soeben auch wieder gehört haben, würden bei der großen Masse der Lehrer vergeblich sein, weil der äußere Trieb vielfach fehlt. welcher — der Mens h ist nun einmal so beschaffen — ihn doch in
einer gewissen Lebendigkeit erhält; das Streben nach Vorwärts giebt
einen berechtigten Ehrgeiz und damit auch bessere Leistungen. Die Frage ist sehr leicht mechanisch zu regeln, aber wenn man die innere Gestaltung des Unterrichtswesens sich klar macht, so wird man es verstehen, daß die Verwaltung auf diesem Gebiet sehr vorsichtig vor⸗
gehen muß. 8
Wos nun die von den Herren Klose und Seyffardt angeregte Frage über das Unbeschäftigtsein der Kandidaten be⸗ triftt so werden Sie aus der Denkschrift über die Einrichtung eines Seminarjahres für Lehramtskandidaten ersehen haben, daß die Zahl der unbeschäftigten Kandidaten zu meiner Freude sich vermindert hat. Aber auch hier müssen die Herren sich gegenwärtig halten, daß die Städte, welche gerade auf dem Gebiete des Gym⸗ nasialwesens als Patronatsbehörden noch eine große Rolle spielen, sich ücksichtslos aus der Zahl der vielen Aspiranten diejenigen aus⸗ suchen, die ihnen am Besten passen, sodaß also für die Unterrichts⸗ verwaltung eine große Zahl von Kandidaten übrig bleibt, welche nur eine geringere Lehrbefähigung entweder nach der qualitativen oder nach der quantitativen Seite hin aufweisen. Und gerade wo es sich um Besetzung der Stellen an kleineren Anstalten handelt, ist es füuͤr die Staatsunterrichtsverwaltung äußerst mißlich, solche Herren, welche qualitativ oder quantitativ erheblich zu wünschen lassen, unterzubringen. Das sind Schwierigkeiten, die ich nicht zu unterschätzen bitte. Wenn die Herren sich persönlich an mich wenden, habe ich mich stets auf das Aeußerste bemüht, ihnen ein Unterkommen zu verschaffen; ich bin aber wiederbolt in einzelnen Provinzen auf die Unmäöglichkeit gestoßen, städtische Schulverwaltungen zu überzeugen, daß sie auch minder qualifizirte Kandidaten in den Lehrerverband auf⸗ zunehmen haben.
Was meine weiteren Ausführungen betrifft, so habe ich ja schon das Beste in der Generaldiskussion vorweggenommen. Ich will nur mit kurzen Worten auf das Programm eingehen, welches ich mir im vorigen Jahre gesetzt und welches ich unverrückt im Auge be⸗ halten habe.
Der erste Punkt, den ich unter Ihrer Zustimmung aufstellte, war der, daß man durch ein sorgfältiges Zurück⸗ drängen der Entwickelung der Gymnasien in Beziehung auf ihre Zahl und ihre Ausgestaltung, durch Vorsicht bei Neugründungen, durch Bevorzugung der lateinlosen Schulen, mit kurzer Unterrichtsdauer zu Ungunsten der Latein treibenden gymnasialen Lehranstalten vorgehen sollte. Es ist ja nicht zu erwarten, daß dieses Bemühen, welches mich seit einem Jahre beherrscht, sehr rasch reife Früchte trägt. Aber im Großen und Ganzen kann ich doch zu unserer allseitigen Beruhigung mittheilen, daß in dem ungesunden Andrang zu unsern höheren, namentlich gymnasialen Bildungsanstalten ein Stillstand eingetreten, vielleicht
gar schon eine Besserung zu verzeichnen ist.
Ich habe hier nur die Gegenüberstellung vom Jahre 1883 zum Jahre 1889 — die neuesten Zahlen für das Sommersemester. Wir hatten im Jahre 1883 253 Gymnasien, jetzt sind es 267; wir hatten 36 Progymnasien, jetzt 40; zusammen 289 gvmnasiale Anstalten, jetzt 307.
Die Schülerzahl hat sich aber nur um ein ganz geringes vermehrt, und zwar ist im Verhältniß zum Steigen der Einwohnerzahl ein erheblicher Rückgang zu verzeichnen. Denn während wir im Jahre
1883 im Ganzen 83 572 Schüler zählten, haben wir jetzt nur 83 786
Schüler; das giebt ein Plus von nur 214 Schülern im Zeitraum von 6 Jabren. Das ist ein über alles Denken günstiges Verhältniß im Vergleich zu der Zeit von Anfang der 70er Jahre bis in die
Kitte der 80er Jahre. 8
Bei den Realgymnasien ist ein Rücksang zu verzeichnen: Real⸗ gymnasien und Real⸗Progymnasien sind im Jahre 1883 gewesen 176, jetzt 171; es bedeutet das einen Rückgang von 890 Schülern Die realistischen Bildungsanstalten dagegen sind von 49 auf 58 gestiegen, ihre Schülerzahl hat sich um 6445 vermehrt.
Wenn ich die Gesammtschülerzahl zwischen 1883 und 1889 ver⸗ gleiche, so zeigt sich, daß im Jahre 1883 in allen höheren Anstalten zusammen 132 414 Schüler waren und im Jabre 1889 138 963,
odaß ein Plus von 6549 zu verzeichnen ist. Diese werden aber fast gänzlich absorbirt durch das Mehr der Schüler auf realistischen An⸗ lten im Betrage von 6445, sodaß nur 104 Schüler auf den agymuasialen und realgymnasialen Anstalten im Jabre 1889 mehr ind, als 1883. Eine so günstige Relation haben wir bisher noch icht gehabt. ö1I1n
1 Was speziell die höheren Bürgerschulen anbetrifft, so haben sich eren Schüler im Laufe von 6 Jahren um 3200 Schüler vermehrt.
Vergleiche ich nun den Winter 1880 mit dem Winter 1888/89
o, daß ich die Zahl der Schüler oder die Schülereinheit in Relation ringe zur Einwohnerzahl, so ergiebt sich, daß wir im Binter 1880 einen böheren Schüler — wie man den Ausdruck urz gebraucht — auf 220 Einwohner hatten, und 1888/89 auf 216, ei den Gymnasien 351 zu 356, bei den Realgymnasien 694 zu 843, ei den lateinlosen Schulen aber früher 4088, jetzt 1552. Sie sehen lso, daß in der Gesammtzahl bei den Gymnasien und Realgymnasien ich die Relation zwischen der Zahl der Schüler und der Einwohner⸗ ahl günstig gestaltet hat in dem Sinne, daß auf mehr Einwohner weniger Gymnasialschüler kommen; dagegen bei den lateinlofen
Schulen ist eine ganz außerordentliche Steigerung eingetreten, die
allerdings wesentlich darin ihre Erklärung findet — sonst wäre es zu
auffallend —, daß nach 1881 die Gewerbeschulen in die Klasse der Ugemeinen höheren Schulen eingetreten sind. 6 “ Was nun den Vorwurf des Abg. Dr. Arendt anbetrifft, daß die Regierung sich um die lateinlosen Bürgerschulen wenig gekümmert habe, so trifft das, was den Geldpunkt anbelangt, auch nicht einmal vollständig zu. In Hechingen wird zu meiner großen Freude — ich glaube, es war im vorigen Jahre — eine höhere Bürgerschule auf Staatskosten gegründet; in Emden und Göttingen werden erhebliche Zuschüsse gewährt dadurch, daß die früheren großen Zuschüsse, welche die Stadt an die Gyvmnasien leistete, zurückgerechnet worden sind in einer der Stadt günstigen Weise, so daß Emden indirekt einen
Zuschuß von 6000, Göttingen einen von 8000 ℳ erhält. Aber, wie
Fesagt, ich würde sehr glücklich sein, wenn die Schulverwaltung sich so entwickeln könnte, daß wir für die Gründung der sechsklassigen Buͤrgerschulen, ihre Uebernabme auf den Staat, mehr thun könnten, als es bisher der Fall gewesen ist.
