so schaffe man die halbe, unterbrochene Bildung ab. Lieber eine ganze Bildung ohne jede fremde Sprache, als eine Bil⸗ dung mit vielen Bildungselementen, die nicht zur Abklärung gekommen! Die Bemerkungen des Ministers über den Religionsunterricht sind mir lieb und werth. Daß er hat sagen wollen, auf die kirchliche Korrektheit komme es dabei nicht an, kann ich nicht annehmen. Nur weil wir keine objektiven Wahrheiten mehr in unserm Volke haben, kann Lüge und Unwahrheit so festen Boden fassen. Von den Tausenden von Schulprojekten, die durch die Luft schwirren, erwarte ich nicht viel. Ein Schulwesen ist etwas Historisches, und seine Grundlagen können nicht so ohne Wei⸗ teres verlassen werden. Es wird nur nicht genug Aufmerk⸗ samkeit darauf verwendet, daß dem Wissen das volle christliche sittlich⸗religiöse Gegengewicht gegeben wird. Die Fälle in denen die christliche Geschichte, christliches Geistesleben, christ⸗ liche Literatur hervortreten, müssen mit Betonung des christlichen Standpunktes gelehrt werden, sodaß der Schüler das Gefühl hat: die Antike ist etwas und die Realien sind etwas, aber die Bewährung des christlichen Geistes ist mehr als Alles. Wir leben in einer Zeit auf⸗ lodernden konfessionellen Streites; aber die evangelische Kirche hat den Hader nicht angefangen und kann dafür nicht verant⸗ wortlich gemacht werden. Der Ausspruch des Abg. Windthorst in einer Katholikenversammlung: „Der Papst regiert die Welt“ wiegt Alles auf, was auf allen evangelischen Bundesversamm⸗ lungen gesagt ist. Auffassungen wie die, daß die Reformation identisch sei mit der Revolution, daß von der Reformation der Nihilismus und Atheismus herzuleiten sei, die in der ganzen katholischen Kirche getheilt und gelehrt werden, müssen auf das politische Leben geradezu vergiftend wirken. Solche Vorwürfe sind so unwahr, so kränkend für uns, daß nichts damit zu vergleichen ist. Von uns wird in dieser Beziehung lange nicht so gefehlt, wie auf katholischer Seite. Wir sind den Katholiken an Toleranz und Anerkennung hundertmal überlegen. Unter dem Eindruck der letzten Mo⸗ nate sollten wir uns zusammennehmen und versuchen, einen heilsamen Einfluß auf das Land zu üben. Aber wenn Sie so thun, als seien wir die Schürer und Sie die unschul⸗ digen Lämmer, so wird es nie etwas werden. Ich erinnere Sie nur an die unlängst erschienene Schrift Majunke'’s. Was liegt daran, die verruchte Lüge zu erneuern, daß Luther ein Selbstmörder gewesen ist? Ich erinnere auch an die Anschläge in der Brandenburger Delegatur in Bezug auf die gemischten Ehen, die geradezu skandalöser Natur waren. Verbinden sich die dunkeln Ge⸗ walten in unserem Volksleben mit dem kirchlichen Hader, so könnte ich für die deutsche Nation fürchten. Aber ich will nicht fürchten; Deutschland hat sich aus schwereren Verhält⸗ nissen zurückgefunden. Der Abg. von Zedlitz schloß seine Rede mit dem Rufe: Vorwärts! Das Vorwärts genügt nicht. Gehen wir vorwärts, aber besinnen wir uns auch rückwärts auf die Grundlagen eines gesunden Volkslebens! In dem Vorwärts und diesem richtigen Rückwärts wird unsere Rettung liegen.
8 Abg. Bachem: Die energische Betonung des christlichen Gedankens Seitens des Abg. Stöcker berührt uns durchaus sympathisch.. Der Augenblick ist da, wo das uns Gemeinsame herausgekehrt und das Trennende zurückgedrängt werden muß. Ob aber die Ausführungen des Abg. Stöcker geeignet sind, dieses Ziel zu fördern, ist eine andere Frage; sie sind wohl dazu angethan, eine gewisse Erregung in die evangelischen Kreise zu tragen. Sie werden auf Ihre Auffassungen nicht verzichten, ebenso wenig können wir es auf die unsrigen; aber ich beklage die Behandlung dieser Gegensätze in großen Volksversammlungen in einer gehässigen und feind⸗ seligen Weise. Behandeln wir die Gegensätze, aber nicht in verletzender Weise. Wenn der Abg. Stöcker nicht mit Unrecht über die Schrift Majunke's Beschwerde geführt hat, so ist andererseits zu berücksichtigen, daß die hervorragendsten Aeuße⸗ rungen der katholischen Presse in ernster und entschiedener Weise sich gegen diese Publikation gewendet haben. Der Papst regiert die Welt, ist unsere Auffassung; Sie mögen sie bekämpfen, aber eine Beleidigung enthält ein solches Wort nicht. Ebenso ist die historische Auffassung der Reformation als Revolution eine solche, wie der Katholik sie haben muß. Was die Reform des Gesetzes über die Vermögens⸗ verwaltung der katholischen Kirche vom Jahre 1875 betrifft, so ist sie dringend nothwendig. Auch da handelt es sich um Fragen der kirchlichen Eintracht und des kirchlichen Friedens. Die Kirchengemeindevertretung, ein Parlament von 40 Mitgliedern, hervorgegangen aus geheimer direkter Wahl, hat in allen Ausgaben über 200 ℳ zu entscheiden; das ist eine für die Verwaltung überflüssige und schädliche Einrichtung und führt zu Kompetenzkonflikten und Dispensen mit dem Kirchenvorstand. Das Wahlsystem für den Kirchenvorstand und die Kirchengemeindevertretung ist zu komplizirt. Dem Pfarrer, der der geborene Vorsitzende im Kirchenvorstand ist, muß der Vorsitz wiedergegeben werden. Die Initiative zu einer Abänderung dieses Gesetzes muß von der Regierung mnsge das Abgoordnetenhaus hat nicht die Kompetenz bazu.
