1890 / 267 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 Nov 1890 18:00:01 GMT) scan diff

Die „Amtlichen Nachrichten des Reichs⸗Versiche⸗ rungsamts“ veröffentlichen eine Geschäftsanweisung für die Vorstände der auf Grund des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes errichteten Ver⸗ sicherungsanstalten, betreffend die Auszahlungen durch die Post, vom 29. Oktober 1890; ferner ein Rund⸗ schreiben des Reichs⸗Versicherungsamts an die Vorstände der Versicherungsanstalten über denselben Gegenstand.

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reibt uns aus Paris:

neaaz Schwindler Julian Isidor Kayser, welcher um die Mitte der 80er Jahre durch seine Betrügereien und Erpressungen von sich reden machte und von vielen deutschen Behörden wegen derselben verfolgt wurde, hat hier sein gemeingefährliches Treiben wieder aufgenommen. Er hatte bekanntlich damals von hier aus unter verschiedenen Namen wie César, Graf Kleist, Lecomte, Comte de Kinski, Kayser u. A. und unter dem Titel General⸗Direktor eines Heirathsvermittelungs⸗ oder Bank⸗Instituts „Fortuna“ sowie unter dem Namen seiner Genossin Jeanne d'An⸗ toine zahlreiche Betrügereien und Erpressungen verübt, denen viele Personen auch besserer Gesellschaftsklassen in Deutschland zum Opfer gefallen sind. Nachdem Kayser eine Zeit lang in einer Irrenanstalt verwahrt gewesen war, hat er mehrere Jahre lang nichts von sich hören lassen. Seit einigen Monaten schreibt er aber wieder von hier aus Briefe an seine Opfer unter der Firma „Themis, Institution internationale pour la sauve- garde des droits et la représentation auprès des tribunaux français et étrangers? und mit der Unterschrift „Dr. Kayser..

In diesen Briefen macht er Namens der Jeanne d'Antoine Forderungen aus seinen schwindelhaften Heiraths⸗Vermittelungs⸗ geschäften in den Jahren 1885/1886 geltend. Da voraus⸗ sichtlich viele Personen, welche diesem Schwindler Vertrauen geschenkt und Geheimnisse anvertraut haben, sich durch seine Drohungen zu neuen Opfern werden bewegen lassen, so er⸗ scheint es angezeigt, vor diesem gefährlichen Menschen zu warnen.

Der Königlich bayerische Gesandte am hiesigen Aller⸗ höchsten Hofe Graf von Lerchenfeld⸗Köfering hat sich auf einige Tage nach München begeben. Während seiner Ab⸗ wesenheit von Berlin fungirt der Legations⸗Sekretär Freiherr von der Tann⸗Rathsamhausen als Geschäftsträger.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Ober⸗Regierungs⸗Rath Geiger ist hier eingetroffen.

Der Direktor des Militär⸗Oekonomie⸗Departements im Kriegs⸗Ministerium, General⸗Lieutenant Stockmarr ist von Dienstreisen hierher zurückgekehrt.

n der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des ‚„Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Zucker⸗ mengen, welche in der Zeit vom 16. bis 31. Oktober

1890 innerhalb des deutschen Zollgebiets mit dem Anspruch Nauf Steuervergütung abgefertigt und aus Niederlagen gegen Erstattung der Vergütung in den freien Verkehr zuruückgebracht worden sind, veröffentlicht.

Kiel, 4. November. Bei der heute stattgehabten Stadtverordnetenwahl haben, dem „W. T. B.“ zufolge, die Sozialdemokraten den Sieg davon getragen. Die Gegenkandidaten waren Kommerzien⸗Rath Sartori und Gewerbe⸗ schul⸗Direktor Ahrens.

Frankfurt a. M., 5. November. Se. Hoheit der Herzog von Nassau ist, laut Meldung des „W. T. B.“, mit dem Erbprinzen Wilhelm heute um 8 Uhr früh nach Luxemburg abgereist. In Begleitung des Herzogs befanden sich der Adjutant Graf Metternich und der Kammerherr und Finanz⸗Präsident von Dungern.

Kassel, 4. November. Der vierte Provinzial⸗Landtag ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute durch den Ober⸗Präsidenten Grafen Eulenburg eröffnet worden.

Sigmaringen, 3. November. In den letzten Tagen des vorigen Monats war hier, wie dem „Schw. Merk.“ be⸗ richtet wird, der hohenzollernsche Landesausschuß zu einer Sitzung versammelt. Den hauptsächlichsten Gegenstand der Berathung bildeten Angelegenheiten der Straßenbauverwaltung. Der Verwaltungs⸗Etat der hohenzollernschen Feuersozietät für 1891/92 ist auf 133 500 veranlagt. Die Brandschaden⸗ zahlungen haben seit 1⸗April bereits eine solche Höhe erreicht, daß die etatsmäßig dafür bestimmte Summe nicht mehr aus⸗ reicht; es muß deshalb der Kommunal⸗Landtag um Bewilligung eines außerordentlichen Kredits ersucht werden. 8

Bayern.