Was nun megehapkhne und die Methode anbetrifft, so werden die Sachen im Wesentlichen gedeckt durch das, was ich neulich zu sagen die Ehre gehabt habe. Ich gehe auf diese Frage absichtlich bier nicht naͤher ein, da ja, wenn es mir gelingt, wie ich hoffe, einen
Gyvwmnasiallehrplan zu finden, ohne Rücksicht nehmen zu müsfen, auf die, welche die Einjährigen⸗Berechtigung zu erwerben
haben, in der That ganz andere Gesichtspunkt⸗ eintreten können wie bisher. Wenn der letzte Herr Vorredner seine methodologischen Er⸗ fahrungen hier vorgetragen hat, so darf ich darauf hinweisen, daß sowohl in meinen Lehrplänen von 1882 wie überhaupt in allen grund⸗ legenden Bestimmungen, welche die preußische Unterrichtsverwaltung auszeichnen, namentlich in der Verfügung von 1837 vom Minister Altenstein bereits in voller Klarheit es als Ziel hingestellt ist, daß niemals ein Lehrgegenstand als Zweck für sich, sondern nur jeder als untergeordnetes Mittel zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks zu betrachten und zu behandeln ist. Das ist die Aufgabe, meine Herren. In derselben Verfügung von 1837, die immer noch die letzte Grundlage für unsere ganze Schulverwaltung bildet, ist wesentlich auferlegt worden den Ordinarien und vor allen
Dingen auch den Direktoren, daß sie dahin zu wirken haben, daß einzelne Lehrer die ihnen gestellten Grenzen nicht überschreiten, daß sie durch eigenes musterhaftes Beispiel jedem jüngeren Lehrer die Möglichkeit gewähren, sich nach der Metbode des Direktors ein praktisch zu erreichendes Ideal zu bilden. Ich empfehle erneut die aus⸗ gezeichnete Instruktion von 1837 der allgemeinen Betrachtung. Es
ist sehr schwer, über diese methodologischen Frögen in einer großen
Versammlung zu sprechen. Jeder hat gewöhnlich nur eine einzige
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Anstalt vor Augen, diejenige, in der er selbst gewefen ist, oder die⸗
jenige, in die er seine Kinder geschickt hat; nur gesprächsweise hat er
die eine oder die andere kennen gelernt. Wir rechnen mit Hunderten von Anstalten, und ich, der ich das Glück habe, öfters in die An⸗ stalten hineinzukoemmen, kann versichern, daß diese Bilder so mannigfaltige und verschiedene sind, daß es mir immer schwer wird, aus allen diesen Eindrücken eine sichere Diagonale zu ziehen. Das müssen wir festhalten — das ist auch der Altenstein'sche Gedanke —, die Individualität der Lebrer muß man immer berücksichtigen, es ist dort auch festgestellt, daß niemals der Lehrer Professor sein soll, daß niemals die Universitätslehrweise in die Gymnasien herabgezogen werden soll, aber einem Lehrer seine Individualität zu verkümmern, ihn zu einem Schablonenmenschen zu machen, das ist vollkommen unmöglich, und da muß man unter Um⸗ tänden fünf gerade sein lassen. Es ist immer noch ein Glück für einen Schüler, sich an einem Lehrer emporzuranken und sich für ihn zu begeistern, und die ideale Richtung, die den Lebrer erfüllt oder erfüllen soll, spricht den Knaben am liebsten an, wenn der Lehrer in seiner ganzen 8Z“ praktisches Vorbild für die schöne hre bi ie er vorträgt. 8
.1.“— bG — es ist vorhin von Horaz gesprochen — ich kam einmal in ein katbolisches Gymnasium; es war lateinischer Unterricht. Ich wollte den Lehrer gern sehen, weil er mir als be⸗ sonders tüchtig geschildert war. Es wurden Aufsaͤtze korrigirt; ich bedauerte das, weil ich bei piesen grammatischen Sachen bei kurzem Aufenthalt nicht den gewünschten Einblick erhalten konnte. Da sagte der Lehrer: wenn Excellenz wollen, kann ich Horaz lehren, dazu brauchen wir keinen Horaz. Wir haben nun eine ganze Stunde Horaz gehabt, ohne den Horaz vor uns iu sehen. Ich möchte sagen, es war geradezu erquickend. Diese Knaben waren cht überbürdet; sie waren mit Feuer und Flamme dabei. Da sage garnicht zuviel, wenn ich meine: das ganze Wesen des Lehrers brachte es dahin, daß die Knaben mit einer hingebenden Aufmerksamkeit dem Lebrer folgten, und das war auch nicht etwa knöchern oder methodisch; nein, er ging auf die großen Züge ein, welche Horaz in seinen Oden verfolgt, die Liebe zum Vaterland, die Pflichttreue, das Wiederaufleben des Glaubens an die Götter. So hat der Lebrer ohne Buch den Horaz gestaltet, und ich kann nur sagen: glücklich solche jungen Leute, die einen solchen Unterricht haben! Da werden alle solche Hemmschuhe wie sie, glaube ich, vorher angedeutet wurden, zum Uebel; ich würde unglücklich sein, wenn ich einem solchen Lehrer fagen sollte, er solle statt dieser Form, wo die jungen Leute mit Lust und Liebe diese paar Oden auswendig lernen, eine andere wählen. — Die älteren Schüler beherrschen die ganzen Oden mit voller Sicherheit; das ist ein Gewinn ürs Leben. “ Ich will auf diese Sache nicht weiter eingehen; ich will noch die Religion berühren Sie werden auch aus meinen Bemerkungen vom Jahre 1882 den großen Grundsatz sehen: in den Schulen wird nicht Theologie gelehrt, sondern das Gemüth soll erfaßt werden. Dazu ge⸗ hören gewisse positive Kenntnisse; ohne die geht es nicht ab. Man muß ungefähr eine Ahnung haben, wie die betreffende Kirche sich ent⸗ wickelt hat. Man kann sich doch nicht darauf beschränken zu sagen: Christus ist in die Welt gekommen, nun sind wir katbolisch oder evangelisch Es kommt immer darauf an, daß man die positiven Kenntnisse benutzt, um einem jungen Menschen dicjenige Waͤrme zu eben, die er für das Leben, für die Stellung in seiner Konfession ge⸗ raucht.
