1890 / 67 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 15 Mar 1890 18:00:01 GMT) scan diff

9) Uebungen im Gewandzeichnen und in der Komposition (geleitet von dem Direktor und den betreffenden Klassenlehrern). III. Kursus.

. 1) Atelier⸗Unterricht der Professoren: Direktor von Werner, Schrader, Wolff, Michael, Schaper, Meyerheim, Vogel, Friedrich, Meyer und Maler Dammeier. 1 2) Atelier für Landschaftsmalerei: Professor Bracht. 3) Unterricht im Kupferstechen und Radiren: Professor Hans Meyer. Der Unterricht des Sommer⸗Semesters beginnt Montag, den 14. April 1890. Neu Eintretende haben sich Sonnabend, den 12. April 1890, von 12 bis 4 Uhr, im Sekretariat Unter den Linden 38 zu melden und einen selbstgeschriebenen Lebenslauf, ein polizeiliches Führungs⸗ attest, die nöthigen Schulzeugnisse, sowie die schriftliche Er⸗ laubniß des Vaters oder Vormundes zum Besuche der Anstalt gleichzeitig ebendaselbst einzureichen. . 1 ..“ sowie Näheres über die Aufnahme ꝛc. eben⸗ aselbst. Berlin, den 11. März 1890 Der Senat der Königlichen Akademie der Künste, Sektion für die bildenden Künste. C. Becker. t

ekanntmach

Der Unterricht in den mit der Akademie der Künste verbundenen akademischen Meister⸗Ateliers für Architektur unter Geheimen

Leitung Professors .Ende,

b. des Geheimen Regierungs⸗Raths Professors J. Otzen für das Sommer⸗Semester 1890 beginnt am 14. April 1890. 8 Meldungen zur Aufnahme werden von den genannten Meistern von jetzt ab entgegen genommen. Berlin, den 11. März 1890. Der Senat, Sektion für die bildenden Künste. C. Becker.

Regierungs⸗Raths

Parlamentarische Nachrichten.

Schlußbericht der gestrigen (28.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten. Fortsetzung der zweiten Berathung des Staatshaushalts⸗Etats, und zwar des Etats der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Maybach:

Zu weitgehenden Ausführungen habe ich in diesem Stadium der

erhandlungen keinen Anlaß. Die Debatte hat zum großen Theil sich über allgemeine Fragen bewegt, welche, augenblicklich in Fluß, in der Erörterung an einer anderen Stelle begriffen sind, und welche ihre Erledigung auch an einer anderen Stelle und in anderer Weise werden finden müssen. Möge das Ergebniß ein unserem Vaterland nützliches, ein dem inneren Frieden günstiges sein! 18

Wenn ich nun nichtsdestoweniger doch noch zu einigen Punkten, welche hier erwähnt worden sind, das Wort ergreife, so thue ich das zur Berichtigung.

Zunächst muß ich bekennen, daß ich so gewissermaßen nicht mehr voll legitimirt bin bei dieser Materie, die zwar meinem Ressort unterstanden hat und zur Zeit noch untersteht; aber wenn der Gesetz⸗ entwurf, den Sie neulich angenommen haben, Gesetz wird, vom 1. April nicht mehr meinem Ressort angehören wird. Nichtsdestoweniger glaube ich aber doch ein Recht zu haben, über die Angelegenheit noch einige Worte zu sprechen.

Dabei will ich aber ein Mißverständniß berichtigen, welches in der Presse und, wie mir scheint, auch von dieser Seite des Hauses gestern hier zum Ausdruck gekommen ist. Der Antrag, die Bergverwaltung dem Handels⸗Ministerium zu überweisen, beruht auf meiner Initiative. Schon im Jahre 1878 also vor nahezu 12 Jahren, als ich das Ministerium übernahm, und die Frage einer Verkleinerung, einer Abtrennung verschiedener Zweige erörtert wurde, habe ich den Wunsch gehabt, daß man die Abtheilung für das Bergwesen diesem ohnehin schon sehr großen und ausgedehnten Ministerium abnehmen möge. Mein Wunsch scheiterte daran, daß derjenige Herr, derjenige meiner Kollegen, welcher das Ministerium für Handel und Gewerbe zu übernehmen bestimmt war, zugleich ein großes ausgedehntes Amt beim Reiche bekleidete, ihm nun auch noch das Bergwesen zu übertragen, hätte eine Ueberbürdung

r Folge gehabt. Daß, nachdem nun nachher der Herr Reichskanzler uch dieses Portefeuille übernommen hatte, nicht wohl davon die ede sein konnte, noch diese Last hinzuzufügen, versteht sich von selbst.

Ich hatte damals den weiteren Gedanken, man könnte vielleicht, da es sich doch im Wesentlichen um eine Angelegenheit von Domänen⸗ besitz handelte, diese Verwaltung dem Herrn Minister für Land⸗ irthschaft übertragen, damals Herr Friedenthal der kürzlich

ider heimgegangen ist. Derselbe wehrte sich indeß dagegen, weil ihm eben die Domänen und Forsten übertragen waren, und er, wie er humoristisch sagte, keine Neigung hatte, neben den grünen auch noch die schwarzen Gesellen zu übernehmen.

Ich habe mich also mit dem Gedanken vertraut machen müssen,

s auf Weiteres auch dieses Ressort weiter zu ver⸗ walten. Daß ich jetzt, wo ein besonderer Chef für das kinisterium für Handel und Gewerbe ernannt worden war, den Wursch hegte, dieser Verwaltung mich zu entledigen bei dem ohnehin übermäßig ausgedehnten Wirkungskreise meines Ministeriums für mich ersönlich umsomehr, als meinem Departement noch die Verwaltung der Reichs⸗Eisenbahnen in Elsaß⸗Lothringen und Luxemburg hinzu⸗ gefügt wurde, das wird mir kein Mensch verdenken, um so weniger, als für den Minister für Handel und Gewerbe sonst ein vollkommen ausreichendes Arbeitsfeld kaum geschaffen wäre und nach Lage der Verhältnisse es auch praktisch außerordentlich sich empfahl, gerade die Bergverwaltung als Versuchsfeld mit der Verwaltung für Handel und Gewerbe zu vereinigen. Die heute und auch sonst wohl bei diesem Etat zur Diskussion gebrachte Frage der allgemeinen Verhält⸗ nisse unseres Bergwesens gehört eigentlich nicht zu diesem Etat. Nehmen Sie mir es nicht uͤbel, wenn ich das bestimmt auch bei dieser Gelegenheit ausspreche. Wir haben es hier nur mit der Verwaltung der Staatswerke zu thun. In Bezug auf die Privatwerke haben Bergbehörden, deren Chef ich bin, nur die technisch⸗ polizeiliche Aufsicht; Alles, was die Verhältnisse angeht, von Bergarbeiter und Arbeitgeber, gehört nach dem Berggesetz von 1865 und nach der Gewerbeordnung des Reiches nicht vor mein Forum, sondern vor das Forum des Ministers für Handel und Gewerbe. Ich kann mich also eigentlich nur für berechtigt erachten mich auszusprechen über Dinge, die die fiskalischen Bergwerke angehen, und auf diese fiskalischen Werrke will ich denn auch kurz eingehen, weil gerade gestern und auch heute wieder verschiedene Punkte berührt worden sind, die einer Be⸗ richtigung bedürfen. Von allen 63 Staatswerken, die Sie in dem Etat verzeichnet finden, haben Ausstände nur stattgefunden bei den 10 Werken an der Saar, und auch da nicht immer von der gesammten Belegschaft,

