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Ich glaube, beide Ministerien stehen wesentlich auf demselben Stand⸗ punkt.
Hr. von Benda hat schon gesagt, er könne eigentlich nur mit der
Lupe einen Unterschicd erblicken zwischen der Kommissionsvorlage —
bezw. der Regierungsvorlage — und dem Antrage Enneccerus. Was
die thatsächliche Gestaltung der Verhältnisse betrifft, so kann ich nur
sagen, daß in dieser Beziehung Hr. von Benda vollkommen Recht
hat. Meine Herren, wenn heute die Vorschrift käme, das Staats⸗
Ministerium müßte unter allen Umständen nur den Landrath nehmen,
lches Gesetz für undurchführbar halten, weil sehr
vorkommen können, namentlich in Städten und in ganz
if wo es geradezu unausführbar ist, daß der Land⸗
unbedingt persönlich den Vorsitz führen soll. Aber eben⸗
alte ich zur Zeit die entgegengeseßzte Bestimmung für mög⸗
der Landrath unbedingt nicht Vorsitzender sein soll, das
3 ebenso wenig möglich. Das will aber auch der Antrag Enneccerus nicht, nur Hr. Dr. Windthorst geht so weit.
Wir haben wenigstens zur Zeit das geschulte Personal noch nicht,
wovon die Regierun Wir haben ja nicht, wie in
Sachsen, eine Beamtenschaft für die Ver⸗
r bis jetzt haben wir gar keine teuerveranlagung uns eine solche
ekten Steuern und die Zölle; auszubilden.
undere ich mich, daß Hr. Windthorst uns den Rath
Regierungs⸗ und Gerichts⸗Assessoren die Er⸗
ennungen zu Vorsitzenden zu lenken. Er sagt, es giebt Landräthe,
e noch jung sind, die noch zu wünschen haben, die also abhängig
geneigt wären, nach den Winken der vorgesetzten Behörde zu ver⸗
Nun, meine Herren, wenn das richtig wäre, so würde es für
Assessoren — Regierungs⸗ oder Gerichts⸗Assessoren — noch viel zutreffen, darüber kann kein Zweifel sein. Während der Land⸗ schon in einer Stellung ist, wo es sich aushalten läßt, wollen ese anderen Herren überhaupt erst in eine Stellung kommen. (Sehr ichtig!)
Aber würden dann überhaupt solche jungen Assessoren, die gar keine andere Stellung haben als die von Aspiranten auf weitere Be⸗ förderung — auch die nöthige Stellung und Autorität im Kreise winnen, um Vorsitzende sein zu können gerade bei so eigenartig sammengesetzten Kommissionen, wie es diese Veranlagungskom⸗ nissionen sind? (Sehr richtig!)
Diese Herren bleiben ja noch viel weniger ständig in einem Be⸗
Wo sollen sie die personelle und lokale Sachkenntniß her⸗ ehmen? Ich glaube, ein solches fliegendes Corps, wenn ich es mal nennen darf, das fortwährend den Vorsitz wechselt, wäre gar nicht
Platz.
Andererseits aber bin ich mit dem Herrn Minister des Innern ollständig einig und habe zu meiner Freude aus den Reden der Hern. von Zedlitz und Graf Limburg auch ersehen, daß die Herren
drüben dieselbe Auffassung theilen, daß die erste Frage,
gestellt werden muß bei der Ernennung Vorsitzenden,
s ebensstellung,
hältnissen der Eingesessenen, seiner sonstig ie Steuerveranlagung? Sowie die Frage verneint werden muß, wenn der Landrath in einem bestimmten Kreise so überlastet ist, daß er dem so schwierigen und wichtigen Geschäft mit Erfolg nicht vor⸗ stehen kann, so ist die Staatsregierung darauf angewiesen, einen be⸗ sondern Kommissarius zu ernennen. Noch weniger wird irgen preußische Regierung von einem rein politischen und Parteige 1 bei diesen Ernennungen ausgehen dürfen. J daß das auch niemals eine Regierung gethan kann mir auch nicht denken, daß jemals ein ndrath so pflichtvergessen sein würde, bei der Behandlung der teuerpflichtigen lediglich nach politischen Gesichtspunkten zu andeln. (Widerspruch links. Sehr richtig! rechts.) Ich bin über⸗ zeugt davon, daß ein solcher Nachweis nicht geführt werden kann; ollte er aber geführt werden können, so können Sie sicher sein, daß ie jetzige Staatsregierung und ich persönlich insbesondere jeden Land⸗ er solche politischen Nebenrücksichten bei der Veranlagung zur
soll, entscheidend sein läßt, sofort seines Amtes als Vor⸗ sitzender der Kommission entsetzen würde, und ich bin überzeugt, die Zustimmung aller Theile dieses Hauses, ob sie auf der Rechten oder nken sitzen, dabei zu haben. (Allseitiger lebhafter Beifall.) Abg. Freiherr von Hammerstein: Nicht im Interesse der Fiskalität wolle seine Partei das Gesetz ausgestalten, sondern es solle zerecht gestaltet werden, deshalb wolle seine Partei den Landrath mit seiner Sachkenntniß in die Kommission hineinbringen. Der Abg. ickert sei ja überhaupt ein politischer Gegner des Landraths; des⸗ halb werde er ihn nicht überzeugen. Der Abg. Windthorst habe die Stellung des altpreußischen Landrathes richtig gewürdigt, aber er sei otzdem bedenklich; geworden, ihm die Veranlagung zu übertragen. sei ja möglich, daß die Autorität der Landräthe in manchen reisen leiden werde, daß der Landrath überbürdet werde durch die Beranlagung. Diese Fälle sehe die Vorlage ja aber vor, und für diese Fälle werde das Beamtenmaterial ausreichen, aber nicht für die allgemeine Ersetzung des Landraths durch besondere Steuer⸗ eamte. Die meisten Landräthe würden in der Anstellung beson⸗ rer Beamten eine Beeinträchtigung ihrer Stellung sehen. Abg. Dasbach beantragt:
Für den Fall, daß nach dem Kommissionsvorschlage der Re⸗ gierung das Recht bleibt, fast die Hälfte der Mitglieder, oder nach dem Kommissionsvorschlage das Recht, fast ein Drittel zu ernennen, zu beschließen, daß Personen, welche ein besoldetes, der Aufsicht des Landrathes unterstehendes Amt bekleiden, nicht durch 82 Kreisvertretung oder die städtischen Vertretungen gewählt werden önnen.
