1889 / 23 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Jan 1889 18:00:01 GMT) scan diff

1 (Während dieser Rede, gegen 4 Uhr, trat der Reichs⸗ kanzler in den Saal ein, wo er längere Zeit der Debatte bei⸗ wohnte, ohne sich an ihr zu betheiligen.)

1 bg. Duvigneau: Die traurige Lage der Tabackbauer in einigen Gegenden Deutschlands sei ja bekannt und nicht be⸗ stritten worden. Daher sei in der Kommission . der Beschluß gefaßt, die Regierung zu ersuchen, in jeder möglichen

Weise durch Erleichterung der Formen der Veranlagung und Erhebung der Tabacksteuer den Tabackbauern entgegenzukommen. Er hätte noch den Zusatz gewünscht, daß die Erleichterung durch steuerfreie Lager, Kreditgewährung ꝛc. wie den großen, so auch den kleinen Tabackbauern durch genossenschaftlichen Zusammen⸗ schluß ermöglicht würde. Einige seiner Freunde würden aber mit ihm gegen den zweiten Theil der Resolution stimmen. Die verschiedenen Steuerverhältnisse hätten unsere Taback⸗ bauer in fortwährender Beunruhigung gehalten, und nun, nachdem sie mühsam das Ziel, dem Geschmack des Publikums gerecht zu werden, erreicht hätten, würde durch eine aber⸗ ige Veränderung der Steuersätze eine neue Beun⸗ ruhigung entstehen. Nehme man also vor Allem keine Veränderung der Sätze vor. Die Hauptfrage für den Taback⸗ beau sei die der Qualität, der Güte des Tabacks. Die Klagen kämen nur daher, daß ein Föcher Theil der Tabackbauer mit der Beschaffenheit ihres Tabacks zurückgegangen seien. Sonst sei der Tabackbau im Inland gegen früher nicht zurück⸗ gegangen. In bestimmten Gegenden Deutschlands seien die Tabackbauer mit ihren Verhältnissen ganz zufrieden. Die Petenten selber wollten keine Ermäßigung der Tabacksteuer. Wenn einmal die Regierung die Sache gründlich und für⸗ orglich prüfe, so möge sie es hinsichtlich des ersten Theils der Resolution thun, aber bezüglich des anderen Theils auch die Interessen Derer ins Auge fassen, die heute nicht als Petenten daständen. Es sei nicht Aufgabe einer Industrie, möglichst viel für wenig Geld zu liefern, sondern es solle auch gut sein. Der Tabackbauer solle beim Anbau auch daran denken, daß einer seiner Mitmenschen auch mal den Taback rauchen solle. Vor Allem komme es auf die Verbesserung der Kultur an. Stänkriger Taback sei nicht zu gebrauchen. Auch der ärmste Arbeiter solle nicht eine absolut schädliche Waare erhalten. Er bitte, über die beiden Theile der Resolution getrennt abzustimmen, da seine Partei sonst für die ganze nicht stimmen könne. 8 Abg. Müller⸗Marienwerder: Er verwahre den Taback⸗ au dagegen, daß er ein Produkt liefere, das zu rauchen eine Strafe sei. Unser Produkt sei ein für den armen Arbeiter, der nicht viel Geld anlegen könne, immerhin noch wohl⸗ schmeckender Taback. Er verwahre unseren Tabackbau auch dagegen, daß er nachlässig gewirthschaftet habe. Gerade die 879 eingeführte Gewichtssteuer bilde einen starken Antrieb ur Verbesserung des Produkts. Das Streben darnach sei uch nicht ohne Erfolg gewesen. In solchen Bestrebungen müsse man die Leute doch nicht abschrecken, indem man die Lage ihres Produkts als ganz hoffnungslos darstelle. Die heutigen Verhältnisse könne man nicht vergleichen mit

enen Zeiten, in welchen Beunruhigung durch die neuen Steuer⸗ projekte und durch die Aussicht auf das Monopol geherrscht habe. Damals habe ein Massenimport ausländischer Tabacke stattgefunden; diese Spekulationsweise habe natürlich nicht auf viele Jahre fortgesetzt werden können. Er wirke aber geradezu niederschmetternd auf den inländischen Tabackbau und dessen Preise. Man müsse also die heutigen Verhältnisse mit denen zu jener Zeit vergleichen, in welchen die Gesetzgebung noch nicht eingegriffen habe in die Verhältnisse. Gegen damals

abe man heute einen Rückgang von 191 000 auf 168 000

Tabackpflanzungen zu verzeichnen. In gewissen Distrikten sei sogar schon ein Rückgang in der Bevölkerung eingetreten. Die deutschen Plantagen seien lediglich nach der Bodenbeschaffenheit auf den Tabackbau angewiesen; der Anbau anderer Feldfrüchte würde nicht lohnen; die Leute könnten sich also nicht nach der Rentabilität des Tabackbaues richten, müßten also Taback bauen oder das Grundstück voll⸗ ständig preisgeben. Eine Enquete über die Verhältnisse sei durchaus nothwendig. Unter den gegenwärtigen Umständen bringe der Tabackbau die Produktionskosten nicht mehr ein. Die Bodenpreise in den Distrikten des Tabackbaues seien zurückgegangen und eine große Anzahl von Subhastationen habe stattgefunden. Ueber alle diese Verhältnisse, die von anderer Seite bestritten würden, müsse Klarheit geschaffen werden. Eine Erleichterung der Steuer wäre zu berücksichtigen. Er bitte deshalb, im Interesse des deutschen Tabackbaues, die in deßt Resolution ausgesprochene Bitte an die Regierung zu richten.

Staatssekretär von Maltzahn:

Wenn der Reichstag der Resolution, welche die meisten der Redner, die bisher gesprochen haben, zum Hauptgegenstand ihrer Er⸗ örterungen gemacht haben, beitreten sollte, so werden selbstverständlich die verbündeten Regierungen diesem Beschluß des Reichstages die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuwenden, ihn erörtern und eventuell darüber Beschluß fassen. Ich bin auch nicht zweifelhaft darüber, daß eine forgfältige Prüfung der materiellen Fragen, welche in dieser Resolution angeregt werden, im Schooße der verbündeten Regierungen stattfinden wird, wie eine solche Prüfung schon im gegenwärtigen Moment vorgenommen wird. Ich habe das ja bereits in der Budgetkommission erwähnt. Daß diese Prüfung auch die Form einer sogenannten Enquete in dem gewöhnlich gebräuchlichen Sinne, also eine Vernehmung von Sach⸗ verständigen aus dem Lande in ausgedehntem Maße annehmen sollte, kann ich selbstverständlich heute nicht zusagen. Ich meinerseits bin sogar der Meinung, daß über die thatsächlichen Verhältnisse im Lande eine so große Verschiedenheit der Meinungen nicht vorhanden ist zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstage, als sie der le te Herr Redner anzunehmen schien. Die Zahlen, welche über die Verhältnisse des inländischen Tabackbaues sprechen, liegen wirklich klar da, nur die Bedeutung, welche diesen Zahlen beizumessen ist, ändert sich je nach der Stellung Desjenigen, der in die Be⸗ urtheilung der Zahlen eintritt. Ich kann dem Gedanken nicht wohl folgen, daß absolut ein Rückgang des inländischen Tabackbaues statt⸗ gefunden habe; die positiven Zahlen der Statistik sprechen dagegen. Dennoch erkenne ich vollkommen an, daß der inländische Tabackbau durch die Bestimmungen unserer Steuergesetzgebung in eine schwierige, vielleicht schwierigere Lage versetzt worden ist, als es früher der Fall war.