Abg. von Eynern: Der Abg. Windthorst, der Führer der Centrumspartei, hat die Rede, die er heute halten wollte,
Angesichts der politischen Lage zurückgestellt. Diese Lage erregt uns Alle auf das Tiefste. Der Abg. Windthorst hatte sonst die Absicht, über die unterdrückte katholische Kirche zu sprechen. Die zur Arbeiterschutz⸗Konferenz hier versammelten Vertreter des Auslands werden ein eigenthümliches Bild von der Unterdrückung der katholischen Kirche bekommen Ange⸗ sichts der Thatsache, daß zum Vertreter Deutschlands auf diesem Kongreß ein römisch⸗katholischer Bischof berufen ist. Die evangelische Kirche hätte dieselbe Berechtigung verdient, denn sie ist in den sozialen Fragen ebenfalls nach ver⸗ schiedenen Richtungen bahnbrechend gewesen; ich erinnere nur an den hochverdienten Hrn. von Bodelschwingh. Mit der Mahnung des Abg. Stöcker zu größerer Duldsamkeit bin ich einverstanden. Ich wünsche aber, daß in dieser Beziehung der Abg. Stöcker die Bibelstelle von dem Splitter und Balken nochmals lesen möge. In einem Leitartikel des „Volk“ wird über die Gründung nationalliberaler Bezirksvereine mit Hohn und Verachtung gesprochen und gesagt, sie trügen von vorn⸗ herein den Leichenstempel an der Stirn. Die Klagen des Abg. Reichensperger über die Angriffe auf die katholische Kirche von Seiten des evangelischen Bundes hat der Abg. Stöcker schon beantwortet und das Wort Windthorst's angeführt, daß der Papst die Welt regiere. Bringen Sie dies in Verbindung mit dem Briefe, den der Papst an Kaiser Wilhelm I. ge⸗ schrieben hat, daß Jeder, der die Taufe empfangen hat, ihm gehöre. Solche Anmaßungen haben die protestantische Bevöl⸗
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kerung in eine Vertheidigungsstellung gezwungen, die sie nöthigt, die Angriffe der Katholiken gegen den pro⸗ testantischen Glauben zurückzuweisen. Ich habe eine ganze Reihe von Angriffen auf die evangelische Kirche und deren Begründer gelesen, und ich könnte die Hamburger Briefe von 1882 über Luther in der „Germania“ und aus dem Paulinusblatt des Abg. Dasbach Stellen an⸗ führen, die geradezu schauderhaft sind und die protestan⸗ tische Bevölkerung in Erregung bringen müssen. † unterlasse aber alles das anzuführen, um den Frieden nicht zu stören. Kommen Sie uns nicht mit Vorwürfen, wir können Ihnen schwerere entgegenhalten. Wir sind nicht die Angreifer, Sie aber haben unseren Glauben fortgesetzt beleidigt und haben keine Veranlassung zu klagen. Die revolutionären Strömungen haben sich hauptsächlich in katholischen Ländern kundgegeben, in protestantischen sehr wenig. Bezüglich der wichtigen Schulfrage stimme ich dem Abg. von Zedlitz zu. Wir werden uns bemühen, nach der Seite des Unterrichts⸗ gesetzes, des Schulunterhaltungs⸗ und Dotationsgesetzes alle Bestrebungen, die sich hier geltend machen, zu unterstützen. Wir wünschen aber lebhafte Unterstützung durch die Regierung dabei, damit die Thatenlosigkeit und Unentschlossenheit auf diesem Gebiet endlich ein Ende nehme.
Abg. Dr. von Stablewski: Den eigentlichen Kern des Kulturkampfs bildet die Frage des Einspruchsrechts. Wie dieses Recht von der Regierung geübt wird, zeigt der Fall, in welchem gegen die Anstellung eines Pfarrers Einspruch er⸗ hoben wurde, weil derselbe als Gymnasiast vor 35 Jahren einer Verbindung angehörte, die den wissenschaftlich⸗nationalen Zweck hatte, die Mitglieder in der polnischen Literatur und Geschichte zu unterrichten. Gegen eine andere Berufung meines Fraktionsfreundes von Jazdzewski wurde Einspruch erhoben, weil er in seiner parlamentarischen Thätigkeit fort⸗ gesetzt in schroffer, sehr leidenschaftlicher Weise die polnischen Sonderinteressen vertreten habe. Nach der Verfassung darf kein Mitglied wegen seiner Aeußerungen im Parlament zur Rechenschaft gezogen werden. 1b
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler:
Der Hr. Abg. Bachem hat mich mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ich vergessen hatte die Frage des Abg. Freiherrn von Zedlitz u. Neukirch in Beziehung auf das Gesetz, welches den Sperr⸗ fonds betrifft, zu beantworten. Die Sache liegt augenblicklich so, daß ich hoffe, daß in nächster Zeit Ihnen der Gesetzentwurf vor⸗ gelegt werden wird. Das er noch nicht vorgelegt worden ist, hat seinen Guund in einer technisch⸗finanziellen Frage, die weder sehr bedeutend ist, noch irgend eine politische Bedeutung hat, die bloß mit der Abrechnung der Fonds und Kassen zusammenhängt. Ich hoffe, daß dieses Gesetz Ihnen in einer Fassung vorgelegt werden wird, welche die Annahme desselben in diesem hohen Hause mit über⸗ wältigender Majorität ermöglichen wird.
Was die Bemerkung des letzten Herrn Vorredners an⸗ betrifft, so kann ich im Rahmen einer wirklichen Dis⸗ kussion in eine Erörterung nicht eintreten; ich würde sonst die Frage ihm vorlegen müssen: was hat er urs für Schriftstücke vorgelegt? Wie kommt er überhaupt dazu, uns über die intimsten Sachen, welche zwischen dem Ober⸗Präsidenten und dem Erzb. schof verhandelt werden, hier Mittbeilung zu machen? Hat der Ober⸗Präsident ihm die Verfügung gegeben, oder hat der Erzbischof sie ihm gegeben, oder wer sonst? (Der Abg. Dr. von Jasdzewski macht eine Bewegung.)
Ja, Hr. von Jaëdzewski zeigt auf f dann muß ich natür⸗ lich erst sehen, inwieweit dasjenige, was kommen haben, durch den Weihbischof Likowski oder sonst irgend einen andern Herrn, — (Abg. Dr. von Stablewski: General⸗Vikar!) also inwieweit dasjenige, was Sie durch den General⸗Vikar bekommen haben, mit demjenigen srimmt, was der Ober⸗Präsident an den Erzbischof geschrieben und mit ihm besprochen hat.
Igm Uebrigen, meine Herren, werden Sie als katholische Geist⸗ liche sich gegenwärtig halten, daß diese Fragen durch den Papst ge⸗ regelt sind, daß, wenn der Erzbischof gegen die Ausübung des Ein⸗ spruchsrechts Bedenken hat, en denjenigen Weg zu wandeln hat, welcher ihm vom Papst vorgezeichnet ist, und daß es jedenfalls den Intentionen des Papstes und des Erzbischofs nicht ent⸗ spricht, wenn die Herren, welche als Geistliche dabei interessirt sind, hier Mittheilungen machen, welche ich, soweit ich es im Gedächtniß habe, in wesentlichen Punkten auch bestreite. Was Hrn. von Jaëdzewski anbetrifft, so glaube ich, habe ich selbst schon gesagt: Hr. von Jaëdzewski kann die schönste und fettste Pfründe im polnischen Theile der Provinz Posen erhalten, die Regierung wird mit Vergnügen ihm dieselbe gönnen; was aber unbequem gewesen ist, das ist, daß Hr. von Jaëdzewski sich in demjenigen Theile der Provinz in hervorragender Stellung befindet, wo polnische und deutsche Katholiken zusammenstoßen. Das sind politische Gründe, die derjenige beurtheilen kann und auch beurtheilen muß, der die Verantwortung trägt. Aber aus diesem Einspruche, der in fünf Fällen in der Erzdiözese Gnesen⸗Posen erfolgt ist, ein Flämmchen zu machen, welches einen Brand entzündet, das gelingt Ihnen nicht, wenn Sie auch mehrere Tage darüber reden.
