erfolgt, so würde es niemals eine Parnell⸗Untersuchungs⸗Kom⸗ mission gegeben haben. Das Haus der Gemeinen würde nie⸗ mals seine Zustimmung ertheilt haben zur Bildung eines Sonder⸗ tribunals, um nach gesetzlichen Formen zu entscheiden, ob Irland nicht besser ohne die Landliga gefahren wäre oder nicht, ob Volksagitation zu Gewaltthaten führe u. s. w. Dies sind nicht Fragen für die Entscheidung von Richtern, und zwar aus dem guten Grunde, weil Richter sie nicht ent⸗
scheiden können.“
— Die Arbeiterausstände der letzten Geit haben, wie wir dem „Hamb. Corresp.“ entnehmen, in England zur Folge gehabt, daß sie den Politikern aller Parteien die Dringlichkeit ungesäumter gesetzlicher Inangriffnahme der sozialen Frage klargelegt haben. Der konservative „Standard“, der in dem Dockstrike so scharf und ein⸗ seitig gegen die Arbeiter Stellung genommen, bezeichnet es jetzt als eine unumgängliche Nothwendigkeit für seine Partei, mit einem einschneidenden sozialen Reform⸗ programm hervorzutreten, wenn sie anders nicht die Herr⸗ schaft über die Massen verlieren wolle. Auch die Liberalen wenden von den unfruchtbaren Home⸗Rule⸗Erörterungen ihre Aufmerksamkeit der sozialen Frage zu. John Morley, der zweite Führer der Liberalen, neben Gladstone, war es, der in einer großen Rede im Achtziger⸗Klub ein soziales Zukunftspro⸗ gramm der Partei skizzirte. Die E waren: Abschaffung der Zölle auf Thee, Kaffee, Kakao und getrocknete Früchte, Besteuerung der Grundrenten, Gleichstellung der Erb⸗ schaftssteuern, bessere Wohnungen für die armen Klassen, Kürzung der Dauer der Parlamente, freier Schulunterricht, unentgeltliche Speisung armer Schulkinder, Ankauf von Land Seitens der Bezirksräthe zur Verpachtung an Arbeiter,
Nuhegehälter für alte Arbeiter, Bezirksräthe nach deutschem
Vorbilde. Das sind die Forderungen der Radikalen, welche die Gladstonianer zu den ihren machen. In einem Punkt dagegen zeigte sich Morley mit den Radikalen nicht einverstanden, nämlich in der allgemeinen Einführung des gesetzlichen achtstündigen Arbeitstages. Auch der Minister Smith behandelte in Exeter soziale Fragen. Es sei erfreulich, betonte er, wenn die Arbeiter einen größeren Antheil am Geschäftsgewinn bekämen, die Produktionskosten dürften aber niemals eine solche Höhe erreichen, daß sie die Kaufkraft überstiegen, sodaß kein Markt für die Produkte da
wäre. Besäßen die englischen Arbeiter diese Einsicht nicht, so
vürden sie die Zukunft Großbritanniens zerstören, selbst wenn sie im Augenblick höhere Löhne erzielten. 9 “
Aus Indien liegen folgende Nachrichten des „R. B.“ vor:
Bombay, 23. November. In Chota Nagpur sind die
Kols, ein Theil der ungefähr 1 Million zählenden, in den Gebirgen
8 Centralprovinzen zerstreut lebenden Urbewohner in
Auffstand gerathen, haben das Besitzthum der Zamindars, sowie die
öffentlichen Bureaux angezündet und eine Anzahl Personen getödtet.
Die Kols verlangen Pachtnachlaß und Aufhebung der Frohnarbeit.
Kalkutta, 22. November; Die Expedition gegen die
Aüthods wird ihren Vormarsch voraussichtlich in einer Woche
antreten.
Frankreich. Paris, 23. November. (W. T. B.) Die Deputirtenkammerb lehnte heute, in Folge einer Erklärung des Minister⸗Präsidenten Tirard und des Finanz⸗Ministers Rouvier, welche sich gegen den Antrag Leydet's auf freie Erzeugung von Zündhölzchen richtete, den Artikel 3 dieses Antrages ab, worauf Leydet seinen ganzen Entwurf zu⸗ rückzog. Der Finanz⸗Minister erklärte, die Regierung würde das Monopol der Zündhölzchen⸗Erzeugung selbst ausüben.
Der Deputirte Hubbard wird Montag an den Minister des Aeußern Spuller über die Ereignisse in Bra⸗ silien eine Anfrage richten.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 24. November. (W. T. B.) Der Großfürst⸗Thronfolger ist heute in Zarskoje Sselo wieder eingetroffen.
3 Italien. Rom, 24. November. (W. T. B.) In der Arena des Flaminius fand heute eine von Radikalen einbe⸗ rufene Versammlung statt, um wirksameren Gesetzesschutz
egen Arbeitsunfälle zu verlangen. Ungefähr 1500 Per⸗ laus. waren anwesend, darunter mehrere Deputirte und Munizipal⸗ räthe. Die von dem. Comité vorgeschlagene Tagesordnung, welche das Verlangen nach einem wirksameren Schutze gegen Arbeitsunfälle stellt, wurde angenommen. Die von einigen Anarchisten eingebrachte Tagesordnung gelangte nicht zur Abstimmung. Die Anarchisten erhoben lärmend Wider⸗ spruch und wurden deshalb von der Polizei aus dem Saale entfernt. Im Uebrigen verlief die Versammlung ohne Störung.
Der Papst empfing heute den in außerordentlicher Mission hier anwesenden englischen Gesandten Sir J. Lintern Simmens in Begleitung des Kronanwalts von Malta, Carbone, und des Legations⸗Sekretärs Roß. Sir Lintern machte sodann dem Kardinal⸗Staatssekretär Ram⸗ polla einen Besuch.
— 25. November. (W. T. B.) Die Thronrede, mit welcher heute die neue Session der Kammern SFibis wurde, sagt: In dem Wetteifer allgemeiner Thätigkeit haben Sie die italienische Produktion begünstigt; aber deren Schutz darf nicht von Mißtrauen und Argwohn ein⸗ geflößt werden, welche die Völker nutzlos trennen, und darf Reformen nicht hindern, welche die trennenden Grenzen möglichst hinwegräumen, den Austausch der Erzeugnisse erleichtern und die internationalen Beziehungen freund⸗ schaftlicher gestalten. Gegenwärtig haben Sie der industriellen Entwickelung feste Grundlagen gegeben. Der Kriche scheint in diesem Augenblicke mehr als je gesichert, Dank den Rathschlägen der großen Mächte, meinen eigenen Bestrebungen, sowie den meiner Verbündeten. Die Fragen, welche den Frieden etwa stören könnten, sind nicht sämmt⸗ lich beseitigt; wir werden daher fortfahren, sorgfältig darüber zn wachen, ohne jedoch unser Budget zu sehr zu belasten, den nforderungen der Armee und der Marine zu genügen, welche die Vertheidiger unserer Einigkeit und Unabhängigkeit und welche mit unserem guten Recht der beredte Ausdruck unserer Interessen in der Welt sind.
