1889 / 28 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 30 Jan 1889 18:00:01 GMT) scan diff

für Landwirthschaft ꝛc., Dr. herr Lucius von Ballhausen, der Finanz⸗Minister Dr. von Scholz, sowie mehrere Regierungs⸗ Kommissarien beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts⸗Etats für 1889/90 fortgesetzt und zwar mit dem Spezial⸗Etat der „Forst⸗ verwaltung“.

Bei Titel 2 des Kapitels 2: „Gehalt der Oberförster“, fuüͤhrte Abg. von Risselmann Klage über die niedrigen Gehälter der Oberförster, die durchschnittlich nur 950 Thlr. betrügen. Zu bemängeln sei auch, daß die Oberförster während ihrer ganzen Dienstzeit denselben 188 und Titel behielten.

Abg. von Benda schloß sich diesen Ausstellungen an; trotz der vorjährigen kleinen Aufbesserung seien die Oberförster noch immer die schlechtest bezahlten Beamten. 8

Der Minister für Landwirthschaft ꝛc., Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen, erkannte die Bexechtigung dieser Aus⸗ fühnaneen an; es habe aber für die Oberförster nichts ge⸗ chehen können, weil bei der Aufbesserung der Gehälter einer Beamtenklasse Rücksicht auf andere genommen werden müsse; vielleicht sei dies in der nächsten Zeit möglich. Auf das Titelwesen sollte man nicht so großes Gewicht legen.

Abg. Tannen wünschte die Einrichtung einer Abtheilung für Forsten bei der Regierung in Aurich, damit die Auf⸗ sarftng besser geschehe, als dies jetzt von Osnabrück aus der Fall sei.

bg. Graf Matuschka hielt es für bedenklich, eine Gehalts⸗ aufbesserung der Oberförster hier anzuregen, wenn nicht das Einverständniß aller Parteien gesichert sei, was man leider nicht behaupten könne.

Abg. Knauer⸗Gröbers schloß sich den Ausführungen des Abg. von Risselmann an.

Abg. von Risselmann präzisirte näher, in welcher Weise er sich die Verleihung eines Titels an die Oberförster denke.

Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Freiherrn von Heere⸗ man erklärte Minister Dr. 1g Lucius von Ballhausen, daß allerdings 330 Forst⸗Assessoren vorhanden seien, von denen jetzt diejenigen angestellt würden, die 1882 oder 1883 ihr Examen gemacht hätten. Diese Wartezeit sei nicht bedeutend, jedenfalls nicht bedeutender als in anderen Ressorts; sie könnte aber eine längere werden, wenn trotz der Abmahnung der Zu⸗ drang zur Forstcarrière derselbe bleibe.

Abg. von Schöning bat, den kleinen Grundbesitzern un⸗ entgeltlich Pflanzen zum Aufforsten zu überlassen.

Minister Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen erwiderte, daß für die Aufforstung besondere Prämien gewährt würden.

Abg. von Schenckendorff sprach sich ebenfalls für eine Gehaltsaufbesserung der Oberförster aus, da sie die schlechtest⸗ besoldeten in Deutschland seien.

Abg. Szmula befürwortete die Abgabe von Waldstreu aus Staatsforsten an arme Leute.

Der Titel wurde hierauf bewilligt, ebenso nach kurzer Debatte die übrigen Ausgaben und die Einnahmen. (Schluß des Blattes.)

Die nachstehenden Kommissionen des Hauses der Ab⸗ geordneten haben sich wie folgt konstitutirt:

XI. Kommission zur Vorberathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Uebertragung polizeilicher Befug⸗ nisse in den Kreisen Teltow und Niederbarnim, sowie im Stadtkreise Charlottenburg an den Polizei⸗Präsidenten zu Berlin. Vorsitzender: Abg. Barth; Stellvertreter des Vorsitzenden: Abg. Greiß; Schrift⸗ führer: Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa und Abg. Sperlich. Für die Vorberathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Kosten Königlicher Polizeiverwal⸗ tungen in Stadtgemeinden, ist die Kommission um 7 Mitglieder verstärkt und außer den oben Genannten noch der Abg. Dr. Kelch zum Schriftführer gewählt worden.

XII. Kommission zur Vorberathung des Gesetzentwurfs, betreffend Abänderung mehrerer Bestimmungen der Gesetzgebung über die Stempelsteuer. Vor⸗ sitzender: Abg. Seer; Stellvertreter des Vorsitzenden: Abg. Below⸗Saleske; Schriftführer: die Abgg. Krebs und

öhring.

XIII. Kommission zur Vorberathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Theilung des Regie⸗ rungsbezirks Schleswig. Vorsitzender: Abg. Maiß; Stellvertreter des Vorsitzenden: Abg. Dr. Seelig; Schrift⸗ führer: Abg. von Oertzen (Jüterbog).

Die hiesige Königliche Universität beging am 27. Januar die Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers und Königs in ihrem großen Hörsaale. Derselben wohnten der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten, Dr. von Goßler, der General⸗Inspecteur des Militär⸗ Erziehungs⸗ und Bildungswesens, General der Infanterie von Strubberg, der Ministerial⸗Direktor Dr. Greiff, der Unter⸗ Staatssekretär im Ministerium der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten, Nasse, und mehrere höhere Beamte der resp. Be⸗ hörden bei. .

Die Feier wurde mit Gesang eröffnet, worauf der Geheime

Regierungs⸗Rath, Professor Dr. Curtius, die Festrede in deutscher Sprache hielt. Von der Bedeutung des Tages aus⸗ ehend, an dem nach den Gedächtnißfesten des verflossenen Fahres sich Alles mit froher Zuversicht einer neuen Zeit zu⸗ wende, sprach er von den Bürgschaften einer glücklichen JZukunft, der auf religiösem Grunde ruhenden Eintracht des Volks, der bei allen Ansprüchen des Fachstudiums festzuhaltenden Einheit der wissenschaftlichen Bildung und dem unlösbaren Zusammenhange des Volks mit seinem Königshause, an dessen ruhmreichen Traditionen unser jugendlicher Herrscher unver⸗ brüchlich festhalte. Mit Gesang wurde die Feier beschlossen.

