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IIe zwar auch der Kapital⸗Association; diese zu eximiren, wenn die
in der Kommissionsvorlage. Die Befreiung des gesammten Ein⸗ kommens unter 900 ℳ haben eine Reihe von deutschen Staaten nicht; die Degression in dem Umfange, wie sie jetzt vorliegt, hat fast kein einziger deutscher Staat in dieser Weise; die Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse noch viel weniger, die Erleichterungen in der Deklaration, die wir hier ein⸗ geführt haben, erst recht nicht. Die zwangsweise Deklaration z. B. des Einkommens der Arbeiter Seitens der Arbeitgeber, wie der sächsische Entwurf sie hat, haben wir vermieden. Aber auch selbst hier bei dieser Frage der Aktiengesells chaft, hat der Entwurf eine sehr wesentliche, durchaus nicht fiskalische Milderung vorgeschlagen. Wenn wir von vornherein in der Anerkennung der komplexen Natur der Frage, in der Anerkennung der verschiedenartigen Anschauungen und Gesichtspunkte, die in dieser Frage im Lande herrschen, und in dem Wunsch, einen versöhnenden Mittelweg zu finden, einen Abzug von 3 % gestatten, wie das nur Baden thut, im ganzen übrigen Deutsch“ land aber nicht geschieht, dann ist das nicht ein Streben nach bloßer Fiskalität, sondern es war eine billige Berücksichtigung der eben von mir geschilderten Verhältnisse.
Meine Herren, ich habe mich schon früher darauf berufen, daß alle deutschen Staaten, welche in der Reform der direkten Steuern uns vorangegangen sind und namentlich ihr Einkommensteuerwesen vor uns reformirt haben, doch schließlich zu dieser sogenannten ver⸗ werflichen Doppelbesteuerung der Aktiengesellschaften gekommen sind. Gewiß man kann sagen: was braucht der große preußische Staat sich um solche Vorgänge zu kümmern? Aber eine gewisse Bedeutung liegt doch darin, wenn in so vielen einzelnen deutschen Staaten diese Frage mit derselben Gründlichkeit kontrovertirt worden und man überall schließlich zu der Bejahung der Sache gekommen ist, so hat das doch eine gewisse Autorität für uns. Ja, man ist dort auch gar nicht bemüht gewesen, Abzüge zu gestatten, wie die Anträge der Herren Achenbach und Schmieding das wollen, sondern man hat einfach in der Regel die Aktiengesellschaften als gewöhnliche Erwerbsgesellschaften besteuert.
Nun, meine Herren, hat das aber für uns noch eine ganz andere Bedeutung, und darauf möchte ich noch einmal zurückkommen. Wir leben mit den übrigen deutschen Staaten in einer großen wirthschaft⸗ lichen Gemeinschaft. Ein deutscher Staat hat in dieser Beziehung für uns eine ganz andere Bedeutung, als wie ein ausländischer Staat über Gewerbebetrieb und Aktiengesellschaften denkt. Es hat doch immer ein gewisses Interesse, die Produktionsbedingungen und die Besteuerungsbedingungen für bestimmte Produktivgesellschaften gleich⸗ artig in Deutschland zu gestalten, und die Sache wird noch bedeutender, wenn man an das Gesetz, welches die Doppelbesteuerung ausschließt, denkt, von welchem ich Ihnen vorher ein Bild gegeben habe, wie es bei Freilassung der Aktiengesellschaften wirken würde. Da wir gewissermaßen mit der Steuerreform hinterher kommen, gegenüber den übrigen deutschen Staaten, so haben wir wohl Ver⸗ anlassung, Gewicht darauf zu legen, uns thunlichst in den Grund⸗ prinzipien auf ein und denselben Boden zu stellen.
Meine Herren, diejenigen Anträge, die eine Abrechnung zulassen wollen, stehen ja orrf dem Boden, daß sie anerkennen, es liegt hier eine eigentlich unzulässige Doppelbesteuerung vor. Wer dies überhaupt verneint, kann auch nicht auf den Boden dieser Anträge treten. Wer dagegen diesen Grundsatz hinstellt: es ist eine Doppelbesteuerung vor⸗ handen, aber es ist dennoch aus anderen Gründen — z. B. wegen der leichteren, sicheren Faßbarkeit des gesammten Einkommens der Aktiengesellschaften — im Staatsinteresse, zu einer direkten Be⸗ steuerung der Aktiengesellschaften überzugehen, der ist freilich berechtigt, in dieser Beziehung nach einer Korrektur zu suchen.
Man sagt, die Besteuerung der Aktiengesellschaften wird eine große Mißstimmung erregen. Ich will nicht bestreiten, daß in vielen Kreisen eine Mißstimmung entstehen wird und auch das Gefühl, als
ob diese Gesellschaften ungerecht oder wenigstens nicht gerecht be⸗ handelt würden. Aber, meine Herren, wenn Sie diese Anträge an⸗ nehmen, welche nur denjenigen Aktionären das Recht geben, eine Ab⸗ rechnung auf die gezahlte Steuer der Aktiengesellschaft bei ihrer Besteuerung eintreten zu lassen, welche nachweisen, daß sie die Aktien
ein Jahr besessen haben, — so machen Sie dieses Recht oft auch von thatsächlichen Zufälligkeiten abhängig, und ob dies nicht noch eine größere Unzuträglichkeit und Mißstimmung in manchen Fällen hervorrufen würde, wenn der Eine zufällig den Nachweis führen kann, — denn er muß es nachweisen, es wird nicht
nach dem Gesetz unterschieden zwischen denjenigen, die die Aktien ein
Jahr hindurch besessen haben, und denjenigen, bei denen dies nicht der Fall ist, sondern es ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, die den
Nachweis führen können, daß sie ein Jahr hindurch die Aktien besessen
haben, und denen, die es nicht können, — während daneben ein
Aktionär steht, der den Nachweis nicht führen kann, ist doch die Frage! Diesem wird die Sache nicht geglaubt, er hat vielleicht Jahre lang die Aktien besessen, er kann aber doch nicht abrechnen. Wird dies
nicht noch viel größere Ungleichheit hervorrufen? Ob Sie also viel damit gewinnen, lasse ich dahingestellt.