Belgien. Brüssel, 24. November. (W. T. B) In der gestrigen Sitzung des Antisklaverei⸗Kongresses wurde einstimmig beschlossen, daß die Territorial⸗Fragen außerhalb der Kompetenz des Kongresses lägen. Es wurde eine aus den vn ,üoge Deutschlands, Belgiens,
rankreichs, Englands, Italiens, Persiens, Portugals, Ruß⸗
FELüñrkei. Konstantinopel, 24. November. (W. T. B.) Der Sultan hat eine Amnestie für alle in den letzten Wirren auf Kreta kompromittirten Personen erlassen; aus⸗ genommen sind nur die Verbrechen gegen das gemeine Recht. Die Regierung ersuchte die Botschafter, der neuen Stempeltaxe zuzustimmen. Der italienische Bot⸗ schafter willigte unter der Bedingung der Aufhebung der Stempelfreiheit der Ottomanischen Bank ein, und man laubt, daß die Pforte mit der Ottomanischen Bank dies⸗ ezüglich S werde. 1““
— 25. November. (W. T. B.) Der italienische Botschafter, Baron von Blanc, ist wegen Ablebens seiner Mutter von hier abgereist.
Serbien. Belgrad, 23. November. (W. T. B.) Authentischen Berichten zufolge wurde das Kloster Detschiani von Arnauten umzingelt. Der Igumen schloß sich im Kloster ein, welches von Mauern umgeben ist und Widerstand leistet. Zaptiehs sind aus Ipek an Ort und Stelle abge⸗ gangen, um Ordnung zu schaffen.
Amerika. Washington, 22. November. (R. B.) Der brasilianische Delegirte auf dem pan⸗ameräaka⸗ nischen Kongreß, Senhor Valenta, hat von der pro⸗ visorischen Regierung Instruktionen erhalten, wo⸗ nach ihm und seinem Kollegen neue Beglaubigungs⸗ schreiben übermittelt werden und sein Verhältniß zur provisorischen Regierung geregelt wird. Zugleich wird er angewiesen, auch ferner Brasilien als Gesandter bei den Vereinigten Staaten zu vertreten. Der pan⸗amerikanische Kongreß hat sich bis zum Montag vertagt,
Brasilien. Nach den dem „Reuter'schen Bureau“ über New⸗York zugegangenen Nachrichten aus Rio de Janeiro herrscht fortdauernd Ruhe in Brasilien. Die neue Regierung hat sich verpflichtet, die Ehedotationen der brasilianischen Prin⸗ zessinnen aufrecht zu erhalten und die vom Kaiser bedürf⸗ ligen Personen verliehenen Pensionen weiter zu zahlen. An das proklamirte allgemeine Wahlrecht ist nur die eine Bedingung geknüpft, daß jeder Wähler zu lesen und zu schreiben im Stande ist. Vicomte Ouro Preto, der bis⸗ herige Premier⸗Minister, welcher auf Befehl der provisorischen Regierung verhaftet wurde, hat mit seiner Familie Brasilien verlassen. Der Oberbefehl über die Marine ist dem bisherigen Geschwader⸗Chef, Baron de Corumbu, über⸗ tragen worden. Vicomte de Maracaju hat sich als An⸗ hänger des Ministeriums bekannt. Brigade⸗General Coelho ist zum Gouverneur der Provinz Matto Grosso und Oberst⸗Lieutenant Jaques zum Sekretär des Generals da Fonseca ernannt worden. Die brasilianische Flagge bleibt dieselbe, nur daß 21 die verschiedenen Staaten des Reichs darstellende Sterne hineinkommen. Die Flagge wird auch die Inschrift tragen „Ordnung und Fortschritt.“ Die neuen Briefmarken sind auch schon fertig. Es be⸗ findet sich auf denselben eine blaue Erdkugel, um welche die Inschrift angebracht ist: „Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien.“
Eine in London eingetroffene Depesche der National⸗ bank von Brasilien aus Rio de Janeiro vom Freitag Abend besagt, daß sich alle Provinzen ohne Wider⸗ stand und ohne Protest der republikanischen Regie⸗ rung unterworfen hätten; provisorische Regierungen in den Provinzen seien schnell organisirt worden. Der Erzbischof habe der republikanischen Regierung seinen Segen gegeben. Die neuen Kammern wirden ein⸗ “] über die hauptsächlichsten Reformen Beschluß gefaßt sei.
Telegramme der „A. C.“ aus Washington melden, daß, während der amerikanische Gesandte in Rio de Janeiro freundschaftliche Beziehungen mit der neuen provi⸗ sorischen Regierung Brasiliens aufrechterhalte, eine förmliche Anerkennung der neuen Regierung Seitens der Vereinigten Staaten noch ein Ding der Zukunft sei. Argentinien und Uruguay hätten die Republik amtlich anerkannt.
Nach einer der „Polit. Corresp.“ aus Paris zugehenden Meldung hat Papst Leo XIII. sofort, nachdem die Nach⸗ richten über den Umsturz in Brasilien in glaubwürdiger Weise bekräftigt worden waren, dem apostolischen Internuntius in Rio de Janeiro, Msgr. Spolverini telegraphische Weisungen zugehen lassen, durch welche dem katho⸗ lischen Episkopate und Klerus in Brasilien anempfohlen wird, sich aller politischen Kundgebungen und der Bethei⸗ ligung an der Neugestaltung der politischen Zustände zu ent⸗ halten. Episkopat und Klerus möchten sich darauf beschränken, an die neue Regierung die Forderung zu richten, daß der Geistlichkeit volle Freiheit in der Ausübung ihres kirchlichen Amtes gewährt werde.
