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schaften, die auch unter die Doppelbesteuerung fallen sollten, hinweg⸗
gegangen worden. Bei den Berzwerksgesellschaften nach altem Recht
werde ebenso wie über andere Immobilien über die Antheile jedes
Einzelnen genau Buch geführt, ganz wie bei den Gerichten über Grund⸗
und Bodenbesitz. Auch die Gewerkschaften des neuen Rechts
seien eingetheilt in Kuxe, deren Besitzer im Kuxen⸗ oder Antheils⸗ buch verzeichnet würden, sodaß dieses den Behörden gegenüber öffent⸗ lichen Glauben habe. Auch bier sei also eine urlundliche Grundlage für die Frage, ob ein Besitzer schon mit seinem Antheil zur Staatssteuer herangezogen sei. Anders sei es mit den Aktien, die an der Börse gehandelt würden; diesen weine er keine Thräne sach, und sie möchten ruhig zur Doppelbesteuerung herangezogen werden. Alle soliden Besitzer von Bergwerksattien und Kuren könnten sich durch einen glaubwürdigen Nachweis vor einer Doppelbesteuerung sehr wohl schützen. Sei dieses nun möglich, so sei es auch Pflicht des Ab⸗ geordnetenhauses, durch Annahme des Antrags Achenbach die Härten der Doppelbesteuerung zu vermeiden. Lehne das Haus ihn ab, so werde ins Land der Eindruck gehen, daß das Gerechtigkeitsgefühl des Hauses nicht ausreiche. (Unruhe rechts.) Die ausländischen Besitzer von Aktien frei zu lassen, liege auch nicht in seiner Absicht, und der Antrag Achenbach, gegen den der Finanz⸗Minister gestern nichts Wesentliches einzuwenden gehabt habe, beuge dem ganz entschieden vor. Durch die dann mögliche Beseitigung der steuerfreien Einnahme der Aktiengesell⸗ schaften werde auch der Staat erhebliche Mehreinnahmen erzielen. Das Haus möge also den Antrag Achenbach annehmen.
Abg. von Eynern: Nach seiner persönlichen Auffassung der vor⸗ liegenden Frage, die gerade für den Westen ron großer Bedeutung sei, liege eine Doppelbesteuerung unstreitig vor, und eine Autorität wie Professor Adolf Wagner sollte doch für das Haus von Belang sein. Nach den Gesetzen der deutschen Staaten, die au Größe kaum einem preußischen Regierungsbezirk gleichkämen, sollte der größte deutsche Industriestaat, Preußen, sich doch nicht richten. Bayern habe die Besteuerung der Aktiengesellschaften nicht, und der In⸗ dustriestaat Sachsen, der sie besitze, lasse die Aktten⸗ gesellschaften wieder von der Gewerbesteuer frei. Bei unserer Industrie handele es sich aber nicht um einen Wetebewerb mit den kleineren deutschen Staaten, sondern um den mit England, Frankreich, Oesterreich und Amerika, diesen werde aber eine weitere Belastung der Aktiengesellschaften recht schwer machen. Man werde dann die Schutzzollschranken immer höher machen müssen und damit dann doch unsere Industrie nur gerade am Leben erbalten können. Um einer Doppelbesteuerung zu entgehen, werde wohl auch schwerlich ein Aktienbesitzer ins Ausland ziehen. Exr bestreite auch, daß das in Aktien angelegte Kapital sich arnähernd mit 10 % verzinse, und selbst wenn dieses einmal der Fall sei, verursechten die schlechten Jahre wiederum einen ganz erheblichen Aasfall. Im Allgemeinen könnten unsere Aktiengesellschaften nur mit schwerem Kampf den Wettbetrieb der ausländischen Kon⸗ kurrenz ertragen. Daß die Kommunen die Aktiengesellschaften besteuerten, sei eher ein Grund gegen eine Besteuerung derselben durch den Staat, als für eine solche. Die Banken sollten auch zu einer kommunalen Besteuerung nicht herangezogen werden, denn sie belasteten die Kommunen in keiner Weise, wie das vielleicht bei einigen Fabriken der Fall sei. Bei der ersten Lesung des Einkommensteuergesetzes habe der Finanz⸗Mirister erklärt, daß er die Besteuerung der Aktiengesell⸗ schaften als eine der diskutirbaren Einzelheiten betrachte. Das Haus werde also vielleicht gerade im Sinne der Regierung handeln, wenn es die ganze Bestimmung aus dem Gesetze streiche. Wolle es das nicht, so möge es wenigstens den Antrag Achenbach annehmen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Ich möchte vor der Abstimmung die durch dieselbe etwas ver⸗ schobene Stellunn der Staatsregierung zu diesen Fragen noch einmal Ihnen etwas bestemmter präzisiren. Ich habe von vornherein, meine Herren, gar kein Hehl daraus gemacht und habe es hier im Plenum und in der Kommission mehrfach ausgesprochen, daß die Staats⸗ regierung diese Frage auch für eine komplexe Frage — so habe ich mich mehrfach ausgedrückt — hält, aber die Frage muß bei jeder neuen Steuerreform entschieden werden. Die Staatsregierung hat nach eingehender Prüfung alles Für und Wider in Betreff der Be⸗ steuerung dieser Gesellschaften geglaubt, daß die Gründe für die Besteuerung die überwiegenden seien. Sie hat aber dabei von vorn⸗ herein die Bedeutung der Gegengründe anerkannt und das dadurch bethätigt, daß sie ja einen vermittelnden Weg durch den Abzug der 3 % des Anlagekapitals ihrerseits vorschlägt. Die Kommission hat diese 3 % auf 3 ½ % erhöht. Ich habe mich auch damit einverstanden erklärt.
Nun ist die Grundstimmung hier in der Landesvertretung, im Abgeordnetenhause, nach meiner Meinung wohl deutlich dahin hervor⸗ getreten, daß man im Großen und Ganzen die Gründe für die Be⸗ steuerung der Aktiengesellschaften überhaupt für überwiegend hält. Man ist aber bemüht, Härten und Unzuträglichkeiten, die daraus er⸗ wachsen können, zu beseitigen. Die Einen stellen sich dabei auf den Standpunkt der Regierungsvorlage, die Anderen suchen nach anderen Auswegen.
