1889 / 172 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Jul 1889 18:00:01 GMT) scan diff

8 22. Juli. (W. T. B.) Nach offizieller Darstellung des Verlaufs der Krankheit des Erbgroßherzogs find gestern Abend zum ersten Male Erscheinungen einer Betheiligung des ungengewebes bei der krankung in einem etwa thalergroßen Bezirke nachgewiesen worden. Dem am Morgen ausgegebenen Bulletin zufolge besteht die Krankheit in einer absteigenden. Entzün⸗ dung der Luftwege, welche zu einer etheiligung des Lungengewebes führte. Die letzte Nacht war besser als die vorhergehende; die Temperatur sank von 40,2 ° C. am Abend vorher auf 39 °C. Das Allgemeinbesinden ist gut. Außer dem behandelnden Geheimen Hofrath Bäumler sind die Ge⸗ eimen Räthe Tenner und Kußmaul hier anwesend. Dieselben stimmen hinsichtlich der Beurtheilung der Krankheit überein. 23. Juli, Vormittags. (W. T. B.) Das Befinden des Erbgroßherzogs ist nach einer durch Husten mehr ge⸗ störten Nacht im efentlichen das gleiche wie gestern. Der Kräftezustand ist ein sehr guter, das Fieber mäßig, und sind die örtlichen Erscheinungen an den Lungen in den hinteren, unteren Lungentheilen lokalisirt, während die links⸗ seitigen Erscheinungen im Rückgang begriffen sind.

8 Mecklenburg⸗Schwerin. Schwerin, 22. Juli.

(Meckl. Nachr.) Se. Königliche Hoheit der Großherzog wird sich morgen Pa. zu kurzem Besuch nach Neu⸗ strelitz begeben, um Ihrer Königlichen Hoheit der Groß⸗ herzogin von Mecklenburg⸗Strelitz persönlich seine Theilnahme an dem Hinscheiden der Herzogin von Cambridge,

Mutter der Großherzogin, auszudrücken. Von dort begiebt sich Se. Königliche Hoheit am Mittwoch nach Doberan. Nach dem Geburtstage Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Großherzogin Anastasia werden sich die Höchsten Herrschaften, einer Einladung des Kaisers von Rußland folgend, auf der Kaiserlichen Nacht „Derjava“

einschiffen und nach Peterhof begeben, um der Vermählung des Großfürsten Peter Nikolajewitsch mit der Prinzefsin Miliza von Montenegro beizuwohnen. Der Aufenthalt in Rußland dürfte sich bis über die Mitte des August ausdehnen. Nach der Rückkehr aus Rußland werden die Fürstlichen Herrschaften mit ihren Kindern bis Ende September im Jagdhaus Gelben⸗ sande Wohnung nehmen. Ihre Hoheiten die Herzöge Adolf Friedrich und Heinrich sind gestern von Dresden in Rabensteinfeld eingetroffen.

G Oldenburg. Oldenburg, 21. Juli. (H.) Der Ober⸗Kirchenrath der evangelisch⸗lutherischen Landeskirche hat, mit Hinweis darauf, daß nach §. 25 des Gesetzes vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung die Anerkennung eines unehelichen Kindes in das Geburtsregister nur dann eingetragen werden darf, wenn dieselbe vor dem Standesbeamten oder in einer gerichtlich oder notariell aufgenommenen Urkunde erklärt ist, und es zum Kachwelse der durch nachfolgende Ehe geschehenen Legitimation derjenigen unehelichen Kinder, welche nach dem Inkrafttreten des Personen⸗ standsgesetzes, dem 1. Januar 1876, geboren sind, demnach nicht genügt, daß der uneheliche Vater das Kind vor dem Pfarrer anerkannt hat und dieses Anerkenntniß sowie die erfolgte Eheschließung der Eltern des unehelichen Kindes in das Kirchenbuch eingetragen sind, die Pfarrer angewiesen, die Eintragung einer durch nachfolgende Ehe geschehenen Legi⸗ timation der nach dem 1. Januar 1876 geborenen une⸗ lichen Kinder in das Kirchenbuch nur auf Grund einer standesamtlichen Bescheinigung über die erfolgte Eintragung der Anerkennung in das Geburtsregister vorzunehmen und bei der Eintragung auf diese Bescheinigung hinzuweisen. Die Pfarrer haben, falls in ihren Gemeinden Eltern unehelicher Kinder zur Eheschließung schreiten, diese zu veranlassen, die 1 S. 25 des Personenstands⸗Gesetzes nothwendigen Schritte zu thun.

1b Sachsen⸗ Altenburg. Altenburg, 20. Juli. Se. Hoheit der Herzog empfing am 19. d. M. in Hummels⸗

hain den Besuch Sr. Durchlaucht des Fürsten Reuß j. L.

Am Abend desselben Tages traf Se. Durchlaucht der Prinz

Ernst von Sachsen⸗Altenburg zu mehrtägigem Aufent⸗ halt von Eisenberg ein.

Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 23. Juli. (W. T. B.) Der Großfürst Peter Nikolajewitsch ist auf der Rückreise von Cettinje heute Vormittag hier eingetroffen und MNiitags nach St. Petersburg weitergereist.

Großbritannien und Irland. London, 22. Juli. (W. T. B.) Die mit der Vorberathung der Dotations⸗ frage betraute Kommission des Unterhauses hat beschlossen, die Apanage des Prinzen von Wales um 36 000 Pfd. Sterl. jährlich zu erhöhen, anstatt die Kinder desselben besonders zu dotiren. Dagegen soll der Königin das Recht verbleiben, für andere Enkelkinder von dem Parla⸗ ment Apanagen zu verlangen. Morley und andere Liberale stimmten gegen jedwede Erhöhung. Nach dem von der genannten Kommission erstatteten Bericht verzichtet die Königin auf das Recht, für ihre anderen Enkelkinder eine Dotation vom Parlament zu verlangen.

(A. C.) Im Hyde⸗Park fand am Sonntag Nach⸗ mittag eine Kundgebung der radikalen Vereine gegen die geplante Erhöhung der Apanage des Prinzen von Wales statt. In Folge des strömenden Regens war aber die Betheiligung an der Demonstration nur eine sehr schwache.

Lord Fife wird die dritte Herzogswürde erhalten, welche abgesehen von den Mitgliedern des Herrscherhauses während der langen Regierungszeit der Königin Victoria geschaffen worden ist. Vor Lord Fife wurden der Marquis von Abercorn im Jahre 1868 und der Marquis von Westminster im

ahre 1874 zu Herzögen erhoben. Die meisten der 31 englischen

8 sind sehr lung. Nur ein Herzog der von

orfolk kann die Erhebung seiner Ahnen zu Herzögen bis zum Jahre 1483 zurückleiten. Das Herzogthum Somerset wurde 1547 geschaffen. Die Herzogswürde von 13 Adeligen datirt aus dem vorigen Jahrhundert.