Muünchen, 5. November. Der Reichskanzler von Caprivi ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute Vormittag 11 Uhr hier eingetroffen und wurde auf dem Bahnhofe von dem Minister⸗Präsidenten Freiherrn von Crailsheim im Auftrage Sr. Königlichen Hoheit des Prinz⸗Regenten sowie von dem preußischen Gesandten Grafen zu Rantzau, den Mitgliedern der Gesandtschaft, dem bayerischen Gesandten in Berlin Grafen von Lerchenfeld⸗Köfering und dem General⸗Direktor der Staatsbahnen Schnorr von Carolsfeld empfangen. Von dem zahlreich anwesenden Publikum lebhaft begrüßt, begab sich der Reichskanzler in Beglei⸗ tung des Freiherrn von Crailsheim zu Wagen nach dem Hause der preußischen Gesandtschaft, wohin alsbald Graf zu Rantzau und Graf Lerchenfeld folgten. Bei Sr. Königlichen Hoheit dem Prinz⸗Regenten findet heute zu Ehren des Reichs⸗ kanzlers ein Diner statt. Um 9 uhr Abends ist beim Minister⸗Präsidenten Freiherrn von Crailsheim ebenfalls ö““ Langesesheit 2 Heschataegese eine Soirée,

her alle Minister, die obersten Hofchargen und das diplomatische Corps theilnehmen ”] 6b

1“ Sachsen.

resden, 4. November. Heute früh brachten, wie das

Stt J. meldet, Ihrer Majestat der Königin aus Anlaß Ulerhöchstihres Namensfestes die Musikcorps des

2. Grenadier⸗Regiments Nr. 101 und des Schützen⸗Regiments

Nr. 108 in der Königlichen Villa zu Strehlen eine Morgen⸗ musik dar. Zu der um 5 ½ Uhr daselbst stattfindenden König⸗ lichen Tafel waren die hier anwesenden Ober⸗Hof⸗ und Hof⸗ chargen befohlen.

Württemberg.

Stuttgart, 4. November. Se. Majestät der König nahm heute, dem „St.⸗A. f. W.“ zufolge, die Meldung des mit der Führung des XIII. Armee⸗Corps beauftragten General⸗Lieutenants von Wölckern entgegen. Ihre König⸗ lichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Wilhelm sowie Se⸗ Durchlaucht der Prinz Friedrich von Schaumburg⸗ Lippe folgten gestern einer Einladung Ihrer Majestäten zur Tafel. Zu Ehren des bisherigen kommandirenden Generals von Alvensleben geben die Offiziercorps morgen ein Abschiedsessen. Hierzu sind zahlreiche Anmeldungen aus allen Garnisonen des Corpsbezirks eingelaufen.

Hessen. Darmstadt, 4. November. Wie die „Darmst. Ztg. vernimmt, findet die Eröffnung des XXVII. Landtages am 25. d. M. statt. Mecklenburg⸗Schwerin. 8 Parchim, 4. November. An den hiesigen Magistrat ist vom General⸗Feldmarschall Grafen von Moltke, den „Meckl. Nachr.“ zufolge, folgendes Schreiben eingegangen: „Meine liebe Vaterstadt Parchim, die mir schon so viele Beweise ihrer Sympathie und ihres Wohlwollens gegeben, hat mich auch an⸗ läßlich meines diesjährigen Geburtstages wieder mit einem prachtvollen Geschenk hoch erfreut. Die künstlerisch ausgeführten Ansichten der Stadt und deren Baulichkeiten in dem schönen Album sind mir eine liebe Erinnerung an den Ort, in dem ich meine früheste Kindheit ver⸗ lebte und dem jetzt als Ehrenbürger anzugehören ich als ganz be⸗ sonderen Vorzug betrachte. Ich bitte den Magistrat und die Stadt⸗ verordneten, meinen verbindlichsten Dank entgegennehmen zu wollen. Hochachtungsvoll ergebenst Gr. Moltke, Feldmarschall 28. Oktober 1890.“

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. 8 86 Coburg, 5. November. Se. Hoheit der Herzog ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute Vormittag aus Ober⸗Oesterreich hierher zurückgekehrt. Reuß ä. L.

+ Greiz, 4. November. Heute Mittag sind Ihre Durchlauchten der Fürst und die Fürstin mit den Fürst⸗ lichen Kindern nach mehrwöchigem Aufenthalt Jagöschlosse Burgk hierher zurückgekehrt.

Reuß j. L. Gera, 4. November. Ihre Durchlaucht die Erb⸗ prinzessin ist, der „Ger. Ztg.“ zufolge, gestern aus Pots⸗ dam auf Schloß Osterstein eingetroffen.

““

. Oesterreich⸗Ungarn.

Wien, 5. November. Das 19. In fanterie⸗Regi⸗ ment „Franz Ferdinand von Oesterreich“ stellt, wie „W. T. B.“ meldet, die Ehren⸗Compagnie zum Empfange Sr. Kaiser⸗ lichen Hoheit des Großfürsten⸗Thronfolgers von Rußland. Der diesseitige russische Botschafter Fürst Lobanow Rostowski ist dem hohen Gast bis Prerau ent⸗ gegengereist. . 8

Das,Fremdenblatt begrüßt in einem Artikel den Groß⸗ fürsten⸗Thronfolger. Das Blatt erblickt in dessen Wiener Besuch ein Zeichen des freundschaftlichen Verhältnisses beider Herrscherfamilien. Die Bevölkerung sehe hierin ein erfreuliches Symptom der Hochachtung, die dem Kaiser von Rußland von maßgebender Seite in Wien für seine Zurück⸗ weisung der leidenschaftlichen Bestrebungen der panslavistischen Minorität gezollt werde und in der sympa hischen Auf⸗ nahme des Großfürsten⸗Thronfolgers einen aufrichtigen Aus⸗ druck finden werde. Der Großfürst⸗Thronfolger werde auch in Wien die friedlichsten Gesinnungen finden; für das öster⸗ reichisch⸗ungarische klare Friedensprogramm herrsche sicherlich auch in St. Petersburg volles Verständniß. Jedes Zeugniß der freundlichen Beziehungen der Monarchen sei ein neuer Beweis des segensreichen Strebens der Herrscher, welche gegen die Leidenschaften unruhiger Fraktionen eschützen.

