Linden sowie den Weg bis zu dem Lehrter Bahnhof besetzt hielten; hier am Bahnhof hatten Tausende von Menschen sich aus bewegtem Herzen dem Kanzler ein Lebewohl zuzurufen. 1 1
818 bald nach 5 Uhr der Fürst aus seinem Palais trat und mit seinem ältesten Sohn den offenen Wagen bestieg, ertönten brausende Hochrufe und die Menge drängte an dem Gitterthor mit so unwiderstehlicher Gewalt vor, daß der Wagen und die ihm vorreitenden Schutzleute nur schwer sich Platz schaffen konnten. Zahllose kleine Blumen⸗ sträuße flogen dem Fürsten in den Wagen; aus den Fenstern der umliegenden Häuser, wie von den Damen, die am Wege standen, wurde der Kanzler mit Tücherschwenken begrüßt. So ging es den ganzen Weg entlang, und da der Wagen in dem Menschengedränge nur Schritt fahren konnte, wurde er fort⸗ während von kleinen Trupps begleitet, die nicht müde wurden, ihre Hurrahs dem Fürsten entgegenzurufen und die Hände nach ihm emporzustrecken: so Manchem gelang es, die and des Kanzlers, in dessen Gesichtszügen die tiefe innere rre⸗ gung über die herzliche, von aufrichtiger Dankbarkeit und Ver⸗ ehrung zeugende großartige Ovation sichtbar wurde, zu drücken. Niemand, der Zeuge dieser Abschiedskundgebungen war, blieb ungerührt, so manche Thräne entquoll auch dem Auge ernster Männer, und allen Theilnehmern wird die Abreise des scheidenden Kanzlers unvergessen bleiben. “
So glich die Fahrt nach dem Bahnhofe einem wahren Triumphzuge. Hier angelangt, drängte die vieltausendköpfige Menge unter Hochrufen an den Wagen und nur mit Mühe konnte der Fürst die Bahnhofshalle betreten. “
Auf dem Bahnsteige hatte auf Allerhöchsten Befehl Sr. Majestät des Kaisers und Königs eine Escadron des Garde⸗ Kürassier⸗Regiments mit dem gesammten Offizier⸗Corps, der Standarte und der Regimentsmusik Aufstellung genommen —
eine Ehrenbezeugung, wie sie bisher nur Mitgliedern regierender Fürstenhäuser erwiesen wurde. Zwischen diesem militärischen Spalier und dem zur I“ bereit stehenden Eisenbahn⸗ uge hatten sich von 4 Uhr a die Generalität, darunter der sommandirende General des Garde⸗Corps, die General⸗Adju⸗ tanten von Wittich und von Hahnke, Graf Lehndorff u. A., die Flügel⸗Adjutanten Sr. Majestät des Kaisers und Königs und zahlreiche andere Offiziere, das gesammte Staats⸗Ministerium mit dem Reichskanzler und Minister⸗Präsidenten von Caprivi und dem Vize⸗Präsidenten des Staats⸗Ministeriums von Boetticher an der Spitze, die Gemahlinnen der Staats⸗Minister, die Bot⸗ schafter mit ihren Gemahlinnen, das gesammte diplomatische Corps — dieses fast vollzählig —, die Chefs der Reichsämter, die Bevollmächtigten zum Bundesrath, die Direktoren und äthe des Auswärtigen Amts und des preußischen Staats⸗ Ministeriums mit zahlreichen Damen, außerdem aber nach Hunderten zählende Freunde des Fürsten und der fürstlichen Familie, Bekannte, Verehrer und Verehrerinnen versammelt, — hinter dem Spalier wiederum viele Hunderte von Glücklichen, denen es gelungen war, bis hierher vor⸗ ngen. hegane 20 Minuten nach 5 Uhr betrat Fürst Bismarck it der Fürstin und gefolgt von seinen Söhnen und seiner Schwiegertochter den Bahnhof. Die Kürassiere „präsentirten“, die Musik intonirte die Präsentirfanfare und das begeisterte Hurrah, welches den Fürsten von der Wilhelmstraße bis zum Eintritt in die Halle begleitet hatte, wurde hier von den Ver⸗ sammelten stürmisch aufgenommen. Der Fürst schritt die „Escadron ab, überallhin freundlich grüßend, von ihm Näherstehenden bald durch Händedruck, bald — wie von Minister von Maybach, Graf Lehndorff u. A. — in herzlicher Umarmung Abschied nehmend. “ 1
Nach kurzem, ernsten Zwiegespräch mit seinem Nachfolger, General von Caprivi, bestieg der Fürst den von Blumen⸗ spenden — darunter ein Veilchenkissen mit Lorbeerkranz und ein Blumenkorb von den Kaiserlichen Majestäten, sowie ein großer Strauß mit einer umflorten Weltkugel in der
itte — angefüllten Salonwagen. Vondiesem Augenblick an bis zu der etwa nach 5 Minuten erfolgenden Abfahrt des Zuges nahmen die Hurrah⸗ und Hoch⸗Rufe kein Ende. Bald mischte sich in dieselben der immer lauter, immer stürmischer widerhallende Ruf „Auf Wiedersehen“. Dazwischen durch⸗ brausten die Anfangsstrophen der „Wacht am Rhein“ und des Liedes „Deutschland, Deutschland über Alles ꝛc.“ die weite Halle, welche von fast allen Versammelten entblößten Hauptes mitgesungen wurden. Endlich ein schriller Pfiff, nochmals das
Kommando „Achtung — präsentirt das Gewehr“ und unter den Klängen des Präsentirmarsches, übertönt von den Zurufen des Publikums, verließ langsam der Zug die Halle. . Der Kanzler wird die Reichshauptstadt mit der Ueber⸗ zeugung verlassen haben, daß er dem Herzen des Volkes theuer ist und daß es tiefgefühlter Dank für seine unsterblichen Verdienste war, der sich in den Abschiedsgrüßen der Berliner Bevölkerung offenbarte. Diese dankbare Gesinnung wird von der ganzen Nation getheilt, welche mit schwerem Herzen een Kanzler scheiden sieht, aber fest entschlossen ist, die Güter, die sie dem großen Manne verdankt, das einige Deutschland und festgewurzelte Königstreue, zu pflegen und zu bewahren. Einen schöneren Lohn für sein Wirken und Schaffen wird der Fürst nicht finden können, als wenn er, auch fern von den Ge⸗ schäften, wahrnimmt, wie die Nation die Gefühle der Dank⸗ arkeit und Verehrung, die sie ihm jetzt darbringt, in Thaten umsetzt, treu zu Kaiser und Reich hält und sich der großen Zeit stets würdig zeigt, die sie in und mit der „Aera ismarck“ erleben durfte. An dem morgigen Tage, an welchem der Fürst sein 75. Lebensjahr vollendet, wird die Nation ihre Gedanken und Gebete dem stillen Hain von Friedrichsruh zuwenden und einig in dem Wunsche sein, daß — wie es Se. Majestät in dem Allerhöchsten Schreiben vom 20. März ausdrückte — sein „für das Vaterland uner⸗ setziiches Leben“ so lange wie möglich erhalten bleibe, und daß „Gott ihm noch viele Jahre eines ungetrübten und durch das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht verklärten Alters“
schenken möge.
