der Hand, daß das bisherige Zahlenverhältniß von Lehrern zu
Schülern nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Paßt dieser Ver⸗
gleich auch nicht ganz, so paßt er doch jedenfalls darin, daß die
unterste Klasse dieser Schule, d. b. die Rekrutenzahl sich mit einem
Schlage um 50 % vermehren würde, und daß dieser Um⸗
stand eine sofortige Erhöhung des Etats an Offizieren und
Unteroffizieren bedingen müßte, und zwar nicht, wie wir dies als
dringend nöthig nachweisen könnten, Behufs Stärkung des Heeres, sondern lediglich, um nothdürftig die bisherige Ausbildungsfähigkeit zu erhalten. Aber nicht nur, daß das Lehrerpersonal an und für sich unzureichend würde, es würde uns gleichzeitig der Jahrgang ge⸗ nommen, aus welchem wir für die erste Rekrutenausbildung einen großen Theil des Lehrerpersonals zur Zeit beziehen. Ich möchte hierbei gleich auf die Schwierigkeit hinweisen, die für den Unteroffizier⸗ ersatz entstehen würde, und möchte wohl wünschen, daß Sie Umfrage halten könnten bei unseren vielgeplagten Compagnie⸗Chefs, zu deren nicht geringster Sorge diejenige gehört für die Ergänzung ibres Unter⸗ offiziercorps. Meine Herren, es liegt in der Natur der Dinge, daß der Hauptmann sich vorzugsweise seine Unteroffiziere aus den Leuten aussucht, die er näher kennen gelernt hat, und daß somit das Be⸗ ginnen dieser Auswahl und das allmähliche Beginnen der Erziehung für diese Charge sich vornehmlich auf die Mannschaften des dritten
Jahrgangs erstreckt. Beseitigen Sie diesen Jahrgang, so beseitigen
Sie damit die natürlichste und beste Gelegenheit für die Ausbildung es Unteroffiziercorps. b
Die etatsmäßige Vermehrung, deren wir, wie vorhin bemerkt, sogleich bedürfen würden, würde sich bei mäßigen Ansprüchen belaufen bei den Truppen niedrigen Etats auf einen Offizier per Compagnie, d. h. bei 318 Bataillonen auf je vier Second⸗Lieutenants, was unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden Etatstitel eine jährliche Ausgabe von 1 956 456 ℳ repräsentiren würde. Beziffern wir den Mehrbedarf der Unteroffiziere bei allen Bataillonen auf je 20, so würde dies die Summe von jährlich 5 639 100 ℳ darstellen. Meine Herren, wenn Sie auch vor einer Bewilligung dieser Summe nicht zurückschrecken würden, so würden Sie doch zurückschrecken müssen vor der Unmöglichkeit, diese Chargen ohne Weiteres und auf einen Schlag, wie es doch nöthig wäre, überhaupt zu beschaffen. Gegenüber den zur Zeit bestehenden Offiziersvakanzen, mit welchen wir rechnen müssen, und welche wir durch eine theilweise Einstellung von Vize⸗Feldwebeln auszunutzen versuchen, liegt es doch auf der Hand, daß auf eine derartige Verstärkung, welche nicht durch Geldmittel zu erzwingen ist, wenn überhaupt, so doch nur ganz all mählich zu rechnen ist. Meine Herren, diese Fragen sind ja auc wohl schon in früheren Sitzungen Ihrerseits erörtert worden, und darf ich hierbei vielleicht anknüpfen an eine Erklärung des Hrn. Abg. Dr. Windthorst in der Plenarsitzung vom 4. Dezember 1886, welcher bei einer ganz ähnlichen Veranlassung bemerkte: „Unter keinen Umständen wünsche ich, daß an dem jetzigen Stande der Armee durch eine plötz⸗ liche Einführung der zweijährigen Dienstzeit etwas geändert würde, derln die Armee, wie sie ist, will ich voll und ganz und stark er⸗ alten.
Der zweite Faktor, den wir in diese Rechnung einzustellen hätten, wäre das Fortfallen der jährlichen einmonatlichen Rekruten⸗ vakanz, denn wenn wir die Dienstzeit beschränken auf eine zweijährige, so müßten wir naturgemäß auf den Fortfall dieser Rekrutenvakanz bestehen, was sich, in Gelde ausgedrückt, auf eine jährliche Summe von 2 251 510 ℳ belaufen würde.
Der wichtigste Ausbildungszweig ist, nächst der Erziehung zur Diszi⸗ plin, bei der Infanterie die Schießausbildung. Drängen wir dieselbe von drei auf zwei Jahre zusammen, so müßten wir doch darauf bestehen, um diese Ausbildung nicht leiden zu lassen, daß die Patronenzahl, welche jetzt in drei Jahren verschossen werden muß, alsdann in zwei Jahren zu verschießen wäre, was eine Erhöhung der Uebungsmunition um 50 468 oder eine jährliche Mehrausgabe von 4 036 991 ℳ bedeuten würde.
Aus gleichen Gründen würde cine Verlängerung, beziehungsweise theilweise Wiederholung der Herbstübungen nicht zu entbehren sein, denn, meine Herren, wir müssen den allergrößten Werth darauf legen, daß die Ausbildung des einzelnen Mannes wie die der Truppentheile hierbei nicht verkürzt werde. Lassen sich auch die Kosten einer derartigen Maßnahme insofern besonders schwer veranschlagen, als die Herbstübungen naturgemäß auf die Zeit nach der Ernte fallen und somit bei einer Verlängerung derselben die Schädigung der Kulturen erheblich ins Gewicht fallen müßte, so ist, um hier wenig⸗ stens einen Minimalsatz zu konstruiren, ein Zuschlag von 25 % der jetzigen Kosten mit einem jährlichen Betrage von 1 750 000 ℳ angesetzt.
Ueberaus dringend würde in den Vordergrund das Bedürfniß treten der Vermehrung der Uebungen des Beurlaubtenstandes. Doch möchten wir die hierfür erforderlich werdenden Summen nicht voll in dieses Exempel einsetzen, da wir ohnehin in Bälde genöthigt sein werden, eine Erhöhung der Mittel für diese Uebungen von Ihnen zu begehren. .
