1889 / 259 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 30 Oct 1889 18:00:01 GMT) scan diff

schäftigt, zum Etat des Jahres 1890/91. Die Abschlußzahlen dieses Etats kennen Sie Alle. Ich bin im Anfange meiner Ausführungen bereits darauf eingegangen, ich will aber nicht verschweigen, daß in einer Beziehung ich Ihnen schon heute sagen kann, daß diese Abschluß⸗ zahlen nicht richtig sind; in einer Bezichung nämlich weicht bei den Ausgaben, welche auf Schätzung beruhen, die von uns vorgenommene Schätzungsart von dem Verfahren der vorigen Jahre ab. Es betrifft dies die Naturalienbeschaffungen der Heeresverwaltung. Wir haben in früheren Jahren diese Aufstellung so gemacht, daß die Hälfte der für diesen Titel anzufordernden Ausgaben bemessen wurde nach dem Durchschnitt der in den letzten 10 Jahren gezahlten Preise, unter Fortlassung des theuersten und billigsten Jahres, daß dagegen die andere Hälfte bemessen wurde nach venjenigen Preisen, welche im Monat Oktober des laufenden Jahres thatsächlich gezahlt worden sind. Das haben wir natürlich in diesem Jahre nicht thun können, weil wir im September den Etat aufstellten, und wir haben deshalb in den Etat nur diejenige Summe eingestellt, welche sich er⸗ geben würde, wenn die gesammte Veranschlagung auf Grund der ehnjährigen Durchschnittspreise erfolgen würde Diese Art der Auf⸗ ellung hat in einem Theile der Presse eine Kritik erfahren, die zu charakteristisch ist, als daß ich es mir versagen könnte, sie hier mit einigen Worten zu erwähnen. Die „Freisinnige Zeitung“ vom 26. Oktober d. J. ringt einen Artikel mit der Ueberschrift: „Es darf nicht theuer sein“, dessen Inhalt im Wesentlichen darauf hinausläuft, daß es eine ganz besondere Bosheit der Reichs⸗Finanzverwaltung sei, daß sie, um ja nicht zu zeigen, daß die augenblicklich höheren Kornpreise das Land stärker belasteten, absichtlich die Naturalausgaben der Militärverwal⸗ tung geringer veranschlagt habe, als sie hätte thun nüssen, indem sie nur die zehnjährigen Durchschnittspreise angesetzt habe und nicht die Preise des Oktobers berücksichtige. Ich möchte den Herrn Verfasser dieses Artikels in der That bitten, mir dasjenige Mittel anzugeben, mit dem ich bei der Veranschlagung im September 1889 die Preise hätte berücksichtigen können, die im Oktober 1889 würden gezahlt worden sein.

Sch kenne diese Preise auch heute noch nicht. (Zuruf links: Comszettel!) Der Hr. Abg. Richter schlägt mir vor, die Preise nach dem Courszettel zu bemessen. Ich lehne dies von vornherein ab. Die Preise, welche wir in früheren Jahren eingestellt haben, sind nicht nach den Preisen der Börsenspekulation ang setzt worden, sondern sie

sind angesetzt worden nach denjenigen Preisen, welche die Militär⸗

verwaltung im Durchschnitt thatsächlich und effektiv bezahlt hat. Ich kenne die im Oktober 1889 von der Militärverwaltung in ganz Deutschland bezahlten Preise für Korn auch heute noch nicht, denn wir leben noch im Oktober. Ich kenne sie noch nicht einmal für zwei Drittel des Monats; ich kenne sie heute nur für das erste Drittel, und dieses erste Drittel des Monats hat allerdings ein Resultat ergeben, welches diejenigen Herren, die eine sehr erheb⸗ liche Steigerung der Gesammtausgaben aus diesem Moment erwarten, etwas enttäuschen dürfte. Wenn man, wie in früheren Jahren, die eine Hälfte des Naturalienbedarfs nach den Oktoberpreisen, und zwar nach den im ersten Drittel des Oktobers 1889 gezahlten Preisen ver⸗ anschlagen, für die andere Hälfte aber die Durchschnittspreise der letzten zehn Jahre zu Grunde legen würde, so würde man für das gesammte preußische, sächsische und württembergische Kontingent statt 58 326 800 eine Summe von 60 330 616 einzustellen haben. Es würde also einschließlich der bayerischen Quote die aus diesem Moment vorauszusehende Steigerung der Gesammtausgabe sich wenig über 2 Millionen erstrecken, eine Summe, die in einem Etat von 1208 Millionen nicht eine sehr erhebliche Bedeutung bean⸗ spruchen kann.

Nun aber weiter, was in aller Welt hätten wir eigentlich für ein Interesse daran, diese Zahl falsch einzusetzen? Was hatsächlich

auf diesem Gebiet gebraucht wird, muß gezahlt werden und ist durch den Etat bewilligt, und die Mittel dafür würden uns auch nicht fehlen. Ich glaube, daß auch bier die verbündeten Regierungen roll⸗ ständig das gleiche Interesse wie der Reichstag haben, auf Grund fester und gleichbleibender Prinzipien eine gleichmäßige und möglichst sichere Veranschlagung der voraussichtlichen Ausgaben und Einnahmen