Ich erkenne ferner an, daß diejenige Bevölkerung, welche dem inlän⸗ dischen Tabackbau sich widmet und davon lebt, der vollen Berücksichtigung ihrer Interessen nicht nur werth ist, sondern solche auch finden wird, wie sie sie von jeher gefunden hat. Man hat auch bei der neuesten Reform der Tabacksteuergesetzgebung versucht, die Interessen des in⸗ ländischen Tabackbaues so voll und ganz zu achten und zu schützen als es möglich war, neben der Erwägung des Hauptzweckes dieser Gese gebung dieser Hauptzweck war und ist auch heute noch dem Reich Einnahmen zu schaffen, auf welche zu ver⸗ EI Ff nach unserer gesammten Finanzlage leider nicht in der

age sind.

Es handelt sich bei der Besteuerung des Tabacks nicht etwa bloß um die ungefähr 10 Millionen der Tabacksteuer, welche in dem gegen⸗ wärtigen Etat Ihnen allein vor Augen stehen; daneben stehen die

bis 36 Millionen, wesche der Zoll auf Taback und die Tabackfabrikate dem Lande einbringt. Bei allen Veränderungen so⸗ wohl der Gesetzgebung, als der Ausführungsbestimmungen dieser Gesetze wird daher in erster Linie darüber, glaube ich, wird der Reichstag in seiner großen Mehrheit mit mir einverstanden sein der Gesichtspunkt immer im Auge behalten werden müssen, daß diese Einnahmen von rund 45 bis 46 Millionen einen so erheblichen Posten in dem Gesammtbilde der Reichsfinanzen ausmachen, daß Alles das vermieden werden muß, was diese Einnahmen schmälern möchte, und daß Maßregeln, die diese Einnahmen schmälern dürften, nur dann ergriffen werden dürfen, wenn die für die Nothwendigkeit und Nützlichkeit dieser Maßregeln sprechenden Gründe ganz überwiegend sind. Dieser Gesichtspunkt ist auch bei den bisherigen Erörterungen der Frage der entscheidende gewesen, ob und inwieweit den auch zur Kenntniß der verbündeten Regierungen in verschiedener Form bereits gelangten Wünschen der inländischen Tabackbauer entsprochen werden kann, welche auf Aende⸗ rung der Tabacksteuergesetzgebung und der Ausführungsbestimmungen gerichtet sind. Die von den Interessenten vorgebrachten Wünsche be⸗ finden sich augenblicklich sämmtlich in dem Stadium der Erörterungen innerhalb der Reichsregierung. Diese Erörterungen sind zur Zeit noch nicht aäbgeschlossen.

Ich kann also darüber, ob und in wie weit einzelne derjenigen Wünsche demnächst vielleicht Berücksichtigung finden können, welche auf die Modalitäten der Ausführung sich beziehen, heute eine Er⸗ klärung nicht abgeben um so weniger, als ja demnächst die Vertreter der verbündeten Regierungen, der Bundesrath seine Be⸗ schlüsse zu fassen haben wird. Das aber glaube ich, heute bereits sagen zu müssen, daß wenigstens von Seiten meines Amts der finanzielle Gesichtspunkt, daß wir die 46 Millionen dieses Zolls und dieser Steuer zur Zeit nicht entbehren können, möglichst in den Vordergrund gestellt werden muß. Soweit dieser Gesichtspunkt es zuläßt, würde ich meinerseits gerne bereit sein, jede im Interesse der Erhaltung des inländischen Tabackbaues wünschenswerthe Erleichterung der Ausführungsbestimmungen und der Anwendung unserer Taback⸗ steuergesetzgebung nach meinen besten Kräften zu fördern. Denn mit den Herren, die soeben gesprochen haben, halte ich es im Interesse des ganzen Landes für erwünscht, daß der von alter Zeit her bestehende und als Grundlage des Wohlstandes gewisser Gegenden Deutschlands dienende Tabackbau nicht vernichtet werde.

Fürst Bismarck verläßt den Saal.

Unter großer Unruhe des Hauses führt der Abg. Bulle aus, daß im Allgemeinen der inländische Tabackbau nicht so zurückgegangen sei, wie behauptet sei. Er citirt zu diesem Zweck einen Bericht der Mannheimer Handelskammer, nach welchem die Tabackpreise im letzten Jahre im dortigen Bezirk sehr hohe gewesen seien. Nicht nur um einen Schutz 1“ handele es sich, sondern auch des Taback⸗ andels.

Abg. Diffené tritt diesen Ausführungen entgegen. Der Umstand, daß in einzelnen Distrikten hohe Tabackpreise be⸗ zahlt würden, beweise nichts für die allgemeine Lage des Tabackbaues. Viel wesentlicher sei es, wenn ganze Flächen dem Tabackbau entzogen würden. Die Gründe fuͤr den Niedergang des Tabackbaues seien zu finden hauptsächlich in der Höhe der Steuer, in mancherlei Kontolerschwerungen und in dem Rückschreiten der Kultur. Die Steuer sei viel⸗ fach größer als der Preis des Tabacks. In Folge dessen seien die Produkte, aus welchen der Bauer früher einen großen Vortheil gezogen, absolut werthlos und unbrauchbar. Ueberhaupt würden durch die Höhe der Steuer die geringeren Sorten immer mehr verdrängt. Die Probe auf die eigentlich ungünstigen Jahrgänge sei noch nicht gemacht. Bekämen wir erst Jahre wie 1864 und 1865, dann würde es immer schwie⸗ riger sein, den Taback an den Mann zu bringen. In diesem Sinne habe die Serabsezun der Steuer die Bedeutung einer Fürsorge für die Zukunft. Durch eine neue Steuer werde das Fisiko des Bauers ganz erheblich gesteigert. Eine Erhöhung der Tabacksteuer würde dagegen den gehofften Zweck nicht er⸗ reichen. Wahrscheinlich werde der Konsument in vielen Fällen auf den Gebrauch verzichten; dann verliere der Fiskus seine Einnahme und der Bauer auch. Einer befürchteten Ueber⸗ produktion könne man begegnen dadurch, daß man in der Steuerherabsetzung ein gewisses Maß beobachte. Redner empfiehlt schließlich, den Tabackbauern durch bedeutende Er⸗ leichterungen zu Hülfe zu kommen.