„Verhältnißmäßig geringer würden sich die Mehrkosten gestalten für die Mehreinziehung und Mehrentlassung, und eine Mehrbewegung von etwa 26 200 Mann, der Mann zu 10 ℳ gerechnet, gleich 262 000 ℳ jährlich.
1 Bemerkt sei bei dieser Gelegenheit die immerhin interessante Thatsache, daß von den gesetzlich zulässigen Uebungen des Beurlaubten⸗ standes, d. h. den Reserve⸗ und Landwehrübungen, thatsächlich nur etwa ein Siebentel mit den im Etat hierfür ausgeworfenen Mitteln ausgeführt werden kann. Setzen wir als Mindestbedarf für die vorliegende Frage nur eine Verdoppelung der jetzigen Mittel ein, so bedeutet dies ein Plus von jährlich 3 935 000 ℳ VVorbehaltlich eines error in calculo und vorbehaltlich dieses oder
jenes vergessenen Postens würde dies an laufenden Mehrausgaben
eine Summe von jährlich 19 831 057 ℳ ergeben.
8Wie immer, meine Herreeg würde auch hier das dicke Ende der einmaligen Ausgaben nicht ausbleiben, denn es liegt auf der Hand, daß, wenn wir unsere Ausbi dung im Verhältniß von 3 auf 2 zu⸗ sammendrängen müssen, auch zahlreiche äußere Einrichtungen, welche un⸗ Füteelber mit. der Ausbildung zusammenhängen, diesem zu folgen hätten. Wir hätten etwa für jedes Bataillon einen Schießstand mehr
als zur Zeit zu beanspruchen, wir hätten zu beanspruchen eine Ver⸗
größerung beziehungsweise Vermehrung der Uebungsplätze, welche
8 alsdann jaber auch, um die Zeit auskaufen zu können, nicht wie bisher eine Meile und darüber von der Garnison liegen dürften;
ja, wir würden kaum darum kommen, zur Erzielung der Dis⸗
ziplin, welche sich bekanntlich nicht auf die Stunden des äußeren
Dienstes beschränken darf, eine grundsätzliche Kasernirung aller Mann⸗
schaften zu verlangen.
8 Meine Herren, diese
. 2* einmaligen Ausgaben si gemäß außerordentlich g sind
schwer zu berechnen, da sie ohnehin voraus zu bestimmen sind. Auf Grund der vor⸗ Daten dürften sie sih auf 110 Millionen be⸗ zufen, was nicht ausschließt, daß Sie sie auch vielleicht auf 150 Millionen berechnen könnten, und diese Steigerung des Militär⸗ budgets, meine Herren, würde, wie ich hier wiederholen muß, ein⸗ reten müssen, nicht etwa, um damit die Wehrkraft des Reichs zu stärken, sondern um einen Zustand zu schaffen, der — wir mögen die Sachen wenden und drehen — doch immerhin eine Schwächung der⸗ selben bedeutete. Wenn wir nun zu den rein militärischen Gesichtspunkten über⸗ gehen, so steht es doch wohl von vornherein außer Zweifel, daß eine dreijährige Ausbildung gründlicher ist als eine zweijährige. Vor Allem aber möchte ich mir hier die Frage erlauben, meine Herren, wie kommen wir überhaupt zu der merkwürdigen Illusion, daß unser deutscher Durchschnitts rekrut, um dasselbe zu leisten, was unsere Nachbarn leisten, nur zweier Jahre der Ausbildung bedürfen soll, wäh⸗ rend unsere Nachbarn drei beziehungsweise fünf Jahre hierfür in Anspruch nehmen. Noch zu keiner Zeit ist bestritten worden, daß die natür⸗ liche Begabung des Franzosen seine Ausbildung für das Kriegs⸗ handwerk begünstigt. ebenso wenig daß der Russe ganz außerordentlich wichtige und günstige Vorbedingungen für den Soldatenstand mit⸗ bringt, als da ist: große Bedürfnißlosigkeit, sehr leicht herzu
natur⸗
] stellende Subordination und, wie aus vielerlei Berichten übereinstim⸗ mend hervorgeht, eine ganz ungewöhnliche Begabung zur Schießfertig⸗ keit. Allem dem gegenüber wird nun von uns ohne jede militärisch sachliche Begründung in dieser Richtung verlangt beziehungsweise erwartet, daß wir unsere Ausbildung, die doch — ich wiederhole es — der unserer Nachbarn nicht nachstehen darf, bei allen Eingestellten in zwei Jahren vollziehen.
Daß der Fortfall der Dispositionsurlauber eine natürliche Kon⸗ sequenz der gesetzlich zweijährigen Dienstzeit wäre, glaube ich schon er⸗ wähnt zu haben, und ich möchte hier nur noch des damit verbundenen Nachtheils gedenken, daß wir alsdann außer Stande wären, alle nach dem 1. Februar eintretenden Vakanzen zu decken, welche, wie ich Ihnen aus dem Beispiele des Jahres 1884 nachgewiesen habe, sich auf rund 5000 Mann bei der Infanterie und den Jägern jährlich beziffern.
Wie verhält es sich nun aber, meine Herren, mit dem Arbeitspensum? Halten Sie dasselbe wirklich für. ermäßigt? Man hält uns lobend vor, daß wir in gewissen Dienst⸗ vorschriften erfolgreich Vereinfachungen in gewissen militä⸗ rischen Ausbildungszweigen beziehungsweise Formen erzielt haben. Meine Herren, ich kann hier die bündigste Versicherung abgeben, daß es keinem von den Männern, welche an diesen Dienstvorschriften ge⸗ arbeitet haben, auch nur in den Sinn gekommen ist, hiermit einer zweijährigen Dienstzeit vorzuarbeiten. Nein, meine Herren, wenn Vereinfachungen eingetreten sind, so ist dies geschehen, um die Möglichkeit zu schaffen, den auf anderen Gebieten einge⸗ tretenen gesteigerten Anforderungen, in erster Linie denen einer gründlicheren Einzelausbildung für das Gefecht genügen zu können. Meine Herren, wir drücken mit der einen Hand in diesem Augenblick der Armee eine Präzisionswaffe erster Klasse in die Hand, eine Waffe, die allerdings erst zur Geltung kommt in der Hand eines für das Gefecht ausgebildeten Schützen. Meine Herren, heißt es nicht, die großen Opfer, welche wir für diese Bewaffnung gebracht haben, geradezu in Frage stellen, wenn wir mit der anderen Hand die Möglichkeit beseitigen oder wenigstens außerordentlich erschweren, den Mann für diese Waffe auszubilden. Es ist eine gefährliche Täuschung, den Mann, der im ersten Jahre seine Schießbedingungen erfüllt hat, nun als einen für das Gefecht ausgebildeten Schüͤtzen anzusehben. Nein, meine Herren. eine oberflächliche Dressur ist zu allen Zeiten das größte Unglück der Truppe gewesen. Wir können keine Talmi⸗Ausbildung ver⸗ tragen, wir müssen den Mann erziehen für die Stunde der Ge⸗ fahr, für die Selbständigkeit, die uns in der Schlacht nicht im Stiche läßt, wo die Führer an vielen Stellen bald fehlen werden, für die Zukunftsschlacht, die den wohlthätigen Schleier des Pulverdampfes nicht mehr kennt und welche Nerven erfordert, die zu stählen es ein einziges Mittel giebt, das ist die Gewöhnung zur Manneszucht, und diese (Zewöhnung kostet Zeit.
