—2 E —
— In der heutigen (7.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staats⸗Minister Bronsart von Schellendorff und Kommissarien beiwohnten, theilte der Präsident zunächst mit, daß ein Gesetzentmurf, betreffend die unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen, und ein Peeeee betreffend die Einführung der Gewerbeordnung saß⸗Lothringen, eingegangen seien.
8 Als erster Gegenstand sand auf der Tagesordnung die erste Berathung eines Gesetzentwurfs, betreffend die Unter⸗ tützung von Familien in den Dienst eingetretener
Mannschaften.
Die Debatte leitete der Geheime Ober⸗Regierungs⸗
Rath Schroeder ein. Nach einer kurzen historischen
Uebersicht über den Stand der bisherigen betreffenden Gesetz⸗ gebung führte Redner aus, daß die Vorlage sich dem be⸗
ee preußischen Gesetz anschließe, die Unterstützungs⸗
sätze aber bedeutend erhöhe. Der Entwurf beziehe sics aber nur auf die für Mobilmachungen oder zur außerordentlichen Verstärkung des Heeres eingezogenen, aber n†t auf die zu Friedensübungen eingezogenen Mannschaften. Frörterungen über die Frage, ob auch die Familien dieser Mannschaften unterstützt werden sollten, seien noch nicht abgeschlossen.
Der Abg. Frhr. von Ellrichshausen sprach der Regierung
seinen Dank für die Vorlage aus, welche nothwendig sei, nachdem man für die Familien der Offiziere gesorgt habe, und bean⸗ tragte dann die Verweisung der Vorlage an eine Kommission
von 21 Mitgliedern.
Der Abg. Baumbach beantragte ebenfalls die kommissa⸗ rische Berathung. Es sei die Frage zu prüfen, ob die Mini⸗ malbeträge zur Unterstützung ausreichend seien. In Bayern erhalte eine Ehefrau bisher 4 Gulden, also 8 ℳ für den Monat; nach der Vorlage würde sie nur 6 ℳ in den Sommer⸗ monaten, die doch hauptsächlich in Betracht kämen, erhalten. Sie würde also schlechter gestellt sein, als bisher. Die Vor⸗ lage über die Unterstützungen der im Frieden eingezogenen Mannschaften stehe noch in Aussicht; diese sei aber die dring⸗ lichere, und es sei wünschenswerth, daß sie noch in dieser Session vorgelegt werde, denn das eingeforderte statistische Material dürfte wohl vollständig genügen.
Der Abg. Haupt beantragte ebenfalls, die Vorlage an eine Kommission zu verweisen. Die Vorlage sei ein ent⸗ schiedener Fortschritt, weil sie eine einheitliche Gesetzgebung herbeiführe und eine wesentliche Erhöhung der Minimal⸗ unterstützun 85 zur Folge habe.
Der Abg. Harm pprach seine Freude über die Vorlage aus, bedauerte aber, daß die andere Vorlage, betr. die Unter⸗ stützung der zum Friedensdiensteingezogenen Mannschaften, welche Seitens der Sozialdemokraten verlangt worden sei, noch nicht vorliege. Die vorgeschlagenen Unterstützungssätze seien aber viel zu niedrig bemessen, man müßte wenigstens die Sätze des Unfallversicherungsgesetzes als Grundlage annehmen und er hs die Kommission, in diesem Punkt besondere Rücksicht zu nehmen.
Der Abg. von Kleist⸗Retzow führte aus, daß wohl keine Partei sich weigern würde, den sseef tien der Mannschaften, welche zum Schutz des Vaterlandes in den Krieg ge⸗ ogen seien, die nöthigen Unterstützungen zu gewähren.
edenken erregend seien die Neuerungen, welche die Vor⸗ lage enthielte: einmal die Ausdehnung der Unterstützungspflicht auf die nur beurlaubten Soldaten, d. h. solche, die noch aktiv dienten, dann die Ausdehnung der Unterstützung auf die
Ascendenten der eingezogenen Mannschaften, endlich die Zu⸗
sammensetzung der Kommission, welche über die Unterstützungen
zu entscheiden hätte. In Preußen besorge der Kreistag diese
Geschäfte; lest solle ein besonderer Vorsitzender ernannt werden,
der also über dem Landrath stehen würde. Die vorgeschlagenen
Minimalunterstützungssätze hielt Redner im Vergleich gegen
die früheren Sätze für ausreichend.
Bei Schluß des Blattes nahm der Staats⸗Minister Bronsart von Schellendorff das Wort.
— Nur die öffentliche Gotteslästerung, welche thatsächlich bei Anderen Aergerniß erregt hat, nicht aber ge öffentliche Gotteslästerung, welche objektiv Aergerniß zu erregen geeignet war, thatsächlich aber kein Aergerniß gegeben hat, ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. und III. Strafsenats, vom 10. Oktober d. J., zu bestrafen.
Breslau, 3. Dezember. (Schles. Ztg.) Auf die Adresse, welche die gegenwärtig tagende 2e9 8)” Provinzial⸗ Synode an Se. Majestät den Kaiser gerichtet hat, ist 8 Händen des Vorsitzenden der Synode, Grafen Rothkirch⸗ rach, folgende telegraphische Antwort eingegangen: „Berlin, Palais, 2. Dezember.
Die Mitglieder der schlesischen Provinzial⸗Synode haben in an⸗ hänglicher Treue ihre Theilnahme an dem tiefen Kummer, von welchem mit dem Vaterlande Mein Haus durch die Heimsuchung Meines Sohnes niedergebeugt ist, in so warmen Worten kund⸗ gethan, daß Ich für Mich wie im Namen Meiner Gemahlin den herzlichsten Dank dafür ausspreche. Zugleich hat es Mich mit Be⸗ friedigung erfüllt, in ihrer Zuschrift das Gefühl des ernsten kirchlichen Interesses ausgeprägt zu finden, mit welchem die Synode
ihre Arbeiten aufnimmt.
