1889 / 248 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Oct 1889 18:00:01 GMT) scan diff

11 ³¾l Uhr verließen Ihre Majestäten in dem Hoffug⸗ Neu⸗ fahrwasser und setzten die Rückreise über Danzig⸗Dirschau fort. Die „Dershawa“, welche die Kaiserflagge niedergeholt hatte, verblieb vorläufig im Hafen.

Kiel, 17. Oktober. (W. T. B.) Das englische Kanalgeschwader ist heute Vormittag 10 Uhr nach Karls⸗ krona in See gegangen und kehrt von dort direkt nach Portsmouth zurück, wo die Ankunft am 29. d. M. er⸗ folgen soll.

Bayern. München, 16. Oktober. (Allg. Ztg.) Se. Königliche Hoheit der Prinz Ludwig ist gestern Abend von Schloß Leutstetten hier angekommen. Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Therese kam vorgestern Abend von Lindau zurück und begab sich gestern nach Berchtesgaden. Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Adalbert übersiedelte mit ihrer Tochter, Prinzessin Clara, und ihrem Hofstaate heute von Schloß Nymphenburg in die hiesige Residenz.

Die Gesandtschaft des Sultans von Zanzibar machte heute Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Ludwig als Vertreter des Prinz⸗Regenten im Wittelsbach⸗Palais ihre Aufwartung. Die Gesandten, eingeführt vom General⸗Konsul Michahelles, wurden durch den preußischen Gesandten, Grafen von Rantzau, vorgestellt. Morgen früh reist die Gesandtschaft nach Baden⸗Baden.

Der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten zur Berathung der Malzaufschlagsnovelle hält heute Sitzung, um eine Generaldiskussion zu pflegen. Die nächste Plenarsitzung der Kammer der Abgeordneten findet am Freitag, den 18. d., statt. 1

17. Oktober. (W. T. B.) Ihre Majestäten der König und die Königin von Dänemark nebst Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Großfürsten⸗Thronfolger von Rußland sind heute Vormittag 10 Uhr 20 Mi⸗ nuten mittels Courierzuges hier eingetroffen. Der Groß⸗ fürst⸗Thronfolger frühstückte im Königssalon des Bahnhofs und trat um 10 Uhr 48 Minuten die Weiterreise nach Brindisi an. Die dänischen Herrschaften sind in dem Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ abgestiegen und beabsichtigen, am Freitag zunächst nach Bologna weiter zu reisen, wo Ihre Majestäten einen Tag zu verweilen gedenken.

Sachsen. Dresden, 16. Oktober. Wie das „Dresdner Journal“ meldet, hat Se. Maäjestät der König genehmigt, daß der apostolische Vikar, Bischof Franz Bernert die ihm vom Papst verliehenen Ehrenämter eines päpstlichen Haus⸗ prälaten, eines päpstlichen Thronassistenten und die Würde eines Comes Romanus annehme.

Der Landtag ist auf den 11. November d. J. berufen worden.

Bei den Landtagswahlen haben, wie „W. T. B.“ meldet, nach dem punmehr übersehbaren Gesammtresultat die Kartellparteien einen Sitz von den Deutschfreisinnigen gewonnen und einen an die Sozialdemokraten (im 36. länd⸗ lichen Wahlkreis Stollberg) verloren. Die Sozialdemokraten gewannen einen zweiten Sitz in Limbach (Land) von der Fortschrittspartei. Von 29 zu wählenden Abgeordneten wurden 22 den Kartellparteien Angehörige, 2 Mitglieder der Ferfschrittsmhrtei, 2 Deutschfreisinnige und 3 Sozialdemokraten gewählt.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Coburg, 16. Oktober. (Cob. Ztg.) Se. Königliche Hoheit der Herzog und Ihre Kaiserliche Hoheit die Herzogin von Edinburg sind mit dem Prinzen Alfred heute Morgen 1 ½ Uhr hier wieder eingetroffen.

Die Gesetz⸗Sammlung für das Herzogthum Coburg ver⸗ den zwischen dem Königreich Bayern und dem

erzogthum Sachsen⸗Coburg durch besonders dazu ernannte Bevollmächtigte am 8. Juni d. J. abgeschlossenen Staats⸗ vertrag, den Bau und Betrieb einer Lokalbahn von Haßfurt über Königsberg nach Hofheim betreffend

Reuß j. L. Gera, 16. Oktober. Das heutige „Amts⸗ und Verordnungsblatt“ bringt die Bekanntmachung von der Ein⸗ berufung des Landtages auf Sonntag, den 27. Ok⸗ tober d. J. Eine gleichzeitig veröffentlichte Ministerial⸗ Bekanntmachung vom 10. d. M. betrifft die Ausführung der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 9. Mai d. J. wegen Führung der Genossenschaftsregister.

ein⸗

DOesterreich⸗Ungarn. Wien, 16. Okt⸗ber. (W. T. B.) Der Kaiser empfing heute Mittag den rumänischen Minister des Aeußern Lahovary in Audienz. Später machte der Minister dem Grafen Kälnoky einen Besuch.

Der Minister wird den 19. d. M. Morgens nach Bukarest zurückkehren.

Der „Polit. Korresp.“ zufolge bestätigt sich die Meldung, daß der Erzherzog Albrecht seinen wiederholt beabsichtigten, aber bisher vertagten Besuch bei seiner Nichte, der Königin⸗ Regentin von Spanien, demnächst abstatten dürfte. Gleichzeitig versichert dieselbe Korrespondenz, daß die mit dieser Reise in Verbindung gebrachten Gerüchte betreffs der Wieder⸗ gcglcemms der Königin⸗Regentin vollständig erfunden eien.

Das Reichsgericht hat bei der heutigen Verhandlung über die Beschwerde des „Schulvereins für Deutsche“, nach Anhörung des Vertreters der Regierung und des Be⸗ schwerdeführers vorläufig dahin entschieden, heute nur über die formellen Fragen zu verhandeln. Im Laufe der Sitzung wurde alsdann beschlossen, über die Beschwerde wegen Auf⸗ löfung des „Schulvereins für Deutsche“ den formalen Ein⸗ wendungen des Ministeriums nicht stattzugeben und die neue Verhandlung hierüber für die nächste Sitzungsperiode an⸗ zuberaumen.

Budapest, 16. Oktober. (W. T. B.) Der evan⸗ gelische Kirchen⸗Konvent verhandelte heute über das Ver⸗ halten im Kirchendistrikt diesseits der Donau gegenüber der vor⸗ jährigen Mißbilligung gegen die bekannten Kiewer Wall⸗ soh er Die Majorität des Konvents nahm ohne Abstimmung eine Resolution an, nach welcher der vorjährige Be⸗ schluß aufrecht erhalten, das Recht des Distrikts den Beschluß zurückzuweisen, nicht anerkannt und das Ver⸗ halten des Distrikts mißbilligt wird. Thomas Pechy gab der Ueberzeugung Ausdruck, daß der nationale Geist gepflegt und keine russische Propaganda gemacht werden solle.