Wir fügen hieran eine Mittheilung über die Ankunft des Fürsten in Friedrichsruh, welche Abends um 10 Uhr er⸗ folgte. Zum Empfange des Fürsten war aus Hamburg eine ge5 Compagnie, welche aus der ersten Compagnie des Hanseatischen Regiments Nr. 76 bestand, mit deren sämmtlichen direkten Vorgesetzten, an der Spitze General von Lesczinsky, bald nach 9 Uhr mit Extrazug auf dem Bahnhof eingetroffen, der mit Wappenschildern geschmückt und mit bunten Oellampen und Papierlaternen erleuchtet war. Die freiwillige Feuerwehr von Friedrichsruh hatte sich mit Fackeln am Wege vom Bahnhof nach dem Schloß aufgestellt, und auf
— . . “ “ öu“
dem Bahnhofe hatte sich eine große Menschenmenge aus Ham⸗ burg und aus der Umgegend eingefunden. Als der Zng einlief, spielte die Regimentsmusik den von önig Friedrich Wilhelm III. komponirten Armee⸗ marsch Nr. 1a „Aus der Jugendzeit“ als Präsentirmarsch. Vielstimmiges Hurrah — so berichten die „Hamburger Nach⸗ richten“ weiter — ertönte wieder und immer wieder, während der Fürst dem Salonwagen langsam, doch rüstig entstieg und die Front der Ehren⸗Compagnie abschritt. Mit dem Fürsten und seiner Gemahlin trafen Graf und Gräfin Wilhelm Bismarck, sowie Professor Dr. Schweninger in Friedrichsruh ein. Der Fürst unterhielt sich, — soweit das immer von Neuem wieder ertönende brausende Hurrahrufen der Menge es zuließ —, am Ende des Bahnhofperrons ange⸗ langt, eine Weile mit dem General von Lesczinsky, ihn wie die übrigen umstehenden Offiziere auffordernd, in sein Haus, von dem er freilich nicht wisse, wie weit es zum Empfang in Stand gesetzt sei, einzutreten. Fürst Bismarck gab seiner Ueberraschung Ausdruck, mit so hohen militärischen Ehren empfangen zu werden, mit der die von ihm angelegte Uniform in Widerspruch stehe. (Der Fürst trug die Interimsuniform der Halberstädter Kürassiere.) Nachdem General von Lesczinsky darauf hingewiesen hatte, daß der be⸗ schränkte Raum einen Vorbeimarsch der Ehrencompagnie doch nicht zuließe, was der Fürst lächelnd bestätigte, erwähnte Letzterer noch die Ovationen, die ihm bei seinem Ab⸗ schied aus Berlin vor wenigen Stunden dargebracht worden seien. Darauf legte er seinen Arm in den des Generals und schritt, die bereitstehenden Wagen verschmähend, zu Fuß nach dem Schlosse, gefolgt von den Offi⸗ zieren und unter beständigen Willkommensrufen des ihm dicht auf den Fersen folgenden enthusias⸗ mirten Publikums. Die Fürstin Bismarck bestieg mit ihrer Schwiegertochter ein Coup. Graf Wilhelm Bismarck und Professor Schweninger schlossen sich den Fußgängern an. Die Offiziere verweilten nur wenige Minuten im Schlosse, um dem Fürsten die wohlverdiente Ruhe nach den Aufregungen des bedeu⸗ tungsvollen Tages nicht unnöthig zu kürzen, und kehrten zu ihren am Bahnhofe weilenden Mannschaften zurück. Noch wenige Minuten und das Heim des großen Kanzlers lag in waldfriedlicher Ruhe da. 8 Heute Abend wird von Seiten Hamburger Bürger dem Fürsten zu Ehren in Friedrichsruh ein Fackelzug veranstaltet, zu welchem — wie „W. T. B.“ berichtet — die zahlreichsten Meldungen eingegangen sind; es werden zu diesem Zweck neeh Extrazüge von Hamburg aus nach Friedrichsruh ab⸗ gelassen.