Wilhelm.“
Bayern. München, 3. Dezember. (Allg. Ztg.) In vorgestrigen Abendsitzung des Finanzausschusses
der Abgeordnetenkammer ist dem Finanz⸗Minister
eignisse dazwischen treten. schu
Er ha
Dr. von Riedel anläßlich seines zehnjährigen Minister⸗ Tu biläums von Seiten der Volksvertretung eine erhebende hrenbezeigung zu Theil geworden. Der Vorsitzende des Ausschusses, Abg. Walter, begrüßte im Auftrage desselben den Minister, welcher das Amt des Finanz⸗Ministers in schwie⸗ riger Zeit übernommen habe und nun mit Genugthuung auf eine zehnjähri ge Wirksamkeit zurückblicken könne. Es sei dem Minister in kürzester Zeit gelungen, die Finanzen Bayerns in ein sicheres Geleise zu bringen; der Staatshaushalt erscheine auch für die Zukunft gesichert, sofern nicht außerordentliche Er⸗ che ie Beziehungen des Finanzaus⸗
sses zum Minister seien stets ungetrübte gewesen, seine icht⸗ treue und Offenheit habe die Arbeiten erleichtert. Der inister möge in dem Wunsch des Ausschusses, daß er sich dauernder Gesundheit und langer Thatkraft erfreuen möge, mit dem Ausdruck des Dankes einen Beweis des Vertrauens erblicken. Der Minister erwiderte, überrascht und freudig berührt, mit herz⸗ lichen Dankesworten und der Versicherung, auch in Zukunst Alles 85 Förderung des Wehl⸗ des Landes thun zu wollen. be sich nicht in der Erfüllung der bei der Uebernahme
der Leitung des Finanz⸗Ministeriums zur Volksvertretung ge⸗ prochenen Worte getäuscht, daß trotz des Gegensatzes der
Meinungen die gemeinsame Vaterlandsliebe, welche Alle be⸗ seele, über alle Schwierigkeiten hinweghelfen werde. 1
— 3. Dezember. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten erklärte bei der Berathung des Etats des Innern der Minister des Innern gegenüber den Beschwerden des Abg. Daller wegen des Verbots der Vieheinfuhr aus Oesterreich: die Strenge sei absolut angezeigt, wenn man nicht überhaupt die privilegirte Stellung Bayerns bezüglich der Vieheinfuhr gefährden wolle. Die Aufstellung einer Versicherungs⸗ statistik durch die Gesellschaften sei angeordnet; dagegen sei eine landwirthschaftliche Verschuldungsstatistik unmöglich und unzuverlässig.
Württemberg. Rotlenburg, 1. Dezember. Das bischöfliche Ordinariat hat, wie das „D. V.⸗Bl.“ meldet, folgende Anordnung getroffen:
„Es hat Gott gefallen, Se Kaiserliche und Königliche Hoheit den Kronprinzen des Deutschen Reichs und mit Höchstdemselben das ganze Kaiserliche Haus mit einer schweren Prüfung heimzusuchen. Die schmerzlichee Kunde davon er⸗ weckt in allen Gauen unseres Vaterlandes die innigste und herzlichste Theilnahme. Wir wollen diese Theilnahme insbesondere auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir für die Wiederherstellung der Gesundheit des Erlauchten Kronprinzen eifrige Gebete zu Gott dem Allmächtigen emporschicken. Wir verordnen demgemäß, daß fortan und bis auf Weiteres in dieser Absicht an Sonn⸗ und Feiertagen nach dem allgemeinen Gebet gemein⸗ schaftlich ein „Vater Unser“ und „Ave Maria“ gebetet werde.“
Baden. Karlsruhe, 3. Dezember. Die „Karls⸗ ruher Ztg.“ meldet: „Ihre Königliche Hoheit die Groß⸗ herzogin hat vorgestern nochmals den Geheimen Rath Becker konsultirt; dessen Untersuchung der Augen Ihrer Königlichen
oheit ergab ein befriedigendes Resultat, insofern die bisherige
ehandlung sich als wohlthätig erwies und eine Besserun g des Augenleidens konstatirte. Diese Besserung veranlaßte die beiden behandelnden Aerzte, Ihrer Königlichen Hoheit eine “ nach Berlin für die nächste Woche zu gestatten, so⸗ daß danach die Entschließungen in den nächsten Tagen werden gefaßt werden.“
Die Großherzogin beging Höchstihr Geburtsfest Pute im engsten Familienkreise und empfing nur wenige
ersonen.
Oldenburg. Oldenburg, 3. Dezember. In der gestrigen Sttzung des Landtages wurden die Voranschläge für die Fürstenthümer Lübeck und Birkenfeld mit den bereits gemeldeten Endziffern genehmigt. Zum Lübecker Budget war der einem Beschluß des Provinzialraths entsprechende Antrag aus dem Landtage gestellt, den vierten Theil des Gehalts der Volksschullehrer auf die Staatskasse zu übernehmen, welcher Antrag indeß abgelehnt wurde.
Schwarzburg⸗Sondershausen. Sonder shausen, 1. Dezember. (Magdb. Ztg.) In der heutigen Plenarsitzung des Landtages kam der Staatshaushalts⸗Etat für die Finanzperiode 1888 bis 1891 zur Berathung. Derselbe schließt im Ordinarium mit 2 432 049 ℳ in Einnahme und Ausgabe, und im Extraordinarium mit 358 500 ℳ Zur Verstärkung des im Ordinarium in Ausgabe gestellten Resery, nds von jährlich 5414 ℳ werden der Ctmalsver,),ung die aus dem Ertrage der Reichszölle und aruern zu erwartenden jährlichen Ueber⸗ weisungen, soweit. die jährlichen Ausgaben an Matrikular⸗ beiträgen übersteigen, bis zu einem Jahresbetrag von 20 000 ℳ überwiesen. Es erhöht sich für die bevorstehende Finanzperiode der Etat um 182 000 ℳ, was hauptsächlich daran liegt, daß die Einnahmen vom Reich und die Aus⸗ gaben für dasselbe sich gegen früher fast verdoppelt haben; immerhin aber entfallen auf die diesseitige Staatsverwaltung noch rund 50 000 ℳ Erhöhung. Es ist dies die Folge der neu angelegten Grundbücher und der vermehrten Anforde⸗ rungen für die Amtsgerichte. Die Einstellung von 385 700 ℳ als Betrag der erhöhten Klassensteuer wurde genehmigt. Die Einnahmen der indirekten Steuer wurden mit 333 330 ℳ; eingestellt. Die Finanzdeputation beantragte die Ueberschüsse bis zur Höhe der Gebäudesteuer den Bezirken oder Gemeinden nach Verhältniß der aufgebrachten direkten Staatssteuern zu Gute kommen zu lassen. Der Antrag wurde indessen, nachdem sich der Regierungskommissar dagegen aus⸗ gesprochen, abgelehnt. 8
Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 3. Dezember. (Wien. Ztg.) Heute waren zahlreiche Landtage versammelt. Der nieder⸗ österreichische Landtag erledigte die Gegenstände der heutigen Tagesordnung größtentheils ohne Debatte im Sinne der Ausschußanträge. Im Einlaufe befand sich der Bericht des Landesausschusses, betreffend die Landes⸗Hypothekenbank, und vor Schluß der Sitzung wurde auch bereits die Wahl des Sephn ete ans 7, vorgenommen.