sondern immer nur von einem Theil. Ich habe das Vertrauen ge⸗ habt, daß die Arbeiter auf den Königlichen Gruben sich der Be⸗ wegung, die an anderer Stelle angezettelt war, fernhalten würden. Sie hatten diesem Vertrauen entsprochen, als in der Nähe, in Belgien, in Frankreich, wie Ihnen bekannt, vor einigen Jahren Bergarbeiterbewegungen ausbrachen, welche fast dieselben Ziele verfolgten, die jetzt auch bei uns erstrebt werden. Das Arbeitercorps der Saargruben hatte von jeher einen vorzüglichen Ruf, wie überhaupt unsere Bergarbeiter eigentlich einen ganz anderen Stand bilden, wie die gewöhnlichen Arbeiter, sie waren gewissermaßen ein Elitecorps, ausgezeichnet durch Tra⸗ ditionen, durch besondere Wohlfahrtseinrichtungen, durch besondere gemeinsame Verhältnisse in ihrer Tracht und ihree⸗ Ausbildung, ihren Festen, überhaupt in einer ganzen Menge von Dingen. Der Charakter dieser Ausnahmestellung trat bei den verschiedensten Gelegenheiten hervor, und ich habe oft meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben können. daß wischen Belegschaft und Verwaltung ein vortreffliches Verhältniß bestand. Ich war deshalb nicht wenig überrascht, und ich kann sagen, ich habe getrauert, daß die Bewegung von Westfalen auch nach jener Region hinüberspielte. Denn, meine Herren, wenn Sie die Lohnstatistik, die wir Jahr für Jahr Ihnen aufgestellt haben, verfolgen, werden Sie er⸗ kennen, daß die Bergarbeiter an der Saar wenigstens nicht schlechter ge⸗ stellt waren, wie in anderen Regionen. Ich will dabei zugeben, daß in gewissen Kreisen dieses Gebiets auch die Lebensmittel theurer sind, wie in manchen anderen Theilen unseres Vaterlandes, und daß darauf Rücksicht zu nehmen ist. Wenn Sie nun weiter berücksichtigen, was alles geschehen ist in Bezug auf Wohlfahrtseinrichtungen, wenn Sie in die Hand nehmen die Nachrichten über die Verwaltung der preußischen Staatsbergwerke, die Ihnen vorgelegt ist von dem Jahre 1888/89, ins⸗ besondere Seite 21, 22, 23, so finden Sie eine solche Sammlung von staatlichen Wohlfahrtseinrichtungen, wie sie kaum bei anderen Werken bestehen werden. Der Staat hat es sich viel Geld kosten lassen, die Bildung, die leibliche und sittliche Existenz der Arbeiter zu fördern, und das ist damals in jenem Gebiet, wenn ich mich dort aufgehalten habe, dankbar anerkannt. Indessen auch dort habe ich nach weiterer Nachfrage zu hören bekommen, was der Hr. Abg. Dr. Ritter in seinen beredten Worten mittheilte: es sei an anderen Stellen mehr gefordert, man müsse also ein Gleiches thun.

Nun, meine Herren, will ich ja das gar nicht leugnen, daß bei einer so großen Verwaltung auch Fehler vorgekommen sein können und vorgekommen sind, wo wäre solches nicht geschehen! Aber das will ich gleich von vorneherein aussprechen: die Untersuchungen, die auf meine Veranlassung stattgefunden haben vor Gericht und auf disziplinarischem Wege, haben in Bezug auf die oberen Beamten jener Verwaltung kein Resultat gehabt, welches den geringsten Makel werfen könnte auf die Integrität, die Pflichttreue und die technische Tüchtigkeit dieser Beamten. Ich bin ihnen dieses Zeugniß vor dem Lande schuldig. Ich glaube dasselbe sagen zu können von sämmtlichen höheren Bergbeamten des preußischen Staats, auch den mit der Aufsicht der Privatbergwerke betrauten, daß sie ihrer Pflicht nach Kräften genügt haben. Gewiß wird man hier und da vielleicht vorwerfen können, daß sie mit mehr Geschick, mit mehr Voraussicht, mit mehr geschäftlichem Takt hätten verfahren können; indessen daraus hätte man ihnen einen so ernsten Vorwurf nicht machen dürfen, wie er ihnen verschiedentlich in der Presse von übelwollender Scite gemacht worden ist.

Die Unterbeamten von der Saar anlangend, so muß ich an⸗ erkennen, daß einzelne von ihnen in den Untersuchungen schwerer Vor⸗ wurf getroffen hat. Die Untersuchung hat sich auf weit zurückliegende Thätigkeit erstreckt, wie der Hr. Abg. Vopelius uns schon gestern mitgetheilt hat. Gegen diese Beamten einen kleinen Bruchtheil der Gesammtzahl ist mit aller Strenge vorgegangen. Ich glaube, es ist die Pflicht der Verwaltung, mit Unnachsichtlichkeit darauf zu halten, daß alle unreinen Elemente aus unseren Werkbeamten, welche irgendwie den begründeten Verdacht auf sich lenken, daß sie die Arbeiter drücken wollen, daß sie sich Unregelmäßigkeiten zu Schulden kommen lassen, beseitigt werden.