vorzunehmen. Sie finden nun die Mehrausgaben des Ordinariums in dem Haupt⸗Etat Seite 48 zusammengestellt, die des außerordentlichen Etats auf Seite 26 desselben Etats. Bei dem Durchsehen dieser Ansätze fällt nun ja sofort ins Auge, daß weitaus die meisten Aus⸗ zaben auf dem Gebiet der Landesvertheidigung gefordert werden. Meine Herren, das ist kein Symptom kriegerischer Besorgniß. Bereits in der Thronrede und wie Sie Alle wissen, ist gerade dieser Theil der Thronrede der einzige gewesen, der von der Zuhörerschaft mit einer lauten Aeußerung der Zustimmung begrüßt wurde bereits in der Thronrede ist hervorgehoben, daß die verbündeten Regierungen fest auf die Erhaltung des Friedens hoffen. Aber. meine Herren, diese feste Hoffnung auf Erhaltung des Friedens für absehbare Zeit, der feste Wille Deutschlands, so viel an ihm ist, Frieden zu halten und den Frieden zu erhalten, berechtigt uns das, die Mittel, welche uns zur Erhaltung des Friedens wesentlich in den Stand setzen, ver⸗ fallen zu lassen? Darüber, glaube ich, kann doch Niemand, der die letzten 20 Jahre denkend durchlebt hat, zweifelhaft sein, daß bei einem schwachen Deutschland nach dem Kriege von 1870/71 die Erhaltung des Friedens weniger gesichert gewesen wäre, als sie es bei dem starken Deutschland gewesen ist. Ist das der Fall, so werden wir uns den⸗ jenigen Ausgaben nicht entziehen können, die sich als nothwendig herausstellen, um unsere Kraft voll 7e gr zu erhalten. Wir können den Leuten das Erfinden nicht verbieten. Wenn sich neue Erfindungen auf dem Gebiete des Militärwesens geltend machen, welche andere Völker sich für die Stärkung ihrer Wehrkraft zu Nutze machen, so werden wir uns dem nicht entziehen können, zu folgen. Wir werden aber weiter uns auch dem nicht entziehen können, solche Organisationen, die im Ernstfall nothwendig sind und deren schnelle Schaffung unmsglich ist, bereits im Frieden vorzubereiten. Alles das, was dazu dient, wenn es einmal zum Ernste kommt, das kostbare Material, welches wir dem Feinde entgegenstellen, nöglichst gut auszurüsten und möglichst zu sichern: alle diese Ausgaben werden wir machen müssen, und die dafür verwendeten Kosten werden immer noch billiger sein, als die Resultate eines unglücklichen Krieges. Ich sage, um das kostbare Material zu schützen, welches wir im Ernstfalle dem Feinde entgegen⸗ stellen: das kostbare Material ist unsere gesammte Jugend, und ich bitte, bei der Erörterung der für militärische und Marinezwecke mehr g.forderten Ausgaben diesen eben von mir erörterten Gesichtspunkt im Auge zu behalten. Es wird das zur Milderung der sachlichen Meinungsverschiedenbeiten über diesen und jenen Punkt ohne Zweifel beitragen. Ich habe gesagt, wir werden auch diejenigen Ausgaben nicht ver⸗ meiden dürfen, welche dazu bestimmt sind, gewisse Organisationen bereits im Frieden zu machen, die wir im Kriege brauchen. Meine Herren, die Organisation eines Armee⸗Corps, für welches im Frieden bereits die Truppen und Mannschaften vorhanden sind, und der dazu gehörigen unteren Militärkörper, die macht sich nicht von heut auf morgen. Die Forderung der Kosten für zwei neue Armee⸗Corps und was dazu gehbört, bedeutet nicht, daß wir einen Krieg vor Augen sehen, sondern im Gegentheil, daß wir mit Sicherheit hoffen und erwarten, daß wir eine hinreichend geraume Zeit vor uns haben, um diese Or⸗ ganisation ins wirkliche Leben überzuführen. Wenn ich vorher bereits die Marine erwähnte, so kann ich mein Erstaunen daruͤber nicht unterdrücken, daß man in der Presse der Ausführung begegnet, als ob die Mehrforderung für die Marine im laufenden Etat etwas völlig Unerwartetes sei. Das ist nicht der Fall. Das Gros der Mehrforderung bewegt sich in dem Rahmen derjenigen Denkschrift, welche Ihnen im vorigen Zahre vorgelegen hat. Diese Denkschrift ist allerdings in einzelnen Beziehungen über⸗ schritten worden. (Hört, hört! links). Jawohl, wir haben Ersatz⸗ bauten eingestellt für die Schiffe „Adler“ und „Eber“, welche durch Naturereignisse, über die wir nicht Herr sind, untergegangen sind. Wir haben weiter eine Forderung gestellt für den Bau eines Aviso für größere Kommandoverbände, dessen Nothwendigkeit bei der Spezial⸗ ö dieses Etats, wie ich annehme, Ihnen wird nachgewiesen

Ich verzichte darauf, die übrigen Positionen der Mehrforderungen

bei den Ausgaben des laufenden Etats, wie ich es im vorigen Jahre gethan habe, nach den einzelnen Etats durchzugehen. Sie beziehen sich auf Veränderungen in der Organisation einzelner Behörden, bei⸗ spielsweise im Auswärtigen Amt, bei dem technischen Versonal der Werften im Marine⸗Etat, auf Schaffung einzelner neuer Behörden, Konsulate u. dgl

Es sind im Militärwesen noch rerschiedene Organisationsänderun⸗ gen geplant, über die man bei der Spezialberathung des Etats sich wird verständigen können. Es ist gefordert eine Haferzulage von 250 g pro Tag und Pferd, zu deren Vertheidigung ich mich auf das Urtheil derjenigen Neichstags⸗Abgeordneten berufe, welche wissen, was ein Pferd leisten kann, und was ein Kavallerie⸗ pferd heute leisten muß. Es sind dann die Durchschnittspreise für den Remonteankauf erhöht Es sind, wie immer, eine Rethe von Bauten und Grundstücksankäufen eingestellt, die noch eine ausgiebige Diskussion erfahren werden. Es ist dann eine Steigerung des Pen⸗ sionsfonds vorgesehen, eine Steigerung der Ausgaven für Schulden, zwei Ausgaben, gegen die wir uns als Resultate der Verwaltung und Finanzwirthschaft der verganger en Jahre nicht werden ablehnend verhalten können.

Ich leugne nicht, daß ich bei der Gesammtlage dieses Etats es mir habe versagen müssen, gewisse Forderungen einzustellen, die ich an und für sich gern eingestellt hätte, als ich den Etat entwarf. Sie werden an Gehaltsaufbesserungen in dem laufenden Etat sehr wenig finden. Es ist in diesem Etat der Frage der Schuldentilgung, auch in der Form der Resolution, welche unter dem Namen des Hrn. Abg. von Bennigsen im vorigen Jahre hier eingebracht war und die darauf ging, daß man einen Theil der Ausgaben, welche zur Zeit auf Anleihe⸗ mitteln liegen, auf das Ordinarium des Etats übernehmen möge, eine weitere Folge noch nicht gegeben. Es ist dies geschehen mit Rücksicht auf die Gesammtabschlußzahlen dieses Etats. Diese Reso⸗ lution ist im Bundesrath verhandelt worden, sie ist dem Vorsitzenden überwiesen, sodaß die Frage selber, ob und in welcher Weise man in späteren Etats dem angeregten Gedanken gerecht werden könne, noch eine offene ist, deren Entscheidung der Zukunft vorbehalten wird.

Nicht unerwähnt lassen will ich, daß für die Ausgaben auf Grund des Gesetzes wegen der Versorgung der invaliden Arbeiter eine Forderung in den Etat noch nicht eingestellt ist. Die Zahlen, welche hier event. eingestellt werden müßten, lassen sich zur Zeit noch nicht annähernd mit Sicherheit übersehen. Wenn überhaupt dieses Gesetz auf die Etatsperiode 1890/91 von Einfluß sein wird, so wird das jedenfalls ein so geringer Abschnitt dieses Jahres sein und der Beginn dieser Periode so spät liegen, daß ein Nachholen dieser Aus⸗ lassung leicht möglich sein wird.

