1891 / 28 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 31 Jan 1891 18:00:01 GMT) scan diff

baren könne. Was sei das nur für ein Gesetz? Erst wür⸗ den die Gebühren gesetzlich fixirt und dann besonders gestattet, sie anders zu normiren. Man hätte dann besser eine Bestimmung treffen sollen, wonach die Gebühren nur zwischen dem Klienten und dem Rechtsanwalt zu vereinbaren seien. In einem ihm vorliegenden Briefe theilten zwei vereinigte Rechtsanwalte einem strafgesetzlich Verurtheilten mit, daß sie die Anfechtung des Urtheils und deren Begründung in diesem besonders schwierigen Falle übernehmen würden, wenn der Klient sofort 50 einschickte, da sie die Sache unmöglich für die nur wenige Mark betragende gesetzliche Taxe machen könnten So werde also die Rothlage eines armen Mannes ausgebeutet! Die beiden Paragraphen seien aber auch des Rechtsanwaltsstandes unwürdig. Sei der Rechtsanwaltsstand ein officium nobile, so müsse ihm jede rein geschäftliche Thätigkeit ferngehalten werden. Heute fordere der⸗ Rechts⸗ anwalt, der Klient biete die Hälfte, und man einige sich schließlich auf das Mittel. Die besondere Beweisgebühr könnte man überhaupt fallen lassen, denn an Prozeß⸗ und Verhandlungsgebühr werde schon genug gezahlt. Auch eine Herabsetzung der Gebühren für das Mehr⸗ verfahren müßte eintreten. Die Bestimmung des §. 14 der Gebühren⸗ ordnung, wonach dem Rechtsanwalt, wenn der Prozeß vor der mündlichen Verhandlung rückgängig gemacht werde, 5,10 des Objekts zuständen, könnte dahin abgeändert werden, daß ihm nur 210 zuständen. Die Civil⸗ prozeßordnung wäre dahin abzuändern, daß künftig. nicht mehr der unterliegende Theil die Rechtsanwaltskosten des obsiegenden bezahlen müsse. Gerade der arme Mann, der Bauer könne dem Rechtsanwalt den verlangten Vorschuß nicht zahlen, führe selbst den Prozeß, verlier ihn und müsse dann dem Gewinner die Rechtsanwaltskosten ersetzen, könne sie richt bezahlen und werde ausgepfändet. Leider sei dieser Paragraph mit der ganzen Civilprozeßordnung so verflochten, daß er nicht ohne Weiteres abgeschafft werden könne. Die Revision der Gerichtskosten habe 1888 schon der Abg. Kulemann hier zur Sprache gebracht, ohne eine entgegenkommende Antwort zu erhalten. Heute fei hier eine Revision zur Nolhwendigkeit geworden, weil das Gesetz über die Gewerbegerichte weit niedrigere Sätze aufstelle, al⸗ man sie bisher gekannt habe. Gegen die Prozessirungslust sein hohe Gerichts⸗ osten auch kein Mittel. Ein dem Trunk durch die Höhe der Branntweinsteuer nicht abgesch De er zur Unterhaltung der Gerichtseinrichtungen diejenigen itragen sollten, die davon Gebrauch machten, sei eine verwunderliche Behauptung. Der Staat lasse doch nicht Recht sprechen, um da⸗ durch die Kosten für die Gerichtseinrichtungen herauszuschlagen. Rechts⸗ anwalte hätten vor einigen Jahren in einer Petition erklärt: Die Höhe der Gerichtskos zwinge vielfach die Leute, das Armenrecht nachzusuchen, in ablehnender Bescheid komme hier der Ver⸗ sagung der Rechtspflege gleich.“ Der Begriff der „Beleidigung⸗ sei in dem deutschen Civitrecht Liel zu weit gefaßt. Wer das Vergnügen habe, Zeitungen zu redigiren, komme heute kaum mehr vom Gericht herunter. Ein westfälisches Blatt habe sich das Wort „anständig als Ailtribut zu dem Worte „Jude“ in Anführungsstriche zu setzen erlaubt, und diese Gänsefüßchen mit 20. gebüßt. Er frage alle Herren, die mit der Presse zu thun hätten, ob es nicht immer schwerer werde, die Wahrheit zu schreiben. Man kürfe nicht einmal schreiben, was auf Thatsachen beruhe. Er sei verurtheilt worden, weil er einer Frau Diebstahl vorgeworfen habe, die, wie das Erkenntniß sage, wegen Diebstahls gesessen habe. Deutschland habe also sehr gute Gesetze für Bankerotteure, Betrüger u. dergl. Man leide wirklich schon an einem Beleidigungsbacillus, es fehle uns aber an einem Koch. Der Wucherparagraph sei ebenso weit gefaßt, wie der Beleidi⸗ gungsparagraph eng. Ein schlauer Mann könne die Bestimmung, daß Nothlage, Leichtsinn und Unerfahrenheit vorliegen müßten, falls auf Wucher erkannt werden solle, sehr leicht umgehen. Er brauche sich nur einen Schein geben zu lassen, daß das Geld zu

. 3 5 2 9 190 g- wirthschaftlichen Zwecken angelegt werden solle. Man könne also ruhig jene drei Bedingungen streichen. Denn Wucher liege immer da vor, wo zwischen dem Hergegebenen und dem Genommenen ein unrechtmäßiges Verhältniß bestehe. Ueber den Unsug, der mit dem Viehleihen getrieben werde, könne man in Vogelsberg, in Elsaß⸗ Lothringen und anderswo viel erzählen. Man müsse die Wucherprozesse vor die Geschworenengerichte verweisen, denn dahin gehörten sie, wenn irgend etwas. In dem Prozeß Hallmeyer in Frankfurt sei ein notorisch verrufener Börsenschwindler aus Russisch⸗Polen, der Jahre lang die Leute betrogen, Hunderttausende gewonnen habe, ver⸗ urtheilt worden. Das Gericht aber habe ihm mildernde Um⸗ stände zugebilligt, „weil der Mensch von Jugend auf sich in Anschauungen bewegt hatte, welche ihm die Uebervortheilung seiner Nebenmenschen nicht als besonders sclimm erscheinen ließen. Man habe allen Grund, die bestehende Gesetzgebung zu reformiren, ehe man an das bürgerliche Gesetzbuch herantrete. Man möge sich mit diesem nicht so sehr beeilen, denn Gesetze solle man nicht über⸗ stürzen. Man möge von Grund aus die bestebende Gesetzgebung refor⸗ miren, dann erst werde es besser werden im Vaterlande! (Beifall rechts.)