Meine Herren, ich habe meine gestrige Rede damit geschlossen, daß ich sagte: „alles Für und Gegen wohl erwogen, scheint mir die Regierungsvorlage das Beste zu sein“. Meine Herren, für die Re⸗ gierungsvorlage spricht namentlich die Einfachheit des Weges, den sie einschlägt. In der Ausführung ist jedenfalls die Regierungsvorlage außerordentlich einfach, in sich klar und trifft überall gleichmäßig. Andererseits läßt sich nicht verkennen, daß, wenn man einmal eine Doppelbesteuerung findet in der Besteuerung der Aktiengesellschaften, der Antrag Achenbach die Dovypelbesteuererg für diejenigen, die den Antrag und seinen Inhalt gebrauchen können, vollständiger aus⸗ schließt als die Regierungsvorlage. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß der Antrag Achenbach die auswärtigen Aktionäre zum vollen Be⸗ trage heranzieht (sehr richtig!); es läßt sich aber auf der anderen Seite wieder nicht leugnen, daß der Antrag Achenbach in der Aus⸗ führung erheblichen Schwierigkeiten begegnen wird (sehr richtig!) und, wie ich schon früher mehrfach hervorgehoben habe, insofern un⸗ gleich treffen kann, als manche Personen, die doch die Voraussetzungen thatsächlich erfüllen, dieses Faktum nachzuweisen außer Stande sein können.
Meine Herren, die Staatsregierung wünscht selbst, daß diese Frage in einer Weise zum Austrage kommt, welche nicht verbittert und verstimmt, welche vielmehr die verschiedenen Gegensätze thunlichst ausgleicht und versöhnt. Wir halten den Antrag Achenbach in der Ausführung für sehr schwierig, wir sind aber nicht der Meinung, daß er unausführbar ist. (Hört!) Meine Herren, er hat, wie ich schon früher sagte, den großen Vorzug vor den anderen Anträgen, daß er die Abrechnung verlegt in die Regierungsorgane, daß das ganze Veranlagungsverfahren durch den⸗ selben nicht gestört wird, daß man nachher mit einer gewissen Ruhe die Frage, ob nun in einzelnen Fällen die Ansprüche auf Rück⸗ erstattung begründet sind oder nicht, klar stellen kann. Schwierig⸗ keiten wird er in erheblichem Maße verursachen, viel Schreiberei u. s. w. Das ist alles zutreffend, aber für unausführbar halten wir den Antrag nicht. Unter diesen Umständen muß ich die Entscheidung über diese Frage dem hohen Hause überlassen. (Bravo!)
Abg. Goldschmidt: Er freue sich, daß der Minister dem An⸗ trag Achenbach zustimme. Er sei ein großer Freund der Selbstein⸗ schätzung, aber er könne niemals dem Gesetze seine Zustimmung geben, wenn es eine Doppelbesteuerung enthielte. Die Aktiengesell⸗ schaften seien nun einmal ein unentbehrlicher Faktor unseres Erwerbs⸗ lebens geworden. Die Eisenbahnen würde niemals ein einzelner, niemals ein noch so kapitalkräftiger Staat gebaut haben, sie verdankten ihre Entstehung lediglich dem Zusammenfluß des Kapitals. Am besten würde die Beseitigung der ganzen Besteuerung der Aktien⸗ gesellschaften sein, andernfalls würde sich die Annahme des Antrages Achenbach empfehlen.
Abg. Pleß tritt für die Besteuerung der Genossenschaften und Konsumvereine ein, welche den kleinen Unternehmern erheblichen Schaden zufügten.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Er stehe noch auf dem⸗ selben Standpunkte, daß eine Doppelbesteuerung nicht vorliege, aber wenn auch Tage lang darüber gesprochen werde, so werde man sich doch nicht verständigen. Vollkommenes werde man in Steuersachen überhaupt nicht machen können. Er bleibe dabei, daß die Kom⸗ missionsbeschlüsse am Besten seien, aber wenn eine Verständigung über den Antrag Achenbach erzielt werden könne, so sei er bereit, für denselben zu stimmen.
Ein Schlußantrag wird abgelehnt.
Abg. Rickert: Er wolle nur feststellen, daß die Verhandlungen im Hause doch nicht so werthlos seien, als es gestern den Anschein gehabt habe, als so vorzeitig der Schluß beantragt worden sei. Die Debatte habe jetzt dazu geführt, daß der Vorschlag der Kom⸗ mission nicht die Mehrheit erhalte. Vielleicht ziehe man daraus den Schluß, daß man etwas sparsamer mit den Schlußanträgen um⸗ gehen sollte. Seine Partei werde auch für den Antrag Achenbach stimmen, obgleich sie nicht verkenne, daß derselbe auch mehrfache Un⸗ gerechtigkeiten und Härten enthalte. (Hört! im Centrum.) Nur möchte er den Vorbehalt machen, daß seine Partei in der dritten Lesung eine Aenderung vornehme.
Abg. Dr. Windthorst: Der Schlußantrag sei sehr unzeitgemäß gestellt worden, denn die Situation habe sich vollständig geändert. Das Abkommen, welches in der Kommisston abgeschlossen worden sei, werde preisgegeben; der Abg. Graf Limburg⸗Stirum lasse es fallen, trotzdem er es für das Bessere halte gegenüber dem Antrag Achenbach. Diesem Antrag stimme der Abg. Rickert zu, obgleich er die Ungerechtigkeit desselben anerkenne. Der Finanz⸗Minister halte den Antrag für ausführbar, ohne zu sagen, wie er durchgeführt werden solle. Durchführbar sei er nur bei großen Banken, aber nicht für die kleinen Leute. (Beifall.) Es sei ihm recht interessant, daß der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum für das Groß⸗ kapital gegen die kleinen Leute auftrete. (Zustimmung im Centrum.) Eine Aktiengesellschaft sei eine durch Gesetz geschaffene juristische Persönlichkeit, unabhängig von physischen Personen, welche Gewinne mache durch großartige Geschäfte, welche dazu beitrage, das kleine Kapital zu vernichten. (Sehr richtig! im Centrum; Widerspruch links.) Desbalb sei es durchaus in der Ordnung, diese Persönlichkeit zur Steuer heranzuziehen. Man könne nichts Bedenklicheres thun, als derartige Privilegien für das Großkapital zu schaffen. Die Folge davon werde sich bald in der Presse und im Lande zeigen. Die Staatsregierung sei auf dem rechten Wege gewesen, jetzt gehe sie davon ab. (Zustimmung im Centrum.)
Abg. Freiherr von Hammerstein: Er wolle nur feststellen, daß er seine Stellung in Bezug auf diese Frage nicht geändert habe. Der Antrag Achenbach enthalte eine schwere Gefahr. Wenn man das Gesetz so konstruire, daß den Aktienbesitzern ihre Steuern zurück⸗ bezahlt würden, dann werde die Unzufriedenheit sich sehr bald im Lande bemerkbar machen.
