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Darin stimme seine (des Redners) Partei mit ihm überein, daß der Offizierstand aus den gebildeten und besten Kreisen des Bürgerthums hervorgehen möge. In erster Linie verdienten aber die Familien Berücksichtigung, deren Söhne durch Generationen in der Armee in uneigennütziger und aufopfernder Weise gedient hätten. Die Vermehrung der Armee sei bisher eine viel größere gewesen, als die Vermehrung der Kadetten, und deshalb könne man die hier ge⸗ wünschte Vermehrung der Kadetten nur mit Freude begrüßen. Man wisse doch und billige es, daß die Lehrersöhne an Gymnasien vesentliche Vortbeile hätten in dem Erlaß des Schulgeldes; warum wolle man eine solche Wohlthat nicht auch den Offizierssöhnen, den Söhnen der Wittwen der gefallenen Offiziere gewähren? Die Kadettenhausbildung sei keineswegs eine eng begrenzte, sie habe sich schlechterdings als eine der besten Erziehungen heraus⸗ gestellt, sie sei geradezu vorbildlich für alle anderen Erziehungs⸗ anstalten. Daß die Kadettenbausbildung eine sehr gute sei, gehe schon daraus hervor, daß viele junge Leute aus den Kadetten⸗ häusern, die aus Gesundheitsrücksichten die Militärcarriere aufgeben müßten, sich in einem bürgerlichen Berufe als tüchtig bewährten. Er empfehle die unbedingte Bewilligung der Position.
Abg. Richter: Er vermöge in den Ausführungen des Abg. Hinze durchaus keinen Widerspruch zu erkennen. Es heiße doch bei⸗ nahe die Augen verschließen, wenn man leugnen wolle, daß hier ein wichtiges Prinzip in Frage komme. Allerdings handele es sich hier nur um 80 neue Stellen. Diese wurzelten aber in der Denk⸗ schrift, welche das ganze System mit Schärfe zur Geltung bringe. Er wisse nicht, ob jetzt noch geklagt werden könne, daß sich nicht junge Leute genug meldeten bei den Regiments⸗ Commandeuren, um auf Avancement zu dienen. Vor einiger Zeit habe man sehr lebhaft in bürgerlichen Kreisen über die Schwierigkeiten geklagt, die von vielen Regiments⸗Commandeuren gemacht würden bei der An⸗ nahme solcher jungen Leute als Avantageure, z. B. unter Hinweis auf die Beschäftigung des Vaters, auch wenn derselbe ein geachteter Kauf⸗ mann oder Fabrikant gewesen sei. Der Zudrang habe unzweifelhaft auch darunter gelitten, daß von den Regiments⸗Commandeuren zu viel Privatzulagen verlangt worden seien. In der bekannten Kabinetsordre werde gerade darauf hingewirkt, daß man die For⸗ derungen dieser Zulagen nicht so hoch stellen möge, und es werde das Einreißen eines zu großen Luxus im Offiziercorps gerügt, welches ein Hinderniß dafür sei, daß sich das Offiziercorps aus bürgerlichen Kreisen ergänze. Der Reichskanzler habe vorgestern eine Aeußerung gethan gegen ihn (den Redner), auf die er in diesem Zu⸗ sammenhang zurückkommen könne. Der Reichskanzler habe ge⸗ meint, daß das Mißtrauen gegen den preußischen Offizier bei ihm (dem Redner) sich zu einem chronischen Leiden ausgebildet zu haben scheine. Er habe bei keiner Ge⸗ legenheit ein Mißtrauen zur technischen Befähigung oder zur mora⸗ lischen Qualifikation der Offiziere oder des Offizierstandes kundgegeben, und wenn er auch gar keine Gelegenheit hätte, sich über den Werth des Offiziercorps zu unterrichten, so würden die 20 Jahre, während deren er mit höheren und niederen Offizieren in der Budgetkommission ver⸗ kehrt habe, schon allein hingereicht haben, um ihn zu überzeugen von dem hohen Maß von Sach⸗ und Fachkenntniß innerhalb des Offiziercorvs, von dem Streben, alle technischen Fortschritte der Zeit für das Heer auszunutzen und namentlich alle Fortschritte des Auslandes nachzuahmen und für das eigene Heer nutzbar zu machen. Was er aber sehr oft bei den Offizieren vermißt habe, sei eine ge⸗ nügende Kenntniß der bürgerlichen Verhältnisse, eine gerechte Würdi⸗ gung und Abwägung der bürgerlichen und militärischen Interessen. Man habe zu einseitig die militärischen Verhältnisse betont, um einen Ausgleich mit den bürgerlichen Interessen zu finden. Wie wenig man oft die bürgerlichen Verhältnisse wirklich kenne, gehe daraus hervor, daß ein sehr hervorragender Offizier noch vor einigen Monaten den bekannten Vergleich zwischen den Ferienkolonien und der Militärdienstzeit gemacht habe. Es würde ein viel größeres Verständniß der bürgerlichen Verhältnisse und damit eine viel größere Leichtigkeit der Verständigung zwischen bürgerlichen und militärischen Interessen vorhanden sein, wenn nicht die Offiziere sich in einem großen Umfange aus dem Kadettenhause rekrutirten. Die Kadetten würden in einem frühen Lebensalter, wo das Kind kaum auf⸗ höre zu spielen, von den Eltern getrennt und lediglich mit solchen jungen Leuten, die auch nur für denselben Beruf vorgebildet würden, zusammen erzogen. Das ganze Dichten und Trachten konzentrire sich natur⸗ gemäß auf die Offizierslaufbahn. Könne man sich da wundern, wenn eine gewisse Entfremdung für die bürgerlichen Interessen und ein geringeres Verständniß für die bürgerlichen Verhältnisse dann im Offiziercorps Platz griffen?
