auf märkischem Sande der Streit zwischen Rom und Wittenberg werde ausgefochten werden; die Vorlage zeige, daß ein Friedensschluß, oder er wolle lieber sagen, ein Waffenstillstand zu Stande kommen solle. Daß man einen Waffenstillstand brauche, sei sicher. Man habe auf beiden Seiten gefehlt und komme sich jetzt auf beiden Seiten entgegen; die Kirchenomnipotenz habe mit der Staatsomnipotenz gerungen, sie hätten sich gegenseitig zu übermeistern ver⸗ sucht und erkannt, daß dieser Versuch nur zum Schaden des deutschen Volks ausschlage sie thäten jetzt die nöthigen Schritte, um mit einander in ein friedliches Verhältniß zu kommen. Man nenne den Weg des Staats fälschlich einen Rückzug und diese Verhandlungen fälschlich eine Niederlage des Staats. Die Kirche habe gefehlt in der Geltendmachung ihrer Idee, in einer falschen Art der Opposition; der Staat habe seines (Redners) Erachtens gefehlt in seinen Mitteln und Waffen, womit er die katholische Kirche habe bekämpfen wollen. Wenn nun das Oberhaupt der römischen Kirche statt der bisherigen Bekämpfung der Regierung friedlich rede, der Regierung vertrauensvoll die Hand biete, so thue die Kurie damit, was sie auf ihrem Gebiete thun könne. Sie habe ja auch durch den Kulturkampf nicht blos Schaden, sondern auch Vortheile gehabt. Die Heiligen vom 12. und 13. Mai, welche hier der Abg. Strosser einmal als gestrenge Herren angeführt habe, seien ja vielfach den katholischen Mitbürgern gegenüber gestrenge Herren ge wesen; aber, von momentanen Bedrängnissen abgesehen, seien diese Servatius und Pankratius auch in manchem Betracht als für sie günstige Heilige aufgetreten. Sie hätten der katholischen Kirche über die großen und schweren Wirren hinweggeholfen, welche infolge des Vaticanums von streng katholischen Bischöfen prophezeit worden seien 2. Wererseits habe das Oberhaupt der römischen Kirche selbst zwei Bischöfe, welche in diesem Kampfe Preußen hätten verlassen müssen, zu einem Verzicht auf ihre Stellen bewogen. Es

cheine

nützlich, dies nochmals vor dem Lande

hervorzuheben, damit nicht eine Agitation Recht be⸗ halte, welche in böswilliger Weise die Regierung für diese ganze Entwickelung verantwortlich machen wolle. Ein Kirchen⸗ oberhaupt, das so handele, könne unmöglich glauben, daß auf Seiten der katholischen Kirche allein das Recht sei; solche Hand⸗ lungsweise habe nicht den Charakter Shylocks, der auf seinem Schein bestehe, sondern es liege hier ein Entgegenkommen der Kirche vor, man könne sogar von ihr wie von der Regierung sagen, sie habe den Rückzug angetreten. Der Staat, der mit Gesetzen gekämpst habe, müsse seinerseits diese Gesetze zurück⸗ nehmen. Ein bloßer Rückzug sei das nicht. Eine als falsch erkannte Gesetzgebung müsse der Staat durchstreichen, wenn er Staat bleiben wolle; denn nichts sei für ein Staatswesen gefähr⸗ licher als falsche Gesetze. Daß Einzelnes in den Kulturkampfgesetzen falsch gewesen sei, bestreite Niemand, am wenigsten der Reichs⸗ kanzler, der nun in seiner energischen und starken Art die als unhaltbar befundenen Gesetze auch wieder preisgebe. Dieser Rücknahme verkehrter Gesetze liege ein großer Z