Meine Herren, wenn ich wählen sollte im äußersten Falle zwischen den Anträgen des Hrn. Abg. Schmieding und dem Antrag der
Hrrn. Achenbach und Genossen, so glaube ich, technisch ist der letztere
leichter durchzuführen, denn er legt, wenn ich so sagen darf, das
schwierige Rückerstattungsverfahren nicht in die Selbstverwaltungs⸗
körper der Veranlagungsbehörden, sondern ich möchte sagen in die
bureaukratische Technik der Staatsverwaltung. Insofern glaube ich, es wäre trotz der immerhin bleibenden großen technischen Schwierig⸗ keiten und Weiterungen, die dadurch entstehen, doch der Antrag Achen⸗ bach noch leichter auszuführen, als der Antrag Schmieding.
Meine Herren, wenn die Kommission beschlossen hat, statt des in der Regierungsvorlage enthaltenen steuerfreien Betrages von 3 % des Aktienkapitals 3 ½ % desselven frei zu lassen, so halte ich selbst
diesen Antrag namentlich dann gerechtfertigt, wenn etwa die höhere
Besteuerung mit 4 % von dem Betrage von 100 000 ℳ Einkommen
beibehalten wird; wäre das nicht der Fall, so würde ich die Regie⸗ rungsvorlage noch jetzt für vollständig begründet halten, während man
anerkennen muß, daß die höhere prozentuale Besteuerung des größeren
e Einkommens wesentlich bei den Aktiengesellschaften wohl im Ganzen zutreffen wird.
** Meine Herren, ich komme nun auf einzelne Spezialfragen. Was die Frage der Genossenschaften betrifft, so kann gar nicht bestritten
werden, daß, wenn bei den Genossenschaften dieselben wirthschaftlichen Verhältnisse vorliegen, sie ebenso behandelt werden müssen, wie die Aktiengesellschaften. Es ist nur eine andere Form der Association,
Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Berg⸗
gewerkschaften besteuert werden, dafür ist zweifellos kein Grund vor⸗ handen. Hr. Abg. Broemel hat mit vollem Recht gesagt, man solle sich hüten, auf die gewerbliche Entwickelung durch Steuern einwirken zu wollen, die Steuer müsse sich an die gewerbliche Entwickelung an⸗ schließen. Den Satz unterschreibe ich vollständig. Aber gerade des⸗ wegen müssen diejenigen, die eine besondere Vorliebe für diese eine Form der Association haben, für die Genossenschaft, sie nicht eximiren wollen, ohne daß solche wirthschaftlichen Gründe wirklich vorliegen. Wenn diese Genossenschaften den Charakter wirklicher Erwerbsgesellschaften annehmen, die nach außen ihren Arm ausstrecken, geradeso operiren wie alle anderen gewerblichen Betriebe, mit dem gesammten Publikum in Verbindung treten, eigenen Gewinn machen, diesen Gewinn unter ihre Genossen vertheilen, so ist kein wirthschaftlicher Grund mehr vorhanden, sie anders zu behandeln, als die Aktiengesellschaften. Meine Herren, glauben Sie nicht, daß diese Frage eine allzugroße Bedeutung hat; das Wohl und Wehe der Genossenschaften wird von der mäßigen Besteuerung nach diesem Gesetzentwurf garnicht abhängen. Nach der einen oder der anderen Seite wird von Freunden und Gegnern der Genossenschaften die Wirkung der Heranziehung zur Steuer nach meiner Meinung in hohem Grade überschätzt. Auch diejenigen, die eigentlich nach und nach dahin gekommen sind, z. B. alle Konsumvereine für ein Uebel zu halten, täuschen sich gewaltig, wenn sie glauben, daß sie dadurch, daß sie süe der Steuer unterwerfen, in dieser Beziehung etwas Wesentliches erreichten. Es wird ja sehr leicht sein, jeden Konsum⸗ verein zu verhindern, daß auch nur ein Heller von ihm verdient oder ein Gewinn vertheilt wird; die Vereine können ja nur die Preise unter sich anders gestalten. Aber die Bedeutung liegt hier darin, daß wir großen Kreisen der Bevölkerung das Gefühl oder den Glauben nehmen müssen, daß zu ihren Lasten, während sie doch eigentlich der schwächere Theil sind, der Staat die Konkurrenten, die stärker sind, privilegire. (Sehr richtig!) Eine gerechte, gleichmäßige Behandlung der Genossenschaften kann man allein verlangen, und dagegen sollten sich die Genossenschaften am Allerwenigsten selbst sträuben.
Wenn nun in der Kommissionsvorlage der Satz enthalten ist, daß, wenn die Genossenschaften, die Konsumvereine namentlich, einen offenen Laden halten, sie dann unter allen Umständen einkommensteuer⸗ pflichtig sein sollen, so ist das gewissermaßen eine wohlberechtigte Fiktion, daß in allen diesen Fällen die Genossenschaften denjenigen Charakter erhalten, den das steuerliche Moment ausmachen soll. In der Gewerbesteuer sind solche Gesellschaften schon früher besteuert worden, weil man da angenommen hat, daß thatsächlich dann ein wirklicher Gewerbebetrieb stattfindet, und ich muß allerdings anerkennen, daß, wenn man aus diesen Gründen Gesell⸗ schaften mit offenen Läden unbedingt zur Gewerbesteuer heran⸗ zieht, der Schluß sehr nahe liegt, daß sie dann auch von der Einkommensteuer nicht eximirt werden können.
Den Antrag des Herrn Metzner halte ich nicht für nothwendig, wenn ich ihn richtig verstehe; wenn er aber anders verstanden werden sollte, würde er mir zu weit gehen. Wenn nämlich das Wort „offen“ auch verstanden werden soll für das Lager und Magazin, dann be⸗ deutet letzteres eigentlich kaum etwas Anderes als einen offenen Laden, — dann ist jedenfalls der Antrag nur eine Deklaration; wenn aber das Wort „offen“ auf das Magazin und Lager nicht Anwendung finden soll, dann kommen wir auf die Unterscheidung, ob diese bestellten Waaren, welche an die einzelnen Mitglieder wieder abgehen, gelagert werden oder ob sie nur im Großen direkt für die einzelnen Mit⸗ glieder bestellt werden dürfen. Eine solche Unterscheidung halte ich für vollkommen unberechtigt, und wenn etwa der Antrag von dem Herrn Antragsteller in diesem Sinne interpretirt werden sollte, dann möchte ich bitten, ihn abzulehnen.