Abg. v. Kardorff: Wenn der Abg. Dr. Windthorst die Kon⸗ sequenz aus seinen Anschauungen ziehen wolle, dann müsse er die Be⸗ seitigung der Steuerfreiheit von 3 ½ % des Aktienkapitals beantragen, durch welche jetzt auch die ausländischen Kapitalisten von der Steuer befreit würden. Seine (des Redners) Partei wolle die ausländischen Kapitalisten heranziehen; das sei der Unt i icht der zwischen großem und kleinem Kapital. (Beifall.) “
Damit schließt die Debatte. 1
Der Antrag Schmieding wird abge ehnt. Bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag Achenbach, der sich auf §. 16 bezieht und dessen Wortlaut wir gestern mitgetheilt haben, stimmen nur die Nationalliberalen, die Frei⸗ sinnigen und die Polen geschlossen für den Antrag, alle anderen Parteien spalten sich, von den Freikonservativen stimmt der größere, von den Konservativen und dem Centrum der kleinere Theil für den Antrag, welcher mit 188 gegen 177 Stimmen angenommen wird. Alle übrigen Abänderungs⸗ anträge werden abgelehnt. §. 1 Nr. 4 wird mit 260 gegen 102 Stimmen angenommen, sodaß nunmehr die zur Debatte gestellten Bestimmungen lauten:
§. 1. Einkommensteuerpflichtig sind Nr. 4: Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Berggewerkschaften, welche in Preußen einen Sitz haben, sowie diejenigen eingetragenen Ge⸗ nossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer Mit⸗ glieder hinausgeht. Konsumvereine mit offenem Laden unterliegen der Einkommensteuer.
§. 16. Als steuerpflichtiges Einkommen der im §. 1 Nr. 4 bezeichneten Steuerpflichtigen gelten unbeschadet der Vorschrift im §. 6 Nr. 1 die Ueberschüsse, welche als Aktien⸗ zinsen oder Dividenden, gleichviel unter welcher Benennung, unter die Mitglieder vertheilt werden, und zwar unter Hinzurechnung der zur Tilgung der Schulden oder des Grundkapitals, zur Ver⸗ besserung oder Geschäftserweiterung, sowie zur Bildung von Re⸗ servefonds — soweit solche nicht bei den Versicherungsgesellschaften zur Rücklage für die Versicherungssummen bestimmt sind — ver⸗ wendeten Beträge.
Demjenigen Steuerpflichtigen, welcher nachweislich Aktien oder sonstige Antheile an den nach §. 1 Nr. 4 steuerpflichtigen Gesell⸗ schaften während des ganzen, dem Veranlagungsjahre vorangehenden Steuerjahres eigenthümlich besessen und die auf dieses Jahr fallende Dividende bezw. Zinsen, Ausbeute oder sonstigen Gewinnantheile bezogen und dieses bei der Deklaration ausdrücklich angegeben hat, wird der auf dieses Einkommen entfallende Antheil der Einkommen⸗ steuer erstattet.
Der Nachweis ist bei derjenigen Veranlagungskommission zu erbringen, in deren Bezirk die nach §. 1 Nr. 4 steuerpflichtige Gesellschaft ihren Sitz hat.
Für die Kommunalbesteuerung und für die Ausübung des Wahl⸗ rechts kommt die volle veranlagte Steuer ohne Abzug der er⸗ statteten Steuerbeträge in Betracht. Die näheren Bestimmungen, insbesondere über die Berechnung der zu erstattenden Steuerbeträge und die Erbringung des Nachweises werden von dem Finanz⸗Minister erlassen. Im Falle des §. 2b gilt als steuerpflichtiges Einkommen derjenige Theil der vorbezeichneten Ueberschüsse, welcher auf den Geschäftsbetrieb in Preußen bezw. auf das Einkommen aus preußi⸗ schem Grundbesitze entfällt. 29
Nach einem von der Kommission beschlossenen Zusatz in
§. 2 sollen auch Agenturen auswärtiger Häuser in Deutschland der Steuerpflicht unterliegen. Abg. von Eynern beantragt, diesen Zusatz zu streichen, denn die auswärtige Firma werde eine Deklaration uͤber ihren Verdienst niemals geben. Die Einrichtung von Agenturen werde verhindert werden, fremde Häuser würden Handelsreisende an die Stelle der Agenturen setzen. Der finanzielle Effekt werde ein niedriger sein und der Belästigung des internationalen Verkehrs nicht entsprechen.
Berichterstatter Abg. von Jagow erklärt, daß nicht die Agenten, sondern die Firma die Deklaration angeben solle.
Ivn demselben Sinne spricht sich Abg. Peters aus; der Zusatz solle nur den Begriff Handelsanlagen genauer definiren.
Abg. von Eynern: Der Begriff der Handelsanlaze sei klar
worden, in der Regierungsvorlage steht er nicht, aber ich glaube, der
genug; aber eine Agentur sei keine Handelsanlage. Eine aus ländische Firma könne gar nicht zur Deklaration gezwungen werden. Geheimer Finanz⸗Rath Wallach hält den von der Kommissio beschlossenen Zusatz doch für eine Verbesserung. Wenn das aus wärtige Haus nicht deklarire, so werde es von der Kommission ein⸗ geschätzt werden. (Zuruf: Wenn es aber nicht bezahlt!) Bezahlen werde es schon, denn das auswärtige Haus werde doch Vermögens⸗ objekte in Deutschland haben. 8 Abg. von Eynern: Ein Agent habe nicht bloß für ein Haus, son⸗ dern oft fauͤr eine ganze Reihe von Häusern die Vertretung; er verkaufe 5 sondern kaufe auch. Das Letztere sei aber gar nicht berück⸗ ichtigt. Abg. Dr. Enneccerus hält es für richtig, daß die Vertre⸗ tungen großer auswärtiger Unternehmungen, z. B. der Lebensver⸗ sicherangen hier besteuert würden, möchten die Vertretungen nun Filialen oder Agenturen heißen. Abg. Stengel: Die Sache sei doch nicht recht verständlich. Wenn man hier die Agenten treffe, werde man es im Auslande
8½
mit unseren Agenten ebenso machen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Der Zusatz ist ja in der Kommission beschlossen
Widerspruch gegen diesen Beschluß ist übertrieben und beruht wesent lich auf Mißverständniß. Wenn der Hr. Abg. von Eynern sagt: soll Jedermann, der hier in Deutschland vom Auslande aus Einkäufe
hier gar nicht Platz greifen. (Zuruf.) schäftlichen Unternehmen auch ein Einkommen haben, sonst kann er
überhaupt nicht besteuert werden, ein bloßer Einkäufer hat noch keinen