Großbritannien und Irland. London, 16. Oktober. (W. T. B.) In der gestern in Schloß Balmoral abgehal⸗

tenen Sitzung des Geheimen Rathes wurde die Ver⸗ leihung des Königlichen Schutzbriefes an die britische süd⸗afrikanische Gesellschaft genehmigt. Diese letztere steht unter der Verwaltung des Herzogs von Abercorn, des Herzogs von Fife und anderer namhafter Persönlichkeiten und ist gegründet, um die Gegend nördlich des Betschchuana⸗Landes, nördlich und westlich von Transvaal und westlich von den portugiesischen Besitzungen zu Handelszwecken auszubeuten. Das Betriebskapital beträgt vorläufig 1 Million Pfund Sterling. Die Krone behält sich das Recht vor, das Gebiet nach 25 Jahren zu übernehmen.

Der Minister des Innern, Matthews, empfing heute Nachmittag eine ihm von einer Deputation seiner Wähler in Birmingham überreichte Adresse und erwiderte auf dieselbe: Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten Englands durch Lord Salisbury verdiene die größte Anerkennung; die demselben ge⸗ stellte Aufgabe sei keine leichte gewesen. Die aus⸗ wärtige Politik Englands habe sich inmitten von Schwierigkeiten befunden, da der nächste Nachbarstaat Englands, Frankreich, seit langerer Zeit von Verwirrungen erfüllt gewesen sei und auch manche von Rußland erhobenen Ansprüche die größte Wachsamkeit erheischt hätten; dennoch sei es der festen Hand Lord Salisbury's gelungen, die Ehre und die Interessen des Vaterlandes zu wahren und zu schützen. Die Aeußerungen des Ministers wurden mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

Frankreich. Paris, 15. Oktober. (Fr. C.) Graf Mun übernimmt die Führung der royalistischen Fraktion, welche die Republik anerkennen will. Die neue Partei wird den Namen „Unabhängigkeits⸗Partei“ führen.

Die aus Tongking hier eingegangenen Nachrichten lauten günstig. Das tongkinesische Delta ist pacificirt, und chinesische Räuberbanden zeigen sich nur noch in den höher gelegenen Gebirgsgegenden, da die in China aus dem aktiven Dienst ent⸗ lassenen Soldaten sich meistens dem Räuberhandwerk zuwenden. Es ist auch zu erwarten, daß diese Zustände in den Grenz⸗ distrikten von Tongking und China so lange fortdauern werden, bis der Ausbau der Eisenbahnen hierin eine natürliche Aende⸗ rung hervorbringt.

Amerika. Washington, 16. Oktober. (W. T. B.) Die Delegirten zu dem internationalen Kongreß der Seeuferstaaten wurden heute durch die betreffenden Ge⸗ sandten dem Staatssekretär Blaine vorgestellt. Mr. Blaine drückte seine Anerkennung für die allgemeine Annahme seiner Einladung aus und betonte die Wichtigkeit der Aufgaben, die dem Kongreß vorlägen. Das große Interesse, welches die Seevölker an den schwebenden Fragen nähmen, zeige sich in dem hervorragenden Charakter und der ausgedehnten Erfahrung der Delegirten. Der Admiral Franklin von der Marine der Vereinigten Staaten wurde zum Präsidenten des Kongresses erwählt. Die Sitzung wurde sodann auf morgen vertagt, und die Delegirten begaben sich nach dem Weißen Hause, wo sie dem Präsidenten Harrison vor⸗ estellt wurden. Der Präsident hieß die Delegirten in einer urzen Ansprache willkommen und sprach die Hoffnung aus, daß die Arbeiten des Kongresses den kommerziellen Interessen der ganzen Welt zum Vortheil gereichen würden.

Afrika. Marokko. Tanger, 15. Oktober. (R. B.) Der Sultan wird heute in Laraiche erwartet. Das spanische Panzerschiff⸗Geschwader segelte heute von hier nach Cadiz, während der britische Kreuzer „Phaeton“ nach Gibraltar abfuhr.

Zeitungsstimmen.

Das Ergebniß der Wahlmännerwahlen für den Badi⸗ schen Landtag veranlaßt die „Nationalliberale Correspondenz“ zu folgender Betrachtung:

„Auch bei den badischen Landtagswahlen haben wir wieder ein ultramontan⸗sozialdemokratisch⸗demokratisches Kartell rüstig an der Arbeit gesehen, und der Geschlossenheit, mit der alle diese Elemente auftraten, ist hauptsächlich der Mißerfolg der Nationalliberalen in verschiedenen Wahlkreisen zuzuschreiben Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir derselben Erscheinung in noch erweitertem Umfange bei den nächsten Reichsragswahlen gegenüberstehen werden; ein Vorspiel dazu haben wir ja schon bei verschiedenen Ersatzwahlen z. B denjenigen der Provinz Hannover oder in Offenburg gesehen. Für den extremen Liberalismus so gut wie für die Sozialdemokraten und Ultramon⸗ tanen ist die Verdrängung der dermaligen nationalen und regierungs⸗ freundlichen Reichstagsmehrheit so sehr der oberste und leitende Grundsatz, daß darüber die klaffendsten politischen Gegensätze vergessen werden. Ist doch die Parteiverblendung so weit gestiegen, daß Berliner Fortschrittsblätter bei den badischen Wahlen in hellen Jubel ausbrachen über die Eroberung einiger nationalliberalen Mandate durch die Ultramontanen und von cinem Siege der „ver⸗ einigten freisinnigen Elemente“ sprachen. Man mag staunend vor dieser durch den Parteifanatismus erzeugten Verwirrung der Be⸗ griffe stehen, aber man muß mit ihr als mit einer Thatsache rech⸗ nen und die unvermeidlichen Schlüsse daraus ziehen. Wir sehen einem, wenn auch nicht in aller Form abgeschlossenen, so doch that⸗ sächlich überall eingehaltenen und durchgeführten Bündniß des extre⸗ men Liberalismus, der Sozialdemokratie und der Ultramontanen zur Wiederherstellung einer Reichstagsmehrheit Windthorst⸗Richter⸗Bebel entgegen. Je nach den Verhältnissen werden diese Parteien schon im ersten Wahlgang, unbedenklich aber bei Stichwahlen zusammengehen, und es wäre unklug, vor den in einer solchen Koalition liegenden Gefahren die Augen zu verschließen. Die nationalen und regierungs⸗ freundlichen Parteien werden sich diese Gefahren sehr ernstlich vor⸗ halten und auch ihrerseits die trennenden Unterschiede zurücktreten lassen müssen angesichts der Leichtigkeit, mit welcher man in dem anderen Lager über ungleich tiefergehende Gegensätze hinwegkommt.“