Es würde dies die besoldeten Bürgermeister treffen. Dieselben seien schon in der Voreinschätzungs⸗Kommission von Einfluß; sie könnten
auch noch nach Annahme seines Antrages von der Regierung zu Mit⸗ gliedern ernannt werden, ebenso wie auch die Gemeindevorsteher, deren bveendüci der Herr Finanz⸗Minister als wünschenswerth bezeichnet abe.
Abg. von Mever (Arnswalde) führt aus, daß er aus eigener
38 jähriger Erfahrung das Veranlagungsverfahren kenne. Er habe die Steuersachen selbst durchgearbeitet und dabei erkannt, daß es für den Landrath nothwendig sei, die Steuerverhältnisse seines Kreises auswendig zu wissen, wenn er überhaupt verwalten wolle. (Zustim⸗ mung rechts.) Deshalb müsse der Landrath die Seele der Ver⸗ aslagung bleiben. Die Steuerbeamten würden auch nicht mehr ver⸗ ehen als die Landräthe. Ein solcher Beamter lege bei der Einschätzung immer die Grundsteuer zu Grunde. Die sei ja ei
Faktor zur Schätzung, aber man müsse auch die betreffenden
Eüter kennen. Redner führt on, daß ein Gut in seinem
Kreise von 3000 Morgen, in bester Wirthschaft befindlich,
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ebenso viel Grundsteuer zahle wie ein anderes Gut von 17 000 Morgen abgeholzter Forst. Das erste Gut nähme er gern geschenkt; wer ihm das zweite schenken wolle, den würde er wegen Injurie ver⸗ klagen. (Heiterkeit.) Das fiskalische Interesse sei ausreichend gewahrt durch die ernannten Mitglieder. Der Abg. Rickert wolle den Land⸗ rath überhaupt beseitigen, ohne zu sagen, was er an die Stelle setzen wolle. Redner erklärt sich für den Antrag der Kommission.
Abg. von Eynern: Der Finanz⸗Minister wolle allerdings nur ausnahmsweise Personen, die außerhalb des Bezirkes wohnten, in die Kommissionen berufen. Aber es könnten andere Finanz⸗Minister kommen, welche andere Ziele verfolgten, und deswegen müsse die Bestimmung getroffen werden, daß nur aus dem Bezirk Mitglieder ernannt werden könnten. Redner stellt einen dahin gehenden Antrag.
Der Antrag wird gegen die Stimmen der Freisinnigen und Polen, der Antrag von Los gegen die Stimmen der Freisinnigen, Polen und eines Theiles des Centrums, der Antrag Enneccerus gegen die Stimmen der Freisinnigen, Polen, eines großen Theiles der Nationalliberalen und des Centrums abgelehnt, H. 34 also unverändert angenommen.
Nach §. 35 kann der Vorsitzende den Steuerpflichtigen Gelegenheit zur persönlichen Verhandlung geben.
Aba. Enneccerus beantragt zu setzen: Der Vorsitzende hat zu persönlichen Verhandlungen Gelegenheit zu geben.
Geheimer Finanz⸗Rath Wallach hält es für unnöthig und aus eschäftlichee Gründen für bedenklich, den Steuerpflichtigen ein solches Recht zu gewähren, welches die Vorsitzenden sehr erheblich belasten könnte.
Abg. v. Eynern tritt für den Antrag ein, weil gerade bei Ausführung dieses Gesetzes die Steuerpflichtigen den guten Rath des Vorsitzenden der Einschätzungskommission sehr nothwendig ge⸗ brauchen würden.
Der Antrag wird abgelehnt. §. 35 wird angenommen, ebenso die §§. 36 und 37.
Nach §. 38 sollen bei Zweifeln über die Steuererklärung Sachverständige und Zeugen vernommen, auch der Steuer⸗ pflichtige befragt werden können. Bleiben trotzdem Zweifel bestehen, so ist die Kommission an die Angaben des Steuer⸗ pflichtigen nicht gebunden, sondern kann den Steuersatz nach ihren Ermittelungen festsetzen.
Abg. Metzner beantragt, daß die Kommission nur dann eine höhere Steuer festsetzen dürfe, wenn ein höheres Einkommen be⸗ wiesen werde.
Abg. Dr. Brüel schlägt vor, daß die Kommission nur, soweit die Angaben des Steuerpflichtigen sich als unrichtig ergeben hätten, nach eigenem Ermessen schätzen könne, sonst aber an die Angabe des Steuerpflichtigen gebunden sei. Dem Steuerpflichtigen solle zu⸗ gleich die Grundlage für die Festsetzung des Steuersatzes mitgetheilt werden.
Abg. Rickert will nur dann die Kommission nach freiem Er⸗ messen entscheiden lassen, wenn durch Thatsachen die Ungerechtigkeit der Angabe des Steuerpflichtigen erwiesen sei.
Abg. Metzner hält es für bedenklich, der Kommission freie Entschließung zuzugestehen, während sich darchaus nicht heraus⸗ gestellt habe, was die Angabe der Steuerpflichtigen erschüttern könne; die Kommission habe eben einen Zweifel und damit sei es ab⸗ gemacht.
Abg. Peter dann bleibe es ü
ganz U
: Wenn einer der Anträge angenommen werde, 1 erhaupt beim Alten; denn die Kommission könne keinen Beweis antreten, keine Thatsachen beibringen, welche darthäten, daß der Steuerpflichtige ein höberes Einkommen habe. Die Beweis⸗ last dürfe man der Kommission nicht auferlegen, weil dadurch die Gefahr entstehe, daß viele unrichtige Steuerdeklarationen durch⸗ gehen würden. Wenn einem Steuerpflichtigen zwar nicht die Un⸗ richtigkeit aller seiner Angaben, aber wenigstens einiger derselben nachgewiesen sei, dann sei er nicht mehr als ganz glaubwürdig zu betrachten, trotzdem verlange der Antrag Metzner, daß ihm die Kommission noch Glauben schenken solle.