Gewinn aus seinem Einkauf
Meine Herren, es wird Keiner darüber in Zweifel sein, daß ein auswärtiges Haus, welches in Preußen eine Filiale anlegt und unter⸗ hält, eine gewerbliche Niederlassung hat und aus denjenigen Einnahmen,
ie aus dieser in Preußen etablirten Niederlassung entstehen, Steuer bezahlt. Das ist in England auch genau so. Nun hat die Kommis⸗ sion offenbar sich gesagt: ja, wo ist die Grenze zwischen einer ständigen Agentur — denn so verstehe ich den ganzen Satz, wo vom Unterhalten der Agenturen gesprochen wird — wo ist die Grenze zwischen Filiale und einer solchen Agentur? und ist hier nicht nothwendig, auch die Frage zu entscheiden, ob es einen Unter schied in der Besteuerung macht, wenn dieser Agent selbständig Ge⸗ schäfte in Preußen abschließen kann oder vorbehaltlich der Genehmigung des Hauptetablissements? Da hat nun die Kommission gesagt: die⸗ jenigen auswärtigen Gewerbtreibenden, welche ihr Einkommen aus Preußen beziehen, sollen steuerpflichtig sein, selbst wenn der volle Begriff im juristischen Sinne einer Filiale nicht vorliegt, sondern eine ständige Agentur vorhanden ist, und es soll keinen Unter⸗ schied machen, ob diese Agenten bevollmächtigt sind, selbständig Ge⸗ schäfte abzuschließen oder nur mit vorbehaltlicher Genehmigung ihrer Kommittenten. An sich ist das auch rationell, darüber kann doch kein Zweifel sein. Es hat mir ein Herr, der in Deutschland davon betroffen wird, aber in England etablirt ist, selbst gesagt: wenn Sie so die Sache verstehen, daß wir hier nur für dasjenige Einkommen zahlen sollen, welches wir aus in Deutschland abgeschlossenen Geschäften beziehen, so haben wir nicht das Geringste dagegen; denn in England ist es genau ebenso. Er hatte nur das Bedenken, daß sie hier zahlen sollten für die gesammten Ge⸗ schäfte, die sie überhaupt machen. Davon kann natürlich nicht die Rede sein, sondern es müssen die Geschäfte, welche das Einkommen gebracht haben, hier zum Abschluß gekommen sein. Also, so ganz verkehrt, wie die Herren die Sache darstellen, ist sie nicht.
Abg, von Cuny beantragt, die Debatte zu vertagen, da sich vielleicht bis morgen ein Ausweg finden werde, der beide Theile befriedige.
Das Haus tritt diesem Antrage bei.
Schluß 4 ½ Uhr.
Verkehrs⸗Anstalten.
Norddeutscher Lloyd in Bremen. (Letzte Nachrichten über die Bewegungen der Dampfer) New⸗York⸗ und Baltimore⸗Linien: Bestimmung. SVrae Bremen „Ems“. Bremen J.Eider“. New⸗York „Havel“. New⸗York „Fulda“ New⸗York „Saale“ New⸗York „Stuttgart“. Bremen „Hermann“ Bremen „Salier“. Baltimore „Amerika“ Baltimore „Nürnberg“ Baltimore ebr. Lizard passirt. „München“ Baltimore Febr. von Bremerhaven. 1 Brasil⸗ und La Plata⸗Linien „Darmstadt“ Bremen 9. e in Antwerpen.
0
2. Febr. von Southampton.
Febr. von New⸗York.
. Febr. in New⸗Pork. Febr. von Southampton. ebr. Lizard passirt.
Febr. Dover passirt.
Febr. in Bremerhaben
Febr. von Baltimore.
Febr. in Baltimore.
Febr. Lizard passirt.
—q— — — — — dSAEESSUgÖ=ꝰ SÖS
—
—
„Graf Bismarck“ Bremen 12. Febr. in Bremerhaven. ““ Antwerp, Bremen 9. Febr. Las Palmas passirt. v8b e 10. Febr. St. Vincent passirt. „Ohioo Antwerp., Bremen] 31. Jan. von Buenos Aires. „Leipzig“. Brasilien 20. Jan. in Bahia. „Gera: Vigo, Bremen 10. Febr. von Buenos Aires. „Frankfurt“. La Plata 8. Febr. in Rio. „Berlin“. Rio, La Plata 8. Febr. Las Palmas passirt. „Baltimore“ Brasilien 12. Febr. St. Vincent passirt.
[Antw, Coruna, „Oldenburg“ Vigo, Rio, 12. Febr. von Bremerhaven. La Plata
Linien nach Ost⸗Asien und Australien:
„Preußenn.. Bremen 8. Febr. von Port Said. „Bayern“ Bremen 11. Febr. von Shanghai. Ost⸗Asien 9. Febr. in Colombo. „Sachsen“. Ost⸗Asien 11. Febr. von Southampton. 8b1X Bremen 9. Febr. von Genua. „Hohenzollern“. Bremen 4. Febr. von Adelaide. „Hohenstaufen“ Australien 11 Fehr. in Adelaide. „Kaiser Wilh. II.“ Australien 10. Febr. von Suez. „Karlsruhe’. . Bremen 10. Febr. in Antwerpen.
London, 12. Februar. (W. T. B.) Der Union⸗Dampfer „Arab“ ist heute auf der Heimreise in Southampton ange⸗
kommen. — Der Castle⸗Dampfer „Dunottar Castle“ ist
gestern auf der Ausreise in Durban (Natal) angekommen. Der Castle⸗Dampfer „Norham Castle“ hat heute auf der Heim⸗ reise Madeira passirt und der Castle⸗Dampfer „Duart Castle“ ist heute auf der Heimreise in London angekommen.
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Zweite Beilage
zum Deuls en Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preu
Berlin, Freitag, den 13. Februar
en Staats⸗Anzeiger.
Geschichtliche Darstellung der forstlichen Verhältnisse in der
Lüneburger Haide.
Aus der Vorzeit fehlen verbürgte Angaben über die forstlichen Verkältnisse in der Lüneburger Haide vollsändig. Es wird zwar an⸗ genommen, daß das Land sehr waldreich gewesen ist, indessen liegen authentische Nachrichten hierüber nicht vor, soweit nicht etwa dem
Vorhandensein von Holztheilen und Bäumen in den großen Mooren eine weitergehende Bedeutung beizumessen ist. Zweifellos sind diese Moore vor Jahrtausenden mit Wäldern bestockt gewesen, deren Ueber⸗ reste noch jetzt gefunden werden; wie weit sich aber damals der Wald
über das Land, namentlich die jetzigen Haideflächen erstreckt hat, darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Die Einen erblicken
in der Lüneburger Haide das Becken eines großen Binnensees, dessen Boden niemals bewaldet gewesen sei. Die Anderen stellen sich die als einen großen, hier und da vielleicht unterbrochenen Die Wahrheit liegt vielleicht in der Mitte. Die Tief⸗ lagen werden einen oder mehrere Seen gebildet haben, während die Erhebungen und Rücken der vielen Höhenzüge bewaldet gewesen sein mögen.