Meine Herren, der Hr. Abg. Simon hat sich nun namentlich, sowohl jetzt hier im Plenum als auch in der Kommission, darüber beschwert, daß die Privat⸗Eisenbahnen herangezogen werden sollen zur Einkommensteuer, während sie doch schon nach dem Gesetz von 1838 eine besondere Eisenbahnabgabe zahlen. Meine Herren, derselbe Einwand konnte ebenso gut erhoben werden bei den Berg⸗ werksgewerkschaften, denn die zahlen ja die Bergwerksabgabe. Ich glaube, er hätte da vielleicht noch eher erhoben werden können als hier, und da doch auch nicht, weil sie dagegen auch von der Gewerbe⸗ steuer freigelassen sind und, so lange die Bergwerksabgabe besteht, darin eine Kompensation finden. Aber bei der Eisenbahn liegt die Sache doch noch ganz anders; die Eisenbahngesellschaften sind doch wirklich vom Staat konzessionirte und in hohem Grade privilegirte Gesellschaften. Sie haben das Expropriationsrecht und andere sehr wesentliche Rechte, und sie stehen daher in dieser Beziehung ganz anders, als alle gewöhnlichen Privatgesellschaften. Außerdem kommt aber noch hinzu, daß wir immer mehr Eisenbahnen bekom⸗ men, welche nicht unter das Gesetz von 1838 fallen. Diese Sekundärbahnen unterster Ordnung fallen gar nicht unter das Gesetz von 1838, und die Kommunen, namentlich wenn die öffentlichen Straßen von ihnen benutzt werden. geniren sich durchaus nicht, diese Gesellschaften zu besteuern, und letztere finden darin auch gar kein Unrecht. Also ich glaube, dieser Antrag ist doch wohl nicht berechtigt, und ich bitte, ihn, wie die übrigen Anträge, von denen ich gesprochen habe, abzulehnen.
Meine Herren, von verschiedenen Seiten ist die Frage erörtert, ob, wenn man einen Reformplan verfolgt, der das Ziel sich steckt, die staatliche Doppelbesteuerung dem Grundbesitz gegenüber allmählich wenigstens gänzlich aufzuheben, es dann berechtigt wäre, eine neue Besteuerung der Aktiengesellschaften eintreten zu lassen. Na⸗ mentlich Hr. Simon hat diesen Satz wesentlich vertreten, das wäre doch cin ganz unhaltbarer Zustand, wenn man die eine Doppelbesteuerung beseitigen wollte, die andere einzu⸗ führen. Meine Herren, diejenigen Bestrebungen, die darauf ausgehen, die Grund⸗ und Gebäudesteuer und demnächst auch die Gewerbesteuer nach einer weiter durchzuführenden Reform derselben als Staats⸗ steuern aufzugeben und dieselben zu Kommunalsteuern zu machen, haben dabei weniger den Gesichtspunkt der Beseitigung der Doppelbesteuerung als der Beseitigung des Brutto⸗ einkommens ohne Abzug der Schuld. Der Staat soll nur Rein⸗ einkommen besteuern, aber vermeiden, Bruttoeinkommen ohne irgend⸗ welche Rücksicht auf die stattfindende Belastung, die auf dem betref⸗ fenden Einkommen liegt, heranzuziehen. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, der einer solchen Reformidee zu Grunde liegt, sie führt allerdings zugleich auch zu der Beseitigung der Doppel⸗ besteuerung, aber der Doppelbesteuerung, welche bis dahin bestand in
es Bruttoeinkommens, als wenn es ein Netto⸗ einkommen wäre, neben einer anderen vollen Besteuerung des Netto⸗ einkommens. (Sehr richtig!) Ich weiß nicht, ob ich noch weiter diesen Gesichtspunkt klarlegen soll; ich will also damit nur sagen: von einer wirklichen, innerlichen Analogie kann in diesem Falle nicht die Rede sein.
Nun ist von verschiedenen Seiten bervorgehoben, daß diese ganze Doppelbesteuerung, wenn sie wirklich bestände, allmählich doch ver⸗ schwinden würde, weil ja nach der Höhe der Besteuerung der Aktiengesellschaften sich auch der Cours richte. und dann die späteren Erwerber diese Aktien zu billigeren Preisen bekommen würden. Viel gebe ich darauf nicht, das muß ich sagen, denn ich weiß nicht, ob in demselben Verhältnisse der Cours der Aktien heruntergehen wird, in welchem die Besteuerung statt⸗ findet; das ist schwer vorher zu sagen. Aber soviel liegt doch diesem Gedanken Richtiges zu Grunde, daß sich derartige Besteuerungs⸗ formen allmählich wirthschaftlich auszugleichen unbedingt die Tendenz haben, und ich bia überzeugt, daß man das Gefühl der Ungerechtigkeit und der Ungleichheit der Besteuerung in denjenigen deutschen Landes⸗ theilen, in welchen sich diese Verhältnisse schon mehr ausgeglichen haben, längst nicht mehr in dem Maße empfinden wird, als dies bei dem ersten Schritt, den wir hier thun, der Fall ist.
Nach Allem komme ich auf meinen Ausgangspunkt zurück. Ich sage: die Frage ist komplex, vieles spricht für, manches gegen. Aber jeder, der eine bestimmte Ansicht hat, muß anerkennen, daß ent⸗ gegenstehende Ansichten weit verbreitet sind. Lassen Sie die Aktien⸗ gesellschaften ganz frei, so werden Sie einen großen Theil unserer Bevölkerung, ich möchte sagen, in seinem Gerechtigkeitsgefühl ver⸗ letzen. (Sehr richtig! rechts.) Besteuern Sie die Aktiengesellschaften, so mag das meinetwegen in gleichem Maße der Fall sein. (Sehr richtig! links.) Die Frage muß aber entschieden werden, und da sage ich: hier überwiegen die Staatsinteressen für die Besteuerung (Zuruf: Geldinteresse!), — gewiß, das Geldinteresse für den Staat, aber das Geld des Staats, welches jedem Staatsbürger wieder zu Gute kommt. (Zuruf des Abg. Richter: Fiskalität!) Ja gewiß, Fiskalität! Meine Herren, ich freue mich, daß ich auf diese Weise unterbrochen werde; ich werde gleich auf diesen Punkt kommen. Ich bin dem Hrn. Abg. Richter überhaupt für Unterbrechungen immer sehr dankbar. (Heiterkeit.) Meine Herren, früher hat man gesagt: wenn man in das Privat⸗ einkommen der Eiazelnen eindringt, so ist das eine verwerfliche Fiskalität. Heute sagt man: wenn man nicht eindringt, ist das die größte Ungleichheit und Ungerechtigkeit. (Sehr richtig!) Was kann man also mit solchen Bemerkungen machen. Diejenigen, die dieses Einkommensteuergesetz verwerfen, müssen entweder dies sagen oder jenes. Entweder müssen sie sagen: wir wollen die Ungleichheit, die heute besteht, erhalten, wir wollen sie wenigstens erhalten, wenn wir ihre Beseitigung mit Klarstellung der Einkommensve Hältnisse der Ein⸗ zelnen erkaufen sollen. Oder aber, meine Herren, sie müssen sagen: wir wollen die Vermehrung der Einnahmen des Staate aus dem Seckel der Steuerpflichtigen nicht, wenigstens nur unter der Bedingung gleich⸗ zeitiger Erleichterung.