Staatssekretär von Oehlschläger:

Meine Herren! wezen der Antwort in einiger Verlegenheit; denn ganze Rechtsgebiet gestreift und unsere Gesetze eine unterworfen, ohne die entsprechenden Konsequenzen zu einen Antrag zu stellen, ohne eine bestimmte Frage an mic ohne auch nur Wünsche seinerseits auszusprechen. richterliche Urtheile getadelt und das Verhalten der Sta kritisirt. Ich bin nicht in der Lage, nach dieser hin Abhülfe zu schaffen, weil der Vorredner weder treffenden Gerichte noch auch nur die betreffenden staaten genannt hat, abgesehen von dem einen in welchem er den Ober⸗Staatsanwalt in einer Kritik unterworfen hat. Sollte es sich um Uebelstände welche wirklich der Abhülfe bedürfen, dann wird diese nur bei den zuständigen Landesbebörden oder Landtagen zu suchen sein.

Ueber das bürgerliche Gesetzbuch hat der Herr Abgeordnete in einer Weise gesprochen, als ob dasselbe bereits von der Regierung oder vom Bundesrath vorgelegt worden wäre, und als ob ich die Pflicht hätte, dasselbe hier zu rertreten. So liegt die Sache aber keineswegs; vielmehr sind wir zunächst noch mit den Vorarbeiten für das bürgerliche Gesetzbuch beschäftigt. Welche Stellung der Bundes⸗ rath demnächst zu dem Entwurf nehmen wird, läßt sich heute noch garnicht übersehen. Ich kann mich daher nicht für berufen halten, hier auf eine Vertheidigung des Inhalts des publizirten Entwurfs einzugehen.

Vielleicht dürfte aber, bürgerlichen Gesetzbuchs in Mittheilung darüber von Interesse sein, i lchem Stadium der Mittheilung darüber von Interesse sein, in welchem Sta⸗ Vorbereitung das bürgerliche Gesetzbuch sich befindet. Vor etwa Jahresfrist hatte ich bei der Etatsberathung ebenfalls Gelegenheit, über den damaligen Stand der Vorarbeiten mich zu äußern. Damals war man im Reichs⸗Justizamt damit beschäftigt, eine Zusammen⸗ stellung der kritischen Aeußerungen zu dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs zu fertigen. Diese Zusammenstellung ist inzwischen in fünf Druckbänden erschienen und geht jetzt ihrem Abschluß durch die

9 Herausgabe eines sechsten, Nachträge enthaltenden Druckbandes ent⸗ gegen. Inzwischen hat der Bundesrath unter dem 4. Dezember v. J. den Beschluß gefaßt, den Entwurf einer zweiten Lesung durch eine neue Kommission zu unterziehen. Bei der Zusammensetzung dieser Kom⸗ mission ist der Bundesrath von verschiedenen Gesichtspunkten geleitet worden. Es sind diesmal nicht nur Fachjuristen gewählt, sondern

da wir einmal bei dem Entwurf des

angelangt sind, für das hohe Haus eine

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auch Vertreter der verschiedensten Interessentenkreise, so Vertreter der Landwirthschaft, des Handels, der Industrie, des Gewerbes, sowie der Volkswirthschaft. Als juristische Mitglieder sind Männer sowohl aus dem Richter⸗ wie aus dem Anwaltstande berufen; es ist ferner darauf Bedacht genommen, daß die verschiedenen größeren Rechtsgebiete ihre Vertretung finden, insbesondere das gemeine Recht, das preußische, französische und sächsische Recht. Unter den in der Kommission be⸗ rufenen Rechtslehrern ist sowohl die romanistische als die germanistische Richtung vertreten. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist eine Kommission von 22 Mitgliedern eingesetzt. Dieselbe ist bereits in Berathung getreten; sie hat allerdings bis jetzt nur eine Sitzung abgehalten, die mehr konstituirender Natur war, und in welcher die

eschäftsordnung festgestellt wurde. Die sachlichen Berathungen werden voraussichtlic am 1. April d. J. beginnen. In⸗ zwischen haben aber die bestellten Referenten sowie der General⸗ referent bereits mit den Vorarbeiten begonnen. Zugleich ist das Reichs⸗Justizamt damit beschäftigt, auf der Grundlage der Kritik Abänderungsanträge zum Entwurf festzustellen, welche beim Zu⸗ sammentritt der Kommission derselben zur Berathung unter⸗ breitet werden sollen. Die Regierungen sind also, wie Sie aus diesen Mittheilungen ersehen, ihrerseits bemüht, dem Gesetzgebungswerk möglichste Förderung angedeihen zu lassen. Möge dieses Bestreben von Erfolg begleitet sein.

Was den ersten Herrn Redner anbelangt, so hat derselbe eine Frage berührt, die bereits vor fünf Monaten hier eine ausführliche Erörterung gefunden hat. Damals bei einer Interpellation des Hrn. Abg. Dr. Bamberger handelte es sich um den Strafvollzug, und es wurde die Frage der Revision des Strafgesetzbuchs namentlich in der Richtung des Strafensystems hier eingehend erörtert. Ich glaube, auf dasjenige Bezug nehmen zu können, was ich damals geäußert habe; daß nämlich die Regierungen sich keineswegs ablehnend gegen⸗ über einer Revision des Strafgesetzbuchs verhalten, namentlich auch nicht in der Richtung des Strafensystems und der Ver⸗ einheitlichung des Strafvollzuges. Allein ich habe damals be⸗ reits auf die großen Schwierigkeiten hinzuweisen mir erlaubt, die ein solches Reformwerk hat, und, wenn ich mich recht erinnere, wurden diese Schwierigkeiten noch viel mehr betont aus dem hohen Hause als von meiner Seite. Ich erinnere namentlich an die Be⸗ denken, welche damals Hr. Abg. Dr. Windthorst vorbrachte, und ebenso an die Aeußerungen des Hrn. Abg. Dr. von Bar. begegneten sich in dem Wunsch, daß man an eine Revision des Strafgesetzbuchs und zwar an eine tiefgreifende, das ganze Strafen⸗ system umfassende Revision einst werde gehen müssen, allein sie waren doch auch der Meinung, das man recht vorsichtig vorzugehen habe, und zur Vorsicht werden wir umsomehr gemahnt, als selbst Diejenigen, welche als Havptvertreter der neuen Seitens des Herrn Abgeordneten herte uns vorgeführten Gedanken gelten, darüber einig sind, daß die Zeit für eine Revision noch nicht gekommen sei, weil die einschlagenden Fragen noch nicht genügend geklärt seien. Ein Mann, wie List, den man als den Vater einiger jener Gedanken bezeichnen kann, bekennt, daß die Sache noch nicht in allen Theilen spru chreif sei. Trotzdem kann ich im Anschluß an meine früheren Erklärungen heute versichern, daß seit jener letzten Erörterung die Strafvollzugs⸗Frage nicht vollständig geruht hat, sondern daß inzwischen das Reichs⸗Justizamt in dem Bestreben, eine Einheit im Strafvollzug herbeizuführen, mit den Regierungen der größeren Bundesstaaten⸗ insbesondere mit der preußischen Regierung, in Verbindung getreten ist. Die Verhandlungen schweben noch, und ich bin nicht in der Lage, darüber nähere Auskunft zu geben.