Die Diskussion wird geschlossen und der Titel 2 dem Antrag der Budgetkommission gemäß bewilligt.

Die Resolution, wie sie von der Budgetkommission vor⸗ geschlagen ist, wird unter Ablehnung des Antrags Duvigneau angenommen.

Die Petitionen werden durch diesen Schluß für erledigt

erklärt. Nächste Sitzung Sonnabend 11 Uhr. 8

Schluß 5 Uhr.

In der gestrigen (5.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten ergriff bei der weiteren Berathung der Vor⸗ lage, betreffend die Kosten der Polizei⸗ verwaltungen in Stadtgemeinden, das Wort der Minister des Innern, Herrfurth:

Ich habe nicht erwarten können, daß der vorliegende Gesetzent⸗ wurf, obwohl derselbe nicht nur in seinem Endziel, sondern 71 be⸗ züglich des Weges zur Erreichung dieses Zieles durchaus den An⸗ regungen entspricht, die durch Beschlüsse dieses hoben Hauses gegeben worden sind, sich des ungetheilten Beifalls in demselben erfreuen würde. Schon allein der Umstand, daß 21 Städte mit einer Be⸗ völkerung von etwa 3 ½ Millionen Seelen das bisher genossene Pri⸗ vilegium verlieren sollen, daß von den Kosten der Orts⸗Polizeiverwal⸗ tung der größere Theil auf Staatsfonds übernommen, d. h. von der Gesammtheit der übrigen Steuerzahler getragen werde, dürfte es ausschließen, daß die Vertreter dieser Städte, zu denen ja die größten, bedeutendsten der Monarchie gehören, klaglos auf die bisherige süße Gewohnheit des Nichtzahlens verzichten. In der That zeigt Ihnen ja schon die Rednerliste, daß dem Wunsche des Hrn. Abg. Zelle reichlich Rechnung getragen ist: den Herren Abgeordneten, die diese Städte vertreten, ist ja wohl der vollste Raum gegönnt für die „Seufzer der geängsteten Kreatur“, die nicht unaussprechlich sind.

Meine Herren, ich mußte auch auf die prinzipiellen Einwendun⸗ gen gefaßt sein, welche gegen diesen Gesetzentwurf von dem ersten und dritten der Herren Vorredner erhoben worden sind, auf den Ein⸗ wurf, daß der Gesetzentwurf nicht bloß die Kostenfrage regeln solle, sondern daß derselbe auch zugleich die Zuständigkeiten der Königlichen Orts⸗Polizeiverwaltung in einer anderen Weise zu fixiren bemüht sein müsse. Es ist ja das der Einwurf, den der Hr. Abg. Zelle schon im vorigen Jahre einem ähnlichen ä in gleicher Weise entgegengestellt hat. Aber, meine erren, diese Einwendung richtet sich nicht sowohl gegen den Gesetzentwurf, als gegen die Beschlüsse vlbg hohen Hauses, welchen dieser Gesetzentwurf zu entsprechen bestimmt ist. Diese Beschlüsse des Ab⸗ geordnetenhauses, insbesondere die Resolution vom Jahre 1885, fordern ausschließlich eine anderweite Regelung der Beitragspflicht zu den Kosten der Orts⸗Polizeiverwaltung in den mit Königlicher Polizeiverwaltung ausgestatteten Stadtgemeinden, und der Inhalt und die Ueberschrift dieses entspricht genau dieser Forderung.

Von einer prinzipiellen Umgestaltung des Begriffs und des Umfangs Königlicher Polizeiverwaltung, von einer anderweiten Ver⸗

licher Polizeiverwaltung ist in jenen Beschlüssen nicht die Rede, und der Gesetzentwurf erstreckt sich hierauf allerdings auch nicht.

Wenn die Herren Abgeordneten, die nach dieser Richtung hin ein Bedürfniß annehmen zu sollen glauben, ihre desfallsigen Vorschläge, sei es bei dem jetzigen Gesetzentwurf —, mit welchem sie nur in einem äußerlichen Zusammenhang stehen, oder bei einer andern Gelegenheit zu einer Resolution formuliren wollen, und wenn diese Resolution sich demnächst des Beifalls dieses hohen Hauses zu erfreuen haben sollte, so würde die Königliche Staatsregierung sehr gern bereit sein, dieselbe in eingehende und wohlwollende Erwägung zu nehmen, obwohl sie ihrerseits ein Bedürfniß hierzunicht an⸗ erkennt. Denn, meine Herren, bisher ist die Frage, ob und inwie⸗ weit in Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung einzelne Theile derselben auf die kommunalen Organe übertragen werden sollen, stets von Fall zu Fall erörtert worden und hat diese Erörterung fast aus⸗ nahmslos zu einer Vereinbarung geführt, mit welcher beide Theile vollständig einverstanden gewesen sind.

Ich würde auch sehr gern bereit sein, wenn derartige Anträge in Zukunft an mich herantreten sollten, denselben die eingehendste Er⸗ wägung und thunlichste Berücksichtigung zu Theil werden zu lassen. Aber weder dieser Erörterung von Fall zu Fall, noch auch der von den Herren Vorrednern gewünschten prinzipiellen Regelung steht der vorliegende Gesetzentwurf irgend wie entgegen, vielmehr entbält der §. 6 ausdrücklich eine Bestimmung, welche dahin Fürsorge trifft, daß und in welcher Weise in solchen Fällen die Regelung der Kosten bewirkt werden soll. Also auch für einen solchen Plan wird der vor⸗ liegende Gesetzentwurf nicht hinderlich, sondern vielmehr förder⸗

lich sein.

Was die gegen den Gesetzentwurf selbst von dem Herrn Vorredner erhobenen Einwendungen betrifft, so vermag ich dieselben nach keiner Richtung hin als durchschlagend zu erachten. Meine Herren, die Thatsache kann von keiner Seite in Abrede gestellt werden, daß es eine unbillige Bevorzugung einzelner Stadtgemeinden ist, wenn in Folge der Aus⸗ legungen, welche der §. 3 des Polizeigesetzes vom 11. März 1850 durch das bekannte Erkenntniß des Ober⸗Tribunals gefunden hat, gerade diesen Städten der größte Theil der Polizeikosten aus Staats⸗ fonds erstattet, also ich wiederhole es von der Gesammtzahl der übrigen Steuerzahler gezahlt wird. Diese unbillige Bevorzugung zu beseitigen und zugleich die prozessualischen Weiterungen und Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen, welche aus der Unterscheidung zwischen sächlichen und persönlichen Polizeikosten bisher entstanden sind, war die Absicht jener früheren Beschlüsse dieses hohen Hauses, und diesem Bedürfniß Abhülfe zu schaffen, ist der vorliegende Gesetz⸗ entwurf bestimmt.