Wie wir zum Papste stehen, wissen wir, und Sie können hier Angriffe gegen die Staatsregierung machen, wie Sie wollen, wir stehen auf ganz festem, sicheren Boden.
Wie die Regierung diese Frage handhabt, können Sie ja daraus ersehen, daß die Anstellungen im Pfarramt stattgefunden haben erst seit dem Herbst 1883, wo in Folge eines päpstlichen Befehls der Bischof von Kulm die nöthige Anzeige machte — ich irre mich, das betraf die Dispensation — aber Sie wissen, daß seit dem Herbst 1883 die Anzeigen gemacht werden Nach meiner Nachweisung, die mit dem 7. Februar 1890 abschließt, sind Pfarrer angestellt worden unter erfolgter Anzeigepflicht in 2310 Fällen, und dem stehen gegenüber 5 polnische Fälle, wo aus eigenartigen, nationalpolitischen Gründen Einwendungen erhoben sind. Diese 5 Fälle spielen doch wohl nicht die Rolle, daß man sagen kann, die Regierung entspreche nicht den Intentionen, von denen der Papst bei den Verhandlungen aus⸗ gegangen ist. “
Ich darf, um diese Sache zum Abschluß zu bringen, noch an⸗ führen, daß demnächst die Frage der Succursalpfarrer geregelt ist. s sind bereits 804 Succursalpfarrer auf erfolgte Anzeige an⸗ gestellt worden, die also auch die Pfarrzulage erhalten haben. Bei anderer Gelegenheit werden wir noch erörtern, welchen finanziellen Erfolg das hat. Es kommen allein 600 000 ℳ aus Staatsfonds in Frage. 8
Ich kann eben nur sagen, wenn Sie wünschen, daß diese 5 Ein⸗ spruchsfälle hier zum Gegenstand des Streites gemacht werden, so kann ich Sie nicht bindern; aber ich versage mich Ihnen. Ich thue es aus Rücksicht auf die kirchlichen Oberen, denen Sie meines Er⸗ achtens zu gehorchen haben und deren Wünschen es nicht entspricht, diese Fragen hier vor einer politischen Versammlung so zu ver⸗ handeln, wie es geschehen ist.
Abg. Cremer (Teltow): Keine Konfession kann tolerant sein, das habe ich schon vor mehreren Jahren geltend gemacht. Eine Ausgleichung kann nicht auf dem konfessionellen Gebiet, sondern nur auf staatsbürgerlichem Gebiet gefunden werden. Man sollte das mehr betonen, was die Christen eint, als was sie trennt. Wenn von der Presse gesprochen ist, so muß man bedenken, von welchen Leuten die Presse bedient wird. Für die geringsten Lehrerstellen verlangt man Examina, aber wer nichts gelernt hat, wer überall Schiff⸗ bruch gelitten hat, ist gerade noch gut genug
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In katholischen Ländern sind die revv⸗ kutionären Elemente stärker vertreten als in evangelischen und
zum Redacteur.
nirgends steht die katholische Kirche fester und angesehener
da, als in Deutschland. Die polnischen Bestrebungen kann ich vollständig begreifen; warum sollen die Polen nicht ihrem
nationalen Gedanken anhängen? Aber das Deutsche Reich hat
andere Aufgaben als die Pflege des Polenthums zu lösen. Die Polen müssen jetzt dafür büßen, was ihre Vorfahren ge⸗
sündigt haben. Es ist viel zum Frieden gemahnt worden. Da muß ich daran erinnern, daß ich es abgelehnt habe, in
die christlich⸗soziale Partei einzutreten, weil dieselbe zur Ab⸗ lagerungsstätte aller Angriffe gegen die katholische Kirche ge⸗
worden ist.
Abg. Dr. Windthorst: Wenn die Regierung nach den gerhandlungen mit dem heiligen Stuhl in der Frage des
Einspruchsrechts auf einem festen Boden steht, so wünschte ich nur, daß der Minister uns diesen Boden offiziell vorlegt
Dann könnte man beurtheilen, ob nach Maßgabe dieses
Bodens gehandelt wird. Die Regierung hat dem heiliger
Stuhl erklärt, von ihrem Einspruchsrecht nicht Gebrauch
machen zu wollen wegen der seelsorgerischen Thätigkeit oder der Erfüllung bürgerlicher Pflichten Seitens des Be⸗
treffenden. Darauf würde ich mich als Geistlicher berufen. Wird diese Erklärung anders interpretirt, so müssen wir uns von Neuem mit der Frage des Einspruchsrechts be⸗ Warum sollen diese Sachen hier nicht erörtert werden? Das kann unmöglich den Intentionen des heiligen
schäftigen. Stuhls entsprechen. Oder bestehen geheime Abmachungen
welche mit den Polen eine Ausnahme machen? Daruͤber
muß uns der Minister volle Klarheit geben, denn davon hängt die Selbständigkeit unseres ganzen Klerus und unserer Kirche ab. Die Revision des Gesetzes über das Kirchenvermögen habe ich immer verlangt, das Gesetz ist damals nur an⸗
genommen worden, weil sonst die Konfiskation des gesammten . Kirchenvermögens der katholischen Kirche Seitens des Staats
drohte. Das Gesetz widerspricht aber in seinen Grund prinzipien den vermögensrechtlichen Verhältnissen der katho⸗
lischen Kirche. Was den Vorsitz im Kirchenvorstand be⸗ trifft, so ist der evangelischen Kirche gewährt, was uns ver⸗ wehrt ist. Man hat die Qualifikation für den Vorsitzenden
des Kirchenvorstandes nur so weit gefaßt zu Gunsten der Alt⸗
katholiken. Der Minister Falkhat ja Alles gethan, um die Alt⸗ g Die Qualifikation muß aber wieder auf die Katholiken beschränkt werden. Im Herren⸗ hause hat sich der Justiz⸗Rath Adams für die jetzige Fassung des Gesetzes erklärt, aber den können wir nicht als Vertreter
katholiken in die Höhe zu bringen.
des Katholizismus anerkennen, denn er hat Beziehungen mit
den Altkatholiken. Mit den Friedensworten des Abg. Stöcker bin ich völlig einverstanden. Eine Polemik in anständiger wissenschaftlicher Form ist durch den Kulturkampf unmöglich Der Kulturkampf ist nicht von den Katholiken heraufbeschworen, diese sind vielmehr Wenn ich gesagt habe, der Papst regiere
geworden, und das wirkt noch nach.
in der Defensive. 1. 9 b die Welt, so ist das eine Ansicht, und diese kann nicht belei
digend sein, wenn sie nicht in beleidigender Form ausgesprochen
ist. Ich bleibe dabei, daß die päpstliche Autorität über die Welt herrschen soll. Enthalten etwa die symbolischen Büche
lauter Komplimente für die katholische Kirche? Die symbolischen Bücher sind Ihre Balken, Herr Kollege Stöcker! Die Zeit ist aber nicht dazu angethan, konfessionelle Polemik zu führen. Sprechen wir nicht nur in Worten zum Frieden, sondern
handeln wir auch danach. Dann können wir uns fest zu
sammenschließen zur Bekämpfung der destruktiven Ideen. Die sozialdemokratischen Tendenzen haben ganz andere Väter und erfreuen sich hoher Protektion. Gegen das jetzige Kultus⸗
Ministerium kämpfe ich nicht, denn ich kämpfe nur gegen einen
festen Gegner, und für fest halte ich das jetzige Ministerium
nicht.