Wieviel Zeit geht uns aber ehnehin für die eigentliche Fachausbildung verloren? Bezüglich der zahlreichen Abkomman⸗ dirungen, der Stellung von Arbeitern, Burschen, Ordonnanzen sind wir ja, wie Sie wissen und wie wir dies durch Anforderungen im Etat nachgewiesen haben, ständig auf das Eifrigste auf Einschränkungen bedacht, aber, meine Herren, es (xübrigen immer noch eine folche Masse von unvermeidlichen Kommandos, sei es zu den bezeichneten Zwecken, sei es zu Spezialausbildungen, daß ein gut Theil der Dienstzeit hier⸗ durch in Anspruch genommen wird.
Ich darf beispielsweise erwähnen, daß wir bei einer Mobilmachung sofort einen Bedarf von 1700 ausgebildeten Tele⸗ graphisten zu decken haben, welche sich sofort an ihren Apparat zu be⸗ geben und denselben zu bedienen haben. Ja, meine Herren, wie sollen diese und ähnliche Sonderzweige unserer Ausbildung anders gedeckt werden, als daß wir die betreffenden Mannschaften Monate lang hierzu und zu demnächstigen Wiederholungskursen verwenden. Alle diese Abkommandirungen decken wir jetzt nach Möglichkeit aus dem dritten Jahrgange. Wird uns dieser genommen, so müßten wir in den zweiten Jahrgang hinübergreifen, und die Truppe würde sich aus dem Rest dieses zweiten Jahrganges und Rekruten zusammensetzen.
Die Rückwirkung hiervon, namentlich in Beziehung auf das un⸗ zureichende Offizier⸗ und Unteroffizierpersonal, würde nicht ausbleiben, sie würde sich schon bei der ersten Rekrutenausbildung bemerkbar machen, von Jahrgang auf Jahrgang vererben und alle die traurigen Erfahrungen in dieser Beziehung sich wiederholen lassen, die, wie ich im Eingang meiner Ausführungen bemerkt habe, wir ja bereits mit derartigen Experimenten gemacht haben.
Wir brauchen, meine Herren, einen Stamm alter Soldaten: im Frieden für die Erziehung der jüngeren Kameraden, im Kriege als Kern für den anschließenden Beurlaubtenstand. An eine Truppe von nur zwei Jahren einen Beurlaubtenstand von vier bis fünf ahren anschließen wollen, käme fast einer Desorganisation gleich. Wie sähe aber bereits im Frieden ein Bataillon von rund 600 Köpfen bei zweijähriger Dienstzeit in seiner Ausrückestärke in gewissen Zeiten aus?
Nehmen wir beispielsweise den 1. Dezember, es braucht ja nicht immer der 1. Mai zu sein. Zunächst fallen aus 300 Re⸗ kruten, dann rund 60 Mann Lehrpersonal und schließlich, mäßig berechtigt, 60 Kommandirte, Kranke u. s. w., bleiben netto 180 Mann. Meine Herren, das ist eine Ausrückestärke, mit der wir nicht rechnen möchten. Die Mischung von drei Jahr⸗ gängen hat sich im Frieden und in drei Feldzügen glänzend bewährt. Mit dem System der Dispositionsurlauber sind wir an die zur Zeit militärisch zulässige Grenze getreten, um uns noch die gründliche Einzelausbildung, dieses Fundament jeder ge⸗ sunden Heereseinrichtung, zu sichern. Diese Grenze überschreiten, hieße nicht nur die Vortheile dieses Systems verlieren, sondern diese Vor⸗ theile in ihr Gegentheil verkehren.
Nun, meine Herren, zu der Idee der zweieinhalbjährigen Dienst⸗ zeit, das heißt der sechsmonatlichen Rekrutenvakanz. Zugegeben, daß ein Theil der geschilderten Nachtheile fortfiele, indem drei Jahrgänge verblieben und damit die Unteroffizierfrage nicht mehr in voller Schärfe entstünde. Wir würden aber dadurch neue Uebelstände in den Kauf nehmen müssen.