Prag, 3. Dezember. 82 T. B. Im Landtage beantragten Sedlak und Geno en, der Landeskulturrath solle aufg efordert werden, angesichts der deutschen Getreide⸗ Zollerhöhung geeignete Anträge zu stellen. Die Jung⸗ czechen stellten einen ähnlichen Antrag; beide werden der Geschäftsordnung gemäß behandelt werden.
Brünn, 3. Dezember. (W. T. B.) Im mährischen Landtage brachte der Abg. Maneth eine Interpellation an die Regierung ein, was sie bei den Zollverhand⸗ lungen mit Deutschland für die Wahrung der In⸗ teressen der österreichischen Getreideproduzenten vorzukehren gedenke, indem er besonders auf den namhaften theetz bon Gerste und Malz aus Mähren nach Deutschland ies.
Pest, 3. Dezember. (Wien. Ztg.) Der Finanz⸗ Ausschuß des Abgeordnetenhauses erledigte heute nen Voranschlag des Handels⸗Ministeriums und wird am Montag das Budget des Kultus⸗ und Unterrichts⸗Ministeriums in Verhandlung ziehen.
Großbritannien und Irland. London, 2. Dezember. 88 C.) Unter dem Vorsitz des Marquis von EE11 and gestern in Dublin eine Konferenz von liberalen Unionisten statt. Lord Hartington enwfahl in seiner An⸗ sprache, alle verschiedenen Stände und besonders den Handels⸗ stand in die Vereine der Partei in Irland zu ziehen, während jetzt meist nur die gelehrten Berufsarten der Organi⸗ sation angehörten. Die irischen Zweigvereine der liberal⸗ unionistischen Union könnten reilich nicht so vorgehen wie die Londoner in der erbreitung ihrer
Ansichten von öffentl chen Rednerbühnen dennoch ließe sich
aber der Zweck auf mannigfache Art erreichen. — Schatzkanzler Goschen zu Ehren veranstaltete Sem der Vize⸗König von Irland, Lord Londonderr ern l. Hr. Goschen wohnt im Palast des Lord Etein halters bis zu seiner auf morgen festgesetzten Rückreise g. England. Lord Hartington reiste gestern Abend von Dublin a — Aus Melbourne vom 4. Dezember meldet W. T n. I anglikanischen und Presbyteriar 8 irchen der Kolonie fanden Fürbitten für die Wieder genesung des Deutschen Kronprinzen statt. 8b
Frankreich. Die am Sonnabend in Versailles ze⸗ sammengetretene National⸗Versammlung hat 6 8 Carnot, den ehemaligen Finanz⸗Minister aus dem Ministeri Brisson, zum Präsidenten der Republik gewählt 18” den Verlauf der Sitzung meldet das „W. T. B.“.“ Ueber
Versailles, 3. Dezember. Der Kongreß wi Nachmittag 2 Uhr eröffnet. Der Präsident d. wurde heue klärte die Nationalversammlung für konstituirt 5 einen Präsidenten der Französischen Republik zu wähle Michelin (Intransigent) bat um das Wort, um ¹ Antrag einzubringen. Der Präsident wies den⸗ selben jedoch zurück, indem er erklärte: die National⸗ versammlung sei ausschließlich ein Wahlkollegium. C ass agnac sagte: die Versammlung sei souverän; Gaulier be stritt dem Präsidenten das Recht, die Befugnisse der Ver⸗ sammlung zu beschränken, worauf der Präsident entgegnete, daß er auf dem Boden der Verfassung stehe. Michelin er⸗ klärte nunmehr: er wolle eine Revision der Verfassung beantragen. Der Präsident wies dies aber zurück. Michelin Vb testirte dagegen. Um 2 ¼ Uhr begann darauf die A bstimmung. In dem ersten Wahlgange zur Wahl des Prüsidenten wurden 852 Stimmen abgegeben. Hiervon fielen auf Sadi Carnot 303, auf Ferry 212, auf Saussier 148, auf de Freyecinet 75, auf Appert 72, auf Brisson 26 Stimmen; ferner wurden für Floquet 5, für Felix Pyat 2, für de la Forge 2, Pasteur 2 und Spuller 1 Stimme abgegeben. Da keine absolute Majoritäterzielt wurde, war ein zweiter Wahlgang erforderlich. Mittlerweile erklärte Ferry: er trete zu Gunsten Sadi Carnot' zurück. Dasselbe that de Freycinet. Der Kongreß wählte sodann im zweiten Wahlgange mit 616 von 833 ab⸗ gegebenen Stimmen Sadi Carnot zum Präsi⸗ denten der Republik. General Saussier erhielt 188, Jules Ferry 10, de Freyeinet 6, General Appert 5 Stimmen; auf Floquet und Felix Pyat fielen je 1 Stimme. Nach Verkündigung des Wahlergebnisses sagte der Präsident Leroyer: „Da Hr. Sadi Carnot die erforderliche Stimmenzahl erhalten hat, proklamire ich ihn zum Präsidenten der Republik.“ (Wiederholter Beifall auf der Linken und im Centrum.) Hierauf erklärte Leroyer die Session der Nationalversammlung für geschlossen und wurde die Sitzung um 6 Uhr 47 Min. aufgehoben. — Nach der Sitzung nahm Sadi Carnot die Glückwünsche der Präsidenten des Senats und der Deputirtenkammer entgegen und sagte: „Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen für die Glückwünsche und die von Ihnen ausgesprochenen Gesinnungen. Ich bin von Dankbarkeit gegen die Mitglieder der Versammlung durchdrungen, welche, indem sie ihre Stimme auf meinen Namen vereinigten, dem Verlangen nach Beruhigung und Eintracht Ausdruck gaben, von welchem das republikanische Frankreich beseelt ist. Mein innigster Wunsch ist, daß dieser große Tag allen Geistern und Gemüthern gegenwärtig bleibe, er bedeutet, daß die Vertreter Frankreichs sich zu ver⸗ einigen wissen. Ihre gemeinsamen Bemühungen können und müssen die Verfassung und den regelmäßigen Gang einer Regierung sicherstellen, welche stetig, thatkräftig und fähig is, der Nation mit der Freiheit im Innern und der Würde nach Außen alle die Wohlthaten zu gewähren, welche unser Land von der Republik erwartet. Nochmals besten Dank, meine 1 können auf meine volle Hingebung rechnen.“
eber die Stimmung in Paris liegen folgende Depeschen des „W. T. B.“ vor: 8
Paris, 3. Dezember, Nachmittags 4 Uhr. Der Bahn⸗ hof von Saint Lazare ist von der Munizipalgarde be⸗ wacht. Auf dem Stadthausplatz befindet sich eine größere Menge; irgendwelche Unordnungen sind aber bis jetzt nicht vorgekommen. Eine große Anzahl von Neugierigen ist vor dem Kongreßpalast in Versailles versammelt.