Und diese Unnachsichtlichkeit werde ich, so lange ich die Ehre habe, dieses Ressort zu verwalten auch weiter walten lassen. Ich bin noch weiter gegangen als die Verwaltung in Saarbrücken selbst. Nicht blos Diejenigen, gegen welche die Untersuchung stattgefunden hat, von deren Resultat wir gestern in Kenntniß gesetzt worden sind, sondern auch andere sind mit entsprechenden Strafen belegt worden. Namentlich der Vorwurf der Bestechlichkeit, der hier ge⸗ fallen ist, und der sich leider bei einer ganz kleinen Anzahl von Unter⸗ beamten, von Steigern, bestätigt hat ist geeignet, das ganze Corps zu diskreditiren, und wir müssen, wollen wir, wie unser Allergnädigster Königlicher Herr es will, diese Staatsanstalt zu Musteranstalten machen, sie namentlich in Bezug auf die Integrität der Beamten Musteranstalten sein lassen. Hr. Abg. Vopelius hat gestern um mich zu ihm zu wenden noch ein tadelndes Wort einfließen lassen über den Berghauptmann in Bonn, welcher entgegen einer hier 8c8 Entscheidung einen der als Hauptagitatoren ge⸗ nannten Bergleute wieder in Dienst gestellt hat. Ich will nicht sagen, daß diese Entscheidung, die der Berghauptmann damals getroffen hat, in meinem Sinne gewesen wäre; indeß, ich muß zu seiner Entschuldigung Folgendes anführen. Es hatte eine Deputation von Bergleuten im Dezember v. J. sich bei dem damaligen Herrn Ober⸗Präsidenten der Rheinprovinz in Koblenz angemeldet, und der Herr Ober⸗Präsident hatte die Annahme zugesagt, erbat sich aber einen Kommissarius der Bergbehörde zur Beiwohnung dieser Audienz, die er ihnen gewähren wollte, und zur weiteren Be⸗ sprechung über dasjenige, was darauf zu geschehen hätte. Darauf wurde der Herr Berghauptmann in Bonn ab⸗ geordnet; er hat der Vorstellung dieser Bergleute beigewohnt, mit dem Herrn Ober⸗Präsidenten über das, was zu veranlassen war, konferirt, sich dann nach Saarbrücken begeben und unter dem Ein⸗ druck, daß man in Westfalen die sämmtlichen entlassenen Bergleute wieder angenommen hatte, sich für verpflichtet gehalten, dort ein Gleiches zu thun auch bezüglich dieses einen, allerdings am meisten gravirten Bergmanns. Hätte er die Anfrage nach hier gerichtet, ob er seine Wiederaufnahme⸗Verfügung auch auf diesen Mann erstrecken dürfe, so sage ich Ihnen allerdings, würde ich ihm mit einem ganz entschiedenen Nein geantwortet haben. Er hat es anders aufgefaßt, er hat geglaubt, daß er nach bester Ueber⸗ zeugung mit Milde handeln müsse und nicht anders handeln könne.

Es ist weiter von dem Hrn. Abg. Vopelius zur Sprache ge⸗ bracht, daß eine andere Organisation der Verwaltung der Staatswerke sich als nothwendig erweise. Ich will dem nicht widersprechen. Auch ich habe den Eindruck, daß die Staatsbergwerke in ihren Verwaltun⸗ gen noch etwas zu sehr unter den Reminiscenzen der früheren Zeit eingerichtet sind., Sie erinnern sich, meine Herren, und der Hr. Ab⸗ geordnete Dr. Ritter hat das schon erwähnt, daß die Bergleute in früherer Zeit bis zum Jahre 1865 eine ganz andere Stellung ein⸗ nahmen. Vs war ein wahrbaft patriarchalisches Verhältniß mit gewissen Rechten und gewissen Pflichten, das ist durch das Berggesetz von 1865 und durch die Gewerbeordnung von 1869, wie schon erwähnt, geändert worden. Es ist nun vielleicht anzuerkennen, daß die Organisation auch in sozialpolitischer Beziehung diesen Neuerungen noch nicht voll⸗ kommen Rechnung getragen hat. Dazu rechne ich auch den Mangel an Fuͤhlung, welcher bestanden hat zwischen der Verwaltung und den Arbeitern selbst und diesen Mangel an Fühlung zu beseitigen halte ich für eine Hauptaufgabe. So bin ich auch der Meinung, beispielsweise, daß eine Arbeitsordnung für die Gruben nicht aufgestellt werden sollte, ohne daß man auch die Arbeiter darüber hört, daß man sie fragt und prüft, ob diese oder jene Bestimmung ihnen zu lästig ist, ob man nicht Rücksicht nehmen kann auf besondere Wünsche, ohne daß dadurch der Betrieb leidet. Diese Fühlung auch für Beschwerden muß vorhanden sein. Es ist indeß nicht richtig, wenn aus der Bestimmung in der alten Arbeitsordnung, daß die Beschwerde schliehlich an die Bergwerksdirektion zu richten sei, ge⸗ folgert wird, daß die Beschwerde nicht auch an eine höhere Instanz vecsses werden könnte. Es mag jener Wortlaut vielleicht hier und da zu Mißverständnissen Anlaß gegeben haben, aber ich kann

Ihnen die Versicherung geben: unsere Akten im Ministerium

sind sehr stark gefüllt mit Beschwerden von Bergleuten, die recht gut gewußt haben, daß man sich über die Bergwerksdirektion bei dem

Ober⸗Bergamt und weiter bei dem Minister beschweren kann. Und so muß es auch sein. Also eine bessere Fühlung! Welche Zwischen⸗ organe zu diesem Zweck einzuschalten sein werden, das wird Aufgabe einer speziellen 1 sein, ich glaube aber, die Verwaltung wird sich nicht entziehen können, solche Zwischenorgane zu schaffen.

Der Hr. Abg. Schmieding hat gestern einen Punkt erwähnt, auf den ich noch zurückkommen muß. Er hat gesagt, die Regierung habe nach dem Eindruck, den er gebabt, anfänglich Partei ergriffen für die Arbeiter, und zwar unter Zurücksetzung der Gerechtigkeit gegen die Arbeitgeber. Ich möchte ihn fragen, wie und wo die Regie⸗ rung ihm einen solchen Eindruck hervorgerufen habe, die Auf⸗ gabe der Regierung ist nach meinem Gefühl nach allen Seiten Ge⸗ rechtigkeit zu üben, den Arbeitgeber so gut zu schützen, wie den Ar⸗ beiter. Ich erinnere Sie an die Worte der Thronrede bei Eröffnung des Landtages, wo auch dieser Gedanke sehr bestimmt zum Ausdruck gekommen ist. Ich glaube also, daß der Herr Abgeordnete da etwas zu gespenstisch gesehen hat.

Aber dem will ich mich anschließen: Er hat auch den Wunsch ausgesprochen, den nicht minder der Hr. Abg. Dr Ritter heute in so beredter Weise ans Herz gelegt hat: was wir auch sagen mögen, möge es dazu beitragen, immer mehr den Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitern wieder herzustellen, möge die Kluft sich schließen zum Besten des Vaterlandes, und tragen wir mit redlichem Willen und besten Kräften dazu bei, so wird uns auch das mit Gottes Hülfe gelingen.