Der Gesetzentwurf geht von der meines Erachtens kaum bestreit⸗ baren Auffassung aus, daß eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung, nach welcher die Verwaltung der Ortspolizei von dem Gemeindevorstand zu führen ist und die immer als Ausnahme anzu⸗ sehende Einrichtung einer Königlichen Polizeiverwaltung in einer Stadt nur da gerechtfertigt ist, wo ein öffentliches, ein staat⸗ liches Interesse dies erfordert, daß aber der betreffenden Stadt⸗ gemeinde hierdurch weder eine finanzielle Mehrbelastung, noch auch eine pekuniäre Erleichterung zu Theil werden soll. Diejenigen Mehr⸗ kosten, welche durch die im öffentlichen Interesse erfolgte Einrichtung einer Königlichen Polizeiverwaltung erwachsen, wird der Staat tragen müssen. Dagegen liegt kein Grund vor, der Gemeinde auch einen Theil derjenigen Kosten zu ersetzen, welche sie hätte aufwenden müssen, wenn sie ihrerseits die Verwaltung der Ortspolizei behalten hätte.

Aus dieser Auffassung ergiebt sich nun meines Erachtens von selbst der Weg, auf welchem jenes Ziel zu erreichen ist, der Weg, welchen der diesjährige Gesetzentwurf eingeschlagen hat. Es kommt darauf an, zu ermitteln, welchen Betrag die betreffende Gemeinde voraussichtlich hätte aufwenden müssen, wenn sie ihrerseits die Orts⸗ polizei behalten hätte, wenn nicht im öffentlichen Interesse die Ein⸗ richtung einer intensiveren Königlichen Polizeiverwaltung nothwendig geworden wäre. Dieser Betrag ergiebt sich aus einer Vergleichung mit der gleichartigen Aufwendung in Städten von ungefähr gleichen äußeren Verhältnissen und von ungefähr gleicher Seelenzahl. Es sind hierüber die eingehendsten und zeitraubendsten Ermittelungen ver⸗ anlaßt worden. Das Ergebniß dieser Ermittelungen ist in Tabellen⸗ form der Begründung des Gesetzes beigefügt worden. Auf Grund dieser Ermittelungen sind für die im §. 1 zu b., c. und d. aufgeführten drei Kategorien der größeren, mittleren und kleineren Städte Durchschnittssätze gefunden, welche nunmehr den von den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung zu leistenden Beitragsquoten als Grundlage dienen. Ich glaube, es bedarf in dieser Beziehung höchstens noch einer Begründung dafür, daß diese Beitrags⸗

uoten etwas um 25 bis 38 niedriger normirt sind, als die

urchschnittsbeträge, welche sich für die Städte mit eigener Polizei⸗ verwaltung ergeben, sowie vielleicht noch einer besonderen Motivirung des Satzes für Berlin und mit Beziehung auf die Ausführungen des Hrn. Abg. von Hergenhahn für Frankfurt am Main.

Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so wird meines Er⸗ achtens der in Geld allerdings nicht zu, schätzende Nachtheil, daß die betreffenden Stadtgemeinden des Rechts der eigenen Polizei entbehren, hierbei mit in Berücksichtigung gezogen werden müssen; denn dieser Nachtheil, das muß ich zugeben, hat auch finanzielle Folgen. In den Gemeinden mit eigener Polizei⸗ verwaltung sind die Kommunalbehörden viel eher in der Lage, ihre polizeilichen Organe, unbeschadet der Erfüllung der ihnen zunächst ob⸗ liegenden polizeilichen Aufgaben, auch zur Erfüllung kommunaler Auf⸗ gaben mit zu verwenden. Außerdem und dies gilt insbesondere von der Verwendung dieser polizeilichen Organe für die Zwecke des Feuerlöschwesens und des Nachtwachtwesens ist es ganz natürlich, daß durch die Trennung der Königlichen Polizeiverwaltung, wie von Seiten des Hrn. Barth mit vollem Recht hervorgehoben worden ist, mehr Kosten entstehen; dies zeigt sich ganz deutlich in einer Ver⸗ gleichung der Kosten für das Feuerlösch⸗ und Nachtwachtwesen in den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung und denen ohne König⸗ liche Polizeiverwaltung. Aus den in der Begründung enthaltenen Tabellen ergiebt sich, daß für die drei im §. 1 bezeichneten Ka⸗ tegorien der größeren, mittleren und kleinen Städte die Kosten für das Nachtwacht⸗ und Feuerlöschwesen in den Stadtgemeinden mit Königlicher Polizeiverwaltung sich auf 1,12 0,70 und 0,52 belaufen, dagegen in den Stadtgemeinden mit eigener Polizei⸗ verwaltung auf 0,56, 0,40 und 0,33

Nun, meine Herren, wenn Sie, was, glaube ich, nicht ungerecht⸗ fertigt ist, diese Kosten mit in Anrechnung bringen, so kommen Sie zu dem Resultat, daß in Folge jener Ermäßigung des Durchschnitts⸗

genau denselben Durchschnittsbetrag für die Polizei in Zukunft aufzu⸗ foüiden haben werden, wenn dieses Gesetz zur Annahme gelangen ollte.

Was die Haupt⸗ und Residenzstadt Berlin anlangt, so gebe ich zu, daß es fuüͤr diese Millionenstadt an einem Vergleichungspunkte fehlt, und daß der Satz von 2 für den Kopf mehr oder weniger willkürlich gegriffen ist. Maßgebend hierfür ist die Erwägung gewesen, daß, wenn für Städte bis 25 000 Seelen 60 ₰, für Städte von 25 000 75 000 Seelen 90 Fr für Städte von 75 000 300 000 Seelen 1,20 als angemessener Beitrag bezeichnet worden ist, dann in weiterer arithmetischer Progression des Beitragsatzes und in geometrischer Pro⸗ gression der Bevölkerungsziffer sich für Berlin ein Satz von etwa 2,10 ergeben würde. Dieser Satz ist aber auf 2 abgerundet worden insbesondere mit Rücksicht darauf, daß die Stadt durch die erheblichen Aufwendungen für die Herstellung des neuen Polizeigebaͤudes in einer Weise belastet worden ist, welche fast eine Summe von 0,20 pro Kopf repräsentirt.