General⸗Lieutenant Vogel von Falckenstein: Die Rede des Abg. Hinze habe nicht klar erkennen lassen, aus welchen Gründen man sich eigentlich über das System des Kadettencorps beschwere. Der Abg. Richter habe diese Lücke ausgefüllt und darauf aufmerksam gemacht, daß im Allgemeinen eine einseitige Ausbildung in diesen militärischen Fachschulen stattfinde, welche eine Abneigung gegen die⸗ selben in weiten Kreisen hervorbringe. Er sei dann auf gewisse Einzel⸗ heiten eingegangen, die ihn (den Redner) speziell interessirten. Er habe die Konsequenzen einer einseitigen Kadettenausbildung soweit gezogen, daß er gemeint habe, es hätte sogar ein Kommissar der Miilitärverwaltung sich zu einer derartigen Aeußerung verstiegen, wie der bekannte, hier so beliebte Vergleich mit den Ferienkolonien. Zunächst müsse er (Redner) zu seinem Bedauern dem Abg. Richter erwidern, daß Derjenige, der diese Aeußerung gethan, nicht dem Kadettencorps entstamme. (Heiterkeit rechts.) Aber er sei dem Abg. Richter dankbar, daß dieser ihm die erwünschte Gelegenheit gegeben habe, der von ihm jetzt zu einem geflügelten Worte gemachten Bemerkung doch nur endlich einmal die Wahrheit angedeihen zu lassen. Er (Redner) habe in jener Kommissionssitzung wörtlich ge⸗ sagt: „Im Vergleich zu dem Leben in gewissen Fabriken, im Ver⸗ gleich! ist das Leben in den Kasernen in Bezug auf Gesundheitspflege vielfach die reine Ferienkolonie. (Zustimmung rechts.) Man habe von dem Abg. Richter vernommen, daß allerdings Kreise existirten, welche eine gewisse Abneigung gegen die Kadettenerziehung hätten. Er müsse nun aber doch gestatten, auch einmal der Kreise zu gedenken, welche das Gegentheil von einer derartigen Abneigung hätten und viel⸗ leicht am Meisten dabei interessirt seien, das seien nach seiner (des Redners) Auffassung die Familien und demnächst die Armee selbst. Von diesen beiden Kreisen seien bisher Bedenken gegen diese Art der Erziehung noch nicht vorgebracht worden. Das gehe daraus hervor, daß der Andrang zu diesen Anstalten ein außerordent⸗ licher sei, daß die Eltern ausnahmslos mit voller Zufriedenheit die Erziehung ihrer Kinder dort verfolgten. Ohne sich auf Einzelheiten einzulassen, bemerke er, daß die Kadettencorps bei den letzten Schul⸗ engueten ausgezeichnet gut abgeschnitten hätten. (Zustimmung rechts.) Die Leute, die aus dem Kadettencorps hervorgingen, zählten heute noch iu den Helden Deutschlands. Er könnte eine große Zahl solcher Namen nennen, welche das, was sie dem Vaterlande geleistet hätten, der Erziehung im Kadettencorps verdankten, und danach habe man gar keine Veranlassung, von diesem durchaus bewährten System in irgend einer Weise abzugehen. (Beifall rechts.) G 8
Abg. Dr. Pieschel: Die Ausführungen des Abg. Hinze würden von seinem Standpunkt richtig sein, wenn die Kadettenhäuser den Eintritt von Avantageuren aus bürgerlichen Kreisen beeinträchtigten. So liege aber die Sache nicht, es könne vielmehr Jeder, der sonst die nöthigen Voraussetzungen biete, Offizier werden. Die bürgerlichen Kreise lieferten indeß den ganzen Bedarf nicht; man müsse deshalb auf anderweitige Vermehrung der Offiziere Bedacht nehmen, selbst wenn man — er spreche dabei nur im Sinne des Abg. Hinze — auf diesem Wege minderwerthiges Material schüfe.
Abg. Richter: Es sei ihm nicht unbekannt gewesen, daß der General Vogel von Falckenstein nicht aus dem Kadettencorps hervor⸗ gegangen sei. Er mache aber derartige Bemerkungen überhaupt nie⸗ mals zugespitzt auf einzelne Persönlichkeiten der Vertreter der ver⸗ bündeten Regierungen, wie von den Herren angenommen zu werden scheine. Er habe immer die Meinung gehabt, daß der General damals nicht bloß seine subjektive Auffassung mitgetheilt, sondern diejenigen Anschauungen, die in den Kreisen der Militär⸗Verwaltung
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überhaupt verbreitet seien. Die Klage, daß seine damaligen Aeuße⸗
rungen vielfach falsch kolportirt würden, wundere ihn (den Redner). Als er seinen Vortrag in der Kommission geendet, habe er (Redner) sofort den Antrag gestellt, um Mißverständnissen vorzu⸗ beugen, genau den Wortlaut festzustellen und dem gesammten Reichs⸗ tage zugänglich zu machen. Der General habe zugesagt, diese Zu⸗ sage sei aber nicht erfüllt worden, trotz seiner wiederholten Anregung. Der General sei also selbst schuld, wenn seine Aeußerungen anders kolportirt würden, als sie damals gemacht seien. Er (Redner) habe seine damaligen Aufzeichnungen im Augenblicke nicht gegenwärtig, um sie entgegenzuhalten. In der Sache selbst sei mit der Ferienkolonie etwas mehr gemeint gewesen, als das Leben der Fabrikarbeiter ent⸗ gegenzustellen dem Kasernenleben. Denn seine Partei habe die Ver⸗ kürzung der Dienstzeit nicht bloß der Fabrikarbeiter, sondern all⸗ gemein verlangt; und was würde das Argument bedeutet haben, wenn es sich bloß auf die Fabrikarbeiter und nicht auf allgemeine Ver⸗ hältnisse bezogen hätte? Nach seinen stenographischen Aufzeichnungen, die ihm eben überbracht würden, habe der General gemeint: „Ueber die Hälfte der Soldaten befindet sich in der Kaserne besser als daheim; dort bekommen sie höchstens an hohen Festtagen Fleisch zu essen, in der Kaserne täglich so viel Fleisch sie mögen; er habe wahr⸗ genommen, daß die Soldaten, durch die Ernährung mit Kommißbrot bis zum Platzen stark gemacht, nach Jahresfrist als abgemagerte Reservisten aus ibrem Privaterwerbsleben zurückkehren; das Leben in der Kaserne habe für sie die Wirkung des Lebens in der Ferienkolonie bezüglich der Hygiene.“ Hier sei also gar nicht die Rede von Fabrikarbeitern. Die stenographische Aufzeichnung sei gemacht in dem Augenblick, wo der General gesprochen habe.
Damit schließt die Diskussion.
Der Antrag Richter wird abgelehnt, die Forderung unverkürzt bewilligt.
Zu Tit. 26 werden für zwei neue Unteroffizier⸗ vorschulen in Jülich und Wohlau 152 086 ℳ (ein halber Jahresbedarf) mehr gefordert. Die Abgg. Richter und Hinze beantragen, diese Mehrforderung zu streichen.