Zu dem Ausfall der Ersatzwahlen für den Landtag des Königreichs Sachsen bemerkt die „Leipziger Zeitung“:

„Alles in Allem wird man sagen dürfen, daß sich der gesetzliche und loyale Sinn unserer Bevölkerung auch bei dieser Wahl wieder bewährt hat und auf ein gleich günstiges Ergebniß der bevorstehenden Reichstagswahl rechnen läßt.“

Das „Dresdener Journal“ schreibt dagegen aus demselben Anlaß:

„Das Wablergebniß ist ein solches, daß die Anhänger der Ord⸗ nungeparteien keinen besonderen Anlaß haben, des gestrigen Tages mit Stolz zu gedenken. Zwar haben die Kartellparteien von den Wahlkreisen, die sie bisher innegehabt, nur zwei verloren und dafür einen neuen gewonnen, sodaß der thatsächliche Verlust sich nur auf einen Kammer⸗ sitz beläuft, aber daß sich als Ergehniß ein, wenn auch noch so ge⸗ ringer, Verlust anstatt eines Gewinnes ergiebt und daß in gar manchen Kreisen der Sieg der Ordnungsparteien durchaus kein glänzender ge⸗ wesen ist, das kann nur als höchst bedauerlich bezeichnet werden.

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Und dieses Bedauern steigert sich nur, wenn man sieht, daß a dem mehr oder weniger unerfreulichen Ergebnisse doch wieder lediglich die politische Trägheit der Wählerschaft die Schuld trägt Zwar ist in den meisten Wahlkreisen eine etwas regere Betheiligung als bei den letzten Wahlen zu verzeichnen, noch immer aber ist das Verhältniß der abgegebenen Stimmen zu der Zahl der d cfes in fast allen Kreisen ein außerordentlich

echtes..

Möchte die Lehre, die uns der gestrige Tag gegeben, von allen Anhängern der guten Sache richtig verstanden und bei der na en ernsten Gelegenheit wohl beherzigt werden. Eins ist jedenfalls schon heute gewiß: leicht wird der bevorstehende Reichstagswahl⸗ kampf nicht werden, und wenn sich unser Land den Ruhm, den es sich vor drei Jahren erworben hat, auch diesmal erhalten will, dann müssen die Freunde der Ordnung in ganz anderer Weise auf dem Posten sein, als es gestern der Fall gewesen ist.“

Ueber das Verhältniß von Deutschfreisinn und Sozialdemokratie finden wir in der „Danziger All gemeinen Zeitung“ folgende Bemerkung:

„Wenn dem Deutschfreisinn vorgehalten wird, daß er die Vor⸗ frucht der Sozialdemokratie bilde, so erheben gewöhnlich sämmtliche Organe dieser Partei ein lautes Lamento und beschweren sich über Unwahrhaftigkeit ihrer Gegner. Wie dieselben indessen einem neuer⸗ lichen Verhalten ihrer Parteigenossen gegenüber diese ihre bisherige Stellung noch weiter einnehmen wollen, ist nicht recht erfindlich. In dem sächsischen Wahlkreise Oschatz⸗Wurzen wo jüngst die Nachwahl für den Reichstag stattfand⸗ haben die Deutschfreisinnigen bekanntlich eine verhältnißmäßig große Anzahl Stimmen gewonnen, die Sozialdemokraten eine solche verloren. Man konnte sich das Ereigniß kaum erklären, bis jetzt sozialdemokratische Blätter, die es doch wissen müssen, melden, der Freisinn hätte die sozialdemokratischen Stimmen an sich gezogen, und zwar nicht deshalb, weil seine Lehren eine größere Ueberzengungskraft als früher gewonnen hätten, sondern einzig und allei aus dem Grunde, weil die Deutschfreisinnigen sich einfach für die sozialdemokra⸗ tischen Forderungen erklärt hätten. In den überwiegend ländlichen Wahl⸗ kreisen sei aber die politische Schulung der Arbeiter noch nicht soweit gediehen, daß sie zwischen Versprechungen und Handlungen einen scharfen Uxterschied zu machen wüßten, und so habe denn der Deutschfreisinn auf Kosten der Sozialdemokratie gesiegt, „indem er sich in ihre Haut steckte und sich wie sie geberdete“ Demnach hat der Deutschfreisinn im Wahlkreise Oschatz⸗Wurzen sich nicht nur als Vorfrucht der Sozialdemokratie gezeigt, sondern sich sogar an die Stelle der letzteren selbst gesetzt.“

Ueber die Erscheinungen, welche bei derselben Wahl (Oschatz⸗Wurzen) hervorgetreten sind, schreibt der „Han⸗ noversche Courier“:

„Das Wahlergebniß in Oschatz⸗Wurzen hat unsere Fortschrittler zu Triumph⸗ und Siegesliedern begeistert, und wenn uns auch der von ihnen mit so zuversichtlicher Gewißheit verkündete Sieg in diesem Wahlkreise bei den nächsten Reichstagswahlen noch recht zweifelhaͤft erscheint, so können wir doch nicht umhin, den Er⸗ folg anzuerkennen, den sie bei der letzten Wahl davongetragen haben. Die erhebliche Vermehrung der Zahl der auf den frei⸗ sinnigen Kandidaten gefallenen Stimmen sollte aber auch die hier glücklicherweise noch Sieger gebliebenen Kartellparteien daran gemahnen, wie leicht den Freisinnigen der unter der Wahlparole: „Vertheuerung der Lebensmittel durch das jetzige Regiment“ getriebene Stimmenfang wird, wenn demselben nicht bei Zeiten mit allem Ernst und Nachdruck entgegengetreten und ihre Entstellungen der wirklichen Verhältnisse überall vor den Wählern in entsprechender Weise beleuchtet und klargelegt werden. Möge in dieser Beziehung der Ausfall der Oschatz⸗Wurzener Wahl den Kartellparteien eine wirksame Lehre auch für die nächste Reichstagswahl sein. Ob freilich die Erfolge der Deutschfreisinnigen wirklich so groß und bedeutsam gewesen, wie sie es darzustellen belieben, erscheint uns doch fraglich. Wir sind allerdings auch der Meinung, daß es voreilig ist, wenn die Freisinnigen be⸗ haupten, sie haben in jenem Wahlkreise der Sozialdemokratie das Terrain endgültig abgenommen. Bis jetzt ist wohl kein Wahlkreis aufzuweisen, den wirtlich die Fortschrittler den Sozialdemokraten ab⸗ genommen hätten; während umgekehrt die Verdrängung der Deutsch⸗ freisinnigen durch die Sozialdemokratie nur zu häufig beobachtet worden ist. Die systematische Erregung der Unzufriedenheit und des Passis gegen das gegenwärtige Regierungssystem, wie sie von den ortschrittlern betrieben wird, hat bisher immer noch am meisten den Bestrebungen der Sozialdemokratie in die Hände gearbeitet.“

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Statistik und Volkswirthschaft.