Meine Herren, das Letztere bietet die Vorlage. Von Fiskalität ist da gar nicht die Rede. Das Mehr, das die Aktiengesellschaften zahlen, fließt den Kommunen, die die Grund⸗ und Gebäudesteuer über⸗ wiesen erhalten, zu, oder, wenn das betreffende Gesetz nicht zu Stande käme, wird es gleichmäßig erlassen in den verschiedenen Steuerstufen, mit denen wir es hier zu thun haben. Wo kann also hier von Fis⸗ kalität die Rede sein? Die Frage tritt hier ganz bei Seite. Ich könnte ja dabei als Finanz⸗Minister ganz neutral sein; ich könnte sagen: Gut, wenn die Einkommensteuer weniger aufbringt, nun so wird um so weniger Grund⸗ und Gebäudesteuer überwiesen. Der Staat hat ja gar nichts von diesem Mehr. Ich glaube also, der Hr. Abg. Richter wird mir selber zugeben, daß diese Unterbrechung hier am Allerwenigsten begründet war.
Ich möchte nun aber wieder auf den Gedanken zurückkommen, den ich zum Schluß Ihnen ans Herz legen wollte.
Meine Herren, ich habe gesagt: es stehen hier die Anschauungen im Lande sich gegenüber. Die Einen halten die Besteuerung der Aktiengesellschaften für eine Ungerechtigkeit — die Andern verlangen sie aus dem Prinzip der Gerechtigkeit. Da hat nun die Staats⸗ regierung einen Vermittlungsvorschlag gemacht; wir haben gesagt: wir wollen beiden Anschauungen thunlichst entgegen kommen, wir wollen nicht die eine Anschauung durch die andere niederschlagen, sondern wir wollen einen versöhnlichen Mittelweg einschlagen, der nicht Alle befriedigt, aber auch Keinen bis in sein Innerstes verletzt. Meine Herren, ich kann nur darauf zurückkommen: nach allen Debatten, nach allen Gründen für und gegen, die ich gehört habe, halte ich immer noch die Regierungsvorlage für das Beste. (Bravo!) Abg. Schmieding: Die Aktiengesellschaften hätten kein eigenes Einkommen, sie seien durch Gesetz verpflichtet, ihren Aktionären die Einnahmen zuzuführen. Wenn die Einnahme bei der Aktien⸗ gesellschaft und bei den Aktienbesitzern besteuert werde, so werde nicht nur die Einnahme aus Dividenden doppelt besteuert, sondern dazu trete auch noch die Kommunalsteuer, für welche die Staatssteuer die Grundlage bilde. Allerdings ließen sich die Einnahmen an der Quelle besser besteuern und bei der Besteuerung der Aktiengesell⸗ schaften würden auch die ausländischen Aktionäre getroffen; deshalb habe er seinen Antrag gestellt, der fast wörtlich dem weimarschen und hessischen Gesetz entnommen sei und sich dort bereits bewährt habe.
. Abg. Graf zu Lemburg⸗Stirum: Er hätte eigentlich, da nichts Neues mehr gesagt werden könne, gern gesehen, daß vor ihm die Debatte geschldssen worden wäre. Aber da man noch Lust habe, morgen den ganzen Tag über die Frage zu sprechen, wolle er ein paar Bemerkungen nicht unterdrücken. Er stimme vollständig mit dem Finanz⸗Minister überein, daß die Aktiengesellschaften nicht ven der Steuer frei bleiben dürften. Auch bezüglich der Genossenschaften sei er für die Beschlüsse der Kommission. Seine Partei werde gegen alle Abänderungsanträge stimmen.
Abg. Dr. Krause: Wem thue die Steuer weh, die der Aktien⸗ esellschaft auferlegt werde? Der Aktiengesellschaft nicht, sondern den Aktionären, denen ihre Dividende durch die Steuer gekürzt werde. Es sei also gar keine Frage, daß es sich um eine Doppelbesteuerung handle; das spreche auch Professor Wagner in der neuesten Auflage seiner Finanzwirthschaft aus. Der einzige Grund, der durchschlagend sei, sei die Heranziehung der ausländischen Aktionäre. Aber einmal brauche man die ausländischen Kapitalisten, und zweitens werde durch die Maßregel das einheimische Kapital doppelt betroffen, um das aus⸗ ländische einmal zu treffen. Wenn bei der Deklaration das Ein⸗ kommen auch aus Dividenden von Aktiengesellschaften angegeben werden solle, dann brauche man die Aktiengesellschaften selbst nicht heranzuziehen. Durch die Besteuerung verleite man übrigens dazu, das Grundkapital der Gesellschaft möglichst niedrig zu nehmen und dafür Gelder durch Obligationen aufzubringen. Eine solche un⸗ wirthschaftliche Entwickelung sollte man nicht begünstigen. .—
2☛2 Darauf wird ⸗um 3 ⁄½˖ Uhr die weitere Debatte vertagt. 3
No. 38.
Zwe ite Beilage inzeiger und Königlich Preu
Berlin, Donnerstag, den 12. Februar
— — Bö
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1891
Zum 18. Januar 1891 brachte das „Archiv für Post und Telegraphie“ folgen⸗ den Rückblick auf die Entwickelung des Post⸗ und Telegraphen⸗ wesens während der letzten zwanzig Jahre:
Zwei Jahrzehnte sind seit dem denkwürdigen 18. Januar 1871 verflossen, an welchem Tage die Wiederherstellung von Kaiser und Reich erfolgte. Wie für die gesammte nationale Entwickelung Deutsch⸗ lands bilden diese rückliegenden zwanzig Jabre auch für den Ausbau des Verkehrswesens einen Zeitabschnitt von weittragender Bedeutung. Mitten im tiefsten Frieden durch den Ausbruch eines gewaltigen Krieges vor Aufgaben von bisher unbekanntem Umfange gestellt, haben mit der Wiederkehr friedlicher Zustönde sämmtliche Verkehrszweige an⸗ gestrengt gearbeitet, um den Anforderungen gerecht zu werden, welche die veränderte Gestaltung der staatlichen Einrichtungen, ein beispielloser Aufschwung aller Handels⸗ und gewerblichen Thätig⸗ keit und die Ausbreitung der Beziehungen Deutschlands zum Aus lande gestellt haben. Post und Telegraphie haben in der Erreichung der durch die veränderten Verhältnisse gesteckten Ziele sich zu den volks⸗ thüm lichsten aller staatlichen Organe herausgestaltet und in dem Um⸗ fang ihres Wirkungskreises, in der weitgehendsten Verzweigung ihrer Betriebsanlagen sich als vorzügliche Träger und Förderer des Reichs⸗ gedankens erwiesen.