Abg. Klemm: Was die Anklagen des Abg. Dr. Boecckel gegen die

echtspflege betreffe, so ließen die Darstellungen des Abg.

zwar an Deutlichkeit und Schärfe nichts übrig, aber diese uptungen allein ohne Unterlagen genügten ihm nicht, um ein

Es sei schwerer, Recht zu sprechen, als seinem

im Parlament Luft

„be„ viele koöpfise en ele⸗

l ab durch iner Antlagen iner Reform derselben buches schließe er sich dem Antrage Boecke Der Reichst Kom⸗ mission zur Ausarbeitung des bürgerlichen Gese weil anerkannt habe, daß Gedanke f einem der wich Gebiele, Ausdruck müsse. r feß n könne man erörtern. ie Urtheile über in zwei großen Extremen. Die ganze Entwurf müsse umgearbeitet werden, Prinivien gestützt, und die Andern sagten, der eroßen Kapazitäten ausgearbeitet, berücksichtige das sich an die historische Entwickelung an, er mtlichen bleiben wie er sei. Zwischen diesen beiden rere Hunderte, die alle Nüancen durchliefen. Hier im ne jen von Rathschlägen nicht die Rede sein. Die Kom⸗ te nur Männer, deren Namen und Wirken einige Ehr⸗ hr Wissen erfordere. Er glaube zwar, daß manche ganz umgearbeitet, andere überarbeitet werden müßten, er seine Wäünsche vorlegen, so würde er die ganze heutige noch die morgige ausfüllen. Er verzichte daher darauf; könne ruhig die Arbeiten der Kommission abwarten. Abg. Heine: Der Abg Freiherr von Buol verlange eine Befugniß für die Gefängnißbehörden, die Gefängnißstrafen zu kürzen und anderer⸗ seits zu verlängern, wenn bei den Gefangenen die nöthige Besserung noch nicht eingetreten sei. Er meine mit dem Abg. Freiherrn von Buol, daß eine Aenderung bezüglich der Strafen eintreten solle, welche von der Geldbuße in Gefängniß⸗ resp. Haftstrafe umgewandelt werden können. Ein Junge, der ein natürliches Bedürfniß bei der Kirche gehabt habe, habe dafür 20 bis 30 Geldstrafe resp. eine Woche Gefängniß bekommen und natürlich die letztere angetreten, weil er die Geldstrafe nicht habe bezahlen können. Man denke sich nun einen solchen Jungen mit anderen Verbrechern zusammengesperrt. Und immer bleibe auf ihm das Odium sitzen, schon gesessen zu haben. Die Geldstrafe sei nur eine Strafe für die Armen. Was frage der Wohlhabende darnach, wenn er 30 zablen müsse; die Armen müßten aber ins Gefängniß, weil sie die Geldstrafe nicht bezahlen könnten. Die Leute auf dem Lande hätten noch aus der Zeit vor Beseitigung der Leibeigenschaft veraltete Begriffe. Hole sich ein Mann etwas Holz aus dem Walde, was er als sein Recht be⸗ anspruche, so werde er bestraft und müsse ins Gefängniß, weil er die Geldbuße nicht bezahlen könne. Im Interesse seiner Wähler des ländlichen Arbeiterstandes wünsche er (Redner) statt dessen die Einführung der Zwangsarbeit beim Wegebau oder dergleichen. Wenn der Abg. Dr. Boeckel glaube, die Expropriation des Bauernstandes aufhalten zu können, so irre er. Der Großkapitalismus werde den tleinen Bauernstand ebenso auffressen, wie er das kleine Handwerk aufge⸗ fressen habe. Gegen diese natürliche Entwickelung helfe kein Anti⸗ semitismus. Dringend nothwendig sei die Abschaffung der soli⸗ darischen Verpflichtung der Verurtheilten für die Gerichtskosten und Zeugengebühren. Der Gesetzgeber, der diese Bestimmungen ge⸗

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troffen habe, habe sich nicht denken können, daß solche Riesenprozesse geführt werden könnten, wie jetzt die Sozialisten⸗ und Geheimbund⸗ prozesse. Der Elberfelder Prozeß koste 12 000 Jeder, wenn er auch nur zur geringsten Strafe verurtheilt sei, hafte dafür. Eine solche Person werde also neben der Strafe außerdem noch bürgerlich ruinirt. Einen sehr nachtheiligen Einfluß habe das Monopol der Staatsanwalte, Anklagen zu erheben, besonders bei Beleidigungen im öffentlichen Interesse. Das geschebe immer bei Beleidigungen durch die sozialdemokratische Presse. Als Beleidigung gelte es schon, wenn ein Blatt schreibe, daß ein Arbeitgeber einen Arbeiter wahrscheinlich deshalb entlassen habe, weil dieser einem sozialdemokratischen Verein angehöre. Der Abg. Dr. Boeckel habe von der Ausbeutung des kleinen Bauern durch das Judenthum gesprochen. Der schlimmste Wucher sei aber der, der von den städtischen Bebörden durch die Leihhäuser mit den Aermsten der Armen getrieben werde. Eine arme Wittwe, die das Letzte, den Unterrock ihres Kindes, versetze, um für sich und ihr Kind Brot zu kaufen, bekomme eine Mark geliehen und müsse dafür monatlich 5 ₰, d. h. jährlich 60 % Zinsen bezahlen. Und wenn die Auktion des Gegenstandes nicht den geliehenen Betrag decke, würden noch Auktionsbeiträge erhoben. Der taats⸗ sekretär habe die Kategorien genannt, welche für das bürgerliche Gesetzbuch hineingekommen seien. Er (R habe nicht gehört, daß dabei der wichtige Arbeiterstaad sichtigt sei, und möchte bitten, auch einen oder mehrere demokratische Juristen in die Kommission zu berufen.