Eine Depesche des „New⸗York Herald“ aus Rio de Janeiro stellt die unmittelbare Ursache der Revolution, wie folgt, dar: Zwei in Rio stationirte Bataillone seien nach einer ent⸗ fernten Provinzbeordert worden, und die Offiziere hätten in einer geheimen Versammlung beschlossen, dem Befehle den Gehorsam u verweigern. Die Regierung sei in dem Versuche, den Be⸗ fehl in Kraft zu setzen, von der Garnison in Stich gelassen worden, worauf die Armee die Revolution zum triumphiren⸗ den Austrag gebracht habe.
Parlamentarische Nachrichten.
In der heutigen (22.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär Dr. von Boetticher sowie andere Bevollmäͤchtigte zum Bundesrath nebst Kommissarien beiwohnten, stand auf der Tagesordnung die erste Berathung der von den Abgg Aichbichler und Lohren eingebrachten Gesetzentwürfe betr. Abänderungen und Ergänzungen der Gewerbe⸗ ordnung vom 1. Juli 1883 (Sonntags⸗, Kinder⸗ und Frauenarbeit).
Auf Antrag des Abg. Hitze wurde die Diskussion über diese Gegenstände verbunden.
Abg. Hitze wies darauf hin, daß der von der Centrums⸗ partei eingebrachte Gesetzentwurf wiederholt von dem Hause angenommen worden sei, und bat, durch einheitliche Zustim⸗ mung der Sache das möglichste Gewicht zu geben, sowohl gegen⸗ über dem Lande wie dem Bundesrath. Mit einer bloßen Resolution dürfe sich der Reichstag nicht zufrieden⸗ eben, nachdem der Reichskanzler und die verbündeten egierungen sich gegen die Beschlüsse des Reichstages in der Frage des Arbeiterschutzes bisher ablehnend verhalten hätten. Der Einwand, daß die Regelung
sei, sei nicht durchschlagend. Von Reichswegen solle ja nur bestimmt werden, daß die Arbeit an Sonn⸗ und Feiertagen zu ruhen habe; welche Feiertage das im Einzelnen sein sollten, werde der Festsetzung durch die Einzelstaaten überlassen. Der Hinweis, daß in manchen Industrieen . B. in der Eisenindustrie die Sonntagsarbeit nicht ganz zu entbehren sei, sei ebenfalls ohne Bedeutung, da ja der Bundesrath berechtigt werde, sagehen zu gestatten. Früber habe der Reichskanzler die Einführung der in Rede tehenden Arbeiterschutzbestimmungen von dem Ergebniß der Enquste abhängig gemacht; nachdem aber durch diestehe der Arbeiterschutz als Bedürfniß und Wunsch der Bevölkerung erwiesen sei, werde auf sie kein Gewicht mehr gelegt. Das Beispiel Englands, Frankreichs und der Schweiz zeige, daß die Industrie auch bei diesen Arbeitseinschränkunden lebens⸗ und konkurrenzfähig bleibe. Die Einführung der Sonntagsruhe und die Beschränkung der Fabrikbeschäftigung der Frauen würde das Familienleben, das durch die jetzigen Arbeitsverhältnisse schwer geschädigt werde, wieder fördern, und damit die Sozialdemokratie wirksamer bekämpft werden, als mit allen Ausnahmegesetzen geschehen könne. Bei Schluß des Blattes sprach der Abg. Schrader.
— Die Geschäftsordnungs⸗Kommission des Reichstages hat den Antrag gestellt: „Der Reichstag wolle beschließen: zu erklären, daß das Mandat des Abg. Dr. von Cuny durch seine Ernennung zum ordentlichen Honorar⸗Professor an der juristischen Fakultät der rieh Friedrich⸗Wilhelms⸗Universität zu Berlin nicht er⸗ loschen sei“.
Zeitungsstimmen.
Die Kommission für das Sozialistengesetz hat bekanntlich der Regierung die Ausweisungsbefugniß in dem Gesetz nicht einräumen zu sollen geglaubt. Hieran knüpft die „Wei⸗ marische Zeitung“ folgende Betrachtung:
„Von dieser Frage hängt das fernere Schicksal des Gesetzes ab. Es fragt sich, in wie weit die Vertreter der nationalliberalen Fraktion in dieser Frage die Fraktion selbst hinter sich haben. Ist dies der Fall, dann kommt voraussichtlich eine Verständigung im Plenum nicht zu Stande, da Minister Herrfurth wiederholt für die Unerläßlichkeit des kleinen Belagerungszustandes in der modifizirten Form der Vorlage, also für die Aufrechterhaltung der Ausweisungsbefugniß eingetreten ist. Macht aus dieser Frage die Regierung eine unerläßliche Bedingung für ihre Zustimmung zu dem Gesetz überhaupt, so würde es unseres Er⸗ achtens ein schwerer Fehler der Nationalliberalen sein, auf Aufhebung der Ausweisung zu bestehen, auch wenn sie dafür eine Verlängerung des bestehenden Gesetzes auf kurze Frist bieten. Daß das bisherige System mancherlei erhebliche Uebelstände bewirkt hat, ist gerade von national⸗ liberaler Seite am lebhaftesten anerkannt worden. Diese Uebel⸗ stände würden noch empfindlicher werden, nachdem festgestellt ist, daß in einzelnen wesentlichen Punkten eine erhebliche Abschwächung des Gesetzes für zulässig erachtet wird. Soll nun auf diese Ab⸗ schwächung verzichtet werden, weil die Regierung erklärt, in einem Punkt auf Gewährung besonderer Befungnisse bestehen zu müssen? Es wäre dies gerechtfertigt, wenn diese besondere Be⸗ fugniß bisher sehr mißbräuchlich betrieben worden wäre. Aber dies ist thatsächlich durchaus nicht der Falll An sich betrachtet, ist die Ausweisung eine tiefeinschneidende und unerfreuliche Maßnahme, mit der sich Niemand gern befreundet. Aber wenn die Regierung, die für die wirksame Bekämpfung der Umfkurzparteien in erster Linie einzustehen hat, sie für unentbehrlich erklärt, so wird man einer solchen Forderung um so mehr Rücksicht zuwenden müssen, als feststeht, daß die Behörde von dem ihr zustehenden Recht in maßvoller Weise Gebrauch macht: die Zahl der in den beiden letzten Jahren ausgewiesenen Personen beträgt im Ganzen 28.
