Die Fraktionsliste Reichstages ist er⸗ schienen. Von den 397 Mandaten ist eins, 2. Bromberger Wahlkreis, erledigt. Die Fraktionen haben folgende Mitglieder⸗ zahl: Deutsch⸗Konservative 76 und 2 Hospitanten; Reichspartei (Freikonservative) 39; Centrum 98 und 3 (welfische) Hospitanten ‚Polen 13; National⸗Liberale 95 und 3 Hospitanten, darunter der neugewählte Abgeordnete für Straßburg, Dr. Petri; Deutsch⸗Freisinnige 34; Sozial⸗Demokraten 11; bei keiner Fraktion 22. Die Letzteren sind 14 Elsaß⸗Lothringer; die drei den Nationalliberalen nahe stehenden Abgg. Deahna, Hildebrand und Retemeyer; die Abgeordneten Dr. Böckel, Johannsen, Langwerth von Simmern; der klerikal⸗konservative Freiherr von Hornstein aus Baden; endlich der Präsident von Wedell⸗Piesdorf.
— In Bezug auf §. 223 a des Strafgesetzbuchs, wonach eine Körperverletzung mittels einer das Leben ge⸗ fährdenden Behandlung mit Gefängniß nicht unter zwei Monaten zu bestrafen sei, hat das Reichsgericht, IV. Strafsenat, durch Urtheil vom 23. September d. J., aus⸗ gesprochen, daß bei Feststellung des Umstandes einer das Leben ““ Behandlung es nicht darauf ankommt, ob eine be ensgefährliche Verletzung eingetreten ist, sondern nur darauf, ob die Behandlung geeignet war, eine solche herbeizuführen. Hierbei kommen in Betracht die individuelle Schädlichkeit der in Bewegung gesetzten Einwirkungen und die individuelle Beschaffenheit des gemißhandelten, besonders schwächlichen oder besonders widerstandsfähigen Menschen.
— Ueber das Unterordnungsverhältniß der Unteroffiziere zu einander haben Se. Majestät der Kaiser unter dem 17. d. M. Folgendes bestimmt:
I. Zwischen den einzelnen Chargen der Unteroffiziere besteht an sich kein Unterordnungsverhältniß, indessen sind sämmtliche Unteroffiziere, welche das Offizier⸗Seitengewehr nicht tragen, verpflichtet, die mit demselben ausgerüsteten Unteroffiziere militärisch zu grüßen.
II. Die Dienststellung bedingt ein Unterordnungsver⸗ hältniß wie folgt: 1) Die im mobilen Verhältniß in Offtzier⸗ stellen verwendeten Unteroffiziere (Offizier⸗Stellvertreter) sind in und außer Dienst Vorgesetzte sämmtlicher Unteroffiziere. Mit der Beleihung der Offtzierstelle ist das Tragen des Portepees, des Offizier⸗Seitengewehrs und des Abzeichens für Offizier⸗Stellvertreter ohne Weiteres verbunden. 2) Feldwebel (Wachtmeister) sind in und außer Dienst Vorgesetzte der Unteroffiziere derselben Compagnie (Escadron, Batterie), aus⸗ genommen der unter II. 1 erwähnten Offizier⸗Stellvertreter und der Stabshoboisten(Stabshornisten, Stabstrompeter). Stabshoboisten
Stabshornisten, Stabstrompeter) stehen zu den Hoboisten des etreffenden Musikcorps in und außer Dienst in demselben Verhältniß wie ein Feldwebel zu den Unteroffizieren der⸗ selben Compagnie. 3) Innerhalb der übrigen Chargen der Unteroffiziere tritt derjenige, welchem durch allgemeine Dienst⸗ vorschriften oder durch besondere Anordnung der Befehl über andere Unteroffiziere übertragen worden ist, zu diesen für die Dauer und den Umfang des Dienstes in das Verhältniß eines Vorgesetzten. 4) Portepee⸗Fähnriche, welche das Offizier⸗ Seitengewehr führen, sind durch die Verleihung dieser Waffe ohne Weiteres mit der Wahrnehmung von Offizier⸗ dienst beauftragt und rangiren vor den Vize⸗Feldwebeln. Sie sind ebenso wie die mit Offizierdienst betrauten Vize⸗Feldwebel (Vize⸗Wachtmeister) des Beurlaubtenstandes (§. 22, 7. der Landwehrordnung) und in gleicher Weise, wie solche Vize⸗Feldwebel (Vize⸗Wachtmeister) des Dienststandes, welche vorübergehend Offizierdienst versehen nur während der Dauer der Diensthandlung selbst Vorgesetzte der anderen Unteroffiziere der Compagnie (Escadron, Batterie), mit Aus⸗ nahme des Feldwebels (Wachtmeisters), dessen Untergebene sie stets bleiben. 5) Portepee⸗Fähnriche ohne Offizier⸗Seitengewehr rangiren unmittelbar vor den Sergeanten.
— An demselben Tage haben Se. Majestät genehmigt, daß die beim Eintritt einer Mobilmachung oder während der⸗ selben mit einer Offizierstelle beliehenen Unteroffiziere (Offizier-Stellvertreter) das Portepee, das Offizier⸗ Seitengewehr und das Abzeichen für Offizier⸗Stellvertreter zu tragen haben. Das Abzeichen für Offizier⸗Stellvertreter be⸗ steht, unter Bestätigung der Sr. Majestät vorgelegten Probe, aus einer Einfassung der Schulterklappen des Waffenrockes und des Mantels mit goldener Tresse bei gelben und mit silberner Tresse bei weißen Knöpfen. Bei der Ulanka der Ulanen besteht das Abzeichen aus einer goldenen bezw. silbernen Tresse als Einfassung des Epauletteschiebers, bei dem Attila der Husaren aus einer doppelten goldenen bezw. silbernen Tresse unter den Achselschnüren.
— Zufolge Allerhöchster Ordre vom 17. d. M. ist das Stabsquartier des 2. Bataillons (Attendorn) 2. Hessischen Landwehr⸗Regiments Nr. 82 am 1. April 1888 von Attendorn nach Siegen zu verlegen und hat genanntes Bataillon von diesem Zeitpunkt ab die Bezeichnung 2. Bataillon (Siegen) 2. Hessischen Landwehr ⸗Regiments Nr. 82 anzunehmen.