Parnell kam am 19. d. Abends in Edinburg an. Es wurde ihm ein äußerst Hseeenes Empfang bereitet. Vom Bahnhof geleitete ihn ein langer Festzug, an welchem 16 000 Personen theilnahmen, unter klingendem Spiel nach Calton Hill, wo ihm in Gegenwart einer ungeheuren Volks⸗ menge von einer Arbeiter⸗Deputation eine Willkommen⸗Adresse überreicht wurde. In Beantwortung derselben drückte Parnell seine Befriedigung darüber aus, daß die Arbeiter Schottlands

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verstehen könnten, wie eine gerechte Behandlung Irlands das Reich 523 stärken als schwächen würde. Irland wäre niemals rebellisch gewesen, ausgenommen unter dem Druck bitterer Mißwirthschaft, und es würde dankbar und in gutem Glauben die von Mr. Gladstone an Wotene Regelung annehmen. Am Sonnabend wurde ihm sa in der Rathskammer der Freibrief als Ehrenbürger der schottischen Haupt⸗ stadt in einem reichverzierten silbernen Kästchen in Gegenwart von über Herren und Damen überreicht. Vor dem Rathhause hatten sich ungeheure Massen versammelt, welche den Führer der irsschen Partei theils mit be⸗ geisterten Hurrahs, theils mit Zischen begrüßten. In der Rathskammer wurde er von Bailie Walcot bewillkommnet, der an Stelle des Lord⸗Provost oder Ober⸗Bürgermeisters, der mit einer Minderheit des Stadtraths die Betheiligung an der Feier abgelehnt hatte, den Vorsitz führte. Nach Empfang⸗ nahme des Freibriefs hielt Parnell eine längere Ansprache, an deren Schluß er die Ueberzeugung ausdrückte, daß die von „dem größten Mann der englischen Race“ und der großen liberalen Partei unterstützte irische u weit rascher, als man glaube, triumphiren werde. er Feier im Rathhause schloß sich eine große liberale Kundgebung in der Kornbörse an, welcher über 4000 Personen beiwohnten. Der Earl von Aberdeen führte den Vorsitz und unter den Anwesenden befanden sich viele Parlamentsmitglieder, darunter Childers, Shaw⸗Lefevre und Herbert Gladstone.

Frankreich. Paris, 22. Juli. (W. T. B.) Der König von Griechenland und Präsident Carnot haben sich heute gegenseitig Besuche abgestattet.

Der „Temps“ meldet, der Minister des Innern, Constans, habe heute einige 40 subalterne Beamte des Ministeriums des Innern, der Seine⸗Präfektur und der Polizei⸗Präfektur entlassen, weil sie durch boulangistische Umtriebe kompromittirt erschienen.

23. ZJuli. (W. T. B.) Wie die „République française“ wissen will, würde von der Kommission des obersten Staatsgerichtshofes am nächsten Sonnabend gegen Boulanger und Genossen eine Verlust⸗ ordonnanz erlassen werden, durch welche den Angeklagten, die sich dem Gerichtshofe nicht Aftelt die Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte entzogen würde. Boulanger, Rochefort und Dillon würden in Folge dessen vom Sonnabend ab nicht mehr wählbar sein, ihr Vermögen würde unter Segquester gestellt werden. Anlangend die Boulanger zur Last gelegten Handlungen der Pflichtvergessenheit und Amtsuntreue, so verlangt die „République francaise“, daß zu deren Aburtheilung sofort ein Kriegsgericht zusammentrete.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 21. Juli. (St. Pet. Ztg.) Der Ober⸗Befehlshaber Großfürst Wladimir Alexandrowitsch hat am 5. (17.) Juli den Befehl über die im Lager bei Krassnoje⸗Sselo ver⸗ einigten Truppen übernommen und hielt Abends einen Umritt durchs Lager ab. In seinem zahlreichen Ge⸗ 8989 befanden sich die höheren Generale der Lagertruppen, erner der Commandeur des I. Armee⸗Corps, General⸗ Lieutenant Danilow, der Generakstabs⸗Chef des Ober⸗Kom⸗ mandos, Bobrikow u. A. Zum Tage der ö“ des Großfürsten Peter Nikolajewitsch mit der Prin⸗ zessin Miliza wird auch Fürst Karageorgiewitsch mit Gemahlin und Tochter erwartet. 1A“ Grenzwache an der asiatischen Grenze ist in letzter Zeit bedeutend erweitert worden, was eine Ver⸗ größerung der Mannschaften der Grenzwache zur Folge haben mußte. Im vorigen Jahre wurde die Zahl der Offiziere und Soldaten der Grenzwachen um 2600 Mann vergrößert. Nach den „Pet. Wed.“ beabsichtigt das Finanz⸗Ministerium gegen⸗ wärtig den Bestand um noch 2000 Mann zu vergrößern.

Italien. Rom, 22. Juli. (W. T. B.) Imbriani hat dem Präsidenten der Kammer eine Interpellation an den Minister⸗Präsidenten Crispi über die Auflösung des Comités für Triest und Trient zugehen lassen.

Die „Tribuna“ weist darauf hin, dat, da am 31. De⸗ zember d. J. der Vertrag zwischen Italien und Tunis ablaufe und beide Kontrahenten berechtigt seien, Abänderungen anzuregen, die Frage entstehe, ob es möglich sei, daß die ge⸗ änderte Sachlage in Tunis die Bestimmungen des Vertrages beeinflussen könne Das Blatt hebt hierbei die große handels⸗ politische Wichtigkeit dieser Frage hervor.

Der italienische General⸗Konsul in Egypten, de Martino, tritt in den Ruhestand und wird durch den bisherigen Minister⸗Residenten in Montenegro, Maccio,

ersetzt.

Portugal. Lissabon, 15. Juli. (Pol. Corr.) Die Session der portugiesischen Cortes ist nunmehr, nach vielfachen Vertagungen, am 10. Juli geschlossen worden. Die mehr als fünfmonatliche Session war für das Kabinet eine ziemlich dornenvolle; die Regierung hatte wegen ihrer Haltung in Fragen wirthschaftlicher und handelspolitischer Natur manchen heftigen Strauß mit den Cortes aus⸗ zufechten, welche den dem Monopolsystem zuneigenden und immer ausgesprochener schutzzöllnerisch gewordenen Tendenzen des Kabinets entschiedensten Widerspruch entgegensetzten. Außerdem wurden auch auf einem anderen Boden verschiedene Maßregeln der Regierung mit ungewöhnlicher Leidenschaftlich⸗ keit bekämpft. Das Kabinet hatte jedoch die Mehrheit auf seiner Seite und konnte somit diesem Anstürmen widerstehen. Die Königliche Familie weilt andauernd in Cintra; es heißt, daß der Zustand Sr. Mäajestät des Königs noch immer ein leidender sei.