„Was ferner Frankfurt a. M. anlangt, so war für Frankfurt ur⸗ sprünglich, und sch glaube mit vollem Recht ein eiwas höherer Betrag, nämlich der Kopfbeitrag von 1,50 in Aussicht genommen, und zwar mit Rücksicht darauf, weil, wie Sie aus Spalte 27 Seite 81 der Begründung des Gesetzentwurfs ersehen⸗ in Frankfurt die Kosten der Polizeiverwaltung verhältnißmäßig sehr groß sind, und

theilung der Zuständigkeiten der Polizei in den Städten mit König⸗

zwar naturgemäß, weil diese Stadt einen ganz besonders starken Ver⸗

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satzes gegenüber dieser Erhöhung sämmtliche Gemeinden ungefähr

at und ihre Lage als Grenzstadt eine besonders starke Polheh . nöthig macht. Da demgemäß die Kosten der Polizei⸗ in Frankfurt a. M. verhältnißmäßig etwa Hälfte höher belaufen als in allen übrigen Städten mit Polizeiverwaltung, so wäre es allerdings gerechtfertigt gewesen, hier einen höheren Satz von 1,50 einzustellen; es kam aber in Erwägung, daß in gleicher b- in Frankfurt a. M. wie in Berlin Seitens der Stadtgemeinde erheb⸗ liche Aufwendungen für die Herstellung eines neuen Polizeidienst⸗ ebäudes haben gemacht werden müssen, und daß die Beträge für Amortisation und Verzinsung der bezüglichen Anleihen sich beinahe auf 20 pro Kopf belaufen; ferner, daß in Frankfurt auch die Bau⸗ polizei auf die städtischen Behörden übertragen worden ist. Mit Rücksicht hierauf ist für Frankfurt ebenfalls der Satz von 1,20 für angemessen und billig erachtet worden. B .“ .

Meine Herren! Dafür, daß der Satz nicht niedriger normirt worden ist, dafür glaube ich kaum etwas anführen zu sollen.

Wenn zur Begründung dieser Behauptung besonders der erste der Herren Vorredner von meinem Herrn Amtsvorgänger behauptete, derselbe habe erklärt, er halte eine Belastung mit dem vierten Theil der Gesammtkosten der Polizeiverwaltung für angemessen, ja vielleicht schon für zu hoch, so möchte ich dem gegenüber daran er⸗ innern, daß mein Herr Amtsvorgänger vor Jahresfrist hier Namens der Staatsregierung den Gesetzentwurf eingebracht hat, nach welchem die Städte die Hälfte sämmtlicher Kosten tragen sollten, und daß der jetzige Entwurf sich von dem vorigen auch dadurch unterscheidet, 8 der jährliche Beitrag sämmtlicher Stadtgemeinden sich um mehr als eine Million Mark auf um etwa 25 % geringer beläuft, als er nach dem vorigen Entwurf sich belaufen haben würde. 2

Zum Schluß möchte ich mir gestatten, noch auf zwei Vorzüge aufmerksam zu machen, die der Gesetzentwurf in seiner diesjährigen Fassung darbietet. 8

Zunächst, glaube ich, beseitigt derselbe auf die einfachste und zu⸗ treffendste Weise den am meist bestrittenen Theil des Antrags des Hrn. Abg. von Eynern, welcher bezweckte, den Städten mit eigener Polizeiverwaltung einen Zuschuß von 80 pro Kopf aus Staats⸗ mitteln zu den Kosten ihrer Polizeiverwaltung zu überweisen. Meine Herren, wenn, wie dies nach dem vorliegenden Gesetz voraussichtlich geschehen wird, sämmtliche Städte mit oder ohne Königliche Polizeiverwaltung ungefähr denselben Durchschnittssatz für ihre Polizei⸗ verwaltung zu tragen haben, so fällt natürlich jeglicher Grund fort, an Städte mit eigener Polizeiverwaltung noch eine besondere Dotation aus Staatsfonds zu überweisen. 1

Sodann dürfte der Gesetzentwurf auch geeignet sein, die Er⸗ füllung des vielfach ausgesprochenen Wunsches wegen einer theil⸗ weisen Beseitigung ““ Polizeiverwaltung, namentlich in leineren Städten, zu fördern. Ich erkenne ausdrücklich an, daß die Einrichtung einer König⸗ lichen Polizeiverwaltung nur dann gerechtfertigt ist, wo ein öffent⸗ liches staatliches Interesse dieselbe fordert, daß eine Königliche Polizeiverwaltung auch nur so lange beibehalten werden darf, als dieses öffentliche staatliche Interesse fortdauert. Ich erkenne ferner an, daß es sehr zweifelhaft ist, ob in einer Reihe von kleineren Städten noch jetzt dieses öffentliche staatliche Interesse für die Bei⸗ behaltung der Königlichen Polizeiverwaltung voll erkennbar sein möchte. Ich habe deshalb auch Erörterungen nach dieser Richtung hin bereits eingeleitet, um in diesen Städten die Polizeiverwaltung wieder auf die Kommunalbehörden zu übertragen. Aber, meine Herren, im Gegensatz zu der Auffassung, die von dem letzten Herrn Vorredner geltend gemacht worden ist, kann ich konstatiren, daß ich bei diesem Versuch nicht bloß dem Widerspruch der Provinzialbehörden, sondern ganz besonders dem Widerspruch der Kommunalbehörden begegnet bin. Diese Städte wollen aber nicht gern auf das bisherige Privilegium verzichten und möchten auch in Zukunft von den Kosten der Polizeiverwaltung den größten Theil aus Staatsfonds empfangen. Ich glaube, wenn in Folge dieses Gesetzes jene Städte in Zukunft ebensoviel beizutragen haben, als sie zu zahlen haben würden, wenn sie eigene Polizeiverwaltung hätten, so würden sie sich derartigen Anträgen gegenüber vielleicht weniger ablehnend verhalten.

Abgesehen von diesen kleinen Städten handelt es sich aber bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um die größten und bedeutendsten, lassen Sie mich den Ausdruck gebrauchen, um die vornehmsten Städte der preußischen Monarchie. Nun, meine Herren, ich meine, das ist vielleicht ein Grund, daß dieselben sich nicht beklagen, wenn sie nun in Zukunft einen höheren Betrag, nämlich denselben Betrag wie alle übrigen Städte zu den Polizeikosten tragen müssen, denn sie müssen sich dann damit trösten: noblesse oblige!

Abg. von Heydebrandt u. d. Lasa: Wenn seine Partei auch in dem Entwurf eine wesentliche Verbesserung gegen das vorjährige gleichartige Gesetz erblicke, so finde sie doch, daß in der Skala des §. 1 Ungleichheiten enthalten seien, die in einer Kommission beseitigt werden könnten. Was die ausgleichende Gerechtigkeit betreffe, die der Abg. Krause vermißt habe, so habe der Staat nicht die Mittel, alle Städte mit Polizei⸗ verwaltungen zu versorgen. 1