Dr. Boeckel habe Strafmilderungen erzählt. Gegen Arbeiter werde die Zugehörigkeit zur sozi grund geltend g Civilrechts absolute 1 Gebiete der Strafrechtspflege Mitwirkung des Volks, aber nicht in

emacht.

der Weise wie jetzt, wo die betreffenden Geschworenen und Schöffen

von den Richtern ausgesucht würden. Zar Zeit sei das Recht nicht Ausfluß des Volksbewußtseins, sondern dasjenige, was den herr⸗ schenden Klassen von Nutzen sei.

Abg. Stadthagen: Eine Reform der Anwaltsgebühren⸗ ordnung wünsche er mit dem Abg. Dr. Boeckel. In Bezug den Wucher scheine der Abg. Dr. Boeckel nur eins zu gessen: die Auswucherung der Arbeitskraft, und er neugierig, ob der Abg. Dr. Boeckel bei dem Arbeiterschutzgesetz gegen diese Art des Wuchers Front machen werde. habe sich aber nur zum emeldet, um einige Fragen an den Staatssekretär zu richten § 53 der Strafprozeßordnung dürften zffentliche Beamte über Umstände, welche sich auf ihre Amtspflichten

bezögen, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörden

vernommen werden. Diese Genehmigung, heiße es weiter, dürfe nur

versagt werden, wenn die Ablegung 8 Reichs oder eines Bundesstaats Nachtheile bereite. Er habe in vielen Fällen gefunden, daß dieser Paragraph die Handhabe biete, um die Wahrheit zu verhüllen. 1 Reihe von Sozialistenprozessen. Er habe sich wiederholt gefragt: Wie kann der preußische Stant oder das Reich dadurch Schaden eiden, daß die Wahrheit enthüllt wird, daß dargelegt wird, daß Beamter belogen ist oder nicht? Er habe den Eindruck gehabt, in den meisten Fällen die vorgesetzte Behörde die Genehmigung Zeugenaussage eines Beamten nur verweigert habe, weil sie rchtet habe, durch die Enthülluns der Wahrheit könne es nen, als ob der preußische Staat oder die deutscher Be

rden mit in Verbindung ständen, it denen in

8S=AN8 2. 8 G. 8

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Elementen in 53 müßte dahin geändert werden, daß kein Bürger im Deutschen eich fortwährend Gefahr laufe, irgend einer lügeahaften Kreatur zum Opfer zu fallen, deren Namen dagegen von den Beamten nicht ge⸗ nannt werden dürfe, weil die vorgesetzte Behörde ohne Angabe von Gründen sich auf den §. 53 stütze. So sei hier in Berlin einer jener beliebten „Spitzel“ unter seinem Eide befragt worden, ob er mit dem betreffenden Polizeikommissar in Verbindung gestanden habe. Er habe dies verneint. Er (Redner) sei, nach dem Ergebniß des Verhörs überzeugt, daß der Mann einen Meineid geleistet habe. Nun sei der Kommissarius befragt worden: „Ist dieser Derjenige gewesen, der Ihnen die Nachricht gebracht hat?“ Er hbabe geantwortet: „Ja, das zu sagen, hat mir mein

vorgesetzte Behörde verboten.“ Wenn das so weiter gehe, dann untergrabe man allerdings das Ansehen der Behörde. Man werde es im Volke nicht verstehen, wie die Regierung mit einem Menschen, der vor Gericht und außerhalb desselben lüge und dies Geschäft als Gewerbe betreibe, in Verbindung stehe, und daß nicht die Hand- habe geboten werde, um solche Leute zu entlarven. Ein zweiter Punkrbetreffe die Verantwortlichkeit der Staatsanwalte und Richter. Man wisse, daß der leiseste Zweifel an der Gewissenhaftigkeit eines Richters oder Staatsanwalls sofort zur Anklage der Zweifelnden führe. Er meine, die moralische Verantwortlichkeit genüge nicht, es gehöre weiter dazu, daß ein etwaiger Verstoß gegen das Strafgesetzbuch mit aller Strenge des Gesetzes auch gegen Richter und Staatsanwalte in Anwendung gebracht werden müsse. Wer könne nun den Staatsanwalt anklagen, wenn er dieses oder jenes Verbrechen oder Vergehen im Sinne des Sraafgesetzbuches begangen habe? Wenn der Erste Staatsanwalt Jemand zu Unrecht anklage oder ein

pflichtet gewesen sei, so seien beides

Anklage unterlasse, zu der er verpflich 1 sei 5 1 schwere Verbrechen, die das Gesetz mit Zuchthausstrafe bedrohe. Nur atsanwalt nie und nimmer sich selbst

werde aber doch der Erste Staatsan anklagen, dazu gehöre ein so makelloser reiner Charakter, wie er eben in den Reihen Derjenigen, die solche Verbrechen begingen, nich gefunden werde. Nun könne sich allerdings der Verletz! Ober⸗Staatsanwalt beschweren. Da sage aber der Ober⸗Staatsanwalt: er könne nicht einschreiten, denn der subjektive Thatbestand des Verbrechens liege nicht vor. Weil der Ankläg aber behauptet daß der Erste Staatsanwalt Bewußtsein gehabt h so klage er ihn wegen Beleidigung an. Was seien das für Zustän Er (Redner) möchte also die Regie⸗

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rung um Aufklärung bitten, ob sie Remedur nach der Richtung 8 sie eine Anklagebehörde auch gegen Staatsanwalte