. Fürsorge für Arbeiter. 1“

Der Landgerichts⸗Direktor a. D. Oskar Aders hat, der „Köln. Ztg.“ zufolge, der Stadt Düsseldorf 2 Millionen Mark hinterlassen. Hiervon soll eine Million zum Bau von Arbeiterwohnungen, verwendet werden, mit der Bestimmung, daß aus den Mietheerträg⸗ nissen wieder neue solche Häuser gebaut werden.

8

Die eingeschriebenen Hülfskassen im Deutschen Reich.

Unter den sieben Kassenarten, auf welche sich die von Reichs wegen angeordnete Statistik der Krankenversicherung der Arbeiter erstreckt (Gemeinde⸗Krankenversicherung, Orts⸗, Betriebs⸗(Fabrik⸗), Bau⸗ und Innungs⸗Krankenkassen, eingeschriebene und landesrechtliche Hülfs⸗ kassen, die dem §. 75 des Krankenversicherungs⸗Gesetzes vom 15. Juni 1883 entsprechen), kommt nur eine Kassenart in allen 26 Staaten des Deutschen Reichs vor, nämlich die der eingeschriebenen Hülfskassen. Solcher Kassen gab es nach dem kürzlich erschienenen Bande 38 (Neue Folge) der Statistik des Deutschen Reichs am Schluß des Jahres 1887 insgesammt 1838 mit 727 127 Mitgliedern, so daß auf eine Kasse durchschnittlich 395,6 Mitglieder entfielen. In den einzelnen Bundes⸗ staaten stellten sich die betreffenden Zahlen, wie folgt:

1 auf eine Kasse Staaten Kassen Mitglieder

kamen 8 Mitglieder Preußen 117176849 240 715 307,0 . 8 6 655 201,7 Sachsen 98 410 331,3 Württemberg 36 850 404,9 Baden. 13 522 221,7 GZ 266,4 Mecklenburg⸗Schwerin Sachsen⸗Weimar. Mecklenburg⸗Strelitz. Oldenburg. 6 Braunschweig. Sachsen⸗Meiningen Sachsen⸗Altenburg .. Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. iaes ““ Schwarzburg⸗Sondershausen. Schwarzburg⸗Rudolstadt Waldek 1 1I1“ EII8IZ 1u“ Schaumburg⸗Lippe .. 1 XX“ 16 c 11114“ l11111““ 111116“ 8 Elsaß⸗Lothringen. . 21 132,5 Die meisten derartigen Kaffen wiesen demnach Preußen, Sachsen 8 .

Stelle,

d. s. m

sames Agitationsmittel,

sich 15 Fachvereinsversammlungen.

und Heffen, die meisten Mitglieder Preußen, Hamburg und Sach⸗ sen a9. nz anders gestaltet sich das Verhäliniß, wenn man die durch⸗ ünittlich auf eine Kasse entfallenden Mitglieder in Betracht zieht; s dieser Beziehung steht Hamburg mit rund 3682 Köpfen an erster in ihm folgen Lippe mit 871 und Braunschweig mit 630 Mit⸗

liedern während Preußen, Sachsen und Hessen weit unter dem Keichsdurchschnitte bleiben. Diese bedeutenden Verschiedenheiten in . Durchschnittsgröße der Kassen haben ihren Grund darin, daß die

1 dengeschriebenen Hülfskassen zum Theil einen über den betreffenden

1 Stꝛat hinausgehenden Kassenbezirk haben, die Mitglieder aber alle am Sitze der Kasse, nicht da, wo nur örtliche Verwaltungsstellen 1 Hauptkasse sich befinden, gezählt sind. Unter den 1887 vor⸗ handenen Kassen dieser Art waren z. B. 89 mit 329 492 Mitgliedern, ehr als 45 % derartigen Kassenangehörigen, für die das ganze Feich als Wirkungskreis bezeichnet war; davon hatten 40 mit 75 044 Mitgliedern ihren Hauptsitz in Preußen, je 11 mit 25 993 bezw. 33 618 Köpfen in Sachsen und Württemberg, 2 mit 11493 in Hessen, 1 mit 15 048 in Braunschweig, 5 mit 12 535 in Lippe und 14 mit nicht weniger als 158 284 Mitgliedern in Hamburg. Außer diesen großen Centralkassen griffen noch 146 eingeschriebene (und landesrechtliche) Hülfskassen in andere deutsche Staaten über, und war handelt es sich dabei hauptsächlich um Bremische und Ham⸗ burgische Kassen, die im benachbarten preußischen Gebiet, und um Kassen in der Provinz Schleswig⸗Holstein (in Altona ꝛc.), die im be⸗ nachbarten Hamburgischen Staat Mitglieder hatten. Abgesehen von den Bau⸗ und Innungskrankenkassen, die ihrer

Natur nach nur wenige weibliche Mitglieder haben können, wiesen die

eschriebenen Hülfskassen unter den verschiedenen Kassenarten im Reich die geringsten Antheile weiblicher Personen auf, nämlich wenig über acht Prozent, während die Gemeinde⸗Kranken⸗ versichrrung, die Orts⸗ und Betriebskassen je rund dreimal soviel weibliche Mitglieder besaßen.