Der Tiroler Landtag nahm gestern nach längerer Debatte den Antrag Schenk an, die Regierung aufzu⸗ fordern, legislative und administrative Maßregeln zur Ein⸗ haltung der Sonn⸗ und Festtagsruhe, sowie zur Heilig⸗ haltung dieser Tage veranlassen zu wollen.

In Budapest scheint man, wie die „Presse“ schreibt, aus Anlaß der Wegtaufungs⸗Affaire nicht ganz ohne Sorge zu sein. Wenigstens geht dies aus den Warnungen hervor, welche der „Nemzet“ der Geistlichkeit ertheilt, indem er darauf verweist, daß ein Kampf zwischen Staat und Kirche immer nur in Folge der Agitation des niederen Klerus stattgefunden hätte und daß der hohe Klerus nie und nirgends weder im Interesse der Kirche, noch im eigenen Interese Grund und Anlaß gefunden hat, mit dem Staate in Konflikt zu gerathen. In Ungarn, wo es eigentlich noch nie einen Kulturkampf gegeben hat, hätten Staat und Klerus zu jeder Zeit einen modus vivendi zum Ausgleich ihrer Ansprüche gefunden. Die ungarischen Prälaten möchten bei Zeiten der Agitation des niederen Klerus zu Gunsten der Einführung der katholischen Autonomie entgegen⸗ treten. Die bösen Folgen eines Kulturkampfes würde in erster Reihe der hohe Klerus selbst zu tragen haben.

Vorgestern trat, wie wir dem „Prag. Abdbl.“ entnehmen, in Karlowitz die serbische Bischofs⸗Synode zusammen. Dieselbe hat sich mit der Besetzung der vakant gewordenen Temesvarer Diözese und mit anderen laufenden Angelegen⸗ heiten zu beschäftigen. Vor dem Beginn der vorgestrigen Er⸗ öffnungs⸗Sitzung richtete der Königliche Kommissär Baron Nikolié an die im Sitzungssaal der Patriarchen⸗Residenz versammelten Bischöfe eine Ansprache, in welcher er die Zuversicht ausdrückte, daß die Synode ihre Aufgabe zum Wohle des Vaterlandes, zum Nutzen der Kirche und zur Zu⸗ friedenheit des Monarchen glücklich lösen werde. Der Patriarch Brankovic dankte hierauf im eigenen sowie im Namen des serbischen Episkopats Sr. Majestät dem Kaiser für die Allergnädigste Kenntnißnahme des Zusammentritts der Synode und erblickte darin einen neuerlichen Beweis der väterlichen Fürsorge Sr. Majestät für das Wohl des serbischen Volkes und seiner Kirche, welches, hierfür dankbar, die angestammte Treue zum erlauchten Herrscherhause und dem

geliebten Vaterlande stets und immerdar thatkräftigst beweisen

werde. Der Redner schloß mit einem Hoch auf den Monarchen, in welches alle Anwesenden begeistert einstimmten.

In Serajewo hat in den letzten Tagen die diesjährige Assentirung stattgefunden. Zur Stellung berufen waren im Ganzen 500 junge Männer. Hievon wurden, dem „Prag. Abdbl.“ zufolge, soviel als das vor⸗ geschriebene Kontingent erfordert, assentirt, und zwar 16 Mohamedaner, 8 Orientalisch⸗Orthodoxe, 2 Katholiken und 2 Spaniolen (Juden spanischer Abkunft). Hierauf wurden die neuen Soldaten unter Intervention der betreffenden Seel⸗ sorger in Eid genommen und mit Musik ins Lager begleitet. Von den zur Stellung Berufenen hatte sich, w schon seit Jahren, kein Einziger seiner Pflicht entzogen.

Großbritannien und Irland.

„Die offizielle „London Gazette“ vom 4. November ver⸗ öffentlicht das Uebereinkommen mit dem Sultan von Sansibar, wonach das Gebiet des Sultans dem britischen Protektorat unterworfen wird.

In einem kurzen Leitartikel der „Times“ über die Ein⸗ nahme Witus wird betont, daß man wahrscheinlich nicht zu weit gehe, wenn man sage: „daß die Nationalität der Opfer (die es zu rächen galt) die Promptheit der en Regierung anspornte und daß die Schnelligkeit und ständigkeit der ist, nichts ungeschehen zu

Voll

lassen, was die

Bestrafung ein Beweis unseres Wunsches bestehenden

freundlichen Beziehungen zwischen Großbritannien

und Deutschland in Afrika befestige. diese Beziehungen seien, ergebe sich aus der

Wie befriedigen Nachricht

daß ein grimmiger Angriff auf die Karawane Stockes' im

Innern hauptsächlich durch die Bravour des Lieutenants Siegel

und seiner deutschen Bedeckung zurückgeschlagen wurde. F unseren Theil hegen wir die Zuversicht, daß die von der britischen Regierung getroffenen prompten Maßregeln, um die Unthat in Witu zu rächen, als ein Unterpfand angesehen werden werden wie besorgt wir sind, jedwedes noch etwa vorhandene Mi

verständniß oder Mißtrauen, das die gemeinschaftlichen Be⸗

mühungen der beiden Mächte behindern könnte, zu beseitigen.“ Auf dem Gebiete der innern Politik stehen jetzt die Er⸗ gebnisse der englischen Munizipalwahlen im Vorder⸗ grunde. Sie sind, wie die „Allg. Corr.“ schreibt, ent⸗ schieden günstig für die Gladstonianer ausgefallen,

in der Sache der Civilisation

die nach Berechnung der Gewinne und Verluste auf beiden

Seiten über 40 Sitze gewonnen haben. Die konservativen Blätter sind bemüht, die Tragweite des Resultats abzuschwächen. Freilich meint der „Standard“, daß die Ergebnisse als eine Art Leitfaden der öffentlichen Meinung anzusehen seien, aber es sei ein sehr vager und ungewisser. „Die Munizipalwahlen“, schreibt das genannte Blatt, „spiegeln freilich die öffentliche Meinung des Landes im Allgemeinen ab. Aber genau ge⸗ nommen, was bedeutet dies? Welche Art öffentlicher Meinung ist es, welche die Munizipalwahlen abspiegeln? In neun Fällen

unter zehn werden sie von lokalen Rücksichten beeinflußt, und es

scheint unermeßlich lächerlich, zu glauben, daß als allgemeine Regel sie eine große politische Bedeutung haben.“ Die „Daily