Aus späterer Zeit wird berichtet, daß nach der ältesten Land⸗ eintheilung Deutschlands die Lüneburger Haide wesentlich den Gau „Bardengo“ gebildet habe, dessen Waldreichthum gerühmt wird. Auch will man in einem Theile der jetzt noch vorhandenen Wälder Reste eines großen Bannwaldes — „der Magd⸗Mageler⸗“ oder „Brettiner⸗ Haide“ — erblicken, dessen Begründung Karl dem Großen zuge⸗
schriehen wird.
Die Ueberlieferungen aus den letzten 200 Jahren ergeben mit ssigkeit, daß zu Beginn dieses Zeitabschnittes der Regierungs⸗ üneburg große geschlossene Waldkörper aufzuweisen hatte, welche über das ganze Land vertheilt und fast ausschließlich mit Laubholz, namentlich der Eiche, bestockt waren. Vergleicht man mit diesem Bilde den heutigen Zustand der großen öden Haideflächen, der kleinen zerstreuten Waldparzellen, deren Bestände fast aus⸗ schließlich von der Kiefer gebildet werden, so erscheint eine solche Umge⸗
staltung der Verhältnisse in so kurzer Zeit auf den ersten Blick kaum möglich.
Und doch vermochten verschiedene Einflüsse ungünstiger Natur, z. B. die wirthschaftliche Entwickelung des Volkes, die Art und Weise der land⸗ wirthschaftlichen Betriebe, Krieg und Waldbrände, Geldnoth und Hab⸗ sucht, vor Allem aber das gemeinsame Eigenthum des Staats und der Bewohner am Walte mit dem unfehlbar verderblichen Einfluß auf die Bewirthschaftung und Nutzung der Forsten — all diese Um⸗ stände vermochten mit vereinigten Kräften Hunderttausende von Hek⸗ taren blühender Wälder zu öden Haideflächen herabzudrücken! Fort⸗ gesetzte schonungslose Ausübung der Servituten, namentlich Weide⸗ nutzung und Plaggenhieb, sowie Bau⸗ und Brennholzberechtigungen zehrten jahraus, jahrein an dem Waldkapitale, ohne daß für den Wiederanbau der Bestände genügend gesorgt wurde. Die rück⸗ sichtslose Ausnutzung an Schiffsbauholz und Stabhölzern führte endlich zu einem ungeordneten, verderblichen Plänterhieb, unter dessen Einfluß schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Bestockung der Haidewälder sich in bedenklicher Weise lichtete, den aushagernden Winden Thür und Thor geöffnet und die Bodenfrucht⸗ barkeit, das Produkt von Jahrtausenden, vernichtet wurde. Das Laubholz, namentlich die Eiche, welche die herrschende Holzart in den Haidforsten war, wurde immer mehr auf kleine Flächen mit günstigeren Bodenverhältnissen zurückgedrängt, und die genügsame Kiefer, welche
9⁄10 der ganzen Waldfläche einnimmt, trat, soweit für deren An⸗
überbaupt etwas geschah, an die Stelle des Laubholzes.
Um diesen unhaltbaren Verhältnissen ein Ende zu machen, schritt man in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zur Abfindung und Theilung des schwer belasteten Waldes. Zur Ablösung der den Be⸗ rechtigten zustehenden weitgehenden Nutzungen bedurfte es sehr erheb⸗ licher Abfindungsflächen. Durch die Ausweisung derselben im An⸗ schluß an die einzelnen Gemeindefeldmarken aber wurden die früher geschlossenen Waldkörper in der nachtheiligsten Weise zersplittert und parzellirt Daher noch heute die vielen kleinen Forstorte, deren höchst ungünstige Form und Lage der Wirthschaft Schwierigkeiten bereiten. Da an die Ueberweisung der Abfindungsflächen an die Interessenten und Gemeinden gesetzliche Einschränkungen bezüglich ihrer Benutzung und Erhaltung nicht geknüpft waren, verfielen diese Waldtbeile unter der unwirthschaftlichen Behandlung ihrer neuen Besitzer der Rodung oder einer allmählichen Devastation. So verschwanden noch in diesem Jahrhundert Waldkörper in einer Gesammtfläche von pptr. 25 000 ha abgetretenen Forstgrundes, welchen jetzt die Haide deckt.
Auch die zahlenmäßige Angabe der Waldfläche bezeugt die stetige Verminde ung derselben, wenngleich die Zahlen, da sie auf verschiedenen Grundlagen beruhen, nicht genau miteinander verglichen werden können. Es waren an Staatsforsten vorhanden:
im Jahre 1831 1850 1863 1874 1880 1890 117 876 ha 78 104 ha 72 483 ha 75 934 ha 82 743 ha 85 999 ha
In den der Herrschaft aus dem Theilungsverfahren zugefallenen Waldparzellen, welche jetzt größtentheils von der Last der Berech⸗ tigungen befreit waren, konnte von nun an nach wirthschaftlichen Grundsätzen verfahren werden. Aber in welchem Zustande waren diese „Wälder 2! Licht, raum und blößig, zeigten dieselben in ihren besten Partien nur noch die von den Eöö verschmähten Reste kesselartiger Bestände. Kurzschäftige, zopftrockene, faule, oft noch be⸗ stohlene alte Eichen, Buchen und Birken bedeckten sporadisch die großen, von der Haide bereits überwucherten, durch Wind und Sonne aus⸗ gehagerten Flächen der kleinen zerstreuten und zerschnittenen Waldkörper.
Das war mit wenigen Ausnahmen der Zustand der Haidforsten beim Beginn, vielfach auch noch um die Mitte dieses Jahrhunderts.