Abg. Haußmann: Der Kriegs⸗Minister von Bronsart habe 1887 mitgetheilt, daß das Manquement dam als 5 % betragen habe, sich aber in Folge der Heeresvermehrung von 1887 auf 13 — 14 % steigern werde. Trotzdem habe er nur die Begründung einer einzigen neuen Unter⸗ offiziervorschule für nöthig gehalten. Das Heer habe gegenwärtig nur 7,7 % Manquement, obwohl die bedeutende Heeresvermehrung von 1890 noch hinzugetreten sei; sonst würde es nur 3,6 % haben, und gleichwohl würden zwei weitere Unteroffizier⸗ vorschulen zur Verminderung des Manquements verlangt. Man mache seiner Partei so oft den Vorwurf, daß sie sich nicht der höheren Sachkenntniß der Sachverständigen unter⸗ werfe; das aber dürfe sie doch in Anspruch nehmen, daß der Kriegs⸗ Minister von 1887 ein ebenso werthvoller Sachverständiger fei wie der von 1891. Aus der Bewilligung der Schule in Neu⸗Breisach und der jetzigen Forderung von zwei weiteren Schulen könne man den Schluß ziehen, daß die Regierung in einigen Jahren noch weiter gehen werde und überhaupt mehr und mehr fortschreiten wolle auf dem Wege, die Bildung des Unteroffiziercorps möglichst kasten mäßig anzulegen und wie bei dem Offiziercorps die frühzeitige Isolirung dieser Leute von den anderen Berufskreisen zu bewirken. Mit solchen Schulen werde nur Inzucht getrieben, meistens würden nur die Söhne von Unteroffizieren hineikkommen. Die Stellung der Unter⸗ offiziere, nachdem sie die Truppe verlassen hätten, dürfe auch nicht übersehen werden. Es sei zweckmäßig, wenn die Leute, die später im Civildienst Verwendung finden sollten, nicht schon in früher Jugend von den anderen Berufszweigen sich abgesondert hätten. Vor wenigen Tagen habe der Kriegs⸗Minister gesagt, das Weiterdienen der Unteroffiziere sei veranlaßt durch die Hoffnung auf eine Civilver⸗ sorgung. Er (Redner) hätte geglaubt, daß die Haupttriebfeder für den Beruf die Lust und Liebe sei. Wenn der Kriegs⸗Minister aber jetzt auch noch andere Rücksichten mit in Rechnung ziehe, wenn das Vorleben in der Armee bedingt sei durch die spätere Stellung, so sei es dienlich, dieser Stellung dadurch vorzuarbeiten, daß man die Abscheidung möglichst spät vornehme. Ein hoher Offizier, der seine Stellung verliere, könne schon jetzt sich nur schwer eine neue Stellung in dem bürgerlichen Leben verschaffen, weil er so frühzeitig von dem bürgerlichen Leben abgeschlossen worden sei. Diesen Zustand möchte er auf die unteren Chargen möglichst wenig übertragen haben. Die Unteroffiziervorschüler würden erst am Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahrhunderts in der Armee dienen. So sehr vermöge er nicht von dem Axiom auszugehen, daß die Heeresmacht, die Europa heute aufbringe, eine ständige sein müsse, daß er schon heute zur Schaffung von Unteroffizieren in jener Zeit Summen zu bewilligen bereit wäre. Seine Partei stehe auch hier wieder einmal auf dem Stand⸗ punkt, daß sie negire. Er glaube, daß es nicht der richtige Ort ge⸗ wesen sei, beim Militär⸗Etat diese Vorwürfe zu erheben.
General⸗Lieutenant Vogel von Falckenstein: Die Grund⸗ anschauungen über Kastengeist, Militarismus und sonstige Begriffe seien allerdings zwischen der Partei des Vorredners und der Re⸗ gierung so außerordentlich verschieden, daß es nicht nützlich sei, näher darauf einzugehen. Was aber das Wort „Inzucht“ betreffe, so mache es doch wahrlich keinen großen Unterschied, ob die jungen Leute vor dem Eintritt in die Armee einige Jahre die Unteroffizier⸗ vorschule und die Unteroffizierschule besucht hätten oder nicht; die anderen Unteroffiziere fielen dann genau ebenso unter den Ausdruck „Inzucht“. Der Vorredner mache ferner darauf aufmerksam, daß die Wirkungen dieser Vorlage erst „am Ende des Jahrhunderts: — es handele sich dabei freilich nur um etwa sechs Jahre — sich zeigen würden. Da könnte die Regierung sich höchstens vorwerfen, nicht früher mit der Vorlage hervorgetreten zu sein, und sie meine allerdings, daß es jetzt die höchste Zeit sei. Auf einem thatsächlichen Irrthum des Vorredners beruhe es, wenn er versucht habe, einen Gegensatz zwischen dem Kriegs⸗Minister von 1887 und dem von 1891 zu konstruiren, indem er gemeint habe, daß der Erstere einen weit geringeren Prozentsatz aus den Unteroffizier⸗ vorschulen hätte hervorgehen lassen wollen. Das sei aber nicht der Fall. Es handele sich hier vorzugsweise um die Aufbesserung der Qualität, wenn auch nebenbei eine ganz geringe Veränderung der Quantität eintrete in Folge des Wegfalls eines Jahreskurses bei der einen Unteroffizierschule.
Abg. Hahn: Die Einrichtung der Unteroffiziervorschulen habe sich schon früher als eine heilsame und nützliche bewährt, und seine Partei sei bereit, auch weiter das Material des Unteroffizierstandes besser vorbilden zu lassen. Der Grund, weshalb man Unteroffizier⸗ vorschulen überhaupt eingerichtet habe, liege darin, daß man die jungen Leute in der Zwischenzeit zwischen der eigentlichen Schule und dem Eintritt in die Unteroffizierschule angemessen beschäftigen könne, sie nicht den Versuchungen des Lebens mehr als nöthig aussetze, und ihnen ferner für ihren Beruf eine angemessene Vorbildung gebe. Man habe deshalb nur mit einer Unteroffiziervorschule angefangen, um zu sehen, wie sich der Versuch bewähren würde. Daß es nothwendig sei, das Manquement an Unteroffizieren zu decken, habe der Reichstag neulich schon gehört. Der Kriegs⸗Minister Bronsart von Schellendorff habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Manqnement sich s. 3. nicht sofort beseitigen lassen würde. Leider habe es sich aber noch vermehrt. Er könne des⸗ halb nur dringend bitten, die Forderung für die beiden Unteroffizier⸗ vorschulen zu bewilligen.