„Abg. Dr. Brüel: Die Steuerdeklaration, welche nach bestem Wissen und Gewissen angegeben werde solle die objektive Grund⸗ lage des ganzen Veranlagungsverfahrens bilden und nicht bloß den weiteren Ausgangspunkt des weiteren Verfahrens. Deshalb sei es nicht möglich, wenn an einem Punkte die Deklaration sich als un⸗ richtig ergebe, die ganze Steuererklärung verschwinden und sie als unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Die Unrichtigkeit könne ja auf einem ganz entschuldbaren Irrthum beruben. Daß dem Steuer⸗ pflichtigen die Grundlage seiner Einschätzung angegeben werden müsse, sei selbstverständlich, weil allein auf dieser Grundlage die Berufung aufgebaut werden könne.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Der Hr. Abg. Dr. Brüel hat sich berufen auf die früher in Hannover bestehende Einrichtung der Deklaration zur Einkommen⸗ steuer. Ich glaube, daß der Hr. Abg. Dr. Brüel mir nicht widersprechen wird aus seiner Erinnerung, daß es ein öffentliches Geheimniß war und die allgemeine Uebereinstimmung im damaligen Königreich Hannover dahin ging, daß auch nur der aller⸗ geringste Theil der wirklichen Kapitalrente versteuert wurde, und gerade aus den Gründen, die hier in Frage stehen. Mir ist stets als jungem Mann und nachher als Anwalt diese Steuer⸗ veranlagung geradezu als eine Karikatur bezeichnet. Diese Erfah⸗ rungen sprechen also jedenfalls nicht für den Antrag.
Meine Herren, ich muß anerkennen, daß der Antrag des Hrn. Dr. Brüel sich wesentlich unterscheidet von dem Antrage des Hrn. Abg. Metzner, den ich übrigens nicht ganz verstehe, denn dieser Antrag verlangt, daß dem Steuerpflichtigen bewiesen werde, daß seine Deklaration falsch sei. Nun, wer soll denn entscheiden, ob dieser Beweis geführt ist? Hier soll also die Veranlagungskommission gewissermaßen wie ein Schwurgericht über die Richtigkeit der Steuerdeklarationen zu Gericht sitzen.
Nun bezeichnet der Hr. Dr. Brüel dies als den milderen Weg für den Censiten. Der Ansicht bin ich gar nicht, denn, wenn ein solcher Ausspruch von der Kommission dahin gefällt wird, daß die Kommission die Ueberzeugung gewonnen habe, die Deklaration sei falsch, so ist das für den Censiten viel härter, als wenn die Kom⸗ mission nur sagt: wir glauben nicht an die Richtigkeit, wir verlangen weitere Aufklärung, die Richtigkeit bleibt uns zweifelhaft, und demgemäß mit dem Censiten in Verhandlung tritt.
Meine Herren, die Kommission muß berechtigt sein, nach ihrem freien Ermessen zu veranlagen, wenn sie nicht positiv von der Richtig⸗ keit der Steuererklärung überzeugt ist, während der Hr. Dr. Brüel ihr erst dann diese Berechtigung zugestehen will, wenn sie positiv von der Unrichtigkeit überzeugt ist und dafür ganz bestimmte Gründe hat. Meine Herren, wenn ein Fremder in einen Bezirk zieht, den Niemand kennt, beispielsweise ein Rückwanderer von Amerika, der einen solchen Aufwand führt, daß man wohl mit Recht annehmen darf, er hat ein bedeutendes Vermögen, er deklarirt aber nur sehr gering, man kennt seine Vermögensverhältnisse nicht anders als aus seinem Aufwand, so wird es schwer sein, positiv zu sagen und durch bestimmte Beweis⸗ mittel klar zu machen, daß der Mann ein größeres Vermögen hat; wohl aber kann die Kymmission vollkommen davon durchdrungen sein, daß die Steuererklärung falsch ist, und sich nach den gesammten Ver⸗ hältnissen berechtigt halten, anzunehmen, daß ein größeres Einkommen vorhanden ist, — es sei denn, die Verhandlungen der Kommission
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mit dem Steuerpflichtigen ergeben das Gegentheil. Meine Herren der Unterschied ist der: in dem einen Falle, nach der Regierungs⸗ vorlage und der Kommissionsvorlage, ist die Steuererklärung nur ein Material zur richtigen Veranlagung; in dem anderen Falle ist sie aber eine Selbsteinschätzung, die so lange gilt, als das Gegentheil nicht bewiesen wird. Meine Herren, keine einzige Gesetzgebung in Deutschland hat eine solche Bestimmung, und die Erfahrung des Herrn Regierungskommissars, der die praktische Handhabung dieser Gesetze persönlich in einigen Ländern Deutschlands sich mit angesehen hat — er wird darüber noch nähere Auskunft geben — hat erwiesen, daß eine solche Selbstveranlagung, wie sie aus den Anträgen der Herrn. Metzner und Dr. Brüel hervorgeht, in keinem Lande besteht, und auch in der praktischen Handhabung gänzlich undurch⸗ führbar ist; das wird noch näher dargelegt werden. Die Regierungsvorlage enthält ja doch Garantien genug, meine Herren, der Steuerpflichtige hat das Recht, wenn seine Deklaration beanstandet wird, daß ihm mit Gründen mitgetheilt wird, warum sie beanstandet wird. Er hat dadurch Ge⸗ legenheit, seine Deklaration zu vertreten, die Gründe für die Richtig⸗ keit derselben anzugeben, auf die Ueberzeugung der Kommission dem⸗ entsprechend einzuwirken. Wenn die Kommission dennoch ihm keinen Glauben schenkt, hat er die Berufung; nach der Regierungsvorlage hat er sogar das Recht, seine Behauptung in der Berufungsinstanz eidesstattlich zu vertreten. Ein rücksichtsvolleres Verfahren gegen den Steuerpflichtigen, wie wir es vor uns haben, ist in keinem einzigen deutschen Gesetze vorhanden.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, meine Herren, die Regierungs⸗ vorlage unverändert anzunehmen; die Garantien, die für den Steuer⸗ pflichtigen vorhanden sind, sind in jeder Weise ausreichend.