Türkei. Konstantinopel, 23. Juli. (W. T. B.)

König Milan ist gestern nach Belgrad abgereist; Scheker Ahmed Pascha gab demselben bis Mustafa Bascha das Geleit.

Am b hatte der Sultan den König in Abschieds⸗ a

audienz empfangen, worauf dieser an dem im Palais ihm zu Ehren veranstalteten Galadiner theilnahm.

(W. T. B.) Nach einer Meldung des „Reuter'⸗ schen Bureaus“ aus Syra, vom 21. d. M., hätten die kretensischen Aufständischen die Behörden von Vamos und Cidonia vertrieben und die Archive ver⸗ brannt. Viele Bauern seien vor den Aufständischen geflüchtet.

Rumänien. Bukarest, 22. Juli. (W. T. B.) Bei den heute stattgehabten vier Ergänzungswahlen für den Senat wurden zwei Liberal⸗Konservative definitiv ge⸗ wahn; in den beiden anderen Wahlkollegien ist eine Stich⸗ wahl erforderlich. Für die Deputirtenkammer wurde ein Liberal⸗Konservativer gewählt.

Asien. China. Shanghai, 19. Juli. (Standard.) In Anerkennung der freigebigen Beisteuern, welche das usland den von der Hungersnoth Betroffenen gespendet hat, hat der Vize⸗König von Nanking Gedächtniß⸗ tafeln an den Lordmayor von London, an Sir Thomas Wade, den König von Siam und die verschiedenen Hülfs⸗ comités in Europa, Amerika und Australien geschickt. Der Kaiser hat sich auch einen detaillirten Bericht erbeten über die Bemühungen, welche zur Rettung von Menschenleben ge⸗ macht worden sind.

Afrika. Egypten. Ueber die Lage im Sudan hat

das „Reuter'sche Bureau“ nachstehende Telegramme erhalten: Kairo, 20. Juli. Die Kanonenboote schnitten, während sie den Fluß aufwärts patrouillirten, 200 Derwische ab, von denen eine nzahl getödtet wurde. Die Gegend zwischen Toski und Bellana ist eine Wüste und wird von Njumi’'s Streitkräften, wenn sie versuchen, weiter nach Norden vorzudringen, als sehr strapazenvoll befunden werden. Die von Hauptmann Lewis vorgenommene Rekognoszirung erstreckte sich bis Sarras, welches er verlassen vorfand. om westlichen Ufer des Nils wurde indeß ron Maku⸗el⸗Nur's Streitmacht, deren Stärke er auf etwa 1000 Mann mit 500 Gewehren veranschlagt, auf ihn gefeuert. Diese Streitmacht ist auf dem Marsche direkt nach Njumi’s Lager begrifften. Der auf der Insel Farras stationirte Shaggieh⸗Posten hat 40 Derwische mit 6 Kameelen gefangen genommen. Der Verlust der Shaggiehs betrug einen Todten und einen leichtverwundeten

Offizier.

21. Juli. Den neuesten Telegrammen aus Assuan zufolge bleibt die Lage der Streitmacht des Emirs Wad⸗el⸗Njumi un⸗ verändert. Gestern wurden einige Derwische überrumpelt und abge⸗ schnitten. Das 2. egvptische Bataillon besetzte Toski, wo einige Derwische gefangen genommen wurden. Das erste Bataillon be⸗ giebt sich nach Bellana. General de Montmorency wird wahrscheinlich mit den unter seinen Befehl gestellten Truppen nach Anibeh jenseits Korosko vorstoßen, um dem Vor⸗ rücken der Derwische an diesem Punkte Einhalt zu thun. 40 Flüchtlinge aus Wad⸗el⸗Njumi's Lager kamen gestern in Bellana an. Die Stellung der Derwisch⸗Streitmacht bleibt unverändert. Eine 300 Mann starke feindliche Abtheilung wurde gestern Abend von dem auf dem Nil unweit Bellana patrouillirenden Kanonenboot zurückgeschlagen. Ueber 300 Flüchtlinge, Ge⸗ fangene und Deserteure, kamen heute in Assuan an. 600 Mann des wallisischen Regiments, 100 Mann berittener Infanterie und eine Ab⸗ theilung britischer Artillerie gingen heute nach Assuan ab.

Zeitungsstimmen.

Ueber die Frage der Wirksamkeit des sog. Sozialisten⸗ gesetes schreibt die „Nationalliberale Correspon⸗

enz“:

„Bei der Erörterung der Frage eines Ersatzes für das demnächst ablaufende Sozialistengesetz hört man wieder vielfach behaupten, das letztere sei praktisch ganz wirkungslos gewesen und habe nur dazu beigetragen, die Bewegung zu vertiefen, auszubreiten und zu ver⸗ bittern. Die Erfolglosigkeit des Gesezes versucht man meistens damit zu beweisen, daß die Zahl sozialdemokratischer Wähler sich in fortwährender Zunahme befinde. In Wahrheit ist diese Zanl erheblichen Schwankungen ausgesetzt; sie ist seit Erlaß des Sozialistengesetzes bald etwas zurückgegangen, bald hat sie wieder einen Aufschwung genommen. Wenn sie im Allgemeinen eine zu⸗ nehmende Richtung verfolgen sollte, so würde dies nur beweisen, daß die bürgerliche Demokratie, aus der allein der Zuwachs herstammen kann, mit jedem Jahr weniger im Stande ist, ihre Anhänger fest⸗ zuhalten. Die Thatsache, daß ein sehr bedeutender, vielleicht der über⸗ wiegende Theil der deutschen industriellen Arbeiter, der Sozial⸗ demokratie angehört, ist sicherlich nicht zu bestreiten. Es hat sich auch bei Erlaß des Sozialistengesetzes gewiß Niemand eingebildet, daß eine so mäͤchtige geiftige und wirthschaftliche Bewegung mit verhältnißmäßig so geringfügigen Abwehr⸗ und Repressivmaßregeln zu unterdrücken wäre. Was man mit dem Sozialistengesetz erreichen wollte und zu erreichen hoffen konnte. ist unserer Ansicht nach allerdings erreicht worden. Es kam darauf an, die wüste aufhetzende Agitation zu unterdrücken, und das ist in ziemlich weitem Maß gelungen. Ein Vergleich mit anderen Ländern, mit England, Oesterreich, Belgien, den römanischen Staaten, lehrt, daß wir in Deutschland unter der Herrschaft des „Ausnahmegesetzes“ doch noch recht leidliche Zustände bergestellt haben. Das haben auch die großen Arbeitseinstellungen der jüngsten Monate bewiesen, die zu größeren Ausschreitungen nur in seltenen Fällen geführt haben. Wenn man die sozialdemokratische Agitation, wie sie in der Mitte der siebziger Jahre sich entwickelt hatte, ruhig hätte weiter⸗ wuchern lassen, so hätten wir weit beunruhigendere Verhältnisse in der deutschen Arbeiterwelt. Gegen eine in gesetzlicher Form sich äußernde sozialdemokratische Gesinnung giebt es allerdings kein Mittel; man kann nur erzwingen, daß die äußeren Formen, in denen diese Gesinnung zu Tage tritt, sich in dem Rahmen der Geseplichkeit und öffentlichen Ordnung halten, und das ist durch das Sozialisten⸗ gesetz erreicht worden. Die innere Versöhnung erhoffen wir von der zunehmenden Einsicht und der fortschreitenden wirthschaftlichen und sozialen Besserung der Lage der arbeitenden Klassen, und man kann dem Deutschen Reich Angesichts der jüngsten gewaltigen sozialpoliti⸗ schen Gesetzgebung wahrlich nicht vorwerfen, daß es die Pflicht zu positiven arbeiterfreundlichen Reformen leicht nehme.“