— Durch Allerhöchste Ordre vom 16. November d. . ist das der vormaligen Aktien⸗Gesellschaft für den Bau einer Chaussee von Züllichau über Grünberg, Naumburg a. B. und Christianstadt nach Sorau, in den Regierungs⸗Bezirken Frankfurt und Liegnitz, seiner Zeit verliehene Recht zur Chausseegeld⸗Erhebung nach den Bestimmungen des Tarifs vom 29. Februar 1840 einschließlich der in demselben enthaltenen Bestimmungen über die Befreiungen, sowie der sonstigen die Erhebung betreffenden zusätzlichen Vorschriften den Kreisen Züllichau⸗ Schwiebus, Grünberg, Sagan, Freystadt und Sorau, und zwar einem jeden für die in sein Eigenthum übergegangene Strecke dieser Straße, gegen Uebernahme der künftigen chausseemäßigen Unterhaltung der betreffenden Straßenstrecke, vorbehaltlich der Abänderung ven cessliche voraufgeführten Bestimmungen, übertragen worden.
.— Durch Allerhöchste Kabinetsordre ist der Premier⸗ Lieutenant Herzog Georg Ludwig von Oldenburg, Hoheit, à la suite des Westfälischen Kürassier⸗Regiments Nr. 4, unter Belassung in seinem Verhältniß à la suite des Olden⸗ burgischen Infanterie⸗Regiments Nr. 91 zum 1. Garde⸗ Dragoner⸗Regiment à la suite desselben versetzt und bestimmt worden, daß derselbe bei diesem Regiment vom 1. Januar k. J. ab zur Dienstleistung eintritt.
— Der Kaiserlich und Königlich österreichisch⸗ungarische Botschafter am hiesigen Allexhöchsten Hofe, Graf Széchényi, ist vom Urlaub nach Berlin zurückgekehrt und, hat die Ge⸗ schäfte der Botschaft wieder übernommen.
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des Barres, b . Ober⸗Militär⸗Examinationskommission, hat eine Dienstreise nach Potsdam, Hannover und Kassel angetreten.
— Der General⸗Lieutenant von Körber, Inspecteur der 3. Feld⸗Artillerie⸗Inspektion, ist zur Abstattung persön⸗ licher Meldungen auf einige Tage mit ÜUrlaub hier eingetroffen.
— Der General⸗Lieutenant und Gouverneur von Ulm, von Guretzky⸗Cornitz, und der General⸗Lieutenant von Wissmann, Commandeur der 25. (Großherzoglich Hessischen) Division, haben Berlin nach Abstattung persönlicher Meldungen wieder verlassen.
— Als Aerzte haben sich niedergelassen die Herren: Dr. Krämer in Mehlsack, Dr. Rothenberg in Schippenbeil, Dr. Nickell in Königsberg i. Pr., Dr. Heydrich, Dr. Töplitz, Dr. Mende, Dr. Schneider, Dr. Zenthöfer, sämmtlich in Breslau, Dr. Monse in Kunzendorf, Dr. Riedlin in Görbers⸗ dorf, Freisel in Trachenberg, Höhne in Striegau, Dr. Schir⸗ meyer in Osnabrück, Dr. Herm. Cohn in Lüdenscheid, Dr. Braunschild und Bremmenkamp in Bochum, Dr. Schulte am Esch in Herne, Dr. Otto Müller in Saarlouis, Dr. Schwietlik in Pr. Friedland.
Görlitz, 26. November. Der Kommunal⸗Landtag der preußischen Oberlausitz beschäftigte sich in seiner Plenarsitzung am Freitag zunächst mit einem Nachtrag zu der Stiftungsurkunde, welche der Fabrikbesitzer Woller in Marklissa zur Begründung einer Waisen⸗Anstalt auf seinem Grundstück in Schadewalde bereits im Jahre 1882 errichtet hat. Durch diesen Nachtrag soll das baldige Inslebentreten dieser Anstalt ermöglicht werden, und hat der genannte Stifter zu diesem Zweck ein weiteres Stiftungskapital von 100 000 ℳ aus⸗ gesetzt, mit dem Wunsche, daß die Landstände dasselbe ent⸗ gegen nehmen und das Weitere zur Errichtung und Ver⸗ waltung der Anstalt nach dem für dieselbe ö Statut veranlassen möchten. Der Landtag erklärte sich hiermit ein⸗ verstanden und beauftragte den Landeshauptmann, die erforder⸗ lichen Maßregeln zur Errichtung der Anstalt, sobald die höhere resp. landesherrliche Genehmigung für die Stiftung ertheilt sein würde, zu ergreifen, sowie dem Fabrikbesitzer Woller den Dank und die Anerkennung des Landtages auszusprechen, worauf die provisorische Wahl der Mitglieder des Stiftungs⸗ Kuratoriums erfolgte. Sodann wurde gemäß dem im vorigen Jahre festgestellten Regulativ zum ersten Male die Prämüirung von Dienstboten, welche längere Zeit bei ein und derselben Herrschaft oder Familie bezw. in derselben Wirthschaft treu gedient und sich vorwurfsfrei geführt haben, vorgenommen und zwar wurden: an männliche Dienstboten fünf Prämien à 150 ℳ und acht à 75 ℳ, an weibliche vier à 100 ℳ und fünf à 50 ℳ bewilligt. Die Prämiirung erfolgte nach Maßgabe der Länge der Dienstzeit, wobei die kürzeste Dienstzeit 25 ¾ Jahre betrug. Weiter gelangte eine Anzahl Gesuche um Beihülfen zu wohlthätigen Zwecken zur Beschlußfassung, welche größtentheils bewilligt, einzelne aber als nicht begründet abgelehnt wurden.
— 27. November. Der Kommunal⸗Landtag hielt am Sonnabend seine vierte und letzte Plenarsitzung ab, in welcher der Vorsitzende nach Vorlesung des Protokolls der gestrigen Sitzung zunächst das gestern Abend eingegangene Antwort⸗Telegramm aus San Remo der Versammlung mit⸗ theilte, in Fvelchem Se. Kaiserliche Hoheit der Kronprinz dem Landtage Seinen tiefgefühlten Dank für die Ihm ausgesprochene Theilnahme und guten Wünsche übermitteln läßt. Hierauf beschäftigte sich der Landtag hauptsächlich mit den eingegangenen Gesuchen um Stipendien und Unterstützungen, zu welchen die betreffenden Ausschüsse ihre motivirten Anträge stellten, resp. der Vorsitzende seine Vorschläge unterbreitete. Nachdem die Landtagsarbeiten somit erledigt waren, schloß der Vorsitzende den Landtag mit einem dreimaligen Hoch auf Se. Majestät den Kaiser, in welches die Versammlung begeistert einstimmte.