Die Hälfte des Jahres hindurch einen vollen Jahrgang entbehren, heißt nichts Anderes, als während der Hälfte des Uebungsjahres auf die Ausbildung der Truppentheile als solcher verzichten, denn Compagnien und Bataillone von nur zweidrittel ihrer jetzigen Friedensstärke sind füglich nicht mehr als Truppentheile auszubilden. Hier etwa die Aushülfe suchen, daß man mehrere Einheiten zusammenlegte, hieße wiederum auf die Ausbildung der Führer und Chargen verzichten, wäre in kleinen Garnisonen ohnehin unmöglich. Vor Allem, meine Herren, verlören wir aber den jetzigen systematischen Ausbildungs⸗ gang, welcher sich aus dem Einzelnen in das Ganze, aus dem Leichten in das Schwere entwickelt. Die Einstellung im November gewährt uns die Möglichkeit einer Einzelausbildung in einer Jahreszeit, welche zur Ausbildung der Truppentheile ohnehin ungünstig ist, und der systematische Aufbau der weiteren Ausbildung bis zum Manöver gewährleistet uns, daß der Rekrut in diesen Höhepunkt des Ausbildungsjahres mit der nöthigen Vorbereitung eintritt; ihn am 1. April einstellen, im August aber bereits ins Manövber nehmen, würde mehr einer Verbildung als einer Ausbildung gleichkommen
Vor Allem aber, meine Herren, würde mit einer Ein⸗ stellung am 1. April die Ausrückfähigkeit und damit die Mobilmachung ein halbes Jahr lang alljährlich kompromittirt. Wir würden drei Monate länger als jetzt genöthigt sein, die mobile Truppe ungünstiger zusammen zu setzen, d. h. einen älteren Jahr⸗ gang mehr für die Linie einzuziehen, wir würden damit die Trans⸗ porte vermehren und die Mobilmachung verlangsamen, und das Alles in einer Zeit, wo wir die Mobilmachung nicht nach Tagen, sondern nach Stunden aufbauen, und wo wir in keiner Weise mehr darauf rechnen können, unsere Gegner durch Schnelligkeit in dieser Beziehung zu überflügeln.
Meine Herren, zum Schluß noch den Versuch, einen Irr⸗ thum zu bekämpfen, welchen ich als ein Schwesterkind der Idee der zweijährigen Dienstzeit bezeichnen möchte; es ist die Illusion, daß wir durch eine gewisse militärische Vorbildung auf den Schulen eine Verkürzung der Dienstzeit erzielen können. Wir hegen jeder Uebung, die sich auf körper⸗
liche Gewandtheit, auf straffe militärische Form, Haltung in Reih und Glied, Gewöhnung an Kommando und Gehorsam bezieht und Sie werden schwerlich eine Behörde finden, welche derartigen Bestrebungen auf unseren Schulen sympathischer gegenübersteht, als die Militärverwaltung. Aber, meine Herren, als Ersatz für das Pensum, welches wir in unserer großen Volksschule, d. h. in der
Armee, bewältigen müssen, können uns derartige Vorkenntnisse nicht 1
gelten.
Ich resumire mich dahin, die eine gesetzliche Verkürzung der Dienstzeit zur Folge hätte, in keinem Verhältniß zu den militärischen Nachtheilen stehen, daß wir somit nach gewissenhafter Prüfung und Ueberzeugung zur Zeit eine Verkürzung durch die gesetzliche Einführung einer zwei⸗ oder zwei⸗ einhalbjährigen Dienstzeit bei der Infanterie für unzulässig erachten.
Sollten sich die Zeiten ändern und die Verhältnisse erlauben, diesem Gedanken näher zu treten, wozu ja in erster Linie eine außer⸗ ordentliche Verstärkung des Offizier⸗ und Unteroffizier⸗Corps gehören würde, so zweifeln Sie nicht an unserer Initiative! Dann werden wir es sein, welche die materiellen Opfer für eine Verkürzung der Dienstzeit von Ihnen ordern. Ht 1 ö]; 8
Auf Allerhöchsten Befehl nimmt die Parade in Pots⸗
dam am Sonnabend, den 24. Mai, Vormittags um 9 Uhr, ihren Anfang. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges und Sicherung der Kontrole über die aus dem Fonds Kap. 96 Tit. 6 des Etats an Unterstützungen und Remunerationen aus den einzelnen Regierungs⸗Hauptkassen hat der Minister des Innern beschlossen, die seither durch ermittelung der Ober⸗Präsidenten zur Verfügung gestellten Beträge zur Gewährung von Beihülfen an Unterbeamte der
Strafanstalts⸗Verwaltung fortan den
8 6 — — — 2*
9 9 8 2 5 1 Zur Beseitigung von Zweifeln darüber, 86 die nach §. 4, Ziffer 2 der Bekanntmachung vom 5. Juli 1889, betreffend die Prüfung der Zahnärzte, Behufs Zulassung zur Prüfung nachzuweisende mindestens einjährige praktische Thätigkeit bei einer zahnärztlichen höheren Lehranstalt oder einem approbirten Zahnarzte auch innerhalb des nach Ziffer 3 erforderlichen zahnärztlichen Studiums von mindestens vier Halbjahren auf einer deutschen Universität ausgeübt werden darf, hat der Bundesrath sich dahin ausgesprochen, daß diese praktische
Regierungs⸗Präsidenten direkt zu überweisen. “
1
Thätigkeit außerhalb der vorgeschriebenen Studienzeit statt⸗ 8
1“”“
Der Königliche Gesandte von Derenthall ist von dem
ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub nach Weimar zurück⸗
gekehrt und hat die Geschäfte der Gesandtschaft wieder über⸗ nommen.
Der General der Infanterie von Fransecky, Chef des Infanterie⸗Regiments Prinz Moritz von Anhalt⸗Dessau (5. Pommerschen) Nr. 42 und à la suite des Infanterie⸗
Regiments Fürst Leopold von Anhalt⸗Dessau (1. Magde⸗
burgischen) Nr. 26, ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern Abend in Wiesbaden gestorben.
Der Königlich bayerische Bevollmächtigte zum Bundes⸗ rath, Ober⸗Regierungs⸗Rath Landmann ist hier eingetroffen.
Der Regierungs⸗Assessor von Lucke zu Münster ist an die Königliche Regierung zu Gumbinnen und der Regierungs⸗ Assessor Behrnauer zu Gumbinnen an die Königliche Re⸗ gierung zu Posen versetzt worden.
Der neuernannte Regierungs⸗Assessor Dr. jur. Scheibel ist der Königlichen Regierung zu Arnsberg überwiesen worden.
S. M. Kreuzer⸗Korvette „Sophie“, Kommandant Kor vetten⸗Kapitän Herbing, ist am 20. Mai in Amoy ein⸗ getroffen und beabsichtigt, am 23. Mai die Reise fortzusetzen.