Goßler:
Was die Bemärgelung meiner Bemerkungen über die Entstehung der letzten kirchenpolitischen Novelle im Herrenhause anbetrifft hin⸗- sichtlich der Bestimmungen, die auf die Vermögensverwaltung sich beziehen, so erkenne ich zwar an, daß im Plenum nar der Justiz⸗ Rath Adams gesprochen hat. Derselbe hat aber nicht als Katholik gesprochen, sondern als Berichterstatter, und hat getreu berichtet, daß
innerhalb der Kommission die Vorschläge bezüglich Aenderung des
Gesetzes von 1875, betreffend die Vermögensverwaltung, allseitig auf
Widerspruch gestoßen sind.
Der Schwerpunkt lag damals bekanntlich in der Kommission des
Herrenhauses. In dieser Kommissionssitzung sind eben gerade von katholischen L v 0
ai orschläge erhoben worden.
8 Was nun den Einspruch anbetrifft, so erkenne ich an, daß ich in keiner Weise dem Hause verschränken will und verschränken kann, über die Handhabung des Einspruchsrechts hier sich zu unterhalten Das Ein⸗-
spruchsrecht ist geregelt durch das Gesetz vom Jahre 1883. Selbstverständ lich kann die Ausführung eines solchen Gesetzes, welches durch den Landtag beschlossen ist, auch im Landtage diskutirt werden. Ich halte es nur
nicht für nützlich, daß dieser Punkt, der meines Erachtens ein rein
kirchlicher ist und im Wesentlichen von den kirchlichen Instanzen zu
beachten und zu regeln ist, hier von meinem Standpunkt aus zum
Gegenstand einer sehr eingehenden Untersuchung gemacht wird. Ich erkenne zunächst das Material nicht an, welches der Hr. Abg. von
Stablewsli vorgebrackt hat. Ich habe mein eigenes Material kann mir eben nicht denken, daß
nicht hier, und ich
das Materiai, welches er vorgebracht hat, vollständig ist.
Die Einspruchserhebung geschieht damals wie heute auf Grund mündlicher und schriftlicher Erörterungen zwischen dem Ober⸗Präsidenten und dem Erzbischof, und ich kann mir unmöglich denken, daß der Erzbischof alles dasjenige, was Gegenstand mündlicher und schriftlicher Erörterungen gewesen ist, dem Generalvikariat hat zugänglich machen
können, mit dem Zweck und Auftrag, diese Mittheilungen an die be⸗ treffenden Betheiligten gelangen zu lassen. Die Sachen liegen über⸗
haupt einige Jahre zurück. Wenn der Hr. Abg. Windthorst sagt, er kenne genau dasjenige, was zwischen der preußischen Regierung und dem päpstlichen Stuhl über das Einspruchsrecht verhandelt
worden ist, und daß mit diesen Verhandlungen im direkten Wider⸗
spruch das Verfahren der Regierung stehe, dann muß ich eben auch meinerseits den Beweis abwarten. Wenn er das so genau weiß, dann
verstehe ich nicht recht, warum er von mir verlangt, ich solle den
Schriftwechsel vorlegen. Ich bin nicht im Besitz dieses Schrift⸗ glaube es voll⸗ Sollten Sie Werth darauf legen, so bleibt nichts übrig, als einen Beschluß des Hauses zu extrahiren und die Regierung im Wege eines Beschlusses anzu- gehen, sie solle diejenigen Sachen, die als Staatsgeheimniß behandelt
wechsels. Was geschehen ist, weiß ich, ständig zu wissen.
werden, vor dem hohen Hause entwickeln. Ob die Regierung darauf eingehen wird, weiß ich nicht. Ich halte mich als einzelner Minister
nicht für berechtigt, hier Erklärungen abzugeben. Ich habe nicht ein⸗
mal ein einziges Blatt als Material hier, das unter Umständen
einem Ressort angehören würde, das ich als einzelner Minister auswärtigen Amtes.
Wenn die Bemerkung daran geknüpft ist, die Einspruchsfrage betreffe die Selbständigkeit der katholischen Kirche, so erkenne ich das an, aber ich glaube, weil das eben der Fall ist, kann man das
zu respektiren habe, das Ressort des
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von
n erhebliche Einwendungen gegen Abänderungs⸗
Vertrauen haben, daß der Papst und die Bischöfe, den Eneykliken des Papstes entsprechend, welcher für sich die Enrscheidung in kirchlichen Fragen in Anspruch nimmt, und eventuell die Bischöfe mit der Wahr⸗ nehmung dieser Rechte beauftragt, diese Frage selbst regeln würden. Bisher habe ich noch nicht gehört, daß der Papst irgendwie unzu⸗ frieden gewesen wäre über die Ausführung der erlassenen Gesetze. Was nun die weitere Andeutung anbetrifft, als ob außer diesen 5 polnischen Einspruchsfällen noch andere Fälle existiren, so habe ich diese Insinuation in der ultramontanen Presse vor einigen Jahren mehrfach gelesen. Das ist aber alles nicht richtig. Der Ober⸗Prä⸗ sident, der die Mittheilung empfängt über die beabsichtigte Anstellung eines Geistlichen, ist, wenn er darüber Bedenken hat, verpflichtet, an den Minister zu berichten. Ich setze mich gewöhnlich mit dem Fürsten Bismarck in Verbindung. Wir sind immer einig ge⸗ wesen, daß wir, abgesehen von diesen polnischen Sachen, niemals einen Einspruch erheben wollten, und wir haben jedesmal dem be⸗ treffenden Bischof und Erzbischof sagen lassen: der Ober⸗Präsident wird sich mit dir darüber unterhalten, aber nicht in der Absicht, Ein⸗ spruch zu erheben. Aber gerade den Anweisungen, welche der Papst hat an die Bischöfe ergehen lassen, entsprechend, sich friedlich und freundlich mit der Regierung zu benehmen, haben wir es unsererseits auch an diesem friedlichen und freundlichen Benehmen niemals feblen lassen. Denn, meine Herren, die Interessen des Staats und auch der katholischen Kirche laufen, das werden Sie anerkennen, in vielen Punkten vollkommen zusammen. Es kann doch dem katholischen Bischof nicht angenehm sein, einen