Bezeichnend für den Charakter der Ovationen, welche dem Kanzler bei seiner Abreise von Berlin dargebracht wurden, ist es, daß der Berichterstatter des Pariser „Figaro“ seinen telegraphischen Bericht über das Ereigniß mit den Worten einleitet:
„Was sich heute in Berlin zugetragen, spottet aller Be⸗ schreibung; niemals hätte ich geglaubt, daß der Enthusiasmus der Deutschen solche Höhe erreichen könnte.“
Von den Kundgebungen, welche zu Ehren des scheidenden Kanzlers in diesen Tagen an verschiedenen Orten Deutschlands theils veranstaltet worden, theils beabsichtigt sind, liegen heute folgende Berichte vor:
In Berlin fand am Sonntag Vormittag eine vor⸗ bereitende Versammlung nationalgesinnter Männer statt, in welcher über eine Dankeskundgebung berathen wurde. Nach⸗ dem verschiedene Vorschläge, in welcher Art am besten der Dank für die Verdienste des Fürsten zum Ausdruck gelangen könnte, erörtert waren, wurde beschlossen, dem Fürsten zunächst
zu seinem Geburtstage eine künstlerisch ausgeführte Adresse
2
zu überreichen, alle weiteren Vorschläge — Errichtung eines Denkmals, einer Bismarck⸗Stiftung, eines Bismarck⸗Heims — aber einem Comité zur weiteren Berathung zu übergeben. In Bremen ist von einer Versammlung folgende Adresse an den Kanzler beschlossen worden: „Ew. Durchlaucht bittet eine zu dem Zwecke berufene, überaus zahlreich besuchte öffentliche Versammlung in Bremen, ihren ehrerbietigsten und tiefstempfundenen Dank entgegenzunehmen. Mit Gottes Hülfe ist es Ew. Durchlaucht Weisheit, Thatkraft und Treue gelungen, trotz unzähliger Hindernisse unser Volk zur lange ersehnten Einigung unter dem ruhmreichen Scepter üunser s unvergeßlichen Kaisers Wilhelm I zu führen und durch die von Festigkeit und Mäßigung geleitete, rastlose Arbeit zweier Jahr⸗ zehnte das Deutsche Reich stark und geachtet zu machen bei allen Völkern als Hüter der Gerechtigkeit und des Friedens. Beim Scheiden Ew Durchlaucht aus den hohen Aemtern, in welchen Sie zum Heil des Vaterlandes Unvergleichliches und Unvergängliches gewirkt haben. konnten wir es nicht unterlassen, unserem einmüthigen Gefühle aufrichtigster, nie erlöschender Dankbarkeit Ausdruck zu geben, und wir sind gewiß, daß unsere Dankes worte Widerhall finden bei den vielen Sähnen unserer Stadt, welche in allen Ländern und Meeren sich der Herrlichkeit und des Schutzes des mächtigen Deutschen Reichs erfreuen. Möge es Ew. Durchlaucht vergönnt sein, noch lange freudig das Werk Ihres Lebens in Frieden wachsen und blühen zu seben! Möge der Geist der Einigkeit und Kraft, welcher Ew. Durchlaucht in allem Thun beseelte, unser Volk stets erfüllen und in Treue scharen um seinen geliebten Kaiser!“ —“ 3 In Köln findet am 1. April in der Erholung ein Festmahl und im Vereinshause der Lese⸗Gesellschaft ein Fes⸗Commers zu Ehren des Fürsten statt. Im Civil⸗ Kasino wird aus dem nämlichen Anlaß am 1. April ebenfalls ein Festessen veranstaltet. 8 In Eisenach veranstaltete der nationalliberale Reichs⸗ verein am Donnerstag eine Vorfeier zu Fürst Bismarck's Geburtstag. Nach einer erhebenden Ansprache des Vor⸗ sitzenden Dr. Wedemann und nach einer fesselnden Festrede von Dr. Stechele wurde ein Telegramm an den Fürsten be⸗ schlossen. Mit einem begeisterungsvollen Hoch auf Se. Majestät den Kaiser schloß die Versammlung. 8 In Kaiserslautern fand gestern eine Bismarck⸗Feier statt, an welcher sich die pfälzischen Abgeordneten und ein überaus zahlreiches Publikum betheiligten. Ober⸗Bürgermeister Miquel hielt die Festrede und gedachte in längerer begeisterter Rede der unvergleichlichen Verdienste des Fürsten Bismarck um Kaiser und Reich. Die Feier verlief aufs Glänzendste. In Alsfeld findet am 1. April ein Festcommers zu Ehren des Geburtstages des Fürsten Bismarck statt.
Das „Armee⸗ Verordnungsblatt“ veröffentlicht eine Allerhöchste Kabinetsordre wegen Abänderungen und Ergänzungen der Wehrordnung.
Der Kaiserliche Botschafter Graf zu Münster ist von kurzem Urlaub nach Paris zurückgekehrt und hat die Ge⸗ schäfte der dortigen Botschaft wieder übernommen.
Der Königliche Gesandte in München, Graf zu Rantzau hat einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub ange⸗ treten. Während der Abwesenheit desselben fungirt der Legations⸗Sekretär von Lindenau als Geschäftsträger.
Der kommandirende General des II. Armee⸗Corps, General der Infanterie von der Burg und der General⸗ Lieutenant von Seeckt, kommandirender General des V. Armee⸗Corps, haben Berlin nach Abstattung persön⸗ licher Meldungen wieder verlassen; desgleichen der General⸗ Lieutenant von Bartenw erffer, Commandeur der 34. Division, der General⸗Lieutenant von Blomberg, Commandeur der 5. Division, der General⸗Lieutenant von Fischer II, Gouverneur von Metz, und der General⸗Lieutenant Freiherr von Willisen, Commandeur der 7. Division.
Der General⸗Lieutenant von Kaltenborn⸗Stachau, Commandeur der 2. Garde Infanterie⸗Division, ist von Urlaub und der Inspecteur der 1. Pionier⸗Inspektion, General⸗ Lieutenant von Bergen, von Dienstreisen hierher zurück⸗ gekehrt. 8
Der General⸗Lieutenant Edler von der Planitz, bisher Allerhöchst beauftragt mit Führung der Kavallerie⸗ Division des XV. Armee⸗Corps, welcher vor Kurzem zum Commandeur der Garde⸗Kavallerie⸗Division ernannt worden, ist zum Antritt dieser Stellung hier angekommen.