— 3. Dezember, Abends 8 Uhr. Hier herrscht große Bewegung; auf den Boulevards und besonders in den Straßen zunächst eem Bahnhof von St. Lazare hat sich eine große Menschenmenge angesammelt. Die Ordnung
wurde aber nirgends gestört.
— 3. Dezember, Abends 11 Uhr. In der Stadt herrscht vollkommene Ordnung. Die Boulevards sind sehr belebt. Ueberall beglückw ünscht man sich wegen des Resultats der Präsidentenwahl. Sadi Carnot verließ Versailles in Gemeinschaft mit sämmtlichen Ministern und mit einer Kürassier⸗Eskorte, welche ihn in das
Palais de l'Elysée geleitete.
Ferner wird gemeldet:
Paris, 4. Dezember. (W. T. B.) Der neu gewählte Präsident Sadi Carnot, der gestern Abend in das Elysée geführt wurde, verblieb daselbst nur 10 Minuten, stattete alsdann Hrn. Grévy einen Besuch ab und begab sich schließlich in seine Privatwohnung nach Pass y. Die Ein⸗ wohner des Orts bereiteten ihm eine Hvation und begrüßten ihn mit dem Rufe: „Es lebe die Republik!“ Hr. Sadi Carnot wird morgen im Elysée Woh⸗ nung nehmen. General Brugére wird heute dem neuen Präsidenten die Groß⸗Insignien der Ehrenlegion überreichen. General Faidherbe wird bei der Ceremonie den Vorsitz führen. Die Minister werden Abends im Elysée eine Sitzung abhalten. — Die Stadt war gestern sehr belebt; den ganzen Abend wogte eine große Menge in den Straßen, die sich jedoch ruhig verhielt; die Ordnung wurde nirgends gestört. — Die Morgenblatter nehmen die Wahl Sadi Carnot's sehr günstig auf und erblicken in derselben ein Anzeichen für die allgemeine Be⸗ ruhigung. Sämmtliche Depeschen aus der Provinz konstatiren gleichfalls eine allgemeine Befriedigung über die Präsidentenwahl.
— 4. Dezember, Abends. (W. T. B.) Der Präsident der Republik, Sadi Carnot, welcher heute Nachmittag im Palais . Wohnung genommen hat, empfing daselbst Hrn. Grévy und mehrere poltüische Persön⸗ lichkeiten, darunter auch den Vorsitzenden der Budget⸗ kommission, Peytral. Hr. Sadi Carnot sprach hierbei die Absicht aus, sofort nach der Bildung eines neuen Kabinets
8
bei der Kammer die Votirung der provisorischen
Budget⸗Zwölftel zu beantragen und die Session am 15. d. wegen der nahe bevorstehenden Wahlen zum Senat zu ießen. schl 86 4. Dezember, Abends. (W. T. B) Die Minister überreich⸗ ten heute Abend dem Präsidenten Sadi Carnot ihre Ent⸗ lassungsgesuche. Sadi Carnot ersuchte sie, zur Erledigung der laaenhe Angelegenheiten einstweilen auf ihrem Posten zu verbleiben. 1. — 5. Dezember. (W. T. B.) Der Präsident Sadi Carnot sprach gestern bei der Entgegennahme der Demission des Ministeriums demselben seinen Dank aus für dessen patriotische Ergebenheit. Bezüglich der Bildung des neuen Kabinets wird Hr. Sadi Carnot nicht eher Beschluß fassen, als bis er die Meinung der Präsidenten der Kammern und der Führer der Gruppen eingeholt hat. — Das „Journal des Débats“ räth zur Beibehaltung des gegenwärtigen Kabinets. Die Blätter republi⸗ kanischer Richtung fordern einstimmig eine Politik der Beruhigung und der Konzentrirung. Die konservativen Blätter zweifeln an dem Bestande einer solchen Politik. Gestern sind in etwa 30 Departements die Wahl⸗ männer für die Ergänzung eines Drittels des Senats gewählt worden. Wie es heißt, sind die meisten der gewählten Wahlmänner Republikaner.
Italien. Rom, 3. Dezember. (W. T. B.) In der Deputirtenkammer wurden heute Interpellationen angemeldet: von Peyrot über die Erneuerung der Handels⸗ verträge mit Oesterreich⸗Ungarn und Frankreich, und von Franchetti über die Ausdehnung des tunesischen Gebiets zum Nachtheil des tripolitanischen.