So schwer die Ausweisung im einzelnen Falle den Betreffenden berühren mag, so ist doch nicht in Abrede zu stellen, daß die Re⸗ gierung sorgfältig vermieden hat, Mißbrauch mit dieser Befugniß zu treiben. Daß dies künftig in noch höherem Maße, wenn das Gesetz auf die Dauer Geltung erlangt, vermieden werden wird, dafür ist eine Bürgschaft in dem Umstand gegeben, daß nach der Vorlage künftig sowohl gegen die Ausweisung als auch gegen die Ablehnung des Gesuches um Gestattung der Rückkehr das Ver⸗ waltungsstreitverfahren stattfinden soll. Gewiß läßt sich viel in der Theorie gegen die Ausweisung sagen, ahber es wäre doch sehr be⸗ denklich, das Schicksal des Sozialistengesetzes von dem Verzicht auf diese Befugniß abhängig zu machen, die in der thatsächlichen Anwendung nicht die befürchtete empfindliche Bedeutung erlangt hat, von den zuständigen Organen des Staats aber als unerläßlich be⸗ zeichnet wird. Darüber, daß das Scozialistengesetz unentbehrlich und daß eine dauernde Gesetzgebung in dieser Beziehung zweck⸗ mäßig ist, besteht auch innerhalb der nationalliberalen Partei keine Meinungsverschiedenheit. Jetzt steht dieselbe vor der Entscheidung, ob sie eine Vorlage, die selbst nach dem Eingeständniß demokratischer Blaͤtter in ihrer gegenwärtigen Fassung sehr erheb⸗ liche Milderungen aufweist, scheitern lassen will, weil sie einen von der Exckutive als unerläßlich bezeichneten Punkt, gegen dessen mißbräuchliche Ausnutzung Bürgschaften gegeben sind, verwirft und dadurch aufs Neue ganz unsichere Zustände schaffen hilft, oder ob sie durch Verzicht auf doktrinäre Bedenken eine Verständigung ermöglicht und damit den (Staat in den Stand setzt, die Umsturzparteien nachdrücklich zu bekämpfen. Die Entscheidung, die die Fraktion treffen wird, dürfte von Bedeutung sein auch über die vorliegende Frage hinaus, denn schwerlich wird die Wählerschaft ein Verständniß dafür haben, wenn die Fraktion sich im ersteren Sinne entscheidet.“
Anknüpfend an die Debatten über kolonialpolitische Fragen in der Freitagssitzung des Reichstages schreibt die „Magdeburgische Zeitung“: „Die Forderungen, die für die Bearbeitung der kolonialen An⸗ gelegenheiten in den Reichehaushalt eingetragen sind, haben dem Reichstage Gelegenheit geboten, die koloniale Frage wieder einmal zu streifen. Man wird zugestehen müssen, daß die Erörterungen über diese Angelegenheit allmaͤhlich den aufregenden Charakter abstreifen, den sie zu Beginn der kolonialen Bewegung getragen, und in ein ruhigeres Fahtwafler einlenken. Allseitig hat man sich mit den geschehenen hatsachen abgefunden, allseitig erkennt man an, daß der einmal gethane Schritt nicht wieder zurückgethan werden kann. Der Sache selbst, die einen politischen Chaxakter nicht trägt und der nur deutsche Art oder Unart einen politischen Anstrich geben konnte, wird nur gedient sein, wenn an die Stelle der leidenschaftlich erregten Debatte die ruhige kühle Prüfung tritt. Die Fragen, die jetzt in Anregung gebracht sind, haben mehr Verwaltung und Einrichtung der Kolonien als Wesen und Bedeutung derselben berührt. Wenn Angesichtg der Forderungen der Regierung für die Errichtung einer besonderen Abtheilung der kolonialen Angelegenheiten mit Nachdruck von der Seite, die bisher der Kolonialpolitik lau oder sogar geradezu ablehnend ges aeree taaen⸗ betont ist, daß die Abtheilung nun und nimmer in ein selbständiges, vom Auswärtigen Amt gänzlich losgelöstes Amt verwandelt werden dürfe, so heißt das in der That nur gegen Wind⸗ mühlen fechten. Es liegt auf der Hand, und es ist unseres Wissens von dem gegenwärtigen verantwortlichen Leiter unserer Politik wiederholt klar und bestimmt hervorgehoben worden, daß die letzten Entscheidungen auch auf kolonial⸗politischem Gebiete selbstver⸗ ständlich in der Hand dessen liegen müßten, dem die Leitung unserer Politik überhaupt zusteht. Genau so liegt übrigens die Sache auch in Ländern, wo wirklich für die kolonialen Sachen besondere Mini⸗
ands und der Türkei bestehende Kommission zur Prüfung des Sklavenhandels auf dem Meere ernannt. b
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der Sonn⸗ und Feiertagsarbeit Sache der Einzelstaaten
sterien und Aemter eingerichtet sind. Was die Verwaltung der
Kolonien selbst betrifft, so scheint allerdings die die wir bis jetzt haben machen können, daß die in Kamerun und im Togogebiet getroffene Ordnung der Dinge am meisten zweckentsprechend ist. In Südwestafrika ist man bereits zu einer ähnlichen Ordnung über⸗ gegangen, für die Südseegebiete steht sie gleichfalls bevor. Ja es scheint, als ob auch für das größte und bedeutendste der für Deutsch⸗ land erworbenen Gebiete, für die deutsch⸗ostafrikanischen Kolonien die henec Einrichtung nur eine Frage der Zeit sein könne. je
Erfahrung, dafür zu sprechen,
ür Dämpfung der ausgebrochenen Unruhen haben die Machtmittel und das Ansehen der dort thätigen Privatgesellschaft sich nicht aus eichend erwiesen. Das Reich hat mit starker Hand eingreifen müssen. Von den Gegnern der kolonialen Bewegung ist wieder ein⸗ mal auf die geringfügige Bedeutung unserer Kolonien hingewiesen und dabei sind Andeutungen gemacht, als ob auch für die Zukunft nichts von denselben zu erboffen sei. Es ist richtig, Kolonien wie sie England in Indien, Holland in Java be⸗ tzt, haben wir nicht mehr erwerben können. Die Welt war fast vertheilt, als auch Deutschland in der Lage war, als Mit⸗ bewerberin um den Besitz noch herrenloser überseeischer Gebiete auf⸗ zutreten. Aber so ganz ohne Werth können die Besitzungen doch nicht sein, die wir jetzt in Besitz genommen haben. Es giebt kein Fleckchen Land, über dem jetzt die deutsche Flagge weht, nicht einmal in der „Sandbüchse“ von Angra Pequena, das nicht in dem Augenblick, wo wir unsere Fahne wieder einziehen würden, von anderen Mächten besetzt werden würde. Und was die Zukunft betrifft, so vertrauen wir der treuen, redlichen, unermüdlichen deutschen Arbeit, die noch überall und oft unter schwierigeren Verhältnissen gute Erfolge davon getragen hat. Auch kann es nicht gerade entmuthigend einwirken, wenn man wahr⸗ nimmt, daß die trübsten Prophezeiungen immer aus dem Munde von Leuten kommen, die sich über die thatsächlichen Verhältnisse am schlechtesten unterrichtet zeigen.“
Stanley und Emin Pascha.