Abg. Dr. Windthorst: Die Diskussion hat weder ein bestimmtes, klares Ziel, noch eine richtige Umgrenzung. Bei den einzelnen Rednern hat sich trotz allen Bemühens, objektiv zu sprechen, eine starke Dosis subjektiver An⸗ schauungen geltend gemacht. Zu einer geordneten Diskussion wäre es nothwendig gewesen, daß die Denkschrift uns offiziell von der Regierung mitgetheilt worden wäre; es hätte auch gestattet werden müssen, die Akten einzusehen, aus denen die Denkschrift geschöpft ist. Ich habe mir sogar die Frage vorgelegt, ob es nicht angezeigt sei, einen dahingehenden Antrag zu stellen und auf Grund des so ge⸗ wonnenen Materials bestimmte Wünsche zu äußern, habe aber zunächst davon abgesehen. Die Untersuchung über die Arbeiter⸗ verhältnisse würde wirksamer zur Beruhigung der Betheiligten beigetragen haben, wenn parlamentarische Elemente der Untersuchungskommission beigesellt worden wären. Für etwaige weitere Untersuchungen möchte ich jedenfalls diesen Wunsch äußern. Ich beklage, daß aus diesem Grunde die Kommission und ihr Resultat nicht das volle Vertrauen gefunden haben. Aber selbst auf Grund der uns vorliegenden Denkschrift müssen wir an die Regierung das Ansinnen stellen, uns zu sagen, was sie mit dem Resultat der Untersuchung thun will. Ich bin mit dem Minister einverstanden, daß das, was auf eine legislative Thätigkeit hinweise, bereits an eiker anderen Stelle eingeleitet sei; aber bei einer Reihe von Uebelständen kann die Verwaltung sofort eingreifen, und da hätte ich zu wissen gewünscht, wie jetzt verfahren werden solle. Der Theil der Denkschrift, der sich mit Verwaltungsmaßregeln beschäftigt, würde zweck⸗ mäßig Gegenstand einer Kommissionsberathung sein; auch die Regierung würde dort eher Aufklärungen geben können. Der Abg. Ritter hat den Strike an sich als unmoralisch und un⸗ gerechtfertigt hingestellt. Die Arbeitgeber sind aber in vollem Maße in der Lage, den Arbeitern gegenüber ihre Interessen geltend zu machen; die Arbeiter sind der schwächere Theil und auf das Wohlwollen und die Gnade der Arbeitgeber hingewiesen. Wenn diese minder kräftigen Arbeiter nun auf Verabredung ge⸗ meinsam die Arbeit einstellen, um die Erfüllung gewisser Be⸗ dingungen zu erlangen, so machen sie nur von ihrem natür⸗ lichen Rechte Gebrauch. Kann ich als Einzelner mein Recht nicht durchführen, so assoziire ich mich mit Anderen. Und wie will der Abg. Ritter seine Auffassung gegenüber dem Gesetz, das den Strike gestattet, aufrecht erhalten? Versuchen Sie doch einmal, das Gesetz zu beseitigen! Ich halte das Koalitionsrecht für etwas Gutes, und ich glaube, daß man, wenn es nicht bestände, nach den Erfah⸗ rungen, die wir gemacht haben, es sofort einführen müßte, damit die Arbeitgeber zu jeder Zeit in den nöthigen Schranken gehalten werden. Den Kontraktbruch freilich verurtheile ich in jeder Weise und bitte die Arbeiter, sich desselben nicht schuldig zu machen. Auch der Strike ist nur berechtigt, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind. Allen Klagen der Arbeiter ist aber von den Arbeitgebern nur mit Hohn be⸗ gegnet worden. Die Bewegung ist durch viele Ursachen hervorgerufen; eine wesentliche war, daß die Be⸗ schwerden der Arbeiter nicht genügend beachtet worden sind und die Arbeitgeber keine Fühlung mit den Arbeitern hatten. Der Abg. Ritter hat gegen die Bewegung an die ganze Ge⸗ sellschaft appellirt. Ich unterschreibe das; aber, um hier Wandel zu schaffen, müßten zuerst die Kirche und die Schule auf die richtige Basis gestellt werden. Der Abg. Ritter hätte seine Rede vor Allem an den Minister von Goßler und seine Räthe richten sollen. Ich zweifle nicht, daß die gesetzgeberischen Akte, auf die der Abg. Ritter hingewiesen, auch zur Verwilde⸗ rung namentlich der jungen Bergarbeiter mitgewirkt haben; aber alles Das würde vermieden sein, wenn wir eine ordent⸗ liche christlich fundirte Schule gehabt hätten.

Abg. Broemel: Ich habe mich herzlich jedes kräftigen Wortes gefreut, das der Vorredner gesprochen hat, und nur bedauert, daß die Zahl dieser kräftigen Worte so sehr gering gewesen ist. Er hat sich unter dem Schatten der ministeriellen Aeußerungen in einem Umfange aufgehalten, wie es sonst nicht seine Art ist. Seine Ausführungen haben sich in ihrer diplomatischen Gewandtheit ganz wesentlich unterschieden von den Ausführungen seiner Parteigenossen Dasbach und Fuchs. Mir ist dieser Unterschied gar nicht bedeutungslos, und ich bin geneigt, darin ein Symptom unserer gegenwärtigen politischen Situa⸗ tion zu erblicken. Auch sachlich bin ich mit dem Abg. Windt⸗ horst nicht einverstanden, er stellt die Moralseite der Frage allzusehr in den Vordergrund. Die Denkschrift hat einzelne Herren im Hause sehr befriedigt, insbesondere die Abgg. Schultz⸗Bochum und Schmieding. Andere haben aber in der Arbeit sehr empfindliche Lücken entdeckt. Darin hat der Abg. Schultz recht, daß durch diese Denkschrift die großen Schmähungen und Verdächtigungen, denen die Arbeit⸗ geber, besonders die Vorstände der großen Kohlenzechen, aus⸗ gesetzt gewesen sind, thatsächlich widerlegt worden sind. Diese Art des Angriffs gegen einen sehr her⸗ vorragenden werkthätigen Theil der Unternehmerwelt Deutschlands ist durch diese Untersuchung auf das Wirksamste widerlegt worden. Aber anders liegt es mit den ernsten Be⸗ schwerden der Arbeitnehmer in dem deutschen Kohlenbergbau. An die Untersuchung ist zwar ein gutes und ehrliches Stück Fleiß gewendet, aber dieser ehrliche Fleiß hat keineswegs das wünschenswerthe Ergebniß gehabt, und zwar wegen der Me⸗

hode der Ermittelung und der Art der Berichterstattung.