Sachsen. Dresden, 28. November. (Dr. J.) Die Zweite Kammer bevilligte in ihrer heutigen Sitzung unver⸗ ändert nach der Vorlage das Kapitel des Staatshaushalts⸗ Etats, betreffend die Landeslotterie, mit einem Ueberschuß von 4 260 797 ℳ, das Kapitel, betreffend die Lotterie⸗Dar⸗ lehnskasse, mit einem Ueberschuß von 331 437 ℳ und das Kapitel der Einnahmen der allgemeinen Kassenverwaltung mit 1 551 000 s
Hessen. Darmstadt, 27. November. (Darmst. Ztg.) In der Zweiten Kammer legte gestern der Präsident des Finanz⸗Ministeriums das Budget vor. Die ordentlichen usgaben werden darin mit rund 21 800 000 ℳ angegeben (gegen das laufende Budget um 4 300 000 ℳ mehr); der Ueberschuß der ordentlichen Einnahmen beträgt 820 000 ℳ;
die Steuerverminderung soll 11 ¾ Proz. der Einkommensteuer
betragen; die außerordentlichen Ausgaben sind auf 5 290 000 ℳ beziffert und sollen durch Ueberschüsse fowie durch ein Anlehen von 3 Millionen gedeckt werden. Die Kammer vertagte sich hierauf und wird voraussichtlich in der ersten Hälfte des Januar wieder zusammentreten.
Worms, 25. November. (Köln. Ztg.) Den Ständen des Großherzogthums wird voraussichtlich noch auf dem heute begonnenen Landtage eine Regierungsvorlage wegen Her⸗ stellung einer Rheinüberbrückung bei Worms Büseen Die Vorverhandlungen mit der Stadt Worms und der Hessischen Ludwigsbahn, welche letztere ebenfalls eine feste Ueberfahrt anstrebt, sind schon längere Zeit im Gange. Dem Ministerium liegen in dieser Angelegenheit jetzt drei Entwürfe vor, und zwar 1) für eine dem Straßen⸗ und Eisenbahnverkehr gemein⸗ sam dienende Rheinbrücke unterhalb der Stadt; 89 für zwei getrennte Brücken für Land⸗ und Eisenbahnverkehr neben einander und 3) für eine Landverkehrsbrücke als Ersatz und an Stelle der jetzigen Schiffbrücke.
Mecklenburg. Sternberg, 28. November. (Meckl. Nachr.) In der heutigen Sitzung bewilligte der Landtag für die südlichen Wasserstraßen des Landes 1 ½ Millionen Mark. Dieselben sollen für Verbesserung der Stör und unteren Elde verwandt und die Verwendung auf 4 Jahre vertheilt werden.
Großbritannien und Irland. London, 28. November. (A. C.) Der Sonntag verlief ohne Ruhestörungen in London. Auf dem Trafalgar⸗Square wurde kein Bersuch gemacht, ein Meeting abzuhalten, obwohl Tags vorher ettel verthe lt den, welche besagten, daß am Sonntag
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v 1n“ räses der auf dem Square eine Versammlung abgehalten werden
würde, „um gegen die Polizeiherrschaft in Lond
protestiren.“ orsichtshalber ließ Sir Charles Warran den Square sowie die dahin führenden Straßen wieder mit zahlreichen Schutzmannschaften besetzen, während in ver⸗ schiedenen Stadttheilen etwa 3500 Spezialkonstabler in Bereit, schaft gehalten wurden. Es fanden sich wiederum Tausende von Schaulustigen auf dem Square wie in dessen Nachbarschaft ein die sich indeß allmählich zerstreuten, als sie sahen, daß ein Versuch, die angekündigte Versammlung abzuhalten, nicht gemacht werden würde. Hier und da mußte die Polizei ein⸗ schreiten, um Zusammenrottungen zu verhindern. Gegen 6 Uhr Abends hatte der Square wieder sein gewöhnlichez Aussehen. Im Hyde⸗Park wurde Nachmittags eine zahl⸗ reich besuchte Kundgebung unter den Auspicien der eng⸗ lischen „Land Restoration League“ abgehalten, bei welcher William Saunders, ehemaliger Abgeordneter für Ost⸗Hull, der kürzlich wegen unbefugten Redehaltens auf Trafalgar⸗Square verhaftet aber freigesprochen worden, den Vorsitz führte Es wurden Resolutionen angenommen, welche erstens die Meinung ausdrückten, daß ungerechte Gesetzgebung, insbesondere die mit Bezug auf Land, die Ursachen der Armuth, der Handelsstockung und der Arbeitslosigkeit sei, und zweitens gegen die Unterdrückung der von der Liga am 11. d. ein⸗ erufenen Versammlung Seitens der Polizei protestirten. Die Theilnehmer an der Kundgebung zerstreuten sich darauf ruhig ohne der Polizei Anlaß zum Einschreiten zu geben.
Das provisorische Comité der auf Anstiften der „Pall Mall Gazette“ ins Leben gerufenen „Gesetz⸗ und Freiheitsliga“ beschloß, sofort Schritte zu thun, um in jedem Londoner Wahlkreis die ungeheuere Zahl der Arbeits⸗ losen zu registriren, da Sir Charles Warren's Vorschlag, die Polizeistationen dazu zu benutzen, bei den Arbeitern keine beifällige Aufnahme finden könne.
Nach dem Bericht des hauptstädtischen Polizei⸗Arztes sind bei den Unruhen auf dem Trafalgar⸗ Square am Sonntag, den 13. November, im Ganzen 73 Schutzleute verletzt worden. Zu bemerken ist übrigens, daß keine der Wunden eine Schußwunde war.
Wie aus Indien gemeldet wird, hat der Radschah von Ihind alle Hülfsquellen seines Staats der indischen Regierung für die Vertheidigung der Grenze zur Mer⸗ fügung gestellt.
— 28. November. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Zucker⸗Konferenz, welche von 2 his 4 Uhr dauerte, hielt der Parlaments⸗Sekretär des Handelsamts, Baron de Worms, eine längere Ansprache an die Delegirten. An der hierauf folgenden Generaldebatte nahmen vornehmlich die Delegirten Belgiens und Oesterreichs Theil. Man glaubt, England werde keine Ausgleichszölle vorschlagen. Belgien ist gegen die Zucker⸗ prämien, während Oesterreich dieselben billigt. Die nächste Sitzung findet am Mittwoch statt.
