1888 / 309 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 07 Dec 1888 18:00:01 GMT) scan diff

111u

lich zu

fortdauernde einzelne Arbeiter gar nicht klar macht, geeignet sein möchte, Unzu⸗

irrationell sei, solche Kapitalien unbenutzt liegen zu lassen. Nun,

Grund des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs zusammenfließen werden. Nach unserer Rechnung wird in dem Beharrungszustand das angesammelte

machen wollen, daß es sich um weiter nichts als ein der Arbeiterwelt

gereichtes Almosen handelt.

Meine Herren, ich gehe jetzt weiter in meinem Vortrage und komme zu denjenigen Bedenken, welche laut geworden sind gegen das Aufbringung der erforderlich sind. Mittel der Arbeiter sollen, bein en. (Zurufe: nein!) Noch nicht? Gut! dann werden wir ja demnächst vernehmen, wie etwa die 1b Ich habe, wie gesagt, in den letzten Wochen aus den mir zugegangenen Zeitungsartikeln die Ueber⸗ weniger als eine einen ganz

Verfahren wegen

vorgeschlagene 1) der Rente

welche zur Gewährung Darüber, daß an der Aufbringung der selbst, der Arbeitgeber und das Reich scheint man sich inzwischen beruhigt zu haben.

von uns Mittel,

theilnehmen

Sache anders gemacht werden kann.

zeugung gewonnen, daß man Kardinalfrage behandelt, und daß man es als zweckmäßigen Aus⸗ und Aufbau behandelt, daß, bei der Krankenversicherung vorwiegend der Unfallversicherung ausschließlich der Arbeitgeber als Kontribuent er⸗ scheint, jetzt eine Dreitheilung unter Konkurrenz des Reichs vor⸗ genommen werden soll. „Dafür, daß das Reich mit einem Drittel betheiligt wird, sind die Gründe schon damals, als es sich auch um einen Reichsbeitrag zur Unfallversicherung handelte, ausreichend und erschöpfend dargelegt worden. Ich will nicht näher auf die Sache eingehen und nur darauf hinweisen, daß dieser Reichsbeitrag sich einmal aus der sozialpolit schen Bedeutung und aus den sozialpolitischen Vortheilen, die aus der Maß⸗ regel auch für das Reich entspringen werden, erklärt, und daß er andererseits ein Aequivalent dafür darstellt, daß der größte Theil der jetzt noch nothwendigen und auf den Kommunen und weiteren Kom⸗ munalverbänden lastenden Fürsorge für die nothleidende Bevölkerung wegfällt. Man hat es nun getadelt, daß wir in dem Entwurf für die Auf⸗ bringung der Beiträge des Arbeiters und des Arbeitgebers das Prämiendeckungsverfahren vorgeschlagen haben, und man möchte und dieser Wunsch ist mir namentlich aus industriellen Kreisen ent⸗ gegengetreten an Stelle dieses Verfahrens lieber das für die Unfallgesetzcebung vorgeschlagene Umlageverfahren wählen. Auch dieser Vorschlag, meine Herren, hat sehr lebhafte und sehr gewichtige Bedenken gegen sich. Es ist klar, daß, wenn wir das Umlage⸗ verfahren wählen, wir dann einen großen Tbeil der Lasten, die von Rechtswegen die Gegenwart zu tragen häͤtte, auf die Zukunft ver⸗ weisen; es ist klar, daß jedes prinzipielle Bedenken gegen das Umlage⸗ verfahren um so stärker ins Gewicht fallen muß, je mehr man das Umlageverfahren kumulirt. Wenn man aber insbesondere bei der Alters⸗ und Invalidenversorgung, die ja weitaus unter unseren sozialpolitischen Gesetzen den größten Aufwand erfordert, das Umlage⸗ verfahren wählt, so hat man in der That gar keine ausreichende Sicherheit, ob man die Rente zu solchen Zeiten wird bezahlen können, in denen wir Krieg, Seuchen oder wirthschaftlichen Niedergang haben. Es ist unmöglich eine Gewähr dafür zu geben, daß bei Annahme des Umlageverfahrens die Träger der Versicherung beispieleweise während eines unglücklichen Krieges im Stande sein werden, die Renten zu zahlen, auf deren Zahlung die bereits invalide gewordenen Arbeiter einen Rechtsanspruch haben. Außerdem kommt hinzu, das ist freilich nur eine geschäftliche Rücksicht daß Sie, wenn Sie das Umlageverfahren annehmen und damit also einen in jedem Jahre veränderlichen Beitrag, dann auch Marken baben müssen, welche einen veränderlichen Werth haben, und daß Sie damit wiederum das Er⸗ hebungsverfahren erschweren. Vor allen Dingen aber weise ich darauf hin, daß, wenn Sie das Umlageverfahren einführen, Sie dann denjenigen Arbeiter, weicher bei Einführung der Alters⸗ oder In⸗ validitätsversicherung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus⸗ übt und deshalb in das Versicherbngsverbältniß eintritt, in einer doppelten Weise begünstigen. Denn dieser Arbeiter hat, obwohl er erst in späterem und theilweise sehr hohem Lebensalter der Versicherung beitritt, einen vollen Anspruch auf Rente im Fall der Invalidität. Er zahlt also schon an sich nicht so viel wie derjenige Arbeiter, der in Zukunft ein ganzes langes Leben hindurch seine Prämien bezahlt haben wird; und diesen Arbeiter wollen Sie jetzt nun noch dadurch begünstigen, daß er nicht einmal den vollen versicherungs⸗ technischen Prämienbetrag für seinen Rentenanspruch blezahlen, sondern nur antheilig zu den relativ geringen Beträgen beitragen soll, welche für die Jahre seiner Beitragsleistung an Renten aufzubringen sind. Das, meine Herren, sind im Wesentlichen die sachlichen Gründe, welche uns dazu bestimmt haben, das Umlageverfahren nicht zu wählen. Für uns kommt aber auch noch ein politischer Grund hinzu. Es ist klar, daß mit dem Umlageverfahren die Beiträge, welche jähr⸗ zahlen sind, fortdauernd steigen. Wir fürchten wie ich glaube, nicht mit Unrecht daß diese Steigerung bis zu einem Ziele, das sich ja der

diese Frage

nachdem

friedenheit bei den Arbeitern hervorzurufen, indem dieselben alljährlich mehr zahlen müsser, ohne daß ihnen etwas Besseres und Sichereres in Aussicht gestellt ist, als es der Entwurf thut nach Maßgabe des Prämienverfahrens. 3 Man hat dem Prämien⸗Deckungsverfahren vorgeworfen, daß es zur Ansammlung großer Kapitalien führe, und daß es wirthschaftlich

meine Herren, unbenutzt bleiben ja diese Kapitalien nicht; sie werden angelegtk, sie werden zinsbar angelegt, und es wird sich viel⸗ leicht auch ein Modus finden lassen, um sie denjenigen Kreisen der wirthschaftlichen Thätigkeit, aus denen sie zusammengeflossen sind wieder speziell zu Gute kommen zu lassen. er einzige Einwand, den man meines Erachtens mit einigem Grund dem Prämienverfahren entgegensetzen kann, ist der, daß den wirthschaftlichen Thätigkeitsgruppen, also der Industrie und der Land⸗ M wirthschaft, schon von Anfang an größere Summen entzogen werden, die, wenn sie bei den Zahlungspflichtigen verbleiben, für andere wirth⸗ schaftliche Zwecke nutzbar gemacht werden können. Das ist richtig; indessen auch hier wird, glaube ich, die Erwägung Platz greifen, daß man sehr wohl einen Weg finden kann, diese Kapitalien denselben Kreisen, wenn auch vielleicht nicht dem einzelnen Individuum, das für seine Arbeit beigesteuert hat, wieder nutzbar zu machen. b