Für die Ursachen der allgemeinen Arbeitsniederlegung im Mai vorigen Jahres sind die verschiedensten Gründe bei der Enquete geltend gemacht worden, man weiß nicht recht, wodurch der Strike entstanden ist. Die Darstellung, daß der Ausstand von Außen hineingetragen und vorher von den Forderungen der Arbeiter nicht die Rede gewesen sei, entspricht keineswegs den Thatsachen. Diese Dinge sind hier schon in den Jahren 1883 und 1884 behandelt, die Beschwerden der Berg⸗ leute im Saar⸗ und Ruhrgebiet sind in der That alte. Das Nullen der Wagen, die willkürliche Verlängerung der Arbeitszeit, die Vergrößerung der Förderwagen und die Verbindung der Zechen zur Abwehr der Wiederanstellung

solcher Arbeiter, welche in einer Zeche den Abkehrschein er⸗

halten haben, alle diese Fragen sind, gleichviel, ob die Be⸗ schwerden an sich berechtigt waren oder nicht, seit Jahren hier und in der Oeffentlichkeit besprochen worden. Künstlich ist also die Lohnbewegung nicht hervorgerufen worden. Die bei der Enquete befolgte Methode leidet an erheblichen Mängeln. Es sind Arbeiter und Arbeitgeber vernommen worden, und die Behörden haben ein Gutachten abgegeben. Diese Art der Untersuchung wirkt nicht für eine gründliche und unparteiische Erforschung der Verhältnisse. Die Wahrnehmungen sind nur oberflächlich gewesen. Die Enquetekommission hätte nicht durch Abgeordnete, sondern durch Mitglieder der Belegschaft selbst verstärkt werden müssen. Bei einer so riesenhaften Bewegung, vor der ganz Europa zitterte, genügten ein paar Beamte zur Untersuchung nicht. Die Kohlenpreise sind theilweise um 100 Proz. gestiegen, die Lohnerhöhungen haben damit nicht gleichen Schritt gehalten. Zwar ist nicht zu verlangen, daß die Löhne genau im Verhältniß der Preissteigerung sich er⸗ höhen, aber in England sind Lohntabellen eingeführt, nach welchen sich der Lohn der Preissteigerung anschließt, und die Arbeiter haben auch ein Recht auf Vortheile von den Preis⸗ steigerungen. Unser Kohlenbergbau und unsere Eisenindustrie, deren gegenwärtiger Zustand sich unter den bestehenden Schutz⸗ zöllen ausgebildet hat, ist wesentlich beeinflußt durch die plötzlich erfolgenden großen Bestellungen auf öffentliche Liefe⸗ ferungen. So ist zu fürchten, daß der jetzigen Konjunktur ein starker Rückschlag folgen wird. Die Textil⸗Industrie hat auch Schutzzölle, aber sie ist nicht von so jäh auftretenden Bestellungen beeinflußt. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Arbeitgeber in dem Lohnkampfe eine geschäftliche Nieder⸗ lage erlitten haben. Vielleicht wäre dies zu vermeiden gewesen, wenn zwischen den leitenden Beamten und den Arbeitern die nöthige Fühlung vorhanden gewesen wäre. Leider haben die Zechenverwaltungen auch eine moralische Niederlage erlitten. Nach meiner Meinung sollte man nicht nur der materiellen, sondern auch der sittlichen Hebung des Arbeiterstandes die größte Aufmerksamkeit schenken. Kirche, Schule, Vereinsthätigkeit, Theilnahme an der Selbst⸗ verwaltung, an den Hülfskassen, müssen gleichmäßig mitwirken. Soll die geplante Arbeiterschutzgesetzgebung den Frieden, die Versöhnung herbeiführen, so muß dem Arbeiter das Gefühl beigebracht werden, daß er in freier Wahl die Männer seines Vertrauens in die Arbeiterausschüsse entsenden kann 8 Die Debatte wird hierauf vertagt. Schluß 4 Uhr.

Die überseeische Auswanderung.

Die Ursachen der starken Massenauswanderung bilden ein Problem, dessen Lösung noch immer nicht gelungen ist. Das ist auch der Grund, weshalb politische Parteien nur zu oft geneigt sind, der Auswanderung solche Ursachen unterzuschieben, wie sie sie für ihre Zwecke brauchen können. Als im Jahre 1880 die Zahl der deutschen Auswanderer, die noch im Jahre 1879 33 327 betragen hatte, auf 106 190 und im Jahre 1881 auf 220 902 sich vermehrte, da waren sofort die Gegner der neuen Wirthschaftspolitik mit der Erklärung bei der Hand, daß die Steigerung eben eine Wirkung jener Politik sei; die hohen Kornpreise der genannten beiden Jahre sollten mit dem Aufschwung der Auswanderung in Wechselwirkung stehen. Wäre dies richtig, so hätte das Jahr, welches durch die „Lebensmittelvertheuerung“ in Folge der damit betriebenen Agitation berühmt geworden ist, also das Jahr 1889, wiederum eine außerordentlich starke Auswanderung aufweisen müssen: die Durchschnitts⸗Roggenpreise des Jahres 1889 entsprachen etwa denen des Jahres 1882; während aber in demletzteren Jahre die Zahl der Auswanderer sich auf 203 585 belief, hat das Jahr 1889 nur 90 332 Auswanderer aufzuweisen gehabt; das „Theuerungs⸗ jahr“ blieb in dieser Beziehung hinter den Jahren 1887 und 1888 (wo es 104 787 bezw. 105 951 Auswanderer gab) zurück. Würde aber dieses Argument gegen die Richtigkeit der An⸗ nahme der Theuerung als Ursache der Auswanderung den Gegnern der Wirthschaftspolitik nicht stichhaltig erscheinen, so bliebe weiter nichts übrig, als den Schluß zu ziehen, daß es mit der Theuerung des Jahres 1889 nicht so schlimm gewesen sein kann, wenn dieses Jahr hinter den beiden billigen Vor⸗

jahren mit der Auswanderung so erheblich zurückblieb.

Ebenso wenig, wie die hohen Lebensmittelpreise als Ursache der Auswanderung anerkannt werden können, ist auch die von einzelnen Nationalökonomen vertretene Annahme, die Aus⸗ wanderung werde durch die Uebervölkerung bewirkt, richtig: gerade aus den Landestheilen, welche verhältnißmäßig am geringsten bevölkert sind, wandern die meisten Leute aus. Westpreußen steht in dieser Beziehung allen anderen Provinzen voran, dann folgen Posen und Pommern. In diesen drei Provinzen kommen auf 1 qkm 55 beziehungsweise 59 und 50 Einwohner; und doch wanderten im Jahre 1889 von 100 000 Einwohnern aus ihnen aus 694, bezw. 583 und 520, während beispielsweise Schlesien, mit 102 Einwohnern auf 1 qkm, von 100 000 Einwohnern nur 45, und Rheinland, mit 161 Einwohnern auf 1 qkm, von 100 000 Einwohnern nur 85 Auswanderer im Jahre 1889 hatten. Die Vorjahre weisen ziemlich entsprechende Verhältnisse ausf.