Von den am Schluß des Jahres 1887 vorhandenen 1838 ein⸗ geschriebenen Hülfskassen waren 1799 während des ganzen Jahres in Kläatigkeit gewesen. Dieselben haten am Schluß des genannten

eing Deutschen

Jahres ein Gesammtvermögen (Reservefonds und Stammvermögen

zusammen nach Abzug der Schulden) rvon 5,6, bis dahin eine Gesammteinnahme von 12,9, eine Gesammtausgabe von rund 10 Millionen Mark. Unter den letzteren waren 8,9 Millionen Mark oder fast neun Zehntel Krankheitskosten. Von den letzteren entfielen auf den Arzt 436 442 oder 4,9 %, auf Arznei und sonstige Heilmittel 341 369 oder 3,8 %, auf Krankengeld 7 205 087 oder 80,3 %, auf Unterstützurg an Wöchnerinnen 7619 oder 0,1 %, auf Sterbegeld 446 767 oder 5 % und auf Verpflegungskosten an Anstalten 527 304 oder 5,5 %. Hierbei ist hauptlächlich der hohe Antheil bemerkenswerth, den die eingeschriebenen Hülfskassen dem Krankengelde an den Krankheitskosten geben, indem sie dasselbe nach §. 75 des Gesetzes im Betrage von drei Vierteln des ortsüblichen Tagelohns an die Stelle von freier ärztlicher Behandlung und Arznei treten lassen. Wenn man die Einnahmen und Ausgaben bezüglich ihrer beiden Hauptposten gegenüberstellt, so entfallen auf ein Mitglied durchschnittlich 15,0 an Beiträgen und Eintrittsgeldern und 12,5 an Krankheitskosten; die Differenz zwischen diesen beiden Summen stellt die eigentliche Belastung der Mitglieder den Vor⸗ theilen gegenüber, welche sie in Krankheitsfällen von den Kassen wirk⸗ lich hatten. Diese Differenz fällt hier ganz den Mitgliedern zur Last, weil die Arbeitgeber für die eingeschriebenen Hülfskassen nicht zu Beiträgen verpflichtet sind. Die auf den Krankheitstag ent⸗ falleden Krankheitskosten, welche 1,9 betragen, sind denn auch mit Ausnahme derjenigen der Gemeinde⸗Krankenversicherung und der landesrechtlichen Hülfskassen geringer als bei allen anderen Kassenarten, während die Aufwendungen der Mitglieder mit Ausnahme der Betriebs⸗ und Baukrankenkassen höher sind als bei den üorigen. 8 Vergleicht man die vorstehend gegebenen Zahlen mit den statisti⸗ schen Ergebnissen der beiden Vorjahre, so ist mit Ausschluß der Ein⸗ nahme bei den eingeschriebenen Hülfskassen gegen 1886 durchgehends ein Rückgang eingetreten, und zwar hat sich die Zahl der Kassen um 5 oder 0,3 %, die der Mitglieder um 4816 oder 0,7 %, die durchschnittlich auf eine Kasse entfallende Mitgliederzahl von 404,8 bezw. 397,1 in den Jahren 1885 und 1886 auf 395,6 in 1887 ver⸗ mindert, so daß am Schluß des letztgenannten Jahres von allen sieben Kassenarten auf die einzelnen Hülfskassen nur noch 9,4, auf deren Mitglieder nur noch 15 % kamen gegen 9,6 und 17,0 % im Jahre 1885 bezw. 9,6 und 16,0 % im Jahre 1886. In ähnlicher Lage be⸗ fanden sich auch die landesrechtlichen Hülfskassen, zu denen die Arbeit⸗ geber ebenfalls keine Beiträge zahlen, während alle übrigen Kassen⸗ arten günstigere Ergebnisse lieferten. 8

8 Zur Arbeiterbewegung. 8 „Schles. Ztg.“ wird aus Berlin geschrieben:

Der

Gewerkschaften entfalten jetzt eine lebhafte Agitation, um ihre

Berufsgenossen straffer zu organisiren und für die Lohnbewegungen

des nächsten Jahres vorzubereiten. Seit Beginn dieses Monats (vom 1. Okteber ab) haben nicht weniger als 38 öffentliche Gewerkschafts⸗ und 47 Fachvereinsversammlungen stattgefunden, welche fast alle der „Lohn⸗ und Organisationsfrage, Erörterung der Arbeits⸗ verhältnisse u. s. w. gewidmet waren. Die Mißerfolge der ver⸗

(unglückten Lohnbewegung haben die Organisation in einer mehr oder

minder fühlbaren Weise gelockert. Diese wieder fester zu gestalten

und durch Aufnahme von Statistiken das Unzulängliche der Lohn⸗ und

Arbeitsverhältnisse zu erweisen, ist der Zweck dieser auf alle Berufs⸗ zweige sich erstreckenden Versammlungen. Wenn der Besuch der⸗ selben auch nicht immer den Erwartungen entspricht, mitunter sogar sehr schwach ist, so sind dieselben doch immer ein sehr wirk⸗ denn die Besprechungen in denselben werden von den Theilnehmern in die Wertstätten und za den Arbeits⸗ plätzen getragen und dort im engeren Kreise weiter besprochen. Erst am Montag fanden wieder sechs öffentliche Gewerkschaftaversamm⸗

ungen der Rohrleger, Schuhmacher, Zimmerleute, Tabackarbeiter und Arbeiterinnen, der Former und der Korbmacher statt. Dazu gesellten 5 Fe. Dienstag Abend hielten auch die Goldschmiede, die Tischler, die Feilenhauer und Feilenschleifer öffent⸗ iche Versammlungen in diesem Sinne ab.

t Vie aus Paris, 15. Oktober, gemeldet wird, feiern in Lens jetzt 5700 Bergarbeiter. Man hegt ernste Befürchtungen. Sechs Comvpagnien Infanterie sind nach Lens abgegangen und die Gendarmerie ist beträchtlich verstärkt worden. auf den ganzen Bergbezirk von Pas de Calais ausdehnen werde.

8 Der Werth des Exports ous dem Bezirk des Münchener onsulats für die Vereinigten Staaten von Amerika nach diesen Staaten hat, wie die Münchener „Allg. Ztg.“ mittheilt, im abgelaufenen III. Quartal 211 818 Dell. 10 Cts, sonach gegen denselben Zeitraum im vorigen Jahre um 34 582 Doll. 30 Cis. zugenommen; ähnlich verbält es sich mit dem Verkehr aus dem Augsburger Konsulatsbezirk, aus welchem für 58 138 Doll. Cts. exportirt wurde, d. i. gegen das III. Quartal im Vorjahre

Submissionen im Auslande.

I. Oesterreich⸗Ungarn.

9. November, Mittags. Postdirektion der Königlich ungarischen Ftratsbahnen: Lieferung von Kohlen, Petroleum, Wolle⸗ und Jute⸗ en, Schmieröl ꝛc. Kaution 5 %.

„Die

Man fürchtet, daß der Ausstand sich

I.. Rußland. 1“

27. Dezember (a. St.) Riga. Stadtamt. Kommission für den Bau eines Silo⸗Speichers daselbst: Preisausschreibung für das Pro⸗ jekt zu einem Silospeicher auf dem Andreassolm bei Riga.

I. Preis 2000, II. 1000 Rubel.

Näheres an Ort und Stelle.

WWWW V.