Meine Herren, ich möͤchte bier noch hereiniehen — das habe ich vorhin vergessen; es gebört immer noch hinein der Enquete gegenüber, von der ich ja schon früher gesprochen habe. Ich habe verschiedene — ich kann wohl sagen — Angriffe erfahren, als ob eine solche Enqucte unnützlich wäre, und Hr. von Schenckendorff wies mit einem gewissen Stolz auf die 23 000 Herren hin, die im vorigen Jahre diese Petition hier vorgetragen haben. Meine Herren, in die 23 000 ist ein tiefer Spalt eingerissen, und das war dasjenige, was mich neulich zu der Aeuße⸗ rung bestimmte: dieser große gewaltige Reformverein ist in zwei Theile auseinander gegangen. (Zuruf des Abg von Schenckendorff) — Der eine ist todt? Na bitte, die Todten besuchen mich alle Woche einmal. Die Todten haben auch eine eigene Zeitschrift. Ich weiß nicht, ob sie Geld abwirft, aber ich habe den Eindruck, sie sind immer noch ganz vergnügt und munter. 8
Ich will noch ein Mißverständniß, welches, glanbe ich, nach dem Worklaut meiner neulichen Rede aufkommen könnte, beseitigen. Ich beabsichtige, die Gegner einzuberufen, nicht damit sie sich gegenseitig todt machen sollen, sondern ich will Sr. Majestät den Vorschlag unterbreiten, dafür zu sorgen, daß man typische Vertreter der einzelnen Richtungen hat, die untereinander Gegner sind, nicht, daß ich sie dazu benutze, um eine solche Verwirrung herbeizuführen, daß man schließlich sagt: es ist das beste, es bleibt beim alten. Es ist aber, glaube ich, viel richtiger, die Todten und die Lebendigen sprechen sich zu ein⸗ ander aus, nicht in großen Volksversammlungen, sondern in einer parlamentarisch geleiteten Enquetekommission.
Ich will nur mit einigen Worten streifen, was der Hr. Abg. Graf über die schwedische Einheitsschule gesprochen hat. Ich sehe, daß die neueren parlamentarischen Vorgänge in Schweden von ihm genau verfolgt worden sind. Meine Herren, ich bitte Sie, sich gegenwärtig zu halten, daß die schwedische Einheitsschule auf der fremden Sprache beruht. Das vergessen wir immer. Die schwedische Einhbeitsschule beruhr auf der deutschen Sprache; die deutsche Sprache wird in dem Unterbau, in den unteren Klassen in einem Umfange traktirt, wie wir auf den Gymnasien kaum das Latein traktiren Der bumanistische Zweig der schwedischen Einheitsschule ist mit fremden Sprachen daber noch mehr belastet, der mittlere Ast, welcher unseren Realgymnasien nahe steht, nicht minder, sodaß man sagte: die Schweden haben in ihrer Einheitsschule noch eine Sprache mehr, das ist ein sehr wesentlicher Unterschied gegen unser System, und es kann daher nicht Wunder nehmen, daß die Resultate der schwedischen Einrichtung zum Theil als genügende nicht anzusehen sind, weil eben das Deutsche in den Vordergrund gestellt, ohne daß eine Minderung der todten und lebenden Sprachen eingetreten ist.
Das Letzte, was ich noch erwähne, indem ich an⸗ knüpfe an die Ausführungen des Hrn. Dr. Graf, ist die Entwickelung unseres Turnwesens. Dieselbe ist mir Herzenssache, und wenn ich auch nichts Neues zu sagen habe, darf ich doch auf diesem Gebiete nicht nachlassen, wiederholte Anregungen zu geben. Wenn ich vergleiche, wie die Veranstaltungen zu Gunsten der körper⸗ lichen Entwickelung unserer Schüler in dem letzten Jahrzehnt sich ent⸗ wickelt haben, so kann ich sagen, es ist ein erheblicher Fortschritt ein⸗ getreten. Das, was erreicht ist, ist stellenweise nicht gut, es ist noch ungenügend; die Gründe sind verschieden, sie liegen zum Theil in der mangelhaften Ausgestaltung unserer Anstalten. Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß es nicht ganz richtig war, unser ganzes Turnwesen zu sehr in die Turnhallen zu verlegen. Ich selbst bin groß geworden zunächst auf dem freien Turn⸗ platz zu Potsdam; ich kann nicht ohne Bewegung an dem alten Turnplatz am Brauhausberg vorübergehen, der jetzt verödet daliegt. Ich bin später Hallenturner geworden mit der Begeisterung, die jeder Hallenturner entwickelt. Ez turnt sich in den Hallen gut, sehr viel besser; aber für die Unterrichts⸗ verwaltung, welche die körperliche Entwickelung im Durchschnitt zu verfolgen hat, ist gar kein Zweifel darüber, daß die Hallen nur als Ergänzung einzutreten haben dann, wenn die Witterungsverhältnisse es nicht ermöglichen, im Freien zu turnen. Ich weiß sehr wohl, man kann nicht so elegant, nicht so gewandt draußen turnen. man hat nicht die ausgezeichneten neueren Ge⸗ räthe, die im Freien keinen Bestand haben, aber es ist doch richtiger, im Freien zu turnen. Ich bhabe diesen Gesichtspunkt meinerseits bei⸗ einzelnen praktischen Veranlassungen früher allmählich, in neuerer Zeit systematisch zur Geltung gebracht. Leider ist die Kostenfrage auch bier eine sehr unbequeme. Ich halte da, wo ich es vermag, bei Gymnasien, vor Allem auch bei Lehrer⸗ Seminarien an der Regel fest: keine Halle ohne Platz, die Einrichtung der Halle mit besondexzem Schutz gegen schädliche Finwirkungen. Jeder, der viel geturnt hat, vei mit welcher ungeheuren Anspannung der Oberkörper dabei belastet ist. Ich kann
den Gedanken nicht los werden, daß die mechanisch suspendirten Theile sehr viel tiefer in die Lunge eindringen bei dem Turnen als bei anderen Uebungen. Ich babe also versucht, dabin zu wirken, daß bei allen Einrichtungen, bei meinen Revisionen vor allen Dingen, in verschiedenen Gemeinden immer Nachdruck gelegt wird auf gute Ventilation und auf gute Einrichtung zur Beseitigung des Staubes. Das geschieht mit einer Vorrichtung, indem man nicht den Boden naß macht, sondern durch eine Sprühvorrichtung, die den Luftraum mit Feuchtigkeit erfüllt; dadurch fällt der suspendirte Staub zu Boden und wird auf längere Zeit unschädlich. Aber das genügt Alles noch
nicht, meine Herren; wir brauchen vor allen Dingen noch mehr freie