Die eben berührten Zahlen zeigen andererseits aber auch mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die richtigen Ursachen hin. Westpreußen, Posen und Pommern sind vorzugsweise ackerbau⸗ treibende Provinzen mit nur geringer industrieller Entwicklung. Die Bevölkerung dieser Provinzen findet, wie man schließen muß, in der Landwirthschaft entweder keine genügende Be⸗ schäftigung oder die Landwirthschaft prosperirt so wenig, daß sie der einheimischen Bevölkerung nicht den genügenden Lebens⸗ unterhalt gewähren kann. .

Aber hierdurch allein erklärt sich noch nicht die über⸗ seeische Auswanderung Es tritt hierzu vor Allem die Auf⸗ munterung zur Auswanderung von Verwandten, die drüben ihr Glück gemacht haben, oder auch die Vorspie elung von Seiten gewissenloser Agenten, welche den Goethe'schen Spruch:

8

„Amerika, du hast es besser“ nach allen Richtungen hin zu

variiren suchen. Daß die Agenten gerade in dünnbevölkerten Gegenden und beim Landvolk größeren Eindruck mit ihren Vorspiegelungen machen können als in den Städten, liegt auf der Hand. Neulich wurde erwähnt, daß Se. Majestät der Kaiser und König mit Unwillen von dem verderblichen Treiben brasilianischer Auswanderungsagenten Kenntniß ge⸗ nommen und den betheiligten Ministern befohlen habe, mit allen Mitteln dagegen einzuwirken. Mit welchem Erfolg neuerdings für Brasilien agitirt worden ist, ergiebt sich daraus, daß die Zahl der Auswanderer, welche sich dieses Ziel erkoren haben, sich von 1129 im Jahre 1888 auf 2412 im Jahre 1889 vermehrt hat. Von dieser letzteren Summe hat Pommern allein 1119 gestellt.

Fragt man nach den statistischen Ermittelungen über den Beruf der Auswanderer, so sind diese freilich sehr lückenhaft. Nach der Hamburgischen Statistik gehörten im Jahre 1886 von 100 deutschen Auswanderern 15,8 zur Land⸗ und Forst⸗ wirthschaft; 16,7 zur Industrie und zum Bergbau; 9,0 zum Handel und Pebhe 24,9 zur Lohnarbeit wechselnder Art; 1,5 zu freien Berufsarten, und 32,1 waren ohne Berufsangabe. Ein großer Theil der als berufslos oder als in Lohnarbeit wechselnder Art befindlich Bezeichneten wird sicherlich mit in die erste Kategorie, der der Land⸗ und Forstwirthschaft, zu rechnen sein.

Steht Westpreußen mit seinem Auswanderungskontingent auch noch immer an der Spitze der preußischen Provinzen, so hat die Zahl der Auswanderer sich doch auch hier, entsprechend den Verhältnissen im ganzen Reich, erheblich vermindert. Es

kamen dort im Jahre 1887 auf 100 000 Einwohner 991, im

Jahre 1889 694 Auswanderer. Dagegen weisen trotz all⸗ gemeiner Abnahme die Auswanderungszahlen in Posen und Pommern eine Vermehrung auf: in Posen vermehrte sie sich (auf 100 000 gerechnet) von 532 im Jahre 1887 auf 583 im Jahre 1889, und in Pommern von 463 auf 520.

Durch die Auswanderung hat Deutschland seit Anfang der 20er Jahre insgesammt 4 635 000 Einwohner an das überseeische Ausland abgegeben, von denen die überwiegende Mehrzahl (93 Proz.) nach Nord⸗Amerika gegangen sind. Seit 1871 sind etwa 1 865 000 Personen ausgewandert. Bald war die Auswanderung periodenweise eine stärkere, bald ver⸗ lief sie sich wieder. Angesichts jener Zahlen, welche zugleich die Wanderlust der Germanen auch in den anderen germanischen Ländern ist sie in ziemlich gleicher Stärke zu beobachten illustriren, ist es sehr schwer, in den einzelnen Fällen bezw. in den einzelnen Jahren nach den eigentlichen Ursachen der Auswanderung zu forschen: aber als Symptome müssen doch die Verhältnisse in West⸗ preußen, Posen und Pommern gelten, wie wir sie oben näher charakterisirt haben. Eine stärkere Verbreitung der Industrie, die Seßhaftmachung landwirthschaftlicher Arbeiter, welch letztere durch den Gesetzentwurf über die Rentengüter bezweckt wird, sowie die weitere Pflege der Interessen des landwirthschaft⸗ lichen Gewerbes werden voraussichtlich in den genannten Preußens allmählich zu normaleren Verhältnissen führen. 8

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die im Ausstand befindlichen Riemendrehergesellen in Barmen hielten vorgestern Abend wieder eine Versammlung ab, welche von ungefähr 600 Personen besucht war. Ein Buchbinder⸗ gehülfe Urbach erklärte anders lautenden Zeitungsberichten gegen⸗ über, daß nicht in sieben Riemendrehereien, sondern nur in dreien die Arbeit wieder aufgenommen worden sei, und ermahnte zur Festhaltung an den aufgestellten Forderungen. In demselben Sinne äußerten sich auch einige andere Redner. Die Versammlung erklärte sich schließlich mit dem 10 stündigen Normalarbeitstag sowie dem Minimal⸗ wochenlohn von 18 einverstanden und beschloß, diese Forderung mit allen gesetzlichen Mitteln durchzuführen.

Die „Barmer Ztg.“ berichtet übrigens, daß in dieser Versamm⸗ lung auch viele Besucher nicht Riemendreher waren. Auch unter den Rednern, welche zur Fortführung des Strikes aufforderten, be⸗ fanden sich, wie ja aus dem vorstehenden Bericht auch ersichtlich, solche, die nicht am Strike betheiligt, auch nicht Riemendreher sind.

Gleichzeitig tagte eine Versammlung von Riemendreherei⸗ Besitzern, in welcher festgestellt wurde, daß innerhalb 8 Tagen die Zahl der ausstehenden Arbeiter von 590 auf 312 zurückgegangen ist. Es wurdebeschlossen, daß die jetzt unter den Arbeitgebern bestehende Ver⸗ einigung auf unbegrenzte Zeit, mindestens aber bis 1891, bestehen solle. In einer am 20. März cr. stattfindenden neuen Versammlung solle endgültig darüber Beschluß gefaßt werden, ob Tags darauf die beschlossene allgemeine Arbeitssperre ihren Anfang nehmen soll oder nicht, was bekanntlich nur davon abhängen wird, ob die Strikenden bis dahin zur Arbeit zurückgekehrt sein werden oder nicht.