Geistlichen anzustellen, gegen den ernstliche Gründe vorliegen, vielleicht Sachen, die allein eben die Staatsbehörde kennen kann, und dadurch einen Mißgriff zu thun. Ich kann ver⸗ sichern, daß wiederholt die Bischöfe dem Ober⸗Präsidenten gedankt haben dafür, daß er ihnen Mittheilung gemacht hat von Vorkomm⸗ nissen, die ihnen völlig unbekannt geblieben waren. Dasselbe geschieht ja auch bei uns, meine Herren. Wenn der Ober⸗Präsident Stellen landes⸗ herrlichen Patronats besetzen will — wir haben 500, seitdem ich mein Amt angetreten habe, besetzt — so passirt es uns sehr leicht, daß der Bischof sagt: nehmen Sie es mir nicht übel. Excellenz, aber der Feistliche paßt nicht hierher, — zum Theil nicht einmal aus zwin⸗ genden Gründen, sondern nur ratione temporis und ratione loci. Dann hat der Ober⸗Präsident gar keine Bedenken, dem Wunsch des Bischofs, wenn es irgend angeht, nachzukommen. Also ich sebe gar nicht ein, warum auf diesem durchaus breit getretenen Wege friedlichen und freundlichen Benehmens zwischen den Ordinarien der Diözösen und dem Ober⸗Präsidenten irgend ein Miß⸗ klang eintreten sollte. Ich kann nur versichern, daß die Ober⸗ Präsidenten von mir eine Instruktion bekommen haben, dahin gehend: ein formeller Einspruch wird nicht er⸗ hoben, das ist den Bischöfen einfach zu sagen; aber du hast die Aufgabe, auf das, was der Bischof nicht weiß und nicht wissen kann, aufmerksam zu machen. In vielen Fällen hat der Bischof seinen Vorschlag zurückgezogen, in vielen Fällen ist er bei seiner Meinung geblieben. Das ist eben der Lauf der Welt, und wenn Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet bestehen, so liegt kein Grund vor, irgendwie an Streitsucht oder Unfriedfertigkeit zu denken, sondern das lieat in der Natur der Verhältnisse. Ich bitte dringend, aus dieser Erörterung nicht etwa den Wunsch ableiten zu wollen, aß in dem friedlichen Einvernehmen, welches zwischen Ober⸗ Präsidenten und Bischöfen besteht, irgend eine Aenderung ein⸗ treten möge. 8r. b 8 1 18 Die Diskussion wird geschlossen und das Gehalt des Ministers bewilligt. Schluß 4 Uhe.
— In der gestrigen Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten erwiderte auf die Aeußerungen des Abg. Rickert der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler: 1
Meine Herren! Die beiden Fälle, welche der Herr Vorredner in der ersten Berathung vorgebracht hat, sind natürlich Gegenstand meiner Untersuchung gewesen, und ich will sogleich antworten, weil ich glaube, daß diese Sache außerhalb des Rahmens der großen Diskussion erledint werden kann.
Was die Anfrage anbetrifft, ob die Verfügung der Königlichen Regierung in Köslin aufrecht zu erhalten sei, so habe ich die Re⸗ gierung angewiesen, die Verfügung aufzuheben.
Es liegt hier ein Irrthum der Regierung vor. In der Sache selbst konnte kein Zweifel sein, da in zahlreichen öffentlich bekannt gegebenen Verfügungen und Erlassen vom Jahre 1833 an und noch unter dem Minister von Mühler ausgesprochen ist, daß die Regierungen nicht berechtigt sind, im Wege der Disziplin einen Lehrer von der Verheirathung abzuhalten. Was die Regierung hat erreichen wollen, ist aber etwas Gutes und ist auch im hohen Hause wiederholt als ein berechtigtes Ziel anerkannt worden. Einzel⸗ stehende Lehrer, wenn sie nicht durch eine Mutter, eine Schwester oder sonst eine nahe Anverwandte in ihrem Haushalt gestützt werden, thun gut, wenn sie die Ehe schließen. selbst wenn sie noch in ziemlich jugendlichem Alter sich befinden. Sie wissen, wie ich vom Volks⸗ schullehrerstand denke; ich wünsche, daß jeder Volksschullehrer als solcher ein Muster und Vorbild für seine Schulkinder sei, und ein guter und gesegneter Ehestand ist, glaube ich, im deutschen Volk immer noch das edelste und reizendste Vorbild.
Anders steht die Sache mit den jungen Lehrern, welche sich in sog. unverheiratheten Stellen befinden. Da ist es allerdings immer der Wunsch der Schulverwaltung gewesen, die jungen Leute, welche mit 21, 22 Jabren in die Stellung kommen, möchten nicht zu früh den Ehebund schliꝛßen; denn erfahrungsmäßig kommen sie dadurch sonst immer in Konflikt mit der Gemeinde. Zunächst ziehen sie in die nur für einen unrerheiratheten Lehrer berechnete Wohnung, die Kopfzahl der Familien wächst und nun beginnt der Kampf mit den Schulunterhaltungspflichtigen. Und in dieser Hinsicht zur Vorsicht zu mahnen, namentlich diejenigen Lehrer, welche noch nicht die zweite Prüfung abgelegt haben und noch nicht definitiv angestellt sind — das ist das Ziel gewesen, welches sich die Regierung in Köslin gesetzt hatte. Dieses Ziel zu erreichen, hat sie allerdings einen Weg be⸗ schritten, den ich nicht billigen konnte.
Was die andern Anfragen betrifft, so ist es erfreulich, daß nach der weitgehenden Einleitung des Herrn Vorredners seit 1886 kein anderer Fall vorzutragen war, in welchem es sich um einen politischen Druck auf die Lehrer handelt, als die Instruktion der Regierung in Magdeburg vom Jahre 1886. Diese bedroht die Lehrer unter Hinweis auf die Folgen des Diszipli⸗ nargesetzes, daß sie sich der feindseligen Parteinahme gegen die König⸗ liche Staatsregierung enthalten sollen. Der Erlaß Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm I. vom 4 Januar 1882 erwartete von allen Be⸗ amten, daß sie sich jeder Agitation gegen seine Regierung auch bei den Wahlen fernhalten.