Dem Kommunal⸗Landtage der Kurmark lagen in seiner 5. Plenarsitzung, am 28. Januar, 21 Gutachten seines I. Sn Siste vor, welche sämmtlich Unterstützungs⸗

esuche milder Stiftungen und Wohlthätigkeitsvereine betrafen. 8 19 Fällen bewilligte der Lan tag, der Wirksamkeit der

etenten, ihrer Verfihgenelag⸗ und seinen Mitteln ent⸗ sprechende, zum Theil namhafte Unterstützungen; nur in zwei Fällen mußten derartige Gesuche abgelehnt werden, weil die betreffenden Institute dem Bezirk der Kur⸗ mark nur zum kleinsten Theile zu Gute kommen. Als letzte Sache beschäftigte den Landtag die im I. Ausschusse vorbera⸗ thene Kecnung der Land⸗Feuersozietät der Kurmark und der

ederlausitz für das Jahr 1887. Der Landtag beschloß die

des Rechnungslegers und der Verwaltung. n

der am 29. 8— abgehaltenen 6. Plenar⸗ Schluß⸗) Sitzung gab der Vorsitzende, Major von Rochow⸗ lessow, eine Uebersicht der in 15 tägiger Session von dem andtage erledigten Geschäfte. Darnag sind 82 Sachen zur Verhandlung gekommen, von denen der I. Ausschuß 31, der

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11“1“ 8 9 II. Ausschuß 40 und der III. Ausschuß 8, der ritterschaftliche Konvent 3 bearbeitet haben. Das Plenum hat über die von den Ausschüssen berathenen 79 Sachen in 6 Sitzungen, der ritterschaftliche Konvent über die 3 Vorlagen in einer

Sitzung Beschluß gefaßt. Der Vorsitzende schloß den

61. Kommunal⸗Landtag der Kurmark mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser und König, in welches die Versammlung mit begeistertem dreimaligen Ruf einstimmte.

Der General⸗Lieutenant von Derenthall, General à la suite Sr. Majestät des Kaisers und Königs und Com⸗ mandeur der 17. Division, hat Berlin wieder verlassen und sich nach Schwerin zurückbegeben.

Der General⸗Lieutenant von Lewinski, Comman⸗ deur der 4. Division, ist jur Abstattung persönlicher Meldungen von Bromberg hier angekommen.

Der General⸗Lieutenant von Seeckt, Commandeur der 10. Division, ist mit Urlaub von Posen hier eingetroffen.

Als Aerzte haben sich niedergelassen die Herren: Dr. Reimann in Danzig, Dr. Kossel, Assistenz⸗Arzt am Elisa⸗ beth⸗Kinder⸗Hospital, in Tempelhof, Friedrich in Magdeburg, Dr. Senckpiehl in Eberswalde, von Lniski in Czarnikau, Dr. Diekerhoff in Warendorf, Dr. Poellmann in Everswinkel, Dr. Lackmann in Bochum, Dr. Fischer in Erwitte, Dr. Keining in Soest, Dr. Wirz in Bonn, Dr. Buchfeldt in Aachen, Simon in Rod a. d. Weil, Lennert in Konz.

Das Schulgeschwader, bestehend aus den Schiffen „Stosch“ (Flaggschiff), „Charlotte“, „Gneisenau“ und „Moltke“, Geschwader⸗Chef: Contre⸗Admiral Hollmann, ist am 28. d. M. in Malta eingetroffen.

Sachsen. Dresden, 29. Januar. (Dr. Journ.) Der König und die Königin werden sich am Donnerstag, den 31. d. M., nach Leipzig begeben und im dortigen Königlichen Palais für einige Tage Aufenthalt nehmen.

Württemberg. Stutrgart, 30. Januar. (W. T. B.) Heute Mittag eröffnete Prinz Wilhelm von Württem⸗ berg im Namen des Königs den neugewählten Land⸗ tag mit folgender Thronrede:

„Hohe Versammlung!

IM“ Majestät der König, Höchstwelche zu Ihrem Bedauern nicht in der Lage sind, heute in Ihrer Mitte zu erscheinen, lassen Ihnen zu einem freundlichen Willkommen bei Ihrem ersten Zusammentritt durch Mich Höchstihren Königlichen Gruß in Gnaden entbieten.. *

Die wirthschaftliche Lage des Landes ist im Ganzen eine günstige.

Die Staatsfinanzen zeigen eine erfreuliche Besserung.

Namentlich erweist sich die Branntweinsteuer, Dank dem Beitritt zu der Steuergemeinschaft der übrigen deutschen Staaten, als eine wesentliche Stärkung und ergiebige Einnahmequelle auch für den

württembergischen Staatshaushalt. .

Bei dem Aufschwung, welchen der Verkehr genommen hat, ist der Ertrag der Staatseisenbahnen in den letzten Jahren rasch und erheblich gestiegen; auch darf mit der stets fortschreitenden Entwicke⸗ lung der verschiedenen Zweige der Verkehrsanstalten eine weitere Zu⸗ nahme der Betriebsüberschüsse zuversichtlich gehofft werden.

In dem Vermögen der Restverwaltung stehen, hauptsächlich aus dem Rechnungsjahre 1887/88, reichlichere Mittel zu Deckung außer⸗ ordentlicher Staatsbedürfnisse zur Verfügung.

Diese neue Finanzlage übt bestimmenden Einfluß auf den Haupt⸗ finanz⸗Etat und das Finanzgesetz für die nächsten zwei Jahre, deren Berathung und Verabschiedung eines Ihrer ersten und wichtigsten Geschäfte bilden wird.

Insbesondere kann die Ermäßigung der Steuersätze der Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbesteuer, sowie der Steuer von Kapital⸗ und Renten⸗, Dienst⸗ und Berufs⸗Einkommen Ihrer Zustimmung unter⸗ stellt werden.

Neben der ordentlichen Tilgung der Staatsschuld kommt eine außerordentliche Tilgung in Antrag.

Den in den Staatsbetrieben verwendeten Arbeitern und niederen Bediensteten werden Sie an verschiedenen Stellen des Etats eine weitere Fürsorge zugewendet finden. Namentlich ist ein Zuschuß be⸗ antragt zu der neu einzurichtenden Versorgung der Arbeiter der Eisen⸗ bahnverwaltung im Alter oder bei eintretender Invalidität sowie der Hinterbliebenen von solchen.