— 4. Dezember. (W. T. B.) Der König empfing heute Nachmittag die Deputationen der Kammern, welche die Adresse auf die Thronrede überreichten. Dem Empfang, welcher zwei Stunden dauerte, wohnten die Minister bei. Der König gab hierbei seinem lebhaften Schmerz über den Verlust Depretis; Ausdruck, welcher der Krone noch einen letzten hervorragenden Dienst erwiesen habe, indem er auf den so patriotisch ge⸗ sinnten Crispi, den gegenwärtigen Kabinetschef, hin⸗ gewiesen habe. Der Deputation der Deputirtenkammer gegenüber hob der König insbesondere die Nothwendigkeit einer starken Organisation im Innern hervor, damit die Regierung das nothwendige Ansehen habe, um eine nutz⸗ bringende auswärtige Politik zu befolgen. Schließlich versicherte der König, daß Alles sowohl im Innern wie nach Außen guten Fortgang nehme.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 4. Dezember. (W. T. B.) Der Kaiser empfing gestern den neu ernannten persischen Gesandten Mirza Mahmud Khan in Audienz.
—*9 5. Dezember. (W. T. B.) Die Wahl Sadi Carnot's wird hier allgemein als zur Beruhigung der Lage beitragend angesehen, auch die heute erschienenen Blätter äußern sich in diesem Sinne.
Spanien. Madrid, 4. Dezember. (W. T. B.) Der Finanz⸗Minister wird, wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, demnächst in der Deputirtenk ammer einen Gesetzentwurf einbringen, durch welchen der Eingangs⸗
oll auf Alkohol bis zu 50 Grad auf 110 Pesetas und sur jeden weiteren Grad ein Zuschlag von 1 Peseta fest⸗ gesetzt wird.
Serbien. Belgrad, 3. Dezember. (W. T. B.) In der heutigen ersten Sitzung der Skupschtina wurden die Wahlen von 187 Abgeordneten verifizirt. Es wurden 6 Präsidentschafts⸗Kandidaten, 3 liberale und 3 radikale, ge⸗ wählt. Der König ernannte den Liberalen Tuzacovics zum Präsidenten, den Radikalen Vulkovics zum Vize⸗ Präsidenten. Morgen Mittag findet die feierliche Eröffnung mit einer Thronrede statt.
— 4. Dezember. (W. T. B.) Die Skupschtina ist heute vom König mit einer Thronrede eröffnet worden, in welcher hervorgehoben wird, die Beziehungen zu allen Staaten seien die besten. Die neue Regierung, von der Ueber⸗ zeugung durchdrungen, daß die Ferunzschafß der Mächte für Serbien von größtem Werth sei, habe es sich zur Aufgabe ge⸗ macht, die Beziehungen mit allen Mächten im Geiste gegenseitiger Freundschaft und Achtung zu pflegen und zu kräftigen. Die korrekte Haltung Serbiens werde von allen Seiten vollkommen anerkannt. Was die Revision der Verfassung angehe, so habe der König Aufträge für die be⸗ treffenden Vorarbeiten ertheilt. In der Finanzfrage habe die Regierung die doppelte Aufgabe: die früher eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten und die ordentlichen Ausgaben zu decken. Dies solle durch Konsolidirung der schwebenden Staats⸗ schuld, durch Sparsamkeit ohne Schädigung der Militärkraft und durch eine Reform der Steuern auf gerechter Basis erzielt werden. Die Thronrede konstatirt, daß Serbien sämmtlichen Verpflichtungen des Berliner Vertrags, bezüglich des Eisenbahnbaus, nachgekommen sei. Die Eröffnung des roßen Verkehrs stehe bevor; mit der Türkei und Bulgarien eien bereits Konventionen betreffs des Anschlusses abgeschlossen. Mit der Türkei und Rumänien seien Verhandlungen wegen eines Handelsvertrags im Gange; mit Bulgarien sollten solche demnächst ebenfalls eingeleitet werden. Die Thronrede stellt ferner mehrere Gesetzentwürfe im liberalen Sinn in Aussicht. Der König wurde von der Versammlung mit Be⸗ geisterung begrüßt.
Schweden und Norwegen. Stockholm, 4. Dezember. A. T. B.) In der hiesigen Deutschen Kirche sind von eute ab Fürbitten für den Deutschen Kronprinzen dem Kirchengebet eingefügt worden.
1 Zeitungsstimmen.
Die „Post“ schreibt:
Die zweitägige Etatsdebatte wird zu den inhaltsvolleren Verhand⸗ lungen des Reichstages schwerlich gezählt werden. In der That giebt die materielle Lage der Reichsfinanzen und das Zahlenmaterial des Etats zu neuen oder auch nur besonderen Erörterungen kaum Anlaß. Bis auf die Ergebnisse der neuen Steuergesetze nähert sich der nächst⸗ jährige Etat sowohl in Einnahme wie Ausgabe dem des laufenden Jahres mehr als dies sonst wohl der Fall war. Wenn bei einer Einnahmevermehrung von über 90 Millionen eine nennenswerthe Ver⸗ mehrung der Ausgaben nicht 8ehheg ist, so wird allein schon aus diesem Umstande mit dem Redner der Reichspartei, Grafen Behr, auf eine gewisse Sparsamkeit bei dem Ausgabe⸗Etat zu
ließen sein. Diese wird durch die Ausführungen der “ Etats nur bestätigt. Denn wenn Hr. Rickert nur die Errichtung einer Anzahl von neuen Stellen in dem Kadetten⸗Corps und den Reichsbeitrag zu den Militärbahnen im Osten, Hr. Windt⸗ horst nur die Kosten der geplanten Verlegung des Regiments Augusta von Koblenz nach Berlin zu bemängeln wußten, so wären dies, selbst die Richtigkeit der Bemängelung vorausgesetzt, doch Aus⸗ nahmen, welche lediglich zur Bestätigung der egel dienen. Noch deutlicher beweist der rasche Uebergang der mehr oppositionellen Redner, der Herren Rickert, Windthorst und Bebel, zu den Fragen allgemeiner Politik, Getreide⸗ zöllen, Sozialpolitik u. s. w., daß die Etatsaufstellung nach ihrer materiellen Seite und die Finanzlage für eine sachliche Kritik keinen breiten Spielraum gewährt. Um den obligatorischen Effekt, ohne welchen nun einmal Freisinnige und Sozialdemokraten nicht mehr reden zu können scheinen, zu erreichen, mußte vielmehr weit vom Thema abgeschweift werden. Charakteristisch ist es dabei, wie eng die freisinnigen und die sozialdemokratischen Ausführungen sich auch dieses Mal berührten, nur waren natürlich die Farben bei Hrn. Bebel etwas stärker aufgetragen, als bei den Freisinnigen. 1 Seine Herabsetzung Deutschlands und seiner auswärtigen Politik, durch welche er sich einen wohlverdienten Ordnungsruf zuzog, ist nichts Anderes, als die äußerste Konsequenz der Ausländerei, deren die frei⸗ sinnige Partei sich in den Parlamenten und außerhalb derselben so eifrig befleißigt. Beide Erscheinungen wurzeln gleichermaßen in dem Mangel an kräftigem Nationalbewußtsein... 8 Wie man sieht, schließt sich die innerliche Verbrüderung zwischen Freisinn und Sozialdemokratie, welche der deutschfreisinnige Vertreter Bremens bereits als die Morgenröthe einer neuen Blüthe Deutsch⸗ lands proklamirt hat, immer fester. Offenbar glauben die Sozial⸗ demokraten den Moment gekommen, wo sie die Frucht der freisinnigen Vorarbeit einheimsen können....
