ohne daß eine Kollision bisher vorgekommen ist. Der Abg. Auer hat zugegeben, daß in Hamburg den Innungsmeistern das Ehrenwort abverlangt worden ist, nicht mehr zu einer Innung zu gehören. Er hat auch zugeben müssen, was ich über den Fönmerstrike in München gesagt habe, und wenn der Abg. Auer nicht erfahren konnte, daß eine Strikekommission der Arbeiter den Meistern dik⸗ tiren wollte, sie dürften während der Mittags⸗ und rühstückspause nicht in die Werkstätte kommen, so at er sich in Hamburg schlecht umgesehen. (Ruf bei den Sozialdemokraten: Namen nennen!) Fragen Sie doch nach in Hamburg! (Aktenstücke!) Das steht in den Akten natürlich nicht drin. Hr. Auer hat dann mit Entrüstung behauptet, die Innungsmeister wollten mit den Strikekommissionen nicht unterhandeln. Die Meister unterhandeln allerdings nicht mit solchen Strikekommissionen, die aus sozialdemokratischen Führern bestehen, die gar nicht zu dem betreffenden Gewerbe gehören. Mit Strikekommissionen aus dem Gewerbe selbst haben die Meister immer verhandelt. Hr. Auer behauptete endlich, ich bezahlte in meinem Geschäfte nicht zu viel. Ich konstatire, daß in einer sozialistischen Versammlung ein Sozialdemokrat konstatirt hat, daß ich der beste Bezahler in
München bin. 1 Abg. von Kleist⸗Retzow: Ich will Sie nicht weiter mit dem Strike in Hamburg unterhalten, sondern bei der Sache bleiben, auf die der Abg. Auer erst im letzten Theil seiner Rede zurückkam. Der Sozialdemokratie paßt die Hebung und Ordnung des Handwerks natürlich nicht. Und darnach müssen die Redner von Links beurtheilt werden. Unser Hand⸗ werkerstand ist durch das Eindringen der Industrie geschädigt, wie der Reichstag in seiner Majorität selbst anerkannt hat. Der Handwerkerstand besteht aus lauter ärmeren Personen, im Gegensatz zu den großen Industrie⸗Unternehmern und großen Grunddesitzern. Diese Schädigungen des Handwerks können wir nur dadurch bekämpfen, daß wir die korporativen Ver⸗ bände des Handwerks, die Innungen, kräftigen. Das ist von solcher Bedeutung, wie irgend etwas im Deutschen Reich. Wir müssen den Mittelstand wiederherstellen, in welchem die Unter⸗ nehmer aus eigentlichen Arbeitern hervorgehen. Am 20. Januar hat der Kaiser bei der Rede, mit welcher er den Reichstag schloß, seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß der Reichstag dem “ Hülfe geleistet habe durch die Gesetzgebung. a können wir doch nicht fünf Monate hinterher von anz entgegengesetzten Prinzipien ausgehen. Es handelt sich hier nicht um ein neu einzuführendes Privilegium, sondern um die Erhaltung eines bestehenden Rechts. An der Be⸗ rufung braucht man sich nicht zu stoß n, denn in den meisten Fällen wird sie nicht stattfinden, da es sich um ganz einfache Sachen handelt. Die Schnelligkeit und Leichtigkeit des Ver⸗ fahrens wird durch die Berufung nicht verhindert werden. Es kommen aber immerhin Sachen vor, in welchen schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, und da ist die Berufung nothwendig und für die betroffenen Personen von höchster
Bedeutung.
Der Abg.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Lohmann: Meyer hat behauptet, die Vertreter der Regierung hätten zu den Anträgen von der linken Seite eine kühle und oft sogar erbitterte Stellung eingenommen, während sie gegenüber den Anträgen von der anderen Seite eine wohlwollende Zurück⸗ haltung beobachtet hätten. Ich muß das bezüglich der Kom⸗ missionsverhandlungen in Abrede stellen; von einem Freunde des Abg. Meyer haben wir sogar einen ausdrücklichen Dank entgegenzunehmen gehabt, daß wir uns so wohlwollend und entgegenkommend in der Frage über die Bestätigung des Vorsitzen⸗ den verhalten hätten. Wenn wir uns sonst zu den Anträgen passiv verhalten haben, so hat das seinen guten Grund. In der Kommission vertraten wir die Vorlage der Regierung und haben den Kommissionsantrag bekämpft. Als er aber beschlossen war, haben wir das Unsrige gethan, um ihm eine Fassung zu geben, die den Absichten der Antragsteller entsprach.