Ein Rückblick auf den Entwickelungsgang, welchen das Reichs⸗ Post⸗ und Telegraphenwesen während der abgelaufenen 20 Jahre genommen hat, erscheint aus Anlaß des vorliegenden Gedenktages wohl gerechtfertigt.
Durch die Verfassung des Telegraphenwesen die Einheit der Gesetzgebung, des Tarifwesens im Verkehr zwischen den einzelnen Bundesstaaten und der Vertretung gegenüber dem Auslande festgestellt. Im Reichs⸗Postgebiet, welches mit Ausschluß der Königreiche Bayern und Württemberg das ge⸗ sammte Reich umfaßt, ist eine durchweg einheitliche Gestaltung ge⸗ sichert in der Verwaltungseinrichtung, den reglementarischen Fest⸗ setzungen, dem Dienstbetriebe, dem Beamtenwesen und den finanziellen Verhältnissen.
Das Post⸗ und Telegraphenwesen des Norddeutschen Bundes erhielt beim Uebergange auf das Reich durch den Hinzutritt der wieder dem Reiche gewonnenen Provinzen Elsaß und Lothringen und später durch Uebernahme des badischen Postwesens einen wesentlichen Gebietszuwachs.
Durch das Gesetz üb Postwesen des Deutschen Reichs vom 28. Oktober 1871 tschland zum ersten Male ein einheit⸗ liches Postrecht erhalten, 3, auf den Grundlagen der ein⸗ schlägigen Gesetzgebung Preußens und des Norddeutschen Bundes be⸗ ruhend, sich in der Anwendung wohl bewährt hat.
Auf dem Gebiete der Verwaltung ist durch die am 1. Januar 1876 vollzogene Verschmelzung des Post⸗ und Telegraphenwesens eine im Reichsinteresse gebotene Verminderung der Ausgaben und zugleich eine einfachere und einheitlichere Gestaltung des öffentlichen Dienstes erreicht worden. Gleichzeitig ist die vom Norddeutschen Bunde über⸗ nommene Verbindung der beiden Verwaltungszweige mit dem Reichs⸗ kanzleramt gelöst und die neu geschaffene Centralinstanz unmittelbar dem Reichskanzler unterstellt woren. Hand in Hand mit diesen Aenderungen ist eine anderweite Abgrenzung der Befugnisse der Centralstelle und der inzwischen bis auf 40 vermehrten Bezirksbehörden im Interesse einer größeren Beweglichkeit des Verwaltungskörpers gegangen. Durch Einrichtung besonderer Bauverwaltungsbezirke wurde dem Postbau⸗ wesen eine dem Umfange seiner Thätigkeit entsprechende anderweite Organisation zu Theil; durch Uebernahme der Leitung der Reichs⸗ druckerei ist der Reichs⸗Postverwaltung ein weiteres Arbeitsfeld zugewiesen worden.
Die Betriebsstellen der Post und der Telegraphie sind Angesichts der stetig anwachsenden Verkehrsbedürfnisse in ganz erheb⸗ lichem Maße vermehrt worden. Die Einrichtung von Postagenturen hat sich für eine weitere Verzweigung des Postbetriebsdienstes über das Land und erwiesen. Durch Verschmelzung der beiden Betriebszweige hat die Einführung des Telegraphenbetriebes bei den Postanstalten in größerem Maßstabe durchgeführt werden können; zahlreiche Ort⸗ schaften und Gegenden in allen Theilen des Reichsgebiets, welche bisher der telegraphischen Verbindung mit der Außenwelt entbehrten, sind dieses Segens theilhaftig geworden. In ausgedehnter Weise sind die tele⸗ graphischen Einrichtungen in den Dienst der öffentlichen Wohlfahrt gestellt worden durch Einführung des Wasserstands⸗, des Feuer⸗ und des Unfallmeldedienstes. Die Zugänglichkeit des Telegraphen für den Verkehr des Publikums ist bei zahlreichen Verkehrsanstalten dadurch vermehrt worden, daß die Telegraphendienststunden erweitert wurden und für die Zeit außerhalb des gewöhnlichen Telegraphendienstes eine Telegraphendienstbereitschaft eingerichtet worden ist. Die Neugestal⸗ tung des Landpostdienstes, welche darauf berechnet war, den in Bezug auf den Postdienst zwischen Stadt und Land bestehenden Unterschied allmählich auszugleichen und den Verkehr einer Landbevölkerung von nahezu 20 Millionen Seelen zu erleich⸗ tern, ist unter erheblicher Vermehrung der Betriebsanlagen und des Personals, sowie durch Einrichtung einer neuen Klasse von Verkehrsanlagen, der Post⸗ und Telegraphenhülfsstellen, durch⸗ geführt worden. 8
Den veränderten Verhältnissen entsprechend sind neue Post⸗ und Telegraphen⸗Ordnungen erlassen worden, welche später wiederholt Ergänzungen und Zusätze erfahren haben. Diese Ver⸗ ordnungen geben davon Zeugniß, daß die Verwaltung unablässig bemüht gewesen ist, durch Verkehrserleichterungen aller Art, sei es durch Schaffung neuer Versendungskategorien (Postkarten, Postauf⸗ träge u. s. w.) oder durch Vereinfachung der Versendungsformen oder durch Herabsetzung und Aufhebung von Gebühren dem Verkehrs⸗ bedürfnisse entgegenzukommen.