Abg. v. Bismarck erklärt sich ebenfalls gegen die Anträge; für den Steuerpflichtigen seien hinreichende Schutzmaßregeln vorhanden, während die Anträge ein übergroßes Mißtrauen gegen die Kommission bekundeten. Gerade im Interesse der ehrlichen Leute, welche richtig deklarirten, solle man nicht diejenigen schützen, welche unrichtig deklarirten. Die Einkommensteuer unter 3000 ℳ würde von der Kommission eingeschätzt; es werde unangenehm empfunden werden, wenn diesen Leuten nicht geglaubt werde, während man den Personen mit mehr als 3000 ℳ Einkommen Glauben schenken müsse, so lange man ihnen keine Unrichtigkeiten nachweisen könne. .
Abg. Klose tritt für den Antrag Metzner ein, dessen Berech⸗ tigung er nachzuweisen sucht durch Vorbringung einiger Spezialfälle.
Geheimer Finanz⸗Rath Wallach: Solche Svpezialfälle be⸗ wiesen gar nichts, denn man könne sich ohne Durchsicht der Akten darüber kein Urtheil bilden. Der Eine oder der Andere werde sich immer als zu hoch eingeschätzt betrachten und sich darüber beschweren. Die Anträge wollten das Deklarationsrecht, aber nicht die Dekla⸗ rationspflicht. (Widerspruch.) Die Erfahrungen in den anderen Staaten böten keine Veranlassung, das ganze Verfahren noch mit weiteren Garantieen zu umgeben, die sich in anderen Steuergesetzen gar nicht fänden. Wie häufig unrichtige Angaben, und zwat sowohl aus Unkenntniß als aus Fahrlässigkeit, als auch wesentlich unrichtige Angaben vorkämen, beweise die Thatsache, daß in Hamburg etwa 10 % des Steuereinkommens daraus entständen, daß hinterzogene Steuerbeträge und Strafgelder nachträglich eingezogen seien.
Abg. Freiherr von Zedlitz hält die Anträge sämmtlich für un⸗ annehmbar; der Antrag Metzner sowohl, wie der Antrag Brüel kämen darauf hinaus, der Kommission eine Beweislast aufzuerlegen, die sie niemals tragen, welche aber die Veranlagung in ihrem Endergebniß gefährden könnte.
Abg. Rickert: Einen prozessualischen Beweis verlange er nicht, die Kommission solle nur die feste Ueberzeugung davon gewinnen, daß die Steuererklärung unrichtig sei. Der Hinweis auf die anderen Staaten passe bier gar nicht; Sachsen habe eine ganz anders zusammen⸗ gesetzte Kommission, und in England seien die konstitutionellen Ver⸗ hältnisse ganz andere.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Hr. Abg. Rickert ermahnt uns, aus der englischen Geschichte Etwas zu lernen. Ich will ihm auch eine lehrreiche Sache aus der englischen Geschichte erzählen. Der berühmte englische Staatsmann Gladstone und die Blaubücher der betreffenden Parlamentskommissionen bezeugen uns, daß in England zwischen einem Drittel und der Hälfte des wirklichen Einkommens thatsächlich deklarirt ist. (Hört, hört! rechts.) Wenn wir also auf diese Deklaration allein absolut und entscheidend Gewicht legen wollten, so würde es uns wahrscheinlich auch nicht viel besser gehen.
Dann will ich aber auch aus einem andern Lande, welches vorhin der Herr Antragsteller angeführt hat, nämlich aus dem vormaligen Königreich Hannover eine Geschichte erzählen. Da hatten wir einen Finanz⸗Minister, der als die erste Autorität auf dem Finanzgebiet von jeher gegolten hat und von allen Parteien anerkannt worden ist. Ich glaube sogar, es war ein guter Freund des Hrn. Dr. Brüel. Er heißt Leetzen und er hat ein Buch geschrieben über den hannover⸗ schen Staatshaushalt. Da heißt es: 6
Die Einkommensteuer hat 1834 bis 1835 etwa 28 000 Thaler, seitdem aber jährlich ziemlich unverändert ungefähr 30 000 Thaler betragen. Erst 1850 bis 1851 ist sie auf 33 670 Thaler gestiegen.
Jetzt denken Sie sich in einem so wohlhabenden Lande eine Einkommensteuer, die 2 ½ % des Einkommens beträgt, mit 30 000 Thaler! — Nun heißt es weiter:
Auch läßt sich wohl nicht bezweifeln, 8 — sagt dieser beste Kenner des hannoverischen Finanzwesens — daß die fast lediglich auf eigene Angaben der Steuerpflichtigen gestützte Beschreibung der Einkommensteuer keineswegs alles gesetz⸗ lich pflichtige Einkommen trifft. (Hört, Hört! rechts.) Ueber die Unzulänglichkeit der Beschreibung 8 1 — das heißt: der Steuerveranlagung nach unserer Ausdrucksweise — ist oft geklagt und gewiß mit vollem Recht. Wenn der Hr. Abg. Dr. Brüel also, um seinen Antrag zu begründen, sich auf diese Erfahrung stützt, so glaube ich, kann ich mich mit viel mehr Recht für das Gegentheil auf dieselben Erfahrungen stützen. (Bravo! Sehr richtig! rechts.
Damit schließt die Debatte. Die Anträge werden ab⸗ gelehnt und §. 38 unverändert angenommen, ebenso §. 39.
Um 4 ½ Uhr wird die weitere Berathung vertagt.
wirthschaftlichen Unfallversicherungsgesetz unterworfen
Preise.
8 1. 8
hs⸗Anzeiger und Königlich Pren
———
Rekursentscheidungen des Reichs⸗Versicherungsamts.
(939.) Ein Restaurateur ließ für seine Rechnung durch von ihm angenommene Arbeiter ein ihm gehöriges Gelände zum Zweck der An⸗
lage von Gärten ausfüllen und ebnen. Das Gelände hatte eine Größ⸗ von etwa 860 gm, und es waren etwa 200 Fuder Erde zu vertheilen.