Es wird dort erwartet, daß alle Beamten, welche den Eid der Treue geleistet haben, gegen die zeitige Staatsregierung nicht agitiren. Wollen Sie zwischen den beiden von mir angeführten Ausdrücken einen Unterschied finden, so mögen Sie es thun; die Regierung be⸗ streitet, daß sie etwas Anderes habe anordnen wollen, als was Se. Majestät Kaiser Wilbelm I. gebilligt hat. Es ist selbstverständlich, wenn Se. Majestät eine Anordnung trifft, daß die Beamten sich dar⸗ nach zu richten haben. Es wird den Herrn Vorredner beruhigen, wenn ich erkläre, daß in diesem Falle im Regierungsbezirk Magdeburg nicht ein einziges Mal Anwendung von diesem §. 3 Litt. a der In⸗ struktion gemacht worden ist. Sie werden daraus ersehen, daß jeden⸗ falls die Lehrer wie die Schulaufsichtsbehörden sich in korrekten Ver⸗ hältnissen befinden, und die Absichten Sr. Majestät, die im Jahre 1882 ausgesprochen sind, Seitens der Behörde wie Seitens der Lehrer zur Anerkennung gekommen sind. Damit schließe ich.
Zur Arbeiterbewegung. —
8 In der gestern bereits erwähnten allgemeinen Ve ammlung der Bergarbeiter auf den fiskalischen Gruben des Saar⸗ reviers, welche am 16. d. M. in Dudweiler stattfand, wurde
beschlossen, eine Petition an das Abgeordnetenhaus zu“
senden, worin die Wünsche und Forderungen der Bergleute präzisirt werden. Dieselben verlangen, wie wir der „Frkf. Ztg.“ entnehmen, neuerdings in der Hauptsache achtstündige Schichtdauer incl. Ein⸗ und Ausfahrtszeit, der Vertheuerung der Lebensmittel und den gestiegenen Kohlenpreisen entsprechende Erhöhung der Löhne, wobei für einen Hauer ein Mindestlohn von 4,50 ℳ festgesetzt wurde und Aufbesserung der Löhne auch im Maschinenfach gewünscht wird, ungehinderte Ausfahrt nach verfahrener Schicht (Fortfall der „eisernen Thüren“), Vorzug der Bergmannskinder vor denen anderer Berufsklassen bei der An⸗ legung, Wiederanlegung aller Bestraften mit Ausnahme noto⸗ rischer Messerhelden und Zuchthäusler, ein Schhiedsgericht mit geheimer freier Wahl, das auch bei Festsetzung der Normallöhne mitsprechen soll, freie Hand für die gesetzmäßige Thätig⸗ keit des Rechtsschutzvereins, sowie Ausarbeitung einer Arbeitsordnung im Rahmen dieser Forderungen. An Se. Majestät den Kaiser wurde telegraphisch der Dank der Bergleute übermittelt für das, was er in Wort und That zur Verbesserung der Lage der Arbeiter gethan. Mit dem Gelöbniß, treu am Rechtsschutzverein festhalten zu wollen, und einem Hoch auf den Kaiser ging die Versammlung, die in drei Sälen tagte, auseinander.
Am Sonntag versammelte der Geheime Kommerzien⸗Rath Freiherr von Stumm, der „Köln. Ztg.“”zufolge, die Arbeitervertre⸗ ter im Knappschaftsvorstande, die Knappschaftsältesten und die Betriebs⸗ chefs seines Eisenwerks in Neunkirchen, um ihnen den Entwurf einer neuen Arbeitsordnung vorzulegen. Freiherr von Stumm betonte beim Beginn der Berathung: seine Stellung zu den Arbeiter⸗ ausschüssen sei nach wie vor die, daß er zur Behandlung bestimmter gemeinsamer Angelegenheiten stets gern Vertreter der Arbeiter hören werde, wie er das von jeher gethan habe; das persönliche Verhältniß jedes einzelnen Arbeiters zu ihm werde er seinen Arbeitern aber niemals durch Mittelspersonen verkümmern lassen. Das entspreche auch vollkommen dem vom Stlaatsrath eingenommenen Stand⸗ punkt. In der vorgelegten neuen Arbeitsordnung werden unter voller Aufrechterhaltung der Erfordernisse einer gesicherten Disziplin die Strafen erheblich herabgesetzt und den Arbeitern neue werthvolle Rechte zugesichert. Sie wurde, laut „Saar⸗ und Blies⸗Zeitung“, Artikel für Artikel durchgegangen und erläutert, und fand mit unwesentlichen Abänderungen die einstimmige Billigung der Ver⸗ sammlung.
Aus Bochum schreibt man der „Köln. Ztg.“: Der 15. März ist vorübergegangen, ohne daß die Belegschaften derjenigen Zechen, welche Massenkündigung beschlossen hatten, von diesem Recht Gebrauch gemacht hätten. Die verständigen Arbeiter scheinen demnach die Mehrheit zu besitzen und ihren Einfluß auf die übrigen Leute geltend zu machen.
Der „Voss. Ztg.“ wird über den inzwischen beendeten Ausstand und die Arbeiterbeweqgung auf den Braunschweigischen Kohlenbergwerken Folgendes berichtet: Der erste Ausstand wurde von der Grube „Caroline“ gemeldet, deren Direktion darauf nach kurzen Verhandlungen den Bergleuten eine Lohn⸗ aufbesserung ron 30 ₰ für die Schicht zugestand. Die Ar⸗ beiten wurden in Folge dessen wieder aufgenommen; Gewalt⸗ thätigkeiten kamen nicht vor. — Auf der „Victoria, wo der Ausstand Donnerstag erfolgte, wurde ebenso schnell eine Einigung erzielt. Den Erdarbeitern, die den Ausstand mit Gewalt herbeiführten, wurde eine Lohnaufbesserung von 50 ₰ bez. 1 ℳ pro Tag, den Bergleuten 20 ₰ mehr pro Schicht zu⸗ gebilligt. Die verheiratheten Bergleute erhalten daneben hinfort jährlich 60 hl Kohlen unentgeltlich. — Auf der Grube „Treue’“ sind die Arbeiterunruhen durch Entgegenkommen der Direktion schnell beseitigt worden. Sämmtliche Grubenarbeiter, d. b. Bergarbeiter erhalten eine Aufbesserung ihres Lohnes um 10 ₰ pro Schicht, die Verheiratheten ebenfalls unentgeltlich jährlich 60 hl Braunkohlen. Von den im Tagebau beschäftigten Arbeitern erfahren die Vorarbeiter sowie „Kipper“ gleich⸗ falls eine Lohnaufbesserung um 10 ₰; sind die Arbeiter auf Tagelohn beschäftigt, so erhalten sie pro Stunde statt 25 jetzt 26 ₰. Die Arbeitszeit währt 10 Stunden, von Morgens 6 bis Abends 6 Uhr, mit einer einstündigen und einer lalbstündigen Frühstücks⸗ bezw. Vesperzeit. Sonnabend Abend wurden ungefähr 100 fremde Arbeiter (fast ausschließlich Polen), die, wie mitgetheilt, den Aus kand gewaltsam erzwangen, entlassen. Starke Gendarmerieposten sorgen für Aufrecht⸗ erhaltung der Ruhe. — In den Völpker Braunkohlen⸗ Bergwerken haben noch keine Bewegungen bezeichneter Richtung stattgefunden.