Die „Wiesbadener Presse“ warnt vor dem neuen „Gründungsschwindel“ und zeigt, „wie es gemacht wird“, um die kleinen Leute zu fangen:

„Der „kleine“ Geschäftsmann, der sparsame Arbeiter, die Be⸗ amtenwittwe mit ihren wenigen Ersparnissen lassen sich, durch die früheren trüben Erfahrungen gewitzigt, durch die ersten Gründungen in der Regel nicht fangen. Die Aktien des neuen Unternehmens werden daher vorerst von den Leuten, die die Gründung bewerkstelligt haben, selbst übernommen. Nun wird der Cours durch Ablehnung von Verkäufen zu niedrigem Preis und durch Scheinkaͤufe auf einen hohen Stand gebracht und steigt in den ersten Monaten nach der Gründung riesenhaft. Die

eitungen posaunen die hohen Coursnotirungen aus und der „kleine⸗

apitalist schlägt sich an den Kopf und sagt: „Was bin ich doch dumm gewesen, daß ich nicht von Anfang an gleich mitgemacht habe, jetzt hätte ich für meine tausend Mark schon zwölfhundert und nebenbei sechs Prozent Zinsen. Na wartet nur, das nächste Mal will ich nicht wieder so dumm sein und die rechte Zeit verpassen.“

Kaum eine Woche später wird wieder ein neues Unternehmen be⸗ kannt gegeben und der höchste Gewinnst in Aussicht gestellt. Und nun ist der Gimpel fertig. Der „kleine“ Mann zeichnet auf ein Papier, welches vielleicht noch fauler ist, als das frühere. Aber trot allen Faulseins bleibt der Cours hoch, ja die Gesellschaft zahlt am Jahresschluß eine recht schöne Dividende und der eine Gimpe lockt noch ein volles Dutzend auf die Leimruthe.

Sobald aber bei faulen Gründungen alle Aktien zu einem nur irgend annehmbaren Course im Publikum untergebracht sind, hat der Gründer kein Interesse mehr, den Cours künstlich auf der Schwindel⸗ höhe zu erhalten und so bequemt sich der Cours nach und nach dem wahren Werth des Papiers an. Alle Diejenigen, welche sich blenden ließen, haben das Nachsehen und dann dauert es nicht lange, sind aus den eintausend Mark, für die der „kleine“ Mann schon zwölfhundert Mark in der Tasche hatte, achthundert oder noch weniger Mark und aus der secheprozentigen Verzinsung eine solche von ein bis zwei Prozent geworden

„Die traurigen Erfahrungen der siebziger Jahre sollten aber doch mit unvergänglicher Schrift in d8 Volksbewußtsein eingeschrieben

sein, daß derjenige, welcher seine Ersparnisse an ein Unternehmen jebt, das er gar nicht kennt, eben gar nicht werth ist, Ersparnisse zu besitzen und sich diese zu erhalten. Insofern ist vielleicht den Perioden des geschäftlichen Schwindels eine wohlthätige und heilsame Be⸗ deutung nicht abzusprechen, denn jene Sorte von Menschen, von welcher 188 Recht behauptet wird, daß sie nie alle wird, nimmt doch

Statistik und Volkswirthschaft.

Allgemeine Lage des Handels und Verkehrs.

Die Handelskammer von Bromberg leitet ihren Jahresbericht für 1888 mit folgenden Worten ein:

„Im tiefsten Schmerze, welcher durch den zweimaligen Thron⸗ wechsel im Berichtsjahre 1888 alle Bevölkerungsschichten des deutschen Vaterlandes durchdrang, regte sich um so inniger die außerordentliche Dankbarkeit, welche der deutsche Handels⸗ und Gewerbestand den ver⸗ blichenen Heldenkaisern und preußischen Königen, Wilhelm I. und Friedrich III., schuldet. 1

Die ungeahnte Machtstellung, welche Deutschland unter dem Scepter der beiden ersten Kaiser errang und sich zu sichern wußte, erhöhte die Zuversicht auf die Erhaltung des Friedens und belebte damit den Unternehmungsgeist auf fast allen wirthschaftlichen Ge⸗ bieten War der Erfolg desselben bisher nur auf einzelne Gewerbe⸗ zweige beschränkt, so trat doch eine allgemeine Besserung der Wirth⸗ schaftslage ein, als auch die Regierung Sr. Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. aller Welt die Fortdauer der Friedens⸗ siebe und die Erhaltung eines gesicherten Friedens zeigte und bewies.

Der Aufsckwung, welchen demzufolge das gesammte Wirthschafts⸗

leben Deutschlands nahm, konnte selbstredend nicht ohne vortheilhafte⸗

Rückwirkung auf viele Gewerbezweige unseres Bezirks bleiben.

Insbesondere kamen der Industrie und dem Handwerkerstande diese günstigen Verhältnisse sehr zu Statten, neben einer ausgedehnten Bauthätigkeit, welche auch vielen kleinen Gewerbetreibenden hin⸗ reichende und lohnende Beschäftigung gab.

In geringerem Maße dagegen erwiesen sich die erwähnten Vor⸗ theile für den Handel, da die geschäftlichen Beziehungen vieler Handels⸗ zweige immer schwieriger wurden.