Wenn ich nun auf die Veranschlagun; der eigenen Einnahmen komme, so haben wir erwartet: bei der Post⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung eine Mehreinnahme von 3 ½ Millionen Mark, bei der Eisenbahnverwaltung eine Mehreinnahme von 800 000 ℳ, bei den verschiedenen Verwalt ingseinnahmen eine solche von etwas über 2 Millionen Mark. Dagegen haben wir bei der Zuckersteuer eine Mindereinnahme von etwas über 2 Millionen Mark in Aussicht nehmen zu müssen geglaubt Wir rechanen auf ein 2 Zeniger gegen das vorige Jahr bei der Materialienstener von etwas über Millionen Mark, bei der Verbrauchsabgabe von 380 000 Der Einfluß, welchen die Londoner Zuckerkonvention auf die Gestaltung unserer Zuckersteuer etwa haben könnte, ist in diesem Etat noch nicht berücksichtigt; falls ein solcher Einfluß überhaupt eintreten würde, wird er jedenfalls im künfrigen Jahre nicht zur Erscheinung kommen. Wir haben die Verbrauchsabgabe bei Zucker veranschlagt auf Grund der wircklichen Resultate, welche uns vorlagen. Diese Resultate be⸗ zogen sich allerdings auf einen sehr kurzen Zeitraum; wir haben erst ein Jahr hinter uns, dessen Resultate wir berücksichtigen konnten, und auch in diesem Jahre fielen die ersten Monate noch in eine Ueber⸗ gangsperiode, welche die Nutzbarmachung ihrer Ergebnisse für die Schätzung beeinträchtigte. So haben wir, wie Sie in dem Spezial⸗ Etat finden werden, die Schätzung nur auf Grund derjenigen Monate des letzten Jahres vorgenommen, die uns in ihren Resultaten einwands⸗ frei schienen, und haben den Rest des Etatsjahres durch Schätzung er⸗ gänzt. Normal ist diese Veranschlagung noch nicht; wir haben im Allgemeinen ja die Norm nicht nach einjährigen, sondern nach drei⸗ jährigen Resultaten zu veranschlagen. Bei dieser Steuer war dies thatsächlich unmöglich. Bei den Zöllen und Verbrauchssteuern sonst haben wir, wie im vorigen Jahre, die Veranschlagung vorgenommen auf Grund der dreijährigen Fraktionen unter Berücksichtigung der⸗ jenigen Momente, welche auf das Resultat dieser Fraktionen ab⸗ ändernd von Einfluß waren. Wir haben aber nicht geglaubt, von diesem festen Boden abgehen zu sollen, obwohl, wie ich vorhin aus⸗ geführt habe, in dem vorigen Jahre die damals ähnlich vorgenommene Schätzung dem wirklichen Ergebniß gegenüber als zu gering sich herausgestellt hat. Es ist nicht richtig, bei diesen Ansätzen im Etat wechselnde Grundlagen zu Grunde zu legen. Wenn man also nicht sachliche Gründe hat, von den einmal angenommenen Prinzipien der Schätzung abzuweichen, so muß man dieselbe beibehalten. Es können die Resultate in diesem Jahre dem Etat⸗Soll gegenüber günstiger, in einem anderen Jahre ebensowohl dem Etat⸗Soll gegen⸗ über ungünstiger werden, und ich habe bereits vorhin bei Erörterung des Jahres 1889/90 bervorgehoben, daß auf eine Fortdauer derjenigen Umstände, welche im laufenden Jahre die Mehrerträge an Zöllen und Verbrauchssteuern hervorgerufen haben, für den Rest dieses Etats⸗ jahres nicht, noch weniger aber für das nächste Etatsjahr mit Sicher⸗ heit zu rechnen ist.

Eine gewisse Schwierigkeit hat uns gemacht die Veranschlagung der Einnahmen aus der Branntweinsteuer. Die Ergebnisse der letzten Jahre haben bei dieser Steuer ein erhebliches Zurückbleiben hinter den Erwartungen zur Erscheinung gebracht, welche bei der Verab⸗ schiedung des Gesetzes gehegt wurden, und es entstand ür uns die Frage, ob bei der Veranschlagung der Einnahmen aus der Brannt⸗ weinsteuer auch in diesem Jahre zurückgegriffen werden solle auf die Schätzungen, welche bei Vorlegung des neuen Branntweinsteuergesetzes vorgenommen sind, oder ob die wirklichen Resultate der letzten Jahre

zu Grunde gelegt werden sollen. Bei der Materialsteuer, wo wir

einen sicheren Boden unter den Füßen zu haben glauben, haben wir den letzteren Weg beschritten; bei der Verbrauchsabgabe von Brannt⸗ wein haben wir uns entschlossen, auch in diesem Jahre wie in den beiden vorhergehenden und fast unverändert diejenige Zahl einzustellen, welche in den Motiven des Gesetzes angenommen worden war.

Es ist hier der Versuch gemacht worden, eine Schätzung auf Grund der wirklichen Einnahmeergebnisse aufzumachen. Diese Schätzung ergab natürlich eine geringere Ziffer als diejenige, welche wir eingestellt haben. Wir haben uns aber doch überzeugen müssen, daß diese Schätzung auf so unsicheren Grundlagen beruht, daß wir es vorgezogen haben, auch in diesem Jahre noch auf die ursprüngliche Ziffer, welche bei der Einbringung des Gesetzes berechnet war, zurück⸗ zugehen. Wir haben das gethan namentlich um deswillen, weil auch heute noch nicht mit Sicherheit zu übersehen ist, welche die durchschlagenden Ursachen sind, welche das Zurückbleiben der Einnahmen aus der Verbrauchsabgabe für Brannt⸗ wein hinter den Erwartungen herbeigeführt haben. Es wirken ja zweifellos verschiedene Ursachen zusammen, es wird nicht zu leugnen sein, daß in Folge des neuen Gesetzes der Konsum einen Rückgang erfahren hat. Es wird auch vielleicht der Verbrauch von Spiritus zu gewerblichen Zwecken unterschätzt worden sein, desjenigen Spiritus, der jetzt im Denaturirungszustande zur Verwendung kommt. Beide Umstände wirken natüclich auf Verminderung der Ein⸗ nahme hin. Es wirken aber vor Allem zweifellos bis in die Gegenwart oder wenigstens bis in eine nahe Vergangenheit hinein noch mit die Anfangsbestände, welche zur Zeit des Inkraft⸗ tretens des Gesetzes in Deutschland vorhanden waren, und durch diesen letzteren Umstand sind namentlich die Resultate des vorletzten Etatsjahres so influirt, daß es uns unmöglich schien, eine sichere Basis für die Veranschlagung der wirklichen Einnahme aus der Steuer zu gewinnen, weshalb wir es vorgezogen haben, wie im

Vorjahre, es noch bei der ursprünglichen Schätzung zu belassen. Auf

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den Reichs⸗Etat hat dieses Verfahren einen Einfluß nicht; es influirt dagegen auf die Etats der Einzelstaaten, denen die Mehrerträge aus Steuern und Zöllen überwiesen werden. Was nun die Vertheilung der Gesammtausgaben zwischen den Anleihen und sonstigen außer⸗ ordentlichen Mitteln und den Mitteln des ordentlichen Etats anlangt, so ist diese Vertheilung im Ganzen genau nach denselben Prinzipien wie im vorigen Jahre, auch in diesem Jahre erfolgt

Das Gesammtbild stellt sich danach folgendermaßen. Um die in den Etat eingestellten Bedürfnisse zu befriedigen, sollen angeliehen werden 266 789 307 ℳ%ℳ Von dieser Summe sind aber nur 246 789 307 in das Anleihegesetz aufgenommen, weil die übrigen 20 Millionen bereits durch frühere Anleihegesetze bewilligt waren; es sind dies 16 Millionen für den Nord⸗Ostsee⸗Kanal und 4 Millionen für den Zollanschluß von Hamburg.