— Die „Wiesbadener Presse“ schreibt über Hetzereien gegen die Alters⸗ und Invalidenversicherung: 8
Der große Gedanke einer Alters⸗ und Invalidenversicherung wird von dem weitaus größten Theil der freisinnigen Blätter zum Gegenstand einer Kritik gemacht, welcher ausschließlich das Bestreben zu Grunde liegt, den in seinen Grundzügen vorliegenden Plan den Arbeitern vollständig zu verleiden, dieselben dagegen aufzuhetzen und bei ihnen Unzufriedenheit mit den sozialreformatorischen Bestrebungen überhaupt hervorzurufen. Die Hauptorgane überbieten sich förmlich in der Erfindung von Schlagwörtern, welche geeignet sind, das Vertrauen in den Werth der geplanten Alters⸗ und Invalidenversicherung zu erschüttern. Daneben geht das bei diesen Blättern natürliche Bestreben, die auf dem Boden der Sozialreform bestehenden Parteien und so auch die Absichten des vorliegenden Plans zu verdächtigen. Die Rente, welche in Aussicht genommen ist, wird als „kleines Almosen“, die „Renten⸗ empfänger“ werden als „Pfennigrentner“, das ganze Projekt als ein „Linsengericht“ gegenüber der angeblich damit bezweckten „Verkürzung der politischen Freiheit“, die Quittungsbücher als zu politischen Zwecken verwerthbare „Arbeitsbücher“ bezeichnet und schließlich darin eine weitere Belastung der Arbeiter zu Gunsten der wohlhabenden Klassen erblickt. 1 “
Konnte diese Art der Kritik vielleicht auch aus dem Bedürfniß der allein agitatorischen Zwecken dienenden Blätter, wenn auch nicht entschuldigt, so doch erklärt werden, so drückt ein Aufsatz des Ab⸗ geordneten Schrader in der Wochenschrift „Nation“, welche den „Freisinn“ gewissermaßen wissenschaftlich vertreten will, allen jenen gehässigen Einwendungen den Stempel der Echtheit auf. Die „Nation“ wählt sich nur andere Formen, im Wesen stimmt sie mit jenen Blättern überein.
... Die Freisinnigen wollen nichts von einem Versicherungszwang wissen, sie suchen alle Nachtheile heraus, welche derselbe haben könnte, und stellen demgegenüber die herrlichen Früchte der Selbsthülfe in den Vordergrund: den Arbeitern wird durch den Versicherungszwang der Lohn „widerwillig“ verkürzt; sie können mehr sparen, wenn sie die Beitrags⸗ gelder für sich zurücklegen, und diese gehen ihnen und den Ihrigen auch nicht im Falle des Todes verloren, wie das bei einer Versicherung auf Gegenseitigkeit selbstverständlich ist. Bis jetzt aber — und das vergessen sie — hat die Selbsthülfe die Arbeiter in dieser Beziehung auch noch nicht einen Schritt weiter gebracht, und wenn auch eine größere Zahl sich bei privaten Kassen versichert hat, so erfordert doch das Interesse des Staats und der Gesellschaft eine allgemeine Ver⸗ sicherung, und diese ist nur durch Zwang möglich. Das haben die Freisinnigen auch zu Anfang des Jahres 1882 durch den bekannten „liberalen“ sozialreformatorischen Antrag, der freilich im Uebrigen unausführbar war, prinzipiell anerkannt, jetzt haben sie das aber vergessen. Wenn aber etwas, wie die Selbsthülfe, unter allen Umständen vertheidigt werden soll, was nicht vertheidigt werden kann, so ist auch nicht zu verwundern, daß man dabei in die auffälligsten Widersprüche geräth. So wird die Rente als zu niedrig und die Zahl der Fälle, wo ein Arbeiter das 70. Jahr überschreitet, als sehr selten bezeichnet: und dabei vergißt man, daß auf einer solchen Grundlage zum Besten der Arbeiter jährlich 156 Millionen Mark verwandt werden sollen. Diese Ziffer widerlegt zur Genüge jene Einwendungen. Weiter wird die in Aussicht gestellte Rente im Vergleich zu der jetzt gezahlten Feeneretrte g 0e als viel zu gering bezeichnet. Wenn dies aber wirklich der Fa wäre, dann müßte die für Armenpflege im ganzen Deutschen Reich aufgebrachte Summe doch wesentlich Höher sein als die in Aussicht genommenen 156 Millionen Mark, während sie doch nur 70 Millionen beträgt und hiervon nur ein Theil den Invaliden der Arbeit — der andere Theil den Wittwen und Waisen, Irrsinnigen u. s. w. — zufällt. ...