Zum Theil ist dies auch durch die vielfache Ablenkung und Schwächung des einst sehr regen und innigen Handelsverkehrs mit der benachbarten Landwirthschaft der Fall. Gegenüber den Vortheilea, welche die Herabsetzung der Hypothekenzinsen sowie die günstigen Erfolge der erheblichen zunehmenden technischen Nebengewerbe mit Ausnahme der Brennereien gewähren, wurde über empfindlichen Arbeitermangel und über die durch Hochwasserschäden und ungünstige Witterung beeinträchtigte Ernte geklagt, deren schlechter Ausfall durch die ganz bedeutende Preissteigerung aller Bodenerzeugnisse angeblich nicht ausgeglichen wurde.“ 8

Ländliche Arbeiterverhältnisse.

In dem Jahresbericht der Landwirthschafts⸗Gesellschaft der Provinz Hannover wird, wie die „Hall. Ztg.“ mittheilt, be⸗ züglich der ländlichen Arbeiterverhältnisse die in den letzten Jahren größer gewordene Schwierigkeit festgestellt, wirklich brauchbare männ⸗ liche und noch mehr weibliche Arbeiter und Dienstboten dauernd zu gewinnen; es wird ferner hervorgehoben, daß die Löhne gestiegen sind, und daß sich immer mehr die Nothwendigkeit herausstellt, von Aus⸗ wärts, besonders aus den östlichen Provinzen, fremde Arbeiter heran⸗ zuziehen. Aus dem Regierungsbezirk Hannover wird geklagt, daß be⸗ sonders in den westlichen Theilen des Bezirks die rüstigen Arbeiter zum erheblichen Theile nach Auswärts geben und lohnenderen Verdienst sinden in Bremen bei Eisenbahn⸗ und Hafenbauten, sowie bei der Weserkorrektion oder auch bei den großen Wiesenmeliorationen; wiederum Andere wandern aus. Der Hildesheimer Bericht bemerkt, daß größere Wirthschaften den im Sommer erforderlichen Arbeiter⸗ stand sich auswärts sichern müssen. Der Bericht aus Einbeck spricht aus, daß der herrschende Zeitgeist, der zunehmende Zerfall einfacher Sitte und Zucht, die durch ungehemmte Freizügigkeit verstärkte An⸗ ziehungskraft der großen Städte und in Verbindung mit alle⸗ dem die demoralisirende Lehre der Sozialdemokratie die früher gesunden Arbeiterverhältnisse derart untergraben haben, daß es zu den Seltenheiten Fes treues und beständiges Gesinde zu be⸗ sitzen. Trotz guter Behandlung, trotz guter Löhne können die Leute nicht genug bekommen. Undankbarkeit und häufig genug auch Ungehorsam machen das Verhältniß zwischen Arbeitgeber und ⸗Nehmer zu einem geradezu unleidlichen. Seiten: die Einen behaupten, gut dabei zu fahren, Andere das Gegentheil. Zwecks Besserung haben mehrere Vereine im Lüne⸗ burgischen die Prämiirung von Dienstboten für langjährige, treue Dienstzeit wieder stattfinden lassen. Im Osnabrückschen sind die Versuche, landwirthschaftliche Arbeiter aus dem Osten heranzuziehen, nicht befriedigend ausgefallen. Als ein wirksames Mittel gegen solche Mißstände empfiehlt der Hauptverein Hannorer die Abgabe zahl⸗ reicher Arbeiten in Akkord, dadurch würde der Arbeiter in den dünn bevölkerten Gegenden an seine Heimath gefesselt werden.

Die französische Post⸗Sparkasse im Jahre 1887.

Der Geschäftsbericht der französischen Post⸗Sparkasse für 1887 weist, wie wir dem „Archiv für Post⸗ und Telegraphie“ ent⸗ nehmen, wiederum einen erheblichen Verkehrszuwachs nach. Gegen das Vorjahr ist nach Ausweis desselben gestiegen: die Zahl der Sparer von 845 053 auf 979 597 (22,3 auf je 1000 Einwohner), die Stück⸗ zahl der Einlagen von 1 196 348 auf 1 291,852, der Beirag der Ein⸗ lagen von 133 232 300 Fr. auf 144 386 778 Fr., die Stückzahl der Rückzahlungen von 380 809 auf 458 733, der Betrag der Rück⸗ zahlungen von 101 782 784 Fr. auf 117 503 968 Fr., das Gesammt⸗ guthaben von 190 674 127 Fr. auf 223 519 666 Fr.

Von den neu ausgegebenen Sparkassenbüchern entfielen 30,2 % auf Minderjährige, 15,2 % auf Fabrikarbeiter, 14,33 % auf Eigen⸗ thümer und Rentner, 11,62 % auf Dienstboten, 9,86 1% auf Angestellte. 137 020 neue Bücher wurden für männliche, 99 720 für weibliche Fesgene⸗ ansgefertigt. Die den Minderjährigen und Ehefrauen durch

rtikel 6 des Gesetzes vom 9. April 1881 gewährte Befugniß, Ein⸗ zablungen ohne Belbeiligung ihres gesetzlichen Vertreters zu machen, wurde auch im Jahre 1887 in weitem Umfange ausgeübt. Von 82 776 Minderjährigen, welche sich 1887 Sparkassenbücher neu aus⸗ fertigen liegen, wählten 71 412 oder 86,27 %, von 27 768 Ebefrauen 23 136 oder 83,31 % die Einzahlung ohne Betheiligung ihres gesetz⸗ lichen Vertveters. Der Durchschnittsbetrag der ersten Einlagen war 247 Fr., denegs der weiteren Einlagen 81 Fr. 28 Cts. An Spar⸗ karten im Werthe von 1 Fr. gelangten zur Einlieferung 86 615 Stück gegen 98 800 Stück im Jahre 1886.

„Von den Auszahlungen erfolgten: ohne Kündigung (nur in Paris zulässig) 45 195 Stück mit 6 941 578 Fr. (1886: 38 497 Stück mit 5 814 936 Fr.), durch Ausfertigung von Postanweisungen 272 Stück mit 46 247 Fr, auf mittels Rohrpostkarte 1;. Antrag (in Paris) 11 694 Stück, auf telegraphisches Ersuchen und telegraphische Ermächtigung 8049 Stück im Betrage von 911 686 Fr. (gegen 6455 Stuck mit 783 032 Fr. im Jahre 1886). 1

Bei den Schiffs⸗Sparsteklen wurden 797 Einzahlungen und 177 Auszahlungen bewirkt. 11,3 % aller Nach⸗ und Rückzah⸗ lungen fanden in einem anderen Departement als demjenigen der Ausfertigung des Sparkassenbuches statt. 5364 Bücher mit 1 359 177 Fr. Guthaben wurden von Privat⸗Sparkassen auf die Post⸗ Sparkasse und 9 Bücher mit 6687 Fr. Guthaben von der Post⸗ Sparkasse auf übertragen. Der internationale Sparverkehr blieb auch im Jahre 1887 geringfügig. Er beschränkte sich auf 307 Amtshandlungen.