An sonstigen außerordentlichen Zuschüssen für die Ausgabebedürf⸗ nisse des Etats finden Sie den Beitrag Preußens zum Nord⸗Ostsee⸗ Kanal mit 7 600 000 ℳ, die Rückerstattung zum Festungsbaufonds mit 511 000 ℳ, die Einnahmen für die Kölner Festungswerke mit 1 Million und 1 800 000 aus dem Reichstagsgebäude, Fonds für die Zwecke, welchen dieser Fonds gewidmet ist giebt zusammen die 277 700 307 ℳ, welche den außerordentlichen Etat nach der Vorlage ausmachen.

Von den übrigen Ausgaben fallen 25 837 893 auf den Inva⸗ lidenfonds, weil dieser Fonds für diese Ausgaben reservirt ist. Von den dann verbleibenden Aus aben werden gedeckt durch die eigenen Einnahmen des Reichs nach Abzug der Ueberweisungen an die Einzel⸗ staaten 336 930 708 ℳ, so daß von den Einzelstaaten nominell einzu⸗ zahlen sind 269 685 831 ℳ, um die eigenen Bedürfnisse des Reichs zu decken, während außerdem noch aus den eigenen Einnahmen des Reichs eine Summe von 228 510 000 den Einzelstanten zu⸗ fließt. Hieraus ergiebt sich dann die Abschlußsumme, wie sie im Etatsgesetz mit etwas über 1200 Millionen aufgeführt ist.

Für die Einzelstaaten gestaltet sich das Resultat dagegen folgender⸗ maßen: Die Matrikularbeiträge, wie sie im Etat stehen, betragen 269 685 831 In diesen Matrikularbeiträgen steckt aber eine Summe von 11 856 641 ℳ, welche Matrikularbeiträge im engeren Sinne nicht sind. Sie finden auf der Anlage XIX „VBerechnung der Matrikularbeiträge“, auf Seite 5 das Exempel, aus dem sich diese Zahl ergiebt. Es sind die Aequivalente, welche von den Staaten, die der Gemeinschaft der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung, der Brausteuergemeinschaft nicht angehören, bezw. von Bayern für ihm nicht zu Gute kommende Einnahmen der Militärverwaltung zur Reichstasse gezahlt werden müssen dafür, daß die übrigen Staaten die ihnen besonders zukommenden Einnahmen aus der Post⸗ und Tele⸗ graphenverwaltung, aus der Brausteuer, bezw. aus der Verwaltung des Reichsheeres der Reichskasse zufließen lassen. Wenn man diese 11 856 641 von den Matrikularbeiträgen abzieht, so verbleiben 257 829 190 ℳ, welche den Ueberweisungen von 298 510 000 gegenüberstehen. Es werden also nach dem Etat, wie er heute vorliegt, den Einzelstaaten noch 40 680 810 überwiesen werden; allerdings 24 Millionen weniger als im vorigen Jahre, aber doch noch ebenso viel wie im Jahre 1884/85, und ich möchte dieser Zahl gegenüberstellen. daß vor der Durchführung der letzten Zoll⸗ reform die Einzelstaaten zur Neichskasse Summen bis zu 70, bis zu 82 Millionen jährlich abführen mußten, Summen, welche eine Be⸗ lastung für Reichszwecke bis zu 2 pro Kopf der Bevölkerung repräsentirten, während nach dem laufenden Etat diejenige Summe, die nach Befriedigung der Reichsbedürfnisse den Einzelstaaten etats⸗ mäßig verbleibt, 0,84 auf den Kopf der Bevölkerung, in Preußen wenigstens, betragen würde.

Ich möchte hiermit meine einleisenden Worte schließen. und Sie bitten, sine ira et studio dem Etat Ihr Studium zuzuwenden, und ihn, wie ich Namens der verbündeten Regierungen bitte, möglichst unverändert anzunehmen.

Hierauf ergriff der Abg. Rickert das Wort zu nachfolgender Ausführung: Der Anfang und Schluß der Thronrede, in welcher die Rede ist von den Bemühungen des Deutschen Kaisers und der verbündeten Regierungen, den Frieden in Europa zu erhalten, wird sicherlich in der ganzen deutschen Nation mit lebhafter Zustimmung aufgenommen worden sein. Das Ausland wird sicherlich überzeugt sein, daß das deutsche Volk in allen seinen Theilen die ehrliche Friedensliebe des Deutschen Kaisers und der verbündeten Regierungen theilt. Die Volksvertretung ist entschlossen, jedes Opfer für die Er⸗ haltung der staatlichen Existenz zu bringen und hat dies auch in der letzten Zeit durch die That bewiesen. Bei der An⸗ nahme der Septennats⸗Vorlage hat uns der Vorgänger des Kriegs⸗Ministers wiederholt die beruhigende Mittheilung ge⸗ macht, haß nunmehr in den Bewilligungen für das Militär ein Stillstand zu erwarten sei. Bei aller Anerkennung des Bedürfnisses der Nation, jedem Friedensstörer das Handwerk zu legen, wird die Nation, und ihre Vertreter insbesondere, nie⸗ mals vergessen dürfen, daß zu einem guten Rüstzeug für den Fall des Angriffs durch einen auswärtigen Feind auch die sorg⸗ fättige Schonung der Volkskraft gehört. Dies ist von preußischen Herrschern, namentlich auch von Friedrich dem Großen, stets anerkannt worden. Von dem Gesichtspunkte der finanziellen Schonung der Kräfte wird dieser Etat mehr von der Volksvertretung zu betrachten sein als irgend ein früherer. Die Volksvertretung ist mehr als die Regierung berufen, den Bedürfnissen des Volkes ent prechend die Schonung der Finanz⸗ kräfte zur Geltung zu bringen. Ich kann mich hier auf eine Autorität stützen. Am 15. März 1884, als hier über die Bedeutung des Parlaments überhaupt und auch in Deutsch⸗ land gesprochen wurde, führte Jemand aus, daß das Parlament überall Uebel verhindern könne und den Ge⸗ fahren, welche bei Neiner monarchischen Regierung und bei jeder Regierung mit Verschwendung, bureaukratischer Be⸗ schränktheit und Auffassung vom grünen Tisch aus, mit Pro⸗ tektionewesen, männlichem wie weiblichem, entstehen könnten, sein Veto entgegenstellen könnte. Dieser Redner war kein Anderer, als der Reichskanzler Fürst Bismarck. In der That soll das Parlament einem übergroßen Ressorteifer, dem Ressort⸗ fanatismus, entgegentreten. Wir verdenken es den Herren nicht, wenn sie vom Ressortstandpunkte aus die Dringlichkei