Thomas Callan aus Massachusetts und Michael Harkins aus Philadelphia, welche angeklagt sind, sich behufs Herbeiführung von Dynamit⸗Explosionen ver⸗ schworen zu haben, erschienen heute wiederum vor Gericht. Nach Vernehmung mehrerer Zeugen wurde die weitere Ver⸗ handlung auf 8 Tage vertagt.
Frankreich. Paris, 28. November. (W. T. B.) In der Deputirtenkammer wurde heute von Guyot der Generalbericht über das Budget eingebracht. Der Minister⸗Präsident Rouvier ersuchte die Kammer, sich auf Donnerstag zu vertagen, wo dann der Kammer Seitens der Regierung eine Mittheilung zugehen werde. Die Kammer vertagte sich demgemäß auf esner eh
Die Gruppen der Linken der Kammer und des Senats haben sich bisher nicht über eine Plenar⸗ versammlung einigen können. Die Rechte hat die Berathung über die von ihr bei dem Kongreß zu beobachtende Haltung auf Mittwoch vertagt. Bisher scheinen de Freycinet, Ferry und Floquet die einzigen ernsthaft in Aussicht genom⸗ menen Präsidentschafts⸗Kandidaten zu sein.
— 28. November, Abends. (W. T. B.) Clémenceau hatte heute Abend eine Unterredung mit Floquet über dessen Absichten bezüglich einer Präsidentschafts⸗Kandi⸗ datur und machte hierbei darauf aufmerksam, daß eine Zer⸗ splitterung der Stimmen der Radikalen zwischen de Freyeinet und Floquet mißlich wäre. Floquet soll erwidert haben, daß er nicht als Kandidat aufgetreten sei, demnach auch nicht von einer Kandidatur zurücktreten könne; er überlasse seinen Freunden jede Verantwortlichkeit für ihre Haltung.
Italien. Rom, 28. November. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Deputirtenkammer erwiderte auf die Interpellation Bonghi's und Sacchi's der Justiz-Minister: alle Prokuratoren seien darin überein⸗ gekommen, daß keine Veranlassung vorliege, die Zu stimmungsschreiben der italienischen Bischöfe an den Papst und die Petition der italienischen Katho⸗ liken an die Kammer wegen Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes gerichtlich zu verfolgen. Uebrigens sei in der Petition der ausdrückliche Wunsß wegen Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes sorgfältig vermieden. Er (der Minister) halte allerdings gewisse an die Bischöfe gerichtete Schreiben für strafbar, allein eine Verfolgung derselben sei inopportun, weil man dadurch die Wünsche auf Herbeiführung eines Aufsehen erregenden Prozesses begünstigen würde. Demnach sei es besser, dieselben der allgemeinen Gleichgültigkeit anheimfallen zu lassen. Dadurch beweise man, welche große Freiheit in Italien die Gegner der nationalen Institutionen genießen. Die Regierung werde, obgleich sie die Freiheit im al⸗ gemeinen Recht anerkenne, eine Verletzung der italie⸗ nischen Einheit niemals zugeben.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 29. November⸗ (W. T. B.) Der „Regierungs⸗Anzeiger“ veröffentlicht das Urtheil des St. Petersburger Kriegs⸗Bezirks⸗ gerichts, wonach 13 junge Offiziere, nämlich 9 Second⸗ Lieutenants der Linien⸗Infanterie, je 1 von den Sappeuren, der Artillerie und der Garde⸗Infanterie und 1 Kosaken⸗Kornett des Vergehens gegen Art. 250 des Strafgesetzbuchs (rechtzeitig auf⸗ gedeckte Empöͤrung gegen die oberste Gewalt, welche keine Folgen gehabt hat), für schuldig erkannt, 5 von ihnen zur 1‧1 5 arbeit, 8 zur Deportation verurtheilt wor en. Der Kaiser hat jedoch berücksichtigt, daß die Inkulpaten minder⸗ jährig und zu den Verbrechen durch andere Uebelthäter verleitet worden sind; der Kaiser berücksichtigte ferner die von den Inkulpaten bekundete aufrichtige tiefe Reue und den sehnlichen Wunsch, das in jugendlicher Ver⸗
setzung der
““
— begangene Verbrechen durch ihr ganzes Leben Feee gut zu machen, und begnadigte deshalb sämmtliche zur Degradirung zu gemeinen Soldaten unter Ein⸗ räumung der Möglichkeit, nach gewissen Fristen den Offiziers⸗ rang wieder zu erlangen. — Der „Regierungs⸗Anzeiger“ theilt ferner mit, daß fünf Kadetten der Kriegsmarine durch das
[St. Petersburger Kriegsgericht wegen der gleichen
Vergehen, wie die gemeldeten der Landarmee⸗Offiziere, zu wangsarbeit, beziehungsweise Deportation verurtheilt wurden, der Kaiser dieselben jedoch ebenfalls zur Degra⸗ dation begnadigte. Ein Seekadett befindet sich noch in Haft und wird nach seiner Entlassung unter Aufsicht seiner Vorgesetzten belassen, ohne bestimmte Aussicht auf Wieder⸗ erlangung des Offiziers⸗Ranges. 18 . Der „Russische Invalide“ veröffentlicht die Ein⸗ stellung des der Person des Kaisers Wilhelm atta⸗ chirten Militär⸗Bevollmächtigten, Obersten Grafen Gole⸗ nischtschew⸗Kutusow, in die Suite des Kaisers von
Rußland.
Spanien. Nach einer der „Pol. Corr.“ aus Madrid zugehenden Mittheilung dauern Seitens des spanischen Kabinets die Unterhandlungen in Betreff der Ein⸗ berufung einer Konferenz zur Ueberprüfung der Madrider Schutzbefohlenen⸗Konvention von 1880, einerseits mit den meistinteressirten europäischen Regierungen, andererseits mit Marokko, mit gutem Erfolg fort. Gegenwärtig handelt es sich bei um die von mehreren Seiten gewünschte Feststellung und Um⸗
grenzung des Programms der Berathungen, sodann um⸗
die kommerziellen Zugeständnisse, welche Marokko für die seinerseits gewünschte Einschränkung der Konsularrechte zu ge⸗ währen bereit wäre, welchen Standpunkt zuerst das englische Kabinet eingenommen, und den auch das französische zu dem seinigen gemacht hat.