Abg. Richter: Er wisse nicht, wie jene Herren dazu kämen, seiner Partei den Vorwurf einer dauernden Negation zu machen. Sie seien doch bei dem neuen Zuckersteuergesetz in einer viel stärkeren Negation gewesen. Auch in der Budgetkommission sei die vorliegende Frage nicht so einfach angesehen worden, wie sie hier behandelt werde. Bei der Abstimmung sei die Centrumspartei getheilt gewesen, bei voll besetzter Kommission wäre die Abstimmung vielleicht anders aus⸗ gefallen. Bei den Kommissionsverhandlungen habe man überdies noch an die Ablehnung der Unteroffiziersprämien geglaubt. Nach dem Beschluß vom Sonnabend würde die Stimmung in der Kom⸗
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neulich so dargestellt, als ob er (Redner) überhaupt die Nothwendigkeit militärischen Selbstbewußtseins leugnete. Seine Aeußerung hätte aber mit dem militärischen Selbstbewußtsein, das der Reichskanzler im Sinne gehabt habe, durchaus nichts zu thun; er habe nur gemeint, daß in den Unteroffizierschulen eine Art von militärischem Selbst⸗ bewußtsein erzogen würde, das mit dem bürgerlichen Selbstbewußtsein nicht mehr verträglich sei. Er habe sich nur gegen das mili⸗ tärische Selbstbewußtsein wenden wollen, das aus einer ungerechtfertigten Minderschätzung bürgerlicher Interessen entspringe und das künstlich groß gezogen werde. Das könne nur dazu führen, daß die Leute später im bürgerlichen Leben sich nicht zurechtfänden, wenn sie nicht überall etwas zu kommandiren fänden. Von einer Wirkung der Unteroffiziervorschulen könne man heute noch nicht sprechen. Dazu sei die Institution noch zu jung. Daß die Unter⸗ offiziere heute früher die Armee verließen, habe vielleicht auch seinen Grund in den Unteroffizierschulen und den Unteroffiziervorschulen. Im vierzehnten Jahre könnten weder Eltern noch Kinder beurtheilen, für welchen Beruf sie paßten, und deshalb sei es nicht zu verwundern, wenn sie ihren Beruf so schnell wie möglich verließen. Die erste Unteroffizier⸗ vorschule in Annaburg habe nur für Kinder von Unteroffizieren be⸗ stimmt sein sollen. Die Unteroffiziervorschule in Weilburg habe eingerichtet werden sollen, weil die in Annaburg nicht mehr ausgereicht habe. Dann sei die Neu⸗Breisacher Anstalt gekommen, um welche vier bis fünf Jahre gekämpft worden sei, und die erst nach den Septennatswahlen bewilligt worden sei mit dem Hinweis darauf, daß dieselbe zur Germanisirung des Elsaß beitragen sollte. Jetzt sollten mit einem Male zwei Unteroffiziervorschulen zu den alten kommen, und man scheine offenbar darauf auszugehen, für jede Unterofftzier⸗ schule eine Unteroffiziervorschule zu schaffen. Wenn die Unteroffizier⸗ prämien wirklich die berühmte Zugkraft besäßen, bedürfte das System der Unteroffiziervorschulen keiner Erweiterung.
Major Gäde: Die Unteroffiziervorschulen seien durchaus nicht so jung, daß die Regierung keine Erfahrungen mit ihnen hätte machen können. Die Anstalt in Weilburg sei 1877 begründet worden, also vor vierzehn Jahren. Die jungen Leute blieben zwei Jahre in der Vorschule und zwei Jahre in der Unteroffizierschule. Man habe also bis jetzt bereits Unteroffiziere zehn Jahre in der Armee, die aus dieser Anstalt hervorgegangen seien. Gerade diese Leute hätten sich als viel besser erwiesen, als die anderen Unteroffiziere. Die Anstalt in Annaburg sei 1880 errichtet, hier liege also auch schon ein Jahr⸗ zehnt der Erfahrung vor. Der Gesichtspunkt, daß viele Unteroffiziere deshalb nicht in Ciilstellen gingen, weil sie ihnen nicht standesgemäß feien, sei in der Kommission nicht hervorgehoben worden. Es sei nur gesagt worden, daß viele Stellen zu schlecht dotirt seien. Ein Feld⸗ webel, der 100 ℳ monatlich bekommen habe, werde sich mit Recht sträuben, in Stellen zu geben, die kaum das Dreifache an Jahres⸗ besoldung aufweisen. Der Briefträger mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust, den der Abg. Richter in seiner Jugend noch gekannt habe, würde heute auch hervorgezaubert werden können, wenn die Stellen besser dotirt wären. Heute seien die Stellen eben zu niedrig besoldet, zu schlecht seien sie den Anwär⸗ tern nicht. Der Abg. Richter habe gesagt, daß nicht widerlegt sei, was er bezüglich der Dienstverpflichtung der Leute, die aus Unteroffizierschulen hervorgingen, geäußert habe. Es stehe ausdrück⸗ lich in der Wehrordnung, daß die Leute, nachdem sie vom siebzehnten bis zwanzigsten Jahre die Unteroffizierschule besucht hätten, vier Jahre aktiv dienen müßten, also ein Jahr mehr als die anderen. Die Unteroffiziervorschüler müßten für jedes Jahr ihres Schulbesuchs die doppelte Zeit hinzufügen. Es komme also eine Dienstpflicht von acht Jahren höchstens heraus, nicht, wie lder Abg. Richter ge⸗ meint habe, von zehn bis elf Jahren.
Abg. Hahn: Als Landrath des dortigen Kreises habe er damals bei der Einrichtung der Weilburger Unteroffiziervorschule die Ver⸗ handlungen mit den Kommunalbehörden geleitet und behalte deshalb ein dauerndes Interesse für diese Schulen, und daher stamme seine genaue Kenntniß der Dinge. Die Vorschule in Weilburg errege wegen ihrer guten Erziehungsresultate die Anerkennung der Weilburger Fraktionsangehörigen des Abg. Richter. Diese Schule sei nicht wegen der Ueberfüllung der Annaburger eingerichtet worden, sondern weil man, wie Abg. Richter am 21. April 1877 selbst gesagt habe, von dem Prinzip, nur Unteroffiziersöhne in die Schulen aufzunehmen, das in Annaburg allgemein in Uebung sei, habe abgehen wollen. Damals habe der Abg. Richter übrigens gesagt, die Begründung der einen Unteroffiziervorschule würde nothwendig die von vier oder ünf anderen für die anderen Unteroffizierschulen nach sich ziehen — er (Redner) bitte also, die Konsequenz dieser Worte zu ziehen und die Regierungsforderung zu genehmigen.
Abg. Hinze: Die Weilburger würden noch mehr erfreut sein, als sie jetzt seien, wenn statt der Schule mit 250 Köpfen ein volles Bataillon dorthin gelegt wäre, dabei handele es sich also um andere als um Erziehungsrücksichten. Die Vorschulen beständen allerdings schon vierzehn Jahre lang, über ihre Resultate in Hinsicht der Erziehung tüchtiger Unteroffiziere aber seien eine Zeit lang die Urtheile in der Armee sehr getheilt gewesen. Die Schulen lieferten allerdings gute Funktions⸗Unteroffiziere, aber die aus ihnen hervorgegangenen Nichtfunktions⸗Unteroffiziere gehörten nicht zu denen, auf deren Beibehaltung die Heeresverwaltung großes Gewicht lege. Bei den Ausführungen über das Selbstbewußtsein der Unteroffiziere habe sich Abg. Richter auf die Ausführungen des Reichskanzlers von neulich, nicht auf die Kommissionsverhandlungen bezogen. Die Regierungskommissare betonten heute, daß es sich bei den Vorschulen um die Schaffung einer guten Qualität von Unteroffizieren han bele, vorgestern aber habe man die gute Qualität der Unteroffiziere für durch die Dienstprämien gewährleistet erklärt. So ändere sich also das Bild, je nachdem die Prämien abgelehnt oder bewilligt seien. Er wolle die einseitige militärische Erziehung nicht von Jugend auf in die Leute gebracht sehen, sondern diese solle aus der Truppe heraus vor sich gehen, und da er sich hierbei in Ueberein⸗ stimmung finde mit früheren Ausführungen des Abg. Dr. Windthorst, hoffe er, daß das Centrum für diesen Antrag stimmen werde. Major Gäde: Vom Selbstbewußtsein der Unteroffiziere sei in der Kommission allerdings keine Rede gewesen, der Abg. Richter sei hier darauf zu sprechen gekommen, und erst in Folge dieser Aeußerung habe sich der Reichskanzler auf diesen Gegenstand eingelassen. Auch glaube er (Redner) nicht gesagt zu haben, daß die Prämien aus⸗ schlaggebend für die Qualität der Unteroffiziere seien.