In Stettin haben, wie die „Osts.⸗Ztg.“ mittheilt, die Tischler⸗ meister in Folge der von den Gesellen an sie gestellten erhöhten Lohnforderungen einen mit dem 1. Mai d. J. in Kraft treten⸗ den Lohntarif aufgestellt, in welhem den Forderungen der Gesellen zum Theil Rechnung getragen ist. Die Tischler⸗ gesellen hielten nun vorgestern eine Versammlung ab, um zu dem Beschluß der Meister Stellung zu nehmen. Die Redner sprachen sich über die gemachten Zugeständnisse und namentlich über die Weigerung der Meister Betreffs Ein⸗ führung einer 9 stündigen Arbeitszeit sehr unbefriedigt aus. Zu einem Beschluß kam es indeß nicht, da die Ver⸗ sammlung nur schwach besucht war, und weil man erst eine Entscheidung des Central⸗Strike⸗Comités abwarten wollte.

Ferner fand in Stettin jüngst eine Versammlung von Maler⸗ und Lackirergehülfen statt, um über die Lohnfrage für das Baujahr 1890 Beschluß zu fassen. Es wurde über eine am 21. Februar abgehaltene gemeinschaftliche Sitzung des Innungsvorstandes mit dem Gesellen⸗Ausschuß be⸗ richtet, in welcher die Lohnfrage eingehend berathen sei und die dazu geführt habe, daß die Meister sich zur Zahlung eines Minimallohnsatzes bereit erklärt hätten. Der Minimallohn ist auf 35 pro Stunde festgeseßt worden, während im Uebrigen der Lohn nach der Leistungsfähigkeit bemessen werden soll. Die Versammlung erklärte sich mit diesem Anerbieten einverstanden, nachdem vorher eine Resolution einstimmig angenommen war, dahingehend, daß in dem betreffenden Vertrag zwischen Innungsvorstand und Gesellen⸗ Ausschuß die zehnstündige Arbeitszeit aufgenommen werden soll.

In Crimmitschau fand, wie wir dem „Chemn. Tabl.“ entnehmen, am Montag eine öffentliche Versammlung der Maler, Lackirer, und verwandten Berufsgenossen statt, in welcher ein Lohntarif vorgelegt und angenommen wurde. Die Hauptpunkte desselben sind: 11stündige Arbeitszeit, einschließlich Früh⸗ stücks, und Vesperpause, Minimallohn von 35 für die Stunde für Maler und Lackirer, 25 fuür die Stunde für Anstreicher, prozentuale Lohnerhöhung der Akkord⸗Ueberstunden und der Sonn⸗ und Feiertagsarbeit ꝛc. Dieser Tarif soll mit 15. April d. J. in Kraft treten und sollen Verhandlungen mit den Meistern durch Vertrauensmänner angestrebt werden.

Die Zimmergesellen in Marienburg sind, der „Danz. Allg. Ztg.“ zufolge, in eine Lohnbewegung eingetreten und haben beschlossen, sich in einer motivirten Eingabe an die Zimmermeister

und Bauunternehmer zu wenden und um Erhöbung des Arbeitslohnes und Verkürzung der Arbeitszeit zu petitioniren. Neben der Fest⸗ setzung des Lohnes wird verlangt, daß kein Zimmergeselle beschäftigt werde, der nicht em Verband deutscher Zimmerleute ange⸗ hört Die Arbeitszeit wird auf 10 Stunden pro Tag festgesetzt. „Aus dem Fürstenthum Schönberg (Mecklenburg⸗Strelitz) theilen die „Meckl. Nr.“ mit, daß die dortigen Maurer⸗ und Zimmermeister beschlossen haben, den von ihnen beschäftigten Ge⸗ sellen, welche bisher 2,60 Lohn pro Tag erhielten, bei bisheriger Arbeitszeit pro Tag 3 zu zahlen, weiter aber den Arbeitern nicht entgegen zu kommen. Dieser Beschluß ist den Gesellen zur Erklärung ; eine Aeußerung derselben über das Angebot ist noch nicht erfolgt. 1 Die Zimmerleute Berlins und der Umgegend hielten vorgestern eine von gegen 2000 Personen besuchte öffentliche Versammlung ab zur Beschlußfassung über die Frage, ob die vorjährigen Forde⸗ rungen: neunstündige tägliche Arbeitszeit und 60 Stundenlohn, in diesem Jahre endgültig durch einen theilweisen oder einen allgemeinen Ausstand zur Durchführung gebracht werden sollen. Es gelangten zwei Anträge zur Annahme, von welchen der eine besagt, daß noch in dieser Woche auf allen Plätzen und Bauten je ein Delegirter zu wählen ist, welcher sich mit dem Gesellenausschusse in Verbindung zu setzen und denselben in seinem Vorgehen zu unterstützen habe; der andere bestimmt, daß sofern die Arbeitgeber bis zum 10. Mai nicht durchweg die neunstündige Arbeitszeit und 60 Stundenlohn bewilligt haben, ein allgemeiner Ausstand eintreten solle. Die Gärtnergehülfen Berlins beschlossen in einer vorgestrigen Versammlung den Arbeitgebern folgende Forderungen sofort vorzulegen: 1) für Handelsgärtnerei und Gemüsegärtnerei: 11 stündige Arbeitszeit und 25 Lohn monatlich bei voller Station, ohne Station 18 wöchentlich; 2) für Baumschulen 10 stündige Arbeitszeit; 3) für Land⸗ schaftsgärtnerei dieselbe Arbeitszeit und 35 Stundenlohn; für Ueberstunden und Sonntagsarbeit sind besondere Bestimmungen fest⸗ üftt Wo diese Forderungen durch schriftliche Zusicherung nicht erfüllt werden, soll am 15. d. M gekündigt und am 1. April in den Ausstand, den ersten seit 1872, eingetreten werden.

Aus Wien telegraphirt man der „Voss. Ztg.“: In Mähren häufen sich die Ausstände der Textilarbeiter wegen Lohn⸗ differenzen. In Böhmen nehmen die Arbeiterausstände größeren Umfang an. In der mechanischen Weberei zu Grünwald feiern 500 Arbeiter; 20 Gensdarmen sind zur Aufrechthaltung der Ordnung dabin abgegangen.