Der telegraphische Verkehr hat vornehmlich seit Ver⸗ schmelzung der beiden Verwaltungen einen besonderen Aufschwung ge⸗ nommen. Durch namhafte Vermehrung der Betriebsstellen, vorzugs⸗ weise durch die umfangreiche Ausnutzung des Fernsprechers sowie durch die Einführung eines sehr mäsigen Satzes für die Bestellung der Telegramme nach Landorten, ist für die Landb wohner eine erhebliche Erleichterung des Nachrichtenverkehrs herbeigeführt; durch die Be⸗ schlüsse verschiedener internationaler Telegraphen⸗Kongresse sind Verein⸗ fachungen im Betriebe und die Aufstellung einheitlicher und billiger Taxen erreicht worden. Die inzwischen nach einem bestimmten Plan durchgeführte Verdichtung des Telegraphennetzes hat sich auf alle Theile des Reichs erstreckt; mit Schaffung großer unterirdischer Telegraphenlinien ist Deutschland allen anderen Nationen voran⸗ gegangen. Die Entwickelung des Stadt⸗Fernsprechwesens in der Hand der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung hat in keinem anderen europäischen Lande auch nur eine annähernd gleiche Höhe erreicht. In dieser Beziehung sei erwähnt, daß am Schluß des Jahres 1890 51 419 Sprechstellen vorhanden waren, für welche in dem genannten Jahre insgesammt 232 Millionen Verbindungen ausgeführt wurden. Die der Vermittelung des überseeischen Verkehrs dienenden Kabel sind aus Privathänden in den Besitz des Reichs übergegangen. 1“
Auf dem Gebiet des Postverkehrs mit dem Auslande haben sich durch Abschließung zahlreicher Verträge mit fremden Verwaltungen namhafte Verkehrserleichterungen, einheitliche und billige Taxen für alle Arten der Versendungsgegenstände erreichen lassen. Allen
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Reichs wurde für das Post⸗ und
Errungenschaften voran steht die Begründung des Weltpostvereins,
schönste Blatt in dem Ruhmeskranze der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung ausmacht. In Bern 1874 begründet, auf den Post⸗ Kongressen in Paris und Lissabon ausgebaut, hat die neue, welt⸗ umfassende Gemeinschaft das Ziel: den Postverkehr sämmtlicher 1“ shache, ehnbettlice Grundlagen zurückzuführen, erleichternde Betriebseinrichtungen und billige Taxen zu schaffen, in einträchtigen Berathungen der Vereinsmitglieder verwirklicht. Wenn die Hoffnungen welche wir dem in Wien zusammentretenden nächsten Kongresse ent⸗ gegentragen, nicht fehlgehen, so dürfen wir binnen Kurzem den Beitritt derjenigen Verwaltungen, welche sich bis jetzt vom Weltpostvertrage noch fern gehalten haben, begrüßen und damit das großartige Ziel erreicht sehen, welches ein weitschauender Blick der Post auf dem Gebiete des Gedankenaustausches vorbehalten hat.
Mit dem bedeutsamen Aufschwunge der kolonialpolitischen Be⸗ wegung und der Vermehrung der deutschen Handelsniederlassungen in überseeischen Gebieten ist an die Reichspost die Aufgabe herangetreten, die vielfachen Verkehrsbeziehungen zu diesen Ländern zu be⸗ leben und das Band zwischen dem Mutterlande und seinen Schutzgebieten im Auslande fester zu knüpfen. Durch Ein⸗ richtung eigener, in die Gemeinschaft des Weltpostvereins auf⸗ genommener Postwesen in diesen Gebieten und durch Einrichtung deutscher Postanstalten im Auslande — deren Zahl gegen⸗ wärtig 18 beträgt — hat die Reichs⸗Postverwaltung, welche der Ent⸗ faltung der kolonialpolitischen Thätigkeit der Reichsregierung Schritt für Schritt mit Interesse gefolgt ist, diese Aufgabe erfüllt. Die Legung des unterseeischen Telegraphenkabels an der Ostküste von Afrika, zwischen Sansibar und Dar⸗es⸗Salaam, möge als Beispiel für die Sorge um die Verbesserung auch der telegraphischen Ein⸗ richtungen in den deutschen Schutzgebieten Erwähnung finden.
Der Pflege der Verkehrsbeziehungen zu überseeischen Ländern
und zu den Gebieten der deutschen Interessensphäre insbesondere ist die auf Anregung der Reichs⸗Postverwaltung erfolgte Einrichtung sub⸗ ventionirter Reichs⸗Postdampferlinien, welche eine regel⸗ mäßige Verbindung zwischen Deutschland und den Gestaden Öst⸗ Asiens, Australiens und Ost⸗Afrikas gewährleisten, in hohem Grade förderlich gewesen. Mit der Eröffnung dieser Linien, welche bei allen Deutschen des In⸗ und Auslandes die lebhafteste Theilnahme hervor⸗ gerufen haben, vollzog sich ein Ereigniß von großer Tragweite für die politischen Interessen Deutschlands und für die Ausdehnung seiner Handelsbeziehungen zum Auslande. Auch die übrigen Postdampf⸗ schiffsverbindungen zwischen Deutschland und fremden Ländern haben manche Verbesserungen erfahren. Bei den erhöhten Anforderunger, welche durch die mächtig fort⸗ schreitende Zunahme des Versendungsverkehrs an die Leistungsfähig⸗ keit der Verwaltung gestellt werden, ist dieselbe mit Erfolg bemüht gewesen, die Einrichtungen des technischen Dienstes dem bestehen⸗ den Bedürfnisse anzupassen und die Betriebsvorschriften nach Thun⸗ lichkeit zu erleichtern. Durch die Neuauflage der zwölf Abschnitte um⸗ fassenden Allgemeinen Dienstanweisung für Post uad Telegraphie ist den Postanstalten die Handhabung der Dienstvorschriften wesent⸗ lich erleichtert worden. Die vielfältigen wissenschaftlichen Errungen⸗ schaften der Neuzeit auf elektro⸗technischem Gebiete hat die Verwal⸗ tung für die Vervollkommnung des felegraphischen Betriebes und des Fernsprechdienstes nutzbar zu machen gesucht.
Die Zahl der Postkurse, sowie der Umfang der im Beför⸗
derungsdienste auf Land⸗ und Wasserwegen beiw. auf Eisenbahnen vollbrachten Leistungen sind in steter Vermehrung begriffen; das Betriebsmaterial ist vergrößert worden; die reichseigenen Post⸗ und Telegraphenge bäude sind durch eine namhafte Zahl statt⸗ licher Wohnwesen vermehrt worden, welche den erhöhten Anforderungen des Verkehrs und den Rücksichten auf den Gesundheitszustand des Personals entsprechen und in der äußeren Erscheinung das Anseben des Reichs zu fördern bestimmt sind. Die günstige finanzielle Lage der Reichspost hat einerseits die Ablieferung größerer Ueberschüsse an die Reichskasse gestattet und andererseits erhöhte Aufwendungen für eigentliche dienstliche und daneben für wissenschaftliche Bestrebungen ermöglicht, unter welchen die erhebliche Erweiterung der Büchersammlungen des Reichs⸗Postamts und der Ober⸗Postdirektionen, die Herausgabe des Archios für Post und Telegraphie, die Begründung des Reichs⸗Postmuseums genannt werden mögen.