Abg. Richter: Dem gegenüber erinnere er daran, daß in der Kommission zwar nicht der Major Gäde, aber ein anderer Regierungs⸗ kommissar hervorgehoben habe, wie wichtig die Dienstprämien für eine bessere Qualität der Unteroffiziere seien. Das Bild habe sich seitdem in der That völlig geändert. Diejenigen, die nicht von vorn⸗ herein für die Bewilligung der Unteroffiziervorschule gewesen seien, mögen dieselbe doch nur aus Rücksicht auf die durch; die Bewilligung der Dienstprämien entstandene Mehrbelastung ablehnen, zumal es sich hier um eine Uebergangszeit handele, und man abwarten müsse, wie die Dienstprämien und die übrigen in jüngster Zeit beschlossenen Aenderungen wirken würden.
g. Haußmann: Der Kriegs⸗Minister Bronsart von Schellendorff habe im Jahre 1887 betont, daß bei einem Unteroffizier⸗ Manquement von 13 bis 14 % die eine Unteroffiziervorschule in Neu⸗ Breisach zur Schaffung des Ersatzes genüge; nachdem dies Manque⸗ ment bis auf 7,9 % zurückgegangen, halte er (Redner) es mit seinem für durchaus vereinbar, wenn er gegen die jetzige Forderung
imme.
Darauf wird unter Ablehnung des Antrags Hinze die Etatsforderung genehmigt, ebenso ohne Debatte der Rest des Kapitels und der Rest des Ordi⸗ nariums, enthaltend die Ausgaben für das Ge⸗ fängnißwesen, Artillerie⸗ und Waffenwesen, technische Institute der Artillerie, Bau⸗ und Unterhaltung der Festungen, Wohnungsgeld⸗ zuschuß, Unterstützungen, Zuschüsse zur Militär⸗
wohl auch eine andere sein. Der Reichskanzler habe es
wenkasse, verschiedene Ausgaben, Bayerische
uote. Um 4 ¾ Uhr wird die Weiterberathung des Militär⸗ Etats auf Dienstag 12 Uhr vertagt. 11““ 88 “
.“ “ Haus der Abgeordneten.
46. Sitzung vom Montag, 2. März 1891.
Der Sitzung wohnen der Minister der öffentlichen Arbeiten von Maxybach, der Minister für Handel und Gewerbe Frei⸗ herr von Berlepsch und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden bei. 1 8
Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung, Vervollständigung und bessere Aus⸗ rüstung des Staatseisenbahnnetzes wird fortgesetzt beim Abschnitt IV: Zur Beschaffung von Betriebsmitteln für die bereits bestehenden Staatseisenbahnen 53 800 000 ℳ
Abg. Schmieding: Wenn man den geradezu zu einer Kalamität gewordenen Wagenmangel unserer Staatsbahnverwaltung betrachte, wie er sich besonders in Rheinland und Westfalen im vergangenen Frübjahr und auch schon bei Beginn dieses Jahres herausgestellt habe, könne es eigentlich kaum zweifelbaft sein, woher die Kohlen⸗ theuerung stamme. Der Lohnausfall für die Bergarbeiter sei dadurch ein ganz bedeutender geworden, und mehrere Male sei es vorgekommen, daß ganze Belegschaften hätten nach Hause geschickt werden müssen. Die Gründe für den Wagenmangel seien vorzugsweise in der zu starken Centralisation und in der bureaukratischen Handhabung der Verwaltung zu suchen; den Eisenbahn⸗Direktionen fehle die nöthige Selbständigkeit, und das Verantwortungsgefühl werde dadurch ab⸗ geschwächt. Die Auffassung aber, daß das Verfahren der Zechen selbst, daß anfechtbare Manipulationen derselben zu dem Kohlenmangel ge⸗ führt hätten, müsse er entschieden zurückweisen. Wenn auch der Handels⸗ Minister erklärt habe, daß er die in seinem Rundschreiben enthaltenen Anschuldigungen nicht zu den seinigen mache, so sei doch in der gesammten Presse das Schreiben als eine An⸗ schuldigung der Kohlengrubenbesitzer aufgefaßt worden. Die beim Handels⸗Minister erbobenen Beschwerden beruhten lediglich auf der Unkenntniß der Thatsachen. Die Zechen seien unter strengen Konventionalstrafen verpflichtet, die kontraktmäßig ausgesetzte Zahl von Eisenbahnzügen und Waggons zum Transport von Kohlen nach dem Auslande, besonders nach den Niederlanden, mit Kohlen zu laden. Mehr zu verladen seien die Zechen in diesem Jahre gerade wegen des Wagenmangels gar nicht in der Lage gewesen. Es hätte also jede Form vermieden werden müssen, die eine große vaterländische Industrie herabzusetzen geeignet sei, und er hoffe, der Handels⸗Minister werde, wie er es privatim schon gethan habe, auch öffentlich noch erklären, daß er mit seinem Rundschreiben Beschuldigungen nicht habe er⸗ heben wollen.