ir haben von vornherein den Standpunkt der Regierung vertreten, bei dieser Gelegenheit die Frage des Verhältnisses der Innungen überhaupt nicht anzuschneiden und es bei dem bestehenden Rechte zu lassen. Nach der Gewerbeordnung sind die Innungen verpflichtet, Streitigkeiten zwischen Meistern und Lehrlingen an Stelle der Gemeindebehörden zu ent⸗ scheiden. Also nur da, wo die Gemeindebehörde über diese Streitigkeiten eine Entscheidung hat, hat die Innung ihrerseits zu entscheiden. Wo die Gemeindebehörde keine Ent⸗ scheidung hat, hat sie auch die Innung nicht; und das ist überall der Fall, wo gewerbliche Schiedsgerichte auf Grund der Ge⸗ werbeordnung errichtet sind. Die Regierungsvorlage wollte diesen Zustand aufrecht erhalten, und die Folge wäre gewesen, daß die Innungen da, wo ein Gewerbegericht auf Grund des vorliegenden Gesetzes entstanden wäre, die Entscheidung über Streitigkeiten eines Lehrlings und Meisters nicht mehr gehabt hätten. Was das Verhältniß zwischen Meistern und Gesellen betrifft, so bestimmt die Gewerbeordnung, daß es den Innungen nicht zusteht, solche Schiedsgerichte zu errichten, welche Streitig⸗ keiten zwischen Meistern und Gesellen an Stelle der sonst zu⸗ ständigen Behörden zu entscheiden haben. Wenn im jetzigen Gesetze nichts gesagt wäre, so könnten auch künftig die Innungen da, wo gewerbliche Gerichte auf Grund des neuen Gesetzes errichtet werden, durch ihre Innungs⸗Schiedsgerichte über diese Streitigkeiten entscheiden lassen. Nachdem aber die Aenderung vorgeschlagen war, mußten wir uns sagen, daß es allerdings mehr angezeigt sei, die Entscheidungen über Streitig⸗ keiten zwischen Meistern und Lehrlingen den Innungen zu belassen, als über diejenigen zwischen Meistern und Gesellen. Das ist dieselbe Rücksicht, die im Antrag Eberty genommen ist. Diese Umstände veranlaßten uns, unseren Anfangs er⸗ hobenen Widerspruch gegen den in der Kommission gestellten Antrag aufzugeben und bei der Redaktion desselben behülflich zu sein. Gegen die Anträge von der linken Seite, die in der Kommission angenommen worden, haben wir rechts das⸗ selbe Verhalten beobachtet. Abg. Miquel: Ich kann nur bezeugen, daß die Regie⸗ rungskommissare sich auch solchen Anträgen gegenüber ent⸗ gegenkommend verhalten haben, die wesentlich von der Regie⸗ rungsvorlage abweichen. Der 1ng von Kleist vertheidigt sonst seine Ansicht stets mit guten Gründen und der größten Beredsamkeit. Wenn heute seine Gründe sehr schwach waren, so bin ich überzeugt, daß das nur in der Sache selbst liegt. Es handelt sich nicht um Aufrechterhaltung des bestehenden Rechts der Innung, wie der Kommissar des Bundesraths eben ausgeführt hat, sondern um die Erweiterung der Zustän⸗ digkeit der Innung bezüglich der Verhältnisse zwischen den Meistern und Lehrlingen. Hr. von Kleist thut so, als ob
für die Bedeutng des korporativen Zusammenschlusses des Handwerks und für die berufsgenossenschaftliche Entwickelung hätten. Ich habe längst für diesen berufsgenossenschaftlichen Zusammenschluß gewirkt, ehe die Innungen irgend welche Fesanemen hatten. Ich habe die üee gemacht, daß, wenn nur Kraft und Einsicht im Handwerkerstand und Opfer⸗ freudigkeit für den Beruf vorhanden ist, solche Privilegien nicht nöthig sind. Die Frage ist allein die, sind die Bestim⸗ mungen der Kommission im wahren Interesse des Handwerks und der Innungsbewegung? Und wenn Sie diese Frage bejahen, dann stelle ich die andere Frage, sind sie berechtigt, dem ganzen Inhalt der Vorlage gegenüber? Die Vorlage steht auf der Basis der vollen Gleichberechtigung von Meistern und Gehülfen, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei den Wahlen zu den Ge⸗ richten. Der Grad von Abhängigkeit aber, der naturgemäß in dem Verhältniß von Arbeitern und Arbeitgebern liegt, dauert in viel stärkerem Grade in den Innungsgerichten fort als in den modernen Gewerbeschiedsgerichten. Das ist das, was den Keim des Mißtrauens gegen die Objektivität der Gerichte aufs Neue und in stärkerer Weise als vorher in die Arbeiterkreise hineintragt. Dies will ich vermeiden. Wie ich den Innungen die Vertretung ihrer gewerblichen Interessen gönne, so thue ich es auch den Arbeitern gegenüber. Nichts ist bedenklicher, als heute, wo man die Stellung der Arbeiter anerkennt, wo man begreift, daß die soziale Frage keineswegs blos eine Magenfrage, sondern eine Ehrenfrage ist, diesen Standpunkt zu verkennen und eine Bestimmung zu treffen, die mehr Nachtheil als Vortheil bringt. ena
Abg. Böckel: Ich bin gegen jede Beschränkung der Innungsbefugnisse, also auch für die Zuständigkeit der Innungs⸗ schiedsgerichte. Die Innungen würden sonst in der öffent⸗ lichen Meinung und in ihrer ganzen Verfassung auf das Empfindlichste geschädigt werden. Daß es bei den Innungen in mancher Beziehung besser werden kann, ist nicht zu verkennen, die Handwerkerbewegung hat bisher noch zu viel von der Hülfe des Staats erwartet; wenn sie sich erst mehr auf ihre eigene Kraft stützt, wird sie auch besser vorwärts kommen. Wir sind erst dann im Stande, uns gegen die Umsturzbestrebungen zu schützen, wenn wir den Mittelstand erhalten. Die Sozialdemokratie bekämpft nicht bloß die Innungen, sondern auch den Bauern⸗ verein, die antisemitische Bewegung und alle übrigen auf die Erhaltung des Mittelstandes gerichteten Bestrebungen. Ihr Ziel ist die Pulverisirung und die Vereinigung der Macht in wenigen Händen. Mit wenigen glauben sie dann leichter fertig zu werden. Die Sozialdemokraten nehmen sogar Geld von der Börse für ihre Wahlen. Das ist von Ihren eigenen Abgeordneten zugegeben worden. Sie nehmen Geld aus Gründergewinn. Sie wollen erst den Mittelstand ruiniren, dann hoffen sie auch das Kapital vernichten zu können. Dahin hat sich erst jüngst die „Volkstribüne“ ausgesprochen. Mit der Annahme des §. 72 thun wir ein gutes Werk, nicht nur im Interesse der Innungen, sondern auch des Handwerker⸗ standes und des Staats. Damit bekämpfen wir am wirk⸗ samsten die Bestrebungen der Sozialdemokratie.
Abg. Bebel: Der Abg. Böckel hat eine Reihe von An⸗ klagen gegen uns gerichtet, die ich als Lügen bezeichnen 8
Präsident von Levetzow: Ich muß den Ausdruck „Lüge“ mit Bezug auf einen Abgeordneten entschieden verweisen und rufe den Abg. Bebel zur Ordnung.
Abg. Bebel (fortfahrend): Wenn Sie den Satz mich hätten vollenden lassen, so . ..
Präsident von Levetzow: Es war nichts weiter ab⸗ zuwarten.
Abg. Bebel (fortfahrend): Behauptungen oder lügen⸗ hafte Behauptungen, wollte ich sagen, die in der Presse als solche erschienen sind, wobei ich allerdings von der Voraus⸗ setzung ausgehe, daß der Abg. Böckel sie als Wahrheit ansehen zu müssen glaubt . ...
Präsident von Levetzow: Wenn das auszusprechen wirklich Ihre Absicht war, so liegt die Sache anders.