Auch die ökonomische Lage der Staatsbeamten mußte die Auf⸗ merlsamfeit der Königlichen Regierung ernstlich in Anspruch nehmen. Im Hinblick auf das bestehende dringende Bedürfniß, sowie auf das, was zur Verbesserung der Gehalte der öffentlichen Diener während der letzten Jahre in anderen deutschen Staaten bereits geschehen ist, wird Ihnen ein Antrag vorgelegt werden, welcher bezweckt, die dienst⸗ lichen Bezüge unserer Staatsbeamten den in den Nachbarstaaten be⸗ stehenden Gehalten näher zu bringen.

Im Anschluß hieran werden Ihnen auch Vorschläge zur Ver⸗ besserung des Diensteinkommens der Geistlichen und der Schullehrer, sowie der Pensionen ihrer Hinterbliebenen vorgelegt werden.

Die Finanzlage gestattet es ferner, die Frage der Entlastung der Amtskörperschaften und Gemeinden bestimmter ins Auge zu fassen. Durch die Gewährung namhafter Staatsbeiträge zu den Kosten der Unterhaltung der Korporationsstraßen und der Landarmenverbände sollen jene Körperschaften von den drückendsten Lasten befreit und zu besserer Erfüllung ihrer sonstigen Aufgaben befähigt werden.

Eine weitere wesentliche Unterstützung soll den Gemeinden durch eine Erhöhung der 1 bisher geleisteten Staatsbeiträge zu den Ge⸗ halten ihrer Schulstellen zu Theil werden.

„Die verfügbaren Mittel des Restvermögens endlich lassen es zu, eine Reihe größerer Bauten weiter zu fördern oder neu in Angriff zu nehmen, darunter ein Justizgebäude in Ulm, mehrere Gefängniß⸗ bauten, das Gewerbe⸗Museum in Stuttgart, die Irrenpflegeanstalt in Weißenau, eine Irrenklinik in Tübingen, Neubauten in Wildbad.

Für die Fertigstellung der in der letzten Landtagsperiode be⸗ schlossenen Eisenbahnneubauten ist Vorsorge zu treffen.

Mit der Erbauung von Eisenbahnen von vorwiegend lokaler Be⸗ deutung unter Heranziehung der Betheiligten zur Beitragsleistung soll weiter vorgegangen werden; Ihre Zustimmung wird zunächst nach⸗ Hfsncht werden zur Ausführung einer Eisenbahn von Nagold nach

ltensteig und einex solchen von Reutlingen nach Hongau, der letzteren als erstes Glied eines auf die Albhöhe vorerst bis Münsingen fort⸗ zusetzenden Schienenwegs.

Die im Petrieb befindlichen Bahnanlagen bedürfen mehrfacher durch die Verkehrszunahme, wie durch Anforderungen der Sicherheit und Zweckmäßigkeit des Betriebs veranlaßter Erweiterungen und Ver⸗ besserungen; eine erhebliche Vermehrung des Fahrmaterials ist nach dem dermaligen Verkehrsumfang nicht zu entbehren; mit den Maß⸗ hemg zu zeitgemäßer Verbesserung desselben muß fortgefahren

erden.

Der im Anschluß an die Reichsgesetzgebung nach dem Vorgang anderer Bundesstaaten bearbeitete Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Fürsorge für Beamte in Folge von Betriebsunfällen, kann Ihnen demnächst mitgetheilt werden.

Zur Beseitigung der auf dem Gebiet des öffentlichen Armen⸗ wesens hervorgetretenen Mißstände werden Sie eine Vorlage er⸗ halten, welche neben der Uebernahme gewisser Leistungen der Armen⸗ verbände auf den Staat vornehmlich die Schaffung größerer Land⸗ armenverbaͤnde bezweckt und hierdurch auch den mit Landarmenkosten überbürdeten Ober⸗Amtsbezirken eine entsprechende Erleichterung bringen wird.

In Vorbereitung begriffen sind Gesetzentwürfe über weitere Aende⸗

schlags zur Hundeabgahe zu Gunsten der Ortsarmenkassen.

Dem von den Ständen wiederholt geäußerten Wunsch einer höheren Besteuerung des Hausirhandels wird durch Einbringung eines Gesetzentwurfs entsprochen werden, welcher die Umgehung der Gemeinde⸗ abgaben durch die auswärtigen Hausirer verhindert und die haupt⸗ sächlich zu Klagen der seßhaften Gewerbe Anlaß gebenden Klassen der Hausirer mit einer Abgabe an diejenigen Amtskorporationen belegt auf deren Bezirk der Gewerbebetrieb ausgedehnt wird. 1

„Nach erfolgter Verabschiedung des Hauptfinanz⸗Etats wird es während der alsdann bevorstehenden Unterbrechung der ständischen Arbeiten, die Aufgabe der Staatsregierung sein, darüber sich schlüssig zu machen, welche weitere Gesetzesvorschläge nach Lage der Verhältnisse das Wohl des Landes erheischt

„Wiichtige und umfassende Arbeiten warten Ihrer auf dem nun be⸗ ginnenden Landtage.

Se. Majestät der König geben Sich gern der Hoffnung hin, daß Sie an die Ihnen gestellten Aufgaben mit Eifer und Hingebung heran⸗ treten werden, entschlossen und bereit, bei deren Lösung im Verein mit der Königlichen Regierung mitzuwirken.

„Dann wird auch der Wunsch Sr. Königlichen Majestät sich erfüllen, daß unter Gottes gnädigem Beistande die Arbeiten einen befriedigenden Abschluß finden mögen zum Besten des Volks und zum Segen für unser geliebtes Württemberg.

3 8 u“ Sr. Majestät des Königs erkläre Ich den Landtag ür eröffnet.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Coburg, 26. Januar. (Köln. Ztg.) Der Landtag des Herzogthums Coburg hat gestern die Vorlage, betreffend eine außerordentliche Schuldentilgung in Höhe von 500 000 ℳ, einstimmig und mit dem Zusatz angenommen, daß die Regierung auf Umwandlung der noch verbleibenden 4proz. Staatsschuld in ungefährer Höhe von 3 200 000 in ein 3/2proz. Anlehen Bedacht nehmen möchte. Seitens der Regierung wurde be⸗ merkt, daß auch nach der Tilgung der Finanzstand ein so günstiger bleibe, daß noch Mittel für größere Unternehmungen übrig blieben. Als solche seien in der Berathung die Eisenbahnbauten Coburg —Rodach und Neustadt—Stock⸗ heim genannt worden, doch müsse dem Landtage die Initiative hierfür überlassen bleiben.

Anhalt. Dessau, 27. Januar. (Anh. St.⸗A.) Der Herzog ist heute Abend mit dem Gefolge hier wieder an⸗ gekommen.