Soviel über das Umlageverfahren und das Kapitaldeckungs⸗ verfahren. Ich will nur noch hinzufügen, daß der Einwand der An ammlung größerer Kapitalien auch um deswillen nicht recht stich⸗ haltig ist, weil bis jetzt aus der Ansammlung von Kapitalien, die bei den Sparkassen belegt sind und bei den milden Stiftungen, Kirchen u. s. w. große wirthschaftliche Nachtheile nicht erwachsen sind, gleichwohl aber diese Kapitalien viel bedeutender sind als diejenigen Beträge, welche auf

Kapital etwa 2 ½ Milliarden betragen. Wenn man damit vergleicht, was in Deutschlund allein bei Versicherungsanstalten und bei Spar⸗ kassen angesammelt und zum Theil nicht einmal zinsbar belegt ist, und wenn man hört, daß diese Summen über 5 Milliarden betragen, und daß dabei noch garnicht in Berechnung gezogen ist, was alles bei Kirchen, milden Stiftungen ꝛc. angesammelt ist, so, glaube ich, fällt die Summe, die wir hier bei der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung zusammenbringen, nicht wesentlich ins Gewicht.

Meine Herren, ich komme nun zu einer sehr wichtigen Frage, zu der Organisationsfrage. Die Herren wissen, daß wir, als es an die Berathung des Unfallversicherungsgesetzes ging, einen besonderen Werth darauf gelegt haben, daß zu Trägern der Unfallversicherung Korporationen gemacht werden möchten, welche die verschiedenen Berufszweige zusammenfassen. Dieser Gedanke war bereits in der Allerhöchsten Botschaft vom November 1881 ausgesprochen. Man hat es uns nun zum lebhaften Vorwurf gemacht, hat uns der In⸗ konsequenz geziehen und hat sich sogar soweit verstiegen, zu sagen, die berufsgenossenschaftliche Organisation der Unfallversicherung und die 1 dee der November⸗Botschaft habe offenbar Bankerott gemacht als man bemerkte, daß wir in dem vorliegenden Entwurfe besondere Versicherungsanstalten, welche sich an die weiteren Kommunalverbände

Arbeiter, bei der

würde, wenn die berufsgenossenschaftliche Organisation gewählt würde.