Von Emin Pascha ist am Sonnabend ein Brief an Professor Schweinfurth in Berlin eingetroffen, welcher der Gesellschaft für Erdkunde in der Sonnabend⸗Sitzung von Professor P. Ascherson übergeben worden ist. Das Schreiben ist vom 28. August 1889 datirt und hat, wie der „Post“ mitgetheilt wird, folgenden Wortlaut:
„Englische Missions⸗Station „Ussambiro“ am Victoria⸗See.
Soeben ist Mr. Stanley mit seinen Leuten, sowie die wenigen Leute, die mit mir gekommen, hier eingetroffen, und ich beeile mich, Ihnen, der mir stets so viel Wohlwollen und Interesse bewiesen, zu⸗ nächst diese zwei Zeilen als einfaches Lebenszeichen zuzusenden. Halten wir, wie ich hoffe, hier für einige Tage, so bin ich wohl im Stande, Ihnen ausführlicher zu schreiben, obgleich ich halb blind bin. Militär⸗Revolutionen in meiner eigenen Provinz; Gefangenhaltung Mr. Jephson's und meiner in Dufilé; Ankunft der Mahdisten in Ladõ und Eroberung und Zer⸗ störung Redjafs; Massacre der gegen sie gesandten Soldaten und Offiziere; unsere Abreise nach Wadelai und Flucht nach Tunguru; Angriff der Mahdisten auf Dufilé und ihre gründliche Niederlage; unsere schließliche Vereinigung mit Mr. Stanley und der geographisch und anderer Weise so hochinteressante Marsch vom Albert⸗See hier⸗ her — davon hoffe! ich Ihnen in einer müßigen Abendstunde erzählen zu können, auch habe ich einiges Gute an Pflanzen für Sie 8 darf ich Sie bitten, die Hrrn. Junker, Ratzel, Supan und Hassen⸗ stein, sowie Perthes, freundlichst zu grüßen. Ich werde versuchen zu schreiben — aber meine Augen! 3 b
Genehmigen Sie meine besten Grüße und glauben mich
Ihren anecchfig ergebenen min.“
Ihn dem bereits erwähnten, an den englischen Konsul Smith in Zanzibar gerichteten Brief Stanley's, d. d. Mpwapwa, 11. No⸗ dember, heißt es bezüglich der neuen geographischen Entdeckungen wörtlich: 1
„Wir haben eine unerwartete Entdeckung von wirklichem Werth in Afuka gemacht, nämlich, daß sich der Victoria Nvanza beträchtlich nach Südwesten ausdehnt. Die äußerste Spitze ist 200 48s. B. und ist nur 155 Meilen vom See Tanganypika entfernt. Ich war so gewiß, daß diese Thatsache durch die vielen Reisen der Missionare bekannt sein mußte, daß sie mich nicht besonders aufregte Herr Mackay zeigte mir jedoch die neuesten von der Gesellschaft veröffentlichten Karten, und ich sah, daß Niemand eine Ahnung davon hatte. Ich habe unterwegs eine rohe Skizze entworfen, und finde, daß das Areal des großen Sees in Folge dieser Ent⸗ deckung jetzt um 26 900 Quadratmeilen größer anzunehmen ist, d. h ungefähr um 1900 Quadratmeilen mehr als Kapitän Speke es, wie man glaubte übertrieben, feeststellte. Wenn Sie einen Blick auf die Landkarte werfen gegen Südwesten, werden Sie finden, daß die Uferlinie fast West⸗Nord⸗ West und Ost⸗Süd⸗Ost läuft. Diese so gezogene Uferlinie besteht aber zumeist aus einer Reihe großer gebirgiger Inseln, von denen viele stark bevölkert sind. Südlich von diesen Inseln ist das große jetzt entdeckte Wasserbecken. Der Urigisee, welchen Kapitän Speke gleichfalls roh skizzirte, ist, wie sich herausstellt, gleichfalls ein anfehnlicher See mit bevölkerten Inseln.“
Nach in London weiter eingegangenen ausführlichen Briefen Stanley's, datirt vom 5. August und 3. September, welche über
den Verlauf seiner Expedition, die Revolution in Wadelai, die Er⸗ rettung Emin Pascha's aus der Gewalt seiner meuterischen Truppen und die späteren Ereignisse vollen Aufschluß geben, entschloß sich Emin Pascha erst nach längerem Zaudern, die Aequatorialprovinz zu verlassen. Stanley war vor dem Rückmarsch nach der Küste einen Monat schwer krank.
Statistik und Volkswirthschaft. Zur Lage der Landwirthschaft. 58
Wie aus Koblenz berichtet wird, läßt der Wohlstand unter der Landbevölkerung noch manches zu wünschen übrig. Die diesjährige gute Ernte im Regierungsbezirk in Verbindung mit den höheren Korn⸗ und Viebpreisen kann die Schäden und wirthschaftlichen Nach⸗ theile, welche die lange Reihe vorhergehender schlechter Ernten im Ge⸗ folge hatte, wohl mildern, aber nicht ausgleichen. Dazu kommt, daß, wenn auch im Allgemeinen das Interesse für landwirthschaftliche Fragen und damit auch das Verständniß dafür im Steigen begriffen ist, doch in manchen Kreisen Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit den Landmann von der Vornahme nützlicher und fruchtbringender Ver⸗ besserungen abhalten. Die wenig rosige Lage der Landwirthschaft wirkt naturgemäß zurück auf den Kleinhandel und den Hand⸗ werkerstand in den kleineren Orten; die häufigen in dieser Rich⸗ tung vernommenen Klagen sind zwar sehr übertrieben, aber nicht ganz unbegründet “ “
Die Viehzucht erfreut sich zur Zeit sehr günstiger Verhältnisse. In Folge des großen Futterreichthums sind die Landleute zu Ver⸗ zußerungen nicht geneigt und die Viehpreise daher sehr hohe. Fette Ochsen werden bis zu 78 ℳ, Kühe und Rinder bis zu 63 ℳ, Schweine bis zu 68 ℳ für 50 kg bezahlt.