News“ dagegen sagt:

„Der Sieg mag nicht so glänzend scheinen, als der große Triumph G

vom vorigen Jahre, wo die Bilanz zu Gunsten der Liberalen einen Ueberschuß von ca. 80 Sitzen zeigte. Gewinn auf Gewinn, ein immenser Zuwachs zu den bereits über⸗ wiegenden Streitkräften des Liberalismus. Es ist unmöglich für Freund und Feind, die unverkennbare Bedeutung dieses Phänomens zu leugnen. d zu legen, und der dortige Sieg bald nach dem Siege in Eecles müsse den Tories als das mene tekel erscheinen. Man müsse sich erinnern, daß der liberalen Niederlage in den Städten bei den allgemeinen Wahlen von 1885 unmittelbar eine Anzahl Torp⸗ Erfolge bei den Munizipalwahlen vorausging. Die Frage müsse aber entstehen, wenn sie nicht schon entstanden, ob der Antrag auf eine Parlaments⸗Auflösung im Parlament vorgebracht werden solle. Freilich, er würde verworfen werden. Majoritäten dekretiren nicht leicht ihre eigene Beseitigung, aber es ist oft für eine Opposition,⸗ nöthig, sich einer Niederlage als unerläßlicher Bedingung der Er⸗ langung eines moralischen und intellektuellen Triumphes zu unter⸗ ziehen.“

Der irische Ober⸗Sekretär Balfour empfing schon am vergangenen Sonnabend in Dublin die (gestern erwähnte) Deputation des Grundbesitzer⸗Vereins. Die Unter⸗ redung dauerte eine Stunde. Die Deputation legte dem Minister die Ansichten des Exekutivausschusses des Vereins über die Bodenankaufsbill vor, deren Zweck der Verein billigt. Jedes obligatorische Element in der Vorlage und auch das Limitum eines auf 20jähriger Pacht basirten Kaufschillings werden beanstandet. Balfour versprach eine sorgfältige Er⸗ wägung der Ansichten Seitens der Regierung.

Der diesjährige Lord Mayors⸗Umzug soll, der „Köln. Ztg.“ zufolge, ungewöhnlich großartig ausfallen, ver⸗ muthlich, weil der Theater⸗Direktor Augustus Harris, der jüngst Sheriff geworden, sich an die Spitze des Ausführungs⸗ ausschusses gestellt hat. Die Kolonien werden besonders bei den

Aber der jetzige Erfolg ist ein

Besonderes Gewicht sei auf Manchester

Zugwagen vertreten sein und daneben die Balaklawa⸗Helden

für die in letzter Zeit gesammelt worden ist.

Frankreich. X““ Paris, 5. November. In dem gestern abgehaltenen Ministerrath unterzeichnete, wie „W. T. B.“ meldet, der Präsident Carnot einen Gesetzentwurf, betreffend die Ver⸗ roviantirung fester Plätze, wonach jede Festung mit o viel Lebensmitteln zu versehen ist, daß auch für den Lebens⸗ unterhalt der Civilbevölkerung auf zwei Monate vorgesorgt ist. Der Unter⸗Staatssekretäar Etienne wird mit der Budgetkommission eine neue finanzielle Vor⸗ lage, betreffend Anam und Tongking, ver⸗ einbaren. Der Ministerrath beauftragte ferner die Minister Roche und Develle, die Zollkommission zur Be⸗ schleunigung der Arbeiten Betreffs des Generalzolltarifs aufzufordern, damit der Generalzolltarif Ende des Monats Januar durchberathen sein könne, indem der Tarif im Laufe des November 1891 in Kraft treten solle. Die Deputirtenkammer genehmigte in ihrer gestrigen Sitzung das Budget des Handels⸗Ministeriums, nahm den Antrag des Pariser Deputirten Mesureur, be⸗ treffend Bildung eines höheren Arbeitsraths, an und begann sodann die Berathung des Budgets des Auswär⸗ tigen. Der Deputirte La Ferronnaye von der Rechten warf der Regierung vor, am 12. August 1890 mit England ein Abkommen Betreffs der afrikanischen Besitzungen abgeschlossen zu haben, ohne das Parlament zu befragen. Das Abkommen sei in Wirksamkeit getreten und habe eine Gebietsabtretung zur Folge gehabt. Her Minister des Auswärtigen Ribot er⸗ widerte, es hätte sich hauptsächlich darum gehandelt, mit Eng⸗ land über die Ansprüche auf den Besitz einzelner Gebiete zu

zu veranstalten. eh „Köln. Ztg.“ meldet, so verstandig, dieses Ansinnen abzulehnen. Cavalotti wollte in Folge dieser Niederlage auf seine Kandi⸗