Zur Abstattung persönlicher Meldungen bei Sr. Majestät dem Kaiser und König sind hier eingetroffen der General⸗ Lieutenant Weinberger, Commandeur der 28. Division, und der General⸗Lieutenant von Lindeiner genannt von Wildau von der Armee, bisher Commandeur der 56. In⸗ fanterie⸗Brigade. 1114“
8 . 8
Am heutigen Tage findet die Verlegung der Artillerie⸗ Schieß⸗Schule nach der neuen Garnison Jüterbog statt.
Bayern. 3
München, 29. März. (Allg. Ztg.) Heute Mittag fand unter dem Vorsitz Sr. Königlichen Hoheit des Prinz⸗ Regenten eine Staatsrathssitzung über den Gesetz⸗ entwurf, das Justizgebäude in München betreffend, statt. Der Voranschlag beträgt annähernd 6 Millionen.
Bei dem Herzog und der Herzogin Max Emanuel sollte heute Abend eine größere Tafel stattfinden, zu welcher sämmtliche dem Civil angehörige Minister zugesagt hatten; auch Dr. Freiherr von Lutz, welcher seit seiner Genesung zum ersten Male wieder an einer Tafel außer seinem Hause erschienen wäre. Allein durch die so plötzliche, aber keineswegs gefährliche Erkrankung des Herzogs — die Masernerkrankung nimmt ihren natürlichen Verlauf — wurde die Tafel bis nach Ostern verschoben.
Sachsen.
Dresden, 29. März. (Dresd. Journ.) Ihre Hoheit die Prinzessin Karoline Mathilde zu Schleswig⸗Hol⸗ stein⸗Sonderburg⸗Augustenburg, Höchstwelche sich einige Tage bei Ihrer erlauchten Frau Mutter, Ihrer Hoheit der Herzogin Adelheid zu Schleswig⸗Holstein hier auf⸗ gehalten, ist heute Vormittag über Leipzig nach dem Schlosse Grünholz bei Eckernförde abgereist. — Se. Durchlaucht der Fürst Heinrich XIV. Reuß j. L. hat sich heute Vormittag nach Berlin begeben und wird von dort aus nach Gera weiter⸗ reisen. “ 1“
Karlsruhe, 28. März. (Karlsr. Ztg.) Ihre König⸗ lichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin sind heute Mittag gegen 11 Uhr von Weimar in Karlsruhe eingetroffen. 8
In der Zweiten Kammer wurde heute bei der Generaldebatte über das Finanzgesetz die Finanzlage von allen Seiten als eine besonders günstige anerkannt. Der Finanz⸗Minister sprach sich gleichwohl mit Rücksicht auf die Unsicherheit der Reichsüberweisungen und die steigenden Anforderungen des Landes gegen die vorge⸗ schlagene Steuerermäßigung aus.
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.
Weimar, 29. März. (Weim. Ztg.) Der Landtag des Großherzogthums ist nach Erledigung der Arbeiten heute durch den Vertreter der Regierung mit einer Ansprache ge⸗ schlossen worden, in welcher den Abgeordneten Dank und Anerkennung gezollt wird. .
Sachsen⸗Coburg⸗Gothaa.
Coburg, 30. März. (W. T. B.) Heute Mittag 12 Uhr fand in der hiesigen Herzoglichen Hofkirche, welche sich in einem Flügel des Herzoglichen Residenzschlosses „zur Ehrenburg“ befindet, die feierliche Prüfung und Konfirmation des Sohnes des Herzogs von Edinburg, Prinzen Alfred, Herzogs zu Sachsen, statt. Der⸗ selben wohnten der Herzog Ernst von Sachsen⸗Coburg Gotha, der Herzog und die Herzogin von Edinburg, der Prinz von Wales mit seinem Sohne Prinzen Georg in Vertretung der Königin Victoria von England und der Erb⸗ großherzog von Hessen bei. Ferner waren eingeladen: der Staats⸗Minister von Bonin, der General⸗Superintendent Kretschmar von Gotha, sämmtliche Staats⸗ und Hofbeamte von Coburg, der Commandeur des Infanterie⸗Regiments (6. Thüringischen) Nr. 95 von Usedom, der Commandeur und die Hauptleute des hier garnisonirenden Bataillons desselben Regiments. Endlich waren die Städte Coburg, Neustadt, Rodach, Königsberg (Thür.), Gotha, Ohrdruf,
Waltershausen und Zella durch Deputationen vertreten. Die
Einfegnung vollzog der General⸗Superintendent D. Müller unter Assistenz der Hof⸗ und Stadtgeistlichen. Der Ein⸗ segnungsrede war als Text zu Grunde gelegt: Offenb. Joh. 2, 10 „Sei getreu bis in den Tod ꝛc.“ Beichte und Abend⸗ mahl hielt Dr. Hansen. Abends fand Galatafel bei dem Herzog statt.
— 31. März. (W. T. B.) Herzog Ernst ist heute Vormittag nach Nizza abgereist. Anhalt. Dessau, 29. März. (Anh. St⸗A.) Der Landtag erledigte in seiner gestrigen Fvee. die zweite Lesung des Haupt⸗Finanz⸗Etats für 18 91.
Elsaß⸗Lothringen.
Straßburg, 29. März. Die Referendare Z1s e,
Scheid, Scholz, Bohnenberger und Stempel sind auf Grund der bestandenen Staatsprüfung zu Gerichts⸗ ssessoren worden. .
“ Großbritannien und Irland. 11u“ London, 29. (A. C.) Im Oberhause beantragte gestern Lord Granville die Suspension eines gewissen Paragraphen der Geschäftsordnung, um einer Reihe von Pes. 2 gestatten, den Protest der liberalen Partei im Ober⸗ ause gegen den den Bericht der Parnell⸗Kommission genehmigenden Beschluß des Hauses vom 21. d. M. nachträglich zu unterzeichnen. Die erwähnten Pairs waren während der Debatte über den Antrag, der zu dem Beschluß des Hauses ührte, nicht zugegen. Mehrere konservative Pairs beanstan⸗ ten den Antrag Granville's, der schließlich aber mit Zu⸗ timmung der Regierung mit 34 gegen 23 Stimmen zur An⸗
ahme gelangtee. 1 1
Frankreich.