Bremen. Bremen, 29. Januar. (W. T. B.) Die außerordentliche marokkanische Gesandtschaft an Se. Maäjestät den Kaiser ist heute Mittag an Bord des Norddeutschen Lloyddampfers „Preußen“ auf der Weser an⸗ gekommen.

Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 29. Januar. (W. T. B.) Der Statthalter, Fürst Hohenlohe, eröffnete heute Nachmittag um 3 Uhr im Namen Sr. Majestät des Kaisers die 16. Session des Landes⸗Ausschusses. In der Eröffnungsrede wies der Statthalter auf die äußerst befriedigende Finanzlage hin, welche den Ueber⸗ weisungen vom Reich und der günstigen Entwickelung der eigenen Finanzen zu danken sei. Diese günstige Finanz⸗ lage erlaube es, bedeutende Mittel für Meliora⸗ tions⸗ und Schulzwecke zu verwenden und die Gemeinden durch Uebernahme von Lehrergehältern und Alterszulagen auf die Staatskasse zu entlasten. Nach reichlicher Befriedigung aller Bedürfnisse verbleibe noch ein Ueberschuß von 1 Million, welche den Grundstock zu einem Fonds für den Ausbau des Kanalnetzes bilden solle. Der Statthalter schloß mit dem Wunsche, daß der Landes Ausschuß, wie bisher, seine Arbeiten mit Hingebung und in Uebereinstimmung mit der Regierung zum Wohle des Landes fördern möge. Bei der Eröffnung waren sämmtliche 58 Abgeordnete anwesend. Zum Prä⸗ sidenten wurde der bisherige Präsident Schlum⸗ berger wieder gewählt. Zu Vize⸗Präsidenten wurden Baron Zorn von Bulach (Vater) und Jaunez gewühlt. Schlumberger schlug vor, an Se. Majestät den Kaiser Wilhelm II., unter dessen Regierung der Landes⸗ Ausschuß zum ersten Mal versammelt sei, ein Telegramm zu senden, in welchem der Landes⸗Ausschuß Sr. Majestät seine Huldigung und das Gelöbniß der Treue für Kaiser und Reich darbringe. Das Telegramm, welches mit Wünschen für eine lange und gesegnete Regierung Sr. Majestät des Kaisers schließt, wurde von dem Präsidenten Schlumberger verlesen, mit lautem Beifall von der Versammlung aufze⸗ nommen und alsbald abgesandt.

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Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 30. Januar, 2 Uhr 50 Minuten Nachmittags. (W. T. B.) Von Meierling bei Baden, wohin sich der Kronprinz Erzherzog Rudolphvorgestern Abend zu einem Jagdausfluge begeben hatte, trifft soeben die tief erschütternde Nachricht ein, daß Se. Kaiserliche Hoheit eines plötzlichen Todes, wahrscheinlich in Folge eines Schlaganfalls, gestorben ist.

(W. T. B Der „Presse“ zufolge erfüllte die Regierung den bekannten Wunsch der Kommission, betrefßs der Aufhebung der Linienwälle und der Reform der Wiener Verzehrungssteuer, indem sie den Kommissionsmitgliedern gestern ihr gesammtes Material zur Verfügung stellte, welches den Inhalt des Entwurfs des Kaiserlichen Rathes Benda bildet. Die Steuerpflicht in Wien würde durch die Aufhebung der Verzehrungssteuer auf die wichtigsten Lebens⸗ und Industriemittel gegen jetzt um rund 35 Proz. ermäßigt werden; die Steuerleistung 8. Vor⸗ orte hingegen würde durch Herstellung eines einheitlichen Markt⸗ gebiets, welches Wien und die Vororte umfaßt, um 1 700 000 Fl. wachsen. Das Opfer des Staats in Folge Wegfalls der Weg⸗ mauth und des Verzichts auf die obenerwähnten Verzehrungs⸗ steuern würde 1 400 000 Fl. betragen, was theilweise durch Erhöhung einzelner Verzehrungssteuern, namentlich aber der Luxusartikel, wieder eingebracht werden würde.

Pest, 29. Januar. (W. T. B.) Nach der heutigen Ab⸗ stimmung über das Wehrgesetz wurde die Opposition von einer größeren Ansammlung von Studenten auf der Straße mit Beifallskundgebungen begrüßt. Dagegen wurde die liberale Partei mit Zeichen des Mißfallens empfangen. Da die Menge trotz gütlichen Zuredens nicht von der Stelle wich, räumte die Polizei die Straße. Hierauf verließ der Minister⸗ Präsident von Tisza mit seinen Kollegen das Parlaments⸗ haus, von lebhaften Eljenrufen seiner Parteifreunde begleitet. Bei den heutigen Demonstrationen wurde ein Schul⸗ knabe schwer verletzt und ein Polizei⸗Hauptmann mißhandelt. Die Tumultuanten zogen vor die Kaffeehäuser und schlugen Fensterscheiben ein. Ein Theil der Demonstranten, die nach

rungen des Gesetzes, betreffend die Steuer von Kapital⸗ und Renten⸗,

der Festung Ofen ziehen wollten, wurde von Polizisten und

Zolhaten zurückgedrängt. Die beabsichtigte Demonstra tion vor Saldzben ia der liberalen Partei wurde durch Vorkehrungen der Polizei verhindert; auch bildeten Kavallerie und Infanterie in den Straßen Kordon. 1

30. Januar. (W. T. B.) Gestern Abend 11 Uhr war die Ruhe überall wiederhergestellt, ohne daß das Militär zum Einschreiten mit der Waffe genöthigt war. Von den Beamten der Polizei sollen zwei durch Revolver⸗ chüsse welche aus der Mitte der tumultuirenden Menge fielen, verwundet worden sein.

Großbritannien und Irland. London, 26. Januar. A. C.) Die „London Gazette“ meldet die Ernennung des bisherigen Vize⸗Konsuls für den Kamerun⸗Distrikt, Henry amilton Johnston, zum großbritannischen Konsul für die portugiesischen Besitzungen an der Ostküste von Afrika, mit dem Wohnsitz in Mozambique. Manchester, 29. Januar. (W. T. B.) Der par⸗ nellistische Abgeordnete, William O'Brien, ist heute hier, während er eine Rede hielt, verhaftet worden. Limerick, 29. Januar. (W. T. B.) Der Deputirte Sheehy wurde nach Stellung einer Kaution heute freigelassen, jedoch später unter einer anderen Anschuldigung wieder ver⸗

haftet und in das Gefängniß abgeführt.