schaffen wolle, daß si . 1 anwalte schaffe. Der Abg. Dr. Hartmann habe neulich gesagt, daß gegen derartige Vergehungen ja das Ober⸗Landesgericht, das Kammergervcht u. f. w. Abhülfe schafften. Das sei ganz schön, aber in Preußen z. B. seien die höchsten Stellen mit Richtern besetzt, die eine kürzere oder längere Zeit früher Staatsanwalt gewesen seien. Hier in Berlin sei mindestens ein Viertel sämmtlicher höheren Stellen mit früheren Staatsanwalten besetzt, und da wisse man schon, was dabei heraus⸗ komme. In Bezug auf den Strafvollzug werde eine ganze An⸗ zahl von Versehen begangen, ohne daß die betreffenden Beamten zur Verantwortung gezogen würden oder werden könnten. Be⸗ sonders schlimm stehe es mit der Untersuchungshaft. Die Unter⸗ suchungsgefangenen sollten gesetzlich nur solche Beschränkungen er⸗ leiden, welche zur Sicherung des Zwecks der Haft oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den Gefängnissen nothwendig seien. Nun sei es aber in Preußen eine eigenthüͤmliche Einrichtung, daß über die Untersuchungsgefangenen lediglich die Gefängnißinspektion zu bestimmen habe. Würden die Gefangenen allerlei Beschränkungen unterworfen, und wende man sich dann beschwerdeführend an den Richter, so heiße es: Ja, er könne darin nichts weiter thun, daran sei die Aufsichtsbehörde schuld, er könne sich darin nicht mischen. Die Untersuchungsgefangenen seien dem Schutze des Richters unterstellt, und derselbe Richter könne diese ungesetzlichen Maßregeln nicht verhindern. Er habe einmal einem Untersuchungs⸗ gefangenen den Heine zugeschickt. Das sei als eine unzweckmäßige Lektüre zurückgewiesen worden. Eine Beschwerde einzureichen sei in den meisten Fällen gar nicht möglich. In drei Fällen, in einem einzigen Monat sei er verhindert worden, mit dem Untersuchungs⸗ gefangenen zu sprechen. Er habe davon abgesehen, disziplinarische Bestrafung direkt zu beantragen, weil er sich gesagt habe, die unteren Beamten seien gebunden durch das Reglement der oberen Beamten. Das Reglement des preußischen Justizministeriums für die Gefängniß⸗ verwaltung stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen der Strafprozeßordnung. Möge der Untersuchungsgefangene schuldig sein oder nicht, so lange er noch nicht verurtheilt sei, dürfe seine

sozialdemokratischen Partei als Strafverschärfungs⸗ Seine Partei verlange auf dem Gebiet des Aufhebung der Gerichtskosten und auf dem

ig des Zeugnisses dem Wohle des

Dies gelte besonders von einer

erbindung zu treten anständige Menschen sich sonst scheuten. Per

Verletzte beim

Freiheit nur beschränkt werden, so weit es der Zweck der Haft und die Aufrechterhaltung der Ordnung erfordere. Beschwere sich z. B. ein Arbeiter, so müsse er erst den langen Instanzenzug durchmachen; er gehe schließlich an den Kaiser, und wenn das Alles nichts helfe, komme er zu den Sozialdemokraten, und wenn diese ihm sagten: Da sei nichts zu machen, so fange die Sache wieder von vorne an. Schließlich komme der Staatsanwalt auf den Gedanken: Sollte das nicht ein Querulant sein? Der Mann werde angeklagt und das Entmündigungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Nun noch einen kleinen Fall: Es sei ein Mann angeblich wegen Geheimbündelei zu

6 Monaten Plötzensee verurtheilt und gezwungen worden, die eiserne Mazske zu tragen. Der Mann habe vorgestellt, daß seine Lunge krank

sei und er durch die Maske an der freien Athmung verhindert werde. Er habe gebeten, daß man ihm die Maske abnehme. Er (Redner) habe nun an den Justiz⸗Minister in Preußen in dieser Be⸗ ziehung ein Gesuch gerichtet, weil er sich gesagt habe: ehe der Staatsanwalt geantwortet hat, ist der Mann mit irgend einem Uebel schon behaftet. Der Justiz⸗Minister habe die Sache zur Entscheidung an den Ober⸗Staatsanwalt abgegeben, und dieser habe erwidert: Ew. Wohlgeboren sind garnicht berechtigt und legitimirt dazu, die Beschwerde zu führen. Nun habe er (Redner) in dem Prozesse nicht nur vertheidigt, sondern auch Gelegenheit gehabt,

eine schriftliche Vollmacht einzureichen. Er möchte an die Reichsregie⸗

rung die Bitte richten, dafür zu sorgen, daß im Interesse einer ein⸗ heitlichen Rechtsprechung die Behörden angewiesen würden, bevor sie irgend eine Verfügung erließen, wenigstens die Akten einzusehen; sie hatten in diesem Falle gesehen, daß eine schriftliche Legitimation vorhanden gewesen sei. Ferner bitte er, daß man politischen Gefan⸗ genen nicht eine Maske anlege, wie vielleicht bei Dieben und

anderen Verbrechern nothwendig sei. 8

Staatssekretär von Oehlschläger: Meine Herren! Die erste Frage,

gestellt hat, betraf den §. 53 der Strafprozeßordnung und ging dahin,

b der Herr Reichskanzler nach den gemachten Erfahrungen nicht An⸗

habe, auf Abänderung dieser Vorschrift hinzuwirken. Ich kann

in Fall eines Mißbrauchs des

Folge einer Beschwerde, noch auf anderem Wege zur

Reichs⸗Justizamts gekommen ist, also auch kein Anlaß bisher

ten hat, der Frage einer Aenderung des §. 53 der Straf⸗

dnung näher zu treten.

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2 o L0⸗

zweite Frage, betreffend die für ein Vorgehen g glieder der Staatsanwaltschaft zuständigen Anklagebehörde kaum noch einer Antwort von meiner Seite, da der Herr Abge demnächst im Laufe seiner Ausführungeu sich selbst ntsprechende Antwort dahin gegeben hat, daß ein anderer Staatsanwalt zur An⸗ klageerhebung zu bestellen oder die Anklage direkt vom Ober⸗Staats⸗ anwalt zu erheben sei. Auch die weitere Frage, was habe, wenn der Ober⸗Staatsanwalt oder der substituirt ihre Pflicht nicht thun sollten, hat der Abgeordnete wortet.

Beschwerde an das Ober⸗Landesgericht gegeben sei. Der Herr Abgeordnete hat aber dann eingewendet, daß verde an das Ober⸗Landesgericht wenig Werth ‚weil diese Gerichte tbesetzt würden, daß die Mehrzahl der Richter nicht geneigt wären, einen Staatsanwalt Anklageerhebung anzuordnen. Allein

en Mit⸗ , bedarf eordnete

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sächliche Grundlage nicht gegeben, und auch abgesehen hiervon, würde die Reichsregierung außer Stande sein, Abhülfe zu gewähren, da das Anstellungsrecht den Einzelstaaten gebührt, Beschwerden in dieser Richtung also nicht vor den Reichstag, sondern vor den zu⸗ ständigen Landtaz gehören.