Abg. von Tiedemann (Bomst): Es scheine, als ob die Nationalliberalen aus Freunden der Eisenbahnverstaatlichung zu Feinden derselben geworden seien. Es komme vor, daß Zechen die doppelte Zahl von Wagen verlangten, als sie überhaupt gebrauchen könnten. Da sei es denn leicht, von Wagenmangel zu sprechen. Gerade die Centralisation unseres Staatsbahnwesens ermögliche die große Ausnutzung des vorhandenen Wagenmaterials, und in Ländern, wo heute noch Privatbahnen beständen, wie in den Niederlanden, lägen die Dinge weit schlimmer, als bei uns. Vielleicht hätte die Regierung ihre Forderung für Neu⸗ beschaffung von Betriebsmitteln noch erhöhen können, wenn nicht zu fürchten wäre, daß dadurch ganz bedeutende Preistreibereien des Materials entstehen würden. Jedenfalls aber werde man sich darauf gefaßt machen müssen, im nächsten Jahre weitere Forde⸗ rungen zu bewilligen. Daß die Tragfähigkeit der Wagen erhöht werden solle, habe er mit großer Freude begrüßt; das Wagen⸗ material werde fast um 5 % vermehrt werden, sodaß man einer weiteren Verkehrssteigerung mit Ruhe entgegensehen könne. Zu erwägen würde sein, ob man nicht durch besondere Ermäßigung den Wagenpark noch besser ausnützen könne, besonders in den sonst verkehrsstilleren Monaten. Im Allgemeinen könne man mit den Er⸗ gebnissen der Eisenbahnverstaatlichung zufrieden sein; seit der Verstaat⸗ Achanc sei ein jährlicher Ueberschuß von 73 Millionen Mark vor⸗
anden.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Es wird mir mitgetheilt, daß Hr. Abg. Schmieding einen Erlaß berührt hat, den ich unter dem 2. Februar dieses Jahres an diejenigen Handelskammern gerichtet hatte, die in der Nähe des rheinisch⸗westfälischen Kohlenreviers funktioniren, und der die Mißstände betrifft, die angeblich beim Kohlenhandel in der letzten Zeit hervor⸗ getreten sein sollen. Der Herr Abgeordnete hat die Berechtigung des Handels⸗Ministers, sich um solche Dinge zu kümmern, nicht bestritten, er hat zugegeben, daß namentlich bei einer Industrie, die die Be⸗ deutung der Kohlenindustrie nicht nur für die sonstigen Zweige unserer gewerblichen Thätigkeit, sondern auch für das allgemeine Wohlbefinden hat, wohl Veranlassung für den Chef des Ministeriums für Handel und Gewerbe vorliegt, in solche Fragen hineinzusteigen und festzustellen, ob die angegebenen Mißstände wirklich vorhanden sind oder nicht. Der Herr Abgeordnete hat seine Vorwürfe wohl mehr dagegen gerichtet, daß für den betreffenden Erlaß nicht die richtige Form gewählt sei und daß nicht eine hinreichende Information vorhergegangen sei, ehe, wie er meint, solche schwerwiegenden Anklagen ins Land gegeben werden.
Was die Form anlangt, so kann ich nicht zugeben, daß dieselbe die Interpretation zuläßt, daß Seitens des Handels⸗Ministeriums gegen die Gruben des rheinisch⸗westfälischen Gebietes der allgemeine Vorwurf erhoben wird, daß sie sich eines unsoliden und unrichtigen Geschäftsgebarens befleißigt hätten. In diesem! Erlaß ist ausge⸗ sprochen worden, daß Beschwerden an den Handels⸗Minister gerichtet worden sind; er hat es nach den Unterlagen, die ihm gegeben worden sind, nicht für ausgeschlossen gehalten, daß diese Beschwerden — zum Theil wenigstens — begründet sind, und daraus für sich die Verpflichtung hergeleitet, sie zu untersuchen. Er mußte zu dieser Untersuchung die Handelskammern benutzen, weil das diejenigen Organe sind, die sich allein in der Lage befinden, festzustellen, ob die erhobenen Vorwürfe richtig seien oder nicht. Es ist in dem Erlaß ausdrücklich ausgesprochen worden, daß der Handels⸗Minister verlangt, daß ziffer⸗ mäßiges Material beschafft werde, um zu vermeiden, daß oberflächliche Beschwerden als berechtigt anerkannt werden und bestehen bleiben.
Nun möchte ich Sie noch bitten, meine Herren, zu beachten: der Erlaß war ein vertraulicher. Ich war mir wohl bewußt, daß es nicht möglich sein würde, einen solchen Erlaß der Oeffentlichkeit durchaus zu entziehen. Aber die Voraussetzung war sicher richtig, daß es nicht zulässig war, den Inhalt in seinem Wortlaut der Oeffentlichkeit ohne Weiteres zu übergeben. (Sehr wahr!)
Meine Herren, die Handelskammern waren verpflichtet, diesen Erlaß vertraulich zu behandeln; sie sollten ihren Mitgliedern von dem Inhalt desselben vertrauliche Mittheilung machen; weder sie als Korporation, noch die einzelnen Mitglieder derselben hatten aber die Befugniß, diesen Erlaß seinem Wortlaute nach zu veröffentlichen.
Nachdem das aber, von welcher Seite weiß ich nicht, geschehen
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war, hat der Vorsitzende des bergbaulichen Vereins in Rheinland⸗ Westfalen an mich die Frage gerichtet, ob er befugt sei, nunmehr diesen Erlaß wörtlich seinem Vereine mitzutheilen; der betreffende Vorsitzende ist nämlich gleichzeitig Mitglied der Handelskammer in Essen und hat als solches Kenntniß von dem Inhalt dieses Erlasses bekommen; der Herr Vorsitzende hatte die Empfindung, daß er nicht befugt sei, seinem Vereine, der so lebhaft bei dieser Sache interessirt war, den Inhalt dieses Erlasses mitzutheilen. — Dieser Standpunkt war völlig korrekt und richtig, und ich kann nur wünschen, daß die Handelskammern alle diesen selben Standpunkt eingenommen hätten; dann wäre vieles vermieden worden, was Anlaß zu Mißdeutungen und Verstimmung gegeben hat. — Also, meine Herren, wenn beachtet wird, daß der Erlaß ein vertraulicher war, so kann auf die Form überhaupt nicht mehr dieser entscheidende Werth gelegt werden, wie das von verschiedenen Seiten geschehen ist.
Es wird weiter zum Vorwurf gemacht, daß nicht eine genügende Information vorhergegangen sei, der Handels⸗Minister habe die Ver⸗ pflichtung gehabt, sich vorher bei dem Eisenbahn⸗Minister zu ver⸗ gewissern, ob die erhobenen Beschwerden begründet seien. Diese Art der Information ist von mir eingeschlagen worden, allerdings nicht vorher, sondern gleichzeitig und meines Erachtens aus gutem Grunde. Die Eisenbahnverwaltung würde nicht in der Lage sein, er⸗ schöpfend diesen Anklagen auf den Grund zu gehen und darzuthun, daß z. B. die Kohlenzechen ihren Abnehmern im Auslande gegenüber ihre Verpflichtungen gewissenhafter erfüllt hätten, wie ihren Ab⸗ nehmern im Inlande gegenüber. Sie hätte wohl hier und da Ma⸗ terial dazu liefern können, — eine erschöpfende Antwort auf diese Frage kann ich aber nur von den Handelskammern bekommen. Aus diesem Grunde mußte meines Erachtens die Erkundigung nach der Berechtigung der Beschwerden auf zweierlei Wegen geschehen: erstens bei dem Eisenbahn⸗Minister und zweitens bei den Handelskammern.