der Bedürfnisse anders auffassen, als die Volksvertretung. Es

wäre der Untergang des Parlamentarismus, wenn die Me⸗ nung Oberhand gewinnen könnte, daß das Parlament ver flichtet ist, Alles ohne weiteres zu bewilligen, was die Regierun ür nöthig erklärt. Da ist wirklich der aufgeklärte Absolutis mus besser, denn er ist für das Volk billiger. Dieser würde nie eine solche Anspannung der Finanzkräfte zugelassen haben wie es gegenwärtig der Fall ist. In der Beziehung, daß da Parlament ein Schutz gegen Ressortverschwendung und bureau kratische Beschränktheit am grünen Tisch ist, bin ich ein ge lehriger Schüler des Reichskanzlers. Dem Deutschen Reich ist dieser Schutz um so nothwendiger, als wir keine Heßors haben mit jener Machtvollkommenheit, wie sie das preu isch Finanz⸗Ministerium früher hatte, früher hatte, ich sage da absichtlich, ohne dem gegenwärtigen preußischen Finanz Minister irgendwie zu nahe treten zu wollen.

zur Zeit Camphausen's konnten durch das Ministerium die anderen Ressorts beschnitten

Der Finanz⸗Minister war für jede Vermehrung ver

antwortlich und hatte auch im Uebrigen eine Machtvollkommen⸗ 1

heit, die der Schatzsekretär im Reiche nicht hat An diese

sehr engagirt.

gierungen noch die bezeichnet Finanzpolitik

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Stelle sollten nun die verbündeten Regierungen treten. Diese haben aber in diesem Jahre nicht einmal etwas an dem Kapitel „Naturalverpflegungen“ geändert, was in früheren Jahren wenigstens der Fall war. In rationell verwalteten Staaten decken stets die naturgemäß steigenden Einnahmen die durch die Weiterentwickelung bedingten wachsenden Ausgaben, und nur in den seltensten Fällen greift man zu Anleihen. Wir haben seit Jahren die Wendung von der Selbständigkeit der Reichsfinanzen gehört. Der vorliegende Etat hätte nun bei⸗ nahe in dieser Beziehung mit einem Minus von einer Million geschlossen. Die steigenden Intraden hat man den Einzel⸗ staaten überwiesen, und Steuern, wie die Zuckersteuer, schleppen sich fortwährend durch den Reichs⸗Etat. Wir hören kein Wort, daß diesem unerträglichen Zustande ein Ende gemacht werden soll. Die Zuckersteuer bringt 61,7 Millionen Bruttoeinnahmen und nur 7 ½ Millionen Nettoeinnahmen für das Reich. Wird man diesen Spott auf eine Steuer nicht endlich beseitigen? Die Exportprämien können allmählich so groß werden, daß für die Steuer überhaupt nichts mehr übrig bleibt. Unter Umständen kann das Reich sogar noch etwas zuzahlen. Nicht aufrecht zu erhalten wird auch die kleine Liebesgabe an die kleinen Brenner sein, von der der Abg. von Wedell⸗Malchow bei der Berathung des Branntweinsteuer⸗ gesetzes sprach, die 20 pro Hektoliter beträgt. Ferner die Schutzzölle auf die nothwendigen Lebensmittel, von denen der Herr Schatzsekretär mit ungetrübter Freude gesprochen hat. Die Zeiten ändern vieles, sodaß ich heute diese Rede von jenem alten Verbündeten gehört habe, der einst die beste Rede gegen die Getreidezölle gehalten hat. Es hat mir leid gethan, daß ich sie gerade aus seinem Munde habe hören muüͤsfen. Ueber das gegenwärtige Bild des Etats hat er alles Nöthige gesagt. Stillstand der Einnahmen, bedeutende Vermehrung der drückendsten Steuern auf die Lebensmittel, ganz enorme Erhöhung der Schuldenlast wir gehen mit diesem Etat bereits in die zweite Milliarde hinein Erhöhung der Matrikularbeiträge um 41 ½ Millionen, das ist das Bild des gegenwärtigen Etats. Die Erhöhung der Matrikularbeiträge ist hierbei nicht das Unwesentlichste. Von dem Standpunkte des preußischen Finanz⸗Ministers von Scholz müßte aus diesem Grunde der Etat einen ganz entschiedenen Rück⸗ schritt der Finanzverwaltung des Reichs und der Einzelstaaten bedeuten. Denn noch in diesem Jahre sprach derselbe im Abgeordnetenhause als den prinzipiellen Standpunkt der Regierung aus, daß das finanzielle Verhält⸗ niß zwischen dem Reich und Preußen keine wesentliche Ver⸗ kümmerung erfahre, Preußen das, was es jetzt vom Reich beziehe, auch fernerhin zu beziehen habe, und neue Bedürfnisse des Reichs durch eigene Einnahmen zu decken seien; mit der einen Hand zu nehmen, was mit der anderen gegeben wird, würde ein Rückschritt in der Finanzverwaltung des Reichs und der Einzelstaaten sein. Die Konsequenz dieses Stand⸗ punkts wäre, daß die verbündeten Regierungen jetzt vor den Reichstag treten müßten mit der Forderung neuer Einnahmen, neuer Steuern. Das geht aber nicht. Wir werden im Fe⸗