Die Sorge um die Beschaffung und Heranbildung eines tüchtigen Beamtenkörpers, welche die im Verkehrsinteresse zu vollbringenden Leistungen der Verwaltung auferlegen, hat zu durch⸗ greifenden Veränderungen in der Gestaltung der Personal⸗ verhältnisse Anlaß geben müssen. Die Vorschriften über die Annahme von Anwärtern und die Ausbildung und Beförderung von Beamten sind den neuen Verhältnissen angepaßt worden. Hand in Hand mit den Bestrebungen der Verwaltung zur Verbesserung der materiellen Lage der Verkehrsbeamten ist die Fürsorge um die Förderung ihrer geistigen Interessen gegangen. Mit der Begründung von Wohl⸗ fahrtsanstalten aller Art für ihre Angehörigen ist die Reichspost schon seit langer Zeit vorgegangen; die unmittelbar auf die Ergebnisse der großen Kriegsjahre hinweisende Kaiser Wilhelm⸗Stiftung und die Spar⸗ und Vorschußvereine mögen allein von denjenigen Anstalten genannt sein, welche eine Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Verkehrsbeamten bezwecken. Durch das Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 haben die Rechtsverhältnisse der Angehörigen der Reichspost gesetzliche Regelung erfahren.
Die Thätigkeit der Verwaltung und ihrer Beamten ist nicht auf das eigentliche Verkehrsgebiet beschränkt geblieben. Dank der weit⸗ gehenden Verzweigung und der leichten Zugänglichkeit ihrer Organe ist die Mitwirkung der Reichspost für allgemeine Reichszwecke, wie z. B. für die Durchführung finanzieller Maßnahmen, vornehmlich aber der neueren sozialpolitischen Gesetzgebung, in ganz erheblichem Maße in Anspruch genommen worden.
Ein Blick auf die statistischen Ergebnisse der Jahre 1871 und 1889 zeigt den Aufschwung, welchen die Verkehrsverhältnisse seit dem Anbrechen der neuen deutschen Aera genommen haben. Die Gesammt⸗ zahl der durch die Post beförderten Sendungen ist von 703 auf 2413. Millionen Stück, die Zahl der Telegramme von rund 8 auf nahezu 24 Millionen angewachsen. Die Gesammtziffer der Postanstalten weist eine Steigerung von 4927 auf 21 212 auf; die Zahl der Reichs⸗ Telegraphenanstalten, welche bei Verschmelzung der beiden Be⸗ triebszweige sich nur auf 1686 belief. ist jetzt auf 11 447 an⸗ gewachsen; das Gesammtpersonal der Reichs⸗Postverwaltung, welches sich früher auf 46 523 bezifferte, hat gegenwärtig einen Stand von 107 823 Köpfen erreicht. An Reinüberschüssen der Reichs⸗Postverwal⸗ tung haben für das Etatsjahr 1889/90 27 Millionen Mark (gegen 10 Millionen im Jahre 1871) an die Reichskasse abgeführt werden können. —
„Die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts steht unter dem Zeichen des Verkehrs. Er durchbricht die Schranken, welche die Völker trennen, und knüpft zwischen den Nationen neue Beziehungen an.“ Mit diesen Worten, welche unlängst die Kaiserliche Hand aus einem hoch erfreulichen Anlaß niedergeschrieben, ist die Aufgabe, welche Post und Telegraphie im Interesse des Verkehrs zu vollbringen haben, vor⸗ gezeichnet, nicht minder aber die Stellung anerkannt, welche ihnen im staatlichen Leben gebührt. Wenn heute der Betrieb der Reichspost und Telegraphie sich täglich in die entlegensten Winkel des Reichs⸗ gebiets erstreckt, ein gemeinsames postalisches Band die Verkehrs⸗
interessen der ganzen Welt umschlingt, Deutschlands Postflagge auf
fernen Meeren von dem Wachsen vaterländischen Ansehens und seines Unternehmungsgeistes zeugt: so ist dies nur zu erreichen gewesen in steter Wachsamkeit in Bezug auf die Bedürfnisse und die Befriedigung des Verkehrs bei der obersten Leitung und durch angestrengte Thätig⸗ keit in den Betriebsstellen bei Tag und bei Nacht, unter tausend Hindernissen, welche sich durch die Ungunst der Elemente dem Ver⸗ kehrsdienste entgegengestellt haben.
Geographischer Monatsbericht. 8 uf Grund von Dr. A. Petermann's Mittheilungen.
Afrika.
NO-Afrika. Unerwartet schnell ist die jüngste Kolonialmacht, die italienische Regierung, daran gegangen, eine zuverlässige Auf nahme der Kolonie Erythrea am Rothen Meere in Angriff zu nehmen und dadurch eine genaue Kenntniß des Landes zu gewinnen, welche sowohl für die Sicherung des Besitzes, als auch für eine erfolgreiche Kolonisation die Grundlage bieten muß. Ein schneller Fortschritt der Arbeiten ward dadurch ermöglicht, daß die bez. Auf⸗ nahme an dem wichtigsten Punkte der ganzen Kolonie, b. i Massaua, begonnen wurde. Auf diesem Wege ist nunmehr erreicht, daß die italie⸗ nische Regierung bereits im Besitze einer so genauen und sorgfältigen topographischen Aufnahme des wichtigsten Thelles der Kolonie, der Umgegend von Massaua bis an das abessinische Hoch⸗ land heran, ist, wie sie nur in civilisirten Ländern, in Afrika nur über Theile von Algier und Egypten, vorliegt. Die Ergebnisse der vom militär⸗geographischen Institut in Florenz ausgeführten und bearbeiteten Aufnahmen sind bisher in zehn Blättern im Maßstabe 1:100 000 röffentlicht worden; sie reichen im Norden bis Ras Turrik, im Westen bis in die Nähe von Ailet, im Süden bis Zula. Die dem⸗ nächst scha
ve N 888 7 t zu erwartenden Blätter umfassen einen großen Theil der Land ft Mensa, den östlichen Theil von Hamasen mit dem wichtigen Orte Asmara. Durch dieses Vorgehen hat Italien sämmtlichen Kolonialmächten ein nachahmenswerthes Beispiel gegeben. Central⸗Afrika. In Garenganse, Miiris Reich, zwischen dem Lualaba und Luapula, den beiden Quellflüssen des Congo, ist Jos. Thomson wieder eingetroffen. Es scheint, daß er, wie schon früher am Niger, eine politische Mission in diesem Gebiet ausüben und eine Ausdehnung der von der englischen Seengesellschaft am Nyassa beanspruchten Hoheitsrechte auch auf Msiris Reich, welches durch seingen Kupferreichthum allerdings als begehrenswerthes Objekt erscheint, erreichen soll. — Garenganse ist auch das Ziel einer Reise A. Scharpe'’s, welcher kurz vorher das Land zwischen Nyassa und dem nördlichen Sambesi⸗Tributär Loangwa glücklich durchwandert hatte. („Proc. R. Geogr. Soc.“ London 1890 Seite 744 — 752 mit Karte.)