Aus Hannover wird der „Köln. Ztg.“ gemeldet, daß im Bergamtsbezirk Obernkirchen, Grafschaft Schaumburg, sämmtliche Bergarbeiter eine Lohnerhöhung gefordert haben.
Ueber den, wie gestern telegraphisch kurz gemeldet wurde, in Stettin ausgebrochenen Strike der Schiffszimmerleute be⸗ richtet die „Osts.⸗Ztg.“ Folgendes: Auf der Werft des „Vulcan“ befindet sich seit vorgestern der größte Theil der Schiffszimmerleute im Ausstand. Direktion und Aufsichtsrath der Gesellschaft haben, wie aus der folgenden, an die Arbeiter der Werft gerichteten Ver⸗ öffentlichung hervorgeht, nichts unversucht gelassen, den Ausstand zu verhindern, und setzen in anerkennenswerther Weise ihre Bemühungen fort, ein friedliches Einvernehmen mit ihren Arbeitern aufrecht zu erhalten. Das Schreiben lautet: b
„Nachdem die Zimmerleute der Werft bei der unterzeichneten Direktion unter dem 4. März den Antrag auf Lohnerhöhung bis zu 40 ₰ per Stunde eingereicht hatten, haben verschiedene Aussprachen mit der gewählten Kommission der Zimmerleute stattgefunden, und ist derselben am 5. März durch den mitunterzeichneten Hrn. Direktor Jüngermann im Beisein des Hrn. Ober⸗Ingenieur Steckzugesagt worden, daß alle Zimmerleute, welche einen Lohn von 33 ₰ pr. Stunde haben, auf 35 ₰ per Stunde erhöht werden sollten. Durch ein Schreiben der Kommission vom 7. März cr. wurde darauf geantwortet, daß die zugesagte Lohnerhöhung wie vorstehend von der am gleichen Tage abgehaltenen Versammlung der Zimmerleute abgelehnt und beschlossen worden sei, an den im Schreiben vom 4. März gestellten Bedingungen festzuhalten. Hieraus nahm die unterzeichnete Direktion Ver⸗ anlassung, die Angelegenheit dem Aufsichtsrathe der Gesellschaft zu unterbreiten, und wurde in einer Sitzung am 12. d. M. beschlossen, einen Vertrauens⸗Ausschuß der gesammten Arbeiterschaft der Fabrik einzuberufen, um mit demselben wegen der allgemeinen Lohn⸗ frage des Werkes in Berathung zu treten. Dieser Beschluß wurde der Kommission der Zimmerleute am 15. d. M. durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrathes Hrn. Geheimen Kommerzien⸗Rath Schlutow im Beisein der unterzeichneten Direktoren mitgetheilt, und gleichzeitig die Kommission ersucht, die Zimmerleute zu veranlassen, von weiteren Maßnahmen in der Lohnfrage so lange Abstand zu nehmen, bis der Vertrauens⸗Ausschuß des ganzen Werks zusammengetreten sei; letzteres sollte innerhalb 14 Tagen bestimmt erfolgen. Diesem angebotenen Ausgleich ist von Seiten der Zimmerleute aber nicht entsprochen worden, es haben dieselben vielmehr gestern Vormittag um 10 Uhr sämmtlich, mit Ausnahme von 20 Leuten, die Arbeit niedergelegt. Auf Grund des Vorstehenden richten wir nun an sämmtliche Arbeiter der Fabrik das Ersuchen, zunächst aus jedem der nachstehend verzeichneten Gewerke, und zwar jedes Gewerk für sich, je 3 Delegirte zu bestimmen, welche hierdurch am Donnerstag, den 20. d. M., Nachmittags 4 Uhr, auf dem Speisesaale der oberen Fabrik zu einer Delegirtenversammlung ein⸗ berufen werden. In der Delegirtenversammlung soll eine ein⸗ gehende Aussprache über die allgemeine Lohnfrage des Werks statt⸗ finden, und soll es sodann die Aufgabe der Delegirtenversammlung sein, einen Vertrauensausschuß von 10 bis 15 Leuten zu wäh⸗ len, welcher mit der Direktion in nähere Berathung wegen der allge⸗ meinen Lohnfrage sofort einzutreten hätte. Bredow, den 18. März
1890. Die Direktion der Stettiner Maschinenbau⸗Aktiengesellschaft „Vulcan“.“ Die „Osts.⸗Ztg.“ bemerkt zu diesem Schreiben: Es steht zu er⸗ warten, daß dieses Vorgehen der Verwaltung des „Vulcan“ bei den Arbeitern Verständniß und dankbares Entgegenkommen finden werde. — Zum Riemendreherausstand in Barmen meldet „W. T. B.“: Die Kommission der Riemendreherei⸗Besitzer ver⸗ öffentlicht in der „Westd. Ztg.“ eine Erklärung, welche besagt, daß bei fortdauerndem Ausstande der noch nicht wieder zur Arbeit zurückgekehrten 1 Gesellen am 21. März eine allgemeine Betriebssperre verhängt werden würde. Die Strikenden werden aufgefordert, die Arbeit aufzunehmen, da sonst 1800 ruhige Arbeiter brotlos würden.
In Essen fand am letzten Sonntag der „Rh.⸗W. Ztg.“ zufolge eine Versammlung von Erd⸗ und Bauarbeitern von Essen und Umgegend statt, in welcher über die Arbeitszeit und die Lohnfrage berathen und folgender Beschluß gefaßt wurde: „Die Versammlung zieht in Erwägung, daß wegen der Theuerung der Lebensmittel der Minimallohn von den Unternehmern und Meistern bei zehnstündiger Arbeitszeit auf 3,50 ℳ festzusetzen sei.“ Es wurde eine Kommission u.““ den Arbeitgebern diesen Beschluß zur Annahme vor⸗ egen soll.
„Aus Magdeburg berichtet die „Mgd. Ztg.“: Die Arbeits⸗ einstellungen in unseren Fabriken mehren sich mit jedem Tage. So haben die im Röhrenzug beschäftigten Arbeiter der Metall⸗ waarenfabrik vorm. J. Aders in Neustadt vorgestern Abend die Arbeit eingestellt; sie verlangen eine Lohnerhöhung, Verkürzung der Arbeitszeit und Abschaffung der Ueberstunden. Auch in der Stärke⸗ fabrik von A. Ernst u. Sohn in der Neustadt sollen die Arbeiter Behufs Erzielung höherer Lohnsätze die Arbeit nieder⸗ gelegt haben. Die Arbeiter der Koͤniglichen Haupt⸗ werkstatt in Buckau haben sich in einer Bitt⸗ schrift um Aufbesserung ihrer Lage an die Eisenbahn⸗ direktion gewandt; zum Strike dürfte es hier nicht kommen Ferner wird davon gesprochen, daß in noch zwei Fabriken Buckaus in den nächsten Tagen ein Strike ausbrechen werde. — Die Vertrauens⸗ männer der im Ausstand befindlichen Arbeiter der Wolf’schen Maschinenfabrik in Buckau haben dem Besitzer, Kommerzien⸗ Rath Wolf gegenüber in einer Konferenz versprochen, bei ihren Auf⸗ traggebern dahin zu wirken, daß die Arbeit ohne Verzug wieder aufgenommen wird.