Hierbei erlitt einer der Arbeiter des Restaurateurs einen Unfall. Die Tiefbau⸗Berufsgenossenschaft beziehungsweise deren Versicherungsanstalt ehnte den Entschädigungsanspruch desselben mit der Begründung ab,
daß es sich hier nicht um eine Regie⸗Erdarbeit, sondern um die Anlage
eines Ziergartens gehandelt habe, welche nach §. 1 Absatz 5 des landwirth⸗ g 8
schaftlichen Unfallversicherungsgesetzss der Versicherungspflicht nicht unterliege. Das Schiedsgericht war dieser Auffassung beigetreten. Durch Rekursentscheidung vom 20. November 1890 ist die Versiche⸗
rungsanstalt der Tiefbau⸗Berufsgenossenschaft zur Gewährung der gesetzlichen Entschädigung verurtheilt worden. Das Bauunfall⸗ versicherungsgesetz hat alle Arbeiter, welche bei der Ausführung von Bauarbeiten beschäftigt und nicht schon auf Grund der älteren Unfall⸗ versicherungsgesetze versichert sind, der Versicherung unterworfen, ohne Rücksicht auf den Umfang der Arbeiten (zu vergleichen §. 1
Absatz 1 und §. 21 Litt. b. des Bauunfallversicherungsgesetzesz). Es 8
unterliegt aber keinem Zweifel, daß das Bewegen von Erdmassen zur Höherlegung oder Ausfüllung von Unebenheiten des Bodens an sich und abgesehen von der demnächstigen Verwendung der Bodenfläche
eine Bauarbeit darstellt. Diese Bauarbeit ist bei der Tiefbau⸗Be⸗ 8
rufsgenossenschaft beziehungsweise, da es sich hier um eine Eigenbau⸗ arbeit handelt, bei deren Versicherungsanstalt versichert. Denn eine Versicherung bei der zuständigen land⸗ und forstwirthschaftlichen Be⸗ rufsgenossenschaft würde nur dann in Frage kommen können, wenn die Arbeit Bestandtheil eines landwirthschaftlichen Betriebes des Restau⸗
rateurs gewesen wäre. Hier aber fehlt es an einem solchen schon des⸗ halb, weil die von dem Kläger und den übrigen Arbeitern geleisteten
Erdarbeiten erst die Anlage von Gärten ermöglichen sollten. Es kann alss dahingestellt bleiben, ob die Gartenanlage nach ihrer dem⸗ nächstigen vollen Fertigstellung etwa als Parkwirthschaft dem land⸗
oder gemäß §. 1 Absatz 5 a. a. O. als Ziergarten von der Versicherung nach diesem Gesetz ausgeschlossen sein sollte. Letzterenfalls ist aber ent⸗
2
gegen der Auffassung der Beklagten nach dem klaren Wortlaut der letztangeführten Vorschrift nur die „Bewirthschaftung“ des Gartens
der Versicherungspflicht entzogen, nicht etwa auch die Herrichtung desselben, soweit diese, wie hier, als Bauarbeit anzusehen und daher
nach Maßgabe des Bauunfallversicherungsgesetzes versichert ist.
1 (940.) Ein selbstversicherter landwirthschaftlicher Unternehmer hatte sich bei der Züchtigung eines seiner in der Landwirthschaft mit⸗ thätigen Kinder verletzt, indem er mit der Hand in ein Messer schlug,
welches das zu strafende Kind bereits ergriffen hatte, um Viehfutter
zu schneiden. Durch Urtheil vom 18. Dezember 1890 hat das Reichs⸗
9
Versicherungsamt das Vorliegen eines Betriebsunfalls verneint,
weil, wie festgestellt, der Kläger seine Tochter durch den Schlag, bei dem er sich verletzte, lediglich dafür hat strafen wollen, daß sie kurz zuvor ihren Bruder geworfen hatte, nicht aber, um sie etwa zur schleunigeren Inangriffnahme des Futterschneidens zu veranlassen. Der Grund de
Züchtigung wurde daher nicht in der Stellung des Klägers als eines landwirthschaftlichen Arbeitgebers, sondern in der Ausübung der haus⸗
väterlichen Strafgewalt gefunden, und es reichte die Thatsache, daß das von dem Kinde ergriffene Messer zu Wirthschaftszwecken bestimmt war, nicht aus, um den Unfall als bei dem landwirthschaftlichen Be⸗ triebe eingetreten erscheinen zu lassen.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Invaliden⸗ und Altersversicherung. Der Erlös an verkauften Beitragsmarken für die Invali⸗
ditäts⸗ und Altersversicherungs⸗Anstalt Berlin betrug, hiesigen
Blättern zufolge, für die Monate Dezember und Januar 486 000 ℳ
Die Lage der Industrie und des Handels
war in den letzten Monaten im Regierungsbezirk Potsdam eine
ziemlich günstige. Hat auch das Jahr 1890 mit seinen Vertheue⸗ rungen der Rohmaterialien und vielen Arbeiter⸗Ausständen eine ge⸗
wisse Unsicherheit und Zurückhaltung in den Geschäftsabwickelungen
und dadurch einen wesentlichen Zurückgang der heimischen Industrie
gegen die Vorjahre hervorgerufen, so läßt sich doch — wenigstens in
einzelnen Industriezweigen — eine Besserung nicht verkennen.
Die von der Ausfuhr abhängenden Industriezweige zeigten sich ausreichend beschäftigt; doch waren die Geschäftsverbindungen nach Süd⸗Amerika während der dortigen unsicheren politischen Zustände speziell für die Hut⸗ und Tuchindustrie außerordentlich er⸗ schwert. Das Ausfuhrgeschäft nach Nord ⸗Amerika war noch nutzbringend, hat jedoch durch das Inkrafttreten des neuen Zolltarifs (Mac Kinley⸗Bill) eine Schädigung erfahren, deren Folgen allerdings erst später zu erkennen sein werden. Ver⸗
kürzungen der Arbeitszeit und Arbeiterentlassungen sind mehrfach,
Betriebseinstellungen dagegen nur vereinzelt vorgekommen. Neubauten oder Erweiterungen von Fabriken sind in geringer Anzahl und fast
nur in den größeren Industriestädten in Angriff bezw. in Betrieb
genommen worden. “ 8 Von den einzelnen Industriezweigen ist hervorzuheben, daß die vom Baugewerbe abhängigen Industrien, wie die Ziegel⸗, Ofen⸗, Glas⸗ und Holzschneide⸗IJndustrie, in den letzten Monaten wegen des allgemeinen Ruückganges der Bauthätigkeit durchschnittlich wenig befriedigt waren und zum Theil erhebliche Preisermäßigungen ein⸗ treten lassen mußten.
Die Papier⸗ und Pappenfabrikation war im Allgemeinen befriedigt beschäftigt, hat jedoch gegen einen großen Mitbewerb zu arbeiten und erzielt immer noch geringe Preise.