Polarländer. In Grönland sind die dänischen Unter⸗ suchungen im Sommer 1890 durch Reisende in zwei Abtheilungen, der einen in Nord⸗, der anderen in Süd⸗Grönland, fortgesetzt worden. Erstere bestand aus dem Entomologen Lundbock und dem Botaniker Hartz, die im vorigen Jahre Süd⸗Grönland besucht hatten. Nach einer siebenwöchentlichen Reise langten sie in Holstenborg an, gingen von da zu Boot nach Nord⸗Grönland, bereisten die Küsten um die
Diskobucht herum und kamen nach wohlausgeführten Untersuchungen
am 29. September wieder nach Kopenhagen zurück. Die zweite Expedition wurde von dem schon aus früheren Forschungen bekannten Marine⸗Lieutenant C. Bloch und Kandidat H. Lassen als Natur⸗ forscher ausgeführt. Ihr Ziel war eine Strecke der Küste zwischen den beiden südlichsten Kolonien, unter 61 Grad bis 62 Grad n. Br., die bisher in den Karten noch mangelhaft dargestellt war und wo auch für andere Arbeiten mehrfache Gelegenheit sich bot. Die Reisenden kamen am 1. Mai in Grönland an, als dort noch völliger Winter herrschte. Die Expedition kehrte mit guten Ergebnissen heim. Im Sommer 1891 wird sich Dr. E. von Drygalski in Begleitung von O. Baschin, welche von der Berliner Carl Ritter⸗Stiftung unterstützt werden, nach West⸗Grönland begeben, wo sie physikalische Untersuchungen über das Gletscher⸗ und Inlandeis auszuführen beab⸗ sichtigen. — Den höchsten Berg von Island, den Oraefa Jökull, versuchte im August 1890 ein englischer Reisender, Fr. W. W. Howell, zu erklettern. Mit drei Begleitern brach er von Sandfell auf und gelangte bis auf eine Höhe von 6100 F. (= 1860 m), wo er 141 F. (43 m) unter dem Gipfel durch einen heftigen Schnee⸗ sturm zur Umkehr gezwungen wurde. Die Schneegrenze liegt in 2000 F. (610 m) Höhe. Bei günstiger Witterung ist nach Howell's Ansicht die Ersteigung des Gipfels wohl durchzu⸗ führen. („Proc. R. Geogr. Soc.“ London 1890. Seite 619.) — Die Sibirienfahrt ist im Sommer und Herbst 1890 glücklich von drei Schiffen ausgeführt worden. Es würde jedoch voreilig sein, durch das Gelingen dieser drei Fahrten in einem Sommer einen Schluß auf regelmäßige Ermöglichung der Sibirienfahrt überhaupt zu ziehen. Im Jahre 1878 waren die Eis⸗ verhältnisse im Karischen Meere so außerordentlich günstig, daß neue Schiffe nach dem Ob oder Jenissei gelangen konnten, in den nächsten Jahren aber wurden nur noch ganz vereinzelte Erfolge errungen, sodaß die Hamburger und Bremer Firmen die weiteren Unternehmungen aufgeben mußten. — Die schon lange geplante Expedition in die antarktischen Gebiete zu Stande zu bringen, hat die R. Geogr. Society in Viktoria einen Aufruf an die australischen Kolonien erlassen. Bekanntlich hat der berühmte Nord⸗ polarforscher A. E. von Nordenskjöld sich erboten, die Leitung einer solchen Expedition zu übernehmen, sobald von den australischen Kolonien ein Betrag von 5000 Pfd. Sterling zu den Kosten aufgebracht worden ist, während der bekannte Großhändler Oskar Dickson in Gothenburg den Rest beisteuern will. Die Wichtig⸗ keit der zu erwartenden Aufschlüsse für Hydrographie, Meteorologie, Erdmagnetismus und Geologie betont G. C. Griffiths ganz besonders.
Ozeane. Die erste österreichische Expedition zu Tiefsee⸗ forschungen im Mittelländischen Meere kehrte am 20. Sep⸗ tember nach Pola zurück. Der Dampfer „Pola“ der K. K. Marine verließ am 14. August die Rhede von Korfu und fuhr zunächst längs der Jonischen Inseln nach S., wobei wiederholt Vorstöße in das offene Meer unternommen wurden. Von Cerigo wurde die Fahrt nach 8. hin an die afrikanische Küste fortgesetzt und dann längs derselben nach Bengasi gesteuert. Die Weiterfahrt in der Richtung nach Kap Santa Maria di Leuca, der Südspitze von Apulien, erlitt durch schweres Unwetter eine Ablenkung nach den jonischen Inseln hin. Im Ganzen wurden an 47 größeren Stationen die Tiefen gemessen, Temperaturen an der Oberfläche, in verschiedenen Tiefen und am Grunde bestimmt, Wasser⸗ proben geschöpft, deren spezifisches Gewicht und Salzgehalt ermittelt wurde; durch photographische Apparate wurden Beobachtungen über das Eindringen des Lichts in die Tiefe angestellt. Die größte erreichte Tiefe betrug 3700 m. Erwiesen wurde bereits durch die Lothungen dieser Fahrt, daß die größte Depression nicht, wie bisher angenommen wurde, Ost — West, sondern Nord — Süd verläuft. Die Untersuchungen sollen auch in den nächsten Jahren fortgesetzt und allmählich auf das ganze östliche Mittelmeerbecken ausgedehnt werden.
Auch die russische Expedition zur Untersuchung des Schwarzen Meeres ist zum Abschluß gekommen. Ausgeführt wurde sie von dem Kanonenboot „Tschernomorets“ und stand unter Leitung von Oberst⸗Lieutenant Spindler, Professor Andrussow und
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