bruar oder März Reichstagswahlen vornehmen, und da wäre

ies eine etwas unangenehme Mitgabe. Der gegenwärtige

Etat ist aber der Belag dafür, daß die verbündeten Regie⸗

rungen der Meinung sind denn der FinanzMinister hat sich positiv auf ihre Zustimmung bezogen —, daß in aller⸗ nächster Zeit neue Steuern zur Bestreitung der Bedürfnisse des Reichs und der Einzelstaaten nothwendig seien. Diejenigen Ausgaben, die durch die militärischen Bewilligungen von 1887/88 nothwendig waren, wären vollkommen gedeckt worden durch eine Reform der Zuckersteuer und durch die Reichseinkommensteuer, wie wir sie vorgeschlagen. Der Ge⸗ danke der Reichseinkommensteuer wird von der Tagesordnung nicht schwinden. Wenn dagegen der Abg. Miquel erklärt hat, dringlicher sei die Aufgabe, die höher Vermögenden mehr heranzuziehen, die Frage müsse in den Einzelstaaten gelöst werden, so möchte ich doch fragen, was in Preußen daraus geworden ist. Wir wollen abwarten, ob Hr. von Boetticher Recht hat, daß die Reform der Einkommensteuer die erste Vorlage an den Landtag sein wird. Nach dem, was wir in der Presse gehört haben, scheint man dazu gar keine Neigung zu haben. Wir haben übrigens die Genugthuung, daß auch schon von der rechten Seité und auch von dem Centrum der Gedanke der Reichs⸗ Einkommensteuer befürwortet wird. Der Finanzpolitiker Georg Schanz, welchem doch gewiß nicht irgendwelche freisinnigen Anwandlungen zuzuschreiben sind, ist ebenfalls für die Reichs⸗ Einkommensteuer eingetreten. Es ist nach dem Gesagten un⸗ wahr, daß die Freisinnigen die Ausgaben bewilligt hätten, die Einnahmen abes nicht bewilligen wollten. Daß wir die Brannt⸗ weinsteuer annehmen, konnten Sie freilich nicht von uns ver⸗ langen. Ich verweise ferner darauf, daß Bayern in zwei Jahren 24 Millionen Ueberschüsse hat. (Staatssekretär von Boetticher: Das sind die Folgen der Reichs⸗Finanzpolitik!). Ich bitte Herrn von Boetticher, in die ärmeren Familien und in deren Haushalt zu sehen; Sie verschließen sich die Augen vor der Vertheuerung; eine jede Hausfrau aber wird Ihnen sagen, daß wir in einer Periode der Vertheuerung leben. Die Herren freuen sich über die Ueberschüsse; es ist aber eine Trauer, daß wir sie haben. Diese Wirthschaft führt zur Verschwendung. Das hat auch Kollege Miquel im vorigen

Jahre ohne Weiteres eingeräumt. Das Steuerbewilligen auf Vorrath muß zu einer irrationellen Wirthschaft führen. Der gegenwärtige Etat, so traurig er schon in seinen Ziffern

ist, ist um so bedenklicher, weil er für die Zukunft uns so Die Summe von Engagements, die in dem Marine⸗Etat steckt, können weder die verbündeten Re⸗ Abgeordneten berechnen. Schanz in einer Kritik der Grundlage unserer die Matrikularbeiträge ebenso wie die Ueberweisungspolitik als geradezu verderblich und den funda⸗

mentalen Finanzprinzipien widersprechend; sie seien wuchtige Schläge, die den noch so sorgfältig gezimmerten Landeshaus⸗

halt in seinen Fugen erschüttern müßten; die erste Voraus⸗

setzung einer gesunden Finanzpolitik sei, daß das Reich und die Einzelstaaten s

wir immer vertreten haben und von denen Sie abgewichen sind, seit Sie es über sich gewonnen haben, Steuern von

elbständig seien. Das sind die Grundsätze, die

Hunderten von Millionen zu bewilligen. Weg mit dieser Ueberweisungspolitik! Weg mit dieser Finanzpolitik, welche sich

an jenen Brief des Reichskanzlers anschließt. Das System der

Bewilligung von großen Summen ohne augenblicklichen Bedarf ist der große Schaden unserer Finanzentwickelung. Der Marine⸗ Etat enthält große Engagements für die Zukunft, aber später wird man sagen, das haben wir nicht erwartet. Wißmann hat 2 Millionen auf den Weg bekommen, heute sagt Herr von Maltzahn, das habe bei Weitem nicht gereicht. Setzen Sie sich deshalb mit Herrn Bamberger auseinander, der schon bei der Be⸗

willigung der zwei Millionen auf die doppelte Summe fixen wollte. Für den jetzigen Marine⸗Etat kann man Caprivi nicht als authentischen Zeugen anführen nach dem, was er vor wenigen fahren hier entwickelt hat. Früher wurden in fünf Jahren nicht so viel Schiffe gebaut, wie jetzt in einem. Man strebt jetzt nach einer Angriffsflotte, die die Mehrheit des Reichstages und des Volkes nicht gewollt hat. Konservative Politiker, wie Minister Lucius, haben anerkannt, daß Deutschland niemals an eine Angriffsflotte denken könnte. Die Lasten einer Offensivflotte auf offenem Meere kann das deutsche Volk nicht tragen. Im vorigen Jahre sagte der Referent der Budget⸗ kommission: „Die Opfer sind ja beträchtlich, aber bei der günstigen Finanzlage nicht unerschwinglich“. Man hat den Schnaps theurer gemacht, und das nennt man nun eine günstige Finanzlage. Welches werden die finanziellen Kon⸗ sequenzen sein? Glauben Sie, daß unsere Docks, daß die Einfahrt in Wilhelmshaven ausreichen werden für diese neuen Panzer? In wenigen Jahren wird man mit großen Forde⸗ rungen kommen, wenn auch die Marineverwaltung jetzt fagt: das können wir noch nicht übersehen. Deutschland muß allerdings im Herzen Europas diese schwere Rüstung tragen, aber wozu noch die Kolonialvolitik und diese Angriffsflotte? Militärs haben anerkannt, daß da⸗ durch der Schwerpunkt unserer Thätigkeit verrückt wird. Wo sind die alten preußischen Grundsätze geblieben, nach denen man es früher für eine Verschwendung hielt, ein⸗

mal ½ Million Thaler für eine neue Brücke auszugeben? Graf Behr hat noch manchmal solche Anwandlungen. Im vorigen Jahre sagte er: „Die Erhöhung von 25 Millionen im Etat ist doch bedenklich. Neue Steuern und Zölle können wir nicht mehr einführen. Nun haben wir schon über eine Milliarde Schulden, diese ewige Lawine vorwärts kann nicht gehen, wir müssen sparen.“ Ich empfehle Ihnen diese kon⸗ servativen Finanzgrundsätze gerade jetzt vor den Wahlen. Der Ersatz des „Großen Kurfürst“ wurde jahrelang verschoben. Weshalb sollen die jetzt untergegangenen Schiffe sofort ersetzt werden? Welche Funktionen der neue Aviso für 4 ½ Millionen haben soll, ist mir absolut nicht klar, auch nichtaus dem Titel: „Aviso