Amerika. Philadelphia, 23. November. (A. C.) Der Kongreß wird seine Sitzungen am 5. Dezember beginnen. Man glaubt allgemein, daß die Demokraten den Sprecher Carlisle wieder erwählen werden. Die Session dürfte hauptsächlich Finanzfragen und vor Allem der Herab⸗ Steuern gewidmet werden, sodaß sich keine Ueberschüsse mehr im Schatzamt anhäufen. Die Schutzzöllner wünschen dies durch Abschaffung der inlän⸗ dischen Steuern, welche jährlich 120 000000 Doll. abwerfen, und ohne grundsätzliche Aenderung des Zolltarifs zu bewirken. Die südlichen und westlichen Demokraten dagegen wollen Abschaffung der höchsten Schutzzölle. Auch die nächstjährige Präsidentenwahl wird die Kongreßmitglieder stark beschäftigen. Die Parteien sind fast ganz gleich an Stärke, sodaß keine
einen großen Vortheil vor der anderen hat.
Zeitungsstimmen.
Das „Leipziger Tageblatt“ stellt in einer Be⸗ sprechung der Thronrede allgemeine Betrachtungen an und gelangt dabei zu folgendem Resultat:
Die Politik des Fürsten Bismarck ist seit langer Zeit darauf gerichtet gewesen, alle Gesetzentwürfe, welche dem Reichstag vorgelegt werden, vom Standpunkt der Gesammtwohlfahrt aus ins Leben zu rufen. Daß dadurch Dieser und Jener in seinen persönlichen Interessen Schaden leidet, ist unvermeidlich, dieser Schaden wird aber auf anderem Wege wieder eingebracht. Die Gesammtlage ist heute nach zwei Hauptrichtungen zu beurtheilen, nach der Wahrscheinlichkeit und möglichsten Sicherheit, den Weltfrieden aufrecht zu erhalten, und nach der zweckmäßigsten Form, die berechtigten Forderungen der Sozial⸗ demokratie zu befriedigen. Diesen beiden Hauptrichtungen müssen alle Partei⸗ und persönlichen Interessen untergeordnet werden. Daß dabei verschiedene Auffassungen möglich und berechtigt sind, daß es noch nicht ausgemacht ist, ob das direkte oder indirekte Steuersystem das bessere, die Freihandels⸗ oder Schutzzollpolitik die vorzüglichere ist, wird ohne Weiteres zugestanden. ber das muß auch dem verbissensten
arteipolitiker einleuchten, daß wir zu keinem praktischen Ergebniß kommen, wenn wir fort und fort blo uns über die Grundlagen herumstreiten, auf welchen die taats⸗ verwaltung aufgebaut werden soll. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Und die Früchte, welche die deutsche Politik nach Außen und im Inneren hervorgebracht hat, sind gewiß der Art, daß wir uns ihrer nicht zu schämen brauchen. Deutschland wird in der ganzen eivilisirten Welt als die erste Großmacht angesehen, unsere Wehr⸗ kraft und unser Kredit genießen die höchste Achtung in der Welt, damit können wir uns zufriedengestellt erklären. Und wenn es dereinst die friedliche Gestaltung Europas zuläßt, dann werden wir wohl auch wieder einmal in die Lage kommen, über die zweckmäßigsten Grund⸗ sätze der Steuer⸗ und Wirthschaftspolitik zu berathen. Heute haben wir dazu keine Zeit. 1 8
Die „Morning Post“ schreibt:
Die Thronrede wird in allen friedliebenden Ländern mit Be⸗ friedigung gelesen werden. Sie enthält die nachdrucksvolle Erklä⸗ rung, daß die Tripel⸗Allianz nicht zu Angriffszwecken geschlossen wor⸗ en ist. Der Charakter des Bündnisses könnte gar nicht klarer dar⸗ gelegt werden, als es in der Thronrede geschehen ist. Der Kaiser straft namentlich die Behauptungen der französischen Presse Lügen, aß Deutschland sich nur nach Verbündeten umsähe, um den lang vorbereiteten Plan, Frankreich zu überfallen, auszuführen. Das englische wie das deutsche Volk werden die Erklärungen über Dentsch⸗ lands friedfertige Politik zu würdigen wissen. Französische Politiker werden freilich nicht so bereitwillig zugeben, daß ein mächtiges Reich gewissenhafter in der Anwendung seiner unerschöpflichen Hülfsmittel vorgeht, als Frankreich.
Der „Daily Chronicle“ sagt:
„Außer dem starken Hinweis auf Deutschlands Wunsch, den Frieden zu erhalten, ist in der gestrigen Thronrede des Deutschen Kaisers wenig, was zu einem Kommentar aufforderte. Das Ziel der auswärtigen Politik seiner Regierung ist, sagt der Kaiser, die Friedens⸗ auzsichten zu befestigen durch Pflege freundschaftlicher Beziehungen mit allen Mächten, welche die Gefahr eines Krieges abzuwenden wünschen. Die Wahrheit dieser Aeußerung wird Niemand bestreiten, da Deutschland diese Politik seit der Besiegung Frankreichs stetig innegehalten hat. Trotzdem Deutschland die stärkste und beste Armee der Welt besitzt, bemühen sich dennoch diejenigen, welche ihre Be⸗ wegungen kontroliren, sie nicht in Aktivität zu setzen. Die Losung der Deutschen ist: „Vertheidigung“, nicht „Angriff“.
— Die „Berliner Politischen Nachrichten“ be⸗ Zülken. zu dem Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung des äarifs: t Mit dem heutigen Tage (26. November) beginnen die Verwal⸗ bungsmaßregeln, welche die Durchführung obiger Vorlage zu sichern estimmt sein werden. Es wird damit der Zweck verfolgt, Speku⸗ lationen, welche den Wirkungen der bevorstehenden Zollerhöhung Ein⸗ rag thun wollen, nach Kräften vorzubeugen. Die Vorlage bewegt sich i der von uns seit langem befürworteten Richtung der Nachbesteuerung es von Einbringung der Vorlage ab eingeführten Getreides 5 vermeidet damit die Fehler, durch welche die Zollerhöhungen von 85 zum weitaus größten Theil illusorisch gemacht worden sind.