Plätze. Nun ist es ja sehr ehrenvoll, daß Alles vom Staat erwartet wird, überall wird gewünscht, der Staat soll es machen. Aber ich glaube, in vielen Städten läßt es sich doch — ich möchte bloß an Görlitz erinnern — auch in bescheidenen Verhältnissen mit geringen Mitteln durch die freie Thäͤtigkeit der Bürger herbeiführen, oder durch die Mitwirkung der Kommune. Wenn man namentlich die Berliner Verhältnisse verfolgt, so ist es in der That doch kümmerlich, daß die ganze gesund⸗ heitliche Entwickelung auf 2 Turnstunden basirt werden soll. Wieviel Jungens gehen denn noch eigentlich spazieren, die Väter sind über⸗ lastet, die kümmern sich nicht um die Jungens, die Mutter sagt: geht raus! aber wo sie hingehen sollen, weiß im All⸗ gemeinen Keiner. Wenn die Gewässer des Thiergartens mit Eis bedeckt sind oder andere Partien in der Nähe Berlins, da ist es wirklich noch am schönsten, da kommen die Jungen wirklich zum Schlittschublaufen, zum Tummeln; aber im Uebrigen sitzen sie in der Stube, treiben sich berum und haben Vergnügungen, die ihre Nerven angreifen und nicht bessern. Ich habe nun, da sich nichts reglementiren läßt, dem Gedanken seit einigen Jahren in Privatgespraͤchen Ausdruck gegeben — es hat sich ein Unternehmen auch an diese Anregung geknüpft —, daß man hier doch versuchen soll, privatim oder mit Hülfe der Gemeinden, auch an verschiedenen Gegenden der Stadt Bauplätze oder sonst freie Plätze zu gewinnen, wo Knaben und auch Mädchen, namentlich der gebildeten Stände — da ist der Nothstand am arößten — in gewissen Stunden des Tages sich im Spiel erfreuen, wo sie gegen Witterungzeinflüsse geschützt sind, wo sie Garderobe ab⸗ legen können und beaufsichtigt werden in angemessener Weise, wo sie angemessen angeleitet werden zum Tummeln und zum Spielen in ver⸗ schiedenen Altersstufen. Ich weiß nicht, in welchem Stadium sich diese Angelegenheit jetzt befindet; ich boffe, in einem erfreulichen und gedeihlichen, und ich möchte diesen Gedanken, der sich ja noch sehr weit ausführen läͤßt, hier anregen, um wirklich die Herren, die in unserer Heimath einflußreiche Stellen haben, dringend zu er⸗ suchen, daß sie in ihren Gemeinden die Augen für diese Verhältnisse schärfen.
8 Es ist wirklich der Sohn eines gebildeten Mannes in großen Städten in einer ganz unglücklichen Lage; und diese Aussprüche über Nervosität unserer Kinder, über Ueberbürdung u. s. w. hängen wesent⸗ lich damit zusammen, daß eine angemessene Abwechselung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit nicht cintreten kann in großen Städten Wie ich Berlin als Knabe kannte, gab es noch Gärten. Hier war ein Garten, wo ich viele Monate meines Lebens glücklich ge⸗ spielt habe. Wie viele Orte giebt es noch im Innern der Stadt, wo Knaben aus gesitteter Familie spielen können? Auf der Straße geht es nicht, er wird dort auch leicht überfahren; die Höfe sind nach der alten Bauordnung höchstens 17 Fuß breit, es sind eigentlich gar keine Hoͤfe mehr sondern nur Schlote. Jedenfalls würden auch die Besitzer des Hauses, der Vizewirth sich wenig angenehm berührt fühlen, wenn die Knaben auf dem Hofe lustig sein wollten. Diese harmlosen Ver⸗ gnügungen, die früher waren, sind jetzt nicht mehr; überall konnte man Murmel spielen und man tummelte sich — davon ist keine Rede mehr. .
Dieser Nothstand liegt also vor und er kann von der Regie⸗ rung nicht allein geregelt werden. Ich weiß sehr wohl, daß es in allen Theilen des Staats wohlgesinnte und vortreffliche Männer giebt, die sich um die Sache kümmern; aber es ist eine Frage von viel größerer nationaler Bedeutung als allgemein erkannt wiro. Im großen Ganzen kommen wir so weit, daß die Kinder, wenigstens die Knaben, wenn sie verständig zeleitet werden und an körperlichen Uebungen Wohlgefallen haben — ein Bischen mehr spielen gelernt haben, wie früher und wissen, wozu ihre unteren Gliedmaßen vorhbanden sind. “
Ich habe noch — ich will das nur streifen und die Diskussion nicht aufnehmen — mich eingehend beschäftigt mit der Frage: was wird aus unseren jungen Leuten, wenn sie auf die Hochschule gehen. Ich habe eine große Enquete veranlaßt, welche vor einigen Tagen abgeschlossen ist, über die Einrichtungen in dieser Beitehung bei unseren Hochschulen. Da ist es ziemlich kläglich. Ich gebe mir die aͤußerste Muͤhe, mit den bescheidenen Mitteln, die ich habe, die Turn⸗ vereine zu fördern. Es giebt ja Universitäten, die da Erfreuliches leisten; ich will nur an Halle erinnern, aber der Durchschnitt ist so, daß höchstens ein Drittel unserer ganzen akademischen Jugend irgend eine körperliche Uebung macht. Ich kann ja sagen: mir ist es ziem⸗ lich egal, ob einer schlägt, ob einer rudert, ob er reitet oder turnt, wenn er nur etwas für die körperliche Ausbildung thut. Denn den Eindruck habe ich, und die Erfahrung habe ich immer gemacht: wenn diese glänzendsten Jahre aus dem Leben eines jungen Mannes ausgeschaltet werden und in diesen glänzendsten Jahren der Körper nicht mehr geübt wird, so ist er für die körperliche Urbung verloren, er kann dann machen, was er will. Ich habe noch als Referendar geturnt, ich habe meinen Körper auch später in Ordnung gehalten bis in die spätere Lebenszeit, und ich kann sagen, ich verdanke es gerade meiner Thätigkeit auf der Universität, daß dies der Fall gewesen ist. In unserer Jugend muß das Gefühl bekämpft werden, daß sie zu vornehm sei, um vor dem Publikum sich hin zu stellen, der Kritik sich preiszugeben. Das muß schwinden. Hat man sich in der Universitätszeit mit Tapferkeit durchgeschlagen, dann kommt die Einsicht, die über gewisse Bedenken hinweg hilft. man läßt es sich nöthigenfalls gefallen, bei seinen Uebungen gesehen zu werden. Es ist bereits die Einsicht soweit gestiegen, daß man sagt: den Vortheil hast du doch, wenn du auch die Uebungen nicht mehr so elegant machst wie früher.