Abg. Bebel (fortfahrend): Das war wirklich meine Ab⸗ sicht. Ich bin nicht gewillt, ein Mitglied in der Weise zu beleidigen. Es sind ja dieselben Anklagen, die seit geraumer Zeit in der Presse gegen uns erhoben worden sind, und zu denen wir den unschuldigen Anlaß insofern gegeben haben, als wir in den Quittungsnachweisen, die wir regelmäßig ver⸗ öffentlichten, sehr namhafte Summen unter der Bezeichnung „Gründergewinne von norddeutschen Banquiers“ aufgeführt haben. Ich war mir vollständig bewußt, was diese Bemerkung für eine Folge haben würde. Die Herren Antisemiten sind auf den Leim gegangen und haben angenommen, daß es sich um Beträge von der Börse und insbesondere von Juden an der Börse handelte. So bedeutend Ihnen diese Summen er⸗ scheinen moͤgen — es handelt sich in dem einen Falle um 25 000 ℳ und um 20 000 im anderen —, Pfennig für Pfennig sind es Arbeiterbeiträge. Dafür bürge ich mit meinem Ehrenwort. Sie sind von Arbeitern aufgebracht und zwar von Arbeitern einer Stadt. Das weiß meine ganze Fraktion. Nur weil wir sehen wollten, was eine solche Bezeichnung von Sammlungen auf gewisse Kreise für eine Wirkung ausübt, haben wir sie gewählt. Die ganzen, Ihnen solch Erstaunen erweckenden Beiträge gehen nie und nirgends von Leuten aus, die direkt oder indirekt mit der Börse zu thun haben, alle Beiträge gehören dem allerengsten Parteikreise an. Die Summen sind mehr oder weniger die Folgen von Sammlungen, welche Parteigenossen in ihren Kreisen vorgenommen haben. Damit glaube ich die Ver⸗ dächtigung, als stände die Sozialdemokratie im Dienste der Börse, zurückgewiesen zu haben. Es ist doch unzweifelhaft, daß, wenn die Sozialdemokratie ans Ruder käme, es Niemand schlechter hätte als die Börse, daß unsere ganze Agitation darauf aufgebaut ist, der Kapitalmacht ein Ziel zu setzen. Wir sind fest überzeugt, daß, was Sie immer auf dem Boden der Innungen gethan haben und thun mögen, nicht im Allergeringsten im Stande ist, den Unter⸗ gang des kleinen Handwerks auch nur um einen Tag aufzuhalten. Und gerade, weil wir diese Ueber⸗ zeugung haben, bekämpfen wir diese Bestrebungen als auf Täuschung des kleinen Handwerks ausgehend. Wir suchen den kleinen Handwerkern klarzumachen, daß das, was ihre sogenannten Freunde auf dem Boden der Innungsbewegung zu erlangen suchen, ein Schlag ins Wasser ist. Thatsächlich ist auch in den langen Jahren materiell kein Vortheil dabei für das Handwerk herausgekommen. Die Erkenntniß von der Unfruchtbarkeit dieser Bestrebungen macht sich auch in Hand⸗ werkerkreisen immer mehr bemerkbar. Wer glaubt, daß man
des Handwerks, wie sie im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert bestanden haben, herbeiführen könne, hat von dem wirklichen Stande der Dinge und von der Entwickelung der Dinge nicht die geringste Ahnung. Ein zweiter Grund, der uns bestimmt, den scharf zu Leibe zu gehen, ist der, daß die Innungen mehr als jede andere . . 1 3 sprochensten Feinde der Arbeiter und der selbständigen Arbeiter⸗ bestrebungen sind. Diese Erfahrung haben wir wenigstens bisher gemacht.
fertigste. Weil eben der Innungsmeister fühlt, daß er gegen⸗
der Unzufriedenheit und Arbeiter und sucht aus viel herauszuschinden. Sie werden mit der Kommissionsfassung nichts weiter erreichen, als daß Sie die Lage des kleinen Handwerkerstandes, soweit er in den Innungen vereinigt ist, verschlechtern. Die Arbeiter sehnen sich auch gar nicht danach, bei einem kleinen Meister zu arbeiten, sondern streben lieber, in eine gut bezahlte Fabrikstätte zu kommen, weil dort eine geregelte Ordnung, Arbeitsweise und günstigere Lebens⸗ bedingungen vorhanden sind. Je unerträglicher Sie das Ver⸗ hältniß zwischen den Innungsmeistern und Arbeitern schaffen, um so mehr ziehen sich die Letzteren von dem Handwerk zurück. Der Abg. Biehl, der selbst Innungsmeister ist und mitten im praktischen Leben steht, wird mir bestätigen müssen, daß, wenn auf irgend einem Gebiete, es dem kleinen Unternehmer schwer fällt, ordentliche Arbeiter zu finden. Wenn Sie mit Ihren Innungsbestrebungen uns schaden und dem Handwerk nützen zu können glauben, so täuschen Sie sich nach beiden Seiten. Wie wir heute bereits einen sehr namhaften Theil der kleinen Handwerker in unseren Reihen zählen, so wird die Ueberzeugung von der vollständigen Unhaltbarkeit der Stellung des kleinen Hand⸗ werks und der vollständigen Nutzlosigkeit der Gesetzgebung, sie zu stützen, das Handwerk immer mehr auf unsere Seite treiben. Nur die Rücksicht auf Ihre bisherige Stellung zum kleinen Handwerker bestimmt Sie, an dem §. 72 festzuhalten, der im Grunde auch nach Ihrer Meinung einen unhaltbaren Zustand herbeiführt. Sie werden vielmehr die Sozialdemokratie, die Sie hassen und fürchten, durch solche Maßregeln statt zu schwächen nur stärken.
Abg. Böckel: Dafür, daß die Sozialdemokratie der Börse nicht zu Leibe geht, erinnere ich Sie an die Pariser Kommune, die vor Rothschild Halt gemacht hat. Was wollen Sie, wenn die ganze bestehende Ordnung zu Grunde ginge, an ihre Stelle setzen? Geben Sie uns doch ein deutliches klares Bild von Ihren sozialistischen Plänen. Sie sagen, die Innung habe nichts erreicht. Was haben Sie erreicht? Dann bezeichnen Sie die Innungen als Feinde der Arbeiter. Wenn die Sozialdemokraten fortwährend gegen die Innungen agitiren, so ergreifen ihrerseits die Innungen nur die Nothwehr. Die Anfälle der Sozialdemokratie sind für uns erst recht ein Sporn, sie zu bekämpfen. Hr. Bebel meint, wir fürchten die Sozialdemokratie. Kommen Sie nur hin, wo noch ein besserer Bauernstand und Handwerkerstand ist, da fürchtet man Sie nicht, da ist man bereit, den Kampf gegen Sie aufzunehmen.