Die Rübenzucker⸗Industrie ist weniger als alle anderen In⸗
dustrien durch die herrschende Geschäftskrisis in Mitleidenschaft ge⸗
zogen. Durch die in diesem Jahre in jeder Beziehung befriedigend ausgefallene Ernte sind die Fabriken gut beschäftigt und erzielen er⸗ trägliche Resultate. “
Das Leder geschäft war im Allgemeinen als zufriedenstellend zu
8 bezeichnen. Recht gut gingen lohgare Roß⸗, Schaf⸗ und Rindleder;
auch schwarze Glanzleder verkauften sich flott und erzielten befriedigende
Die Geschäftslage der Taback⸗ und Cigarrenfabrikation war eine allgemein befriedigende. Die diesjährige Ernte lieferte einen lohnenden Ertrag, und auch die Fabriken zeigten sich gut beschäftigt.
Handfertigkeitsunterricht.
Die vor zwei Jahren eingeleiteten Bestrebungen, dem Knaben⸗ Handfertigkeitsunterricht im Reg.⸗Bez. Köln Eingang zu verschaffen, sind andauernd von günstigem Erfolg begleitet. Die Gemeinden bringen diesem Unterrichtsgegenstand mehr und mehr Interesse ent⸗
gegen und übernehmen die Kosten für denselben. Der Handfertigkeits⸗
unterricht wird zur Zeit ertheilt in den Gemeinden Bonn, Euskirchen, Mül⸗ heim a. Rh., Wahlscheid, Siegburg, Kalk, Worringen, Godesberg, Honnef, Rodenkirchen, Köln⸗Ehrenfeld und Köln⸗Altstadt. In dem
8 letztgenannten Orte sind drei Unterrichtskurse in den Knabenhorten,
Zweite Beilage
Berlin, Freitag, den 20. Februar
ßi
drei für nicht zahlende Schüler und drei für zahlende Schüler der höheren Lehranstalten eingerichtet worden.
Deutsche Arbeiterkolonien. 8 In der gestrigen Schlußsitzung wurde über die Frage: „
kann geschehen, um die Halbinvaliden, Krüppel und Greise von d
Landstrasen, Verpflegungsstationen und Kolonien, wohin sie sich jetzt aus Noth drängen, gründlich wegzuschaffen und dieselben barmherzig und christlich zu versorgen?“ verhandelt und schließlich folgende von dem Bezirks Präsidenten Frhrn. von Reitzenstein beantragte Resolution: „Der Centralvorstand erklärt es für ein dringendes Bedürfniß, daß den Ucbelständen, wie sie aus der Inanfpruchnahme der Arbeiterkolonien für Halb⸗ invalide, Krüppel und Greise erwachsen, durch eine intensivere und zweckentsprechendere Handhabung der den Armenbehörden ob⸗ liegenden Fürsorge für derartige Hülfsbedürftige Abhülfe geschafft werde. Dem Zweck solcher Fürsorge, soweit sie nach Lage der Um⸗ stände zu gewädren ist, entsprechen am Meisten Anstalten, welche von größeren Verbänden, Kreis⸗, Provinzial⸗, Kommunal⸗Verbänden unterhalten werden: — angenommen. Ferner wurde über den „Arbeitsnachweis in den Arbeiterkolonien“ rerhandelt. Die von dem Referenten, Regierungs⸗Rath Evert beantragte Reso⸗ lution: „Um das wirthschaftliche Hauptziel der Kolonien, die spätere
Wiedereinführung ihrer Zöglinge in geeignete feste Arbeitsstellen, möglichst vollkommen und sicher zu erreichen, ist neben einer Be⸗ schäftigung oder Anlernung der Kolsnisten von angemessener Art und Dauer, namentlich der weitere Ausbau der Einrichtungen für Arbeitsvermittelung bei diesen Anstalten erwünscht. Es gehören hierher insbesondere die Pflege persönlicher Beziehungen zu den Arbeit⸗ gebern des Bezirks, die Benutzung der Zeitungsanzeigen, die Ver⸗ öffentlichung der Monatsausweise mit Berufsangabe der Kolonisten, endlich die Verbindung mit anderweitigen Arbeitsnachweisen und ge⸗ werblichen Körperschaften. Es empfiehlt sich ferner, sowohl die Arbeitsvermittelung füt die Kolonisten, wie auch die spätere Ver⸗ bindung mit ihnen auf ein ausgebreitetes Netz von ständigen Ver⸗ trauensmännern in Stadt und Land zu stützen“ — wurde angenommen. Es wurde ferner beschlossen, fortan nur alle zwei Jahre zusammen⸗ zutreten. Betreffs der Invaliden⸗ und Altersversicherung der Kelo⸗ nisten soll zunächst mit dem Reichs⸗Versicherungsamt in Verhandlung getreten werden.
Zur Arbeiterbewegung. 1
Die Arbeitseinstellung auf der Zeche „Ver. Trappe“ ist, wie der „Rh. Westf. Ztg.“ aus Silschede berichtet wird, beendet. Am Mittwoch sind von der ganzen Morgen⸗ und Mittags⸗ schicht zusammen nur 12 Mann ausgeblieben.
In Riesa legten am Mittwoch Nachmittag gegen 300 Ar⸗ beiter am Bahnhofsumbau die Arbeit nieder. Es geschah, wie dem „Vorwärts“ berichtet wird, mit einem Schlage. Sämmtliche Arbeiter gehören keiner Organisation an, es hatten sich nur 3 oder 4 geweigert, für den Lohn zu arbeiten und in weniger als fünf Minuten ruhte alles. Der Unternehmer hat den Arbeitern von jeder Lowry 40 ₰ abgezogen. Früher bekamen sie 2 ℳ, jetzt 1,60 ℳ, dazu gehören je vier Mann zu einem Wagen und vier Wagen werden den Tag über gewöhnlich voll, in Folge dessen bleiben pro Mann 40 ₰ Defizit den Tag gegen früher.