Meine Herren, ich will hier, zumal ich das Ergebniß der Enquete vielleicht literarisch verwerthen lassen werde, nicht tiefer auf die Sache eingehen. Ich kann Sie nur recht inständig bitten, in Ihrer Heimath die Augen Ihrer Mitbürger zu öffnen und dringend dafür zu sorgen, daß die einflußreichen und wohlgesinnten Leute Hand anlegen, um eine Sache zu regeln, die im Interesse unseres Vaterlandes, der Ent⸗ wickelung des herrschenden Theiles unserer Nation von der ungeheuer⸗ sten Bedeutung ist. Es ist nicht möglich, die großen Aufgaben zu erfüllen in unserem Geistesleben, wenn der Körper nicht gestäblt ist. Es ist das ein Nationalvermögen, das nicht angegriffen werden darf.
Abg. Stöcker: Die klassische Bildung ist doch nun eir mal die Grundlage der deutschen Bildung, und ich kann mir nicht denken, daß es gelingen wird, die klassische und die realistische Bildung zu verschmelzen. Auf diesem Gebiete wird es immer bei der Doppelwährung bleiben. Die Be merkung des Abg. Dr. Arendt von der falschen Gelehrsamkeit ist mißverständlich. Die Gelehrsamkeit, welche zum praktischen Leben zurückführt, ist eine wahre Gelehrsamkeit. Man kann auch die Antike unterschätzen; ich würde etwas entbehren, wenn ich die Klassiker nicht in der Ur⸗ sprache gelesen hätte. Ohne die Klassiker eine gründliche Bildung zu erlangen ist sehr schwer. Unser ganzes geistiges Leben ist von der Antike durchzogen. Theologie, Jura, Philo⸗ sophie kann man ohne sie gar nicht studiren. Es kann Alles preisgegeben werden: Metrik und Haarspaltereien de Grammatik, Exerzitien und lateinische Aufsätze, aber das Lesen der Klassiker in der Ursprache gebe ich nicht preis Wir haben es da mit einer abgeschlossenen Geisteswelt zu thun, die uns das Höchste zeigt, wozu der Mensch ohne die Offenbarung aufsteigen kann. Der Vergleich dieser Bildung
bietet nur
Dann
deutschem
8 9 schen
angelegenheit zur der Zeichenlehrer an den höheren Lehranstalten.
Schülern ein gewisser Prozentsa
mit der neueren Bildung ist immer ein erhabenes Problem. Ich wüßte gar nicht, durch welches Element man den Werth der Antike ersetzen wollte. Die Ueberschätzung der Gelehrsamkeit hat bei den Realwissenschaften, bei den Naturwissenschaften, viel mehr geschadet, als bei den Sprach⸗ wissenschaften; die Ueberschätzung der letzteren hat nicht soviel geschadet als der Darwinismus. Man will auf der Schule alle Kenntnisse erlernen; das Ideal der Schule ist aber, daß die Schüler so lernbegierig gemäch werden fürs ganze Leben, und so lernkräftig, daß sie sich Alles aneignen können. Giebt es jetzt Jemanden, der im späteren Leben nochmals an seine Schulsachen denkt? Ich freue mich dessen, was der Minister über die körperlichen Uebungen gesagt hat. Es ist nicht genug, die Religion einfach neben anderen Fächern zu behan⸗ deln; dadurch wird die Religion herabgezogen. Die Religion ist der Geist, der Alles durchdringt; dann muß jeder einzelne Stoff davon durchdrungen werden. Das ganze Wissen, das geschichtliche und literarische, muß von der Religion durchdrungen werden, ann wird die Schule etwas leisten können zur Heranbildung des Charakters. Ich wollte aber eigentlich ein Wort sagen in Bezug auf die Ueberlastung der höheren Schulen mit jüdischen Elementen. Es sind auf diesem Gebiet gewisse Uebelstände vorhanden, welche für die Bildung der Schüler gefährlich werden. Es handelt sich um Uebelstände, die in gewissen Städten besonders verbreitet sind, namentlich in Breslau, Berlin, Frankfurt u. s. w. In Berlin sind von den Schülern 1898 jüdische, 6904 evangelische, 278 katholische und 26 dissidentische. In den höheren Klassen ist das jüdische Element im Verhältniß noch stärker vertreten. In dem ungeheueren Prozentjatz der Juden liegt die Gefahr. Aehnlich liegen die Verhältnisse in den höheren Töchterschulen, wo sie zum Theil noch schlimmer sind; in den höheren Töchterschulen sind 1639 jüdische, 3446 evangelische und 63 katholische Schülerinnen. Der Fall Boretius ist ja bekannt. Aber nicht bekannt ist die Verfügung des Provinzial⸗Schulkollegiums, in welcher es heißt, daß jetzt noch viele Plätze in den höheren Töchter⸗ schulen frei seien. Wenn aber einmal keine Plätze mehr frei sein sollten, dann würde das Provinzial⸗Schul⸗ kollegium erwägen müssen, ob nicht in die Konzessionsurkunde die Verpflichtung zur Aufnahme jüdischer Schüler auf⸗ zunehmen ist. Ich hoffe, daß das niemals geschehen wird, und bitte den Minister, darüber eine Erklärung abzugeben. Auch in den Volksschulen Berlins ist schon eine große Zahl
discher Schüler, sodaß es ganz am Platz wäre, besondere
jüdische Volksschulen einzurichten. Ebenso liegt es in anderen
Städten. Wenn zu der Ueberproduktion von Halbgebildeten das jüdische Element ein so großes Kontingent stellt, so wird die Gefahr noch größer. Ueber das konfessionelle Gebiet will ich nicht reden. Die große Zahl der jüdischen Schüler hat zur Folge, daß jüdische Lehrer angestellt werden. Wenn der nationale Geist überall zur Geltung gebracht werden soll, so ist alles Reden überflüssig, wenn der jüdische Lehrer Geschichte lehrt. Wie kann ein Jude die Geschichte so lehren, daß er den Gang Christi durch die Weltgeschichte darlegt? Ein Jude muß ja die Reformation und ihren Ein⸗ fluß auf die Geschichte begreifen können, aber er wird sich nicht dafür begeistern können. Die invischen Schüler und Schülerinnen sind ein aufhaltendes Element für die anderen; es fehlt ihnen eine ganze Menge von Kenntnissen, die den Christen geläufig sind. Das ist ein pädagogischer Nachtheil. Wenn wir uns die Energie des Denkens aneignen, die jetzt sehr nothwendig ist, können wir zur Abhülfe kommen. In Frankfurt a. M. sind zwei jüdische höhere Schulen begründet, und zwar von den Juden selbst. Warum sollen wir das nicht ebenfalls thun? Eine Schwierigkeit der Sabbath; an diesem ist keine Schule und am Sonntag auch nicht. Aber das ist kein Unglück. In Frankreich ist prinzipiell ein Tag der Woche frei und nur an 5 Tagen Unterricht. Die Juden bezahlen ihre Steuern, warum soll der Staat also keine jüdischen Schulen einrichten? könnte der Unterricht aufbauen auf konfessioneller Grundlage. Das nichtsglaubende Reformjudenthum ist viel gefährlicher als das altgläubige Judenthum. Aber sagt: In der Schule müssen die Juden mit Geiste durchdrungen werden. Die Schule ist dafür nicht der Boden. Religiöse Ideen sind nur dann wirksam, wenn sie in festen Formen gegeben wer⸗ den. Ein bloßes dämmerndes, in der Luft schwebendes Religionsleben ist nichts werth, es ist nicht geeignet, tüchtige Charaktere zu schaffken. Daß wir in solchen Prozentsätzen Juden in die deutschen Schulen aufnehmen sollen, ist keine Gleichberechtigung, das ist eine Mehrberechtigung. Die Zu⸗ lassung einer bestimmten Prozentzahl ist nicht möglich, denn dadurch wird die pädägogische Schwierigkeit nicht be⸗ Die Juden haben ja so viel Werth darauf eine jüdische Hochschule zu haben, warum sollen auch in den unteren Stufen besondere haben? Es ist eine Gefahr, daß die jüdi⸗ gebildeten Kreise von der Demokratie zur Sozial⸗ demokratie übertreten. Die Gleichberechtigung der Juden ist ausgesprochen, viele werden das schon bedauern. Wir müssen die Kräfte zur Bekämpfung der Juden stärken, wir müssen den sittlich⸗religiösen und deutsch⸗nationalen Geist auf den höheren und niederen Schulen verbreiten, und uns ein junges Deutschland heranbilden, welches eintritt für Deutschland bis
zum letzten Blutstropfen. Ich weiß, wie schwer es ist, in der
Judenfrage Punkte zu finden, welche zur Behandlung reif sind. Es sind nur zwei Fragen spruchreif: die freie Advokatur und die Frage der Ueberfüllung der höheren Schulen.