Naturgemäß hatte sich die Thätigkeit der Staatsforstverwaltung zunächst auf die Besserung und Wiederaufforstung der ihr verbliebenen Waldtheile zu richten, und wenn hierbei auch, soweit dies unter den gegebenen Bestands⸗ und Bodenverhältnissen möglich war, auf die Erhaltung und Nachzucht der Laubhölzer, namentlich der Eiche, Bedacht genommen wurde, so mußte man sich doch in den weitaus meisten Fällen auf den Ein⸗ und Anbau der genügsameren Kiefer beschränken. Aber auch der Wiederbewaldung der verödeten Haideflächen hat
sich die Fürsorge des Staats zugewandt. Um indessen die Stellung
desselben zur Frage der Aufforstung dieser Oedländereien und die Gründe, Zwecke und Ziele, welche ihn bei dieser Thätigkeit leiten, in ihrer wichtigsten, der volkswirthschaftlichen, Beziehung darstellen zu können, ist es erforderlich, vorerst auf die Bedeutung der sogenannten Oedländereien für die “ und die Art und Weise ihrer jetzigen Nutzung etwas näher einzugehen. ghachdem 29 Laufe der Jahrhunderte durch die fortschreitende Vernichtung der Wälder gleichzeiti eine Zerstörung der natürlichen Wasserreservoire in dem Grade herbeigeführt war, daß die Feuchtig⸗ keit des Klimas sank, war dem an mineralischen Nährstoffen armen Sandboden die Produktionsfähigkeit genommen, welche in der Haupt⸗ sache von einem genügenden Feuchtigkeitsgrade abhängig ist. Um so fühlbarer mußte diese nachtheilige Einwirkung der zunehmenden Ent⸗ waldung für die Landwirthschaft werden, als die L zu ihrer Existenz der natürlichen Kraft des Waldes und des B ildlandes be⸗
durfte. Denn die Wälder, Wiesen und Weiden mußten den Vieh⸗
bestand ernähren, und dieser durch den Dünger dem Kulturboden Ersatz für die verbrauchten Pflanzennährstoffe liefern. So lange das Wildland lediglich als Weide für das Vieh. benutzt wurde, mag es, namentlich dort, wo durch den Wald die Nährstoffe aus Jahrtausen⸗ den in ihm aufgespeichert waren, zur Ernährung der Thiere und somit
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zur Ergänzung der Ackerkraft wesentlich beigetragen haben. Als aber mit der fortschreitenden Waldverwüstung die Ertragsfähigkeit des Bodens sank, als an die Stelle nahrhafter Futterkräuter die Haide getreten war und der Werth auch dieser Weide stetig sich verminderte, da konnte die verlorene Qualität nur durch vermehrte Quantität der Haideflächen ausgeglichen werden. Standen diese nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, so mußte über kurz oder lang der Zeitpunkt eintreten, wo die Hülfsquellen des Ackerbaues versiegten und der Land⸗ mann die Bedingungen seiner Existenz verlor. Auf diese Weise sind eine beträchtliche Anzahl kleinerer Höfe zu Grunde gegangen, deren frühere Existenz noch jetzt nachzuweisen ist.
Dieser Prozeß stellt sogar die Lebensfähigkeit großer Höfe in Frage und vollzieht sich um so schneller, je mehr er durch eine andere Art der Haidenutzung, durch den Plaggenhieb, unterstützt wird. Seit Jahrhunderten hat man nämlich versucht, die auf den geringen Boden⸗ arten herrschende Unsicherheit der landwirthschaftlichen Betriebe da⸗ ducch zu beseitigen, daß man die Haide nicht mehr allein zur Vieh⸗ weide, sondern auch direkt zur Bedüngung des Ackers benutzt. Wenn man sich hierbei auch anfänglich auf die Nutzung der Haidepflanze selbst beschränkt haben mag so mußte doch die stets wiederholte Ab⸗ erntung des Bodens ohne Wiedergabe von Nährstoffäquivalenten den Zeitraum, in welchem die Haide sich entwickeln kann, immer weiter hinausschieben, sodaß schließlich, um den Ausfall an Streuhaide zu decken, die Hacke tiefer und tiefer eingriff, erst den Humus und dann auch noch die mit Humus durchsetzte Erdschicht erbeutete. Dieser Raubbau, der sich nur durch die Noth und die herrschende Unkenntniß der Natur⸗ und Bodenkräfte entschuldigen läß noch heute die gebräuchliche Art der Wirthschaft auf den Hai welche daher, je nachdem die Verödung der Haidflächen fortge in ist, die Be⸗ dingungen ihrer Lebensfähigkeit mehr und mehr haben und verlieren.
Berücksichtigt man hierbei die Ausdehnung dieser Haidefl im Regierungsbezirk Lüneburg allein etwa 350 000 ha —, welche matisch zu Grunde gerichtet werden, dabei eine sehr geringe Boden⸗ rente abwerfen und nur einer verschwindend kleinen Anzahl Menschen den Lebensunterhalt gewähren, so kann man sich unmöglich länger der Ansicht verschließen, daß hier die Landes⸗ und Volksinteressen einer umfangreichen Schädigung unterliegen, welcher nur durch die Mit⸗ wirkung aller Betheiligten entgegengetreten werden kann.
Die so schon öfter verhandelte Frage, in welcher Weise die Halde⸗ flächen besser und nachhaltiger nutzbar zu machen seien, hat, wenn auch über die zu erwartenden finanziellen Erfolge die Ansichten auseinander gehen, doch stets zu dem Schlusse geführt, daß dies im Großen und Ganzen allein durch die Rückgabe der dem Walde entzogenen Flächen an diesen und durch einen geregelten Forstbetrieb zu erreichen sei.
Da jedoch die Haideflächen zum weitaus größten Theil im Privat⸗ besitz sich befinden und zur Aufforstung derselben größere Kapitalien erforderlich sind, deren Verzinsung erst nach längerer Zeit beginnen kann, so ist von den jetzigen Besitzern allein, selbst mit vom Staat gewährten Beihülfen, eine durchgreifende und baldige Aenderung in dieser Beziehung nicht zu erwarten.
Es trat daher an den Staat die Frage heran, ob die volkswirth⸗ schaftlichen Interessen für die Aufforstung der Haideflächen in der That so schwerwiegende seien, daß er selbst derartige Flächen erwerben und sich mit eigenen Mitteln an der Aufforstung betheiligen solle. Die Thätigkeit der Staatsverwaltung hat seit langen Jahren diese Frage bejaht, und es wird auch unter Würdigung der vorgetragenen Verbältnisse und in Berücksichtigung der bereits gesammelten Er⸗ fahrungen auf dem betretenen Wege fortgeschritten.
Die gemachten Erfahrungen lassen erwarten, daß die Wieder⸗ bewaldung eines entsprechenden Theils der großen Haideflächen eine Verbesserung des Klimas zur Folge haben und namentlich ein für die Produktionsfähigkeit des armen Sandbodens durchaus nothwendiges Maß von Feuchtigkeit wieder herbeiführen wird Ob diese Hoffnung sich bereits durch die Einwirkung großer Nadelholzwaldungen, deren Anbau zunächst durch die Standortsverhältnisse geboten ist, erfüllen wird, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls wird dem Lande auch durch diese schon ein Schutz gegen die aushagernden Winde gewährt.