für größere Kommandoverbände.“ Unsere Kaiserlichen Werften können alle diese Bauten nicht bewältigen. Aber jeder Nagel soll deutsch sein, sagte Graf Monts, daher werden unsere Werften sich vergrößern, die Arbeiter werden vermehrt werden, aber nicht für dauernde Arbeit, und sind die Schiffe fertig, geht das Elend wieder los. Diese stoßweise Wirthschaft kann das Volk nicht vertragen. Eine Flotte kann man nicht in 3 bis 5 Jahren schaffen. Man sollte ruhig erst die Entwickelung im Auslande abwarten. Es gehen dunkle Gerüchte, daß Deutschland ganz etwas Neues machen will; vor solchen Experimenten habe ich großen Respekt. Lassen Sie das doch die reichen Engländer und Franzosen machen, und uns dann das Erprobte nehmen. Das Verdienst von Stosch und Caprivi war es, daß sie nicht experimentirten. 11 Schiffe sollen fortgesetzt, 11 neu gebaut werden Die Summen für die angefangenen Bauten sind in diesem Jahre nicht ausge⸗ geben worden. Vor 15 Jahren ließ sich die Marine⸗ verwaltung auch fortwährend Geld bewilligen und gab es nicht aus. Dieser Wirthschaft haben wir ein gründliches Ende gemacht. Die Marineverwaltung verzuckert ihre Forderungen, indem sie vorläufig das Personal nicht vermehren will. Nach der Denkschrift zum Ctat 1889/90 sollte das Personal vor⸗ läufig nicht vermehrt werden; in diesem Jahre fordere man eine Vermehrung von 100 Köpfen. Das drei bis vier Mal reichere England kann das wohl u iternehmen. Der Reichs⸗ kanzler hat selbst gesagt, die Anzahl thue es nicht, sondern der Geist in der Armee. Bei den Finanzen haben wir auch ein Wörtchen mitzureden, die Herren von ihrem Ressortstandunkt nehmen es damit nicht so genau. Der Reichskanzler sagte zu unserer Beruhigung, er sei nicht Kolonialmensch, aber hat man in der Kolonialpolitik erst A gesagt, so ist kein Haltens mehr. Die Mehrforderungen für Kolonialzwecke zeigen, daß wir immer tiefer hineinkommen. Im vorigen Jahre warf der Reichskanzler dem Abg. Bam⸗ berger vor, durch seine Mittheilungen im Reichstage den Deutschen in Südwest⸗Afrika das Geschäft verdorben zu haben. Nun, das Geschäft ist jetzt doch gemacht. Die englische Gesell⸗ schaft hat einen so famosen Preis für das Land gezahlt, daß das deutsche Kapital gerettet ist. Auch auf der rechten Seite, die noch heute die „Kreuzzeitung“ als ihr Organ verehrt, scheint sich der Kolonialenthusiasmus abgekühlt zu haben. Die „Kreuzzeitung“ sagt selbst, in Ost⸗Afrika sei es dahin gebracht, daß das Reich selbst eingreifen müsse, in Witu gehe Alles drunter und drüber, von Neu⸗Guinea sei seit Jahren nichts zu hören, nur wo das Reich selbst die Hand anlege, scheine es noch zu gehen. Zu kolonialpolitischem Optimismus ist heute weniger Grund als je. Trotz der wiederholten Erklärungen des Kriegs⸗Ministers beim Septennat, daß in den Militärforderungen ein Stillstand eintreten werde, hat man in jedem Jahre immer mehr gefordert, als in dem vorhergehenden. Namentlich die extraordinären Forderungen sind ins Riesige gewachsen. Sind denn die Bestände der

wir Grund haben, diese neuen Bewilligungen zu machen? Mir scheint das nach den Mittheilungen in ver enbschenf⸗ über die Anleihe sehr zweifelhaft. Oder soll man etwa lauben, daß die politische Rücksicht den Kriegs⸗Minister estimmt habe, der nächste Reichstag könnte nicht so günstig zusammengesetzt sein wie der jetzige? Das kann ich doch nicht annehmen. Die Folgen des französischen Militär⸗ gesetzes hat man schon früher übersehen können, und doch liest man jetzt im „Militär⸗Wochenblatt“ darüber ganz andere Urtheile, als wir sie früher aus militärischen Kreisen gehört haben. Will man sich aber Frankreich zum Muster nehmen, warum denn nicht auch in der Kompensation der Mehrforderung, in der Verkürzung der militärischen Dienst⸗ zeit? Die geplante Neuorganisation, die Errichtung zweier Armee⸗Corps u. s. w. hat auch der frühere Kriegs⸗Minister ür wünschenswerth gehalten und nur aus Sparsamkeitsrück⸗ ichten zurückgestellt. Sind diese Rücksichten nicht auch heute entscheidend? Bei verschiedenen Positionen wird die Budget⸗ kommission ohne Weiteres Abstriche vornehmen können. Bei⸗ spielsweise bei den Forderungen für Kasernen⸗ und Kirchen⸗ bauten. Sind wir schon dagegen, daß überhaupt Civil und Militär getrennt werden, so sind wir um so mehr für einen Aufschub so unnöthiger Forderungen. Die Ansätze bei der Naturalverpflegung sind falsch. Warum hat denn der Bundesrath diese Ansätze nicht ebenso gemacht wie in früheren Jahren? Warum hat er nicht die Oktoberpreise zu Grunde gelegt? (Staatssekretär Föhr. von Maltzahn: Weil der Oktober noch nicht zu Ende ist!) Wir stehen doch schon mitten

können. Die Einnahmen aus den Zöllen haben be⸗ reits die dreihundert Millionen 1b-Jalen,nb welche der Reichskanzler bei dem Beginne der Steuerreform als das Ideal seiner Bestrebungen hinstellte. In diesem Etat sind die Einnahmen so vorsichtig in Anschlag gebracht, daß sie wahrscheinlich überschritten werden. Wie wirken denn alle diese Steuern auf die Steuerzahler und wie werden dieselben verwendet? Man überweist in Preußen die Ge treidezölle an die Kreise. So lange die Getreidezölle für Preußen nur 17 ½ Millionen abwarfen, ließ sich kein Miß⸗ brauch befürchten. Im vergangenen Jahre sind aber bereits 30 Millionen an die Kreise überwiesen worden. Kann ein Reichstag es verantworten, daß diese Zölle an die preußischen Kreise gehen, die gar nicht in der Lage sind, diese Summen zu verausgaben, ohne Verschwendung zu treiben? Das ist eine finanzielle Mißwirthschaft. Das Volk weiß noch lange nicht, wie diese Dinge zugehen. Sie können nicht in Abrede stellen, daß die Kreise jetzt schon mehr Geld bekommen, als sie an Steuern bezahlen. Ist das eine Ueber⸗ weisungspolitik, die Sie vor Ihrem Gewissen verantworten können? Weg mit der ganzen Ueberweisungspolitik, Ein⸗ führung der Reichs Einkommensteuer! Wer nicht glaubt, daß die Getreidezölle den Preis des Getreides erhöhen, der lese den Courszettel vom 18. Oktober. An der Berliner Börse stand Roggen auf 166,25 pro Tonne, in Amsterdam auf N. pro Tonne. In dieser Differenz kommt nach Abzug der Fracht und Spesen der Zoll zum Ausdruck. Ich behaupte also, daß da. Ausland seine Bevölkerung erheblich billiger ernährt, als das Inland. Am Anfange hieß es von autorita⸗ tiver Seite, nicht der eingefleischteste Agrarier könne an einen Zoll von 3 —5 denken. Jetzt ist es soweit gekommen, daß