Der Herr Abgeordnete hat schließlich eine Reihe einzelner Be⸗ schwerden vorgebracht, auf die ich nicht näher eingehen kann, weil mir jedes Material fehlt, diese Fälle einer Beurtheilung zu unterziehen, und weil diese Fälle ebenfalls auf dem Gebiete der Partikulargesetzgebung liegen, nämlich auf dem Gebiete Strafvollzugs. Wir haben vorhin ausführlich darüber verhande der Strafvollzug bis heute noch nicht einheitlich geregelt ndern daß dort die

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0 4 8 s 8 2 2 8 Partikulargesetzgebung noch in voller Kraft besteht. Es kann also

8 . zt werden, vielmehr wird der Herr Abgeordnete eventuell sich dieserhalb an den preußischen Landtag wenden müssen.

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt.

Zur weiteren Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches werden verlangt 200 000 ℳ, 80 000 mehr als im vorigen Jahre.

Abg. Hahn: Die Materie des Wasserrechts habe im bisberigen Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches leider keine Behandlung ge⸗ funden. Die in den Motiven für diese Unterlassung angegebenen Gründe Balte er für unzulänglich: es solle nur das Privatrecht, nicht das öffentliche behandelt werden. Nun sei aber das Wasserrecht auch pripatrechtlicher Natur. Das preußische Landrecht bestimme, daß jeder Uferanwohner für die Unterbaltung und Freimachung der über sein Grundstück fließenden Flüsse verpflichtet sei. Daß das eine privatrechtliche Bestimmung sei, habe auch ein Erkenntniß des Ober⸗ tribunals anerkannt. Es könne nicht allein vom vpolizeilichen Standpunkt beurtheilt werden, ob und wie weit Jemand sich von s Nachbar habe überschwemmen lassen. Der

auch für diese Fälle die Abhülfe nicht hier gesuch

seinem 1882 dem preußischen Abgeordnetenhause vorgelegte Entwurf über die Befugnisse der Strombauverwaltung gegenüber den Uferbesitzern be⸗

1.

sage ausdrücklich, daß der Haupttheil der Materie im bürgerlichen

Gesetzbuch geregelt werden solle. Die Wasserverhältnisse in den Grenz⸗ gebieten der verschiedenen deutschen Kleinstaaten, z. B. der thüringischen, fordern auch dringend eine reichsgesetzliche Regelung, und das bürger⸗ liche Gesetzbuch sollte diese nicht vorenthalten. Der Titel wird bewilligt. Zum Neubau des Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig wer⸗ den als fünfte Rate 650 000 verlangt. Beerichterstatter Abg. Dr. Hartmann richtet im Auftrage der Budgetkommisstion an den Staatssekretär eine Anfrage über den Stand des Baues und darüber, ob man mit der veranschlagten Summe ausreichen werde.

Staatssekretär von Oehlschläger:

Neine Herren! Ich kann Ihnen die gewünschte Auskunft dahin ertheilen, daß die Umfassungswände des Gebäudes in Mauersteinen fertiggestellt sind, daß dann ein Nothdach errichtet worden und unter diesem der größte Theil der Deckengewölbe hergestellt ist. Unfertig ist noch, und zwar auch im Plan, die Kuppel, welche sich über der Halle des Mittelbaues erheben soll. Der bezügliche Entwurf ist Seitens der Akademie des Bauwesens beanstandet, und in Folge davon ist dem Architekten der Auftrag ertheilt worden, seinen früheren Entwurf einer Umarbeitung zu unterziehen. Mit dieser Umarbeitung ist gegenwärtig der Architekt beschäftigt und hofft sie etwa bis zum Mai dieses Jahres zu beendigen. Inzwischen wird aber der Bau keine Unterbrechung zu erleiden haben. Vielmehr steht der Kuppelbau so außer Konnex mit den

übrigen Arbeiten, daß die letzteren hierdurch nicht berührt werden.

In diesem Baujahre soll nun die Bekleidung der Fagaden mit Sand⸗

welche der Herr Abgeordnete

stein in Angriff genommen werden und es sind die betreffenden Ver⸗ träge bereits abgeschlossen. Nach Lage der Dinge steht mit voller Sicherheit zu erwarten, daß wir den Bau in der anschlagsmäßigen Zeit werden vollenden können. Der Miethsvertrag mit der Stadt über das Gebäude, in welchem das Reichsgericht zur Zeit untergebracht ist, läuft am 30. September 18955 ab, und wir nehmen an, daß spätestens am 1. Oktober 1895 der Umzug aus dem alten Gebäude in das neue Gebäude erfolgt sein wird. Ebenso ist mit großer Wahrscheinlichkeit, eigentlich mit Gewißheit darauf zu rechnen, daß die Bauanschlagssumme nicht wird überschritten werden. Allerdings können ja in dieser Hinsicht noch unvorhergesehene Zwischenfälle eintreten. Soweit aber solche sich nicht ereignen, wird die anschlagsmäßige Summe für den Bau vollständig ausreichen.

Der Stand des Bauwesens wird von Zeit zu Zeit durch photo⸗ graphische Aufnahmen festgestellt, und ich gestatte mir, für die Herren, welche Interesse daran haben, die im Dezember des Vorjahres auf⸗ genommenen Photographien zur Einsicht hier auf dem Tisch des Hauses niederzulegen.

Der Titel wird bewilligt, desgl. die Einnahmen und der ganze Rest des Etats der Reichs⸗Justizverwaltung.

Darauf fährt das Haus in der Berathung des Etats der Reichspost⸗ und Telegraphenverwaltung fort.

Bei Tit. 20 „Gehälter der Vorsteher von Post⸗

ämtern“ bittet Abg. Dr Hartmann um eine Aufbesserung der im Nach⸗ gs⸗Etat nicht berücksichtigten Postdirektoren, die jetzt vielfach schlechter gestellt seien als ihre Sekretäre.

Direktor im Reichs⸗Postamt Fischer: Dadurch, daß die Gehalts⸗ aufbesserungen im Nachtrags⸗Etat unmittelbar vor den Postdirektoren abgeschlossen hätten, sei in der That in einer nicht geringen Anzahl vorn Fällen der Uebelstand herbeigeführt, daß der Chef des Amtes ein geringeres Einkommen s die nachgeordneten Postsekretäre. Es könne nicht verkannt werden, daß dadurch Schwierigkeiten für die Aufrechterhaltung der Stellung und Disziplin entstehen könnten. Die Hoffnung, durch Gewährung von Stellenzulagen Abhülfe zu schaffen, sei nicht erfüllt worden, weil nach dem Vorgange in Preußen Stellen⸗ zulagen an solche Beamte nicht gewährt werden könnten. Es seien indeß Verhandlungen eingeleitet, um so bald als möglich den Miß⸗

stand zu besettigen.