Die Diskussion wird geschlossen.
In der Abstimmung über §. 12 wird gegen die Stimmen der Konservativen der Antrag Porsch angenommen, daß die Wahlberechtigung schon nach einjährigem Aufenthalt eintreten soll; der Antrag, daß auch die weiblichen Arbeiter wahl⸗ berechtigt sein sollen, wird in namentlicher Abstimmung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Volkspartei, der Freisinnigen mit Ausnahme der Abgg. Koch, Uhlen⸗ dorff und Witte und der Antisemiten mit Ausnahme von Liebermann's abgelehnt und zwar mit 157 gegen 79 Stimmen. Der Antrag, das Alter der Wahlfähigkeit auf das vollendete 21. Lebensjahr herabzusetzen, wird gegen die Stimmen der ““ der Volkspartei und der Freisinnigen ab⸗ gelehnt.
Mit der Aenderung Porsch gelangt der §. 12 im Ganzen zur Annahme.
Die Anträge Eberty zu 114 Stimmen abgelehnt, §. 72 genommen. ¹Schluß 5 ¾ Uhr.
Schale seines Zornes, Erbitterung gegen die möglichst viel
ganze der erung deren Arbeitskraft
8 72 werden mit 122 gegen 72 darauf unverändert an⸗
Eisenbahn⸗Verordnungs⸗Blatt. Herausgegeben im Königlichen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Nr. 14. — Inhalt: Verordnung, betreffend Ergänzung des §. 35 der Militär⸗Transport⸗Ordnung für Eisenbahnen im Frieden (Friedens⸗Transport⸗Ordnung). Vom 26. Mai 1890. (R.⸗G. S. 71.) — Allerhöchste Konzessions⸗Urkunde, betreffend den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Ronsdorf nach Müngsten durch die Ronsdorf⸗ Müngstener Eisenbahn⸗Gesellschaft. Vom 18. November 1889. — Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten: vom 29. Mai 1890, betreffend Anwendung der Instruktion für das Central⸗Wagen⸗ Abrechnungsbureau und der Vorschriften über die gemeinschaftliche Wagenbenutzung der Staatsbahnen u. s. w. auf die Schleswig⸗Hol⸗ steinische Marschbahn, Westholsteinische, Unterelbesche und Werns⸗ hausen⸗Schmalkaldener Eisenbahn; — vom 2. Juni 1890, betreffend Abänderung des §. 35 des Betriebs⸗Reglements für die Eisenbahnen Deutschlands sowie der Anlage D. zu diesem Reglement.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Die statutarische Bestimmung einer geschlossenen Gesell⸗ schaft (erlaubten Privatgesellschaft), wonach die Ausschließung eines Mitgliedes wegen unehrenhafter Handlungen erfolgen kann, ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Civil⸗ senats, vom 20. März 1890, im Geltungsbereich des Preußischen Allgemeinen Landrechts gültig; die Ausschließung kann demnach er⸗ folgen, auch wenn die unehrenhafte Handlung keine Zuwiderhandlung gegen den gemeinsamen Zweck der Gesellschaft enthätl. Als un⸗ ehrenhafte Handlung eines Gesellschaftsmitgliedes kann die von ihm bewirkte Veröffentlichung eines die Gesellschaft beleidigenden Artikels in einer Zeitung erachtet werden.
wir kein Interesse für das Wohlergehen des kleineren Ge⸗
werbes und Handwerkerstandes und kein richtiges Verständniß
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im 19. Jahrhundert mit irgend welchen Mitteln Zustände 98 1“ 1
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apitalistische Organisation die ausge⸗
Wenn im Allgemeinen jetzt ein keineswegs friedfertiges Verhältniß zwischen Arbeitern und Arbeitgebern besteht, so ist es innerhalb der Innungen das denkbar unfried⸗
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8* Die Bekämpfung der Reblauskrankheit. 8os Nach der soeben fertiggestellten zwölften Denkschrift über di Bekämpfung der Reblauskrankheit sind in Reblausangelegenheiten bis zum Schlusse des Etatsjahrs 1888/89 bezw. des Jahres 1889 r. 8s E“ 2 518 627,83 ℳ an Kosten
aufgewendet worden. Im Jahre 1888/89 erford i
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Die Hoffnung, daß es gelingen werde, den Schädling völli vernichten, kann nach den Erfahrungen, welche man im Jahre 1888/28 gemacht hat, festgehalten werden. Allerdings giebt die weitere Ver⸗ breitung der Reblaus in der preußischen Provinz Sachsen zu Besorg⸗ nissen Veranlassung, indessen dürfte die Entschiedenheit, mit welcher S. Kandfes fortgesett wird, endlich doch zum Ziele führen. en gegenwärtigen Stand der Krankheit is D if Folgendes zu entnehmen: “
In der Rheinprovinz sind bei der Revision der älter e
(im Jahre 1888/89) Rebläuse nirgends ermittelt worden Feent Herhe von abgestorbenen Thieren wurden nur selten gefunden. An neuen Herden wurden im linksrheinischen Gebiet 74 kranke Stöcke mit einem Flächeninhalt von 42,40 a und in dem rechtsrheini⸗ schen Gebiet 175 kranke Stöcke mit einem Flächeninhalt von 107,68 a aufgefunden. Aus den bisherigen Erfahrungen scheint her⸗ vorzugehen, daß die Behandlung eines verseuchten Geländes mit Schwefelkohlenstoff und Petroleum im Allgemeinen größere Sicherheit als eeea eat welches nur ausnahmsweise bei
erem undurchlässigen Boden und bei sehr nass . vaüa se iehe g d bei sehr nasser Witterung anzu
n der Provinz Hessen⸗Nassau haben die Reblausarbeit
ein befriedigendes Resultat ergeben. Zwei vnit Aehlen heiten welche bei einer Revision aufgefunden wurden, sind als neue Infektion nicht anzusehen. „Die Wurzeln rührten von Rebstöcken her welche vor Jahren von ihrem Besitzer ausgehauen worden waren, und sind seinerzeit, weil sie oberirdisch nicht sichtbar waren, bei der Desinfek⸗ tion jenes Herdes der Entdeckung und Vernichtung entgangen. Andere Infektionen wurden nicht ermittelt. 1