—Das Guthaben eines Sparers berechnete sich Ende 1887 im Durchschnitt auf 228 Fr. 17 Cts. Auf 1000 Einwohner ent⸗

Der Ausweg, fremde Arbeiter heranzuziehen, hat zwei

fielen durchschnittlich 5098 Fr. 95 Cts. Guthaben. Die Verwendung von Guthabenbeträgen zum Ankauf von Staatspapieren erfolgte in 3878 Fällen mit einem Gesammtbetrage von 4 599 769 r

Die Verwaltungskosten für 1887 haben 1 392 589 Fr. betragen, d. i. für jede Amtshandlung 71 Cts. (gegen 73 Cts. in 1886). Der Reingewinn belief sich auf 255 382 Fr. Durch Zuführung desselben zum Dotationsfonds ist letzterer auf 1 253 058 Fr. gebracht worden. Das Gesammtvermögen der Post⸗Sparkasse betrug Ende 1887 224 771 078 Fr.

Die Zahl der Sparstellen stieg von 6649 Ende 1886 auf 6712 Ende 1887. In der Centraltirektion der Sparkasse wurden 413 Beamte, darunter 290 weibliche, beschäftigt. Den Bau des neuen Dienstgebäudes der Centraldirektion in der Rue Saint⸗Romain hofft man 1889 zu Ende zu führen.

8 Von der wirthschaftlichen Lage der Arbeiter in den Vereinigten Staaten 1

entwirft der englische Konsul in Baltimore ein nichts weniger denn verlockendes Bild. Allerdings sind die amerikanischen Lohnsätze höher als die englischen und die deutschen; dafür ist die Arbeitsgelegenheit aber bei Weitem weniger fest und sind die Preise der nothwendigsten Lebensbedürfnisse um durchschnittlich 50 % höher; für Kleidungs stücke und Brot (!) wird gerade das Doppelte gezahlt, als hier. Die Wohnungemiethe steht 150 % höher, und eine ganze Reihe von Genußmitteln, die bier Jeder⸗ mann zugänglich sind, erschemen für den amerikanischen Arbeiter ein⸗ sach unerschwinglich. Der englische Konsul berichtet, daß seine Haus⸗ thür von nothleidenden Landsleuten umlagert werde, welche durch trügerische Vorspiegelungen über das Gedeihen des Landes und die große Nachfrage nach Arbeitern binübergelockt wurden. Die meisten derselben seien vom Klimafieber heimgesucht und arbeitsunfähig; denen, welche arbeiten könnten, fehle es an Beschäftigung. Brot kostet 2 ½ Pence das Pfund, Zucker 4 ½, geringwerthiges Fleisch 6 ½, Kartoffeln 5 Sbhilling der Bushel; Gemüse ist dreimal so theuer als in Europa; schlechter Thee kostet 3 Shilling das Pfund, Kaffee 1 Shilling 3 Pence, ein kleines Holzhäuschen mit schlecht schließenden Thüren und Fenstern, 24 Fuß in der Front, 18 Fuß in der Tiefe, kostet 30 Pfund Sterling, über 650 Jahresmiethe. Und wie in Baltimore, so liegen die wirthschaftlichen Verhältnisse für die Arbeiter im ganzen Often der Vereinigten Staaten. .

Kunft und Wissenschaft.

Dem Germanischen Museum in Nürnberg ist, wie der „Frkf. Ztg.“ von dort geschrieben wird, ein sehr bemerkenswerther Ankauf gelungen, indem die berühmte Waffensammlung des österreichischen Sulkowski um 200 000 in den Besitz des Museums überging.

Dem Philosophen Moses Mendelssohn wind in seiner Ge⸗ burtsstadt Dessau ein Monument errichtet werden, mit dessen Aus⸗ führung Bildhauer Heinz Hoffmeister gegenwärtig beschäftigt ist. Das Monument soll in den Gartenanlagen am Bahnhof Aufstellung finden und spätestens im Herbst nächsten Jahres enthüllt werden Der Ent⸗ wurf zeigt auf einem gefälligen Grundriß Treppen, welche die schön gegliederte Brustmauer eines Bassins tragen, aus dessen Mitte das Denkmal, auf Felsen ruhend, emporstrebt. Ein reich verziertes Postament trägt die Kolossalbüste Mendelssohn’'s. Ihm zur Seite sitzt die vortrefflich durchgeführte „Philosophie“, den Blick sinnend in weite Fernen gerichtet. Die drei anderen Seiten des Postaments werden von einer großen phantastisch geformten Muschel umspannt, in welche sich aus Bärenköpfen Wasser ergießt.

Aus Graz wird der „N. Fr. Pr.“ geschrieken: Robert Hamerling bhat in seinem Testament sowohl der Grazer Univer⸗ sitäts⸗Bibliothek als auch der hiesigen Joanneums⸗Bibliothek, welche er früher häufig benutzte, je eine geordnete Sammlung seiner sämmt⸗ lichen Werke in allen Auflagen zur beständigen Aufbewahrung ver⸗ macht. Dieselben werden an abgesonderten Plätzen aufgestellt. Die Handbibliothek des verstorbenen Dichters zaͤhlt etwa 4500 Bände, darunter viele illustrirte Prachtwerke. Diese Büchersammlung, sowie die von Kennern geschätzte Münzen⸗ und Mineraliensammlung Hamer⸗ ling's werden zu Gunsten der Erben veräußert.

Anläßlich des siebenzigsten Geburtstages (19. Juli) des schweizerischen Dichters Gottfried Keller hat sich, der „N. Zürch. Ztg.“ zufolge, ein Ausschuß von Bekannten und Freunden des Dichters gebildet und erwogen, in welcher Weise demselben ein äußeres Zeichen der Verehrung gewidmet werden könne, die er in allen Kreisen der Gebildeten und in der schweizerischen Be⸗ völkerung genießt. Der Ausschuß einigte sich dahin, eine Gottfried Keller⸗Medaille als bleibendes Zeichen der Erinnerung an den Tag herstellen zu lassen, an dem der Dichter sein 70. Jahr erreichte. Prof. Dr. Arnold Böcklin hat sich bereit erklärt, das Modell zu einer solchen Medaille herzustellen. Das Original dieser Medaille soll dem Dichter überreicht werden. Außer⸗ dem beschloß das Comité, eine größere Zahl von Bronze⸗Abdrücken dieser Medaille prägen zu lassen, um jeden Verehrer Keller's in den Stand zu setzen, ein Erinnerungszeichen von dauerndem künstlerischen Werth zu erwerben und um zugleich ein getreues Bild des Dichters in bleibendem Metall, der Nachwelt zu überliefern. Diese Denkmünze trägt auf der Vorderseite das Relief⸗Porträt Gott⸗ fried Keller's und auf der Rückseite eine künstlerisch durchgeführte Versinnbildlichung des poetischen Schaffens des Meisters