Wir haben, wie die letzten Aufnahmen ergeben, in Deutschland seit der im preußischen Abgeordnetenhause durch den Minister Dr. Lucius abgegebenen Erklärung derartige Massen von spekulativen Zufuhren gehabt, und die Händler sind in so ernster und überzeugender Weise auf die Einführung der Zölle vorbereitet worden, daß von einer Härte weder gegenüber den letzteren noch gegenüber den Konsumenten irgend⸗ wie die Rede sein kann. “ 8
Wenn so die Regierungen gethan haben, was in ihren Kräften stand, um der heimischen Landwirthschaft den erforderlichen Schutz zu ewähren, so wird es Sache der Freunde der Landwirthschaft im Reichstage sein, sich nicht von diesen Vorschlägen ab⸗ und zu halben b zurückdrängen zu lassen, wie sie jetzt schon wieder hier und da befürwortet werden — Maßregeln, welche nach der einen Richtung nichts nützen, nach der anderen Richtung aber nur Schaden anrichten. Wir sollten meinen, die Erfahrungen, welche mit der zu niedrigen Bemessung der Nachversteuerung des Spiritus in diesem Jahre bereits gemacht sind, müßten ausreichen, um jedwede Kürzung des von den verbündeten Regierungen vorgeschlagen Satzes hintanzuhalten.
Wie die preußische Regierung durch Einbringung der Vorlage im Bundesrath der von ihr im Frühling dieses Jahres abgegebenen Er⸗ klärung Folge verliehen hat, so wird sie zweifelsohne auch mit Nach⸗ druck darauf hinwirken, daß die speziell auf der Berliner Getreide⸗ börse beim Termingeschäft hervorgetretenen Mißstände, deren Vor⸗ handensein durch die Organisation des Sachverständigenwesens von dem Börsenkollegium zwar vollkommen anerkannt ist, ohne daß durch Aenderungen in ausreichendem Maße Abhülfe getroffen wäͤre, in gründlicherer Weise beseitigt werden, als dies bisher in den Inter⸗ essentenkreisen in Aussicht genommen war. Auch diesmal würden die Zollerhöhungen wirkungslos bleiben, wenn es einer kleinen, aber sehr kapitalkräftigen Clique an der Berliner Produktenbörse noch ferner gelingen sollte, durch Ueberschwemmung des Marktes mit minder⸗ werthigem Getreide die Preise abermals zum Schaden der deutschen Landwirthschaft in ruinöser Weise zu gestalten.
— Die in München erscheinenden freisinnigen „Neue⸗ sten Nachrichten“ bringen den Grundzügen der Alters⸗ und Invalidenversorgung Sympathien entgegen und führen u. A. aus:
Daß durch vorübergehende Unmöglichkeit der Prämienzahlung nicht einfach der Rentenanspruch verloren geht, sondern nur eine Ermäßigung der Rente eintritt, ist ein anerkennenswerther Fortschritt gegenüber der Privatversicherung. Da die Arbeiter⸗Alters⸗ und In⸗ validitätsversicherung aber Zwangssache werden soll, so hat sie auch größere Pflichten gegen den Versicherten. Es würde nun sicher böses Blut machen, wenn dem Arbeiter, der Jahrzehnte lang seine Bei⸗ träge zur Versicherung gezahlt, wegen vorübergehender Arbeitslosig⸗ keit, der er um so mehr ausgesetzt ist, je älter er wird, an der spär⸗ lichen Rente noch Abzüge gemacht würden. Die Frage des Rechts auf Arbeit wird unter diesen Verhältnissen neuerdings praktisch werden. Mindestens müßte Vorsorge getroffen werden, daß die Arbeiter ihre Beiträge fortzahlen können, auch wenn sie nicht in ständiger Arbeit sich befinden.
Die „Deutsche Hutmacher⸗Zeitung“ äußert über die Grundzüge u. A.:
.. .. Daß das Gesetz die Wittwen⸗ und Waisenversorgung der Arbeiter unberücksichtigt läßt, mag vom Standpunkt der Humanität uns nicht gefallen; es hat jedoch auch zweifellos die Auffassung viel für sich, daß der Industrie eine soziale Verpflichtung zur Versorgung nur bezüglich der Arbeitskraft selbst, welche in ihrem Dienst leistungs⸗ unfähig geworden ist, nicht aber bezüglich der Angehörigen derselben, beizumessen ist. Denn die Angehörigen des Arbeiters stehen zum Zweck der Industrie überhaupt nur dann in einer Beziehung, wenn auch sie selbst im Dienst derselben thätig gewesen sind. Ist dies der Fall, so sind sie versichert, anderenfalls muß man die allgemein verpflichteten Ver⸗ bände als die berufenen Versorger der Wittwen und Waisen ansehen. Inso⸗ fern ist der Gedanke, die Wittwen und Waisen auszuschließen, ein logisch richtiger, und es erledigt sich dadurch zugleich die Frage, ob nicht, wenn der Versicherte vor Erreichung des Rentengenusses stirbt, der Wittwe, bezw. den Kindern ein, wenn auch nach Maß und Zeit be⸗ schränkter Rentengenuß gewährt werden solle. Eine solche Forderung ist leicht ausgesprochen; wollte man sie aber realisiren, so würde die ganze Beitragsberechnung dadurch umgeworfen werden und zwar mit dem Ergebniß einer nicht unerheblichen Steigerung der Belastung. ...
Unter allen Umständen begrüßen wir diese Grundzüge als den Versuch eines ungeheueren Fortschritts zur Befestigung des sozialen
rieberns, . ..
— Zu den von der deutsch⸗freisinnigen Partei im Reichs⸗ tage eingebrachten Anträgen bemerkt die „Kölnische Volks⸗ zeitung“:
... Immer unverständlicher wird der dritte Antrag der F sinnigen, der dahin geht, alle politischen und Shehnenc en, welche jetzt vor die mit Berufsrichtern besetzten Strafkammern ge⸗ hören, vor die mit Laienrichtern besetzten Geschworenengerichte zu ver⸗ weisen. Früher sehr populär und agitatorisch bis zum Uebermaß vertreten, gehört dieser Antrag heute in das Kapitel Prin⸗ zipienreiterei. Um politische und Preßprozesse richtig zu ent⸗ scheiden, bedarf es einer ungleich größeren Vorurtheilslosigkeit und Unparteilichkeit, als um gewöhnliche Vergehen abzu⸗ urtheilen. Diese größere Freiheit der Auffassung setzt der freisinnige Antrag bei den Geschworenen voraus; warum und mit welchem Recht, ist nicht ersichtlich. Was die Vorurtheilslosigkeit angeht, so ist diese bei den an rein juristische Erwägungen gewöhnten Berufsrichtern doch mit größerer Sicherheit anzunehmen als bei Geschworenen, und was die Unparteilichkeit angeht, so können wir höchstens zugeben, daß die Geschworenen denselben guten Willen haben, unparteiisch zu sein, wie die Richter. Daß es ihnen aber thatsächlich viel schwerer fällt, und nach Lage der Sache auch viel schwerer fallen muß, zeigen so viele merkwürdige — um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen — Urtheile der Geschworenengerichte, daß man in der That nicht be⸗ greift, warum den letzteren nun noch gar die allerheikelsten und Eö Fragen unseres Rechtslebens unterbreitet werden sollen.