Aus mecklenburgischen Städten berichten die „Meckl. Nr“ daß in Ludwigslust und Plau die Maurer⸗ und Zimmer⸗ gesellen, in Grabow die Maurergesellen, welche dem Fach⸗ verein angehören, die Arbeit eingestellt haben.
Wie früher mitgetheilt wurde, verlangten die Tischler⸗ gesellen in Bremen von ihren Meistern die Einführung der neunstündigen Arbeitszeit und drohten im Fall der Weigerung mit einem Strike. Zur Niederlegung der Arbeit haben, wie die „Wes. Ztg.“ berichtet, nur einige wenige Gehülfen Anlaß gefunden, da, wie in einer öffentlichen Versammlung der Tischlergesellen be⸗ richtet wurde, 138 Meister gegen 80 am 10. d. M. die neunstündige Arbeitszeit bewilligt haben. Nunmehr wurde ein an die Meister zu richtendes Cirkular formulirt des Inhalts, daß an den Sonntagen überhaupt nicht gearbeitet und an den Wochentagen für Ueberstunden ein Aufschlag von 50 % auf den vereinbarten Wochen⸗ oder Stunden⸗ lohn verlangt werden soll. In der Motivirung wird betont, daß die Gehülfen diese Forderungen nicht zur Erlangung eines übermäßig hohen Lohns, sondern nur darum stellten, weil das Heer der Arbeits⸗ losen verringert und die Gesundheit der Gehülfen geschützt werden soll.
Zu der Arbeiterbewegung in Großbritannien berichtet das „Wolff'sche Bureau“ aus Leeds: Der Kohlenmangel verursacht schwere Unzuträglichkeiten für die Einwohner, große Störung in allen Ge⸗ schäften; mehrere Fabriken und Hüttenwerke sind genöthigt, mit der Arbeit aufzuhören. Die Befürchtung liegt nahe, daß, Falls der Strife nicht mit Ende der Woche vorüber ist, es auch an Gas mangeln wird. Depeschen aus anderen Industriecentren in Yorkshire und Lancashire geben ein Bild gleichartiger Lage. In Burnley sind 30 Fabriken geschlossen, 6000 Angestellte ohne Beschäftigung. Gleichwohl haben mehrere Fabrikbesitzer die Forderungen der Bergleute bewilligt, und man hofft, dies Beispiel werde Nachahmung finden. — Ferner wird aus Liverpool ge⸗ meldet: Die Lage hat sich hier etwas gebessert; aus anderen Theilen des Landes sind gegen 13 000 Arbeiter hier eingetroffen, um die Strikenden zu ersetzen. In den Docks sind die neu ange⸗ kommenen Arbeiter bereits eingetreten. Die Strikenden hielten heute hier und in Birkenhead Versammlungen ab, in welchen beschlossen wurde, den Strike fort⸗ zusetzen. Der Sekretär der Arbeiter⸗Association Mac Hugh führte in seinen Ansprachen aus, daß die Arbeiter noch nicht Hungers zu sterben hätten; bevor dies einträte, könnten aber Akte der Ver⸗ zweiflung vorkommen. Das Unterhausmitglied Graham klagte in sehr heftigen Ausdrücken die Arbeitgeber und Kapitalisten an und er⸗ theilte den Arbeitern den Rath, sich nicht mit ihren Verhältnissen zufrieden zu geben. 8
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Vom linken Niederrhein, wird der „Rh. u. R.⸗Ztg.“ über den Saatenstand geschrieben: Der Frühling zieht mit Macht ins Land und es lohnt sich wohl, auf den Stand der Saaten einen Blick zu werfen und über denselben zu berichten. Im Allgemeinen stehen die Wintersaaten vorzüglich, dank der nicht zu nassen Witterung im Herbste bei der Einsaat und des trockenen Frostes im Dezember und Februar; dieser trockene Frost ist dem Unkraute mehr verderblich gewesen, als er der Saatfrucht geschadet hat; obgleich eine Schnee⸗ decke nicht vorhanden war, steht letztere, wie bemerkt, gut. — Der Roggen hat sich im Herbst kräftig entwickelt und zeigt ausnahms⸗ los ein gesundes Aussehen; bezüglich des Weizens wollte man Be⸗- denken hegen, allein es zeigt sich doch, daß auch diese Frucht den Winter gut überstanden hat. Auch die hier wenig angebaute Wintergerstee ist kräftig aufgegangen. Nur der Raps, welcher ebenfalls nur vereinzelt angebaut wird, scheint in einzelnen Strichen gelitten zu haben, es wird aber auf die Witterung ankommen, in- wiefern die gehegten Befürchtungen Grund haben; dasselbe ist von Inkarnat zu sagen, obschon man glaubt, daß diese Kleeart zum großen Theil eingegangen ist bezw. eingehen wird; einige Wochen günstiger Witterung kann aber auch bezüglich dieses, wegen des frühen Aufgehens fast unentbehrlichen Futtermittels, noch vieles zum Besten wenden. Auch im vorigen Jahre glaubte man, der Inkarnat sei vom 8 Frost vernichtet und doch erzielte man, wenn auch etwas spät, einen reichlichen Futterertrag. So treten wir mit den besten Hoffnungen in den Frühling hinein. 8
8 1q 8E11““ 8 In der gestrigen Generalversammlung der National⸗ Hypotheken⸗Kreditgesellschaft zu Stettin wurde der Jahresbericht vorgetragen; aus demselben ergiebt sich, daß am Schluss
des Jahres 1889 1214 Mitglieder mit 2223 volleingezahlten Geschäfts
antheilen = 666 900 ℳ zur Gesellschaft gehörten. — An Effekten in Reichsanleihe, Preußischer konsolidirter Anleihe und Landschafts
pfandbriefen waren vorhanden: 840 000 ℳ, Wechsel 35 000 ℳ, Depositen⸗ und Spargelder 166 800 ℳ, an Hypothekendokumenten 36 013 700 ℳ, an Pfandbriefen cirkulirten 35 116 150 ℳ% Der Reserve⸗
fonds in Höhe von 442 900 ℳ ist in Reichsanleihe, Pommerschen und Central⸗Pfandbriefen angelegt worden. Im Laufe des Jahres hat die Gesellschaft 1 316 150 ℳ Pfandbriefe mit 10 % Zuschlag aus der Cirkulation gezogen, die dadurch entstandenen Kosten wurden aus den laufenden Einnahmen bestritten, und kommt der nun verbleibende Reingewinn von 57 109 ℳ zur Vertheilung, was für jeden Geschäfts
antheil eine Dividende von 4 % ergiebt. Die Generalversammlung genehmigte diese Dividende und ertheilte dem Aufsichtsrath und dem Vorstand Decharge. . 8