Professor David P. Todd von der Sternwarte des Amherst College in Amherst, Mass., ist Seitens des Ministeriums des Aus⸗ wärtigen in Washington zum Vorsteher der Expedition ernannt worden, welche sich nach dem südwestlichen Afrika begeben soll, um die dort am 22. Dezember cr. sichtbare Sonnenfinsterniß zu beobachten. Die Expedition, welche am 1. Oktober von New⸗ York abgehen soll, wird wahrscheinlich in St. Paul de Loanda Station machen.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

St. Petersburg, 22. Juli. (W. T. B.) Nach einem bis zur Mitte des Juni (a. St.) reichenden Bericht des Departements für Ackerbau ist der Stand des Sommer⸗ getreides im Königreich Polen, den Ostseeprovinzen, den Gouverne⸗ ments P kow, Nowgorod, Wologda, Jaroslawl. Twer, Witebsk. Smolensk, Moskwa, Mohilew, Kaluga, Tula, Rääsan, Tschernigo, Orel, Kursk, Tambow, Woronesh, Charkow, Land der Donischen Kosaken, Taurien, Podolien, Cherson und Kiew ein mittlerer und mittel⸗ mäßiger, in den Gouve nements Kowno, Wilno, Grodno, Minsk, Wol⸗ hynien, Poltawa, Jekaterinoslow und St. Petersburg ein unbefriedigender, in den Gouvernements Bessarabien, Stawropol, im Gebiet der Kuban⸗ und Terek⸗Kosakenheere, Astrachan, im Eebiet der Ural⸗Kosaken, Ssaratow, Pensa, Ssimbirsk, Ssamara, Orenburg, Ufa, Perm, Kasan, Nischni⸗Nowgorod, Wladimir, Koftroma Wjatka, Petrosawods und Archangelsk ein guter und befriedigender. Der Stand des Wintergetreides st im Königreich Polen, den Gouvernements Kowno, Wolhynien, den Ostsee⸗Provinzen, den Gouvernements Smo⸗ lensk, Kaluga, Moskwa, Riaͤsan, Orenburg, Ufa, Perm, Archangelsk, Petrosawodsk und in dem Lande der Terek Kosaken ein guter und befriedigender, in den Gouvernements Wilno, Grodno, Minsk, Mohilew, Kiew, Orel, Tambow, Woronesch, Pensa⸗ Ssaratow, Ssamara, Wladimir, Kasan, Wjatka, Wologda, Kostroma, Jaroslawl, Twer, Witebsk, Pskow und St. Petersburg ein mittelmäßiger, in den Gouvernements Podolien, Bessarabien, Poltawa, Tschernigow, Kursk, Ssimbirsk, Nischni⸗NKowgorod, Stawropol, im Lande der Ural⸗Kosaken und Nowgorod ein unbegrierigender, in den Gouvernements Cherson, Taurien, Jekaterinoslow, Charkow, dem Lande der Donischen Kosaken und der Kuban⸗Kosaken, sowie in Astrachan ein schlechter. 1

Am Schlusse eines längeren Artikels über die Mißernten in Süd⸗ Rußland schreibt die „St. Petersburger Ztg.“: Nach den vorliegenden Nachrichten aus den südlichen Gouvernements sieht es dort nicht besonders tröstlich aus. Von der einen Stelle wird bereits die Vernichtung der gesammten Heuernte, von einer anderen der Ver⸗

und von der dritten gemeldet, daß man wegen des drohenden Mißwachses die Landschaftsversamm⸗ lungen einzuberufen gedenkt. Eine dieser Nachrichten ist nicht besser als die andere. Für Charkow und die angrenzenden Gouv

nements ist der Verlust der Heuernte eine fast schwerere Kalamität, als eine totale Mißernte im Getreide, weil vom Heu die Existenz der dort vorhandenen gewaltigen Viehheerden abhängig ist, und Heu f

das Vieh sich weit schwerer als Getreide für die Menschen beschaffen läßt. Tritt also nicht noch ein vollständiger venschlag in der Witte⸗ rung ein, was sich aber nur schwer erwarten läßt, o gleich es in den Steppen auch nichts Neues ist, daß nach der größten Hitze und voll⸗ ständigem Mißwachs im Herbst noch anhaltendes Regenwetter b

ginnt, so muß man sich auf eine bedeutende Reduktion der füdrufsischen Viehstände gefaßt machen, die dann nur langsam wieder auf die erreichte Höhe gebracht werden können, sofern nicht noch weitere u günstige Jahre folgen, welche die Sache noch schlimmer machen. Durch die abnorme Witterung im Mai, anhaltende Hitze neben bedeutender Trockenheit wird übrigens auch der russische Norden einen ganz bedeutenden Ausfall in seiner diesjährigen Ernte haben, was sich sofort in allen Verhältnissen der Städte äußern muß. Mit Ausnahme besonders niedriger und feuchter Stellen, dürfte daher besonders die Heuernte und diejenige des Sommergetreides, eine weniger als mitfelmäßige werden und sich in Folge dessen also auch besondere Maßregeln in Betreff der Volksverpflegung im Laufe des kommen⸗ den Jahres nothwendig machen. Sehr viel Gutes verspricht die nächste Zukunft also nicht. So schwer der Norden Rußlands übrigens auch durch die ungünstige Witterung leiden mag, so hat er wenig⸗ stens noch immer den Trost, bei der hereingebrochenen Kalamität noch nicht so schwer daran zu sein, wie der Süden mit seinen vollstän⸗

lust der Roggenernte,

Ernte⸗Aussichten in den Vereinigten Staat

Dem am 10. cr. Seitens des Ackerbau⸗Ministeriums veröffentlichten regelmäßigen Monats⸗Bericht entnimmt die „N. B. H. Z.“ folgende Angaben:

„Mit Mais bestellt sind in diesem Jahre über 77 000 000 Aecres, eine Zunahme von ca. 1 Millionen Acres gegen das Vorjahr. Der Stand der Pflanzen ist nur ein mittlerer und nicht so gut, wie dies sonst um diese Zeit der Fall zu sein pflegt, da der Mais in vielen Gegenden sowohl durch Kälte wie durch zu große Feuchtigkeit in der Entwickelung aufgehalten worden ist. Im Westen haben Raupen den Pflanzen stellenweise Schaden zugefügt. Die Ernte dürfte eine späte werden, da die Pflanzen im Wachsthum sehr zurück sind. Der allge⸗ meine Durchschnittsstand ist ca. 90 % und in den einzelnen Staaten: New⸗York 80 %, Pennsylvania 88 %, Virginia 90 %, Georgia 95 %, Texas 98 %, Tennessee 92 %, Kentucky 90 %, Ohio 81 %, Michigan 70 %, Indiana 81 %, Illinois 82 %, Wisconsin 83 %, Minnesota 87 %, Jowa 95 %, Missouri 92 %, Kansas 97 %, Nebraska 98 % und Dakota 83 %.