I. 2. Oktober Nm. Gemeentebestuur zu Idaarderadeel (Provinz Friesland):

Lieferung von 100 Stück galvanisirter eiserner Kloset⸗Tonnen. Bedingungen käuflich für 35 Cents beim Gemeente-Bomokundige zu Gromo (Friesland).

II. 22. Oktober. zu Utrecht:

Lieferung von Schmiedeeisenwerk als: Haken⸗, Lasch⸗, Mutter⸗ und Klemmbolzen und Schrauben in 7 Abtheilungen. Bedingungen käuflich für 0,75 Fl. beim Ingenieur van den Weg zu Utrecht.

III. 26. Oktober. Nm. Gemeentebestuur zu 's Gravenhage:

Lieferung von gußeisernen Röhren und Hülfsstücken, für die Gemeente⸗Gasfabrick daselbst. Auskunft an Ort und Stelle.

IV. 29. Oktober. Maatschappy tot Exploitatie van Staats- spoorwegen zu Utrecht im Centralbureau: Loos Nr. 143. Lieferung stählener Querschwellen mit Befestigungstheilen in 3 Abtheilungen. Bedingungen käuflich für 50 Cents im genannten Centralbureau (Abtheilung Wegen Werken).

86 1 November. Nederlandsche Rhynspoorweg-Maatschappy zu Utrecht:

Lieferung von 20 000 eichenen Querschwellen in 5 Abtheilungen, sowie von 10 000 eingeschnittenen und mit Kreosot getränkten buchenen Querschwellen in 3 Abtheilungen. Bedingungen käuflich füc 50 Cents beim Ingenieur van der Weg zu Utrecht.

IV. Spanien. I. 20. November. Diputaciõön provincial de Valencia. Junta de Obras del puerto: 2800 Eichenholzschwellen. Kaution 840 Pesetas. II. Ohne Datum. Junta de Administraciön y Trabajos del Arcenal de la Carraca: Materialien und Geräthe für die 3. Abthei⸗ lung. Voranschlag 4407,60 Pesetas. Kaution 220 Pesetas. Näheres an Ort un

Nederlandsche Rhijnspoorweg-Maatschappy

Stelle.

Theater und Musik.

Königliches Schauspielhaus.

Gestern Abend ging auf der Königlichen Bühne Schiller's „Wil⸗ helm Tell' neu einstudirt, in äußerlich vollständig neuem Gewande und mit theilweise neuer Rollenbesetzung in Scene. Es war, kurz gesagt, eine in jeder Hinsicht erquickliche und reizvolle Aufführung, wie sie in ähnlicher Vollkommenheit wohl noch nie von irgend einer anderen Bühne erreicht sein dürfte. „Wilhelm Tell“, dieses letzte vollendete Bühnenvermächtniß unseres volksthümlichen Klassikers, in welchem die Volksseele, wie in keinem anderen Drama lebendig wird, bietet auch heute noch, wenn eine glückliche Wiedergabe des groß angelegten Schauspiels erzielt werden soll, ähnliche Schwierig⸗ keiten, wie sie sich dem Dichter bei der Durchführung des vorgefaßten Planes entgegenstellten. Unsere Bewunderung der Meisterschaft, mit welcher Schiller ein ganzes Volk beldenhaft in sein Schau⸗ spiel einfügt, mit welcher er die vielköpfige Menge in den Ausbrüchen der Empfindungen und Leidenschaften als ein ge⸗ schlossenes Ganzes erscheinen und doch die einzelnen Per⸗ sönlichkeiten ein eigenes seelisch⸗individuell entwickeltes Leben gewinnen läßt, ist eine stets neue und frische. Das Wirken und Weben dieser Volksseele in der Seele des Zuschauers als ein Reflex⸗ bild erscheinen zu lassen, welches sich aus den harmonisch belebten Vorgängen auf der Bühne natürlich ergiebt, ist die große Schwierig⸗ keit, welche gestern vollkommen gelöst und überwunden wurde. Der Erfolg der Darstellung knüpft sich hier nicht mehr an die mehr oder minder gelungene Leistung eines einzelnen tüchtigen Schau⸗ spielers oder einiger weniger Darsteller; eine vielköpfige, be⸗ wegte Menge vielmehr muß die feinen geistigen Absichten des Dichters, das Anschwellen der Leidenschaften und ihre stürmischen Ausbrüche wie die hohe Freude nach vollbrachter That zum Ausdruck bringen. Die gestrige Vorstellung erfüllte, wie gesagt, alle Erwartungen, welche man überhaupt gehegt haben konnte Jede Scene war mit peinlicher Sorgfalt und erkennbarem liebevollen Be⸗ mühen zu einem eigenartigen und einheitlichen Bilde gestaltet worden. Das friedliche Idyll beim ersten Aufziehen des Vorhangs, der in der Ferne erklingende Kuhreigen, der Gesang des träumerisch im Kahn schaukelnden Fischerknaben, das geschäftige Treiben mit Hammer und Säge beim Bau von Zwinguri, die wilden Felsenschluchten, der Volksauflauf auf der Wiese vor Altorf, die Eidscene auf dem Rütli mit der malerisch auf Blöcken und Felsen geordneten Menge, das rührende Familienbild vor Tell's Hause mit der geschäftigen Haus⸗ frau am plätschernden Brunnen das alles waren Scenen von feiner künstlerischer Erfindung, von Geschmack und Verständniß, welche in der Seele des Zuschauers und Hörers einen harmonischen Widerhall weckten und der Darstellung die ungestörte Theilnahme sicherten. Zudem setzte jeder Mitwirkende sein volles Können ein und schien freudig in seiner Aufgabe aufzugehen Hr. Nesper hat den „Tell“ schon oft gespielt und bot gestern wieder durch die einfache Biederkeit seines Wesens, durch die warme Herzlichkeit des Tons, welchen er im Kreise seiner Familie anschlägt, sowie durch die klare Wiedergabe der väterlichen Empfindung in der Apfelschußscene eine gute Leistung. Den „Arnold“ spielte Hr. Matkowsky mit heißer Leidenschaft; das Weh um das verlorene Augenlicht des Vaters, die unter Thränen halb erstickte Stimme, dann die wild auflodernde Rach⸗ sucht wurden mit hinreißender Natürlichkeit zum Ausdruck gebracht. Hr. Reicher war als „Walter Fürst“ einfach und herzlich im Ton und in den Gesten, ebenso Hr. Sauer als Pfarrer Rösselmann. Das Ehepaar Kahle errang sich besonderen Beifall durch die treuherzige und kluge Wiedergabe des Stauffacher und seiner Gattin. Die Rolle des alten Attinghausen spielte Hr. Krause mit gutem Erfolge; sein Organ zeigt sich etwas widerspänstig in der pathetischen Rede, sobald er aber die warmen Bitten des Bleibens an seinen Neffen richtete, war er überraschend ergreifend im Ton und in der Geberde. Hervorzuheben ist noch der „Geßler“ des Hrn. Grube; der Künstler bemüht sich stets, der Wahrheit und Natur möglichst nahe zu kommen, so hielt er seinen Geßler von der Uebertreibung fern und war dadurch nur noch wirksamer. Bei Frl. Kester, welche die Bertha gab, machte sich zuweilen heftiges Athemholen störend bemerkbar, sonst sprach sie ihren Text mit zarter Empfindung. Aber auch jede kleinere Rolle war trefflich besetzt, man müßte eigentlich alle Mitwirkenden anerkennend erwähnen. Der Ausstattung bietet sich beim „Tell“ ein weites Feld des Wirkens. Ein mit Naturschönheiten überreich geseanetes Land bildet den Hinter⸗ grund der Handlung; die Dekorationen waren von hoher künstlerischer Vollendung, gleichviel ob sie die gesegneten Matten am lieblichen See, oder ein Schloßgemach mit dreispitzigem Fenster, durch dessen Mitte Weinlaub luftig hereinrankt, oder einen engen Felsenpaß darstellten. Nicht minder kunstvoll waren die Be⸗ leuchtungseffekte; die Rütliscene wirkte magisch mit den im Monden⸗ schein sübern glänzenden Schneegipfeln, welche beim Morgen⸗ grauen rosig aufleuchten, dem bellen Feuer und dem maß⸗ voll vertheilten Fackelschein im Vordergrund. Die Theilnahme des Publikums an der in allen Theilen harmonisch durchgeführten Darstellung überschritt das gewöhnliche Maß. Der Beifall brach fast nach jeder Scene lebhaft hervor und erreichte zum Schluß in stür⸗ mischen Hervorrufen seinen Höhepunkt.