dieses Organisationsmodus entgegensteben. Meine Herren, es ist etwas Anderes um die Alters⸗ und InvaliditätsversicherungI und um die Unfallversicherung. Bei der Unfallversicherung ist es gegeben, daß sich die Versicherung an den Beruf anschließt, und es ist naturgemäß, daß die zu einem bestimmten Beruf gehörenden Betriebszweige zu einer Korporation vereinigt werden, um als Träger der Unfallver⸗ sicherung ins Leben zu treten. Anders liegt die Sache hier, und sie liegt um so mehr anders, als wir bekanntlich die Unfallversicherung noch nicht auf die gesammte Arbeiterbevölkerung ausgedehnt haben und als es uns an der Mög⸗ lichkeit fehlt, den Rest durchweg berufsgenossenschaftlich zusammen⸗ zufassen. Das ist einfach nicht möglich. Wir hatten deshalb auch schon in den Grundzügen als subsidiäre Träger der Versicherung für alle diejenigen Personen, welche Berufsgenossenschaften nicht angebören, die weiteren Kommunalverbände in Aussicht genommen. Daß das ein Verlassen des Prinzips der Allerhöchsten Botschaft ist, davon kann gar keine Rede sein: Eines schickt sich nicht für Alle. Und selbst wenn wir dies Prinzip verlassen hätten, was wir nicht gethan haben, so würde ich auch darin keinen Gegenstand des Vorwurfs er⸗ blicken können; dann wäre es eben die bessere Erkenntniß, die uns im Laufe der Zeit gekommen ist, die uns zu diesem abweichenden Ver⸗ fahren den Muth gegeben hat. Nun ist klar und das verkennt auch die Königlich preußische Regierung nicht —, daß es, wenn man einmal die Kommunal⸗ verbände zu subsidiären Trägern der Versicherung macht, im Interesse der geschäftlichen Vereinfachung und der Erleichterung der ganzen Entwickelung der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung den Vorzug verdient, an diese weiteren Kommunalverbände überhaupt die Versicherung anzuschließen. Sie hat deshalb keinen Anstand genom⸗ men, bei der Schlußabstimmung im Bundesrath sich auf die Seite ihrer hohen Verbündeten zu stellen, und dieser Beschluß ist, wie ich weiter vermelden kann, im Bundesrath ein einstimmiger gewesen. Man hat nun noch andere Vorschläge gemacht, und es scheint mir, daß einer von diesen Vorschlägen, nämlich der Vorschlag, die Krankenkassen zu Trägern der Versicherung zu machen, in weiten Kreisen als ein prakti⸗ kabler angesehen wird. Ich muß offen gestehen: so lange und so reiflich ich mir diesen Vorschlag überlegt habe, so ist es mir doch nicht gelungen, die Durchführbarkeit dieses Vorschlages einzusehen. Die Sache liegt meines Erachtens nämlich sehr einfach. Unter allen unseren sozialpolitischen Gestaltungen ist die Krankenkasse der veränderlichste Körper, den wir baben. Heute entstehen Krankenkassen ich will dabei ganz absehen von den Fabrikkrankenkassen, die natürlich mit dem Einstellen der Fabrikthätigkeit ihr Ende finden; ich will absehen von den Baukrankenkassen, die mit der Beendigung des Baues aufgelöst werden aber abgesehen davon, bei den konstanteren Krankenkassen, bei den Orts⸗ krankenkassen, ist ja der Wechsel ein gar nicht seltener und durch die Natur der Dinge gegeben. Eine Ortskrankenkasse wird an einem be⸗ stimmten Orte gebildet für eine ganze Gruppe der gewerblichen Ar⸗ beiter; im Laufe der Zeit, vielleicht in einer sehr kurzen, entwickelt sich innerhalb dieser Gruppe der gewerblichen Arbeiter ein bestimmtes Gewerbe, in welchem eine größere Zahl von Arbeitern beschäftigt ist; es wird infolge dessen eine besondere Kasse für dieses Gewerbe er⸗ richtet. Später, im Laufe der Zeit, wird diese Kasse als nicht lebens⸗ fähig erkannt, die Theilnahme nimmt ab, dann nird sie aufgelöst, der Rest kommt wieder zu der allgemeinen Krankenkasse. Sie sehen, meine Herren, aus diesen kurzen Anführungen, daß ich Recht habe, wenn ich sage, die Krankenkasse ist ein außerordentlich veränderliches Element auf dem Boden unserer sozialpolitischen Gesetze. Ein so veränderliches Element aber zum Träger der Versicherung zu machen, das würde meines Erachtens die allerlebhaftesten Bedenken gegen sich haben, abgesehen davon, daß die Schwierigkeit der Aus⸗ einandersetzung in dem häufig eintretenden Fall einer Veränderung eine ganz enorme sein würde. Man hat davon gesprochen, man könne ja die Krankenkassen zu bestimmten Verbänden gruppiren, zu Territorialverbänden. Dann aber gewinnen Sie auch nichts Anderes, als was Sie jetzt haben. Sie haben jetzt auch einen Territorialverband, und einen solchen, der den Vorzug hat, daß er alle Theile der arbeitenden Bevölkerung in sich begreift, während Sie nach der Krankenkassenorganisation auch jetzt noch eine ganze Reihe von Mitgliedern arbeitender Klassen haben, die einer Krankenkasse nicht angehören; für diese müssen Sie also doch eine besondere Organisation treffen. Nun komme ich zu der vierten Möglichkeit, welche bezüglich der Organisation aufgestellt ist; das ist die Reichsanstalt. An sich ist der Gedanke, dieses große sozialpolitische Unternehmen einer Central⸗ anstalt zu unterstellen, welche für das ganze Reich die Leitung und Durchführung übernimmt, gewiß ein verständlicher und ein diskutabler. Allein auch der Durchführung dieses Gedankens stehen doch nicht un⸗ wesentliche Schwierigkeiten entgegen. Ich will zunächst davon absehen, daß die Neigung, einer solchen Reichsanstalt das Versicherungswesen unterstellt zu sehen, im Deutschen Reich doch nicht überall eine sehr bemerkbare ist. Ich will nur sagen, daß, wenn wir eine solche Reichsanstalt für diesen Zweck gründen, dann eine außerordentlich verzweigte und auch kostspielige Durchführung der Organisation nothwendig wird. Die Sache ist meines Erachtens nur auf dem Wege folgender Alternative zu machen: Entweder man bestellt für die Durchführung der Versicherung unter ciner Reichsanstalt Reichsbeamte in allen Theilen des Deutschen Reichs und das würde eine recht große Zahl werden —, oder man verpflichtet die Landesregierungen, durch ihre Organe das Lokalgeschäft zu besorgen und also auch in Bezug auf dieses Geschäft die Anweisungen der Reichsbehörde entgegenzunehmen und zu befolgen. Beides wird nicht billig werden; und das eine wird, wie ich glaube, hier und da als recht unbequem empfunden werden. Wenn wir jetzt noch eine Rechtfertigung für unser Verfahren bedürfen, so glaube ich, einfach darauf hinweisen zu können, daß die Kommunal⸗ verbände, die wir gewählt haben, sich schon auf einer ganzen Reihe von Verwaltungsgebieten bewährt haben. Sie werden die Geschäfte, um die es sich hier handelt, mit Sachkunde und dem Zweck ent⸗ sprechend verwalten; es wird verhältnißmäßig die billigste Organisation, namentlich die billigste Organisation im Interesse der Versicherten. Ich fürchte nicht, daß wir, wenn Sie diesen Organisationsplan ge⸗ nehmigen, damit schlechte Erfahrungen machen werden. Ich will mir noch einige Worte über das Verfahren gestatten. Gegen das Verfahren rücksichtlich der Feststellung der Invalidität gegenüber dem. Antragsteller, der Invalidenrente begehrt, wird wohl kaum Wesentliches zu erinnern sein. Der Feststellungsmodus, wie ihn der Entwurf vorsieht, ist ein gegebener; dagegen hat man die lebhaftesten Bedenken, namentlich von sozialdemokratischer Seite, ge⸗ äußert gegen das Markensystem und gegen das Quittungsbuch. „Meine Herren! Das Markensystem haben wir nach langen Er⸗ wägungen als dasjenige System erkannt, welches die Thatsache der Leistung eines Beitrages und ohne Beiträge kommen wir ja nicht ab am einfachsten und bequemsten nachweist. Wollen Sie an Stelle der Marken irgend ein anderes Mittel, wollen Sie besondere Quittungen haben, wollen Sie Stempel haben, die in die Bücher eingedrückt werden darüber wird sich reden lassen. Bequemer, wie mit Marken, die an einer Reihe von Stellen käuflich zu haben, also sehr leicht zu beziehen sein werden, werden Sie es, glaube ich, kaum machen können. Was nun aber die so sehr verabscheuten Quittungsbücher anlangt, so glaube ich, daß bei den Angriffen auf dieses Quittungsbuch auch ein gutes Theil politischer Tendenz mitspricht. Meine Herren, daß es uns fern gelegen hat, das Quittungsbuch zu einem Arbeitsbuch gestalten zu wollen, mit diesem Quittungsbuch die Gelegenheit für jeden Arbeitgeber eröffnen zu wollen, Bemerkungen, die er über die Führung des Arbeiters zu machen hat, in offenen oder versteckten Zeichen in das Quittungsbuch einzutragen, das, meine Herren, haben Sie aus den verschiedenen Kundgebungen, die in dieser Beziehung von Seiten der Regierung ergangen sind, ersehen. Sie sehen es auch aus einer unbefangenen Prüsung der Vorschriften dieses Entwurfs,

berie v. sollen, zu Trägern unserer Versi zerung machen wollen.