Abg. Zelle: Der Minister habe sich darauf berufen, daß die Vorlage auf Anträgen des Hauses beruhe. Wenn das Haus noch einmal vor die Frage gestellt würde, ob es die betreffenden Anträge annehmen wolle, so würde es vielleicht anders beschließen. Jetzt bei der günstigen Finanzlage würde man sich wohl hüten, dem Staat eine Einnahme von 3 ½ Millionen Mark zu sichern, namentlich da die Städte überall dem Beispiel des Staats folgen und die untersten beiden Stufen der Klassensteuer frei lassen müßten. Durch diesen Einnahmeausfall würden die Finanzen der Gemeinden sehr stark belastet, so daß vielleicht, wenn die Polizeikosten erhöht würden, eine Entlastung der unteren Klassensteuerstufen nicht möglich sein würde. Der Staat könne nur an der Sicher⸗ heitspolizei ein Interesse haben, es sei also endlich an der Zeit, wenn die gesammte Wohlfahrtspolizei den Gemeinden übertragen würde. Heute sei es nicht bloß ein Mann aus der Stadt⸗ verwaltung, der Recht für die Städte verlange, ein Polizei⸗ Ffästzent habe sich ebenfalls dafür ausgesprochen. Die Sicherheitspolizei könne man leicht henaus scholen aus dem gesammten Umfang der Polizei, das habe der Minister selbst in der vorher berathenen Vorlage bewiesen, durch welche dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin die Sicherheitspolizei in den Vororten überwiesen werde. Es würden in der Vorlage manche Dinge zur Polizei gerechnet, die eigentlich nicht daße .“ Redner geht dann auf die speziellen Verhältnisse

erlins ein und bittet das Haus um wohlwollende Beurthei⸗ lung der Berliner Verhältnisse.

Abg. von Eynern ist mit der Vorlage im Großen und Ganzen einverstanden, aber es würde sich vielleicht als noth⸗ wendig herausstellen, die höchste Belastung auf die Hälfte der Polizeikosten festzusetzen und eine Ermäßigung der Beiträge eintreten zu lassen, wenn bestimmte Zweige der Polizei auf die Städte übertragen würden. Berlin wolle die Staats⸗ unterstützung beibehalten, weil sonst die Zuschläge zu den Staatssteuern für kommunale Zwecke erhöht werden müßten; dafür sollten alle preußischen Steuerzahler bezahlen. Berlin bezahle nur 100 Proz. der Staatssteuern als Zuschlag, während Städte im Westen bis zu 500 Proz. Zuschlag erhöben. Der Abg. Krause habe eine ausgleichende Gerechtigkeit für die 171 Städte ohne Königliche Polizeiverwaltung vermißt, vielleicht gehe samn (des Redners) Antrag durch, diesen Städten für ihre Polizei einen Staatszuschuß zu be⸗

1““

waltung sich 8 ein Drittel bis zur

willigen. Die Trennung der Sicherheits⸗ von der Wohlfahrts⸗

polizei könne bei diesem Gesetz nicht geregelt werden. Abg. Dr. Langerhans beantragte, für die Berathung dieses Gesetzes die vorher beschlossene Kommission um 7 Mitglieder

u verstärken. . z Das Haus trat diesem Beschlusse bei.

Es folgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffkend die Abänderung mehrerer Bestimmungen der Gesetzgebung über die Stempelsteuer.

Abg. Goldschmidt vermißte in der Vorlage eine Ermäßi⸗ gung des Kaufstempels und bedauerte, daß die Genossenschaften der Stempelsteuer unterworfen werden sollen. Redner be⸗ antragte Verweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern.

Abg. von Below⸗Saleske sprach dem Finanz⸗Minister seinen Dank für die Vorlage aus, bat aber, noch folgende Punkte zu hgrücksichtigen: nämlich eine Stempelermäßigung für milde Stiftungen; ferner für den Verkauf kleiner Stellen zur Ansiedelung kleiner Landwirthe, die sehr nothwendig sei, weil im Osten die Arbeitskräfte wenig zahlreich seien, seitdem die russischen Arbeiter aus Rußland nicht mehr nach Preußen kämen. Im Kolonisationsgesetz für Posen habe man ähnliche Stempelermäßigungen. Endlich sollte der Fideikommißstempel ermäßigt werden. Der Ausfall an Einnahmen in Folge dieser Ermäßigungen dürfte nicht so groß sein. Die Vorlage bitte er der um sieben Mitglieder verstärkten Justizkommission zu überweisen. 1 1 ,

Abg. Hansen sprach zunächst dem Minister seinen Dank für die Vorlage aus, mit welcher er vollständig einverstanden sei. Der Ermäßigung des Stempels für Stiftungen könne er auch nur zustimmen. Daß der Immobiliar⸗Uebertragungs⸗ stempel nicht berücksichtigt sei, sei bedauerlich, aber wegen dieses Umstandes solle man das Gesetz nicht ablehnen. Er beantrage, die Vorlage der Budgetkommission zu überweisen.

Abg. Seer ist ebenfalls mit der Vorlage einverstanden und bittet, dieselbe einer besonderen Kommission von 14 Mit⸗ gliedern zu überweisen.

Finanz⸗Minister Dr. von Scholz: Nach Allem, was bisher gesagt worden ist, unterliegt es ja kein Zweifel, daß der Gesetzentwurf wohl einer Kommission überwiesen werden wird; es könnte daher scheinen, daß ich verzichten dürfte, noch hier zu sprechen. Indessen wird es, glaube ich, doch gut sein, wenn

ich mich heute schon über einige Punkte auslasse.

Zunächst kann ich mit Freude konstatiren, daß ich von den geehrten Vorrednern Hrn. Hansen gegenüber gar keine Differenzen hervor⸗ zuheben habe; ich glaube, seine Ausführungen, soweit ich sie habe ver⸗ stehen können, decken sich wesentlich mit dem Standpunkt der König⸗ lichen Staatsregierung, wie ich ihn hier zu vertreten habe.

Dagegen ist es der erste Herr Redner gewesen, der, wie es scheint, nicht wohl annehmbare Forderungen hervorgehoben hat, die er gesonnen ist, demnächst auch in formulirter Weise weiter zu verfolgen. Dieser Herr Redner hat, wenn ich ihn bei der Unruhe, die während des ersten Theils seines Vortrags herrschte, richtig verstanden habe, angedeutet, daß es ihm billig und recht scheine, dem Gesetz zum Theil eine rückwirkende Kraft beizulegen. Dem kann ich nur den bestimmtesten Widerspruch entgegensetzen. Das ist durchaus nicht der bisherigen Gesetzgebung entsprechendd, daß wir bei derartigen Gesetzen rückwirkende Kraft eintreten lassen. Das würde dem Recht und der Billigkeit wenig entsprechen und unabsehbare Folgen haben. Ich kann also meine Mitwirkung zu einer solchen Abänderung des Entwurfs nicht in Aussicht stellen.