Dagegen hat die Reblaus in der Fortschritte gemacht. Während im Jahre 1888 nur 89 neue x egeaes mqsei beläuft sich die Zahl der im Jahre 1889 ermittelten Herde auf 156 mit 3920 k Stö Pmit einer 131 ranken Stöcken und mit einem „Im Königreich Sachsen wurden bei de isi älteren Herde innerhalb derselben oder in unbeitt eheviston der 8 Infektionen entdeckt. Diese Stellen sind gründlich mit Schwefelkohlen⸗ stoff und Petroleum behandelt worden, so daß hiermit die Haupt⸗ infektion des Weingebiets der Lößnitz als beseitigt angesehen werden kann. Weiter wurden bei der weiteren Untersuchung der bisher un⸗ berührten Weinberge 5 neue Reblausherde mit einem Flächeninhalt von 242 qam und 35 kranken Reben aufgefunden. Hier wurde aus⸗ schließlich mit Petroleum desinfizirt. 1 „Im Königreich Württemberg wurden bei der Revision der älteren Herde nur wenige Stockausschläge vorgefunden und Rebläuse oder Reblausreste nirgends ermittelt. Dagegen wurden 25 neue Herde entdeckt, die sich sämmtlich in der Nähe alter Herde befinden. Einer mit 0,08 a Flächeninhalt und 5 kranken Reben liegt in der Markung Stuttgart, die übrigen 24 mit 1,76 a Flächeninhalt und 176 kranken Reben (gegenüber 539 im Jahre 1888 und 2973 im Jahre 1887) sind in der Markung Neckarweihingen belegen. Die Vernichtungsarbeiten erforderten 20 774 kg Petroleum und 2900 kg Schwefelkohlenstoff.
In Schwarzburg⸗Rudolstadt sind in den früher inftzirten Gemarkungen Tauschwitz und Fischersdorf nahe der preußischen Ge⸗ markung Kaulsdorf an sechs Stellen wieder lebende Rebläufe (30 Exemplare) gefunden; in Folge der ungünstigen Bodenverhältnisse waren viele Rebwurzeln der Vernichtung entgangen.
In Elsaß⸗Lothringen sind im Ganzen 24 neue Reblaus⸗ herde mit einem Flächeninhalt von 64 331 am und 849 kranken de ehn. .“ von u“ 21 in unmittelbarer Nähe
alteren Herde, in den Gemarkungen Lutterba Hegenhei Vallières und St. Julien belegen sind. 8 “
In Frankreich wurden im Jahre 1888 auf Grund des Gesetzes vom 1. Dezember 1887, betreffend die zeitweise Befreiung reblaus⸗ befallener Weinberge von der Grundsteuer, 108 396 ha, welche sich auf 4270 Gemeinden mit einem Grundsteuerbetrag von 1 599 417 Franken vertheilen, von dieser Steuer befreit. Während der Jahre 1888 und 1889 ist die Reblaus in drei, bis dahin verschont gebliebenen ts Aube, Haute Saône und Sarthe er⸗ chienen. In folgenden 11 Arrondissements wurden zum ersten Male in den genannten Jahren Reblausherde entdeckt: Castellane (Hautes Alpes), Mende (Lozère), Riom Puy de Dome), Joigny (Yonne), Troyes, Noyent-sur⸗Seine und Bar⸗sur⸗ Aube (Aube), Vesoul und Gray (Haute Saone), Bonneville (Haute Savoie), Saint Calais (Sarthe). Außerdem wurde die Reblaus ge⸗ funden im Kanton von Moret (Arrondissement Fontainebleau) und an den Svpalierreben der Ackerbauschule von Grignon. An Staats⸗
Provinz Sachsen große
8 unterstützungen zur Vernichtung der Reblaus wurden den Gemeinden
im Jahre 1888 180 985, im Jahre 1889: 193 852 Fr. gewährt. Besonders groß waren die Anstrengungen, welche zur Wiederberstellung der Weinberge vermittelst der Anpflanzung amerikanischer Reben gemacht wurden. „Im Jahre 1888 waren bereits 214 787 ha in 43 Departements mit amerikanischen Reben bepflanzt (gegen 166 517 ha im Jahre 1887) und im Jahre 1889 stiegen diese Zahlen auf 299 801 ha in 44 Departements. Der größte Theil wurde mit französischen Rebsorten veredelt. In Algier ist es in den fünf Jahren, seitdem die Reblaus dort entdeckt worden, gelungen, das Uebel zu lokalisiren. Seit 1885 fielen dort der Reblaus zum Opfer 144 ha.
In Spanien sind die reichsten Provinzen durch die Reblaus schwer heimgesucht. In der Provinz Malaga besonders sollen die⸗ kleineren Weingutsbesitzer genöthigt gewesen sein, entweder ihre bescheidenen Besitzungen zu schlechten Preisen zu verkaufen oder sie zu verlassen. Diese Lage hat die Zahl der beschäftigungslosen Arbeiter ver⸗ mehrt und eine erhebliche Auswanderung nach Süd⸗Amerika veranlaßt.
In Portugal dehnt sich die Anpflanzung von amerikanischen Reben über das ganze Land aus. Besonders die nördlichen Provinzen haben bisher besonders unter den Angriffen der Reblaus zu leiden gehabt. Vor dem Eindringen der Reblaus wurden geerntet 410 828 hl, dagegen 1887: 194 564 hl. Der Schaden, welcher durch die Reblaus diesen Gebieten erwächst, wird auf 1 435 575 Milreis jährlich geschätzt; der Jahresertrag ist von 2 054 125 Milreis auf 618 550 Milreis gesunken.
„Im Kanton Zürich ist die Reblaus bis jetzt auf die drei Be⸗ zirke Zürich, Bulach und Dielsdorf beschränkt geblieben. Im Kanton
euenburg wurde 1888 ein größerer, 548 Reben umfassender Reb⸗ lausherd entdeckt. Im Uebrigen zeigte sich eine Abnahme in der Anzahl der Reblausherde. Im Kanton Genf wurden in der Um⸗ gegend der früheren Reblausherde 80 infizirte Punkte gefunden und 19 Herde mit zusammen 12 631 kranken Reben neu entdeckt. Im Kanton Waadt wurden 8 neue Herde entdeckt.