berathen; die Konvention habe nicht der Genehmigung des Parlaments bedurft; es habe sich lediglich um Ab⸗ renzung der Einflußsphäre gehandelt, was vollständig zu er Machtvollkommenheit der Regierung gehöre. Der Deputirte Lamarzelle lenkte die Aufmerksamkeit der Kammer auf das englisch⸗deutsche Abkommen, Betreffs Sansibars und erklärte, daß die Frankreich gewährten Vort eile im Vergleich damit ungenügend seien. Der Minister des Aeußern Ribot erwiderte, die koloniale Ausdehnung Frank⸗ reichs sei unglücklicherweise durch Rücksichten au die innere Politik gefesselt worden. Das Abkommen mit Eng⸗ land gestatte Frankreich, das weitere Vordringen Englands gegen den Niger zu verhindern. Ferner habe Frankreich freien Zugang zum Tschadsee erlangt, welcher der Mittel⸗ punkt eines großen Verkehrs werden könnte. behalte ferner sämmtliche durch die Sahara ührenden Karawanenstraßen. Das französische Protektorat in Madagascar bleibe unerschüttert, die Regierung werde zur rechten Zeit die Gelegenheit ergreifen, dasselbe auszudehnen. Frank⸗ reich habe in der Vereinbarung mit England eine durchaus würdige Stellung behauptet und materielle Vortheile daraus gezogen, welche die Zukunft erst würdigen würde. Indem Frankreich dem Abkommen zwischen Deutschland und England seine Zustimmung gegeben, habe es seine Stellung in Egypten befestigt. Frankreich werde seine historischen Tradi⸗ tionen nicht verleugnen. Der Deputirte Déörouléde erwähnte des in Italien zirkulirenden Gerüchts, daß L“ Absichten auf Tripolis habe, und verlangte von der Regierung eine formelle Erklärung, daß Frankreich in Tunis zu bleiben und nicht weiter zu gehen gedenke. Der Minister des Aeußern Ribot erwiderte, Tripolis sei eine Provinz des türkischen Reichs, und nach dem Empfange, welcher der französischen lotte in Besika⸗Bai zu Theil geworden sei, könne die Regierung nicht daran denken, einen Angriff vorzubereiten, den Nichts rechtfertigen könnte, und der den Traditionen Frankreichs fern läge. Die Weiterberathung wurde sodann auf morgen vertagt. 1 In der Zollkommission begann heute Vormittag die allgemeine Debatte über die Zölle. Die Debatte bezog sich hauptsächlich auf den Minimaltarif, welchen mehrere Mit⸗ glieder für überflüssig hielten, da die Kammer ihn zu jeder Zeit ändern könnte. Die Kommission wies den Antrag, die Regierung noch einmal zu hören, ab und beschloß, täglich bis zum Schluß der allgemeinen Berathung zusammen⸗ utreten. Wie das „Journal des Débats“ meldet, telegraphirte der Agent Mizon dem Syndikat vom Ober⸗Benito, die Royal Niger⸗Company wolle ihm eine Reise für rein wissenschaftliche Zwecke möglichst erleichtern, Falls er für dieselbe eine offizielle Autorisation nachsuche. Die Erreichung der kommerziellen Ziele seiner Reise sei ihm durch das Verbot unmöglich gemacht, zum Zwecke der Erneuerung der Lebensmittel und des Brennmaterials für die Expedition an Land zu gehen. Aehnliche Schwierig⸗ keiten seien anderen Reisenden in den Jahren 1887 und 1888 bereitet worden. Mizon ist von den Verwundungen, die er an der Nigermündung bei einem Ueberfall durch die Ei geborenen erhielt, wieder hergestellt. 8—

Rußland und Polen.

„Der Großfürst⸗Thronfolger hat gestern Nachmittag seine Reise ins Ausland angetreten. Bei seiner Abreise wurde der Czarewitsch von dem Kaiser und der Kaiserin bis zur Station Ssiverskaja begleitet. Im Gefolge des Großfürsten⸗ Thronfolgers befinden sich der General⸗Major à la suite Fürst Barjatinsky, die Stabs⸗Rittmeister Fürst Kotschubei und Wulkow und der Flügel⸗Adjutant Lieutenant Fürst Obolensky. Die „Nowoje Wremja“ sagt: Man könne dem beabsichtigten festlichen Empfange des Großfürsten⸗Thronfolgers in Wien nicht eine gewisse politische Bedeutung absprechen. Die Be⸗ rührung Wiens durch den Großfürsten⸗Thronfolger ändere Nichts an der gegenwärtigen Richtung der internationalen Politik, welche bereits als eine den Frieden garantirende an⸗ erkannt sei. Es sei trotzdem bezeichnend, daß sich gegen den Weg über Wien keinerlei Bedenken erhoben hätten. .

Der Gehülfe des Kommandirenden der Truppen des Warschauer Militärbezirks, General der Kavallerie Graf Mussin⸗Puschkin, ist zum Kommandirenden der Truppen des Odessaer Militärbezirks ernannt worden.

Der „Nowoje Wremja“ zufolge ist eine Kommission zur Prüfung des Entwurfs des neuen finländischen Gesetzbuchs auf seine Konformität mit dem russischen ein⸗ gesetzt worden.

In Tomaszow im Gouvernement Warschau fand Pn 9 1 des General Gouverneutz, Generals

rko die feierliche Einweihun er erbauten orthodoxen Kirche statt. .1X“

Italien.

II November, an welchem Tage der Kronprinz sein 21. Lebensjahr erreicht und die Großzjährigkeit erlangt, wird von der Königlichen Familie in Monza mit einem Fest begangen werden, das einen durchaus intimen Charakter tragen wird. Am 15. d. M. wird die Königliche Familie Monza verlassen, um nach Rom zurückzukehren.

Des Weiteren meldet man der „Pol. Corr.“, daß der Minister⸗Präsident Crispi am Abend des 5. November sich von Rom nach Mailand begiebt, wo er mit dem König am 6. d. M. eine Unterredung haben wird. Nach der Zu⸗ sammenkunft mit dem deutschen Reichskanzler, General von Caprivi wird Hr. Crispi dann nach Rom zurückkehren. Am 12. d. M. begiebt sich der Minister⸗Präsident nach Palermo, um daselbst vor seinen Wählern die angekündigte aa; rede zu halten.