Paris, 29. März. (W. T. B.) Der inisterrath beschäftigte sich heute wiederum mit der Frage der Ein⸗ führung lebenden Schlachtviehes aus dem Aus⸗
ande. Der Handels⸗Minister theilte mit, daß gegen den
0. April algerische Schafe eintreffen würden, von denen
ereits 32 000 unterwegs seien. Seit dem Verbot der Einfuhr
on lebendem Vieh habe die Einfuhr von Fellen beträchtlich ugenommen.
„In der Deputirtenkammer richtete Ferroul an den Minister des Innern Constans die Frage, ob er die staat⸗ ichen Arbeiter ermächtigen werde, sich am 1. Mai an der friedlichen Kundgebung zu Gunsten der achtstündigen Arbeit zu betheiligen. Constans erwiderte, die staatlichen Arbeiter seien überhaupt nur 7 Stunden in Thätigkeit, es sei also auch kein
Grund vorhanden, ihnen am 1. Mai für etwas Urlaub zu 8 das sie gar nicht wünschen. Der Minister betonte seine ürsorge für die Arbeiter, deren Besonnenheit er vertraue, dagegen mißtraue er den Parteileuten, welche sich an ihre Spitze stellten; schließlich gab er die Erklärung ab, seine Meinung in dieser Sache habe sich nicht geändert, er werde die Mani⸗
festation am 1. Mai nicht dulden.
Der Senat und die Deputirtenkammer haben sich bis zum 6. Mai vertagt. Heute Mittag versammelten sich etwa 2000 Arbeiter
in La Villette und zogen unter Führung einer Deputation von fünfzehn Mitgliedern durch den Faubourg Saint Martin
nach dem Höôtel de Ville. Die Polizei suchte die Menge u zerstreuen, was ihr aber nicht gelang. Die Deputation wurde vom Bureau des Munizipalraths empfangen und ver⸗ langte, der Munizipalrath solle den Ackerbau⸗Minister auf⸗ fordern, die Einfuhr lebenden Viehes zu gestatten, welches in den Schlachthäusern zu La Villette zur Observation gestellt werde. Das Bureau des Munizipalraths versprach, am Montag dies⸗ bezügliche Schritte zu thun.⸗Von hier setzte sich die Menge
nach der Deputirtenkammer in Bewegung. An der Brücke
daselbst wurde der Zug aber von der Polizei mit Erfolg aufgehalten und durste nur die Deputation passiren. In der Kammer be⸗ sprach sich dieselbe mit mehreren Abgeordneten. Als die Deputation das Palais Bourbon wieder verließ, beabsichtigten die zurück⸗ gehaltenen Manifestanten, welche auf der Place de la Con⸗ corde inzwischen gewartet hatten, ihr zu folgen. Die Polizei zerstreute jedoch die Menge ohne Widerstand. Die Wieder⸗ aufnahme der Arbeit in den Schlachthäusern wird in den nächsten Tagen erwartet.
— 31. März. (W. T. B.) Einer Meldung der Morgen⸗ blätter aus Kotonn zufolge haben die französischen
Truppen fünf Dörfer am Fluß Onemé eingenommen
und verbrannt.
Rußland und Polen.
St. Petersburg, 29. März. (W. T. B.) Das „Journal des Finanz⸗Ministeriums“ veröffentlicht die pro⸗ visorischen Ziffern der wirklichen Einnahmen und Ausgaben des Jahres 1889.
Die ordentlichen Einnahmen haben danach die Höhe von
922 564 000 Rubeln erreicht, d. h. 57 101 000 Rubel mehr als der
Budget⸗Voranschlag aufführt, und 24 356 000 Rubel mehr als die Einnahmen des Jahres 1888. Im Vergleich zu diesem Jahre 1888 sind die hauptsächlichsten Mͤehreinnahmen folgende: 11 525 000 Rubel aus den Staatseisenbahnen, 9 773 000 Rubel Coupons Einnahmen, 3 140 000 Rubel aus der Grundsteuer, 2 691 000 Rubel aus dem Petroleumzoll, 2 484 000 Rbl. ars Kapitaleinkünften des Tresors und der Staats bank, 1 894 000 Rbl. aus den Forsten, 1 767 000 Rubel aus Hilfsfonds, 1 764 000 Rbl. aus dem Zündhölzerzoll, 1 060 000 Rbl. aus Handel⸗ und Industriesteuer, 1 045 000 Rbl. aus dem Postbetrieb. Gegen den Voranschlag weisen von 29 Kapiteln
23 Mehreinnahmen auf. Ueber die durch das Ordentliche Budget
von 1889 eröffneten Kredite, welche in Summa 860 955 000 Rbl. be⸗ tragen, ist gegenüber diesem Budget nur eine einzige Mehr⸗
ausgabe von 7 Millionen Rubel für die neuen konsolidirten
Obligationen geleistet worden, deren einer Coupon zum
20. Dezember a. St. und nicht mehr am Anfange des neuen Jahres, wie vor der Konversion, zahlbar ist. Der Gesammtbetrag
der ordentlichen Ausgaben des Jahres 1889 kann daher 867 955 000 Rbl. nicht überschreiten und wird auch diese Summe nur erreichen, wenn
alle durch das Budget bewilligten Kredite vollständig in Anspruch ge⸗ nommen sind. Die ordentlichen Einnahmen weisen gegenüber den ordentlichen