In Italien wurden neue Reblausherde mit einer Fläche von rund 72 ha aufgefunden. Die Gesammtgröße der in Italien 1888 durch die regelmäßigen Untersuchungen entdeckten Reblausherde betrug rund 438 ha; in den aufgegebenen Gebieten beträgt die Größe der
verseuchten Flächen rund 34 605 ha. Die Kosten der Reblaus⸗ bekämpfung hetrugen 1888 bis 1889 539 577 Lire.
In Oesterreich hat die Krankheit beträchtlich an Ausdehnung gewonnen. Bis Ende 1888 wurde das Vorhandensein der Reblaus festgestellt in Niederösterreich in 61 Ortsgemeinden auf einer Fläche von 4975 ha, in Steiermark in 39 Ortsgemeinden auf einer Fläche von 4000 ha, in Krain in 26 Ortsgemeinden auf einer Fläche von 5443 ha und im Küstenland in 13 Ortsgemeinden auf einer Gesammt⸗ 2 8 8358 ha. Im Ganzen betrug die heimgesuchte Fläche 22 776 ha.
In Ungarn wurde das Vorhandensein der Reblaus bis zu Ende des Jahres 1888 in 41 Departements und 1249 Gemeinden 88*8 stellt. Die Zahl der infizirten Departements ist um 3, die Zahl der verseuchten Gemeinden um 452, d. h. um nahezu 55 % während des Jahres 1888 gestiegen. Die Regierung fuhr mit der Verbreitung der amerikanischen Reben fort und, obgleich die Staatsrebschulen schon groß Mengen von Schnitt⸗ und Wurzelreben lieferten, ließ man doch gleichzeitig 249 080 Schnitt⸗ und 177 300 Wurzelreben aus Süd⸗ frankreich kommen, um der Nachfrage der Weinbauern genügen zu können. Die Menge der aus Frankreich nach Ungarn in den Jahren 1881—1888 eingeführten amerikanischen Reblinge beläuft sich auf 6 296 097 Schnittlinge.
In Rußland, und zwar im Kaukasus, wurde 1888 in den Weinbergen der Kolonie Rosenfeld im Kuban schen Distrikt ein kleiner Reblausheerd entdeckt; er wurde vermittelst eines Gemenges von Schwefelkohlenstoff mit Photogen behandelt. Mit demselben Mittel wurden die 1887 aufgefundenen Reblausheerde vernichtet. In der Umgebung von Suchum wurden alle Punkte untersucht, an welchen die Reblauskrankheit seit 1881— 1888 entdeckt worden war. Die Reblaus wurde nur an einer sofort vernichteten Rebe gefunden. Die Kosten der Reblausbekämpfung im Kaukasus beliefen sich für das Jahr 1888 auf 21 500 Rubel. Im Jahre 1889 wurde die Reblaus auch in dem bis dahin für verschont geltenden kaukasischen Gouvernement Kutais entdeckt. Das Uebel zeigt daselbst bereits eine große, ernste Befürchtungen rechtfertigende Ausdehnung.
In Kleinasien greift die Krankheit in der Umgegend von Smyrna mehr und mehr um sich.
„In Afrika ist die Reblaus am Kap wahrscheinlich schon seit 1880 vorhanden. Das Insekt tritt dort ebenso verheerend auf, wie in Europa. Der einzige Unterschied zu Gunsten der Reben wird be⸗ dingt darch die dort das ganze Jahr hindurch dauernde Reproduktions⸗ fähigkeit der Pflanzen.
In Kalifornien nimmt die Verbreitung der Reblaus zu. Das daselbst vor einigen Jahren in Anregung gebrachte Verfahren der Reblausvertilgung durch Quecksilber, welches in kleinen Mengen der die Rebwurzel umgebenden Erde beigemengt wurde, hat sich als unwirksam erwiesen. Obgleich die Verheerungen durch die Reblaus sehr groß sind und fortwährend an Ausdehnung gewinnen, und obgleich seit Jahren viel von der Widerstandsfähigkeit der Wildreben die Rede ist, so ist doch die Zahl der in Kalifornien mit solchen Wildrebenunterlagen versehenen Pflanzungen noch eine verhältnißmäßig geringe. 1
8 Geographischer Monatsbericht.
Auf Grund von Dr. Petermann's Mittheilungen. . (Geschlossen am 22. Mai 1890.) 1
11 3 8
. Europa. Mittel⸗Europa. Ein neues Forschungsergebniß von be⸗ deutendem Werth ist die durch Dr. P. Elfert in Merseburg er⸗ wiesene Vertbeilung der mittleren jährlichen Bewölkung in Mittel⸗Europa, eines nicht zu unterschätzenden klimatischen Faktors, durch welchen naturgemäß gewissermaßen alle anderen lemente in ihrem Werth beeinflußt werden, vor allem die Temperatur. — Als Frucht einer von 120 Stationen geleisteten mehr als zehnjährigen mühevollen wissenschaftlichen Arbeit liegen nunmehr folgende Resultate vor: 1) Die Be⸗ wölkung nimmt im Jahresmittel von der Nordsee, auf welcher sie ihre größte Höhe auf ausgedehntem Gebiet erreicht, sowohl nach der Ostsee wie nach Ungarn und der Balkan⸗Halbinsel und Südfrankreich und Italien beträͤchtlich ab, nämlich um 30 — 40 %. 2) Gebirgsketten, namentlich wenn ihre Streichungsrichtung den feuchten SW.⸗, W.⸗ und NXW.⸗Winden zugekehrt ist, haben eine höhere Bewölkung als ihre Umgebung. 3) Die Luvseite der Gebirge hat stets eine größere Bewölkung als die Leeseite; namentlich tritt die Verringerung der Bewölkung auf der Leeseite überall hervor (Thü⸗ ringer Wald, Harz, Schwarzwald, Riesengebirge, Tatra u. s. w.). 4) Von Gebirgen eingeschlossene Gebiete (Böhmen, Mähren, Sieben⸗ bürgen), sowie tief eingeschnittene Gebirgs⸗ bzw. Flußthäler (Mittel⸗ rhein, obere Donau, Drau, obere Rhone ꝛc.), besonders wenn die⸗ selben den herrschenden Winden quer gegenüber stehen, zeichnen sich gleichfalls durch geringe Bewölkung aus. Anidererseits finden sich aber auch Thalstationen (Mürzzuschlag) mit hoher Bewölkung, die
hier hauptsächlich auf die häufigen Thalnebel sich zurückführen läßt. 5) Bedeutendere Abweichungen einzelner Stationen von ihrer Um⸗ gebung werden veranlaßt durch lokale Verhältnisse, namentlich durch die Lage an einem mehr oder weniger ausgedehnten See, in aus⸗ gedehnten Wäldern oder deren Nähe, überhaupt in extrem feuchten Gebieten des Binnenlandes.