In Mailand schlug in einer Versammlung von Führern

der dortigen radikalen Partei der Deputirte Cavalotti vor,

während der Anwesenheit des Reichskanzlers von Caprivi ein Banket als Kundgebung gegen den Dreibund Die Mehrheit war jedoch, wie man der

datur bei den Abgeordnetenwahlen verzichten, nahm jedoch auf

dringendes Bitten seiner Freunde diesen Beschluß zurück.

Die Frage der Wahlbetheiligung der Katho⸗ liken soll, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, praktisch in dem Sinne

ggelöst werden, daß sie individuell sich an den Wahlen bethei⸗

igen, jedoch nicht als Korporation oder mit eigenen Kandi⸗

daten auftreten werden. 8 Aus Florenz wird der „Wiener Presse“ telegraphirt: Ihre Majestät die Kaiserin von Oesterreich besuchte

am 1. d. den Palazzo Vecchio und besichtigte ihn auf das Eingehendste. Namentlich verweilte die Kaiserin lange im historischen Appartamento Papst Leo's X. und der Eleonore von Toledo. Da der Besuch Abends stattfand, gaben zehn Fackelträger der Kaiserin das Geleit.

Portugal.

Der englische Premier Marquis von Salisbury hat, wie die „Magdb. Ztg.“ meldet, die portugiesische Denkschrift dahin beantwortet, daß England territoriale Zugeständnisse nicht machen könne. Wegen der Handelsvortheile, die ortugal fordert, habe Lord Salisbury erklärt, er werde sie einem be⸗ sonderen Ausschuß zur Prüfung überweisen.

Schweiz.

Der Bundesrath hat die tessinischen Delega⸗ tionen zu der nächsten Versöhnungskonferenz auf den 13. November nach Bern einberufen.

Der eidgenössische Oberst Barman und der ehemalige Freischaaren⸗Führer, Bundesrath und französische General Ochsenbein sind gestorben. Der Letztere starb in seinem Geburtsort Nidau.

Die Verhandlungen der Tessiner großräthlichen Kommission, welche Soldati's Verständigungs⸗An⸗ träge (Einführung eines limitirten proportionalen Wahl⸗ systems 2c.; s. d. gestr. Nr. d. Bl.) zu diskutiren hatte, sind, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, resultatlos geblieben. Die radikale Oppösttion motivirte ihre Enthaltung mit der Erklärung, der Große Rath sei inkompetent, über Soldati’'s Anträge zu beschließen.

Niederlande.

In Luxemburg eröffnete der Staats⸗Minister Eyschen gestern die Kammer⸗Session durch Verlesung der folgenden Botschaft des Herzogs Adolf von Nassau:

„Gemäß Artikel 70 der Verfassung und Artikel 1 des Kammer⸗ Reglements sollte Ihre ordentliche Session durch Se. Majestät den König und Großherzog in Person oder durch einen eigens dazu ernannten Bevollmächtigten in Höchstdesselben Auftrag eröffnet werden.

„Die traurigen Verhältnisse, welche der Ausführung dieser Vor⸗ schrift im Wege stehen, sind Ihnen bekannt. Gegen Ende September sind in dem Krankheitszustande Sr. Majestät neue Verwickelungen eingetreten, und die Aerzte des Königs haben bereits am 13. Oktober die offizielle Erklärung abgegeben, daß der verehrte Fürst außer Stande ist, sich mit der Erledigung der Lander geschäfte zu befassen. Die am 28. dess M. in einer vereinigten zusammengetretenen nieder⸗ ländischen Generalstaaten haben die Einsetzung einer Regentschaft als unabweisliche Nothwendigkeit anerkannt.

Aus dieser Sachlage erwachsen Ihnen und Mir gar peinliche Pflichten. Ich lasse es Mir angelegen sein, denjenigen Obliegen⸗ heiten, deren Erfüllung Mir anheimfällt, ungesäumt nachzukommen, um so mehr, als der Beginn der legislatorischen Thätigkeit dadurch bedingt ist. Von dem Wunsche beseelt, im Sinne der Verfassung und der nassauischen Hausgesetze zu handeln, erkläre Ich Mich, in Uebereinstimmung mit der Regierung und dem Gutachten des Staats⸗ raths, berett, den durch Artikel 8 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid zu leisten.

Die Kammer wird die ihr von der Regierung zu unterbreitenden Schriftstücke prüfen und das Weitere veranlassen wollen.

Schloß Hohenburg, 1. November 1890. Avorf

I

Der Alters⸗Präsident Dr. Wacquant verwies die Akten an die Abtheilungen und ersuchte die Regierung, deren Berathungen beizuwohnen. Darauf wurde die Sitzung aufgehoben Behufs Prüfung der Mandate der neugewählten Deputirten in den Abtheilungen. Nach Wiedereröffnung der Sitzung sprach die Kammer die Gültigkeit der Neuwahlen aus und wählte das Präsidium, worauf sie sich abermals in die Abtheilungen zurückzog Behufs Untersuchung der eingebrachten auf die Regentschaft bezüglichen Akten. Nach halbstündiger Berathung wurde in öffentlicher Sitzung der Antrag des Vorsitzenden, daß der König re gierungsunfähig sei und die Regent⸗ schaft gesetzlich dem Herzog von Nassau zufalle, ein⸗ stimmig angenommen. Die Eides leistung findet am Donnerstag statt. Die Kammer erklärte, mit Bedauern zu dieser Maßregel schreiten zu müssen dem König gegenüber, der dem Lande eine 40 jährige Aera des Gedeihens und der Füe ei verschafft habe. Sodann wurde die Sitzung auf⸗ gehoben.