Abg. Knörcke: Ich wollte nur eine Spezial⸗ Sprache bringen: die Verhältnisse 1 1 Das will ich aber nun nicht thun, sondern dem Abg. Stöcker antworten, wie er es verdient. Wie kann der Abg. Stöcker solche Vor⸗ würfe erheben, wenn Eltern bestrebt sind, ihren Kindern eine möglichst hohe Bildung zukommen zu laässen? Wo sollen sie denn hin? Es ist anzuerkennen, wenn die jüdischen Eltern ihre ganze Kraft einsetzen, um ihre Kinder durch die höheren Schulen gehen zu lassen, damit sie sich ausrüsten
unen für das Leben und dereinst tüchtige Staatsbürger werden. Worin liegt das Unerträgliche, wenn neben den jüdischer sitzt? Unsere Lebensanschauungen
Das kann ich nicht verstehen. Sie scheinen eine Art Kultur⸗
ehen eben weit auseinander.
kampf gegen unsere “ Mitbürger anfangen zu wollen. Den Wünschen des Abg. Stöcker steht die Verfassung ent⸗
chieden entgegen. In seiner Rede war nicht eine Spur vom Geiste der christlichen Toleranz. Sie wollen nur das bekannte Wort „Juden raus!“ in die Wirklichkeit umsetzen. Was der Abg. Stöcker sagte, war alles Andere als
1
christliche Liebe und der
Geist des Protestantismus. Ein sehr ernster, sittlich gediegener jüdischer Mann, der seine Kinder hat taufen lassen, sagte mir, nach dem Vorgehen Stöcker's gegen das Judenthum habe er es hundertmal be⸗ dauert, seine Kinder der evangelischen Kirche zugeführt zu haben. Dieses Vorgehen wirke auch abstoßend auf seine Glaubensgenossen, welche damit umgehen könnten, ihre Kinder gleichfalls taufen zu lassen. (Lachen und Zwischenruse rechts.) Ob Sie mich unterbrechen oder nicht, ändert nichts daran, daß ich Ihnen meine Anschauungen offen und ehrlich darlege. Es ist nicht angemessen, daß Sie in dieser ernsten und wich⸗ tigen Sache eine Art zur Schau tragen, die anders wohin ge⸗ hört, als in die Volksvertretung. Der Abg. Stöcker sieht keinen anderen Weg zur Gesundung, zum Heil unseres Volks⸗ lebens als in seinen Vorschlägen. Wenn aber ein solcher Geist unsere Schulen erfüllte, so würde das zum Unfrieden und zum Unheil unseres Vaterlandes gereichen.
Abg. Dr. Enneccerus wünscht bezüglich der Ascensions⸗ verhältnisse der Lehrer, daß bei Vakanzen keine Lehrer aus anderen Provinzen eingeschoben würden, ferner eine An⸗ stellung nach einem geordnetem System auf Grundlage der Anciennetät und ein Rangiren der Lehrer durch die ganze Provinz in Bezug auf die Gehaltsverhältnisse, und schließlich besondere Zulagen an solche jüngeren Lehrer, welche wegen besonderer Tüchtigkeit schneller aufrücken als die übrigen. Die Schwierigkeit der Gleichstellung der Lehrer an den nicht⸗ staͤgtlichen Anstalten mit denen an den staatlichen ließe sich dadurch umgehen, daß. wo eine zu hohe Be⸗ lastung der Städte einträte, ein staatlicher Zuschuß gewährt würde. Ebenso wünschenswerth wäre eine Gleichstellung der Lehrer der nicht neunklassigen Anstalten mit denen der vollen. Bezüglich der Frage, ob humanistische oder Realgymnasien, schließt sich Redner den Ausführungen der Abgg. Graf und Stöcker an. Ein Zurückdrängen der alten Sprachen und Geschichte würde überaus bedenklich sein, denn unsere Geistes⸗ bildung und Kunst ruhen auf dem römischen und griechischen Alterthum, unser Recht ist in seinem wichtigsten Theile nicht verständlich ohne die Kenntniß des römischen Rechts. Die Resultate des humanistischen Gymnasiums sind vortreff⸗ liche. Die Ausführungen des Abg. Stöcker bedauere ich leb⸗ haft. Seine Vorschläge würden nur den Gegensatz zwischen Juden und Christen in den Kreisen verschärfen, die am meisten zur Pflege der Toleranz berufen sind, in den akademisch ge⸗ bildeten Kreisen. Ich bin so glücklich, jüdische Kollegen zu besitzen, und stelle sie in keiner Beziehung meinen christlichen nach. Die bedauerlichen Zustände, die der Abg. Stöcker be⸗ klagt, würden durch seine Maßnahmen nicht gehoben, sondern verschärft werden. Eine prozentuale Beschränkung der jüdischen Schüler der Gymnasien ist nicht möglich, denn die Frequenz der Gymnasien regelt sich nicht nach der Bevölkerungszahl. Wir bekämpfen was schlecht ist bei den Juden wie bei Christen und erkennen auch das Gute bei den Juden an, und etwas Gutes ist ihr Bildungstrieb. Keine Anstalt soll ihnen daher verschlossen sein.