stebe nicht an hier mitzutheilen, däß die von mir vertretene

Königlich preußische Regierung auh heute noch es gerne sehen Sie verkennt aber keineswegs die Bedenken welche der Annahme

positiv verboten, das Quittungsbuch zu irgend etwas Anderem zu be⸗ nutzen, als zur Einklebung der Marken; jeder Vermerk anderer Art ist untersagt, er ist unter Strafe gestellt. Jedes Quittungsbuch, in dem sich em solcher Vermerk befindet, muz sofort von der Behörde, in deren Hände es kommt, kassirt werden, es muß ein neues Quit⸗ tungsbuch ausgefertigt werden. Ist nun aber schon nach diesen Be⸗ mertungen kaum die Möglichkeit eines Mißbrauchs der Quit⸗ tungsbücher eröffnet, so frage ich andererseits, wie sollen die Mißstände vermieden werden, welche damit verknüpft sind, wenn man etwas Anderes als dieses Quittungsbuch zur Unterlage für den Beweis der geschehenen Zablung gebraucht? Der Beweis der geschehenen Zahlung muß meines Erachtens geführt werden, denn Sie können nicht. jedem 70 Jahre alten Manne oder Jedem, der sich als Invalide ausweist, eine Rente geben, ohne in Berücksichtigung zu ziehen, wie lange und in welcher Thätigkeit er als Versicherter zu den Lasten der Versicherungsanstalt beigetragen bat. Wollten Sie das thun, wollten Sie diese Rücksicht außer Acht lassen, meine Herren, dann beschließen Sie eine Prämie auf die Faulheit und auf die Vagabondage. Sie müssen also einen Beweis haben. Nun haben sich die gelehrtesten Leute die Köpfe darüber zerbrochen, wie dieser Beweis zu führen ist. Man kann ihn gewiß auf mannigfache Weise führen. Jede Unterlage aber für die Beweisführung führt erhebliche Mißstände mit sich. Ich erinnere nur daran: Man hat besondere Quittungen geben wollen. Wie will man unserer Arbeiterbevölkerung zumuthen, diese einzelnen Quittungen aufzuheben, um vielleicht nach 30, 40, 50 Jahren die Quittungen einmal beizubringen, um dann sagen zu können: So lange habe ich beigetragen, ich muß in Folge dessen eine bestimmte Rente haben. Das ist etwas absolut Unmögliches. Wenn es nach meinen Wünschen gegangen wäre, so hätte ich das Quittungsbuch überhaupt nur auf die Dauer eines Jahres gelten lassen, damit, wenn der Arbeiter das Quittungsbuch verliert, er nur um den Beitrag eines Jahres geschädigt wird. Da hat man mir indessen eingeredet, daß dies eine so große Last für die Behörden sei, daß die Anrechnung der jäbrlichen Quittungsbücher und die Ueber⸗ tragung in die neuen Quittungsbücher so viel Mühe verursachen werde, daß man hiervon absehen müsse.

„Man hat einen anderen Vorschlag gemacht, man hat gesagt: es muß für jeden Arbeiter ein Konto bei der betreffenden Versicherungsanstalt geführt werden, und da müssen die Beiträge, die er geleistet hat, ein⸗ getragen werden; dann hat er nur nötbig, sich, wenn er invalid wird, an die Stelle zu wenden, wo dieses Konto geführt wird, und dann wird durch dieses Konto der Nachweis der Zahlung seiner Prämie er⸗ bracht. Meine Herren, wie ist es bei der Ausdehnung, die unsere gesetzliche Freizügigkeit gewonnen hat, möglich, einem Arbeiter, der ein langes Arbeiterleben hindurch an vielleicht 20, 30, 40 ver⸗ schiedenen Orten gearbettet hat, der vielleicht kaum sich erinnert, wo er angefangen hat, versicherungepflichtig zu werden, zuzumuthen, die in solchem Falle nöthige Korrespondenz zu führen? Und wie soll sie für ihn geführt werden nach einem bestimmten Orte hin, wo er zuerst gearbeitet hat, als er in die Klasse der Versicherten eingetreten ist? Ich halte das für absolut unmöglich. Bringen aber diejenigen Herren, welche sich für Unschädlichmachung der Quittungsbücher interessiren, Vorschläge für noch größere Garantien gegen den Mißbrauch der Quittungsbücher bei, als sie der Entwurf enthält, so bin ich sehr gern bereit, auch darüber mit ihnen in Verhandlung zu treten. 8 Meine Herren, ich habe Ihre Geduld und Zeit schon lange genng in Anspruch genommen. Ich getröste mich mit der Zuversicht, da mir ja in den nächsten Monaten noch reichlich Gelegenheit gegeben werden wird, über diese Materie mit Ihnen zu reden, und ich komme deshalb zum Schluß.⸗ G Mieine Herren, Sie haben es, wie ich schon vorhin bemerkte, mit einer Vorlage zu thun, die keineswegs den Anspruch darauf erhebt, daß sie die absolut beste Lösung des gesetzgeberischen Problems, das uns vorliegt, enthält. Wir werden, wenn man uns etwas Bessere kringt, es gern auf seine Durchführbarkeit prüfen, und wir werden e 5 wir uns von der besseren Qualität überzeugen, auch gern ar nehmen.

Gehen Sie mit uns in demselben Geist an die Arbeit, in welchem

leiten, daß es ein großes Werk ist, ein in der Geschichte zwar vielfach

Ihre Arbeit gilt.

Hätte der große unvergeßliche Kaiser, dem Deutschland die Ge⸗ danken der November⸗Botschaft verdankt, die Erfüllung dieses Planes erleben können, so würde Ihm damit und das darf ich versichern aus mannigfachen Kundgebungen mir gegenüber —, so würde Ihm da mit die größte Freude Seines Lebens geworden sein. Sein in Gott ꝛuhender Nachfolger, der edle Kaiser Friedrich, war von demselben Gedanken getragen, deß sind Seine März⸗Kundgebungen Zeugniß; und des jetzt regierenden Kaisers Majestät ersehnt mit Seinen bohen Verbündeten die Vollendung dieses Werks, von dem wir die Stärkung des inneren Friedens des Landes, die Förderung der wirthschaftlichen und staatlichen Wohlfahrt des Reichs erhoffen und das, so Gott will, eines der schönsten Ruhmesblätter in der Geschichte der Entwickelung des deutschen Vaterlandes sein wird. Lassen Sie sich, meine Herren, bei den Berathungen, in die wir ernst und eifrig eintreten wollen, von der Devise leiten: Liebet die Brüder! . Abg. Grillenberger: Es handele sich allerdings um einen wichtigen Akt der Gesetzgebung. Die Sozialdemokraten seien bereit, in die Berathung der Vorlage mit vollstem Ernst ein zutreten, sie seien keineswegs Gegner des Gedankens dieser Vorlage, sondern wünschten nur, daß etwas wirklich Brauch bares daraus hervorgehe. Der Gedanke sei übrigens durchaus nicht neu, sondern schon auf dem Arbeitertage zu Nürnberg 1868 und in Berlin bereits 1849 von der Schumann’'schen Porzellanmanufaktur angeregt worden. Die große Wichtigkeit der Vorlage fänden die Sozialdemokraten nicht in dem, was sie biete, sondern darin, daß sie die Möglichkeit gebe, einmal das Maß der Arbeiterfreundlichkeit der herrschenden Klasse an praktischen Vorschlägen zu ermessen. Vor ganz kurzer Zeit erst habe der Bundesrath eine Anzahl von Vorschlägen des Reichstages, die sich auf einige recht untergeordnete Punkte der Arbeiterschutzgesetzgebung bezögen, abgelehnt, ohne etwas Anderes dafür in Aussicht zu sallen, und der Reichskanzler habe sich ausdrücklich als Feind einer konsequent durchgeführten Sonntagsruhe erklärt. Ein besonderes Vertrauen könnten des⸗ halb die arbeitenden Klassen den Gesetzgebern und den herr⸗ schenden Klassen nicht entgegenbringen. Rechne man dazu, was auf politischem und steuergesetzlichem Gebiete fortgesetzt gesündigt werde, so habe man keine Ursache, zu behaupten, daß die Animosität der Arbeiter gegen das vorliegende Gesetz auf den Einfluß der Führer zurückzuführen sei. Es sei ja einiger guter Wille vorhanden, etwas zu thun, aber man wolle den Pelz waschen, ohne ihn zu naß zu machen; um des Himmels willen nur nicht zu fic in die Taschen greifen, das sei der leitende Gedanke. Andererseits sei ein so großes Maß von Konfusion in der Vorlage vorhan⸗ den, daß die Herren, die sie ausgearbeitet und die, die sie mit Begeisterung begrüßt hätten, äußerst wenig davon verstehen müßten, wie es wirklich mit der Lebenshaltung der Arbeiter aussehe und was ihnen noth thue. Denn sonst könnten sie nicht konsequent den für dieses Gesetz durchaus falschen Aus⸗ druck „Sozialreform“ gebrauchen. Darunter sei nur zu ver⸗ stehen: Steigerung des Antheils der Arbeiter an dem Ertrag der nationalen Arbeit; diese Gesetzgebungsversuche aber be⸗ wegten sich auf dem Wege einer, wenn auch veränderten