Sind diese Thatsachen nun auch für den Züchter sehr erfreulich, so ist es doch den kleineren Landleuten, welche im vorigen Jahre wegen Futtermangel genöthigt waren, viel Vieh zu verkaufen, ganz außerordentlich erschwert, ihre Viehbestände wieder zu ergänzen. In
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letzterer Beziehung ist daher augenblicklich die Wirksamkeit der eee Vieh⸗Leihkassen von großem Werthe, welche es sich zur Aufgabe machen, unbemittelten Landleuten auf billige Weise Vieh zu verschaffen und dem Viehwucher entgegenzutreten. Eine derartige im Kreise Kochem ins Leben gerufene Kasse hat sich in kurzer Zeit das Vertrauen der betheiligten Bevölkerungsklassen erworben, vermag jedoch, obwohl der Kreistag einen Zuschuß von 3000 ℳ bewilligt hat, nicht allen an sie gerichteten Anträgen um Beihülfe zu ent⸗ rechen.
8 8 Allgemeinen läßt sich feststellen, daß das Interesse an land⸗ wirthschaftlichen Fragen auch bei den Kleinbauern im Zunehmen be⸗ griffen ist. Die Bildung von zahlreichen landwirthschaftlichen Ortsvereinen kann als erfreuliches Zeichen dafür gelten Der erst vor Kurzem zusammengetretene Hunsrücker Bienenzuchtverein zählt bereits über 60 Mitglieder. 11
Zur Lage der Eisenindustrie.
Die während des Koblenarbeiterausstandes angesammelten Vor⸗ räthe an Eisenerz drückten in den letzten Monaten, wie vom Rhein geschrieben wird, noch fortwährend auf den Markt. Trotz der sehr lebhaften Hochofenthätigkeit hatten die Erzpreise nur geringe Aufbesserungen zu verzeichnen. Ist dies Verhältniß bei den durch die exorbitanten Kohlen⸗ und Cokespreise erheblich gestiegenen Produktionskosten an sich auch kein günstiges, so haben die betheiligten Kreise doch allen Grund zufrieden zu sein, da es nur dem Umstande, daß auch im Auslande, namentlich in England aus ver⸗ schiedenen Veranlassungen die Erzeugungskosten und Verkaufspreise des Eisens eine Steigerung erfahren haben, zu verdanken ist, daß die deutsche Eisenindustrie zur Zeit auf dem Weltmarkt noch wettbewerbsfähig ist und bisher diejenigen Absatzgebiete, welche sie mit beträchtlichen Opfern den Engländern abgenommen hatte, noch nicht wieder ver⸗ loren hat. Arbeiter blieben gesucht; die Löhne sind auf dem Wester⸗ wald schon seit Inbetriebsetzung der Bahn langsam aber stetig steigend. Der Durchschnittsverdienst der Krupp'schen Arbeiter betrug; 1884/85 2,01 ℳ, 1885/86 2,05 ℳ, 1886/87 2,06 ℳ 1887/88 2,14 ℳ, 1888/89 2,30 ℳ In der Nähe des Rheines stellen sich die Löhne noch um einige Prozent höher. Während der Wintermonate stehen übrigens dem Bergbau viele Leute zur Verfügung, die im Sommer im Baugewerbe oder anderweitig thätig sind. Im Kreise Altenkirchen giebt es im Ganzen 64 Eisensteingruben, die zur Zeit 6964 Arbeiter beschäftigen. Auf den Gruben und Hütten der Krupp'schen Hüttenverwaltung zu Sayn wurden insgesammt 3474 Arbeiter beschäftigt. An Eisenerzen wurden durchschnittlich im Monat 31 687 000 kg gefördert; die monatliche Durchschnittsproduktion auf den Hütten betrug 13 443 716 kg
Sächsische Einkommensteuer.
In dem Novemberheft der Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Bureaus behandelt Dr. Victor Böhmert die Ergebnisse der sächsischen Einkommensteuer von 1879—1888. Hiernach hat wie⸗ derum eine Zunahme des Einkommens stattgefunden. Die Zahl der eingeschätzten Personen betrug im Jahre 1888: 1 327 771, dieselbe hat seit der letzten Erhebung im Jahre 1886 um 59 905 Köpfe zu⸗ genommen. Das Einkommen mit Abzug der Schuldzinsen betrug rund 1338 echiaceh im Jahre 1888 gegen 1237 Millionen Mark im Jahre 1886. .
Nach 81 Einkommensguellen entfielen (mit Schuldzinsen) rund 247 Millionen Mark oder 17 % auf Einkommen aus Grundbesitz, 168 Millionen oder 12 % auf Renten, 584 Millionen oder 40 % auf Gehalte und Löhne und 444 Millionen oder 31 % auf Handel und Gewerbe. Die Zunahme des Einkommens seit 1886 entfällt besonders auf Gehalte und Löhne und auf Handel und Gewerbe, wogegen das Einkommen aus Grundbesitz und Renten in geringerem Maße ge⸗ stiegen ist. Von den Beitragspflichtigen kommen 1888: 943 930 Per⸗ sonen oder 71,09 % der Bevölkerung auf die unbemittelte Klasse, welche nur ein Einkommen bis zu. 800 ℳ hat. Das eingeschätzte Einkommen dieser Klasse betrug rund 467 Millionen Mark oder 34,95 % des Gesammteinkommens. Auf die mittlere Klasse mit einem Einkommen von über 800 bis 3300 ℳ kamen 341 660 Fersnen oder 25,73 % der Bevölkerung mit einem Einkommen von 466 Millionen Mark oder 34,82 % des Gesammteinkommens. Die wohlbabende Klasse mit einem Ein⸗ kommen von 3300 bis 9600 ℳ zählte 33 328 Personen oder 2,52 % der Bevölkerung mit einem Einkommen von 171 Millionen Mark oder 12,80 % des Gesammteinkommens, und zur reichen Klasse mit einem Einkommen von über 9600 ℳ gehörten 8853 Personen oder 0,66 % der Bevölkerung mit einem Einkommen von 233 Millionen Mark oder 17,43 % des Gesammteintommens. Der Gesammt⸗ eindruck der Einkommensteuer⸗Statistik ist ein günstiger. Während die Bevölkerung von 1880 — 88 um etwa 10 % gestiegen ist, vermehrte sich die Zahl der eingeschätzten Personen um 18 % und das Ein⸗ kommen mit Abzug der Schuldzinsen um 36 %.