Abg. Sombart: Ich glaube, daß der Vorredner den Standpunkt unserer Partei in der Judenfrage richtig ver⸗ treten hat. Ich selbst wollte nur mein Bedauern darüber aussprechen, daß die Realgymnasien geschädigt worden sind dadurch, daß ihre “ nicht erweitert worden ist. Man hoffte, daß den Realschülern das Recht zum Studium der Medizin und der Jurisprudenz gegeben werden würde. Weil das nicht geschehen ist, hat die Zahl der Abiturienten von den Realgymnasien abgenommen. Bei der Reform der höheren Schulen denkt man immer an die Berliner Verhält⸗ nisse. Aber man muß die Verhältnisse in den Provinzen ins Auge fassen. Es giebt nur 52 Städte, welche mehr als eine höhere Lehranstalt haben, 305 haben nur eine einzige. Unter diesen überwiegen die Gymnasien; deshalb wäre es nothwendig, für Realschulen und Gymnasien einen gemeinsamen Unterbau zu schaffen. Die Mittelschulen müßten die Handhabe zur höheren gewerblichen Ausbildung geben, und es müßte eine besondere Stelle für den Abschluß der gewerb⸗ lichen Ausbildung geben. Jetzt wird unsere technische Hoch⸗ schule mit einer Menge von Hospitanten belastet, welche dem Unterricht an der Hochschule gar nicht folgen können. Sachsen hat zwei solcher Anstalten, die uns fehlen: die Schulen in Chemnitz und Mittweida.
Abg. Theissing führt aus, daß Schulamtskandidaten, welche vor langer Zeit das Examen gemacht haben, noch immer nicht angestellt sind, während junge Leute zur An⸗ stellung gelangt sind. In Bezug auf die Ascension könnte ebenso wie bei den Richtern ein besseres System geschaffen werden; vielleicht könnte dadurch geholfen werden, daß den Lehrern Alterszulagen gewährt würden.
Abg. Rickert: Die vorhin gehörte Hetzrede eines evangelischen Geistlichen gegen einen großen Theil der Staats⸗ bürger war kein würdiges Blatt in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands. Der Abg. Stöcker war autorisirt von seinen politischen Freunden, diese Rede zu halten. (Ruf rechts: Jawohl!). Ich habe das an Ihren zustimmenden Rufen gehört. Sie haben die Rede mit Vergnügen entgegen genommen. So traurig die Thatsache ist, daß die Tribüne der Volksvertretung zu solchen Reden gemißbraucht wird, so wünschenswerth ist es doch, daß Feere Ziele vor dem Volke einmal klar gelegt werden. Ein
rediger christlicher Liebe sollte doch bedenken, welche Saat er da in die zarten Gemüther der lernenden Jugend senkt. Ich würde mich nicht wundern, wenn aus dieser Rede die Kinder in der Schule den jüdischen Mitschülern gegenüber die thatsächlichen Konsequenzen zögen. Aber schmerzlich war es mir, daß der Herr Kultus⸗Minister nicht ein einziges Wort der Erwiderung auf diese Rede gehabt hat; es wäre das doch die Pflicht des Kultus⸗Ministers gewesen. Wie konnte er als Wächter über die Bildung der Jugend auf solche Rede schweigen? Wenn es sich darum handelt, das jüdische Kapital zu engagiren, dann ist man auf der rechten Seite des Hauses nicht so skrupulös. Ich finde es erfreulich, daß die Juden
einen so regen Bildungstrieb bethatigen, wie es sich in dem
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Schulbesuche dokumentirt. Sie sollten sich nicht so gegen die Juden wehren. Stahl, der ein Jude war, hat auf Ihren Bänken gesessen, und ein Stahl wog 10 Stöcker auf. Der Abg. Stöcker glaubt nicht an die Kraft des nationalen Gedankens, deshalb will er die Juden aus der christlichen Schule entfernen. Es ist auch bloß ein taktisches Manöver, daß man jetzt die Juden mit den Sozialdemokraten zusammenwirft, denn man will den Haß gegen sie aufstacheln. Dabei ist es bekannt, daß sehr wenige Juden Sozialdemokraten sind. Auf die Toleranz sind wir immer stolz gewesen in Preußen. Von dem Geiste der
Toleranz, der in den Schriften Friedrich's des Großen weht,
war nichts in der Rede des Hrn. Stöcker zu bemerken. Der
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Verderben.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler:
Meine Herren! Ich bätte wirklich nicht erwartet, daß ein so
Stöcker getadelt bat, nicht darin gefunden Charakter der Rede, welche Hr. Stöcker gehalten hat, ein anderer war, und wenn zunächst der Ansicht Ausdruck geben, daß Hr. Rickert die Rede des Hru. Stöcker so bekämpft hat, wie er ge⸗
unseres höheren Unterrichtswesens zu regeln? — ist eines der schwierigsten für die Unterrichtsverwaltung; sie ist sehr schwierig im Verhältniß zwischen beiden christlichen Konfessionen, sie ist es nicht minder im Verbäͤltniß zu den jüdischen, zu den disüidentischen Elementen, mag man einen Standpunkt einnehmen, welchen man will in Bezug auf die Toleranz
jeder, gleichviel welcher Konfession oder Religion er sei, Zutritt hat zu den öffentlichen Schulanstalten. Er hat nur kein Recht die Lehren seiner Konfession vorgetragen werden. Das sind Grundsätze, welche denen, -die das -Allgemeine - kennen, geläufig sind. Darüber hinaus ist es aber klar daß, wenn eine starke konfessionelle Mischung eintritt, 8 Schwierigkeiten für die Unterrichtsverwaltung erwachsen.
die Simultanschulfrage hier oft erörtein hören. Wir können ja die Simultanschule nicht ganz aus dem Gebiete des Volksschu unter⸗ richts aueschließen, obwohl Sie ja wissen, daß ich allermaßen an⸗ gestrebt habe, diesen ewigen Zankapfel aus der Welt zu schaffen und zwar unter voller Zustimmung eines großen Theils auch der liberalen Seite dieses Hauses. Denn da, wo die Simultanschulen verschwunden
den Konfessionen auf diesem kommunalen Gebiete eingetreten.
Sehr viel schwieriger gestaltet sich aber die Frage in Bezug auf das höhere Unterrichtswesen. Meine Herren, wenn man das Volks⸗ schulunterrichtswesen konfessionell gestalten kann, so hat dies nur darin
wohnen, daß man also diese Kinder innerhalb eines übersehbaren Raumes konfessionell sondern kann. Das ist aber unmöglich in Bezug auf die hoͤheren Schulen; denn der Raum, den in einer Stadt wie Berlin z. B. Kinder zurücklegen müßten, wenn wir hier speziell katholische und speziell jüdische (Gymnasien hätten, wäre unter Umständen ein nicht zu überwindender. In anderen Städten, wie beispielsweise in Breslau, hat es sich von vornherein sehr leicht machen lassen, daß sich die Katboliken und Evangelischen getrennt haben, denn da wohnten in einem verhältnißmäßigen Bezirk zahlreiche evangelische und katholische Schüler. 3
Nun ist es gar keine Frage, wenn Sie die Entwickelung des höheren Unterrichtswesens verfolgen, in Betreff der konfessionellen Bevölkerung der höberen Schulen, daß da sehr merkwürdige Ver⸗ schiebungen und Veränderungen eintreten.