Ost⸗Europa. Durch die kürzlich erfolgte Ausgabe der drei⸗ blätterigen hypsometrischen Karte des europäischen Ruß⸗ land vom General⸗Major A. von Tillo (Maßstab: 1 Zoll = 60 Werst) — herausgegeben vom Ministerium der öffentlichen Verkehrswege. St. Petersburg (1:22 520 000) — hat unsere Kennt⸗ niß der orographischen Verhältnisse des europäischen Rußland eine Bereicherung erfahren, wie seit geraumer Zeit keine von ähnlichem Werth. Auf dieser Karte, welche das Gebiet des europäischen Ruß⸗ land mit Ausnahme der nördlichen Theile — vom 61. Breitengrad nordwärts — und des Kaukasus umfaßt, tritt zum ersten Mal eine Gliederung des großen sarmatischen Binnenlandes durch zwei breite, ausgedehnte, meridional streichende Bodenschwellen mit voller Deutlichkeit hervor. Die lange Zeit hindurch in vielen geographischen Lehrbüchern eingebürgerten Bezeichnungen „Uralisch⸗baltischer“ und „Uralisch⸗karpatischer Landrücken“ dürften durch von Tillo's Arbeiten nunmehr endgültig beseitigt sein. Die Vorstellung einer uralisch⸗ karpatischen Landschwelle scheint an die Verbreitung des Schwarzerde⸗ Distriktes anzuknüpfen, findet jedoch in den orographischen Verhält⸗ nissen des Landes keinerlei Anhaltspunkte. Auch eine zusammenhängende Terrainschwelle, welche, von WsW. nach 0NO. das Innere des europäischen Rußland durchziehend, die preußische Seenplatte mit dem Ural in Verbindung setzen würde, existirt nicht. Vielmehr scheint die mittelrussische Bodenschwelle jenseit der Waldai⸗Berge eine Fort⸗ setzung in jenem Landrücken zu finden, der das Flußgebiet der Wolga von demjenigen des nördlichen Eismeeres scheidet und den Namen „Uwaly“ trägt. Doch bleibt es zweifelhaft, ob jener Landrücken that⸗ sächlich eine ununterbrochene Bodenerhebung darstellt, da das hypsome⸗ trische Material gerade für dieses Gebiet nur ein sehr spärliches ist. — Kein Punkt innerhalb dieses ganzen ungeheueren Landgebietes über⸗ schreitet die Höhe von 425 m. Nur außerhalb des inneren Theils
1890.
oberschlesisch⸗polnischen Platte erheben sich die Krakauer Berge bei Olkusch zu 492 m, die Lysiza Gora bei Ssandomir zu 617 m. In den Berggruppen von Ljublin und (Awratyn erreicht kein Punkt 425 m, dagegen weist die podolische Platte bei Chotin Höhen von 470 m auf. In der Krim steigen im Jaila Dagh die beiden höchsten Spitzen Kemal Agerek und Tschatyr Dagh zu 1521 m, bzw. 1519 m auf. Im UMral erreicht der an. Tau 1642 m, der Iremel 1595 m. 1 1 sien.
Die Aufnahme der Molo⸗Straße, deren Kartenbild Prof. Dr. A. Wichmann in Utrecht neuestens auf Grund einer Reihe von Einzelaufnahmen zusammengestellt und veröffentlicht hat, inter⸗ essirt hier zumeist. Ist doch unter den zahlreichen Meeresengen, welche die Kleinen Sunda⸗Inseln von einander scheiden, die Molo⸗Straße diejenige, deren Existenz erst im Laufe dieses Jahrhunderts bekannt geworden. Den Ankaß dazn gab die energisch ins Werk gesetzte Ver⸗ folgung des Seeräuberunwesens: im Jahre 1855 drang das Kriegsschiff „Celebes“, von N. kommend, in die Badjo⸗Bai (Labuan Badjo) ein, durchfuhr die Molo⸗Straße und ge⸗ langte in die tiefe Bucht, welche sich an der Ostküste der Rindja befindet. Auf den bei dieser Fahrt gewonnenen Resultaten beruhen die bisherigen Darstellungen der Seekarten. Die jüngsten Aufnahmen stellen nun vor allen Dingen fest, daß der Verlauf der Westküste von Flores ein anderer ist, als bisher angenommen. Von der eigentlichen Meeresenge verläuft dieselbe in nordwestlicher Richtung, enthält aber zahlreiche kleine Einbuchtungen, unter denen die Madurabai einen guten Ankerplatz darbietet. Ebenso sind die Küstenkonturen nordwärts bis zum Kampong Badjo, sowie die Lage der vielen kleinen Inselchen in Folge dieser Aufnahmen festgestellt worden. Die schmalste Stelle der Straße befindet sich zu Seiten der Insel Tuko Husalo, westlich derselben 108 m, östlich davon 279 m breit. Die Richtung des starken Stromes derselben ist im Wesentlichen zweifellbos von dem Stande des Mondes abhängig: mit aufgehendem Mond gen N., mit der Kulmination tritt Kenterung ein, worauf der Strom bis zum Untergange nach 8., bis zur untern Mondkulmination wieder nach N. fließt u. s. f. Gleiches wird von der Balisstraße berichtet. — Für die Konstruktion des Kartenbildes der Molo⸗Straße wurde die im Jahre 1888 durch den Lieutn. z. S. Lamin vorgenommene Positions⸗ bestimmung des Südostpunktes von Gilibodo zu 80 21“ 25,3“ s. Br. und 120⁰0 1* 40,8“ ö5. L. v. Gr. benutzt.
1 26 Afrika.