Baden. Karlsruhe, 20. Mai. (Karlsr. Ztg.) Se. Königlich
Hoheit der Großherzog verließ gestern früh 3 ¼6 Uhr Karls⸗ ruhe, um die neu zum XIV. Armee⸗Corps hinzugetretenen Truppen zu besichtigen. In Schlettstadt nahm der Groß⸗ herzog gegen 6 ½ Uhr die Parade über das Rheinische Jäger⸗Bataillon Nr. 8 unter Major Gissot ab, be⸗ grüßte sodann das Offiziercorps der Jäger mit einer Ansprache und ließ sich die anwesenden Landwehr⸗ und Reserve⸗Offiziere sowie den versammelten Kriegerverein vorstellen.é Nach eingehender Besichtigung der Kaserne erfolgte die Weiterfahrt nach Mülhausen. Daselbst hatten die 89 . taillone der 58. Infanterie⸗Brigade — General⸗Major Girschner — nämlich das Infunterie⸗Regiment Prinz Wilhelm unter Oberst Bene und das 1. und 3. Bataillon des 7. Badischen Infanterie⸗Regiments Nr. 142 unter Oberst Bergemann auf dem Hofe der Kaiser Wilhelm⸗Kaserne Aufstellung genommen und erfolgte hier die Abnahme der Parade. Hierauf begrüßte der Großherzog die Offiziercorps der genannten Regi⸗ menter, besichtigte die Kaserne und die anstoßenden Noth⸗ quartiere des Regiments Nr. 142 sowie das Garnison⸗ Lazareth. Nach einem kurzen Besuch bei Frau General Girschner nahm Se. Königliche Hoheit in den Kasinoräumen des neuen Badischen Regiments das Frühstück ein. Um 12 ³¾ Uhr erfolgte die Weiterfahrt nach Colmar, woselbst auf dem Hofe der neuen Kaserne die Besichtigung und Begrüßung der Jäger⸗Bataillone Nr. 4, 10 und 14, unter Oberst⸗Lieutenant von Alvensleben und von Brauchitsch beziehungsweise Major von Bonin, steatt⸗ fand. Se. Königliche Hoheit nahm auch hier eingehend die Kaserne in Augenschein, besuchte hierauf noch Frau von Jordan, Gemahlin des Bezirks⸗Präsidenten von Ober⸗ Elsaß, und fuhr sodann nach 4 Uhr nach Neubreisach. Hier hatte auf dem Exerzierplatz das 2. Bataillon des 7. Badischen Infanterie⸗Regiments Nr. 142 Aufstellung genommen und fand die Parade über dasselbe etwa um 5 Uhr statt. Nach der Begrüßung des Offiziercorps nahm Se. Königliche Hoheit auch die Vorstellung der Unteroffizier⸗Vorschule und des Kriegervereins entgegen und besuchte in der Stadt die Infanterie⸗Kaserne. fuhr der Großherzog nach Freiburg weiter, derselbe von dem Erbgroßherzoglichen Paar am Bahn⸗ hofe empfangen wurde und im Palais das Diner einnahm. Um Mitternacht traf Se. Königliche Hoheit wieder in Karlsruhe ein.
entwurf,
in, daß die Anforderungen an die Einzelausbildung des Infanteristen gesteigert sind, daß die Vortheile, 8
gezahlten Summen
Königlichen
8
In der Zweiten Kammer stand heute der Gesetz⸗ betreffend die Ergänzung der Gehalis⸗ ordnung, zur Berathung. Die Budgetkommission bean⸗ tragte, den vorliegenden Gesetzentwurf unverändert anzunehmen, welchem Antrage die Kammer einstimmig beitrat. Hierauf gelangte der Bericht der Budgetkommission über das Bud get der Eisenbahn⸗Bauverwaltung zur Berathung. Die Gesammt⸗ Ausgaben des Eisenbahn⸗Baubudgets mit 20 447 000 ℳ und die Gesammt⸗Einnahmen mit 8 250 690 ℳ wurden bewilligt. 1 Mecklenburg⸗Schwerin.
Schwerin, 20. Mai. (Meckl. Nachr.) Se. Königliche sesh der Großherzog hat. dem in hiesiger Stadt zu⸗ ammengetretenen Lokal Comité für Errichtung eines National⸗ denkmals für den Fürsten Bismarck durch das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten mittheilen lassen, daß er mit größter Freude bereit sei, an diesem Unternehmen des Patriotismus und der Dankbarkeit sich zu betheiligen, und mit
einem Beitrage von 500 ℳ an die Spitze des hiesigen Comités
treten werde.
SDesterreich⸗Ungarn. 8* Wien, 21. Mai. (Wien. Abdpost.)
und Königliche Hoheit die Kronprinzessin Stephanie ist mit der Erzherzogin Elisabeth nach sechswöchentlichem Aufenthalt in Gries bei Botzen gestern hier wieder eingetroffen.
Die außerordentliche Session des oberösterreichischen Landtages wurde gestern von dem Landeshauptmann Abt Achleuthner mit begeistert aufgenommenen Hochrufen auf Se. Majestät den Kaiser eröffnet. Nach der Konstituirung des Hauses nahm dasselbe den Antrag des Landesausschusses an, wonach aus Anlaß der Vermählung der Frau Erzherzogin Marie Valerie eine Landesstiftung gegründet werden soll. Hierauf erfolgte die Wahl des Ausschusses zur Berathung des Statuts der Landes⸗Hypothekenbank.
Der Feldzeugmeister Freiherr von Rodich, ehemals Statthalter von Dalmatien, ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestorben.
Budapest, 21. Mai. (W. T. B.) Heute wurde im Unterhause die von der äußersten Linken eingebrachte Abänderung des Inkolatsgesetzes berathen. Minister⸗ Präsident Graf Szapäry führte aus , die Regierung stehe noch auf demselben Standpunkt, welchen der frühere Minister⸗Präsident von Tisza vor seinem Rücktritt genau gekennzeichnet habe, daß nämlich seine Erklärungen in Betreff der Bestimmungen des Inkolatsgesetzes nur für ihn allein, nicht aber auch für seine Minister⸗Kollegen bindend
gewesen seien; Kossuth erkläre die ganze staatliche Lage, den
ganzen Bestand für ungesetzlich und rechtlos, die Legislative ahs doch nicht ihm zu Liebe eine besondere Verfügung treffen.
Das Unterhaus wird nach dem „Prag. Abdbl.“ bis Anfang Juni tagen, um die Gesetze über die Sonntagsruhe, das Schankregal und die Sitze der Königlichen Gerichts⸗ höfe zu erledigen.
Großbritannien und Irland.