Zur Arbeiterbewegung. —
Ueber den Zweck, welcher sozialdemokratischerseits mit dem Projekt, den 1. Mai 1890 für einen internationalen Feiertag zu erklären, ver⸗ folgt wird, schreibt das „Säachsische Wochenblatt’: Es macht sich in weiteren Kreisen der deutschen Arbeiterschaft eine Bewegung be⸗ merklich, die anschließend an die Beschlüsse des Pariser internationalen Kongresses dafür eintritt, daß der 1. Mai 1890 als internationaler Festtag gefeiert werde. Mit dieser Feier wird bezweckt, eine allge⸗ meine Kundgebung sämmtlicher Arbeiter zu veranstalten für den achtstündigen Arbeitstag. Es muß vor allem dahin gestrebt werden, daß dieser internationale Festtag, der 1. Mai 1890, möglichst allgemein und je nach den örtlichen Verhältnissen und den gezetzlichen Bestimmungen möglichst sichtbar gefeiert wird. In den letzten Tagen haben in Berlin neben einigen anderen Gewerben auch die Möbel⸗ polirer beschlossen, den 1. Mai 1890 als internationalen Festtag zu feiern. Sie traten dabei für einen neunstündigen Arbeitstag ein, der wohl für uns in erster Linie zu erstreben sein möchte. Der 1. Mat 1890 ist ein Donnerstag. 5
In einer am Montag der vorigen Woche im hiesigen Concert⸗ haus „Sanssouci“ abgehaltenen Versammlung Berliner Buchdgucker wurde über „die Verkürzung der Arbeitszeit“ ver⸗ handelt. Die Versammlung trat den Beschlüssen des internationalen Arbeiterkongresses bei und proklamirte den 1. Mai 1890 als Feiertag. .
Die Tarifkommission des Deutschen Buchdrucker⸗Ver⸗ eins veröffentlicht den nach eingehenden Berathungen abgeän⸗ derten Tarif, welcher mit dem 1. Januar 1890 in Kraft treten wird. Der Vorstand des Vereins bemerkt in seiner hierauf bezüg⸗ lichen Bekanntmachung, daß die Verhandlungen und Beschlüsse der Tarifkommission in durchaus sach⸗ und ordnungsgemäßer Weise ge⸗ führt und gefaßt worden seien.
Aus London meldet die „Allg. Corr.“: Der neuerdings ent⸗ standene Streit zwischen den Lichterfirmen und ihren Ar⸗ beitern ist in gütlicher Weise beigelegt worden durch gegenseilige Zugeständnisse, die, wenn sie streng inne gehalten werden, weitere Streitigkeiten wirksam verhindern dürften, 9
Signalleute der verschiedenen Londoner Eisenbahnen hielten am 22. Abends in der Memorial Hall eine Versammlung ab, um für kürzere Arbeitszeit und bessere Löhne zu agitiren. Es gelangten Sympathieschreiben von John Morley und anderen Abgeordneten zur Verlesung. Die schließlich angenommenen Resolutionen fordern eine 8 stündige Arbeitszeit und Lohnsätze, die sich auf 6 sh. den Tag steigern. — Die Süd⸗Londoner Pferdebahn⸗Gesellschaft beabsichtigt, ihren Angestellten einige Konzessionen hinsichtlich der Länge der Arbeits⸗ zeit zu machen. Die Kutscher und Conduktenre sollen zwei Mal in der Woche einen Abend und die Pferdewärter und Andere jeden dritten Sonntag frei haben.
Das soeben erschienene Heft I. und II. des Jahrgangs 1889 der Zeitschrift des Königl. 8 Hiff sgen Statistischen Bureaus
verhältnisses der Geborenen“ SEösaler. e qühlaß gber
ufsatz übe “ 56 Volkszählung 1885“ von Dr. Victor Böhmert. In dem folgenden Aufsatze be z Nippold in Freiberg „Die Bevölkerungsbewegung in der Stadt Frei⸗ berg in der Zeit von 1801—1880. ierte Victor Böhmert behandelt die Ergebnisse der sächsischen steuer von 1879 — 1888. ʒ
Bic ban 5 vese s folgt als Abschluß der Ergebnisse der letzten Volks⸗ Eer fhlg „Die Altersverhältnisse der sächsischen Be⸗
behandelt Polizeiarzt Dr. med. Otto
Der vierte Aufsatz von Dr. Einkommen⸗
Ferichtianag. Der Verfasser der an dieser Stelle in Nr. 279 des „Reichs⸗
und Staats⸗Anzeigers“ besprochenen Abhandlung über die Wirkung des Krankenkassengesetzes heißt nicht, wie dort irrthümlich gedruckt war, Nagoczy, sondern Ragöczy, Minden.
Syndikus der Handelskammer von
Verkehrs⸗Anstalten. b Hamburg, 25. November. (W. T. B.) Der Postdampfer „Suevia“ der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ ETb” ist, bon New⸗York kommend, gestern Abend 9 Uhr auf der Elbe eingetroffen.
Triest, 24. November. (W. T. B.) Der Llovddampfer „Euterpe“ ist gestern Nachmittag, aus Konstantinopel kommend, hier eingetroffen.
— 25. November. (W. T. B.) Der Lloyddampfer „Venus“ ist, von Konstantinopel kommend, heute früh hier ein⸗ getroffen. 1
London, 23. November. (W. T. B.) Der Union⸗Dampfer „Nubian“ ist heute auf der Heimreise in Southhampton angekommen. — Der Castle⸗Dampfer „Methven⸗Castle hat am Freitag die Canarischen Inseln auf der Ausreise passirt. Der Castle⸗Dampfer „Drummond⸗Castle“ hat heute Lissabon auf der Heimreise passirt. Der Castle⸗Dampfer „Hawarden⸗ Castle“ ist gestern von Darthmouth auf der Ausreise ab⸗ gegangen.
Theater und Musik.