Berliner Theater.

In den Garderobe⸗Ateliers wird jetzt eifrig an den Abänderungen gearbeitet, zu denen Se. Majestät der Kaiser bei seirem Besuch der Erstaufführung von „Waldemar“ selbst die Anregung gegeben. Der Monarch, der allen Einzelheiten sowohl der Darstellung, wie der Inscenirung das regste Interesse widmete, bemerkte, daß die gestickten anhaltinischen und brandenburgischen Wappen nicht durchaus

mit historisch⸗heraldischer Treue wiedergegeben seien, und machte in der längeren Unterredung, mit welcher er den Direktor Barnay aus⸗ zeichnete, diesen auf die Versehen aufmerksam, dabei zugleich angebend, in welcher Weise die Aenderungen auszuführen seien. Sie sind sofort in Angriff genommen worden.

Lessing⸗Theater. 1

Das Lessing⸗Theater ist mit Erfolg bestrebt, sein Repertoire auszudehnen und hat mit einer Reihe von Novitäten Glück ge⸗ habt. In Ermangelung solcher greift es zu dem prektischen Auswege, ältere zugkräftige Werke neu einzustudiren, wie es auch gestern mit Al. Dumas fils' bekanntem Schauspiel „Die Fremde“ geschah. Ueber das Stück ist nichts Neues zu berichten; es steht noch in frischer Erinnerung bei allen Berliner Theaterbesuchern. Die Fehler desselben wie auch gewisse Vorzüge haben sich bei früheren Aufführungen zur Genüge bemerkbar gemacht, und auch die gestrige Aufführung ließ beide wieder in gleicher Stärke hervortreten; das Stück ist reich an Widersprüchen und Spitzfindigkeiten, die Handlung gewaltsam, sodaß der Genuß für den Zuschauer ein zweifel⸗ hafter ist Selbstverständlich hatte die Direktion ganz be⸗ sonderen Fleiß auf die Inscenirung verwandt, und auch in Betreff der Besetzung war man sorgfältig zu Werke gegangen. Die Titel⸗ rolle lag in den Händen des Frl. Barkany, welche die Rolle vor⸗ nehm gab und recht temperamentvoll spielte; was ihren Vortrag an⸗ betrifft, so leidet die Dame immer noch an ihrem alten Fehler, die Worte namentlich zu Ende der Rede zu sehr zu dehnen und mit vollem Organ ausklingen zu lassen. Fr. Klein hatte die Herzogin zu spielen, eine schwierige Partie, zu deren Bewältigung, wie es schien, ihre Kräfte nicht ganz ausreichten; sie schlug nicht immer den richtigen Ton an, bot im Großen und Ganzen aber doch eine achtbare Leistung. Hr. Stägemann hatte mit seinem Herzog das Richtige getroffen und gab eine fein abgerundete charakteristische Leistung; das⸗ selbe kann in Bezug auf den Clarkson des Hrn. Klein gesagt werden. Lobend hervorgehoben zu werden verdienen auch die Hrrn. Waldow, Nollet und Ranzenberg sowie Fr. Stägemann. Das Publi⸗ kum unterhielt sich offenbar sehr gut und ließ es an Beifallsspenden nicht fehlen.

Sing⸗Akademie.

Frl. Helene von Dunkan, eine junge russische Klavier⸗ virtuosin, erschien gestern im Saal der Sing⸗Akademie zum ersten Male vor dem hiesigen Publikum. In ihrer Heimath sind ihre künst⸗ lerischen Leistungen bereits vortheilhaft bekannt und durch Verleihung der goldenen Medaille von Seiten des St. Petersburger Konservatoriums noch besonders belohnt worden. Auch hier erntete die sehr begabte Künstlerin reichen und wohlverdienten Beifall. Ihr Spiel läßt in Hinsicht auf Technik die sorgfältigsten Studien erkennen und hat zugleich einen großen Reiz durch die romantische, mehr subjektiv erscheinende Art der Aunffassung Ein gewisses Pulsiren im Vortrag, ein Auf⸗ und Nieder⸗ gehen in den Stärkegraden wie in der Tempobewegung fesselt den Zuhörer fortwährend und reißt ihn mit fort. Hierzu kommt der zarte modulationsreiche Anschlag, der dem Vortrag der Beethoven'schen E-moll-Sonate sowie dem der tleineren Klavier⸗ stücke von Schumann und Chopin sehr zu statten kam. Unterstützt wurde das Concert durch den Barptonisten Hrn. Martin Pintus, der mit wohlklingender gut geschulter Stimme mehrere Lieder von Brahms, Kleffel, Schubert, Hartmann und H. Hofmann unter leb⸗ haftem Beifall vortrug.

Philharmonie.