— Die „Berliner Börsen⸗Zeitung“ berichtet:
—·... Verschiedene Exportbranchen sind in der Lage, ihre Arbeits⸗ kräfte in gewünschter Weise anzuspannen; wir sehen amerikanische Käufer auf dem Kontinent — sie gehören augenblicklich meistens den verschiedenen Zweigen der Textil⸗Industrie an —, welche unsere flübricapläg⸗ besuchen und dort im Allgemeinen zufrieden⸗ tellende Ordres geben. Es liegen uns ferner Berichte vor, welche keinen Zweifel darüber lassen, daß die verschiedenen Branchen — sie gehören namentlich der Metall⸗, Leder⸗ und Kurzwaarenindustrie an, welche Weihnachtsartikel fertigstellen — im Monat November volle Beschäftigung hatten. Unsere Gesammtaus⸗ fuhr nach den Vereinigten Staaten, dem größten Absatzgebiet unseres Waarenhandels, hat sich, wie die vorliegenden offiziellen Ziffern über unseren Export dorthin im letzten Fiskaljahre beweisen, wesentlich er⸗ weitert. Wir exportirten im Jahre 1886/87 für 352 Millionen Mark, das sind 31 Millionen Mark mehr als in der gleichen Periode des Vorjahres. Dieses Resultat ist ein in jeder Weise befriedigendes, es übertrifft z. B. die Ausfuhr des Jahres 1880/81 um fast 137 Millionen Mark. Wir sind jetzt mit 11,65 % am Import der Ver⸗ einigten Staaten betheiligt, während wir es im Jahre 1882 nur mit 7,78 % waren. Der Prozentantheil Großbritanniens ist in demselben Zeitraum erheblich zurückgegangen (1882: 26,99 %, 1887:23,84 „%), ebenso hat Frankreichs Antheil am Import abgenommen (1882:12,27 %, 1887: 9,84 %). Für unsere wirthschaftlichen Verhältnisse hat eine Verschiebung dadurch stattgefunden, daß wir die Zunahme unseres Exports ausschließlich der Vergrößerung des süd⸗ deutschen Verkehrs verdanken, während der norddeutsche sich verringert hat, derselbe ist für den norddeutschen Bezirk von 43 054 200 Doll. auf 40 487 473 Doll. zurückgegangen, während er in Süddeutschland von 33 533 844 Doll. auf 43 307 157 Doll. gestiegen ist. Der Ausfall für Norddeutschland ist auf die Ver⸗ minderung der Zuckerausfuhr zurückzuführen... Auch stimmen die Be⸗ richte, welche uns zugehen, darin überein, daß im übrigen Auslande die Absatzverhältnisse für uns immer schwierigere werden, eine Bemerkung, welche wir schon mehrfach zu machen Gelegenheit hatten und welche sich auch über den Geschäftsgang im soeben beendeten Monat nicht unterdrücken läßt. In unseren Nachbarländern macht sich eine Erstarkung der eigenen v. in Verbindung mit den immer höher gestellten Zollschranken unbedingt fühlbar. Unsere
Fabrikanten, welche in ihrer Mehrzahl immer noch von dem Bestreben
eleitet werden, ihre Leistungsfähigkeit durch große Produktion zu er⸗ höben, suchen den Ausfall durch Aufsuchung neuer Absatzgebiete wett zu machen. Dies gelinat aber nur in den wenigsten es handelt sich meistens um größere Exploitirung oder Neu zultivirung bereits bekannter Absatzländer; um auf diesen festen Fuß zu fassen sucht man sich gegenseitig durch billige Preisstellung zu übertreffen, eine Erscheinung, die sich im inländischen Verkehr ebenso bemerkbar macht. Der Detailhandel war im November nicht sehr lebhaft, wohl in Folge ungünstiger Herbstwitterurg, namentlich ist von einer Ein⸗ wirkung des Weihnachtsverkehrs auf den Detailhandel noch nichts zu merken. Was den Verkehr im Einzelnen betrifft, so haben die ver⸗ schiedenen Zweige der Textil⸗Industrie eine Abschwächung desselben im Allgemeinen zu verzeichnen gehabt. Besser soll. die chemische Industrie beschäftigt sein Der Pelzhandel was flau, die Luxuspapier⸗ fabrikation war gut beschäftigt, dasselbe gilt für Leder⸗ und Bronze⸗ waaren, für die Lampen⸗ und Neusilberfabrikation; auch Porzellan⸗ und Glasfabriken melden im Allgemeinen ziemlich lebhafte Thätigkeit.