Vielleicht ist eine bemerkbare klimatische Aenderung späteren Zeiten vorbehalten, wenn die Nadelholzwälder, deren Erziehung nicht uͤberall als Ziel der Wirthschaft, vielmehr häufig nur als ein Hülfs⸗ mittel anzusehen ist, um unter ihrem Schirme oder unter Benutzung ihrer verbessernden Einwirkung auf den Boden die Nachzucht von Laubhölzern zu ermöglichen, den letzteren wieder in größerem Umfange Platz gemacht haben werden. 1 11““ — 8
Für die Aufforstung sind in erster Linie die Flächen in Aussicht zu nehmen, welche ihrer Beschaffenheit nach als absoluter Waldboden zu bezeichnen und für die Landwirthschaft entbehrlich sind. An solchen ist kein Mangel, da nach den Angaben vom Jahre 1878 im Regie⸗ rungsbezirk Lüͤneburg an Acker resp Weide mit unter 1,80 ℳ Grund⸗ steuer⸗Reinertrag pro Hektar allein circa 350 000 ha vorhanden waren, von denen 172 058 ha im Interesse der Landeskultur als auf⸗ forstungsbedürftig bezeichnet wurden. 8
Diese Zahl dürfte sich noch erheblich vergrößern, wenn der Land⸗ mann von der bisherigen Art der Wirthschaft abgeht und dieselbe dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend umändert. Nach den bisherigen Beobachtungen ist zu hoffen, daß die Aufforstungs⸗ thätigkeit des Staats auch in dieser Beziehung segensreich einwirkt und den Landwirth der Haide mehr und mehr zur Einsicht und zur Umkehr führt. Denn er kann der Thatsache nicht widersprechen, daß von jetzt zum großen Theil fast ertraglosen Haideflächen durch den forstlichen Betrieb eine wesentlich höhere Bodenrente gewonnen wird, welche im Laufe der Zeit sich um so mehr steigern dürfte, je inten⸗ siver der Einfluß des Waldes auf Boden und Klima sich geltend macht. Endlich wird durch die Aufforstung in die öden Haiden Be⸗ triebsamkeit hineingetragen und die Ansiedlung befördert, sowohl durch die unmittelbare Beschäftigung vieler Arbeitskräfte bei dem Auf⸗ forstungsgeschäft selbst, als auch durch die stetige Arbeit, welche die Pflege und die Nutzbarmachung der Forsten mit sich bringt. 8
So ist denn in der That den volkswirthschaftlichen Gründen für die Kultivirung der Oedländereien eine solche Bedeutung beizumessen, daß für den Staat eine Verpflichtung zur Aufforstung selbst dann vorliegen dürfte, wenn die zahlenmäßig nachzuweisende Verzinsung der aufgewandten Kapitalien hinter der sonst vom Walde geforderten Rente zurückbliebe. Es ist dies in manchen Fällen, wo für den Erwerb des Grund und Bodens hohe Preise gezahlt werden müssen, und die erste Kultur außergewöhnliche Aufwendungen erfordert, nicht zu bestreiten. Andererseits ist aber auch der wirklich erzielte Nutzen, welcher, abge⸗ sehen von dem Erlös aus den Forstprodukten, eben zum großen Theil in der Hebung der volkswirthschaftlichen Interessen beruht, kaum zu berechnen. Hierbei mag noch besonders auf die mancherlei Neben⸗ nutzungen, wie Leseholz, Streu, Gras und Waldbeeren, hingewiesen werden, welche namentlich den kleinen Leuten eine nicht unerhebliche, in ihrer Bedeutung oft unterschätzte Einnahme gewähren.
So haben denn seit dem Jahre 1866, also innerhalb rund
25 Jahren, die eigentlichen Staatsforsten im ganzen Re⸗
ierungsbezirk eine Vergrößerung erfahren von 1 6130 ha durch Tausch ꝛc 6278 „ „ Ankauf im Ganzen 12408 ha, von denen 8 8041 ha aufgeforstet wurden, während 1575 „ zur weiteren Aufforstung bestimmt und 224 „ bereits zu diesem Zwecke durch Ausführung
der Bodenbearbeitung vorbereitet sind. Der Rest der erworbenen Flächen gehört dem Nichtholzboden an und besteht zum Theil aus Wiesen und Ackerländereien, zum bei weitem größten Theil aber aus ausgedehnten Moorflächen, welche durch Torfstich, Brandfruchtbau ꝛc nutzbar gemacht werden.
Wenn nun gleichwohl die vom Staat aufgeforsteten Flächen — seit dem Jahre 1866 im Ganzen ca. 8000 ha — im Verhältniß zur Größe der vorhandenen Oedländereien nicht gerade erheblich er⸗ scheinen, — von der Staatsforstfläche betragen sie rot. 10 % — so ist dabei doch zu erwägen, daß die Erwerbung solcher Grundstück gerade für den Staat mit besonderer Schwierigkeit verbunden ist Einmal kann es nicht im Interesse des Staats liegen, Höfe zu er werben, welche in ihrer Wirthschaft noch lebensfähig erscheinen, anderer seits werden von den Besitzern oft übertriebene Forderungen gestellt welche nicht erfüllt werden können. Dabei mögen andere Regierungs bezirke mit wenigstens ähnlichen Verhältnissen dieselben Ansprüche an die Staatskasse erheben, und zwar vielleicht unter Umständen, welch eine günstigere Verzinsung erwarten lassen.
Ferner muß hervorgehoben werden, daß Seitens der zum Ressort des Mirvisters der geistlichen Angelegenheiten gehörigen Kloster⸗ kammerverwaltung sowie Seitens der Provinzialverwaltung nicht unerhebliche Flächen dem Waldbestande zugeführt sind und daß auch nach Kräften für die Erhaltung und Verbesserung der Kom⸗ munalforsten gesorgt wird.
Außerdem sei noch erwähnt, daß mit den seit dem Jahre 1875 staatlicherseits gewährten Beihülfen von im Ganzen 53 251 ℳ 2141 ha Haideflächen durch Privatbesitzer, allerdings in mehr oder weniger mangelhafter Weise, aufgeforstet worden sind und hoffentlich auch zum größeren Theil dem Walde dauernd werden erhalten werden.
Nach dem Allen aber wird man zu der festen Ueberzeugung ge⸗ angen müssen, daß im Interesse der Volkswirthschaft und der Landes⸗ ultur dringend gewünscht werden muß, daß staatlicherseits auch erner umfangreiche Mittel für den Ankauf und die Aufforstung der Oedländereien im Regierungsbezirk Lüneburg zur Verwendung gelangen. Einer intensiven Aufforstung wird aber auch der direkte Nutzen, die Rentabilität, nicht wohl fehlen.