burtheilung politischer Anklagen durch Geschworene kann eine Be⸗ rechtigung haben in Zeiten, wo der Richterstand in totale Abhängig⸗ keit gerathen, oder gänzlich verknöchert oder in völlige Mißachtung gekommen ist. Wie bei uns die Verhältnisse liegen, können wir uns, trotz mancher zu Tage getretenen Mißstände, keinen Vortheil davon versprechen, wenn Redacteure und politische Sünder der Kontrole von Geschworenen unterstellt werden. Entweder sind die Geschworenen politische Freunde oder Gegner; in beiden Fällen wird ihr Urtheil eher parteiisch ausfallen als bei Richtern. Oder sie sind in ihrer Meinung getheilt; dann wird sich die Geschworenenbank zu einem kleinen Parlament mit erregten Debatten gestalten, und ob da noch ein ruhiges Urtheil herauskommen kann, ist doch mehr als fraglich.
SESttatistische Nachrichten.
Gemäß den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts sind in der Zeit vom 13. bis 19. November er. von je 1000 Bewohnern, auf den Jahresdurchschnitt berechnet, als gestorben gemeldet: in Berlin 20,1, in Breslau 28,5, in Königsberg 21,6, in Köln 22,5, in Frankfurt a. M. 19,5, in Wiesbaden 22,8, in Hannover 14,7, in Kassel 18,9, in Magdeburg 21,2, in Stettin 20,9, in Altona 25,3, in Straßburg 25,5, in Metz 22,0, in München 22,6, in Nürnberg 26,6, in Augsburg 21,6, in Dresden 20,3, in Leipzig 15,0, in Stuttgart 20,1, in Karlsruhe 19,3, in Braunschweig 15,3, in “ 29,6, in Wien 19,9, in Pest 25,1, in Prag 26,5, in 27,7, in Krakau 25,6, in Amsterdam 16,6, in Bruͤssel 19,0, in Paris 21,1, in Basel —, in London 20,3, in Glasgow 24,0, in Liverpool 22,8, in Dublin 34,6, in Edinburg 20,6, in Kopenhagen 31,0, in Stockholm 19,4, in Cheistieni⸗ 22,5, in St. Petersburg 23,3, in Warschau 23,6, in Odessa 24,0, in Rom 28,6, in Turin 19,5, in Venedig 18,6, in Alexandria 37,9. Ferner in der Zeit vom 23. bis 29. Oktober er!: in
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New⸗York 24,6, in Philadelphia 17,5, in Baltimore 18,6, in Kal⸗ kutta 24,5, in Bombay 23,1, in Madras 44.2. x8 “
In der Berichtswoche blieb die allgemeine Sterblichkeit in den meisten Großstädten Europas eine günstige, wiewohl meist eine etwas größere als in der vorangegangenen Woche. Einer sehr günstigen Sterblichkeit (bis zu 15,0 pro Mille und Jahr gerechnet) erfreuten sich nur Mainz, Barmen, Erfurt, Hannover, Leipzig. Etwas größer (aber noch nicht 20,0 pro Mille und Jahr) war die Sterblichkeit in
rankfurt a. O., Potsdam, Görlitz, Halle, Frankfurt a. M.,
üsseldorf, Elberfeld, Kiel, Kassel, Bremen, Braunschweig, Karlsruhe, Mannheim, Wien, Brüssel, Amsterdam, Stockholm, Turin, Venedig u. a. Auch in Berlin, Wiesbaden, Stettin, Dresden, Stuttgart, London, Edinburg war die Sterblichkeit eine mäßig hohe. — Vielfach kamen akute Entzündungen der Athmungs⸗ organe in gesteigerter Zahl als Todesursachen zur Meldung, während Darmkatarrhe und Brechdurchfälle im Aqpemeinen seltener zum Tode führten als in der Vorwoche; nur in Berlin, Hamburg, München, Pest und St. Petersburg war ihre Zahl eine ansehnlichere. — Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Gesammtsterblichkeit war um etwas vermindert; von 10 000 Lebenden starben auf's Jahr berechnet in Berlin 57, in München 71 Säuglinge. — Die Infektionskrankheiten zeigten vielfach eine Zunahme von Sterbefällen und Erkrankungen, nur Todesfälle an Pocken kamen zur Berichterstattung. g Masernführten in Berlin, Hamburg, Braunschweig, Paris, Christiania häufiger zum Tode, während sie in Dresden, Hannover, Pest und Kopenhagen abzunehmen begannen. Die Zahl der gemeldeten Er⸗ krankungen war in Berlin, Hamburg, in den Regierungsbezirken Aachen, Erfurt, Hildesheim, ferner in Pest, Edinburg, Christiania, St. Peters⸗ burg eine größere, in Wien und Kopenhagen (579) eine kleinere als in der Vorwoche. — Das Scharlachfieber hat in Berlin, Elber⸗ feld, Wien, Prag, Kopenhagen, St. Petersburg mehr, in Paris, London, Warschau etwas weniger Sterbefälle hervorgerufen; Erkrankungen wurden aus Edinburg, Kopenhagen, Stockholm in größerer, aus Berlin, Nürnberg, Wien, Pest in kleinerer Zahl gemeldet; in Breslau, Christiania, St. Petersburg blieb sie fast die gleich große wie in der Vorwoche. — Die Sterblichkeit an Diphtherie und Croup war in Berlin, Hamburg, Breslau, Dresden, Frankfurt a. M., Nürnberg, Straßburg, Metz, Wien, Pest, Prag, St. Petersburg eine Erheigerte in London, Paris, Kopenhagen, Christiania eine verminderte; Erkrankun⸗ gen wurden nur aus Berlin, Stockholm und St. Petersburg mehr als in der vorhergegangenen Woche gemeldet. — An Unterleibstyphus starben in London, Paris, St. Petersburg mehr, in Warschau weniger Personen als in der Vorwoche; in Hamburg blieb die Zahl der Sterbefälle die
gleiche der Vorwoche. Erkrankungen wurden nur aus Hamburg (200)
und aus St. Petersburg in größerer Zahl gemeldet. — An Fleck typhus kam nur aus London 1 Todesfall, ferner aus den Regierungs bezirken Düsseldorf 1, aus St. Petersburg 2 Erkrankungen, au letzterer Stadt auch 2 Todesfälle an Rückfallfieber zur Anzeige — Rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut kamen in Berlin, London und Kopenhagen seltener
Sterbefälle an Kindbettfieber in London in größerer Zahl zur Kenntniß. An epidemischer Genickstarre kam nur
1 Erkrankung aus Berlin zur Anzeige. — Der Keuchhusten zeigte in Berlin eine erhebliche Abnahme, in London eine Steigerung der Sterbefälle; in Hamburg, Kopenhagen, St. Petersburg waren Erkrankungen an Keuchhusten nicht selten. — Aus Wien kam 1 Todes⸗ fall an Pocken, aus Pest 3, aus Paris und Triest je 7, aus Prag 8, aus Warschau 9, aus Rom 14 zur Mittheilung; Erkrankungen wurden aus Berlin und Breslau je 1, aus London 5, aus Wien, Pest und St. Petersburg je 6 gemeldet.