Ausgaben einen Ueberschuß von wenigstens 54 609 000 Rbl. auf. Die aunßerordentlichen Einnahmen, welche auf 9 379 000 Rbl. veranschlagt waren, haben sich auf 61 032 000 Rbl. erhöht, ergaben also eine Mehreinnahme von 51 653 000 Rbl. In dieser Ziffer sind 36 171 000 Rbl. als Saldo der Goldanlrihe von 1889 enthalten, ferner 15 073 000 Rbl. Rückzahlung der von den Eisenbahngesellschaften aufgenommenen An⸗ leihen und 4 961 000 Rbl. Kriegsentschädigung. Die außerordentlichen Ausgaben betrugen 102 207 000 Rbl., wovon 34 207 000 Rbl. durch das Budget vorgesehen sind und 68 Millionen zur Amortisirung der 5 % Goldrente im Betrage von 50 Millionen und sämmtliche anderen Anleihen des Staatsschatzes im Betrage von 18 Millionen ver⸗
wendet werden. Die außerordentlichen Ausgaben werden die außerordent⸗
lichen Einnabmen um 41 175 000 Rbl. sherfcrigen. Diese Differenz ist jedoch vollständig gedeckt durch den Ueberschuß der Einnahmen des ordentlichen Budgets, welches nach Abrechnung dieser 41 175 000 Rbl. noch einen dispomblen Ueberschuß von 13 ½ Millionen Rubel ergiebt, welcher für die Erfordernisse des Jahres 1890 verwendbar ist. Dieser Ueberschuß wird sich noch durch diejenigen Kredite des Jahres 1889 vermehren, welche nicht in Anspruch genommen und annullirt werden sollen. 8
82 Ein Tagesbefehl des Kriegs⸗ Ministers vom 26. Februar d. J. veröffentlicht das neue, vom Kaiser be⸗ stätigte Reglement über die Verwaltung der
Truppen im Felde. Dasselbe wird, der „St. Pet. Ztg.“
zufolge, dadurch motivirt, daß das bisherige Reglement vom Jahre 1876, welches zur Heit des letzten Orient⸗ Krieges zur Anwendung gelangte, verschiedene ernste Mängel gezeigt habe; vugleich wird angeführt, daß durch die in letzter Zeit stattgefundene Vermehrung der Truppen⸗ zahl, die die Bestimmung at, auf einem Kriegsschauplatz verwandt zu werden, es nothwendig wurde, nicht mehr eine Armee mit einem Ober⸗Kommandirenden zu bilden, sondern einige Armeen, deren Befehlshaber dem allgemeinen Ober⸗ Kommandirenden unterzuordnen wären. Das frühere Regle⸗ ment wurde daher auf Allerhöchsten Befehl, den gegen⸗ wärtigen Bedingungen der Kriegführung entsprechend, einer totalen Umarbeitung unterzogen und neu redigirt. Das neue „Reglement über die Verwaltung der Truppen im Felde in Kriegszeiten“ zerfällt in drei Abschnitte und neun Beilagen und behandelt die Vorschriften des Stabs⸗Chess, des Oberst⸗Kommandirenden, die Regeln für die Zusammen⸗ stellung der Ausgabesummen für die Truppen in Kriegszeiten, die Genfer Konvention, die Thätigkeit der Feldkontrole, die Etappenverwaltung, die Feldpost und Telegraphen, die Ver⸗ waltung der einzelnen Truppenkörper ꝛc. und schließt mit der Bemerkung, daß in Zukunft die ganze Verwaltung des Militär⸗Sanitätswesens einem Dujour⸗General der Armee unterstellt wird. Die „Pet. Wed.“ erfahren, daß im Finanz⸗ Ninisterium alle Vorarbeiten zu einem neuen Zoll⸗ tarif für die europäische Grenze beendet sind und daß das Projekt nunmehr einer Anzahl Experten zur Begutachtung in redaktioneller Hinsicht überwiesen werden soll.
Italien.
Rom, 29. März. (W. T. B.) Das „Armee⸗ blatt“ veröffentlicht die Ernennung des Generals San Marzano, früheren Kommandanten von Massovah zum kommandirenden General des IX. Armee⸗Corps. Ferner sind 10 General⸗Majos zu General⸗Lieutenants, 16 Obersten zu General⸗Majors und 13 Obersten zu Brigadiers ernannt worden.
Die Deputirtenkammer hat sich heute bis zum 24. April vertagt.
— 30. März. (W. T. B.) Die „Agenzia Stefani“ dementirt die in einigen Journalen immer wieder auf⸗ tauchenden Nachrichten von bevorstehenden Aenderungen im Ministerium.
Portngal.
Lissabon, 30. März. (W. T. B.) Nach den bis jetzt vorliegenden Ergebnissen der heute stattgehabten Wahlen für die Deputirtenkammer hat die Regierung den Sitz für Oporto, wo der Minister der Kolonien gewählt worden ist, gewonnen. Die Republikaner sind in Madeira geschlagen worden und haben die Kandidatur in Lagos zurückgezogen; voraussichtlich werden sie, mit Aus⸗ nahme von Lissabon, keinen Gewinn zu verzeichnen haben. Die aus den Provinzen eingegangenen Meldungen lassen eine große Majorität für die Regierung erwarten. Von den 134 Deputirten, welche auf dem Festlande und Madeira zu wählen sind, rechnet das gegenwärtige Kabinet auf etwa 100, welche seine Politik unterstützen werden. Auf den Azoren sind 10 und in den sonstigen Kolonien 13 Deputirte zu wählen. Ruhestörungen sind nirgends vorgekommen.
Serbien.
Belgrad, 29. März. (W. T. B.) Das neue Ka⸗ binet ist, wie folgt, rekonstruirt: Gruic Präsidium, Aeußeres und Krieg, Vuic Finanzen und provisorisch Kultus, Tauschanovic Inneres und Handel, Gjorgjevic Justiz, und Professor Jossimovic Bauten. Das Amtsblatt ver⸗ öffentlicht ferner die Ernennungen zum Staatsrath. Die Skupschtina votirte mit Akklamation die Handels⸗ konvention mit Rumänien. Hierbei brachten einzelne Deputirte Hochrufe auf Rumänien aus.
Amerika.