Ost⸗Afrika. Nach des Grafen Teleki und L. von Höhnel's Aufnahmen, sowie nach den übereinstimmenden Angaben der Reisenden ist Ost⸗Afrika von zahlreichen grabenförmigen Einsenkungen durch⸗ zogen. Zugleich ist durch Höhnel's Darstellung der Gegend um den Rudolphsee und Stephaniesee erwiesen, daß sich in eigenthümlicher und unerwarteter Weise eine Verbindung mit dem erythräischen Graben und dem Graben des Todten Meeres herstellt. — Der Nyassa liegt in einem meridionalen Graben, welcher knapp nördlich vom See gegen NW. abgelenkt ist und vielleicht den Leopoldsee in sich faßt. In einer selbständigen Grabensenkung liegt der Taganvika, welcher, wie seine abweichende Fauna zeigt, wahrscheinlich von höherem Alter ist. Entfernter davon, aber, wie aus Stanley's Dar⸗ stellung hervorgeht, auch in einem Graben liegen der Albert⸗See und Albert Edward⸗See. — Während der meridionale Graben des Nyassa im Norden abgelenkt ist, tritt weiter gegen N. ein neuer meridionaler Graben auf, dessen südliches Ende unbekannt ist, welcher aber vom
Manjara⸗See bis zum Rudolph⸗ und zum Stephanie⸗See eine An⸗
zahl abflußloser Seen umfaßt, darunter Naiwascha und Baringo, und welcher seiner ganzen Länge nach zwischen dem Flußgebiete des Nil und der Abdachung zum indischen Ozean liegt. Den Verlauf desselben hat uns die Reise Teleki's und Höhnel's bis in die Nähe des abessinischen Hochlandes erschlossen. — In de Gegend des Sees Abala bleibt eine Lücke, und es ist nicht mit B stimmtheit zu sagen, ob von diesem See ein Abfluß gegen Osten stattfindet oder nicht. Deutlich ist aber einerseits aus Höhnel's, andererseits aus den Darstellungen von Borelli, Ragazzi und Traversi zu entnehmen, daß das Phänomen des Einbruches nicht am Stephaniesee endet. Der östliche Abbruch des abessinischen Hochlandes ist als die wahre westliche Begrenzung des erythräischen Grabens anzusehen. Die Südküste des Golfes von Aden, welche der Nordküste parallel ist, setzt sich als Absturz über das Gebiet von Harar land⸗ einwärts fort, und das ganze abflußlose Gebiet des Hawasch, sowie ganz Afar bis über Massaua ist als gesenktes Land anzusehen, ein Theil des erythräischen Grabens. — Eine weitere meridionale Graben⸗ senkung umfaßt den Golf von Akaba, das Todte Meer und den Lauf des Jordan; daran schließt sich unter stumpfem Winkel die Bekza, und erst in der Nähe des Außenrandes der gefalteten eurasiatischen Bogenzüge zersplittert sich der Bruch in die von Diener beschriebene Virgation von Palmyra. 0 Akademischer Anzeiger. 1890, Nr. X.) Ueber Dr. Peters; Expedition nach Wadelai zur Unter⸗ stützung von Emin Pascha bestätigen die letzten sicheren, von Oskar Borchert zurückgebrachten Nachrichten seinen Abmarsch von Odo Bororuwa am obern Jana Anfang November 1889; sein jüngster Bericht an das deutsche Comits (Deutsche Kolonialzeitung 10. Mai 1890) datirt vom 16. Januar 1890 aus Kapte in Kamasia, westlich vom Baringo⸗See. Eine längst erwünschte Bereicherung der Karte ist seine Route vom obern Jana nach dem Kenig, den er im Süden umging; in der Richtung der von Thompson und dem Grafen Teleki begangenen Wege gelangte er dann nach dem Baringo. Ueber den Verbleib des Guaso Nyiro konnte Dr. Peters Sicheres nicht ermitteln; er wiederholt die Vermuthung von Thomp⸗ son, welche jedoch durch von Höhnel schon berichtigt worden ist. Von Emin’s Abmarsch aus seiner Provinz hatte Dr. Peters noch keine Nachricht; in der Hoffnung, am Viktoria⸗Njansa Näheres zu er⸗ 8 fahren, verzichtete er in erfreulicher Vorsicht auf den direkten Marsch durch Turkana nach Wadelai, um nicht möglichenfalls dem Mahdi in die Arme zu laufen, und beschloß statt dessen durch Uganda zu passiren. bööö Ehlers theilt in einem interessanten Briefe an Professor Schweinfurth (⸗Kölnische Zeitung“, 14., 15. Mai 1890) mit, er habe, nachdem er die Geschenke des Deutschen Kaisers an den Häuptling Mandara in Moschi am Fuße des Kilimandscharo abgeliefert, Anfang März 1890 den Versuch gemacht, nach SW. zu dem nur durch Er⸗ kundigungen bekannten Manjara⸗See vorzudringen, sei aber nur bis Aruscha gelangt, wo die Bewohner seinem Weitermarsche Schwierig⸗ keiten bereiteten und die Rücksicht auf mehrere erkrankte Leute die Schutztruppe zur Umkehr zwang. Daß die Be⸗ wohner sich Dr. Fischer's, welcher 1883 durch Aruscha ge⸗ zogen, nicht entsinnen konnten oder wollten, rechtfertigt durchaus nicht die Behauptung, daß Dr. Fischer nicht im Lande selbst gewesen sei. Auf der Rückreise nach Moschi gewann Ehlers im Lande Meru aus einer Höhe von etwa 6000 Fuß (1800 m) einen klaren Ueberblick über den Kilimandscharo, und seine jetzigen Wahrnehmungen gaben ihm die Veranlassung, seine Angaben über die Besteigung des Kili⸗ mandscharo, an welchen bereits, wie wir früher berichtet, Dr. H. Meyer Purtscheller scharfe Kritik geübt hatten, rückhaltlos zu be⸗ richtigen.
Dr. Oskar Baumann, welcher im Auftrage der Deutschen ostafrikanischen Gesellschaft Vermessungen vornimmt, zunächst in Usambara, berichtet über seine neuesten Erfolge unterm 12. April 1890 an Dr. Hassenstein Folgendes: Ein gutes Stück Usambara ist bereits aufgenommen. Mit seiner Expedition von 60 Mann und
finden sich im europäischen Rußland bedeutendere Erhebungen: in der
7 Soldaten der deutschen Schutztruppe habe er sich von Tanga nach
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