Frankreich. Paris, 29. Januar. (W. T. B.) Der Ministerrath beschloß, bei Gelegenheit der Interpellation Jouvencel's der Deputirtenkammer Aufschlüsse zu geben und derselben die Absichten des Ministeriums mitzutheilen, auch alsbald einen Entwurf betreffs Einführung der Arrondissements⸗Abstimmung vorzulegen.

Wie verlautet, sprach Minister⸗Präsident Floquet seine Ansicht dahin aus, daß das Kabinet sich darauf beschränken müsse, am Donnerstag nur den Gesetzentwurf betreffs der Arrondissements⸗Abstimmung einzubringen. Die Mini ster schlossen sich dieser Anschauung an. Dagegen soll die Frage der Kammerauflösung von den Umständen, welche eintreten könnten, abhängig gemacht werden. Die Absicht, gegen ple⸗ biszitäre Umtriebe eine Vorlage einzubringen, wird voraus⸗ sichtlich aufgegeben werden, da dieser Gedanke in parlamen⸗ tarischen Kreisen keine günstige Aufnahme gefunden hat.

Die republikanischen Gruppen der Kammer traten heute vor der Sitzung zu Besprechungen zusammen. Die äußerste Linke sprach sich für Wiedereinführung der Arrondissements⸗Abstimmung aus; viele von dieser Partei sind für unverzügliche Vornahme der Wahlen und für einen Kabinetswechsel. Die Gruppe der vereinigten Linken wünschte, daß der Interpellation Jouvencel's am Donnerstag die Einbringung eines Gesetzentwurfs, betreffs der Abstimmung des Arrondissements, vorausgehen solle. Die radik ale Linke sprach sich einstimmig dafür aus, daß das gegenwärtige Kabinet weiter im Amt bleibe. .

Die Deputirtenkammer genehmigte die ersten drei Artikel des Gesetzes, betreffend die Frauen⸗ und Kinderarbeit in Fabriken. Nächste Sitzung Donnerstag.

In einem Schreiben Boulanger's an Wähler heißt es:

„Noch unter dem Eindruck der tiefen Bewegung, welche mir die bewunderungswürdige Kundgebung vom Sonntag verursacht bat, will ich doch nicht zögern mit dem Ausdruck meiner Erkenntlichkeit gegen⸗ über der Bevölkerung, welche so tapfer in geschlossener Kolonne marschirte gegen die porlamentarische Koalition, welche aus allen Denjenigen zusammengesetzt ist, die in so kühner Weise die Republik für sich in Anspruch nehmen die Republik, die ihre Fehler, ihre Ohnmacht und ihre Intriguen in so schwerer Weise kompromittirt haben. Noch unter keiner Regierung, bei keinem offiziellen Wahlfeldzuge sind so nichtswürdige Angriffe, so wohl überlegte Lügen, so schmachvolle Drobungen gegen einen Kandidaten in so schmählicher Weise geschleudert worden. Mit Ihrem Stimmzettel in der Hand haben Sie mit einem einzigen Schlage alle Verleumdungen und alle Verleumder weggefegt. Die Partei der National⸗Republikaner, welche sich gründet auf die Rechtschaffenheit ihrer Beamten und auf das allgemeine Stimmrecht, ist von jetzt ab begründet. Die Kammer, welche dieselbe bekämpfte mit einer Wuth, ohne Gleichen, hat nichts Anderes mehr vor sich, als die Auflösung, der sie auch nicht entgehen wird. Wähler des Seine⸗Departements! Ihnen, Ihrer Energie und Ihrem gesunden Verstande wird es unser großes Vater⸗ land zu verdanken haben, daß es von Schmarotzern befreit ist, welche an ihm nagen, indem sie es entehren. Die Republik steht jetzt allen Franzosen offen, die guten Willen hegen. Mögen sie in dieselbe ein⸗ freten, mögen jene Anderen aus derselben ausscheiden. Es lebe Frank⸗ reich! Es lebe die Republik!“ 1

Wie aus Hue gemeldet wird, Annam am 27. d. M. gestorben. b

30. Januar. (W. T. B.) Floquet wird heute das Bureau der äußersten Linken empfangen. Dem Ver⸗ nehmen nach wird das Bureau die Auflösung der Patrioten⸗ liga wegen deren Betheiligung bei der Wahl Boulanger’s verlangen.

Rußland und Polen. St. Petersbur 2 29. Januar. (W. T. B.) Im Winterpalais fand gestern der erste große Hofball in dieser Saison statt, wozu über 2100 Per⸗ sonen erschienen waren. Nachdem der Kaiser und die Kaiserin den Ball mit einer Polonaise eröffnet hatten, und die Kaiserin die zweite Polonaisentour mit dem Großfürsten⸗ Thronfolger getanzt hatte, befahl Ihre Majestät zur dritten Tour den deutschen Botschafter, von Schweinitz. Bei der Tafel saßen zur Rechten der Kaiserin der deutsche, zur Linken der türkische Botschafter; ferner speisten an der Kaiserlichen Tafel die Minister von Giers und Graf Ignatieff.

Die hiesigen Blätter besprechen den Wahlsieg Bou⸗ langer's mit großem Interesse „behalten sich jedoch ihr defini⸗ tives Urtheil über dessen Tragweite bis zum Eintritt weiterer Ereignisse vor. Die „Neue Zeit“ und die „Nowosti“ sehen in Boulanger's Wahlerfolg eine an die Republik gerichtete Auf⸗ forderung zu energischem Vorgehen.

Italien. Rom, 29. Januar. (W. T. B.) Die Deputirtenkammer wählte heute den Abgeordneten Biancheri mit 225 Stimmen zum Präsidenten wieder (34 Zettel waren unbeschrieben); Villa di Rudini, Baccelli und Munrogonato wurden zu Vize⸗Präsi⸗ denten gewählt.