Vereinigte Staaten. Washington, 27. März. (A. C.) Das Repräsentantenhaus genehmigte heute eine Vorlage, welche Wyoming in den Staatenverband der Union aufnimmt. — Die republikanischen Mitglieder des Finanzausschusses haben Häute wieder auf die Freiliste gesetzt und den Zoll auf Jutesäcke erhöht. — Der Senat hat eine Resolution angenommen, wonach das Pulvermagazin, welches sich bisher auf der Ellis⸗Insel, im Hafen von New⸗York, befand, von dort verlegt und die Insel als Landungsstation für die Einwanderer benutzt werden soll.
In Folge der Enthüllungen über die Mißwirthschaft im Sheriffsamte und einer gegen ihn selbst gerichteten Anklage hat der Sheriff von New⸗York, Flack, sein Amt niedergelegt.
— 28. März. (R. B.) Der Staatssekretär Blaine hat der argentinischen Republik einen auf Gegenseitigkeit begründeten Handelsvertrag angeboten.
Brasilien. Rio de Janeiro, 30. März. (W. T. B.) Ein Regierungsdekret untersagt die Veröffent⸗ lichung falscher Nachrichten und alarmirender Gerüchte sowie die Verbreitung derartiger Depeschen. Zuwiderhandelnde sollen vor ein Kriegsgericht gestellt werden
Asien.
Japan. Der Mikado eröffnete am 27. d. die Industrie⸗Ausstellung in Yokohama.
Parlamentarische Nachrichten.
Im 1. Frankfurter Reichstags⸗Wahlbezirk — Arnswalde, Friedeberg N.⸗M. — ist an Stelle des Ober⸗Bürgermeisters von Forckenbeck, welcher für diesen Wahl⸗ bezirk das Mandat abgelehnt hat, der Landrath a. D. von Meyer⸗Heipe (kons.) mit 6740 von 13 002 abgegebenen gül⸗ tigen Stimmen zum Mitglied des Reichstages gewählt worden; von Reibnitz (freis.) erhielt 6258 Stimmen.
— Im 7. Arnsberger Reichstags⸗Wahlbezirk
— Hamm, Soest — ist an Stelle des Freiherrn von Schorlemer⸗Alst, welcher das Mandat für diesen Wahlkreis abgelehnt hat, der Landgerichts⸗Rath Schneider zu Essen national⸗liberal) mit 11979 von 23096 abgegebenen gültigen timmen zum Mitglied des Reichstages gewählt worden. Kaufmann Racké in Mainz (Centrum) erhielt 11 117 Stimmen.
Zeitungsstimmen.
. ur Abreise des Fürsten Bismarck von Berlin schreibt die „Vossische Zeitung“: „Gestern klang im Herzen des Volkes eine Saite für nationale Größe vernehmlich. Das Auge blickte zurück in die Vergangenheit: wie war es, als er kam, mie ist es, da er geht? Wer wollte heute verkennen, welchen großen persönlichen Antheil er an der Erfüllung des nationalen Sehnens, an der Verwirklichung der Träume unserer Altvordern ge⸗ habt hat? Dem Werkmeister an dem großen Bau des deutschen Staats, dem ersten Mitarbeiter an dem neuen Reich wollte die haupt⸗ städtische Bevölkerung noch einmal ihre Huldigungen darbringen .. . Und noch Eines ist es, was die deutsche Bevölkerung dem Fürsten Bismarck zieht. Es ist nicht nur die erkennung seiner großen Thaten, nicht nur die Bewunderung seiner markigen Persönlichkeit, es ist jenes Gemisch von Willens kraft und Humor, von Weltverachtung und Weltliebe, welche das deutsche Gemüth besonders anzieht. Einst schrieb Fürst Bismarck an seine Frau: „Es ist mir, als wenn man an einem schönen September⸗ tage das gelb werdende Laub betrachtet; gesund und heiter, aber etwas Wehmuth, etwas Heimweh, Sehnsucht nach Wald, See, Wüste, Dir und Kindern, alles mit Sonnenuntergang und Beethoven vermischt.“ Das ist echt deutsche Stimmung und Empfindung, und von ihr ist nicht selten auch die öffentliche Wirksamkeit des eisernen Kanzlers beseelt gewesen. Und diese Stimmung hat gestern die Tausende erfüllt, die seinen Wagen umdrängten und noch einmal Hoch riefen wie bei dem Einzuge nach dem großen Kriegsjahr und noch einmal Tücher schwenkten, bis er den Blicken entschwunden war. Wehmuth erfüllte seine Freunde, Wehmuth seine früheren Gehülfen, und mit Wehmuth konnten auch seine Gegner gestehen: Ein gewaltiger Mensch, ein erbitterter Feind, aber — ein echter Deutscher!“
Eine Betrachtung der „Schlesischen Zeitung“ über den „Fürsten Bismarck als Begründer und Festiger des Reichs“ schließt mit folgenden Worten:
„ Ueberblicken wir den Gang der Ereignisse der letzten 12 Jahre bis auf den heutigen Tag, so ist das volle Maß unauslöschlichen Dankes, welchen Deutschland dem Fürsten Bismarck für seine Friedens⸗ thaten in dieser Zeit schuldet, gewiß nicht geringer als dasjenige, auf welches er als Begründer des Reichs Anspruch hat. Seine weitaus⸗ sehende äußere Politik hat es möglich gemacht, daß wir mit Oesterreich und Italien zu einem festen Defensivbündnisse vereinigt sind, ohne daß darum unser Verhältniß zu Rußland ein schlechteres geworden ist, als es im Jahre 1878 war. Im Gegentheil muß gesagt werden, daß grade in den letzten Jahren dieses Verhältniß, welches unser jetziger Kaiserlicher Herr gleich bei seinem Regierungsantritt pflegen zu wollen erklärte, sich wesentlich gebessert hat. Nicht minder groß⸗ artig sind die Leistungen unserer vom Fürsten Bismarck inaugu⸗ rirten sozialpolitischen Gesetzgebung gewesen. Auf doppelte Weise suchte Bismarck der sozialdemokratischen Volksverführung zu steuern. Durch ein scharfes Polizeigesetz wurde die sozialdemokratische Agitation erschwert, während gleichzeitig den berechtigten Wünschen der von ihrer Hände Arbeit sich nährenden Bevölkerung durch Schaffung einer Versicherungsgesetzgebung, wie sie in solcher Ausdehnung nie und nirgends bestanden hat, Rechnung getragen wurde. Wie die deutsche Politik Bismarck's zu Anfang der 60er Jahre den nationalen Inhalt der damals herrschenden großdeutschen Ideen er⸗ griffen, sie ihres radikalen Beiwerks entkleidet und dem nationalen Gedanken in der Folge durch ein starkes preußisches Königthum zum Siege verholfen hatte, so setzte er jetzt dem demokratischen Sozialismus das soziale, Kaiserthum entgegen, welches dadurch zum Vertreter aller berechtigten sozialen Reformen wurde. Damit brach Bismarck freilich mit dem Prinzip des wirthschaftlichen Liberalismus, welcher die per⸗ sönliche Arbeit wie eine käufliche Waare unter die Gesetze des Marktes gebeugt wissen will.