Das offizielle Programm für die Anwesenheit des Herzogs von Nassau lautet nach der „Frkf. Ztg.“: Mittwoch: Einzug und Begrüßung durch die obersten Staats⸗ behörden; Donnerstag: Eidesleistung, Kammereröffnung, Abends Banket der Regierungs⸗ und Kammermitglieder;

man als antikanonisch betrachtet, da er nicht das Recht hat, über Kirchen des Reiches das Interdikt zu verhängen aus GrüÜnden, nicht auf dogmatischen Erwägungen beruhen,

Amerika.

Ueber das vorläufige Ergebniß der am Dienstag in de Vereinigten Staaten vorgenommenen Staatswahle meldet ein „Wolff'sches Telegramm“ aus New⸗York vom 4. November: Depeschen aus Süd⸗Carxblin berichten, daß dort der demokratische Kandidat Tillma zum Gouverneur gewählt worden ist und ebenso die ganze demokratische Liste, die bisherigen demokratischen Mit glieder des Kongresses mit inbegriffen. Es scheint 2 bie Annahme berechtigt, daß in den Süd⸗Staaten fach Demokraten an Stelle bisheriger republikanischer Abgeorhneten ewählt worden sind. Die Wiederwahl Gran's, des demo⸗ ratischen Maires von New⸗York, gilt als sicher, und zwa mit 12 000 Stimmen Mehrheit gegenüber Scott, welcher die Gesammt⸗Opposition gegen die Tammany⸗Hall⸗Liste reprüsen tirt. Vermuthlich ist in New⸗York die ganze Liste de Kandidaten von Tammany⸗Hall mit einer Majorität vo 15 20 000 Stimmen gewählt. In Massachusetts haben die Demokraten Russell zum Gouverneur gewählt und wenigstens zwei Kongreßsitze erobert; ferner gewannen sie einen Sitz in New⸗Hampfhire, zwei in Maryland, und wahrscheinlich einige im Staate New⸗York, in Rhode⸗Island und Virginia. Aus den westlichen Staaten sind bisher erst wenig Wahlrefultate eingetroffen. Die Nepublikaner be⸗ haupten, die Majorität ihres in Pennsylvanien zum Gouverneur gewählten Kandidaten Delamaters betrage 30000 Stimmen.

Die Regierung von Ven ezuela hat die Vermittelung der Vereinigten Staaten in den Grenzstreitigkeiten mit dem britischen Guiana nachgesucht.

Brasilien. Nach einem Bericht des vatikanischen Korrespondenten der „Pol. Corr.“ wurde in der Abschieds audienz des Erzbischoßs von Bahia und Primas von Brasilien, Msgr. Macedo de Costa, welche am 30. Oktober stattfand, wiftae. dem Papst und diesem Kirchenfürsten die der jetzigen brasilianischen Regierung gegenüber zu beobachtende Stellung des Klerus und der Katholiken besprochen. Der Papst fordert, daß die Katholiken sich auf den Boden der Freiheit der Kirche stellen, keinerlei Privilegien beanspruchen, ledi lich die Anwendung des gemeinen Rechts, dies aber mit Nachdruck, verlangen sollen. Ist die republikanische Regierung bereit, diese Bahn zu betreten, so werden die katholischen Brasilianer sich vollständig den republikanischen Einrich ungen anpassen. Erzbischof Macedo de Costa wird die demnächst in Rio de Janeiro zusammentretende Constituante für eine Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat in diesem Sinne zu gewinnen trachten. Der Papst hat be⸗ schlossen, durch die Errichtung von sieben neuen Diözesen die Zahl der bestehenden brasilianischen Bisthümer auf 23 zu erhöhen. Im Laufe des nächsten Winters wird in Bahia ein nationales Konzil unter Vorsitz des Erzbischofs Macedo de Costa zusammentreten. Es verlautet mit ziem⸗ licher Bestimmtheit, daß dieser Kirchenfürst in einem der nächsten päpstlichen Konsistorien die Kardinalswürde erhalten soll.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Reichstags⸗Kommission zur Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, nahm heute Vormittag um 11 Uhr ihre durch die am 2. Juli d. J. eingetretene Vertagung unterbrochenen Sitzungen unter dem Vorsitz des Grafen Ballestrem wieder auf und setzte ihre Berathungen bei Art. V §. 154 (Schlußbestimmungen) sort. Nach §. 154 Absatz 1 des bestehenden Gesetzes finden die Be⸗- stimmungen der §§. 105 133 (Sonntagsruhe, Arbeitsbücher, Gewerbe- hygiene, Verhältnisse der Gesellen und Gehülfen) auf Gehülfen undLehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften keine Anwendung. Nach §. 154 Absatz 1 in der Novelle sollen die §§. 105 133 nur auf Gehülfen und Lehrlinge in Apotheken nicht angewendet werden, die §§. 105, 106 119, 120 a bis 133 auf Gehülfen und Lehrlinge in Handelsgeschäften nicht An⸗ wendung finden. Nach §. 154 Absatz 2 im bestehenden Gesetze sollen dagegen §§. 134 bis 139 b (Verhältnisse der Fabrikarbeiter) auf Ar⸗ beitgeber und Arbeiter in Werkstätten, in deren Betrieb Dampf⸗ kraft regelmäßig benutzt wird, in Hüttenwerken, Bauhöfen, Werften angewendet werden. Nach Absatz 2 der Novelle ist die An⸗ wendung der §§. 134 bis 139 b beschränkt auf Arbeitgeber und Arbeiter in Hüttenwerken, Zimmerplätzen und anderen Bauhöfen, Werften, sowie in solchen Ziegeleien, über Tage betriebenen Brüchen und Gruben, welche nicht blos vorübergehend oder in geringem Umfange betrieben wer⸗

Freitag: Empfang der Behörden; Sonnabend: Rückreise nach

Königstein. 8

binnen Kurzem ablaufen, so hat das Ministerium, wie man dem „Hamb. Corr.“ schreibt, die Bildung eines oberen Industrie⸗ und Arbeitsraths zum Schutz der na⸗ tionalen Industrie beschlossen. Die Wahlen für diesen Rath finden in ganz Belgien vom 10. bis 13. d. M. statt, und es ist jeder Industriechef, welcher 20 Fr. Gewerbesteuer dem Staat zahlt, stimmberechtigt. Zum ersten Male ist für diese Wahlen auch den Ausländern und den weiblichen In⸗

dustriechefs das Stimmrecht bewilligt worden.