Auch in dieser Berichtswoche blieben die sanitären Verhältnisse in Berlin günstige, obwohl die Sterblichkeit eine, wenn auch nur wenig, größere war als in der vorhergegangenen Woche. In etwas verminderter Zahl kamen akute Entzündungen der Athmungsorgane zum Vorschein, führten aber in erheblich größerer Zahl als in der Vorwoche zum Tode. Darmkatarrhe und Brechdurchfälle der Kinder
wiesen gegen die Vorwoche dagegen keine Abnahme auf. Von den
Infektionskrankheiten haben Masern, besonders in der Rosen⸗ thaler Vorstadt und im Stralauer Viertel, größere Aus⸗ dehnung gefunden, während Erkrankungen an Scharlach etwas seltener, an Diphtherie (besonders in der jenseitigen Louisenstadt und im Stralauer Viertel zahlreich) in fast gleicher Zahl wie in der Vor⸗ woche zur Anzeige kamen. Erkrankungen an typhösen Fiebern und an rosenartigen Entzündungen des Zellgewebes der Haut kamen in nur wenigen Fällen, an Kindbettfieber in gesteigerter Zahl zur Anzeige. Auch eine weitere Erkrankung an Pocken wurde gemeldet. Der Keuch⸗ husten rief weniger Erkrankungen hervor und zeigte eine erhebliche Abnahme der Sterbefälle. Rheumatische Beschwerden aller Art kamen
dagegen in gesteigerter Zahl zur ärztlichen Behandlung.
Kunst, Wissenschaft und Literatur.
Das Novemberheft 33. Bandes 1887 von „Petermann’'s Mittheilungen“ (Gotha, Justus Perthes) bringt einen Bericht
von Prof. Dr. Philipp Paulitschke über Kapitän J. S. King'’s vor⸗
jährige Reisen im Lande der Eissa⸗- und Gadaburssi⸗Somal, nebst meteorologischen Beobachtungen und einer Karte, 8. den Schluß der Beschreibung des südlichen Koloniengebiets von Rio grande do Sul, von Dr. von Ihering und P. Langhans. Dr. ans Schinz in Zürich kritisirt in eingehender Weise das eise⸗ werk von G. A. Farini „Through the Kalahari desert“, und H. Wichmann beschreibt mittels beigegebener Karte die neue Grenze wischen Rußland und Afghanistan. Der Monatsbericht bietet unter heee Briefe des Afrikareisenden Gottl. Ad. Krause, aus Pla (Groß⸗Povo) an der Sklavenküste, und von Richard Payer über seine Forschungsreise im Gebiet des Amazonas. Das Literaturverzeichniß sowie der reichhaltige Literaturbericht bilden den Schluß. — Die im Justus Perthes'schen Verlage erschienene große Spezialkarte von Afrika, in 10 Blättern, entworfen von Hermann Habenicht, liegt mit der 5. Lieferung, welche kürzlich ausgegeben wurde, nunmehr in 2. Muflage vollendet vor, und mit ihr ist ein kartographisches Werk zum Abschluß gekommen, welches sich schon in der ersten Auflage des größten Beifalls und ungetheilter Anerkennung Seitens der Fachmänner des In⸗ und Auslandes erfreut hat. Ganz besonders haben die Afrika⸗ reisenden selbst, denen die Gegenwart die so ungemein beschleunigte Erforschung des Kontinents zu verdanken hat, ihr Interesse diesem Werk zugewandt und durch den Hinweis auf wünschenswerthe Er⸗ gänzungen, sowie durch Einsendung ihrer theilweise noch nicht veröffent⸗ lichten Aufnahmen, die neue Ausgabe wesentlich unterstützt, sodaß diese e den gegenwärtigen Standpunkt unserer Kenntniß von Afrika darstellt.
Stuttgart, 28. November. Der „Schwäb. Merkur“ be⸗ richtet: „Hr. Badrutt aus St. Moriz ist mit einem unerhört werth⸗ vollen Schatz hier angekommen und im Hotel Marquard abgestie⸗ gen; es ist nichts Geringeres als ein Bild der Madonna Sixtina von Raffael, das als Duplikat des Dresdener Originals gelten soll. (2) Ueber die Erwerbung vermögen wir so viel mitzutheilen, daß dasselbe im Besitz der Fürstlichen Famile d'Este in Ferrara sich befunden habe. In völlig vernachlässigtem Zu⸗ stande ging das Bild in das Eigenthum des jetzigen Besitzers, der sich 7 Jahre darum beworben, über. Ein Künstler in Augsburg hat die Wiederherstellung des Bildes besorgt. Der Kampf darüber, ob das Bild echt oder unecht ist, wird wohl auf einem anderen Felde als an dieser Stelle auszufechten sein.“
Gewerbe und Handel.
Die gestrige ordentliche Generalversammlung der Berliner Unions⸗Brauerei genehmigte die Bilanz und das Gewinn⸗ und Verlust⸗Conto sowie die Vertheilung einer Dividende von 7 %; nach Erstattung des Revisionsbefundes wurde dem Aufsichtsrath und der Direktion Decharge ertheilt.
— Das Eschweiler Eisenwalzwerk, Aktiengesell⸗ schaft, hat in dem abgelaufenen Geschäftsjahre nach Abzug der Geschäftsunkosten einen Roh⸗Ueberschuß von 66 197 ℳ, einschließlich
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