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wie sie in §. 90 und folgenden enthalten sind. Meine Herren, es ist

Armenpflege. Speziell dieser Auffassung wegen habe der Minister von Verführern der Arbeiter 5 Es

wir dieselbe aufgenommen haben, und lassen Sie sich von dem Gedanken

ersehntes, aber noch nie zur Durchführung gebrachtes Werk, dem auch

höre sich sonderbar an, wenn Männer wie Brentano, Schäffle, Dr. Platter, Dr. van Borght hier von der Tribüne des Reichstages herab vom Minister als Verführer gestempelt würden; denn sie hätten hauptsächlich jenen Standpunkt vertreten. Der Minister habe freilich die bösen sozialdemokratischen Agitatoren im Auge gehabt, die aber gar nicht zuerst auf jenen Einfall gekommen seien. Habe seine Partei bei Berathung der früheren sozialpolitischen Ge⸗ setze stets den Nützlichkeitsstandpunkt eingenommen, so müßten hier auch politische Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden, schon damit die Begriffe, die sich an die ““ knüpften, nicht verdunkelt würden. Eine solche Verdunkelung sei es, von einer Krönung des Gebäudes der Sozialreform zu reden, während nur eine andere Eintheilung der Armenpflege vorliege. Wenn das Krankenkassengesetz nicht viel werth sei, weil es alte gute Organi⸗ sationen zerstört habe und nicht ausreichend für die Arbeiter sorge, und das Unfallversicherungsgesetz durch die Art der Or⸗ ganisation und durch die Art, wie man bei der Ausführung den herrschenden Klassen die Zügel schießen lasse, für den Ar⸗ beiter nicht nützlich sei, weit mehr seien diese beiden Gesetze denn doch werth als das hier projektirte Gesetz, und man solle es ihnen nicht anthun, diese Gesetzesmache als die Krönung der vorausgegangenen Gesetze zu bezeichnen. Es wäre des⸗ halb am wünschenswerthesten, wenn dieses Gesetz einer Kom⸗ missionsberathung überhaupt nicht unterzogen, sondern von vornherein abgelehnt würde, und zwar nicht aus den Gründen, die Hr. von Bennigsen und Hr. von Boetticher den Soziardemo⸗ kraten neulich zu imputiren gesucht hätten, sondern weil aus diesen Grundlagen etwas Brauchbares nicht hervorgehen könne, sie dies aber dringend wünschten. Die „Grundzüge“ schon hätten das Erstaunen der Arbeiterwelt erregt, noch mehr die Umarbeitung, und der vorliegende, nochmals umgearbeitete Entwurf habe sie erst recht enttäuscht. Die Motive zum Unfallversicherungsgesetz sollten in einem Arbeiterblatt falsch citirt sein. Es heiße in den Motiven aber wörtlich: „in Wahrheit handelt es sich um eine Weiterentwickelung der Idee, welche der Armenpflege zu Grunde liegt.“ Er vermöge zwischen diesen Worten und den Ausführungen jenes Blattes einen Unterschied nicht zu entdecken. Die Armenpflege solle nur anders eingerichtet, namentlich die Lasten anders vertheilt werden. Gegenwärtig trage die Ge⸗ sammtheit bei, dis Arbeiter in Gestalt der indirekten Steuern. Nun sollten die Arbeiter in Form der Prämien bei der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung noch besonders herangezogen werden. Auf den Mangel einer Wittwen⸗ und Waisenversor⸗ gung sei Hr. von Boetticher gar nicht eingegangen. Dieselbe befinde sich bereits in einigen Einzelstaaten für besondere Kategorien von niedrigen Beamten; z. B. bei der bayerischen Eisenbahnbediensteten⸗Pensionskasse. Die Motive zur Vor⸗ lage seien so ausführlich, daß man meinen müßte, es könnte eigentlich gar nichts dazu mehr geltend gemacht werden. Die Ausführlichkeit scheine aber lediglich den Herren von den regierungsfreundlichen Parteien, die zu der Vorlage das Wort ergreifen wollten, die Mühe erleichtern zu sollen; man könne darnach leicht eine hübsche Rede halten. Die Hauptbeschwerdepunkte für die Sozialdemokraten seien die Art der Organisation, die Art der Vertheilung der Beiträge, der späte Beginn der Altersversorgung, die Niedrigkeit der Rente, die zweckwidrige und widersinnige Ansammlung des Kapitals, der Begriff der dauernden Erwerbsunfähigkeit, der Mangel einer Rückvergütung an die Arbeiter, die austräten, das Quittungsbuch und noch verschiedene andere Kleinig⸗ keiten. Die Umarbeiter der „Grundzüge“ verdienten dafür Dank, daß sie wenigstens auf den Wunsch der Arbeiter ein⸗ gegangen seien, die Berufsgenossenschaften nicht mit der Durch⸗ führung dieses Gesetzes zu betrauen. Die Berufsgenossenschaften genössen dazu zu wenig das Vertrauen der Arbeiter; sie seien nichts Anderes, als Organisationen der Unternehmer und großen Kapitalisten, und durch das Umlageverfahren werde dem Klassenegoismus der ausbeutenden, besitzenden Klassen aller mögliche Vorschub geleistet. Um möglichst wenig Um⸗ lage zahlen zu müssen, seien überall, wo die Fest⸗ setzung der Unfallrente dem freien Ermessen unterliege, so niedrige Renten bezahlt worden, daß das Vertrauen der Arbeiter völlig geschwunden sei, namentlich gelte dies von Fällen theilweiser Erwerbsunfähigkeit. Der für Ent⸗ schädigung theilweis erwerbsunfähig gewordener Arbeiter auf⸗ gestellte Tarif sei so barbarisch, daß die Arbeiter mit Händen und Füßen sich wehren würden, daß den Berufsgenossen⸗ schaften weitere Befugnisse übertragen würden. Ein Artikel aus der Zeitschrift „Die Berufsgenossenschaft“ von einem gewissen Wenzel schwärme allerdings für die Verbindung der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung mit den Berufs⸗ genossenschaften, weil die Grenze zwischen Unfall und Inva⸗ lidität häufig zu schwer zu ziehen sei. Allen den dort vor⸗ gebrachten Schwierigkeiten könnte man aus dem Wege gehen, wenn man das Reichs⸗Versicherungsamt auch als höchste Berufungsinstanz für Invaliditätsfälle ein⸗ richtete. Der Artikel schlage dann weiter für die Arbeiter das Prämienverfahren vor, während für das Reich und die Unter⸗ nehmer das Umlageverfahren gelten solle. Füng⸗ dies durch, so würde man sich wahrscheinlich bemühen, möglichst viel von der Unfallversicherung ab⸗ und der Invaliditätsversicherung aufzuwälzen, damit die Arbeiter allein zu zahlen hätten. Schon damit diese Ungerechtigkeit nicht eintrete, sei seine Partei gegen den Anschluß an die Berufsgenossenschaften. Sie würde vor⸗ schlagen, als Unterabtheilungen des Reichs⸗Versicherungsamts sog. Kommunalverbände zu bilden, aber nicht wie in der Vorlage, sondern gewissermaßen Filialen des Reichs⸗Versicherungsamts, in ähnlicher Weise, wie die Filialen der freien Hülfskassen organisirt seien. Die Verschiedenartigkeit der Beiträge der Ortsklassen solle nach der Vorlage durch ein Rechnungsver⸗ fahren ausgeglichen werden. Die Sache werde sehr vereinfacht, wenn man solche Filialen oder die Krankenkassen als niedrigste Träger annehme. Das Markensystem sei in Folge der An⸗ nahme der fünf verschiedenen Ortsklassen zudem ungleich kom⸗ plizirter geworden. Durch das Marken⸗ und gegenseitige Verrechnungssystem würde die Verwaltung des Versicherungs⸗ wesens noch kolossaler werden, als jetzt bei der Unfallversiche⸗ rung. Nach dem Vorschlag der Sozialdemokraten würde das Verrechnungswesen wegfallen, weil die gesammten Gelder an die Centralstelle abgeliefert würden. Seien nun in irgend einer Filiale mehr zu Unterstützende vorhanden als Geld in derz dortigen Kasse sei, so werde aus der Centralkasse einfach der Zuschuß gezahlt. Wenn die Krankenkassen einschließlich der lokalen und centralisirten freien Hülfskassen denn diese hätten das Recht, in allen Organisationsfragen ebenso gefragt zu werden, wie die sogenannten organisirten Kassen verwalteten, dann koste