Dann hat der geehrte Herr Redner hauptsächlich den §. 4 be⸗ kämpft, welcher weiter nichts vorsieht, als die Möglichkeit der Stempelkontrole auch bei den dortgenannten Gesellschaften eintreten zu lassen. Ich glaube nicht, meine Herren, daß das als irgend ein unberechtigter oder bedenklicher Vorschlag zu charakterisiren ist. Es ist nicht die Rede davon, daß diesen Gesellschaften oder Genossen⸗ schaften durch die Bestimmung des §. 4 eine neue Belastung auferlegt wird. Sie müssen ja voraussetzen, daß die Geschäftsführer dieser Gesellschaften doch natürlich auch wie alle andern von dem Bestreben erfüllt sind, ihre stempelsteuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Es handelt sich nicht darum, sie erst zu dieser Erfüllung durch die Kontrole zu bringen, sondern durch die Kontrole nur festzustellen, ob die Er⸗ füllung stattgefunden hat und wo hier und da ein Mangel daran besteht. Eine solche Kontrole der Stempelsteuer würde ja an und für sich gerechtfertigt sein überall, wo die Steuer überhaupt zu erheben ist. Die Scheidung macht man nur da, wo man in Privatverhältnisse, die nicht öffentlich dar⸗ gelegt werden, eindringen müßte; da ist auf die Kontrole zu verzichten; wo das nicht der Fall ist, ist gesetzlich anerkannt, daß kein Grund vorliegt, die Kontrole nicht auszuüben. Insbesondere stehen die Ge⸗ sellschaften, die der §. 4 bezeichnet, darin vollständig auf einer Linie mit den Aktiengesellschaften. Es handelt sich bei ihnen nicht um Ge⸗ heimnisse, die Niemand sehen dürfte, sondern um offenkundige Dinge, um von einem Stempelfiskal jedenfalls ohne allen geschäftlichen Nach⸗ theil zu durchdringende Correspondenzen und um Ermittelungen, ob dabei überall richtig oder vom Standpunkt des Se g-e. hier und da falsch verfahren ist. Ich glaube, daß unter diesem Gesichts⸗ punkt auch den Herren, die heute noch Bedenken haben, die Sache minder bedenklich erscheinen wird. 1

Was die Aeußerung des Hrn. von Below betrifft, so bedaure ich recht lebhaft nach den freundlichen Eingangsworten, die er sich veranlaßt fand zu dem Gesetzentwurf zu sprechen, meinerseits nicht mit ebenso freundlichen Antworten auf seine Wünsche mich ihm gegenüberstellen zu können.

Es ist zunächst von ihm der Gedanke von Neuem ausgesprochen worden, den Stiftungen eine größere Berücksichtigung bei den Stempel⸗ abgaben zu Theil werden zu lassen. Ich erinnere mich sehr wohl und nehme nichts von dem zurück, was ich in dieser Beziehung früher hier an Sympathie geäußert habe. Ich gebe zu, 8 es sich wirklich empfehlen wird, auf diesem Gebiet eine recht ernste Revision der Be⸗ stimmungen des Stempel⸗ und Erbschaftssteuergesetzes, das dabei ebenso sehr in Betracht kommt, vorzunehmen, aber die Frage ist in der That nicht eine leicht und einfach abzumachende. Es erfordert das eine sehr weitgehende Revision der Gesetzgebung, namentlich auch des Erbschaftssteuergesetzes, und dazu kommt noch, daß der Ausfall, der davon zu erwarten ist, auch nicht so minim sein dürfte, wie der Herr Abgeordnete voraussetzte. Jedenfalls glaube ich, ihn bitten zu dürfen, nicht anzunehmen, daß diese sehr schwierige Frage in einer kurzen Ergänzung, in einem Amendement, welches in der Kommission gestellt würde, irgend wie Aussicht hätte, sachgemäß erledigt zu werden. Seine beiden Forderungen auf Ermäßigung des Immobiliar⸗Kaufstempels sowohl bei der be an kleine Leute als auch bei Fideikommißgründungen habe ich ihn mit lebhaftem Interesse näher motiviren hören. Ich glaube aber, mit der Bitte antworten zu müssen, von solchen Dingen überhaupt jetzt absehen zu wollen. Meine Herren, der Immobiliarstempel ist bei uns, wie ich ja früher schon wiederholt die Ehre hatte darzulegen, mit einem Prozent des Werths ein keineswegs in exorbitanter Höhe bemessener. In vielen Theilen des deutschen Vaterlandes, die, was Bodenkultur und Bodenpreise betrifft, die höchsten Stellen mit einnehmen, ist das Doppelte, das Drei⸗ und Mehrfache von dem preußischen Immobiliarstempel bei jedem Kauf zu entrichten. In Elsaß⸗Lothringen, im Citleeheh Baden, in Bayern werden Sie diese Be⸗ hauptung, die ich eben aufstellte, durch die Gesetzgebung begründet finden, und ich kann nicht bestätigen, daß in diesen Staaten etwa eine besondere Agitation auf Abschaffung dieser Stempelabgaben gerichtet wird. Ich gebe zu, baß das Angeführte ohne Weiteres noch nicht viel für uns beweist, daß endgültig etwa sich damit die Frage nicht erledigen läßt für Preußen; aber es wird immerhin das daraus ent⸗ nommen werden können, daß es sich um eine der dringlichsten Forde⸗

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rungen nicht handelt. Das hat ja auch das hohe Haus anerkannt, indem es, wie der Hr. Abg. Hansen schon in Erinnerung gebracht hat, im veeg. c. EIcn beschränkt hat auf dasjenige, was §. 1 des Gesetzentwurfs vorschlägt. 8 8 Aünrerfenn ist ia gar keine Frage, daß die Ausfälle, die sich bei jeder Aenderung des Immobiliar⸗Kaufstempels ergeben, sehr viel erheb⸗

licher sind, als das, was jetzt in dem Gesetzentwurf aufzugeben unter⸗

nommen worden ist. Und was diese Ausfälle betrifft, so kann ich nur sagen, meine Herren, es ist in den beiden Tagen, wo über den Etat hier debattirt worden ist, zu meiner großen Freude von keiner Seite einem Optimismus Raum gegeben worden, welcher die Augen etwa verschlossen hätte vor den Unsicherheitsfaktoren in unserer Uine. stigen dermaligen Finanzlage. Ich kann nur sagen: ich aber halte diese Unsicherheitsfaktoren e im Auge; ich bitte aber ebenso auch das hohe Haus, dieselben bei jeder neuen Gelegenheit, nicht bloß bei der sehr verantwortlichen Etatsdebatte im Auge zu behalten, sondern auch bei solcher Gelegenheit wie hier hic Rhodus, hie salta.

Ich kann nicht die Hand dazu bieten, daß wir in einer wohl⸗ wollenden Weise alle die Schäden, die vermeintlich oder wirklich hie und da noch zu bessern sind, jetzt alle vornehmen und auf Grund der guten Finanzlage zu beseitigen suchen. Meine Herren, ich erinnere Sie daran, daß, wenn die Zeit sich etwas ändert, wenn die Unsicherheitsfaktoren als ungünstige Faktoren erscheinen, dann nur zu bald der Vorwurf gegen die Regierung erhoben wird, daß sie die Staatskasse in den besseren Zeiten „ausgepauvert“ habe. Vor einer solchen Auspauverung müssen wir uns huten, und deshalb bitte ich Sie dringend, den Gedanken aufzugeben, diesem Gesetz eine Modifikation des Immobiliar⸗ Kaufstempels einzufügen. Es würde sehr leicht viel Mühe und viel Arbeit dabei entstehen, aber ich glaube, ein Ergebniß würde dabei nicht herauskommen. Ich bitte Sie deshalb: instruiren Sie die Kommission, die Sie annehmen, sei es eine von 14, sei es von 21 nicht dahin, in dieser Richtung besonders thätig sein zu wollen.