Grunde, die Erkenntniß, daß bei Geisteskämpfen am aller⸗ wenigsten mit Strasparagraphen etwas auszurichten sei. Es sei das überhaupt ein ganz universeller Zug einer weisen Regierung; auf sozialem, auf wirthschaftlichem Gebiet habe man ganz dieselben großen Aktionen gemacht, um vorwärts zu kommen; nicht mit kleinen Maßregeln, sondern direkt mit einem Systemwechsel. Auch in der Vorlage sehe Redner ein Stüch dieses großen Systemwechsels, den man seit 1879 vollzogen habe; nicht daß man ihn mache, errege Befremden und Verwunderung, sondern daß man ihn nicht schon 1879 zugleich mit dem übrigen Systemwechsel gemacht habe. Die Konservativen hätten in der That vor den Liberalen das Privilegium vor⸗ aus, daß sie vom ersten Moment an im Jahre 1879 betont und bewiesen hätten, daß sie auf dieser Linie Frieden wollten. Allerdings handele es sich zunächst nur um den Versuch eines Systemwechsels, denn Redner könne unter den ganzen ob⸗ schwebenden Verhältnissen nicht mit Sicherheit voraussagen, daß derselbe der römischen Kirche gegenüber gelingen werde. Die Vorlage setze an die Stelle beständiger Beschränkung kirchlicher Thätigkeit eine weitgehende Freiheit, sie wolle an die Stelle beständiger Befehdung von Kirche und Staat ein Verhältniß des Friedens treten lassen. Die alte Maigesetzgebung habe eine nationale Bildung des katholischen Volkes und seines Klerus gewollt, die Verhinderung hierarchischer Ungerechtigkeiten durch Abweisung der auswär⸗ tigen Jurisdiktion und durch Schutz der benachtheiligten Kleriker gegen Mißbrauch der Amtsgewalt, die Möglichkeit, staatsfeindliche Bestrebungen geradezu zu unterdrücken. Aber die geschaffenen Präventivmaßregeln seien rein theoretisch ge⸗ blieben, hätten keine praktische Bedeutung gewonnen, nur be⸗ züglich der Erziehung des Klerus habe die Maigesetzgebung gewisse Punkte klargestellt. Man habe keine Knabenseminare mehr, was Redner für sehr wichtig halie; jeder junge Mann, auch wenn er Kleriker werden wolle, müsse seinem 18 sder 20. Lebensjahre in Gemeinschaft mit der universellen Gesellschaft des deutschen Volks verkehren. Andererseits seien die Gymnasialkonvikte und Priesterseminare treffliche Anstalten. Verschweigen aber könne Redner nicht, daß die nun schon zweimal von der General⸗Synode erhobene Forderung größeren Einflusses auf die Besetzung der theologischen Pro⸗ fessuren angesichts dieser Vorlage als durchaus berechtigt er wie er überhaupt glaube, daß dieser Vorgang auch der evangelischen Kirche zu Gute kommen müsse, daß man nun auch letzterer größere Unabhängigkeit werde gewähren müssen. Es sei eine Schwäche des politischen Liberalismus, daß er der Kirche die Kraft nicht zutraue, zu leisten, was sie sich und dem Staate leisten müsse, wenn sie ihre Kräfte frei üben und erproben könne. Jener Standpunkt freilich, daß die evangelische Kirche nie größere Selbständigkeit

erhalten werde, weil man an einer freien Kirche genug 1

habe, sei der schlimmste Fehler, gemacht werden könne. Die Konservativen hätten als gen die Erweiterung der Selbständigkeit der katholischen Kirche nichts einzuwenden. Aber auch die Aussicht auf eine friedlichere Gestaltung

Verhältnisse stelle sie der Vorlage freundlich gegenüber. Redner freue sich über die versöhnlichen Aeußerungen des Papstes über die Nothwendigkeit, sich in konfessionell gemischten Staaten zu vertragen; aber man könne doch nicht leugnen, daß der gegenwärtige Papst in seinen Aeußerungen über den Prote stantismus gerade so streitbar gewesen sei, wie seine Vor⸗ gänger. Das gegenwärtige Oberhaupt der römischen Kirche aber sei jedenfalls geneigt, der wilden Agitation ein Ende zu machen, und das liege nicht blos im Interesse Deutschlands, sondern auch der katholischen Kirche selbst. Redner brauche blos an die unfreundlichen Aeuß⸗ rungen der klerikalen Presse gegen den Erlaß des Bischofs Drobe, gegen manche Ausführungen des Bischofs Kopp, an den Streit in Baden gegen den Dekan Lender zu erinnern, um klar zu stellen, daß auch den deutschen Bischöfen daran liegen müsse, aus dem Kampf heraus und wieder zu autori⸗ tativen Verhältnissen zu kommen. Ein Ausgleich auf parka⸗ mentarischem Wege, wie ihn der Abg. Richter wünsche, heiße ein solcher auf mehr oder minder agitatorischem Wege. Auch Redner wünsche nicht, daß eine auswärtige Macht, wie d.

Papst, in die politischen Verhältnisse Preußens eingreise; aber um den Kulturkampf zu beseitigen, sei eine nicht unter agitatorischen Gesichtspunkten, sondern unter größeren inter⸗ nationalen stehende Instanz viel wirksamer. Durch die ge⸗ fundene Fühlung mit der Kurie gewinne der Kanzler d

jetzt bis zu

Unr Möglichkeit, daß die Verbitterung aufhöre, daß nicht mehr von diokletianischen Zuständen geredet werden könne, wenn sich das Oberhaupt der katholischen Kirche so freundlich mit der Regierung benehme. Irrig seien natürlich gleichwohl die überschwenglichen Anschauungen, daß nun eine neue Aera der Weltgeschichte anhebe, die Welt zwischen dem evangelischen Kaiser und dem katholischen Papst gleichsam getheilt werde u. dgl. Die Parität aufrecht zu erhalten, werde nicht leicht sein, von der Zukunft werde es abhaͤngen, ob das rechte Maß von Parität und Staatshoheit gesunden werden könne, aber der Versuch müsse gemacht werden. Das Zusammenfassen aller Kräfte sei nöthig, um die vulkanischen Gefahren, die das Vaterland