Elberfeld habe ausdrücklich beschlossen, daß die Krankenkassen, wie in der Lage, so bereit seien, die ganze Arbeit der unteren Verwaltungsorgane zu übernehmen. Bei Kommunalverbänden werde ein Kommunal⸗ oder Staatsbeamter mit der Arbeit aller⸗ dings betraut werden müssen, aber die Kontrole durch den Ausschuß oder Vorstand oder Verwaltungsrath geübt werden, der zu gleicher Hälfte aus Unternehmern und Arbeitern zusammengesetzt sei, der aber selbstverständlich aus freien Wahlen hervorgehen müsse. Einerseits wolle man die Krankenkassen mit der Sache gar nicht befassen, andererseits räume man den Vor⸗ ständen der Zwangskassen, die mit der Sache sonst nichts zu thun hätten, das Wahlrecht ein. Diesen Widerspruch könnte er sich nicht erklären, wenn er nicht wüßte, wie man über das Wahlrecht der Arbeiter in den Kreisen der Urheber dieses Entwurfs denke. Man sträube sich bekanntlich aus dem gleichen Grunde gegen die Einführung der gewerblichen Schiedsgerichte. Bei der bayerischen Eisenbahn⸗ bediensteten⸗Pensionskasse sei dem Arbeiter das Wahl⸗ und Verwaltungsrecht in ziemlich weitem Sinne gewährt. Ebenso gut könnte man es bei der Reichs⸗Versicherungsanstalt auch. Was die Art der Vertheilung der Beiträge anlange, so gehe ihm der Reichszuschuß nicht weit genug. Die arbeitenden Klassen seien in den letzten Jahren durch die indirekten Steuern ohnehin schon weit über ihre Kräfte hinaus heran⸗ gezogen worden. Man habe deshalb auch in Preußen eine Anzahl der niedrigsten Steuerklassen von der Steuer befreit. In Konsequenz dessen sei seine Partei der Ansicht, daß auch bei der Alters⸗ und Invalidenversicherung die untersten Klassen frei gelassen werden sollten. Bis zur Einnahmehöhe von 700 sollte der Beitrag nicht von den Arbeitern, sondern von dem Reich getragen werden. Im Uebrigen sei seine Partei mit der Art der Vertheilung einverstanden. Ein weiterer Punkt, gegen den sie sich wenden, sei der späte Be⸗ ginn der Altersversicherung. Hr. von Boetticher meine zwar, daß die Lasten bei einer Herabsetzung der Altersgrenze erheblich größer würden. Die statistischen Berechnungen der Vorlage beruhten aber auf durchaus unzureichendem Material, auf will⸗ kürlichen Schätzungen. Man habe sich Eisenbahnbeamte, einen Theil der Eisenbahnarbeiter und die Bergarbeiter berausgesucht und dan Zahlen zurechtgebaut. Diese statistischen Klopfgeister könnten mit ihrer Arbeit ihm ganz und gar nicht imponiren. Aber selbst wenn die Zahlen richtig wären, so würden die Arbeiter gern ein Drittel mehr bezahlen, um in den Besitz einer ordentlichen und früheren Rente zu gelangen. Gewundert habe er sich, daß Hr. von Boetticher so warme Worte für die Altersversicherung hätte, während er im Volkswirthschaftsrath und hier im Hause im vorigen Jahre sie nur als eine Art dekoratives Beiwerk für das Versicherungswesen dargestellt habe, das man nur beibe⸗ halten, weil man gebundene Marschroute gehabt habe, d. h. weil in der Kaiserlichen Botschaft die Altersversicherung mit betont sei. Dann sollte sie aber wenigstens auf der Grundlage jener bayerischen Pensionskasse errichtet werden, welche eine Bestimmung enthalte, wonach Mitglieder, welche 65 Jahre alt seien und 30 Jahre der Kasse angehört hätten, des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit nicht bedürften, um die höchste Invaliditätsrente zu erhalten. Jedenfalls müsse mit der Altersbestimmung heruntergegangen werden; selbst das 65. Jahr sei noch zu hoch gegriffen. Ein Privat⸗Versicherungs⸗ verein in Nürnberg für alle Berufsklassen zahle bei denselben Beiträgen, wie sie das Gesetz wolle, schon vom 56. Jahre etwas über 300 Hier sei also das 56. Jahr als die Grenze bezeichnet, wo die Arbeitskräfte derart nachließen, daß Pension nothwendig sei. Das Allermindeste wäre das 60. Lebens⸗ jahr. In den Grundzügen sowohl wie in der ersten Vor⸗ lage sei eine einzige gleichmäßige Altersrente von 120 festgesetzt, eine Summe, die zugleich als Anfangsrente für Invalidität angenommen gewesen sei. Bei der Begründung sei darauf hingewiesen, daß dieser Betrag zur Bestreitung des nothdürftigsten Lebensunterhaltes an einem billigen Orte dienen sollte, wozu er aber keineswegs ausreiche. Für die