Der Titel wird bewilligt. Bei Titel 31 „Postagenturen“ bemerk Abg. von Meyer: Die Postagenten seie Funktionen, aber nicht amtliche Qualität sie unter die Beamten auf Widerruf sollten jetzt auf 7. Betri m die

bisher 540 und erhöht werden. Für kleine ausreichen, aber für große sei sie zu wenig. De selbe Zuverlässigkeit und Sachkunde ler n Beamten; die Leute müßten zudem die ganzen sächlichen Kosten n, sogar das Lokal hergeben; sie hätten nicht selten einen Kassenve n 10⸗ bis 15 000 jährlich; Fahrpost, bei Nacht bei ihnen vorübergehe; hätten vier zu beaufsichtigen, die ein viel höheres Gehalt hätten bei sei ein Hauptkreuz dieser Leute, daß sie 1 eter gar nicht hätten, sondern auf sich, ihre Frau, bezw. ihren Sohn angewiesen seien, aber verantwortlich blieben sie für Alles. Pensionsberechtigung hätten sie nicht; es sollte aus irgend einem anderen Fonds für diese Postagenten etwas mehr geleistet werden. Vielleicht könnte man ihnen auch die Befugniß einräumen, daß, Falls ihre Agentur zam wirklichen Postamt erhoben werde, sie in diese Stelle einträten. Gegenwärtig h Recht nicht, wenn sie auch noch so lange gedient so qualifizirt seien. Staatssekretär Dr. von Stephan: Ich bin dem Herrn Vorredner sehr dankbar für die Wärme, mit er sich dieser Klasse sehr braver Angehöriger der Post⸗ - angenommen hat. Es ist ja auch, wie der Herr ereits erwähnt hat, in dem jetzigen Etat Vor⸗ daß die Bezüge dieser Beamten erhöht ngt das zusammen mit der allgemeinen Besoldungs⸗ ung, die im vorigen Jahre vom hohen Hause genehmigt worden Sie sind damals in demselben Rahmen geblieben, in welchem standen, und sind einrangirt auch mit dieser Zulage von 30 ℳ, der ich ebenfalls gewünscht hätte, daß ausgiebiger ausgefallen väre, da, wo sie si

8 erfordere die 1 1

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zugleich seien sie Stationen

ag sie hingehören, und sie sind behandelt worden nach den Normen, welche damals von dem Reichs⸗ tage und nachher von dem Bundesrath vorgeschrieben worden sind. Ob es thunlich sein wird, für diese Angehörigen der Postverwaltung es sind das Beamte auf Widerruf gegen dreimonatliche Kündigung auch künftig etwas zu thun, das wird lediglich davon abhängen, in welchem Tempo die Besoldungsaufbesserungen im Allgemeinen weitergeführt werden. Denn sie aus dem Rahmen heraustreten zu lassen, dazu liegt allerdings kein Anlas vor, es würde das auch zu Berufungen Veranlassung geben. Aus den Titeln, die der geehrte Herr Vorredner erwähnte, kann ihnen nichts bewilligt werden, weil das Titel für die Unterbeamten sind. Soweit darin natürlich Beiträge für Botenposten, Hülfe⸗ leistungen u. dergl. stecken, bekommen sie auch die Vergütung. Inso⸗ fern ist es nicht richtig, daß sie die Selbstkosten der Verwaltung tragen. Und endlich bekommen sie in beson deren Bedarfsfällen, in Fällen, wo Noth eingetreten ist oder Krankheit, aus dem Remune⸗ rationsfonds Tit. 37 besondere Unterstützuugen. Aber es besteht die vollste Sympathie bei uns für diese Klasse sehr braver und pflicht⸗ treuer Angehöriger der Postverwaltung. Der Titel wird bewilligt. Bei den Betriebskosten im Bereich der Tele⸗ graphie bemerkt Staatssekretär Dr. von Stephan: Meine Herren!/ Es werden bei diesem Kavpitel, welches die Be⸗ triebskosten der Telegraphie betrifft, 15 Millionen Mark im Ganzen in Anspruch genommen, etwas über 3 Millionen Mark mehr als im vorigen Jahre. Es ist das ja keine unbedeutende Summe, und ich halte mich für verpflichtet, einige Elemente wenigstens mitzutheilen, auf denen die Mehrforderungen beruhen. Das ist erstens die Weiterentwickelung netzes. Wir konnten damit nicht zurückhalten, land von allen Ländern in Europa die graphenstationen hat, England nicht ausgenommen, nämlich eine Anzahl von 11 200 Telegraphenanstalten. Im Jahre 1888 waren es 10 000; in den beiden Jahren 1889/90 sind also 1200 neu eingerichtet. Wir müssen in demselben Tempo weiter gehen, um die Bedürfnisse des Landes zu befriedigen, in welchem die Industrie sich immer mehr ausdehnt, ich erinnere an die Zuckerindustrie, an die chemischen Fabriken u. s. w.; es muß in Folge dessen das Leitungs⸗ netz verdichtet werden. Es sind in den letzten beiden Jahren 30 000 km

des Telegraphen⸗ obwohl Deutsch⸗ meisten Tele⸗

Drahtleitungen gezogen worden, die unterirdischen Linien sind nach

Stuttgart gelegt, Württemberg hat sich angeschlossen. Nach Bayern ist die Linie zwischen Dresden und Hof auf dem deutschen Postgebiete weitergeführt und wird in Bayern im nächsten Frühjahr in Angriff genommen werden, so daß zwischen München und Berlin eine unterirdische Telegraphen⸗ linie bestehen wird, wie sie jetzt schon zwischen Stuttgart und Berlin im Gange ist. Es ist sodann hergestellt eine direkte Leitung nach Rom. Bisher war Rom nur zu er⸗ reichen über Mailand mit Umtelegraphirung und Ueber⸗ tragung und auf dem Wege über Wien auch mit Umtelegraphirung. Eine direkte Linie ohne irgend welche Uebertragung und Um⸗ telegraphirung bestand bisher nicht. Es ist gelungen, durch Ver⸗ einbarung und durch Entgegenkommen der Königlich bayerischen, der Kaiserlich Königlich österreichisch⸗ ungarischen und der Königlich italienischen Regierung jetzt eine Linie direkt zu bauen von Berlin über München, den Brenner, Verona nach Rom, und es ist diese Linie vor etwa sechs Wochen in Betrieb genommen. Sie funktionirt aus⸗ gezeichnet; ich selber habe im Telegraphensaal nachzesehen. Die Schrift kommt in großer Vollendung in wenigen Sekunden direkt von Rom nach Berlin, ohne Uebertragung. Wenn man bredenkt, daß die Entfernung 1947 km beträgt, daß diese Linie die direkteste ist die längste Linie, die wir bisher hatten, war die Linie mit Odessa mit 1880 km —, so ist das eine ganz bedeutende Leistung der heutigen Technik.