In Charlottenburg baben die Glasarbeiter der grünen Hütte ihre Forderungen bewilligt erhalten, sodaß dort der zum 1. März drohende Ausstand vermieden ist. 8
In Heidenheim a. d. Ber. fand am 15. d. M. eine sozial⸗ dempkratische Versammlungstatt, zu welcher dem „Schw. M.“ zufolge hauptsächlich die Arbeiter und Arbeiterinnen der Textil⸗ industrie geladen waren. Der sächsische Referent Brett⸗ schneider sprach über die Lage der Textilarbeiter. Die Schuld aller Mißstände sehe er in der heutigen Produktionsweise, die nur durch Verstaatlichung aller Fabriken im sogenannten Zukunftsstaat gebessert werden könne. Fabrikant Alb. Hartmann entgegnete dem Redner, daß die geschilderten schlimmen Zustände glücklicherweise für Heidenheim nicht zutreffen, da die Arbeitgeber stets ein offenes Ohr für berechtigte Wünsche und Klagen der Arbeiter gehabt haben. Jeder Unbefangene müsse zugeben, daß die Lage der Arbeiter in den letzten Jahren sich gegen früher bedeutend besser gestaltet habe. Wenn auch da und dort noch zu bessern sei, so würde diese Besserung nicht auf dem Wege der Sozial⸗ demokratie zu erreichen sein, denn dieser führe zum gewalt⸗ samen Umsturz der bestehenden Verhältnisse. Die Arbeiter würden mehr erreichen durch friedliches Vorgehen und einträchtiges Zu⸗ fammenwirken mit den Arbeitgebern. Auch dürften die Arbeiter die Ueberzeugung gewonnen haben, daß von Seiten der Reichsregierung und unseres Kaisers sich warmes Interesse für Verbesserung der Arbeiterlage in den Gesetzen bethätige. Nach Schluß der Erörterung verlas Brettschneider einen Aufruf zur Bildung eines Fachvereins für Textilarbeiter. “
In Leipzig fand am letzten Dienstag eine Versammlung der Graveur⸗ und Ciseleurgehülfen statt, in welcher nach dem Bericht der „Lpz. Ztg.“ ein Hr. Zack aus Berlin über die geplante Be⸗ wegung der Arbeiter im graphischen Gewerbe sprach. Er sah für diese Bewegung keinen Erfolg voraus und warnte davor, sich voreilig hineinzustürzen. Die graphischen Arbeiter würden voraussichtlich auf sich felbst angewiesen sein. Die General⸗Kommission der Gewerkschaften Deutschlands werde ihre Unterstützung versagen müssen, da es sich um einen Angriffsstrike bandle und prinzipiell nur Abwehr⸗ strikes die allgemeine Unterstützung genießen sollen. Trotz dieser Unter⸗ stützung seien die strikenden Schuhmacher in Erfurt unterlegen und würden die Hamburger Tabackarbeiter demnächst die Arbeitseinstellung erfolglos aufheben müssen. Es sei nicht anzunehmen, daß die graphischen Gewerbe ohne diese Unterstützung ihre Forderungen durch⸗ setzen würden, und er verstehe nicht, wie das Leipziger Gewerk⸗ schaftskartell die Bewegung habe gutheißen können. Die Versamm⸗ lung erkannte zwar offenbar das Zutreffende dieser Ausführungen an, indessen schien den während der Debatte vorgebrachten Aeußerungen nach die Ansicht vorzuherrschen, daß man sich dem einmal gefaßten Beschlusse gemäß an der Bewegung betheiligen und sie unterstützen müsse, wenn es nicht möglich sei, sie rückgängig zu machen.
Hier in Berlin wurde am letzten Montag in einer Versamm⸗ lung der in der Pelzmützen⸗ und Zurichterbranche beschäftig⸗ ten Arbeiter und Arbeiterinnen über die Stellung zu einer diesjährigen Lohnbewegung verhandelt. Es wurde, wie die Berliner „Volks⸗Ztg.“ mittheilt, hervorgehoben, daß der im Jahre 1889 festgesetzte Tarif vielfach nicht mehr eingehalten werde, und daß ein Festhalten an demselben Existenzbedingung für die Arbeiter sei. Der starke Ge⸗ schäftsgang in diesem für das Kürschnergewerbe so günstigen Winter habe die Lagervorräthe erschöpft, sodaß man mit Aussicht auf Erfolg an eine Lohnbewegung denken könne. Die selbst⸗ ständigen (hausindustriellen) Kürschner betonten, sich zwar in keiner besseren Lage zu befinden, trotzdem aber können sie an die Fabrikanten keine höheren Forderungen stellen. Es wurde beschlossen, in vier Wochen noch eine Versammlung einzuberufen, in welcher eine Lohnkommission gewählt werden soll. Außerdem ver⸗ pflichteten sich die Anwesenden (auch die Selbständigen), in den Verband der deutschen Kürschner einzutreten. — Außer hier schon erwähnten Einzelarbeitseinstellungen führt es Blatt
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noch die Former der Bronze⸗ und Messingwaarenfabrik von S A. Loevy und die Tischler in der Werkstatt von E. Dewitz an. Aus Frauenfeld (Schweiz) wird dem „Vorwärts“ geschrieben, daß die Firma Martini u. Co. Maschinenfabrik die Akkordlöhne der Büchsenmacher um 20 % reduzirt hat. Die Arbeiter traten in Unterhandlung mit dem Fabrikanten, wurden aber abgewiesen. Sämmtliche Büchsenmacher kündigten in Folge dessen am 16. d. M. die Arbeit. Wie aus Rom gemeldet wird, haben in der Tuchfabrik Senators Rossi in Schio gegen 30090 Arbeiter wegen setzung des Lohnes die Arbeit niedergelegt. Man weitere Arbeitseinstellungen. 1
Kunst und Wissenschaft.
ꝓ† Als sich das Comité zur Errichtung des Schinkel⸗ Denkmals auflöste, überwies es den selbst nach Ausschmückung des Platzes vor der ehemaligen Bau⸗Akademie noch verbliebenen Rest des aufgesammelten Kapitals dem Kultus⸗Ministerium zu gelegentlicher Erwerbung Schinkel’'scher Nachlaßgegenstände. Auf Grund dessen sind nunmehr der Königlichen Nationalgalerie das Originalgemälde einer französisch⸗ gothischen Kathedrale, deren Kopie dieselbe bereits besaß, der Königlichen Technischen Hochschule in Charlottenburg dagegen eine größere Sammlung von Skizzen zu den Fresko⸗ bildern des Alten Museums sowie zu verschiedenen Bauten, ferner eigenhändige Notizen Schinkel's welche er auf seinen Reisen gemacht hatte, endlich auch allerlei Dokumente, welche sich auf Schinkel's amtliche Stellung beziehen, zur Vervoll⸗ ständigung des dortigen Schinkel⸗Museums zugetheilt worden.