“ Königliches Schauspielhaus. —
Am Sonnabend gingen auf der Köriglichen Bühne Schiller’ s „Räuber“ neu einstudirt und in der ursprünglichen, von dem Dichter beabsichtigten Gestalt in Scene. Bis 85 war bekanntlich auf den deutschen Bühnen zumeist jener Text maßgebend, welcher der ersten Aufführung des Trauerspiels auf dem Mannheimer Theater zu Grunde lag und von dem ersten Entwurf Schiller's, wie er 1781 im Buchhandel erschien, wesentlich abweicht. Der Dichter hatte damals, um die Aufführung seines Stückes überhaupt möglich zu machen, sich zur Aenderung und Milderung vieler Scenen entschließen und einwilligen müssen, daß die Handlung als einige Jahrhunderte früher spielend gedacht werde. Die wilde Gährung, welche damals alle Geister auf politischem und schöngeistigem Gebiete ergriffen hatte, und aus welcher das Dicht⸗ werk erwachsen ist, läßt diese Maßnahme wohl gerechtfertigt er⸗ scheinen. Heute darf die Schaffungszeit der „Räuber“ eher als ein geeigneter Hintergrund für das fessellos hinstürmende Trauer⸗ spiel und den darin waltenden überschäumenden und leidenschaftlichen Jugendmuth gelten. Hierdurch wird dem prunklosen einfachen Musenhaus in Mannheim, von welchem aus die „Räuber“ ihren Siegeslauf begannen, seine Bedeutung für die gesammte weitere Ent⸗ wicklung der dramatischen Kunst nicht geschmälert werden. Der Ver⸗ such, zur ersten Auffassung des Dichters zurückzukehren und das Trauerspiel als das zu geben, was es ist, ein literarisches und kulturelles Monument, hat sich vorgestern wieder vor⸗ trefflich bewährt. Die Derbheit und Zügellosigkeit des Aus⸗ drucks, das Geniale in den stürmischen Scenen verlieh dem Stück das ihm gebührende Gepräge der Urwüchsigkeit. ‚Karl“ stirbt nach Hermann's Bericht wieder den Heldentod bei Prag unter König Friedrich's siegreichen Fahnen „Manche Scenen, wie das Zwie- gespräch Kosinsky's und des Räubers Moor im Garten und der spätere Dialog Amalia's und Karl's erscheinen neu, andere wurden von ihren Verkürzungen, wenigstens zum Theil, befreit. — Die Besetzung aller hervorragenden Rollen konnte durchaus befriedigen Hr. Matkowsky als „Karl“ spielte mit glühender Leidenschaft seine Jünglingsrolle, welche er später mit ernster Männlichkeit mischte. Die selbstbewußte Kraft der Entschlüsse und die schmelzende Weichheit der Empfindungen trug er zu einem gelungenen Bilde zusammen, dem auch die Größe der Seele nicht fehlte; in der großen Scene des vierten Aktes, als er sich zum Richter des Vaters erhebt, und ebenso im fünften Akt entfesselte er wahre Stürme des Beifalls. Den „Franz“ gab Hr. Grube mit feiner Berechnung und schönem Gelingen Den heimtückischen, philosophirenden Bösewicht hatte er gut berausgeklügelt; doch stand er hier nicht auf der gleichen Höhe wie später in dem hirnverwirrenden Kampf mit seinem Gewissen, welcher die letzten Akte ausfüllt, nicht nur geistvoll sondern auch mit warmem Herzblut des Lebens spielte er die Scene im Ahnensaal, deren Wirkung durch das geister⸗ haft hereinfallende Mondlicht noch erhöht wurde. — Die „Amalia“ der Fr. v. Hochenburger war stimmungsvoll und elegisch in Haltung und Geberde; ihr wohlklingendes, schönes Organ paßte sich der Ueberschwänglichkeit des Ausdrucks mit Geschick an. Hr. Purschian war als „Hermann“ vollständig an seinem Platze; sein sehr leicht zu Uebertreibungen geneigtes Naturell hielt sich glücklich in den Schranken des Charakters, der einfältigen Natur, deren Kopf vom Versucher verdreht wird, aber in deren Herzen Gefühl und Scham noch nicht erstorben sind. Der „Spiegelberg“ des Hrn. Vollmer ist sehr lustig, so lustig, daß davor oft genug die raffinirte Niedrigkeit 8 des feigen Schuftes zurücktritt. Hervorzuheben ist noch die Wieder⸗ 8 gabe des furchtlosen und glaubensstarken Pastors Moser darch Hrn. Sauer, der wie ein streitbarer Mann des Wortes Gottes auftrat. Die lebendige Theilnahme an der Darstellung steigerte sich von Akt zu Akt und that sich in zahlreichen Hervorrufen kund.
Berliner Theater 8
Wie bei der Erstaufführung des „König Lear“, so war auch bei den bisher stattgehabten beiden Wiederholungen das Theater in allen feinen Rängen und Logen bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Adolph⸗Ernst⸗Theater. 8
Zum 100. Male in ununterbrochener Reihenfolge und bei unver⸗ minderter Anziehungskraft gehen am Freitag die „Flotten Weiber über die Bretter, und zwar in derselben Besetzung, wie am Tage der ersten Aufführung. Einer hergebrachten Tradition gemäß hat die Direktion für diesen Festtag geschmackvolle Souvenirs — Notenhefte — anfertigen lassen, welche die Bilder der hervorragendsten Mit⸗ glieder des Adolph⸗Ernst⸗Theaters aufweisen und die beliebtesten Textnummern der Jubiläums⸗Posse enthalten.
Sing⸗Akademie.
Die geschätzte Pianistin Frl. Clotilde Kleeberg hatte am Sonnabend im Saale der Sing⸗Akademie einen Klavier⸗Abend ver⸗ anstaltet, in welchem sie die Zuhörer durch den Vortrag einer reichen und kunstsinnig zusammengestellten Auswahl klassischer und neuerer Klavierstücke erfreute. Ihr zarter, duftiger Anschlag, die perlende Deutlichkeit ihrer Passagen, die sorgfältige Abstufung aller Schatti rungsgrade bis ins leiseste Piano hinein, die Vermeidung des jetzt so oft gehörten plötzlichen Wechsels zwischen dem Piano und Forte, der mäßige Gebrauch des Pedals und vor allen Dingen die geistvolle Auffassung der Werke geben ihrem Spiel einen unwiderstehlichen Reiz. Unter den vorgetragenen Piècen heben wir besonders Beethoven’s „Appassionata“, eine Lieblingssonate der Künstlerin, die Humoreske
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wird,
von Schumann sowie das sehr graziöse Phantasiestück von Rudorff (op. 10 Nr. 1) hervor, drei Klavierstücke, die große und sehr ver⸗ schiedene Anforderungen an den Spieler stellen und die Frl. Kleeberg
enthält zunächst einen Aufsatz „Beiträge zur Frage des Geschlechts⸗
mit seltener Vollendung zu Gehör brachte. Sehr elegant behandelt