Wenn der Minister die Kosten für diese auf jährlich 55 pro Kopf berechnet habe, so sei damit nur gesagt, daß die Armenpflege ihre Aufgabe auch nicht erfülle. In der bayerischen Armengesetzgebung werde es als Auf⸗ gabe der Armenpflege hingestellt, den ganz oder theilweise erwerbsunfähigen Personen zu Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung und Pflege zu verhelfen, wozu aber 55 wohl bei Weitem nicht ausreichen würden. Wenn die Kosten der Armenpflege im Deutschen Reich sich wirklich so niedrig be⸗ mäßen, dann liege es daran, daß in Preußen die Armen⸗ pflege geradezu unter aller Kritik sei. In Bayern würden dafür pro Kopf und Woche 2 an baarem Gelde ausgegeben, wozu noch Wohnung, Heizung u. s. w. kämen. Der Durch⸗ schnittssatz der bayerischen Armenpflege sei höher, als das, was durch vorliegendes Gesetz dem Arbeiter geboten werde. Gegen die einheitliche Festsetzung einer Rente sei auf die ver⸗ schiedene Lebenshaltung, z. B. eines ostpreußischen Landarbeiters und eines süddeutschen Industriearbeiters hingewiesen. In den jetzt vorgeschlagenen 5 Ortsklassen aber stufe sich die Rente nach unten bis 72 ab. Man finde also jetzt mit einem Male, daß es noch billigere Orte und einen noch nothdürftigeren Lebensunterhalt gebe, als den früheren, zu dem 120 ausreichen sollten. Ein Schrei der Entrüstung sei schon damals durch die gesammte deutsche Arbeiterwelt ge⸗ angen. Was aber bei diesen Sätzen von 72 und 96 die Fegkerungen sich gedacht hätten, sei ihm völlig unbegreiflich. Man hätte mindestens von 120 an aufwärts gehen sollen. Die allermeisten Arbeiter würden nicht einmal die dritte Ortsklasse erreichen, sondern in den beiden untersten bleiben. Authentische Anhaltspunkte über die Lohnhöhe habe man nicht. Bei einer Rente von 72 erhalte der männliche Arbeiter täglich 20, der weibliche 13 ¼ ₰. as solle sich dafür der Rentner wenn man dieses Wort hier überhaupt gebrauchen könne kaufen? Man wisse doch, was das Brot nach Einführung und Er⸗ höhung der Getreidezölle jetzt koste. Ein solches Bettelgeld sollte man doch dem invaliden Arbeiter, der sich nicht bloß im Ib des Unternehmers, sondern im Interesse der ganzen Gesellschaft gemüht habe, nicht anzubieten wagen, sondern ihn so stellen, daß er nicht mit Entsetzen und Grauen an sein Alter zu denken brauche. Solle denn der Arbeiter nie aus seinem Elend herauskommen? Nur wenn man sich auf den Standpunkt des Reichskanzlers bei der Frage der Sonntagsruhe stelle und einen Durchschnittslohn von 14 Groschen täglich annehme, sei eine so niedrige Rente einigermaßen begreiflich. Nach Berechnungen der offiziellen Statistik würden die Arbeiter nur zu 20 oder 25 Beitrags⸗

Armenpflege würden zuweilen höhere Beträge ausgegeben.