London, 21. Mai. (A. C.) Anläßlich der heutigenoffiziellen Feier des Geburtstages der Königin veröffentlicht
eein Extrablatt der „London Gazette“ eine lange Reihe von
Ordensverleihungen und Standeserhöhungen. Die Generale Sir Lintorn Simmons und Sir Fred. Haines sind zu Feldmarschällen ernannt. Lord Vivian, der britische Ge⸗ sandte in Brüssel, erhielt den St. Michaels⸗ und Georgs⸗ Orden 1. Klasse, Mr. Petre, der britische Gesandte in Lissabon, Mr. Crowe, der Handels⸗Attaché der bri⸗ ischen Botschaft in Paris, und Sir Albert Woods, er Wappen⸗König des Hosenband⸗Ordens, den St. Michaels⸗ und Georgs⸗Orden II. Klasse. Mr. Calcraft, der ständige Sekretär des Handelsamts, empfing den Bath⸗ Orden II. Klasse, während Mr. Macdonell, der britische Ver⸗ treter in Kopenhagen, sowie Mr. Biliotti, der britische Konsul in Kreta und Mr. George Bullen, der Hauptcustos der Bibliothek des Britischen Museums, mit demselben Orden III. Klasse bedacht wurden. Sir Henry Acland, Professor der Medizin an der Universität von Oxford, ist zum Baronet ernannt worden.
Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prin⸗ zessin Heinrich von Preußen kamen heute von Windsor nach dem Buckingham⸗Palast. Der Prinz wohnte darauf der Truppenparade sowie später dem anläßlich des Geburtstags der Königin bei dem Marine⸗Minister veranstalteten Galadiner und dem Empfange bei Lady Salisbury im Ausvärtigen Amt bei.
Die Königin Isabella von Spanien, welche, unter dem Namen einer Gräfin von Toledo reisend, vorgestern hier eingetroffen ist, stattete gestern Nachmittag der Königin in Windsor einen Besuch ab. 1
Im Buckingham⸗Palast fand gestern Abend der erste Hofball dieser Saison statt, zu dem etwa tausend Ein⸗ ladungen ergangen waren. Unter den Gästen befanden sich der König von Belgien und die Königin Isabella von Spanien. Der Prinz und die Prinzessin von Wales erschienen, begleitet von den übrigen Mitgliedern der Königlichen Familie, um 11 Uhr im großen Saale, worauf der Ball sofort begann.
Frankreich.
Paris, 21. Mai. Der Senat hat nach der „Köln. Ztg.“ in seiner gestrigen Sitzung das Gesetz, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, in zweiter Lesung mit 167 gegen 7 Stimmen angenommen.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 22. Mai. (W. T. B.) Der bisherige
serbische Gesandte Simitsch ist gestern von hier ab⸗
ereist. 8 8 Der General à la suite Puschkin und der Flügel⸗
Adjutant Paschkoff haben sich zur Begrüßung des Kron⸗ prinzen von Italien nach Odessa begeben. Sebastopol, 21. Mai. (W. T. B.) Der Kronprinz von Italien ist heute an Bord des russischen Kriegsschiffes „Eriklik“ nach Odessa weitergereist. Italien. Rom, 21. Mai. (W. T. B.) Die Deputirten⸗ kammer lehnte in ihrer heutigen Sitzung den von Cava⸗ lotti eingebrachten Antrag gegen die Ernennung von
Deputirten für vom Staate oder von staatlich subventio⸗
11““
Ihre Kaiserliche
“ 8 nirten Verwaltungen honorirte öffentliche Dienstposten mit 176 gegen 46 Stimmen ab, nachdem der Minister⸗Präsident Crispi gegen die Inbetrachtnahme des Antrags gesprochen hatte. — Auf eine Anfrage Caldesi's in Betreff des heute in Ravenna aus⸗ gebrochenen Konflikts zwischen den Truppen und der nothleidenden Bevölkerung bestätigte der Minister⸗Präsi⸗ dent, indem er seinem Bedauern über die Vorkommnisse Ausdruck gab, daß sowohl auf Seiten der Truppen als auch auf Seiten der Bevölkerung mehrere getödtet und verwundet wurden. Die Truppen seien unausgesetzt mit Steinwürfen empfangen worden. Es sei eine Kommission zur Unter⸗ suchung abgesandt, auch seien Unterstützungen vertheilt wor⸗ den und andere würden folgen; er hoffe, die Konflikte würden sich nicht erneuern.
Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ hätte Ras Mangascha am 17. d. M. im Namen des Königs Menelik und im Beisein der Grafen Antonelli und Salim⸗ beni sowie mehrerer italienischen Offiziere Meskiascha Workié zum Gouverneur von Adua und des Gebiets bis zum Marebflusse ernannt. Der neuernannte Gouverneur schwor auf das Kreuz und das Evangelium, daß er niemals den Frieden mit Italien stören und alle vom Negus ge⸗ troffenen Einrichtungen respektiren wolle.
Niederlande.
Haag, 21. Mai. (W. T. 8 Nach einer hier ein⸗ gegangenen amtlichen Meldung haben die Atchinesen am 14. d. Benting (in der Nähe von Edi), welches gänzlich verlassen worden war, genommen. Die Niederländer versuchten vergeblich mit 300 Mann den Ort wieder zu nehmen und verloren dabei 3 Todte und 24 Verwundete; die Verluste der Atchinesen betrugen 14 Todte und 15 Verwundstee.
Belgien.