Aus Großbritannien liegen über die Ausstäands⸗ bewegungen folgende Meldungen des „W. T. B.“ vor: In Manchester hat der Vollzugs⸗Ausschuß der Gruben⸗ arbeiter gestern, da die Grubenbesitzer keine Konferenz ab⸗ gehalten haben, um die letzten Forderungen der Arbeiter zu berathen, an die Ausschüsse der verschiedenen Gruben telegraphirt, daß von heute ab ein allgemeiner Ausstand einzutreten habe. Die Versammlung von Kohlenbergwerkbesitzern in York⸗ shire beschloß gestern die Forderungen der Bergarbeiter abzulehnen; der allgemeine Ausstand wird demnach heute beginnen, und es würden dann etwa 60 000 Arbeiter feiern. Ueberall herrscht große Aufregung. In verschiedenen Distrikten soll sich schon Kohlenmangel bemerkbar machen. In mehreren Gruben ist bereits die Arbeit eingestellt; ebenso soll der Strike morgen ausbrechen in New⸗Castle, Stockton, Hartlepool, Middlesborough und in allen Distrikten von Tyne und Wear. In den Docks zu Liverpool feiern etwa 50 000 Arbeiter. MehrereArbeiter, die keinem Gewerkverein angehören sind angegriffen worden. In den Kasernen in Liverpool sind heute 500 Mann Truppen aus Warrington eingetroffen. Aus entfernteren Städten sind etwa 200 Arbeiter hier angekommen, welche keinem Gewerkverein angehören, um die Strikenden zu ersetzen. Ihr Er⸗ scheinen hat die Erregung der Arbeiter noch gesteigert.

2. Unfallgefährlichkeit der gewerblichen Berufszweige. Einem Versicherungsfachblatt entnimmt die „Sehlesische Zeitung“ die nachstehende Statistik der Unfallgefährlichkeit in den einzelnen gewerblichen Berufszweigen. Sie ist auf Grund der in den bisher veröffentlichten Rechnungsergebnissen der Berufsgenossenschaften auf die drei Jahre von 1886 bis 1888 niedergelegten Zahlen über die Häufigkeit der entschädigungspflichtigen Unfälle aufgestellt worden und bezieht sich nur auf die „schwere“ Unfallgefährlichkeet der gewerblichen Berufszweige. Die höchste „schwere“ Unfallgefährlichkeit weist danach die Brauerei und die Mälzerei auf, die geringste die Tabackindustrie. Bei der ersteren entfallen im Jabresdurchschnitt auf 1000 beschäftigte (versicherte) Personen 8,84 Verletzte mit über 13 Wochen dauernden Unfällen. Der Brauerei und Mälzerei folgen das Berggewerbe mit 7,39; die Brennerei mit 6,90 die Spedition, der Speicherei⸗ und Kellereibetrieb mit 6,32; der Fuhrwerksbetrieb mit 6,06; die Müllerei mit 5,95; die Papiermacher⸗Industrie mit 5,89; das Baugewerbe mit 5,30; die Holzindustrie mit 5,29; die Zuckerindustrie mit 5,16; der Steinbruchbetrieb mit 4,92; die chemische Industrie mit 4,84; die Eisen⸗ und Stahlindustrie mit 4,75; die Binnenschiffahrt mit 4,45; der Eisenbahnbetrieb mit 3,88; der Betrieb der Gas⸗ und Wasser⸗ werke mit 3,72; der Ziegeleibetrieb mit 3,54; die Nahrungsmittel⸗ industrie mit 3,15; die Schornsteinfegerei mit 2,76; die Lederindustrie mit 2,45; der Straßenbahnbetrieb mit 1,87; die Textilindustrie mit 1,77; die Feinmechanik, sowie Edel⸗ und Unedelmetallindustrie mit je 1,68; die Papierverarbeitungsindustrie mit 1,63; die Glasindustrie mit 1,60; die Musikinstrumentenindustrie mit 1,42; die Töpferei mit 1,07; der Buchdruck mit 1 01; die Bekleidungsindustrie mit 0,72 und schließlich die Tabackindustrie mit 0,36 Verletzten unter 1000 Personen im Jahresdurchschnitt.

Stettins Handelsverkehr zur See im Jahre 1889.

Im vergangenen Jahre setzte sich der Stettiner Handelsverkehr zur See aus einer Waaren⸗Einfuhr von 1 384 995,8 t und einer Waaren⸗Ausfuhr von 378 246,9 t zusammen. Während die erstere im Vergleich mit dem Jahre 1888 eine Zunahme von 207 552,7 t oder 7,6 % aufweist, zeigt die letztere eine Abnahme von 33 669,5 t oder 5,5 %. Vom Auslande waren in erster Linie an der Einfuhr Großbritannien mit 35,9 %, Rußland mit 13,7 %, Schweden mit 12,1 % und die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 6,4 %, an der Ausfuhr Großbritannien mit 25,5 %, Schweden mit 12,8 %, Dänemark mit 8,7 %, die Niederlande mit 7,2 %, Rußland mit 7,1 % und die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 4,6 % betheiligt.

Mehr als 5000 t wurden eingeführt von: Kleie (16 233,7 t, davon 61,5 % aus Rußland, 21,3 % aus Zollvereinshäfen und 11,7 % aus Norwegen), Superphosphat 15 924,1 t, davon 32,6 % aus Großbritannien, 21,0 % aus Frankreich, 13,8 % aus den Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika, 12,8 % aus Belgien und 8,5 % aus Britisch Central⸗Amerika, Roheisen (123 430 t, davon 123 430 t, davon 92,0 % aus Großbritannien und 6,9 % aus Belgien), phosphor⸗ saurem Kalk (17 219,6 t, davon 38,6 % aus den Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika, 21,6 % aus Frankreich, 13,0 % aus Groß⸗ britannien, 10,6 % aus Norwegen und 9,4 % aus den Niederlanden), Kaolin (47 975,2 t, davon 49,1 % aus Norwegen, 27,6 % aus Groß⸗ britannien, 11,8 % aus Schweden und 7,0 % aus Dänemark), Eisenerzen (91 997,3 t, davon 79,6 % aus Schweden und 20,4 % aus Groß⸗ britannien), Schlacken von Erzen (47 297 t, davon 64,2 % aus

Großbritannien, 24,3 % aus den Niederlanden, 6,2 % aus Schweden

und 5,3 % aus Belgien), Schwefelkies (35 949,1 t, davon 66,7 % aus Spanien, 19,6 % aus Portugal und 9,2 % aus Großbritannien), Roggen (68 728,8 t, davon 80,4 % aus Rußland, 11,8 % aus Zoll⸗ vereinshäfen) und 5,3 % aus der Türkei), Hafer (84 911 t, davon 92,3 % aus Rußland und 7,7 % aus Zollvereinshäfen), Gerste 84 443,8 t, davon 59,1 % aus Zollvereinshäfen und 38,8 % aus ußland), Raps und Rübsaat (22 126,3 t, davon 29,6 % aus Belgien, 26,4 % aus Großbritannien, 25,1 % aus Zollvereinshäfen und 18,7 % aus Britisch⸗Indien), Leinsaat (14 750,9 t, davon 85,3 % aus Rußland und 14,5 %8 aus Zollvereins⸗Häfen), Mais (20 294,5 t, davon 76,5 % aus den Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika. 11,1 % aus Rußland und 10,4 % aus Zollvereins⸗Häfen), in der Querrichtung bearbeiretem