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&.
Statistik und Volkswirthschaft ie Berliner Arbeiterwohnungsfrage und ihre praktische Lösung im Sinne des Einfamilienhauses war der Berathungsgegenstand einer zahlreich besuchten Versammlung, welche gestern Abend im großen Albin’'schen Saale hierselbst stattfand. Die Einladung war von einem Comité ausgegangen, welches in einer im November v. J. abgehaltenen Sitzung gewählt worden war und dem u. A. Graf Tönhoff⸗Friedrichstein, Ritterschafts⸗Direktor von Arnim⸗ Züsedom, Contre⸗Admiral Zirzow und Pastor von Bodelschwingh⸗ Bielefeld angehören. Unter den Anwesenden befanden sich der Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch, der Geheime Regierungs Rath Dr. Königs und der Regierungs⸗Rath von Moltke aus dem Kultus⸗ Ministerium. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Rechts 8 Hentig übernahm Kammergerichts⸗Rath von Uechtritz und Steinkirch den Vorsitz. Rechtsanwalt Hentig erstattete sodann Bericht über die bi
erige Thätigkeit des Vollzugsausschusses, der zunächst die Bedürfniß frage festgestellt und sodann einen längeren Aufruf entworfen hat welcher u. A. auch vom Feldmarschall Grafen Moltke unterzeichnet ist Auch der Statutenentwurf für einen zu gründenden Verein is Seitens des Comités bereits entworfen worden. Die speziellen Ziele des Vereins sind in einer Denkschrift niedergelegt, welche der hier u. A. a Armenarzt thätige Dr. med. Bensch verfaßt hat. Wie der Redner au führte, besteht unleugbar in Berlin eine Wohnungsfrage, wenn sie aue nicht so scharf in die Erscheinung tritt, wie in andern Großstädten. Ein mal lassen die Berliner Arbeiterwohnungen, namentlich die im Keller belegenen hygienisch zu wünschen übrig, sodann sind sie zu theuer, da sie bis zu ein Drittel des Einkommens in Anspruch nehmen; ferner scheint es dem Redner volkswirthschaftlich nicht richtig, daß bei uns der kleine Mann nur zu Miethe wohnt, und endlich erwachsen auch aus der Enge der Berliner Wohnungen und dem Schlafburschenwesen moralische Bedenken. Das Mittel der Abhülfe sah der Redner in dem Einfamilienhaus, einem Hause billig genug, um allmählich in den Besitz des kleinen Mannes uberzugehen, außerhalb der Atmosphäre der Großstadt belegen und doch leicht erreichhar. Nach dem vom Comité im Wesentlichen gebilligten Plane des Redners sollen rings um Berlin Kolonien von je etwa 200 Morgen errichtet werden, und für solche Kolonien ist nach angestellten Ermittelungen genügend Land und zu mäßigen Preisen vorhanden. Auf ein Gesuch, in welchem 200 Morgen Land nicht weiter als 10 km von Berlin zum Preise von höchstens 5000 ℳ für den Morgen verlangt werden, sind 32 Angebote in der Preislage von 500. bis 5000 ℳ eingegangen. Auf einem solchen Gebiet von 200 Morgen sollen nun 2100 Einfamilien⸗ häuser errichtet werden, von denen 900 zu 2500 ℳ, 400 zu 3500 ℳ und die übrigen zu 4 bis 5000 ℳ weggegeben werden follen. Die Grunderwerb⸗ und Baukosten sollen bei den billigsten Häusern 1500 ℳ betragen, während 1000 ℳ auf die Generalunkosten, Anlage und Beleuchtung der Straßen, Einrichtung von Wafferleitung, Unterhaltnng der Verwaltung u. dgl. entfallen. Die Hzuser sollen in gefälliger Form, aber sonst in ein-⸗ fachster Weise mit Wänden von nur einem Stein, leichtem Dach und ohne Keller errichtet werden. Diejenigen, welche auf diese Häufer reflekriren, haben jährlich 240 ℳ zu zahlen. In diesen Preis werden eingeschlossen sein die Miethe, 2 % Amortisation, eine Lebenss versicherung von 500 ℳ und freie Eisenbahnfahrt für das Familien-
8. i 2 Weres. 8 haupt. Die Schaffung der Geldmittel wird nach des Redners ö 1
8
sicht leicht sein, wenn nur erst das Verständniß für die Sache e-
ü 8 1“ Referat folgte eine sehr ausgedehnte Besprechung, in der die verschiedensten Ansichten zu Tage traten. Geheimer Ober⸗Regie. rungs⸗Rath Spinola, der Direktor der Charits, verwies auf die finanziellen Schwierigkeiten. Es handle sich hier um Gründung
neuer Städte mit einer durch die Großstadt verwöhnten und doch nicht
steuerkräftigen Bevölkerung, deren Unterhaltung und Verwaltung un⸗
erschwinglische Kosten verursachen werde. Dr. med. Hessen erblickte
eine rationellere Lösung der Berliner Arbeiterwehnungsfrage in der Errich⸗
tung gesunder Miethshäuser inmitten der Stadt. Der Berliner Arbeiter
sei aus Berlin nicht beragsßubeinger und die bisherigen Erfahrungen der Berliner Baugenossenschaft hätten gezeigt, daß Arbeiter Ein⸗ familienhäufer nur in verschwindender Zahl erwerben würden. Schrift
steller Braun, der General⸗Sekretär der neuen „Deutschen Volksbau⸗ esellschaft“ trat für das von dieser Gesellschaft vertretene Prinzip vgl. die gestrige Nummer des „R, u. St.⸗A.“ unter „Statistik und
Volkswirthschaft“) ein. Es wird diejenige Person, welche von der
Volksbaugesellschaft ein eigenes Besitzthum zu erwerben beabsichtigt, mit dem vollen Werth dieses Besitzthums bei einer Lebensversiche⸗ rungsgesellschaft auf Tod oder Altersfall eingekauft, der Reflektirende zahlt dann nur jährliche Miethe, die sich zusammensetzt aus der Prämie, der Verzinsung des Kapitals und den Reallasten, im Uebrigen fällt das Besitzthum mit dem Tod oder dem erreichten Alter kostenlos der Familie zu. Banquier Hermann Gumpel, welcher z. Z. in Lichten⸗ berg sechs Familienhäuser, sogenannte Bürgerheime baut, erinnerte an die Schwierigkeiten, die die Berliner Vororte bezüglich der Auf⸗