an der bayerischen, sächsischen und böhmischen Grenze am Sonntage ganze Züge mit Kindern über die Grenze fahren, welche jenseits billiges Brot kaufen. Hr. von Boetticher hat bei der Kommissionsberathung des Invalidengesetzes die Erklärung abgegeben, daß die Ge⸗ treidezölle keine Finanz⸗, sondern Schutzzölle seien, welche zur Erhöhung der Reichseinnahmen weder bestimmt, noch geeignet

seien. Das könnte Hr. von Maltzahn beachten, der heute die

Millionen dafür einstreicht, während Hr. von Boetticher als

Präsident der Zollkommission au nicht immer dem obi

Gedanken Ausdruck gegeben Das Ministerium Man⸗ teuffel, das schärfste Reaktions⸗Ministerium, hat im Jahre 1849 gegen die Mahl⸗ und Schlachtsteuer dieselben Gründe angeführt, die wir heute gegen die Getreidezölle kehren, daß die unverhältnißmäßig belasteten ärmeren Volksklassen er⸗ leichtert werden sollten, daß sein Vertrauen in die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit der Steuervertheilung wieder her⸗ gestellt werde. Wie stehen heute Bismarck und die ver⸗ bündeten Regierungen diesem Gedanken der Gerechtigkeitsliebe gegenüber? Der Etat zeigt 70 bis 80 Millionen Einnahmen

aus den Getreidezöllen! Als wir diese Zölle beschlossen, sagte der Reichskanzler, das Inland braucht das Ausland nicht, denn es ist der Produktion gewachsen, besonders wenn die Bedin⸗ gungen für ein weiteres Wachsen derselben geschaffen werden. Jetzt zeigt sich, daß die inländische Produktion dem Konsum nicht gewachsen ist, denn Luch wir nehmen den Gang aller Kulturstaaten, daß wir die Produktion solcher Lebe

den weniger entwickelten

Völkern überlassen

lohnendere Dinge produziren. Wir haben bis A

Jahres 2 Millionen Doppelzentner Weizen, 5

Doppelzentner Roggen und 1 ½ Millionen Doppelzentner Gerste mehr eingeführt als im vergangenen Jahre. Der Roggenzoll beträgt 45, der Schweinezoll 50 Proz. des Werthes der ver⸗ zollten Waare. Es ist nicht bloß von freisinniger, sondern soll auch von nationalliberaler Seite eine Herabsetzung des Zolles auf Schweinefleisch gewünscht werden. Unser An⸗ trag wird der Regierung Gelegenheit geben, ihre Gründe für Aufrechthaltung der hohen Zölle darzulegen. Große Kreise im Lande, namentlich Handelskammern, stehen dem Einfuhr⸗ verbot absolut ablehnend gegenüber. Die Erhöhung der Löhne in einzelnen Branchen ist durchaus kein Ausgleich für die allgemeine Vertheuerung der Lebensmittel. Eine ganze Reihe von Zweigen weist nicht die geringste Lohnerhöhung auf. Man spricht bereits von Theuerungszulagen für kleine Beamte in Sachsen, für Eisenbahnbeamte in Preußen. Die Vertheuerungspolitik ist kein Hirngespinnst der frei⸗ sinnigen Partei, sondern eine Realität, mit der wir be⸗ sonders bei Eintreten eines strengen Winters, wo die Ver⸗ theuerung noch weiter gehen kann, rechnen müssen. Wir stehen auch durchaus keiner gesunden Entwickelung in unserem gewerblichen Leben gegenüber. An der gegenwärtigen auf steigenden Entwickelung nehmen alle Staaten Theil, auch vnch. das sich noch immer nicht an seinem Freihandel verblutet hat. Der Außenhandel Englands hat sich in der⸗ selben Zeit um 4 Proz. erhöht, in der der unserige herunter⸗ gegangen ist. Wir haben 1886 ein Plus der Ausfuhr über die Einfuhr, 1887 sogar ein solches von 10 Millionen, dagegen 1888 bereits die negative Handelsbilanz: ein Minus von 84 bis 85 Millionen, das Sie mit Ihren hohen Zöllen

früheren Bewilligungen wirklich schon so weit aufgezehrt, daß

nicht haben verhindern können. Gerade in der Eisen⸗ branche haben wir einen erheblichen Ausfall der Ausfuhr, Hund England wie Frankreich haben uns hierin erh eblich überflügelt. Die Zahlen der Börsensteuer zeigen, daß im Uebrigen eine krankhafte und unnatürliche Steigerung auf dem Weltmarkte vorliegt. In diesem Sinne spricht sich der Bericht der Dortmunder Handelskammer aus Die Kriegsrüstungen der europäischen Völker kommen darnach im Wesentlichen der Großindustrie, indirekt auch der Land⸗ wirthschaft zu Gute. Da auch England jetzt bedeutende Auf⸗ wendungen für die Flotte mache, Oesterreich und Italien für ihre Heere, so sei der Arbeitsmarkt überall durch große Staatsaufträge belebt. Der Bericht spricht, da ja der Staat durch die Geldfrage nicht gehindert sei, die Hoffnung aus, daß er weiter in seiner ausgleichenden Thätigkeit fortfahren werde. Das Resultat dieser Thätigkeit wird nun kein anderes sein, als daß der Kriegs⸗Minister und künftig auch der Marine⸗Minister die eigentlichen Arbeits⸗Minister sein werden. Soll das eine gesunde Entwickelung unserer gewerblichen Industrie sein? Wir im Osten haben nichts davon, daß die Industriebezirke des Westens weiterprosperiren, wir müssen nur mitbezahlen. Und nun muß ich den Haupt⸗ punkt berühren, an den sich für ganz Europa zum 1. Oktober 1892 eine entscheidende Krisis knuͤpft. Wenn Frankreich die Handelsverträge nicht erneuert, dann verlieren wir auch die Vortheile des Fran furter Friedens, dann giebt es keine Kon-⸗ ventional⸗Handelspolitik mehr! Dieser Frage müssen jetzt alle Volkskreise sich annehmen: der Zollkrieg im alten uropa darf nicht fortdauern zum Gaudium der Amerikaner.

im Oktober. Jedenfalls hätte man die Septemberpreise nehmen

Was soll nach 1892 werden, wenn wir nicht Umkehr