Die Vorlage wird einer Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Reliktenbeiträge der Volksschullehrer.

Abg. Knörcke: Er wolle der Vorlage nicht widersprechen, obgleich sie nicht ganz den Wünschen entspreche, welche die Lehrer in dieser Beziehung hegten. Diese Regelung hätte man schon im vorigen Jahre machen können. Nothwendig sei auch eine bessere Bemessung der Pensionen für die Wittwen und Waisen, die jetzt viel zu niedrig seien. Die Lehrer wür den gern noch Beiträge zahlen, wenn die Pensionen etwas er

öht würden. 250 Jahrespension für eine Lehrerwittwe

hüht nicht hinreichend. Dabei blieben die Wittwen immer noch auf die Wohlthätigkeit angewiesen. Die Kommission, welcher die Vorlage zu überweisen sei, werde diese Frage ins Auge fassen müssen.

Abg. Dr. Kropatscheck: Von allen den Forderungen, welche der Abg. Knörcke jetzt stelle, sei in dem Antrage seiner Partei in der vorigen Session nicht die Rede gewesen. Die Lehrer stellten in ihren Petitionen Forderungen von einer Höhe, die keinem Beamten gewährt würde. Eine bessere Berück⸗ sichtigung der Lehrerwittwen mit mehreren Waisen sei viel⸗ leicht nothwendig. Aber man dürfe nicht vergessen, daß man es hier gar nicht mit Staatsbeamten zu thun habe. Die Vorlage enthalte nur das, was die Freisinnigen im vorigen Jahre beantragt hätten. Die Feßrer, welche nicht Volksschul⸗ lehrer, aber Mitglieder dieser Kassen seien, fielen nicht unter dieses Gesetz. Dadurch werde ihre Lage verschlechtert, trotzdem sie mehr Mitleid verdienten, als die Behren der Volksschulen. Die Verhältnisse dieser Lehrer sollten hinsichtlich ihrer Pen⸗ sionen und der Alterszulagen geregelt werden. Die Vorlage bitte er der Unterrichtskommission zu überweisen.

Abg. Dr. Enneccerus empfahl ebenfalls die Erhöhung der Wittwen⸗ und Waisenpensionen, wenn auch nicht in der Höhe wie der Abg. Knörcke verlange. Dem Wunsche des Abg. Dr. Kropatscheck in Bezug auf die Lehrer, welche nicht eigentlich Volksschullehrer seien, schließe er sich an.

Abg. von Balan meinte ebenfalls, daß der Gesetzentwurf einer Erweiterung bedürfe, sowohl in Bezug auf die Höhe der Pensionen der Wittwen, als auch in Bezug auf die Bei⸗ träge der Gemeinden für diesen Zweck. Alle diese Fragen könnten am besten in einer Kommission von 21 Mitgliedern geprüft werden. 1

Abg. Graf Hue de Grais glaubte, daß es sich erreichen lassen werde, die Lehrer, welche von diesem Gesetz noch aus⸗ geschlossen seien, in dasselbe hineinzubringen. 1b

Abg. Stöcker: Der Abg. Knörcke habe der Sache keinen Dienst geleistet durch seine Uebertreibungen und dadurch, daß er über den Antrag der freisinnigen Partei hinausgegangen sei. Die Lehrer würden nicht alle damit einverstanden sein, daß ihre Thätigkeit lediglich durch preußisches Courant auf⸗ gewogen werde. Wenn für die Wittwen und Waisen etwas hanes werden könne, so sei er damit einverstanden, denn er

abe als Lokal⸗Schulinspektor gesehen, welche Nothlage oft estehe. hei Vorlage wurde hierauf der Unterrichts⸗Kommission

überwiesen. Schluß 3 ¾ Uhr. Nächste Sitzung Freitag 11 Uhr.

b Setatistische Nachrichten. 8 Nach der im „Centralblatt f. d. ges. Unt.⸗Verw. in Preußen“

mitgetheilten Uebersicht über die Zahl der bei dem Land⸗ heere und bei der Marine in dem Ersatzjahr 1887/88 ein⸗ gestellten preußischen Mannschaften mit Bezug auf ihre Schulbildung befanden sich unter ihnen 4,15 %, welche nur in der nichtdeutschen Muttersprache ihre Schulbildung genossen hatten. An diesem durchschnittlichen Prozentsatz waren insbesondere diejenigen Regierungsbezirke betheiligt, unter deren Bevölkerung das ffawishe Element entweder vorherrscht oder beträchtlich vertreten ist, während die übrigen Regierungsbezirke der⸗ artige Mannschaften in verhältnißmäßig geringfügiger Anzahl oder gar nicht stellte Es waren unter dem Rekruten⸗ kontingent des Gumbinner Regierungsbezirks 1,61 %, des Königs⸗ berger 2,55 %, des Danziger 10,44 %, des Marienwerder 13,01 %, des Oppelner 19,91 %, des Bromberger 24,45 % und des Posener 27,39 % mit Schulbildung nur in der nichtdeutschen Muttersprache. Der Schulbildung entbehrten von den bei dem Landheer und bei der Marine in dem Ersatzjahr 1887/88 eingestellten Mannschaften 1,07 %. Diesen Durchschnittssatz überschritten von den Regierungsbezirken: Bromberg mit 1,23 %,ID Oppeln mit 1,94 %, Danzig mit 3,07 %, Königsberg mit 3,33 %, Posen mit 4,52 %, arien⸗ werder mit 4,80 % und Gumbinnen mit 5,40 %; unter⸗ schritten Aurich mit 0,66 %, Minden mit 0,45 %, Stettin mit 0,44 %, Stade mit 0,39 %, Köslin und Stralsund mit je 0,34 %, Frankfurt und Liegnitz mit je 0,24 %, Hannover mit 0,20 %, Breslau mit 0,16 %, Kassel mit 0,15 %, agdeburg mit 0,14 %, Düsseldorf mit 0,12 %, Aachen mit 0,09 %, Wiesbaden mit 0,08 %, Lüneburg mit 0,07 %, Potsdam mit Berlin, Merseburg und Münster mit je 0,06 %, Erfurt und Schleswig mit je 0,05 %, endlich Koblenz und Trier mit je 0,04 %. Unter den aus den Regierungs⸗ bezirken Koblenz, Trier, Hildesheim, Osnabrück, Arnsberg, Köln und

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