Ludwig Meinardus, der bekannte Komponist, weilt seit einigen Tagen in Berlin, um der Aufführung seines Oratoriums „Simon Petrus“ selbst beizuwohnen. Das Werk ist in den 50er Jahren entstanden und bereits 1857 im Saale der Sing⸗Akademie zur Aufführung gelangt, später jedoch völlig umgearbeitet und liegt in dieser Form vor. In 6 Abtheilungen wird nach Worten der heil. Schrift und mit eingezogenen Kirchenliedern Petri Fischzug, Berufung, Verleugnung und Wiederberufung behandelt, endlich die Gründung der Kirche durch Petrus als Schluß⸗ und Gipfelpunkt des Werkes (nach Apostelgesch. 2) dargestellt. Die Musik be⸗ wegt sich im strengen Anschluß an die Formen der klassischen Schöpfungen, die aber überall durch die Mittel der fortgeschrittenen, musikalischen Technik ausgestattet sind. Die Handlung wird in der epischen Vortragsweise der Erzählerin fortgesponnen, neben ihr sind die Haupt⸗Soli Simon Petrus und Jesus. Die Aufführung durch den Schnöpf'schen Gesangverein findet am Montag, den 21. Ok⸗ tober, im Saale der Philharmonie unter Mitwirkung des Phil⸗ harmonischen Orchesters und der Damen Fr. Müller⸗Ronneburger (Sopran), Frl. Marie Schwartz (Alt), der Hen. R. von Milde (Bariton), Zarnikow (Tenor) und A. Schulze (Baß) statt.

Rennen zu Hoppegarten. Donnerstag, den 16. Oktober.

I. Preis von Friedrichshagen. Klubpreis 3000 Für Fht und Dreijährige. Der Sieger ist event. für 3000 käuflich. ist. 1400 m K. Haupt⸗Gestüt Graditz’ dbr. St. „Wellgunde“ 2jähr. 53 ½ kg 1., Hrn. V. May's br. H. „Löwenherz“ 2jähr. 55 kg 2., Hrn. v. Tepper Laski's F⸗St. „Ceres“ 3jähr. (3000 ℳ) 63 kg 3., Hrn. O. Oehlschläger’'s F.⸗H. „Corsar“ öjähr. (3000 ℳ) 65 kg 4. Nach kurzer Gegenwehr sicher mit einer knappen halben Länge gewonnen; ein Kopf zwischen dem Zweiten und der Dritten und eine Länge weiter zurück „Corsar“ Vierter vor „Cosmopolit“. Werth: 3000 der Siegerin, 400 dem Zweiten, 100 der Dritten.

II. Durchgänger⸗Rennen. Klubpreis 6000 1400 m. Hrn J. Henschel's br. H. „Hammerfest“ 4jähr. 60 kg 1., Hrn. V. May's br. St. „Eintracht“ 3 jähr. 58 ½ kg 2, Kg. Hpt.⸗Gest. Graditz’' F⸗St. „Erbtante“ 3 jähr. 56 ½ kg 3., Kapt. Joë's F.⸗H. „Fiasco“ 3 jähr. 54 kg 4. Siegte leicht mit dreiviertel Längen; drittehalb Längen trennten „Crbtante“ von „Eintracht“ und „Fiasco“ einen Kopf weiter zurück Vierter vor „Königsbraut“ und „Belhomme“. „Goldmann“ angehalten. Werth: 6000 dem Sieger, 870 der Zweiten, 530 der Dritten.

IIlI Fredersdorfer Handicap. Klubpreis 3000 Für Zweijährige. Dist. 1000 m. Hrn. O. Oehlschläger's dbr. St. „Croßfire“ 61 ½ kg 1., Kapt. Jos's F.⸗St. „Schneekoppe“ 60 ½ kg 2., Frhrn. C. v. Falkenhausen's F.⸗St. „Renchen“ 51 kg 3., Gr. Fr. Metternich's br. St. „Minnehaha“ 53 ½ kg 4. Nach schärfstem Kampf um einen Kopf herausgeritten; „Renchen“ ebensoweit hinter „Schneekoppe“ und einen Hals vor „Minnehaha“ Dritte. „Laesoe“ der Nächste vor „Mieze“, „Märzblüthe“, „Little Agnes“ und „Page“. Werth: 300) der Siegerin, 1250 der Zweiten, 100 der Dritten.

IV. Schluß⸗Verkaufs⸗Rennen. Grluaditzer Gestütspreis 2000 Für Zweijäͤhrige. Der Sieger ist für 4000 käuflich. 1200 m. Frhrn. Ed. v. Oppenheim's schwbr. St. „Gorse (2000 ℳ) 50 ½ kg (tr. 51 kg) 1., Rittm. v. Boddien's br. St. „Marabou⸗ (2000 ℳ) 50 ½ kg 2., Mr. E. Kelly’'s br. H. „Good Luck“ (2000 ℳ) 52 kg 3. Ganz leicht mit zwei Längen gewonnen; „Good Luck⸗ drittebalb Längen hinter „Marabou“ Dritter vor „Moorcock“. Werth: 2270

V. Abschieds⸗Handicap. Klubpreis 2000 1800 m. Hrn. Oluf's F.⸗H. „Whiteboy“ 3 jähr. 56 kg 1., Hrn. H. Amsinchk's dbr. H „Greville“ 3 jähr. 59 kg 2. Dr. Lemcke’s br. W. „Pfungst“ 3 jähr. 50 kg 3, Mr. Ch. Planner's br. H. „Merryman“ 3 jähr. 49 kg 4. Siegte nach schärfster Gegenwehr um einen Hals; einen Kopf zwischen „Greville“ und „Pfungst“ und einen Hals weiter ge⸗ schlagen „Merryman“ Vierter vor „Actreß“. „Grayling“ und „Ma⸗ dame „Galvani“ angehalten. Werth: 2500 dem Sieger, 500 dem Zweiten, 8) dem Dritten.

VI. Rüdersdorfer Hürden⸗Rennen. Klubpreis 3000 Für Dreijährige. 2400 m. Kapt. Jos's br. H. „Ladro“ 65 kg 1., Hrn. J. Jäger's F.⸗W. „Berggeist“ 62 ½ kg 2., Mr. J. Cooter’s F.⸗St. „Comtesse Caroline“ 60 kg 3., Kapt. Jos's br. H. „Extrato“ 60 kg 4. Nach Gefallen mit anderthalb Längen gelandet; „Comtesse Caroline“ doppelt soweit hinter „Berggeist“ Dritte vor „Extrato“, ‚Patience, und „Nero“. Werth: 2900 dem Sieger, 500 dem Zweiten, 200 der Dritten.