Ich darf an meine Rede, die ich neulich gehalten habe über die Verschiebung der Konfessionen, vielleicht anknüpfen. Das Material habe ich leider heute nicht mit; aber es ist interessant.
1883, wo ich für jedes Gymnasium genau habe feststellen lassen, welche Schüler und welche Lehrer den verschiedenen Konfessionen angehören. Sie werden aus dissen Zahlen, die vor mir liegen und von denen ich vielleicht noch einige verlesen werde, ersehen, wie schwierig die Stellung der Schulverwaltungen ist. Wenn Sie beispiels⸗ weise Schlesien von 1883, nach einigen Jahren soll eine neue Statistik auf⸗ genommen werden — so finden wir in Beuthen 89 evangelische,
zu Breslau 381 evangelische, dem Friedrichs⸗Gymnesium dort 128 erangelische, 12 katbolische und
in Kattowitz 81 evangelische, b Flisabeth⸗Gymnasium zu Breslau 242 evangelische, 17 katbolische
Verhäͤltnisse.
Nun bin ich sehr oft in der Laxe, Anstalten klar zu machen; und Sie werden, mögen Sie eine Anschauung haben, weiche Sie wollen,
mit Erfolg Unterricht geben können.
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die größten Schwierigke
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rend ibrer hohen Festtage die Schule nicht zu besuchen. Wir en
l 0 8 8 rituelle Behandlung auf eingetreten war, am halten. Wir
1 strengere Bevölkerung Erfolg Unterricht zu
der jüdischen 4
Theilen, wo eine noch mit
haben die
letzten Jahrzehnte aus Rußland nach Preußen gekommen waren, — zu thun. Wir sind dann genoͤthigt gewesen, weil die jüdische Schülerzahl zu greß war, den ganzen Unterrichtsplan umzuwerfen; wir haben am Sonnabend Unterricht er⸗ theilen müssen, welcher nach einem verständig aufgebauten Lehrplan nicht bätte in dieser Folge ertbeilt werden sollen.
Meine Herren. das ist gerade aus der Freiheit, mit welcher di preußische Unterrichtsverwaltung den Koafessionen gegenüber zu stehe Herren, daß man bei objektiver Betrachtung sagen muß das sind sehr schwere s Sehnsucht unter Umständen
bemerkbar macht, daß man
sagen; aber, wie gesagt, ich halte es im Großen und Ganzen nach
verschiedensten Konfessionen zusammengedrängt sind, zu einer solchen korfessionellen Sonderung des Schulwesens zu schreiten. Ich habe mich wieder auch auf diesem Gebiet mit stcatistischen Fragen beschäftigt und bin jetzt eben gerade dabei, über die preußischen Landesuniversitäten eine Publikation erscheinen zu lassen, welche für die künftige Generation die erste Grundlage bildet, um die Frage nach dem Antheil der Konfessionen an der Uni versitätsbildung zu erörtern Da will ich doch nun ei Mal, da die Fragen, die bier angeregt sind, von Bedeutung sind, darauf aufmerksam machen, daß nab einer Statisti
Schülerbevölkerurg der höheren Lehranstalten sich etwa 72 % evan⸗
also die Juden betrugen mehr als die Häͤlfte der Katholiken. Und diesem Prozentsatz entsprach auch die Statistik. welche für da Jahr 1886/87 für die Universitäten aufgebaut ist, dahin, daß auf den Universitäten von den Preußen, die dort studirten. beinahe 70 % waren. 8
Wenn man nun die Bevölkerung des preußischen Staats dami vergleicht, so kommt man zu dem Resultat, daß die Bevölkerung
“
Preußens dem mennlichen Theile nach bestebt aus 64 ½ % Evan⸗ gelischen, wenig über 34 % Katholiken und nur 1,29 % Juden.
Weg, auf den der Abg. Stöcker unser Volk leiten will, führt ins
lebhafter Appell an mich gerichtet mwerden würde. Ich habe alle die⸗ jenigen Heftigkeiten, die der Herr Vorredner an der Rede des Hrn. Ich glaube, daß der ich überhaupt das Wort ergreife, so will ich wünscht hätte, daß sie gebalten worden wäare, nicht wie
sie gebalten worden ist. Das Preoblem, welches der Hr. Abg. Stöcker angerührt hat: wie ist die konfessionelle Gestaltung
in oleranz Ich erinnere an die gesetzlichen Be⸗ stimmungen, welche im Großen dahin sich charakterisiren lassen, daß darauf, daß in bestimmungsmäßig konfessionell gestalteten Schulen Landrecht
erhebliche Wir haben
sind, ohne daß Nöthigung zu ihrem Bestande vorlag, ist Frieden unter
seinen Grund, daß auf einem enger begrenzten Raum viele Kinder
Ich habe eine Grundlage legen lassen über diese Frage im Januar
nehmen — wie gesagt, es sind die Zahlen 144 katholische und 174 jüdische Kinder; auf dem Johannis⸗Gymnasium 60 katholische und 85 jüdische, auf
150 jüdische, in Gleiwitz 84 evangelische, 235 katholische, 162 jüdische, 52 katholische, 124 jüdische, auf dem und 255 jüdische Kinder. Es sind in Posen und anderwärts ähnliche mir die Verhältnisse solcher . mir recht geben, es sind der Unterrichtsverwaltung darurch ungemessen schwierige Autgaben gestellt. In Berlin und anderwärts haben wir wiederholt den Unterricht ausfallen sassen müssen, weil die Juden ibhr Neujahrefest feierten. Es war nicht möglich, so viele Schüler in der Klasse zu halten, daß man hätte 1 Außerdem muß man doch auch dafür sorgen, daß die jüdischen Kinder nicht zu weit zurückbleiben; denn sie haben ja nach ibrer Religion vollkommen ein Recht darauf, 8 F
en die iten gehabt in Schlesien. Ich habe rrüber eine große Enquete vor einigen Jahren veranlaßt in West⸗
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preußen und anderwärts; es war nicht mözlich, in denjenigen . Seiten d Sonnabend Erfahrung gemacht, daß jüdische Kultusbeamte, welche im Laufe der
ibren Kindern absolut verboten, irgend etwas am Sonnabend
bemüht ist, wohl ganz erklätlich, aber ich folgere doch daraus, meine Aufgaben. Daß sich also eine zu einer größeren konfessionellen Trennung kommt, muß ich auch
den Verschiebungen unserer Konfessionen für unmöglich, wenn nicht, wie beispielsweise in Breslau, auf einen kleinen Raum Kinder der
erheblicher vom Jahre 1885/86 damals festgestellt worden ist, daß in der
gelische, 17,6 % katholische und 9,7 % jüdische Schüler befanden,
p. 8 8 8. 1 10 Evangelische, wenig über 20 % Katholiken und ungefähr 9 ½ % Jucen
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