Brüssel, 20. Mai. In der Deputirtenkammer haben die liberalen Abgeordneten Janson, Houzeau und Hanssens einen Unfallversicherungsentwurf eingebracht, welcher folgende Bestimmungen enthält:
1) Die Leiter der industriellen Werke sind verpflichtet, alle ihre Arbeiter, ob Männer oder Frauen, gegen die bei Ausübung ihres Berufes mögliche Beschädigung zu versichern. 2) Die Versicherungen erfolgen durch die Vereinigung der Arbeitgeber einer und derselben Kategorie, deren nähere Bestimmung der Regierung vorbehalten bleibt. 3) Die Versicherung kann auch bei den bestehenden gewöhnlichen Versicherungsgesellschaften geschehen, wofern dieselben eine Kaution von 100 000 Fr. leisten. 4) Jede Berufsvereinigung muß mindestens 10 000 Arbeiter umfassen. 5) Die Werke, welche mehr als 2000 Arbeiter beschäftigen, können selbst die Versicherung über⸗ nehmen, wofern sie eine Kaution von 50 000 Fr. leisten und, im Falle sie mehr als 5000 Arbeiter beschäftigen, 20 Fr. per Kopf. 6) Jede Berufsvereinigung bestimmt selbst die Versicherungsprämie, von der 7 Zehntheile Seitens der Arbeitgeber, 1 Zehntheil Seitens des Staates und 2 Zehntheile Seitens der Arbeiter zu entrichten sind. 7) Der Arbeiter verliert das Schadenersatzrecht, sobald nachgewiesen wird, daß seine eigene Nachlässigkeit den Schaden hervorgerufen hat. 8) Wurde der Schaden durch offenbare Schuld des Arbeitgebers hervorgerufen, so kann die Berufsvereinigung von ihm vollen Schaden⸗ ersatz begehren. 9) Die ärztliche Hülfe ist dem Beschädigten immer unentgeltlich zu leisten. 10) Die Entschädigung beträgt für den Ver⸗ wundeten 80 Prozent seines Lohnes bis zur vollständigen Herstellung, für die Wittwe des Getödteten 35 Prozent und für jedes seiner Kinder bis zum Alter von 14 Jahren je 10 Prozent.
Der Entwurf wird wegen der inzwischen erfolgten Ver⸗ tagung der Kammer erst in der Herbstsession zur Berathung gelangen.
Amerika.
Vereinigte Staaten. Washington, 21. Mai. (W. T. B.) Das Repräsentantenhaus hat in seiner heutigen Sitzung die Tarifbill nebst einigen Amendements mit einer Majorität von 20 Stimmen angenommen.
“
Parlamentarische Nachrichten.
der heutigen (65.) Sitzung des Hauses der
Abgeordneten, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Minister für Landwirthschaft ꝛc. Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen und der Minister des Innern Herrfurth beiwohnten, wurden ohne Debatte in dritter Berathung der Gesetzentwurf, be⸗ treffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Wegegesetze im Regierungsbezirk Wiesbaden, und der Gesetzentwurf, betreffend die Verpflich⸗ tung der Gemeinden in den Landkreisen der Rheinprovinz zur Bullenhaltung; in zweiter Be⸗ rathung der Gesetzentwurf, betreffend die Fest⸗ stellung eines Nachtrags zum Staatshaushalts⸗ Etat für das Jahr vom 1. April 1890/91 angenommen.
Es folgte der fünfte Bericht der Kommission für die Agrarverhältnisse über die Petition von Domäaänen⸗ pächtern wegen Abänderungen in den Domanial⸗ pachtverhältnissen zu Gunsten der Domänen⸗ pächter. 2
Der Berichterstatter Abg. Freiherr von Grote beantragte Namens der Kommission:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: —
I. Der Königlichen Staatsregierung die Petition II Nr. 163 zu überweisen
1) zur Berücksichtigung in der Richtung, daß thunlichst auf Ermittelung und Feststellung der Pachtgelderminima unter Zu⸗ ziehung „landwirthschaftlicher Sachverständiger Bedacht genommen werde;
2) zur Berücksichtigung dahin, daß in den allgemeinen Pacht⸗ bedingungen anderweite, dem abziehenden Pächter günstigere Be⸗ stimmungen getroffen werden bezüglich der Uebergabe des Inventars und der Uebernahme desselben durch den anziehenden Pächter;
3) zur Berücksichtigung dahin, daß die durch die neueste Ver⸗ fügung des Ministers für Landwirthschaft, Domänen und Forsten binsichtlich der Baubedingungen (§§ 12, 13, 14 der allgemeinen Pachtbedingungen vom 12. April 1888) und der Tragung der Lasten (§. 17 eod.) eintretenden Erleichterungen von jetzt ab auch für die vor Erlaß jener Verfügung abgeschlossenen Pachtverträge Anwendung finden;
II. im Uebrigen über die Petition II Nr. 163 zur Tagesord⸗
nung überzugehen.
Abg. von Meyer (Arnswalde) beklagte die ungünstige Lage der Domänenpächter und hob im Besonderen hervor, daß dieselben unter der hohen Versicherungssumme, mit der der Staat die Gebäude versichere, zu leiden hätten; das letztere sei auch ungesetzlich, da Niemand eine Sache über den Werth hinaus versichern dürfe.
v 8
8
Der Regierungs⸗Kommissar, Geheime Ober⸗Regierungs⸗ Rath Jäger bestritt, daß Ungesetzlichkeiten bei den Versiche⸗ rungen vorkämen; die Beiträge der Domänenpächter beruhten auf kontraktlichen Verpflichtungen. Nach unerheblicher weiterer Debatte, an welcher sich noch die Abgg. Seer, eeihinh von Huene, Graf zu Limburg⸗Stirum und Sombart be⸗ theiligten, wurde der Antrag der Kommission angenommen.
Hieran schloß sich der vierte Bericht der Kommission für Petitionen über verschiedene Petitionen, betreffend das Bernsteinregal in Ostpreußen. .
Der Antrag der Kommission ging dahin, über die Pe⸗ titionen zur Tagesordnung überzugehen. “
Abg. Dr. Krause erkannte an, daß ein großer Theil der Beschwerden durch die entgegenkommenden Erklärungen der Regierung in der Kommission beseitigt worden; nur den Wunsch der Petenten, bei dem Verkauf des Rohbernsteins in milderer Weise als bisher zu verfahren, scheine die Regierung nicht berücksichtigen zu wollen. Redner beantragt, die Petitionen, soweit sie sich auf das Monopol der Firma Stantien und Becker 5,ggen. der Königlichen Staatsregierung ur Erwägung zu überweisen.
b Der ggiegierungs Kommissar Geheime Regierungs⸗Rath Tetzlaff hielt diesen Antrag für überflüssig, weil die freie Konkurrenz schon bisher stattgefunden habe. 1
Abg. Rickert trat für den Antrag des Abg. Dr. Krause ein, ja, er würde nicht anstehen, die Petition, soweit sie von diesem Antrage berührt werde, der Staatsregierung zur Be⸗ rücksichtigung zu überweisen. 1
Der Regierungs⸗Kommissar Geheime Regierungs⸗Rath Tetzlaff bekämpfte he geg den Antrag des Abg. Dr. Krause, welchen der Abg. Pleß seinerseits befürwortete.