Der Stand der Winterweizen⸗Sanaten ist ein befriedigender, trotzdem dieselben stellenweise durch Stürme und Ueberschwemmungen gelitten haben. Der Durchschnittsstand wird mit 92 % angegeben. In vielen Gegenden des Westens ist die Ernte beendet, ebenso im ganzen Süden, und hat das Ausdreschen begonnen. Das Stroh ist nur kurz, doch sind Aehren und Körner gut entwickelt.

Sommerweizen hatte in Dakota in Folge der anhaltenden Dürre sehr gelitten, doch hat sich der Stand der Saaten in Folge ausgiebiger Regengüsse Ende Juni gebessert. Der allgemeine Durch⸗ schnittsstand ist nur 83 %, und in den einzelnen Staaten: Wisconsin 95 %, Nebraska 95 %, Jowa 97 %, Minnesota 87 % und Dakota nur 62 %

Der Stand der Roggen⸗Saaten ist derselbe wie im letzten Monat. Dagegen ist der Durchschnittsstand von Gerste auf 92 % gewichen. Das mit Taback angebaute Areal ist um 23 % geringer als im Vorjahre.

Der Stand der Baumwolle hat sich während des Monats Juni gebessert und haben sich namentlich die früh gepflanzten Stauden dübsch entwickelt, während die im Mai gepflanzten in Folge von Dürre und Nachtfrösten etwas in der Entwickelung zurückgeblieben sind. Die Ernte wird im Allgemeinen um eine bis zwei Wochen später als im Vorjahre beginnen. In Texas und Louisiana sowie in einigen Theilen von Mississippi haben Raupen und Insekten unter den Pflanzen Schaden angerichtet. Der Durchschnittsstand ist 87,6 % und in den einzelnen Staaten: Virginia 83 %, North Caro⸗ lina 85, South Carolina 84, Georgia 86, Florida 90, Alabama 87, Mississippi 91, Louisiana 92, Texas 90, Arkansas 83, Tennessee 82 %.“

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Gewerbe und Handel.

Vom rheinisch⸗westfälischen Eisen⸗ und Stahl⸗ markt berichtet die „Rhein.⸗Westf. Ztg.“”: Die Haltung des rheinisch⸗ westfälischen Eisenmarkts ist in der letzten Woche andauernd fest ge⸗ wesen; die Preise behaupten sich ausnahmslos und in den weitaus meisten Geschäftszweigen herrscht steigende Tendenz. Im Siegerlande und im Nassauischen war das Eisenerz⸗Geschäft lebhaft; wesentliche Aenderungen in den Preisen sind seit den letzten Mittheilungen hier⸗ uͤber nicht zu verzeichnen. Minette ist anhaltend lebhaft gefragt; die Preise haben keine wesentliche Aenderung erlitten. Die rheinisch⸗ westfälisch⸗nassauisch⸗Siegerländer Roheisenstatistik ergiebt als Ge⸗ sammtvorrath am 1. Juni 35 383 t, am 30. Juni war derselbe auf 37 261 t angewachsen, indem der Absatz ungefähr 2000 t hinter der Erzeugung, welche 110 468 t beträgt, zurückblieb. Der Zuwachs ist an sich kein bedeutender und erklaͤrt sich zudem durch die That⸗ sache, daß viele Werke am Schluß des Semesters der Inventur wegen ihren Betrieb auf das Nöthigste beschränken. Für Spiegel⸗ eisen hat sich das Geschäft, wie schon aus unserem vorigen Bericht ersichtlich war, durch belangreiche ausländische Aufträge erheblich gün⸗ stiger gestaltet. Die Aufträge aus Amerika gestatteten dem Spiegel⸗ eisensyndikat, sämmtlichen Hütten größere Posten zuzuweisen, so daß die betreffenden Werke dadurch bis Ende des Jahres ihre Produktion vollständig verschlossen haben. Im Uebrigen bat sich das Roheisen⸗ geschäft ziemlich in den bisherigen Grenzen gehalten. Preise und -e kaum zu wünschen übrig und es herrscht eine durchaus feste Stimmung. Puddelroheisen ist lebhaft gefragt und auch Thomaseisen gebt flott ab. Bessemereisen zeigt steigende Tendenz; Gießereiroheisen ist unverändert und hat stetigen Ab⸗ satz. In Stabeisen ist das Geschäft nach wie vor lebhaft geblieben. Die Aufträge, welche bis jetzt eingelaufen, sind bereits genügend, um die meisten Werke den weitaus größten Theil des Jahres dauernd mit Arbeit zu versehen. Erfreulich ist es, daß für diesen Geschäftsrweig wenigstens, wie uns verschiedentlich mitgetheilt wird, die ausländische Nachfrage, sowie der Absatz dorthin sich etwas ge⸗ bessert haben. Auch die Formeis enwalzwerke sind ausreichend be⸗ schaͤftigt; für Bandeisen ist seit dem letzten Bericht eine Aenderung nicht zu verzeichnen. Die Preise haben sich fest auf ihrem bisherigen Nivean erhalten. Die Grobblechwalzwerke sind anhaltend sehr rege beschäftigt; die Preise haben sich gegen die Vorwoche nicht ge⸗ andert. Die Feinblechwalzwerke sind in letzter Zeit ebenfalls besser beschäftigt. Walzdraht ist etwas höher im Preise. Die Eisengießereien und Maschinenfabriken sind der weitaus größten Meorzahl nach auskömmlich beschäftigt; geklagt wird darüber, daß die Preise nur langsam den Rohmaterialien folgen können. In der Geschäftslage der Bahnwagenfabriken ist eine Aenderung nicht eingetreten. Bei der letzten von der Königlichen Eisenbahn⸗ direktion in Berlin ausgeschriebenen Stahlschienenverdingung waren die niedrigsten Angebote 130, 130,50, 133,75 und 135 Außer den Stahlschienen kamen bei derfelben Verdingung auch Laschen und Unterlagsplatten zur Ausschreibung; das niedrigste Angebot für Laschen war 137 von Seiten eines rheinischen Werkes. 38

London, 22. Juli. (W. T. B.) An der Küste 1 Weizen- ladung angeboten.

Glasgow, 22. Juli. (W. T. B.), Die Verschiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 8100 gegen 9700 Tons in derselben Woche des vorigen Jahres.