Türkei.

Nach einem Bericht aus Konstantinopel scheint die türkische Regierung nicht gesonnen, dem Patriarchat gegenüber weitere Nachgiebigkeit zu zeigen. Man be⸗ trachtet in maßgebenden Kreisen Konstantinopels die Haltung des Patriarchen nicht als den Ausfluß einer religiösen An⸗ schauung, sondern lediglich als die Folge politischer Erwä⸗ gungen. Darauf deutet auch der 8 Satz der nachstehenden Aeußerung eines der höchsten türkischen Würdenträger hin, welchen der „Hamb. Corr.“ mittheilt:

Die vom ökumenischen Patriarchen getroffene Maßregel in Betreff der Schließung der orthodoxen Kirchen der Türkei wird von einem sehr wichtigen Theil der Griechen des Reiches lebhaft besprochen. Man weiß nicht, was den Patriarchen veranlaßt hat, zu einer so schwerwiegenden Maßregel zu greifen. Die griechische Kirche ist von der osmanischen Regierung niemals verfolgt und die Ausübung des orthodoxen Gottesdienstes ist niemals durch drückende Maßregeln be⸗ hindert worden, wie sie oft in einigen Ländern Europas anders⸗ gläubigen Bekenntnissen gegenüber angewandt werden. Die griechische Beistlichkeit ist stets mit großer Rücksicht behandelt, die Kirchen sind vom türkischen Volk und von der türkischen Regierung zu jeder Zeit geachtet worden, und alle anderweitigen Kundgebungen des griechischen Kultus wie Prozessionen, Litaneien und dergleichen haben bei der Re⸗ gierung Achtung und selbst Schutz gefunden. Die Vorrechte, von denen in der letzten Zeit so viel die Rede war, sind bestätigt und näher bestimmt worden. Auch die große Mehrheit des orthodoxen

Publikums kritisirt daher streng die Haltung des Patriarchen, den

. wird. Da die von Belgien abgeschlossenen Handelsverträge

den. Die höhere Verwaltungsbehörde soll endgültig darüber entscheiden, ob die Anlage vorübergehend oder in geringem Umfange betrieben Die Novelle hat einen neuen dritten Absatz eingefügt, nach welchem §§. 135 bis 139 b auf Arbeitgeber und Arbeiter in mit elementarer Kraft dauernd betriebenen Werkstätten so ange⸗ wendet werden sollen, daß der Bundesrath für gewisse Betriebsarten gewisse Ausnahmen treffen kann. Auf andere Werkstätten können durch Kaiserliche Verordnung mit Zu⸗ stimmung des Bundesraths die §§ 135 bis 139 b ganz oder theil⸗ weise sich erstrecken mit Ausnahme von Werkstätten, in welchen der Arbeitgeber ausschließlich Familienangehörige beschäftigt. Absätze 3 und 4 im bestehenden Gesetze und Absätze 4 und 5 in der Novelle decken sich im Wesentlichen. 8 1

Zu §. 154 Absatz 3 beantragt Dr Hirsch, die Bestimmung, daß die §§. 135 bis 139 b auf andere Werkstätten ausgedehnt werden können, zu streichen und die Resolution anzunehmen, den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß Seitens der verbündeten Regierungen baldmöglichst auf Grund einer umfassenden Er⸗ hebung ein Gesetzentwurf zur Ausdehnung der Bestimmungen der §§. 135 bis 139 b auf die Hausindustrie und das Hand⸗ werk dem Reichstage vorgelegt wird. Freiherr von Stumm be⸗ antragt, Ausnahmen auch bezüglich des §. 137 Abs. 4 (Mittagpause für Frauen) zu gestatten und nicht nur bezüglich der Absätze 1, 2 und 3, wie die Vorlage will. Nach einem Antrage des Abg. Hitze sollen die auf dem Verordnungswege erlassenen Bestimmungen dem Reichstage vorgelegt werden. Der Abg. Klemm (Sachsen) beantragt, daß die Besprechung und Beschluß⸗ fassung über §. 154 ausgesetzt werde, bis sämmtliche in diesem §. 154 erwähnten Paragraphen in erster Lesung von der Kommission fest⸗ gestellt sein würden. Dieser Antrag wird mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Die Kommission tritt also in die Berathung und Beschlußfassung über § 154 ein. Zu längerer Diskussion giebt Absatz 3 des §. 154 im Schlußsatze Veranlassung. Regierungs⸗ kommissar Geheimer Regierungs⸗Rath Königs theilt das Ergebniß der umfangreichen Erhebungen mit, welche die verbündeten Regierungen über die Räthlichkeit bezw. Thunlichkeit der Ausdehnung der in §§ 135 bis 139 b vorgeschlagenen C“ auf die mit Motorenkraft be⸗ triebenen Kleingewerbe haben anstellen lassen. Der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch sagt zu, dieses Material der Kommission zugehen lassen zu wollen. Der Antrag Hirsch, vom Minister Freiherrn von Berlepsch bekämpft, wird angenommen. 1

Hierauf trat

in den Berathungen eine Pause ein.