Amerika. Washington, 29. Januar. (W. T. B.) Der Senat nahm in seiner heutigen Sitzung bei der Berathung der Kredite für den diplomatischen Dienst ein Amendement an, nach welchem die bisherigen Gesandt⸗ schaften in Paris, Berlin, London und St. Peters⸗ burg zu Botschaften erhoben werden sollen. In geheimer Sitzung beschloß der Senat sodann, über die Kredite 88 ven diplomatischen Dienst in Samoa öffentlich zu berathen

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ist der König von

seine

Afrika. Egypten. Aus Suakim, vom 25. Januar, h t: 2 2 gan, . Abreise von Sir Francis Grenfell hier noch ver⸗ bliebenen britischen Truppen, nämlich eine Schwadron des 20. Husaren⸗Retziments und die berittene Infanterie, traten heute, sammt Oberst rchener und dessen Stab, an Bord der egyptischen Transportschiffe „Damanhour“ und „Hodeida“ die Rückreise nach Kairo an. Der Befehl über die egyptische Garnison in Suakim

liegt dem General⸗Gouverneur Oberst Holled Smith ob.

Zeitungsstimmen.

Das „Deutsche Tageblatt“ schreibt unter der Ueber⸗ schrift: „Wie sind wir zu unserer Kolonialpolitik gekommen?“: Noch bei den Verhandlungen über die Somoavorlage vom Jahre 1880 wurde Namens der deutschen Regierung ausdrücklich er⸗ klärt, der Beginn einer Kolonialpolitik werde damit nicht beabsichtigt. Einige Zeit darauf machte ein deutscher Privatmann, welcher an Eigenthumsrecht der nordöstlichen Küste von Borneo betheiligt war, der Reichsregierung den Vorschlag, daselbst eine deutsche Kolonie zu gründen Der Privatmann trug Bedenken, das nöthige Kapital in ein so fern liegendes Unternehmen zu wagen, ohne wenigstens der moralischen Unterstützung der Reichsregierung sicher zu sein. Von dieser aber war eine Aeußerung nach dieser Seite hin nicht zu erlangen. Wohl trug der Herr Marine⸗ Minister dem Plane eine lebhafte Sympathie entgegen, welche, wie anzunehmen ist, hauptsächlich dadurch angeregt wurde, daß in dem zu erwerbenden Gebiet zwei Häfen liegen, welche zu den besten der Erde gezählt werden. Ein gleiches Interesse für die Sache zeigte auch der damalige Vertreter des Staatssekretärs des Aeußern, welcher seine Vermittelung bei dem Herrn Reichskanzler ausdrücklich in Aussicht stellte. Dennoch hat der Letztere aus Gründen, welche im Einzelnen nicht bekannt geworden sind, seine Zustimmung zu dem Plane zu er⸗ klären abgelehnt, un n wurde ein weiteres Vorgehen in dieser Angelegenheit ausgeschlossen. 8 1 Wee 8 der Rerchskanzler diese Politik gegenüber den deutschen Niederlassungen an fernen Gestaden, der er ursprünglich huldigte, durch spätere Erfahrungen genöthigt wurde, aufzugeben, wurde uns zuerst durch die Aktenstücke über die Fidschi⸗Insein klar gemacht. Die Engländer sind es, die uns eine eigene Kolonialpolitik aufgedrängt haben. Fürst Bismarck suchte ursprünglich den Schutz deutscher Niederlassungen bei den englischen Kolonialbehörden. Als England die Fidschi⸗Inseln 1874 annektirte, und die Deutschen da⸗ selbst davon die Beeinträchtigung ihrer Rechte besorgten, die in der That auch später eintrat, erwiderte Fürst Bismarck, daß er solche Befürchtungen betreffs der Verletzung deutscher Interessen nicht theile, vielmehr das Vertrauen habe, daß von der englischen Herrschaft ein günstiger Einfluß auf die Lage der Fremden, namentlich der Deutschen, zu erwarten sei. Der Aktenstoß, betreffend Fidschi⸗ Inseln, erschien vor vier Jahren erst nach den auf Kamerun, Angra Pequena u. s. w. bezüglichen Publikationen des Auswärtigen Amts. Den richtigen Einblick in die Entwickelung der kolonialpolitischen Nach⸗ richten der Reichsregierung erhielten wir aber erst durch das Weißbuch über Fidschi. Der später hervorgetretene Keim der Geneigtheit der Berliner Politik, deutsche Ansiedelungen in fernen Welttheilen unter den unmittelbaren Schutz des Reichs zu nehmen, lag in der Behand⸗ lung der vor der Annexion der Fidschi⸗Inseln durch England dort angesiedelten Deutschen nach der englischen Besitzergreifung. Fürst Bismarck hatte sich in dem Vertrauen auf die Engländer getäuscht. Er glaubte an eine Identität der maritimen Interessen Deutschlands mit denen Englands und wies die Besorgniß der deutschen Kolonisten auf den Fidschi⸗Inseln vor der englischen Annexion unter dem Ausdruck der Hoffnung zurück, dieselben würden sich im Gegentheil unter der civilisirten englischen Regierung besser befinden, als unter untergeordneten staat⸗ lichen Zuständen. Die zehnjährigen Verhandlungen, welche erforderlich waren um nur zu einer Einsetzung einer deutsch⸗englischen Kommission behufs Prüfung der von den Deutschen erhobenen Ansprüche zu ge⸗ langen, während inzwischen die deutschen Interessen durch die englische Herrschaft schweren Schaden erlitten, brachten in Berlin die Er⸗ kenntniß zum Durchbruch, daß es doch das Beste sei, deutsche Inter⸗ essen unter den Schutz des Deutschen Reichs zu stellen. Die in der Angra⸗Pequena⸗Angelegenheit befolgte Methode war erst durch die in der Südsee gemachten Erfahrungen diktirt. Unser Auswärtiges Amt konnte nicht wünschen, an der westafrikanischen Küste dieselbe Art von Schutz deutschen Eigenthums durch englische Kolonialbehörden etablirt zu sehen, wie auf den Fidschi⸗Inseln. b 8 Fürst Bismarck ist demnach zum Ergreifen einer eigenen Kolonial⸗ Politik nur gezwungen worden. Man kann den Urfprung davon noch weiter zurückführen. Es hätte vielleicht in der Macht des Fürsten Bismarck gelegen, auf jede Kolonialpolitik für Deutschland zu ver⸗ zichten, um keinen Anstoß bei England zu erregen. Wenn er aber seinem Vaterlande ein solches Opfer hätte zumuthen wollen, so würde er doch in der Lage sein müssen, der deutschen Nation Rechenschaft zu geben von dem Aequivalent, welches England em deutschen Volk solcher Verzichtleistung und Entsagung gegenüber gewähren könnte. Wenn es sich um ein Nachbarland handelt, mit dem Deutschland auf Schutz und Trutz in einem so festen Bunde steht, daß Sicherheit und Friede beiden dadurch gewähr⸗ leistet sind, dann kann es sich wohl fragen, ob man Opfer der Art bringen soll, um Verstimmungen bei einem sicheren und starken Freunde zu verhüten. Würde ein solcher für Deutschland in der Macht des britischen Reichs erstehen, wenn Deutschland aus Ge⸗ fälligkeit für englische Interessen oder durch Zufälle mit anderen Mächten in Kefsßence Kriege verwickelt würde? Der Vorgang von 1870 spricht nicht dafür. 2 8 Aplc g. heute wegen einiger Mißerfolge wieder einlenken in unsere ehemalige Abstinenzpolitik? Wie ist England in seiner Kolonial⸗ politik überall da, wo es auf Hindernisse stieß, vorangegangen? Der Philanthrop muß diese fortwährenden Vernichtungs“ und Erobe⸗ rungskriege gegen die Eingeborenen aufs Tiefste beklagen, der Politiker dieselben aber leider als unvermeidlich anerkennen. Es ist der Fluch der Kultur, daß sie ihren Weg fast immer über Leichenhaufen nehmen muß; so in Amerika, so in Afrika. Trotz aller Abneigung gegen den unter der Flagge der Humanität segelnden Egoismus der engländer, wird man ohne Umschweife anerkennen müssen, daß sie im eminentesten Sinne des Worts Kulturträger sind. Wohin sie kommen, vernichten sie zuerst, aber sie bauen dann auch auf. Wenn irgend bei einem eroberungssüchtigen Volk, so heißt es bei ihnen: „Und neues Leben blüht aus den Ruinen“. bnsn bescheidenen Deutschen haben nicht entfernt einen solchen englischen Kolonial⸗Ehrgeiz, wir wollen uns nur ein wenig unserer Haut wehren, und sollten wir horribile dictu ganze 900 Mann anwerben.