Die letzten Jahre haben Kummer und Sorge dem deutschen Volke in reichlichem Maße gebracht. Wilhelm der Siegreiche, der vielgeliebte erste Deutsche Kaiser im neuen Reich, bettete sein ruhmes⸗ müdes Haupt zur ewigen Ruhe, ihm folgte ins Grab sein Sohn, Kaiser Friedrich III, welcher, bereits den Tod im Herzen, den Thron seiner Väter bestiegen hatte. In dieser trüben und bewegten Zeit erschien die gewaltige Gestalt des eisernen Kanzlers als der einzige feste Punkt, auf welchen die Nation hinblicken und an welchem sich die deutschen Herzen aufrichten konnten.
Wieder stehen wir an der Schwelle einer neuen Zeit. Möge das, was sie uns bringt, dem Vaterlande zur Ehre und zum Segen gereichen. Möge das Band der Einheit, das die deutschen Stämme umschlingt. immer fester und unzerreißbarer werden, möge die Stimme Deutschlands im Rathe der Völker das Ansehen und Ge⸗ wicht behalten, welches sie durch den Fürsten Bismarck erlangt hat. Vertrauensvoll blicken wir zu unserem jugendlichen Kaiser emvor. Wir wissen, daß er seine ganze Arbeits⸗ und Schaffenskraft dem Wohle des Reichs und Preußens zu weihen entschlossen ist. In die neue Zeit hinein aber ragt noch die mächtige Gestalt des greisen Kanzlers. In alter Treue schlägt sein Herz für das geeinte Vaterland. Den Dank, den wir ihm schulden, vermögen wir in Worte nicht zu kleiden. Wir können ihn nur bethätigen in heißer Liebe zum Vater⸗ lande, in unerschütterlicher Treue zu Kaiser und Reich.“
Die „Pall Mall Gazette“, welche schon wiederholt der Initiative Kaiser Wilhelm's II. zugejubelt hat, schreibt in ihrer Nummer vom 29. März:
„Der Kaiser hat durch seine Initiative in dieser Arbeiterschutzkonferenz etwas gewonnen, was mehr gilt, als alles Murren hochgestellter Per⸗ sönlichkeiten, nämlich die Dankbarkeit der Leidenden. In England scheint man vielfach zu glauben, daß diese Dankbarkeit stark enttäuscht werden und der Erfolg des Kaisers höchstens ein Achtungserfolg sein wird. Diese Ansicht ist sehr kurzsichtig und unüberlegt. Die Konferenz ist ein großer Erfolg geworden, sowohl was die augenblick⸗ lichen wie die künftigen Ergebnisse anlangt. Der Kaiser hat es er⸗ zwungen, daß die Sozialreform als Gegenstand internationaler Ab⸗ machungen anerkannt wird.“ M
Die meisten heutigen Londoner Morgenblätter be⸗ sprechen, wie „W. T. B.“ meldet, das Ergebniß der Arbeiterschutz⸗Konferenz in sehr sympathischer Weise und versprechen sich davon heilsame Folgen. Die „Morning⸗ Post“, die „Times“ und der „Daily Telegraph“ be⸗ glückwünschen den Deutschen Kaiser in der wärmsten Weise, die Initiative zu diesem humanitären Werke ergriffen zu haben.
Theater und Mufik.
8 Deutsches Theater.
Am Sonnabend gelangte „König Midas“, ein Schauspiel in vier Akten von Gunnar Heiberg zur ersten Aufführung. G. Heiberg gehört jener Reihe nordischer Dramend chter an, deren Auserwählte, Ibsen und Björnson, auch bei uns in Deutschland längst gewürdigt sind und großen Einfluß auf die Entwickelung der dra⸗ matischen Produktion gewonnen haben. Heiberg hat von den er⸗ wähnten beiden Vorgängern gelernt, seinen Bühnenstoff wirkungsvoll zu entwickeln und aufzubauen, sodaß in den Zuschauern das Gefühl fieberhafter Spannung nicht nur er⸗ regt, sondern dauernd erhalten wird; er strebt, wie sie, dem starken Realismus in der Sprache nach und behandelt, wie sie, den Konflikt mit schonungsloser Aufrichtigkeit; und doch trennt 8 trotz dieser äußeren Aehnlichkeiten, ein tiefer Abgrund von der Welt⸗ anschauung der Häupter jener, wenn man so sagen darf, pessimistischen Schule. Heiberg kämpft in effener Empörung gegen die düstern Geisteshelden, welche allein die sittliche Wahrheit zu besitzen glauben, welche mit grausiger Härte jede Schwäche des menschlichen „Herzens, jeden Fehlbetrag an Geist und Gemüth
bloßlegen und — Niemandem zum Nutzen, Vielen zum Verderben — den