Ich möchte noch erwähnen, weil mehrere Herren in der Budget⸗ kommission sich dafür interessirten, daß für diese Leitung ausschließlich Broncedraht verwendet worden ist, der das beste Leitungsvermögen hat, mit Ausnahme der Stelle über dem Brenner, wo wegen der Lawinen der widerstandsfähige Eisendrabt verwendet wurde.

Außerdem sind die Kabel nach England verbessert worden gleichfalls ist das Kab kann man vielleicht eingerichtet; Bagamoyvo und Dar⸗ Salaam sind auch mit hineingezogen worden.

Es haben Ermäßigungen stattgefunden im telegraphischen Ver⸗ kehr mit England, Schweden⸗Norwegen, Italien, Belgien, Griechenland, Westindien, Mexiko, mit Mittel⸗ und Süd⸗Amerika, und es steht eine solche Ermäßigung bevor zum 1. Juli in ziemlich bedeutendem Umfange im Telegraphenverkehr mit Frankreich und Rußland, sodaß also in diesem Jahre, und die zum 1. Juli mitgerechnet, sämmtliche Länder Europas im Verkehr mit Deutschland billigere Telegraphentaxen bekommen haben. Dazu ist gekommen die übermorgen eintretende Telegraphen⸗ ermäßigung im Inlande.

Im Betriebe sind wir übergegangen zu dem Akkumulatoren⸗ betrieb, der große Vorzüge gewährt gegenüber der früheren Verwen⸗ dung der Batterieelemente. toren mehrere rI

2 el mit Sansibar, also mit unsern Gegenfüßl sagen,

de üͤh Wir haben mit 4 Alkumulato tausend Elemente nach dem Meidinger'schen System erspart

Es ist in Berlin errichtet worden das Telegraphen⸗Ingenieur⸗ bureau, sind, lediglich die neuen Erfindungen der Telephonie, . des Telegraphenbaues zu studiren, Experimente zu machen und r die Berichte an das Reichs⸗Postamt abzustatten.

Ss ist gebaut worden mit Genehmigung zwei Jahren stand es im Etat eine eigene T

genommen hat in den Apparaten und sonstigen nothwendigen Ei die wir beim Experimentiren gebrauchen. Es ist erweiter Telegraphenschule, wo die höheren Beamten ausgebil Lehrgegenstände umfassen Physik, Chemie, Mechanik, Telegraphenbau und Apparatwesen, Handelsgeographie,

und Völkerrecht und Finanz⸗ und Volkswirthschaft.

Endlich und damit will ich schließen im nächsten Jahre die elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M. bevor, und es handelt sich dabei um die Lösung des großen Problems der Kraft⸗ übertragung auf weitere Entfernungen auf elektrischem Wege. Sie wissen, daß es sich darum handelt, die Kraft der Wasserfälle, die unbenutzt in Waldesschluchten verrauscht, dem Dienst der Menschen und der Kultur nutz⸗ bar zu machen. Es werden in diesen Tagen, am 24. Januar ich habe mehrere Techniker hingeschickt und Geheime Räthe aus dem Reichs⸗ Telegraphenamt, die diese Experimente mit angesehen haben, und ich habe heute früh den ersten Bericht darüber bekommen es werden in Oerlikon bei Zürich, dem kleinen Industrieort, große Transforma⸗ toren aufgestellt, und es ist mit diesen eine sehr bedeutende Kraft übertragen worden, unter Benutzung einer Spannung von etwa 30 000 Volt, was enorm viel sagen will; und diese Kraft if itergeführt worden auf eine Entfernung von

es als vollständig aussichtsreich erscheinen

daß es gelingen wird, diese Kraft auf weitere Ent⸗

fernungen, bis zu 200 km zunächst, fortzuführen. hoher Spannung sind ja zum Theil gefäbrlich.

Ströme von so Nimmt man starke ungefährlich sind,

so bedürfen sie eines großen Querschnitts des Leiters; dadurch wird der Draht theurer und kann nur unterirdisch geführt werden, was die Sache außerordentlich erschwert. Nimmt man starke Ströme mit schwacher Spannung, so können sie nicht auf leichteren Drähten geführt werden. Es wird der Strom in einer Spannung von ursprünglich 100 Volt erzeugt, aber durch sogenannte Trans⸗ formatoren, durch die er durchgeht, Metalldraht⸗Wickelungen, die sich in großen mit Oel gefüllten Kufen befinden, bis auf 30 000 Volt ver⸗ stärkt, und auf solchen Dräbten, die nicht stärker sind als unsere Telegraphendrähte, nämlich 4 mm im Durchmesser, kann er auf Ent⸗ fernungen geführt werden, wie man anzunehmen alle Ursache hat nach diesem ersten gelungenen Experiment, bis auf Entfernungen von 200 km. Nun will man in Frankfurt den Wasserfall von Lauffen am Neckar benutzen, um die Kraft in das Ausstellungsgebäude mit diesem Verfahren überzuleiten, das jetzt in Oerlikon versucht worden ist. Es ist das eine Entfernung von 180 km, und man hofft, unter Anwendung der entsprechenden Maschinen diesem Wasserfall eine Kraft von etwa 300 Pferden zu entziehen, die mit momentaner Schnelligkeit, mit der Schnelligkeit, mit der die Elektrizität überhaupt arbeitet, nach Frankfurt übergeleitet werden, um sie im Ausstellungsgebäude zu allerlei Zwecken zu ver⸗ wenden; man kann sie in Licht verwandeln, in motorische Betriebs⸗ kraft umsetzen, indem man sie auf die einzelnen Gewerbestellen, auf kleine Maschinen vertheilt. Kurz, es steht zu hoffen, daß diese neue Errungenschaft der Wissenschaft, die der Welt, namentlich dem Gewerbeverkehr, einen ganz außerordentlichen Aufschwung zu geben berufen ist, die namentlich für das kleine Gewerbe von großer Wichtigkeit sein wird, indem man die Maschinen auf jeden Stuhl einer Werkstatt vertheilen kann, gelingen wird. Das ist das

Experiment, das in diesen Tagen in Oerlikon versucht worden ist. Ich

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