— In der „Deutschen Volkswirthschaftlichen Correspondenz“ lesen wir: 8 M
Die Konkurrenz, welche die deutsche Industrie und deutscher Unternehmungsgeist in neuerer Zeit den Engländern machen, ruft zwei ganz drtiecen en wirkende Erscheinungen hervor. Die eine dieser Erscheinungen ist ein ungeheurer Neid, und, daraus ent⸗ springend, das Bestreben, deutsche Industrie, deutschen Handel und überhaupt alles, was deutsch ist, in der gehässigsten, um nicht zu sagen in der gemeinsten Weise herabzusetzen. Diese Art des Deutschenhasses tritt namentlich in den englischen Kolonien, u. A. in Australien, besonders stark auf. Zu welch ungeheuer⸗ lichen Blüthen dieser Trieb gelangt, beweist die Affaire des Nord⸗ deutschen Lloyddampfers „Preußen“, den bekanntlich der Chief- Medical-Inspector im Gegensatz zu den Angaben des Generalkonsuls Travers, als das schmutzigste Schiff bezeichnete, welches ver, jemals hätte untersuchen müssen. Nach dem Berichte unseres Konsuls hat der englische Arzt den Passagieren direkt gesagt: „Warum nahmen Sie Passage auf einem deutschen und nicht auf einem englischen Dampfer? Sie konnten kaum von dem ersteren etwas besseres erwarten“
Die andere Erscheinung, welche die zunehmende deutsche Kon⸗
kurrenz bei den Engländern hervorruft, kommt meist im Mutterlande zu Tage, und ist eine ehrliche Anerkennung der deutschen Ueberlegen⸗ heit in einzelnen Punkten, und daran anknüpfend das Streben, es den Deutschen in diesen Punkten nachzumachen. Das kam auch auf der Herbstversammlung der englischen Handelskammern zum Ausdruck. Namentlich ist es die bessere und gründlichere Vorbildung eines großen Theils unserer Kaufmannschaft, welche die Engländer für den Grund unserer Erfolge halten. Als den wich⸗ tigsten Verhandlungspunkt der Association of „Chamber of Commerce of the United Kingdom bezeichnete gleich in der Eröffnungsrede der Präsident die nöthige „bessere technische Erziehung aller in der englischen Industrie beschäftigten Klassen“. Er sei glücklich, zu sagen, daß man darin nicht blos Besseres leisten müsse, sondern bereits Besseres zu leisten versuche. Nach dem Hinweis auf die neuerliche Gründung verschiedener technischer Schulen hob er be⸗ sonders die unter der Präsidentschaft von Lord Hartington erfolgte Bildung einer Gesellschaft zur Förderung technischer Ausbildung durch das ganze Land hervor. Eine weitere Bewegung sei gleichfalls im Fort⸗ schreiten, betreffs welcher er besonders an die Versammlung appellire, nämlich die Bewegung zu Gunsten besserer kaufmännischer Erziehung — des speziellen Studiums kontinentaler und anderer fremder Sprachen. In Betreff dieser Fragen haben die Examinationsbehörden in Oxford und Cambridge ein Schema für die Erziehung im Handelsfach ausgearbeitet und den Handelskammern zur Begutachtung unterbreitet. Für Schottland ist in diesem Jahre bereits ein Gesetz über die technische Ausbildung erlassen; nun, meint der Präsident. dürfte es doch auch für Eng⸗ land nicht mehr lange auf sich warten lassen, zumal die gesetz⸗ eberischen Resultate der letzten Session auf wirthschaftlichem Gebiet böchst geringe seien. Darauf wurde folgende Resolution ein⸗ gebracht. — In Folge der wachsenden Konkurrenz fremder Länder habe diese Association (der englischen Handelskammern) das ganze Gebiet der kaufmännischen und technischen Erziehung in Betracht zu nehmen und die Regierung bei jeder praktischen Gesetzgebung zu unterstützen, welche unverzüglich dahin strebt, technische und Handelsschulen und Abendklassen zu errichten; ein Comité dieser Association soll eingesetzt werden, welche dieses in Verbindung mit der Association zur Förde⸗ rung der technischen und kaufmännischen Erziehung praktisch durch ahren soll In der weiteren Debatte wurde betont, daß selbst diejenigen Herren, welche vor wenigen Jahren nur mit der größten Schwierigkeit dahin gebracht werden konnten, an das Bestehen einer Gefahr für den englischen zu glauben, jetzt mit dem größten Eifer ans Werk gehen, „unseren Handel zu retten“. Sowohl in der technischen wie in der kaufmännischen Ausbildung habe man viel vom Auslande zu lernen. Die vorgeschlagene Resolution wurde einstimmig angenommen und das Comité gewählt. Bei dem allgemeinen Eifer ist sicher zu erwarten, daß die Engländer energisch vorgehen werden. Das darf hier zu Lande nicht vergessen werden, damit wir nicht durch Unthätig⸗ keit unseren kleinen Vorsprung einbüßen.
Eisenbahn⸗YVerordnungs⸗Blatt. Nr. 34. — Inhalt: Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten: vom 19. November 1887, betr. Verrechnung der Erlöse für entbehrliche Baumaterialien, Geräthe ꝛc.; vom 22. November 1887, betr. Prämien für die Er⸗ mittelung von Dieben, Bahnfrevlern, sowie für Abwendung betriebs⸗ gefährlicher Ereignisse. — Nachrichten.
Reichstags »Angelegenheiten
AAA““
Die VI. Kommission zur Vorberathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des Zolltarifs, hat sich folgendermaßen konstituirt: Vorsitzender: Abg. Frhr. von Lands⸗ berg⸗Steinfurt; stellvertretender Vorsitzender: Abg. Dr. Hammacher; Schriftführer: Abgg. Geibel, Hoffmann (Königsberg), Lucius.
Gewerbe und Handel.
Wegen Beschickung der Melbourner A usstellung 1888 /8 tagte am 29. November im Reichsamt des Innern eine Versammlung den verschiedensten Branchen angehöriger Industrieller, um zu erwägen, wie in energischer Weise das Interesse in weitere Kreise zu tragen sei. Es wurde eingehend besprochen, welche Beihülf von Seiten des Reichs zu erstreben wäre, dabei dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß für die Auͤsstellungsgüter auf den deutschen Bahnen freie Hin⸗ und Rückfracht bis und von dem Hafen erlang werde. Ferner wurde der Erwartung Ausdruck gegeben, daß der die Reichsunterstützung genießende „Norddeutsche Lloyd“ es als Ehrenpflicht ansehe, zu dem billigsten Frachtsatz und alle Güter gemeinsam zu transportiren. Nachdem eingehend die im Exportgeschäft gemachten Erfahrungen erörtert und interessante Mittheilungen aus eigener An⸗ schauung über Land und Leute in Australien gemacht worden, konnte der Reichs⸗Kommissar nur allseitiges Entgegenkommen und die Absicht der Industriellen, dieses nationale Werk zu fördern, fest⸗ stellen. Es wurde beschlossen, dahin zu wirken, daß für würdige Vertretung jeder Branche aus allen Theilen Deutschlands gesorgt werde. Welche Artikel noch dort Aussicht auf Absatz haben, werden wir demnächst mittheilen. Zu erwähnen ist noch, daß die Anmel⸗ dungen nur bis zu dem 24. Dezember angenommen werden können. Für Berlin wirkt die Vereinigung der 1879er und geben Hr. Kom⸗ merzien⸗Rath Fritz Kühnemann, Gartenstraße 21, Nachmittags 5 — 6 Uhr, Hr. L. P. Mitterdorfer, Kurstraße 18/19, Vormittags bis 10, Nachmittags 4—7 Uhr, mündlich jede Auskunft. Schriftliche An⸗
fragen werden von Ersterem umgehend beantwortet.