† In der Königlichen Technischen Hochschule wird das vom Bildhauer Hartzer dem Kultus⸗Ministerium zur Verfügung gestellte Modell zu der von ihm gefertigten Statue von Wöhlers demnächst seine Aufstellung finden, während die von demselben Bildhauer ausgeführte Marmorbüste des Phi⸗ lologen Sauppe nach Göttingen in die Universitäts⸗Aula ge⸗ langen wird.
ꝓ†½ Ein m Laufe des verflossenen Sommers in der Nähe des bei Trier gelegenen Ortes Ehrang aufgedecktes Platten⸗ grab merovingischer Zeit ist von dem Provinzial⸗Museum in Trier im Oktober und November v. J. einer ein⸗ gehenden Untersuchung unterzogen worden. Hierbei wur⸗ den 75 fränkische und 19 römische Gräber und außerdem die Grundmauern eines umfangreichen römischen Gebäudes ge⸗ funden. Die Untersuchung des letzteren ist noch nicht beendet. Die fränkischen Gräber waren offenbar theilweise schon durchwühlt, haben aber doch noch eine größere Anzahl gut erhaltener Waffen, tauschirter Schnallen, einige ver⸗ zierte Bronzeschnallen, Rundfibeln, einige Ringe und Gläser ergeben; die römischen Gräber enthielten einige sehr kostbare Gläser. Von Einzelfunden, welche dem Provinzial⸗Museum in letzter Zeit zugeführt wurden, ver⸗ dienen Erwähnung: ein Bronzearm, in Trier gefunden und von einer halblebensgroßen Statue herrührend, sowie ein schöner, mit Steinen verzierter mittelalterlicher Ring aus schwerem Golde. Seitens Sr. Hoheit des Fürsten von Hohenzollern⸗Sigmaringen ist dem Museum eine huldvolle Schenkung gemacht worden, welche in den Gypsabgüssen eines kleinen Dianastandbildes und eines Altars mit In⸗ schriften besteht; diese Bildwerke wurden vor Jahren unweit Bertrich gefunden und waren in die Sammlung des Fürsten übergegangen.
Verein für Geschichte der Mark Brandenburg.
Hr. Graf zur Lippe⸗Weißenfeld, sprach in der Sitzung vom 11. Februar über einen Günstling Friedrichs des Großen, den Neisser Schuhmacher und Gastwirth Göppert. Der König lernte den strebsamen Bürger während des zweiten schlesischen Krieges kennen, unterstützte ihn beim Hausbau und verlieh ihm ein Apotheken⸗ privilegium. Im Neubau richtete Friedrich sich ein Absteigeqzartier ein, das er auch nach dem Tode Göppert's, der den siebenjährigen Krieg überlebte, regelmäßig benutzte. Ebenso haben Friedrich Wilhelm II., Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise, Friedrich Wilhelm IV, so oft sie zu Neisse übernachteten, in Göppert'’s „Bergapotheke“ gewohnt. — Hr. Archivar Dr. Mei⸗ nardus machte einige Mittheilungen über bisher zum größten Theil unbekannte Einrichtungen des Großen Kurfürsten zur Förderung von Handel und S chiffahrt und über die Einsetzung von Kommerz⸗Kollegien. Nach der Eroberung Stettins, Januar 1678, beabsichtigte der Kurfürst, die Kom⸗ merziensachen, deren Erledigung bisher Sache der Amtskammer ge⸗ wesen war, eigenen Behörden zu unterstellen. In verschiedenen Küsten⸗ plätzen Pommerns und Preußens sollten Kommerz⸗Kollegien eingesetzt werden, die in ein bestimmtes Verhältniß zu einem in Berlin zu er⸗ richtenden General⸗Kommerz⸗Kolleg treten sollten. Von hier aus sollte der innere und auswärtige Handel neu organisirt und Gewerbe und Industrie zu vermehrter Thätigkeit angeregt und gefördert werden. Der Friede von St. Germain vereitelte diese Pläne. Nur ein 1678 in Berlin errichtetes Kommerz⸗Kolleg, von dessen Zusammensetzung und Befugnissen wir aber nur wenig wissen, blieb bestehen. Der Kur⸗ fürst suchte nun seine Entwürfe in anderer Weise zu verwirklichen. In dem Edikt vom 24. Dezember 1680 über die Freiheit derjenigen, so nach Königsberg in Preußen und in Pommern zu Schiffe handeln, werden den einheimischen Schiffsrhedern freie Holzlieferung für den Schiffsbau und andere namhafte Vortheile zugesichert, ferner geeignete Maßregeln zur Vertiefung der Fahrrinne zwischen Pillau und Königsberg in Aussicht gestellt und andere Einrichtungen zur Belebung des auswärtigen und inneren Handels in Preußen und Hinterpommern versprochen. In den folgenden Jahren ist man dann in beiden Provinzen mit Hülfe einheimischer Sachverständiger mit gutem Erfolge in diesen Richtungen vorgegangen. Erwähnenswerth ist besonders auch, daß es dem Kurfürsten gelang, in Hinterpommern einen neuen Handelsweg zur See ins Leben zu rufen, auf dem kunäch das französische Boysalz, womit Hinterpommern und die Neumar bisher von Stettin aus versehen waren, eingeführt wurde, und zwar in der Weise, daß von Kolberg aus die Tonnen durch Landfuhren 8 Dramburg an der Drage gebracht und von dort auf der mit vieler Mühe schiffbar gemachten Drage in die Netze, Warthe und 8, schifft wurden. Auch andere Waaren und Güter suchten bal Weg auf, von dem man sich viel versprach. Zur WSeitecesheee ung der begonnenen Organisationen sollten nun die Kommerz⸗Kollegien dienen, über deren Einsetzung im Anfang des Jahres 18984 rathungen in Berlin stattfanden, denen namentlich auch eine Denk⸗ schrift Raules zu Grunde lag. Hierin werden die allgemeinen Kompetenzen der Kommerz⸗Kollegien berührt: sie sollten Handels⸗ gerichte sein, um alle Streitigkeiten und Prozesse in Handelssachen ohne weitläufiges Verfahren schleunigst zu erledigen, und Verwaltungs⸗