88 8 1 erheblich mehr leisteten und von den Arbeitern uch nicht

öhere Beiträge forderten, als hier das Reich. Necht wohl höheneh sei 2. aber, an Stelle der Ortsklassen Lohnklassen einzuführen. Bei der genannten bayerischen Eisenbahn⸗ kasse seien drei verschiedene Lohnkategorien eingerichtet, und man sei hier von der Annahme ausgegangen, daß der Arbeiter auch über 700 verdienen könne. Nach dem vorliegenden Entwurf scheine es aber, als ob der Arbeiter gar nicht die Möglichkeit habe, über 700 zu verdienen. Die Schwierigkeit des Rechnungswesens bei Festsetzung von Lohnklassen werde sich auch überwinden lassen. 8 sei nicht richtig, daß Deutschland keine Lohnstatistik habe. Nur das Material in Bezug auf die ortsüblichen Tagelöhne sei keine solche. Wohl aber seien in vielen Berufsgenossen⸗ schaften statistische Tabellen aufgestellt, die hier mit Erfolg zu ebrauchen wären und überall eingeführt werden müßten. us der Statistik der Berufsgenossenschaften ergebe sich erst der Durchschnittslohn. Oft würden die Leute Jahrzehnte lang in derselben Lohnklasse bleiben, während bei Festsetzung von Ortsklassen eine Ungerechtigkeit gegenüber den qualifizirten Arbeitern liege, die ooft 6, 7 und mehr Mark verdienten und in Folge dessen auch als Invaliden gesteigerte Bedürfnisse hätten. Jetzt aber werde selbst der künstlerisch gebildete Arbeiter, der Bildhauer, Litho⸗ graph u. s. w. oft auch mit dem niedrigsten Satz vorlieb nehmen müssen, wenn er zufällig im Regierungsbezirk Gum⸗ binnen seinen Wohnsitz aufschlage, während ein gewöhnlicher Arbeiter in Berlin oft das Dreifache erhalten werde. Selbst auf die Gefahr hin, höhere Beiträge zahlen zu müssen, werde vielen Arbeitern mit einer höheren Rente gedient sein. Es müßte diese auf 66 8 Prozent des vollen Lohns festgesetzt werden. In Berlin existire eine Kasse, die nach dreißig⸗ jähriger Beitragszeit diesen Satz als Rente wirklich zahle. Es heiße die Arbeiter verkennen, wenn man glaube, sie würden durch eine hohe Rente zu Verschwendung und Simulation verführt werden. Derartige arbeitsscheue Leute gebe es unter den Arbeitern gewiß nicht mehr als in den anderen Gesellschaftsklassen und es sei völlig geschmacklos, wenn man den Motiven gleichsam eine Statistik der Arbeits⸗ scheuen beigegeben habe. Es seien in dem Entwurf Be⸗ stimmungen getroffen, daß bestimmte jetzt existirende Kassen den Versicherten nur Zuschüsse gewähren dürften. Man lege es diesen Kassen geradezu nahe, eine Reduktion eintreten zu lassen, damit der Arbeiter ja nicht zu viel erhalte und zu Simu⸗ lation verführt werde. Der Arbeiter werde sich aber durchaus nicht an die Rente drängen, denn es beziehe nach dem Be⸗ griff von Invalidität nur Derjenige Rente, der nicht nur durch sein Geschäft, sondern auch durch irgend eine Hantirung nicht so viel verdienen könne, als die Rente betrage. Bei einer Rente von jährlich 120 beziehe der Arbeiter täglich 33 ₰. Er werde aber stets noch im Stande sein, etwas mehr zu verdienen. Es gebe heute Fabrikbetriebe, wo jugend⸗ liche Arbeiter bis zu 50 täglich erhielten. An Stelle dieser werde der Unternehmer aber jetzt einen alten Arbeiter setzen, dem er 33 ⅛¼ gebe. Dann sei scheinbar der Nach⸗ weis geliefert, daß hier eine Invalidität noch nicht vorliege.

Mann müsse so billig arbeiten, wolle er nicht als Simulant behandelt werden. In dem aufgestellten Begriff der In⸗

stehe es denn mit Denjenigen, welche bei der Kranken⸗

den Krankheitsfall versorgt.

ausgedehnt sei. Bei dem baaren Gelde, das die

fielen sie wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit einfach der Armenpflege.

der Krankenkasse erhalte er nichts mehr. Also sorge meo dafür, daß der Begriff der zeitweisen Invalidität in dieses

sorgt werden solle.

gestatte, krank zu werden, seiner bürgerlichen Rechte verlustig. Tausende von gesunden Arbeitslosen in neuen Produktionsweise trieben sich auf den straßen als Vagabunden herum. Wenn jetzt eine so große Zahl gesunder Arbeiter

age, regelmäßig fortlaufende Beiträge zu zahlen.

daß das Arbeitsjahr auf 47 Wochen festgesetzt sei.

lähmend auf die Arbeitsgelegenheiten ein. Mit Recht wolle

von dem Beitrag entbinden und ihnen die Rente sichern, be⸗ worden, sei nichts vorgesehen. Wolle man gerecht sein, zumal bei der langsamen

Nachdem die Wartezeit herum sei, Jahr um 1/1000. Das

messen, Rente. die Rente per 100 40 pro Jahr. 1— zuzumuthen, darin eine Steigerung zu erblicken.

jetzt Denjenigen, welche aus der Eisenbahnkasse austräten, die deren Bedenken Anlaß. Nach den Motiven sollten die nach 17 Beitragsjahren aufgehäuften Gelder etwa eine Milliarde be⸗ tragen. Er könne nicht daran glauben, daß die Invaliditäts⸗

dieselben sein sollten, wie bei den Eisenbahn⸗ und Berg⸗

die Verwaltung so gut wie nichts. Der Krankenkassentag in

jahren kommen, demnach also Sätze zwischen 90 und 210 8. Es existirten nun Privat⸗Versicherungskassen, die

Die Möglichkeit sei gegeben, den Lohn zu drücken, denn der

validität liege also nur eine grenzenlose Inhumanität. Wie

fürsorge nach 13 Wochen noch nicht arbeitsfähig seien? Hr. von Boetticher habe neulich gesagt, jetzt seien fast alle Arbeiter für Diese Krankenversicherung sei aber gar keine, weil sie nicht auf eine hinreichend lange Zeit Arbeiter bekämen, könnten sie verhungern und nach 13 Wochen ver⸗

Was geschehe nun mit einem solchen Arbeiter unter diesem Gesetz? Invalide sei er nicht, nur zeitweise invalide, von Also sorge man

Gesetz hineinkomme. Es sei in dem Gesetz auch gar nicht gesagt, wie für den Rentenempfänger im Krankheitsfall ge⸗ Sei er nicht in der Krankenkasse und aus der Gemeindeversicherung geschieden, so falle er einfach wieder der Armenpflege anheim und gehe, weil er sich den Luxus

Folge der Land⸗ schon überzählig sei, wie könne man es dem Unternehmer zumuthen, daß er Arbeiter annehme, die halbinvalide geworden seien, oder so alt, daß sie bald als invalide gelten könnten? Eine sehr große Zahl der Arbeiter sei nach dem 40. Jahre nicht mehr in der L Diese Ar⸗

beiter würden dann ein großes Lumpenproletariat bilden. Eine sehr ungerechte Bestimmung dieses Gesetzes sei auch die,

i. Saison⸗ arbeiter und solche, die im Freien arbeiteten, wie Maurer, Zimmerer, Pflasterer u. s. w. hätten unter keinen Umstän⸗

den 47 Wochen im Jahre zu thun, auch dann nicht, wenn sie im Winter eine andere Beschäftigung hätten. Die fort⸗ währenden Krisen in Folge der Kriegsbeunruhigungen wirkten

man die zum Militär Eingezogenen und die Kriegspflichtigen züglich Derjenigen aber, die wegen des Krieges arbeitslos ge⸗

müsse man das Geschäftsjahr auf höchstens 40 Wochen be⸗ Steigerung der steige mache bei Es sei lächerlich, den Arbeitern Ferner sei zu bemängeln, daß keine Rückvergütung vorgesehen sei, während

Hälfte werde. Die Kapitalanlage gebe zu beson⸗

und Sterbeverhältnisse bei den schlecht bezahlten Lohnarbeitern

arbeitern, die, wenn auch eigentlich blos uniformirte Prole⸗ tarier, doch wenigstens nicht hungern müßten. Er behaupte deshalb, es stürben viel mehr Arbeiter, bevor sie rentenbezugs⸗ berechtigt seien, und deshalb werde auch viel weniger an Renten ausgegeben werden und das angehäufte Kapital werde

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sich nach 17 Jahren vielleicht auf 2 Milliarden gesteigert