In der „Danziger Allgemeinen Zeitung“ lesen wir:

Die Berathung der ostafrikanischen Vorlage im Reichstage hat dem Fürsten Bismarck Gelegenheit gegeben, seine Stellung gegenüber den kolonial⸗politischen Frager in ganz bestimmter, scharf umgrenzter Weise zu zeichnen. Der Reichskanzler ging von dem Zugeständniß aus, daß er kein „Kolonialschwärmer“ gewesen wäre. Er sah und sieht in diesen Dingen aber eine nationale Bewegung von wachsender Kraft sich gegenüber, und die Bedingungen, welche es ihm zur Pflicht machen würden, einem solchen Drängen entgegenzutreten, nega nicht vor. Fürst Bismarck erinnerte in dieser Hinsicht ses Hashee eise an die Konflikts⸗ jahre; damals wies ihm der Wille seines 855 die Aufgabe zu, der verderblichen Richtung, in der sich die Mehrheit des Landes bewegte, Wider⸗ stand entgegenzusetzen; heute, so dürfen wir aus dieser Erinnerung ohne Zweifel folgern, wird der Zug nationaler Bewegung, von dem

wir sprechen, von dem Kaiserlichen Herrn des Reichskanzlers

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seinem hohen Verbündeten als heilsam beurtheilt und gereicht ihnen 8 zur Freude. Und auch das persönliche Gefühl und eigene Urtheil des Fürsten Bismarck macht ihn jetzt wie vor 26 Jahren zu einem willigen und überzeugten Vollstrecker der Willensmeinung des Monarchen. Ich ordne mich der Mehrheit meiner Nation und deren Vertretung in diesen Fragen unter“, so erklärte der Reichskanzler am Sonnabend, „zso lange ich nicht die Angst und das Gefühl habe, daß sie ihrem Schaden entgegentreibt. Dann würde ich Widerstand leisten. Hier liegt 8 derartiges nicht vor... 8 Den Beweis für die Korrektheit dieser Stellungnahme führte Fürst Bismarck nach allen Richtungen. Es ist selbstverständlich, daß der Antheil, den das nationale Ehrgefühl an der Art der Beant⸗ wortung der Frage hat, ob Kolonialpolitik und Schutz des Reichs für koloniale Unternehmungen oder nicht, in den Gründen seiner Entscheidung die am stärksten vibrirende Seite bildet. „Womit könnte ich es rechtfertigen,“ so führte der Reichskanzler aus, ,nen ich diesen Unternehmern, deren Begeisterung ich aus persönlichen esprechun en ist alles schön, aber