Nun hat der Herr Abgeordnete den Wunsch ausgesprochen, daß, wie ich dies in einer Privatbesprechung bereits gethan habe, ich auch der Oeffentlichkeit gegenüber aussprechen möchte, daß ich die in dem Rundschreiben vom 2. Februar d. J. enthaltenen Behauptungen nicht zu den meinigen mache und diese Anklagen nicht im Allgemeinen gegen die Zechenverwaltungen erhebe. Ich nehme durchaus keinen Anstand, dies zu wiederholen, was meines Erachtens aus dem Wortlaut des Anschreibens sich von selbst ergiebt. (Bravo!)
Ich habe dem Vorsitzenden des bergbaulichen Vereins auf seine Mittheilung von den großen Mißständen, die in bergbaulichen Kreisen erwachsen seien, erwidert, daß ich diese Anschuldigungen nicht zu den meinigen mache — daß ich aber die Verpflichtung habe, wenn mir substantiirte Beschwerden über solche Mißstände vorgelegt werden, wie sie in jenem Rundschreiben näher dargestellt sind, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich wiederhole hiermit diese Erklärung. Wenn solche Beschwerden an mich gebracht werden, so habe ich zwei Wege: entweder ich schreibe sie zu den Akten oder untersuche sie. Nun, daß ich sie nicht zu den Akten schreiben konnte, werden Sie mir ohne Weiteres zugeben (sehr richtig!); deshalb glaube ich keine Handlung begangen zu haben, die formell angreifbar und die materiell nicht zu rechtfertigen wäre. (Sehr richtig!)
Meine Herren, solche Erlasse, wie der besprochene hier, ergehen gar nicht selten, wenn Beschwerden z. B. über das Geschäftsgebaren einzelner Industriezweige nach dem Auslande an den Handels⸗Minister gelangen. Ich will erinnern an die Bezeichnung von Waaren mit einem Ursprungsorte, der nicht richtig ist. Kommen solche Beschwerden, so ist es meine Pflicht, und es geschieht auch, daß den betheiligten Handelskammern ein vertrauliches Schreiben zugeht, das ebenso lautet wie dasjenige, das heute in Frage steht: es sind Beschwerden an mich ergangen, daß Industrielle dieses oder ienes Gebaren bei ihren Handelsbeziehungen zum Auslande innehalten, was unserer Industrie zum Schaden gereicht. Ich ersuche die Handelskammern vertraulich, zu untersuchen, ob die Angaben begründet sind, und eventuell die Mittel mitzutheilen, wie dem entgegengetreten werden kann. Genau so ist hier auch verfahren worden, nur ist es nicht vorgekommen, daß jene Erlasse der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, während hier das auf die Geheimhaltung des Schreibens gesetzte Vertrauen nicht erfüllt worden ist.
Meine Herren, die Untersuchungen sind ja im Gange, und ich weiß nicht, zu welchem Resultat sie führen werden. Wenn sie sich als nicht begründet erweisen, dann wird Niemand sich darüber lebhafter freuen als ich. (Lebhafter Beifall.)
Minister der öffentlichen Arbeiten von Maybach:
Der Hr. Abg. von Tiedemann hat an mich die Frage gerichtet, ob sich ein Gesetz in Ausarbeitung befinde, welches sich auf das sogenannte Tertiärbahnwesen bezieht, dessen schon früher in diesem hohen Hause gedacht worden ist. Ich kann diese Frage bejahen; ein solches Gesetz ist in der Ausarbeitung begriffen. Es ist dies aber ein sehr schwieriges nach verschiedenen Richtungen hin und erfordert sehr genaue und weitgehende Vorerörterungen; dasselbe ist aber bereits schon weit gediehen, und wir würden vielleicht in der Lage sein, dieses Gesetz noch im Laufe dieser Session Ihnen vorzulegen (Rufe: Oho! Leb⸗ hafter Widerspruch. Heiterkeit), wenn Sie nicht bereits mit sehr vielen anderen wichtigen Gesetzen belastet wären und wir nicht Be⸗ denken tragen müßten, das Arbeitspensum des hohen Hauses noch weiter zu vergrößern. Wir behalten die Sache also bis zur nächsten Session vor.
Sodann fragte Hr. von Tiedemann, ob nicht etwas mehr geschehen könne für eine bessere Ausnutzung der Wagen. Diese Frage beschäftigt mich auch; nach der einen Richtung hin ganz besonders, nämlich nach der Richtung hin, daß diejenigen fremden Eisenbahnen, welche an den Transporten, die wir ihnen zu⸗ führen, interessirt sind, sich auch wieder betheiligen müssen mit ent⸗ sprechenden Wagenbeistellungen. In Norddeutschland exportiren wir von Jahr zu Jahr stärker und auf immer weitere Entfernungen. Das bedingt einen größeren Wagenpark, und zwar einen stärkeren als wir ihn für unser eigenes Bedürfniß nöthig hätten, und wir können in die Lage kommen, für fremde Länder, z. B. für Transporte nach dem Balkan, wo wir nur ganz wenige Meilen auf unseren eigenen Bahnen zurück⸗ legen, auch noch das Wagenbedürfniß zu bestreiten. Die Frage der besseren Hülfeleistung Seitens anderer Bahnen, welche bisher zu wünschen übrig ließ, denn wir hatten ein bedeutendes Plus von Miethen für unsere Wagen gegenüber unseren Miethen für fremde Wagen, beschäftigt uns auch.
Des Weiteren ist erörtert worden von den Hrrn. von Tiedemann und Schmieding, daß ja vielleicht die Summen, die heute im Wege der Anleihe gegeben werden sollen, in das Extraordinarium
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oder gar in das Ordinarium des Etats hätten ein⸗ gestellt werden sollen. Ja, meine Herren, der Eisenbahn⸗ verwaltung als solcher ist es an sich ganz und gar gleichgültig, wohin die Summen gebracht werden. Wollen Sie die Summen für Ver⸗ mehrung der Betriebsmittel, für zweite Gleise, für große Bahnhof⸗ bauten, ja meinetwegen sogar auch für neue Bahnen in das Ordinarium der Eisenbahnverwaltung bringen, so ist uns das gleichgültig. Es kommt nur darauf an, daß uns die Mittel überhaupt gegeben werden. Wollen Sie dieselben ins Extraordinarium oder Ordinarium bringen, dann kann mir das gleichgültig sein; aber ich bitte Sie, sich das Bild des Gesammt⸗Etats vorzustellen, wie es sein würde, wenn wir diese Summe in das Ordinarium oder in das Extraordinarium brächten. Die Eisenbahnverwaltung dürfte dann vielleicht abschließen in Plus und Minus, aber der Gesammt⸗ Etat würde ein ganz bedeutendes Defizit aufweisen, und ob das gut wäre, ob es für den Staatskredit gut wäre, das-ist doch eine ganz andere Frage. Ich glaube, es wird der Herr Finanz⸗Minister das verneinen. Der Weg, den wir heute einschlagen, ist der⸗ selbe seit langen Jahren gewesen; wir haben in den Motiven des Gesetzes auf Seite 49 nachgewiesen, daß dieser Weg in Preußen immer eingeschlagen worden ist seit 1867 und auch schon in früheren Jahren. Auch die Privatbahnen mit wenigen Ausnahmen haben es ebenso gemacht. Sie finden fast in jeder Nummer der Gesetz⸗Sammlung ein Privilegium zur Ausgabe von Eisenbahn⸗Prioritäts⸗Obligationen oder Vergrößerung des Aktien⸗ kapitals Behufs Vermehrung des Betriebsmaterials.