Der Minister für Landwirthschaft ꝛc. Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen erklärte, daß das Wohlwollen der Regie⸗ rung gegen die Firma Stantien und Becker sich auf die that⸗ sächlichen Erfolge derselben auf diesem Gebiete gründe; einer mißbräuchlichen Ausbeutung des Monopols aber würde die Regierung unter allen Umständen entgegentreten.
Das Haus schloß sich dem Antrage der Kommission unter Aufnahme des Antrages des Abg. Dr. Krause in den⸗ selben an und vertagte sich darauf bis zum 3. Juni.
(Schluß 1 ½ Uhr.)
(Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗ tages und des Hauses der Abgeordneten befinden sich “ in der Ersten Beilage.)
— Von den Abgg. Richter und Gen. ist im Reichs⸗ tage nachstehende Interpellation eingebracht worden:
Wie denkt der Herr Reichskanzler über die Fortdauer der in den letzten Jahren für Elsaß⸗Lothringen erlassenen besonderen Bestim⸗ mungen in Betreff der Paßpflicht und der Aufenthaltsbeschränkungen?
— Der nachstehende Antrag der Abgg. Siegle u. Gen. ist dem Reichstage zugegangen:
Der Reichstag wolle beschließen: den Reichskanzler zu ersuchen, statistische Aufnahmen über die Lage der arbeitenden Klassen, insbesondere über Arbeitszeit, die Lohnverhältnisse und Kosten der Lebenshaltung der Arbeiter in den verschiedenen Berufszweigen vor⸗ nehmen zu lassen.
— Die Militär⸗Kommission des Reichstages hat sich gestern bis zum 6. Juni vertagt.
— Im 4. Lüneburger Wahlkreise (Uelzen) ist an Stelle des verstorbenen Senators Plincke der Landrath von Tzschop pe zu Oldenstedt, freikonservativ, mit 102 Stimmen zum Mit⸗ gliede des Abgeordnetenhauses gewählt worden. Der Guts⸗ besitzer Voigts in Oldendorf, nationalliberal, erhielt 52 Stimmen.
Sanitäts⸗, Veterinär⸗ und Quarantänewesen.
1* Portugal. 1“ Durch eine im „Diario do Governo“ Nr. 104 vom 9. Mai 1890 veröffentlichte Verfügung des Königlich portugiesischen Ministeriums des Innern ist der Hafen von Parä seit dem 1. April für von
gelbem Fieber E erklärt worden.
Handel und Gewerbe.
Die nächste Börsen⸗Versammlung zu Essen findet am 27. Mai 1890 im „Berliner Hof“ statt.
— Der „Verein für Rübenzucker⸗Industrie des Deutschen Reiches“ hielt gestern in Hamburg seine General⸗ versammlung ab. Der Vorsitzende Stengel (Staßfurt) widmete dem verstorbenen langjährigen Vorsitzenden Grafen Hacke Worte des An⸗ denkens. Nach eingehender Debatte über das Zuckersteuergesetz vom 9. Juli 1887, während welcher der Geheime Rath Kieschke (Berlin) die Mittheilung machte, der Vorstand habe am 22. April d. J. eine Eingabe an den Reichskanzler gesandt, um gegen die etwaige Aufhebung der Materialsteuer zu protestiren, ward folgende Resolution ein⸗ stimmig angenommen :, Der Verein in der Ueberzeugung, daß die Aufhebung der Materialsteuer, bezw. der Fortfall der damit verbundenen mäßigen Ausfuhrprämie die deutsche Zuckerindustrie auf dem Welt⸗ markt konkurrenzunfähig machen würde gegenüber der Industrie anderer Länder, welche sehr viel größere Ausfuhrbegünstigungen genießt, erklärt seine Zustimmung zu den vom Ausschuß unternommenen Schritten gegen die beabsichtigte abermalige Abänderung der Zuckersteuer⸗Gesetz⸗ gebung und ersucht den Ausschuß und die Direktion, die Lebens⸗ interessen der deutschen Zuckerindustrie auch ferner in derselben Rich⸗ tung zu vertreten.“ Die nächstjährige Generalversammlung soll in Köln stattfinden.
— Bei den 298 km langen Lokalbahnen der österreichischen Lokal⸗Eisenbahn⸗Gesellschaft betrugen die provisorisch er⸗ mittelten Einnahmen für den Monat April 1890 112 562 Fl., und für die Zeit vom 1. Januar bis Ende April 1890 489 112 Fl. Im Vorjahre betrugen die definitiven Einnahmen bei einer Betriebslänge von 234 km im April 85 701 Fl, und für die Zeit vom 1. Januar bis Ende April 1889 379 273 Fl. 8 8
Breslau, 22. Mai. (W. T. B.) Der „Schlesischen Ztg.“ zufolge genehmigte der Reichskanzler die Einfuhr lebender ungarischer Schweine aus Steinbruch auch in die Schlacht⸗ häuser von Oppeln und Rybnik, sowie die Einfuhr lebender galizischer Schweine aus Bielitz in die Schlachthäuser von Myslo⸗ witz, Ratibor, Beuthen, Gleiwitz, Opvpeln und Rybnik.
Halle a. d. S., 22. Mai. (W. T. B) In der heutigen Auf⸗ sichtsrathssitzung der A. Riebeck'schen Montanwerke, Aktien⸗ gesellschaft, legte die Direktion die Bilanz und die Gewinn, und Verlust⸗ rechnung für das abgelaufene Geschäftsjahr vor. Der Bruttogewinn beziffert sich nach Abzug sämmtlicher Geschäftsunkosten auf 2 371 259,64 ℳ und wird der Generalversammlung vorgeschlagen werden, nach Ab⸗ schreibungen und nach Dotirung des Reservefonds zusammen in Höhe von 679 569,10 ℳ eine Dividende von 15 % zur Vertheilung ge⸗ langen zu lassen. Die Generalversammlung findet am 16. Juni d. J.
hierselbst statt. 8 Effen a. d. Ruhr, B.) Der „Rheinisch⸗ 211 f I „ & & on