kennen gelernt habe, sagen wollte: Das . stark genug; wir

das Deutsche Reich ist dazu nicht würden das Uebelwollen anderer Staaten auf uns ziehen in unangenehme Berührung mit anderen Staaten kommen wie es ja der Abgeordnete Bamberger schildert dazu ist unsere Tagge nicht stark genug. Ich muß sagen, daß ich doch eine gewisse chuͤchternheit und Abneigung empfinde mich so auszudrücken, und selbst wenn ich an diese unsere Schwäche und Unfähigkeit geglaub hätte, würde ich mich nicht genirt haben, den Hülfesuchenden offen zu sagen Wir sind zu arm, zu schwach und zu furchtsam, um euch Hülfe ; zu gewähren.“ Es war dies wieder eines von den Worten, aus dene es wie Leben und elektrische Kraft in alle deutschen Herzen strömt un die uns klar machen, was alle rein patridtisch empfindenden Element unseres Volkes, unbekümmert um das blöde Gerede von Servilismus in warmer und unerschütterlicher Ergebenheit an diesen Mann fessel und die den an ihm rüttelnden Schleichereien gegenüber mit soviel Bitterkeit und Zorn erfüllen. Aber nicht bloß unser nationales Selbst⸗ gefühl verbieter uns, die Unternehmer kolonisatorischer Versuche, di eine gewisse Rückendeckung vom Reich erwarten, mit einem verlegene Achselzucken abzuspeisen, sondern es sprechen auch gute positive Gründ politischer und wirthschaftlicher Natur dafür, sie zu ermuthigen ode wenigstens nicht im Stich zu lassen. Wir sind in Gemeinschaft mit anderen Staaten an eine große Kulturaufgabe, die für Afrika zu lösen ist, herangetreten; unser Rang in der europäischen Staaten familie wie der christliche Gedanke, den Deutschland vor allen anderen Staatswesen als Norm und leitendes Zeichen alle Zweige des politischen Wirkens auf seine Banner ge schrieben hat, machten uns diese Antheilnahme zur Pflicht, und die übernommene civilisatorische Aufgabe läßt sich für Afrika nur von der Küste aus allmählich durchführen, so daß die Festhaltung des Aus gangs⸗ und Stützpunktes, den die Erwerbungen der Deutsch⸗ostafrika⸗ nischen Gesellschaft uns darbieten, schon unter dem Gesichtapunkte dieses Zwecks als ein natürliches Gebot erscheint. Der fruchtbare Ostabhang Afrikas ferner eröffnet günstige Aussichten für den Plan tagenbau. Aus Ost⸗Afrika werden Baumwolle, Kaffee, Taback un Kakao im Werthe von 500 Millionen nach Deutschland ausgeführt, und unser Interesse, einen möglichst großen Theil dieser SUumme nicht in fremde Taschen fließen zu lassen, sondern dem deutschen National⸗ vermögen zu erhalten, liegt ebenso auf der Hand, wie die Berechtigung des Wunsches, neue Verwendungsstellen für den Ueberschuß an Intelligenz und Bildung, den unsere Gymnasien hervorbringen und den Deutschland selbst nicht lohnend beschäftigen kann, zu erschließen. Und wie viel oder wenig von diesen Hoffnungen und Möglichkeiten sich erfüllen mag, wie gering namentlich die Ernte von der Aussaat, mit der wir jetzt vorgehen, für die nächsten Jahre und die gegen⸗ wärtige Generation ausfallen mag, es bleibt die Pflicht bestehen, keine Gelegenheit zu versäumen, aus der sich eine Mehrung des nationalen Wohlstandes und der nationalen Kraft entwickeln kann, die Pflicht, der Fürst Bismarck den folgenden, die treue Sorge dieses Staatsmannes, die ihren Fittich auch über kommende Geschlechter ausbreitet, widerspiegelnden Ausdruck gab: „Es sind nur Unterlagen für eine Zukunftspolitik. Ich muß auf Jahrzehnte an die Zukunft meiner Landsleute denken; ich muß daran denken, daß man uns nicht nach 20, 30 Jahren den Vorwurf macht, daß wir sie im Stich gelassen hätten“ Man kann nicht nüchterner und freier von aller Ueberschwänglichkeit über die Chancen einer Kolonialpolitik sprechen, und doch zugleich die nationale Pflicht, fest und bestimmt auf diesem Gebiet die Hand an den Pflug zu legen, schärfer zum Bewußtsein bringen, als es Fürst Bismarck in seiner Rede vom Sonnabend gethan.

In dem „Düsseldorfer Anzeiger“ lesen wir:

Aus der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 25. d. M. sind einige sehr bemerkenswerthe Aeußerungen der Staatsregierung über die Abgrenzung der Thätigkeit des Staats und der kommunalen Körperschaften, vor Allem also der J“ zur Verhütung von Hochwasserkalamitäten und zur Linderung der durch solche hervor⸗ gerufenen Nothstände zu verzeichnen. Der Minister der Landwirth⸗ schaft hob, indem er die Hauptergebnisse der technischen Untersuchungen über die Ursachen der Hochwasserschäden im schlesischen Gebirge und der Mittel, der Wiederkehr derselben thunlichst vorzubeugen, kurz skizzirte, zugleich hervor, daß, auch wenn der Staat in der Folge größere Mittel zur Förderung von Anlagen und Unternehmungen zur Abwehr der schädlichen und verheerenden Wirkungen des Hochwassers bereit stellen sollte, doch in Konscquenz des Gesetzes über die Dotation der Provinzialverhände und der darauf fußenden Gesetze zur Melioration der oberschlesischen Nothstandsdistrikte und der Eifel der Schwerpunkt dieser fördernden Thätigkeit immer in den Provinzialverwaltungen liegen werde, und zwar sowohl bezüglich der Ausführung, als der Unterhaltung und Ueberwachung der bezüglichen Anlagen. Die Eifel⸗ melioration insbesondere liefert den augenfälligen Beweis von der Zweckmäßigkeit einer derartigen Kooperation des Staats mit der

rovinz .

5 Rächt minder bedeutsam erscheint das Bild, welches der Minister des Innern von der künftigen Mitwirkung der Provinzen und zum Theil selbst der Kreise zur Milderung von Nothständen entrollte. Danach würde in Zukunft der Staat nur ausnahmsweise und in besonders schweren Fällen, in denen die Kräfte der zunächst betheiligten Ver⸗ bände zur Lösung der Aufgabe nicht ausreichen, aushülfsweise mit seinen Mitteln eintreten, in der Regel dagegen je nach dem Umfang der Verheerung die neben der privaten nothwendi öffentliche Hülfsthätigkeit der Provinz und dem Kreise obliegen. liegt auf der Hand und wird durch zahlreiche Erfahrungen bestätigt, daß die von dem Minister mit Recht beklagten schädlichen Folgen der bisherigen Nothstandsvorlagen Begehrlichkeit, Neid, Mißgunst, Lähmung der eigenen Thatkraft in ungleich geringerem Maße hervor⸗ treten werden, wenn nicht der Staat, sondern ein kleiner Selbhst⸗ verwalkungskörper Träger der öffentlichen „Hülfesthätigkeit ist. Die bloße Heranziehung von Kreis⸗ und Provinzialorganen zur Prüfung der Bewilligungen reicht zur Begegnung derartiger Mißstände erfah⸗ rungsgemäß nicht aus. Ein engerer Kreis und die an dem eigenen Beutel fühlbare Wirksamkeit der Selbstverwaltungsorgane erscheinen dazu nothwendig. Auch weisen die Vorgänge in dem übrigen Deutschland darauf hin, daß engere Verbände zur Lösung der Auf⸗ gaben sehr wohl befähiat sind. Die meisten Bundesstaaten stehen an Größe und Einwohnerzahl hinter dem Durchschnitt der preußischen Provinzen zurück. Gleichwohl sind sie, von gan besonderen Aus⸗ nahmen abgesehen, stets in der Lage gewesen, den othständen ibrer Staatsangehörigen in befriedigender Weise Abhülfe zu bringen, ohne die Beihülfe des Reichs in Anspruch nehmen zu müssen. Man darf daher sich der Hoffnung hingeben, daß auch nach dieser Richtung hin aus der Erklärung des Ministers demnächst greisbare Früchte er⸗ wachsen werden. b