Also ich wiederhole, für uns würde das gleichgültig sein.
Die Ueberschüsse, die Hr. von Tiedemann erwähnt hat, bestehen in der That; wir würden auch dafür Sorge tragen, daß, wenn derartige Summen mit Einverständniß der Staatsregierung in das Ordinarium oder Extraordinarium des Etats gebracht werden, die Statistik gegenüber andern Bahnen und den Vorjahren klar bleibt.
Dann möchte ich mich noch mit einigen Aeußerungen des Hrn. Abg. Schmieding beschäftigen. Er hat Verschiedenes gesagt, was ich früher auch schon in der Presse gelesen habe, in Artikeln gewisser Organe, die ich nicht gerade als freundliche bezeichnen kann — ich begreife, daß, wenn es Einem schlecht geht, er die Schuld nicht an sich, sondern lieber an Anderen sucht; und so ist es auch dort gewesen. Es ist eine gewisse Nervosität in unsere Industriebezirke gekommen. Ich weiß ja, woher das kommt, und Sie wissen es Alle; ich würde es deshalb besser gefunden haben, wenn man heute diesen Punkt nicht so sehr berührt hätte. Denn duobus litigantibus tertius gaudet, und wer hier der sich freuende tertius ist, das werden die Herren wohl wissen. Gerade aus sozialpolitischen Gründen halte ich es für besser, diese Dinge nicht soweit und so ausführlich zu erörtern. Aber da sie ein⸗ mal berührt sind, so muß ich doch mit einigen Worten die erhobenen Vorwürfe zurückweisen. Der Herr Abgeordnete hat gesagt, daß in Oberschlesien im Okteber vorigen Jahres große Wagen⸗ noth gewesen wäre. Ich habe hier ein amtliches Verzeich⸗ niß vor mir liegen, welches das Wagenbedürfniß an der Ruhr wie in Oberschlesien ausweist. Darnach hat in Oberschlesien im September vorigen Jahres kein Wagen gefehlt. Im Oktober ist allerdings eine Mindergestellung von 6 % zu verzeichnen, im November eine Mindergestellung von 1 % und im Dezember eine Mindergestellung von 2 %; es sind 94 121 Wagen gestellt und 1941 Wagen nicht gestellt. Die schlimmste Erscheinung kommt mit 22 % minus auf den Januar. In dem Ruhrbezirk ist bis zum Monat Oktober die Wagengestellung eine fast durchweg regelmäßige gewesen. Im September noch haben auf 256 801 gestellte Wagen nur 112 gefehlt. Im Oktober hat sich im Ruhrrevier eine Mindergestellung ergeben von 1,3 %, im November eine solche von 2,8 %, im Dezember eine solche von 11 %; der Januar ist sogar mit einer Mindergestellung von 19 % aufgetreten, während die oberschlesische Mindergestellung, wie gesagt, auf allerdings 22 % ge⸗ stiegen ist. Meine Herren, woher das kam, das habe ich Ihnen schon auseinanderzusetzen mir erlaubt, und ich kann wiederholen, es liegt das nicht so sehr an der minderen Anzahl von Wagen — denn wir haben ja eine erhebliche Vermehrung im vorigen Jahre eintreten lassen —, als an den elementaren Hindernissen, die uns entgegen⸗ standen. Gewiß, es sind ja auch einige Dinge dabei zur Sprache ge⸗ kommen und auch in den öffentlichen Blättern erwähnt worden, die in Zukunft geändert werden sollen. Es ist gitwiß, daß die großen Sammelbahnhöfe nicht das geleistet haben, was sie leisten sollten und in der Regel auch lleisten können. Ihre Leistungsfähigkeit ist zu Zeiten beinahe auf die Hälfte oder gar ein Drittel reduzirt ge⸗ wesen. Das hat in der Schwierigkeit der Bewegung der Wagen auf den Ablaufgeleisen gelegen. Wir baben früher Rübölschmiere benutzt, diese friert aber bekanntlich rasch; an deren Stelle ist ein anderes Schmiermaterial getreten, das minder rasch gefriert. Aber auch dieses Material ist noch nicht befriedigend; wir
werden noch auf ein anderes leistungsfähigeres Material Bedacht
nehmen müssen, und im Winter vielleicht auch ein anderes als im Sommer gebrauchen. Das wird die Leistungsfähigkeit der Sammel⸗ bahnhöfe erheblich erhöhen.
Des Weiteren ist bemerkt worden — der Bahnhof in Gelsen⸗ kirchen ist angeführt —, daß auf einzelnen Bahnhöfen Stockungen ein⸗ getreten seien; der Herr Abgeordnete dürfte sich indeß erinnern, daß der Bahnhof in Gelsenkirchen zeitweise überschwemmt war und daß seine Leistungsfähigkeit vermöge des Zuströmens der Wagen von allen Richtungen unter den schwierigsten Verhältnissen arbeitete.
Dann ist weiter angeführt worden, daß die Tragfähigkeit der Wagen — der Transportgefäße — schon früher hätte vergrößert werden sollen. Ja, meine Herren, ich bitte Sie, sich mal zu vergegen⸗ wärtigen: noch im vorigen Jahre haben wir mehrere hundert Kilo⸗ meter Privatbahnen übernommen, Jahr für Jahr sind wir daran ge⸗ wesen, die neuen Bahnen mit ungeheurer Arbeit in das große Netz einzugliedern. Wir haben einen Wagenpark von den verschiedenen Bahnen, von dem verschiedensten Kaliber überkommen; Wagen von 80, 100, 120, 150, 180, 200 und 250 Centnern Tragfähigkeit. Zunächst kam es darauf an, auf diesem Gebiete möglichst Einheitlich⸗ keit zu schaffen und zwar anschließend an das bestehende Tarifsystem, welches sich auf Wagen von 200 Centnern aufbaut. Diese Einheit⸗ lichkeit ist herbeigeführt, und jetzt können wir dazu übergehen, Wagen von größerer Tragfähigkeit zur Ausführung zu bringen. Es liegt also keine Nachläͤssigkeit unsererseits vor. Es ist dabei genau wie mit den Tarifen. Diese haben wir auch erst nach und nach ordnen und eingliedern können. Wir müssen Verschiebungen vermeiden, welche einen Landestheil, einen wirthschaftlichen Zweig
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