1891 / 54 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

gegen einen andern zurücksetzen, Benachtheiligungen von mitunter

ungeheuerer Tragweite. Sie unterschätzen in der That die Arbeit, die

in diesen Dingen gesteckt hat, wenn Sie sagen: Alles das kann so auf inmal gemacht werden.

Nun ist gesagt worden: wir haben die Kalamität in diesem Winter doch nur etwas über zwei Monate erlitten, der Februar schon hat uns besseres Wetter gebracht und doch ist noch nicht Alles wieder m Geleise. Allein, ich habe Ihnen vorgestern bereits mitgetheilt,

welche Zahl von Wagen in Reparatur gekommen war, verhältniß⸗ mäßig ebenso viele Lokomotiven, welch große Zahl von Beamten rank geworden war, ja, meine Herren, die Kranken werden deoch icht mit dem Eintritt besseren Wetters auf ein Mal gesund und die Wagen werden doch ebensowenig auf ein Mal alle reparirt; indeß das wird von Tag zu Tag besser. Ich kann hinzufügen, daß Lieferungen, die im November in Aussicht gestellt waren, um einige nicht unerhebliche Quanta von Wagen lange zurückgeblieben sind. Der Hr. Abg. Schmieding hat weiter die Wasserwege berührt. Meine Herren, ich bin auch ein Freund der Wasserwege, aber diese haben uns in diesem Winter eben erst recht im Stich gelassen (sehr richtig! rechts), der Rhein sowohl wie die Kanäle in Holland; und wenn ich ein Be⸗ denken hätte gegen die Wasserwege, dann wäre es eben das, daß wir trotz der Wasserwege, die wir in Zukunft zu haben wünschen und hoffentlich haben werden, in die Lage kommen können, den Eisenbahn⸗Fuhrpark auf sehr starker Höhe zu halten, denn es wird bei geschlossener Schiffahrt in alter Gewohnheit Alles doch wieder auf die Eisenbahn fallen.

Dann ist erwähnt worden, die Reserve wäre nicht stark genug gewesen. Dem gegenüber ist meine Meinung die: die Eisenbahn⸗ verwaltung soll auf einen starken regelmäßigen Verkehr eingerichtet sein, und ihre Reserve darin bestehen, daß die Ausnutzungsfähigkeit des so geschaffenen Apparats in ihrer vollen Größe und Leistungs⸗ fähigkeit herangezogen wird. Solche Reserven haben wir auch ge⸗ habt; wäre das nicht der Fall gewesen, dann würden wir noch viel weniger geleistet haben. Aber diese Reserven dadurch zu schaffen, daß wir eine Anzahl von Wagen die wir nachher auf das zweite, dritte, vierte Geleise unbenutzt stellen anschaffen und damit unsere Kapitalschuld kolossal vermehren, wäre überaus unwirthschaftlich.

Des Weiteren sind die technischen Fortschritte anderen Ländern gegenüber als nicht genügend bemängelt. Ich meine, daß dieser Vor⸗ wurf erst recht unbegründet erscheint. Wir haben das, was in fremden Ländern geschieht, unausgesetzt aufmerksam verfolgt, und weise ich damit auch einen Vorwurf zurück, der mir in der Presse gemacht ist. Sie wissen, daß wir fast in allen großen Staaten ständige Techniker haben, die das, was dort passirt, beobachten und uns das Material mittheilen. Es wird Ihnen auch nicht unbekannt sein, daß, sobald Veranlassung vorliegt, Techniker von hier aus hingeschickt werden, um an der Hand dessen, was uns bereits mitgetheilt ist, oder unter Führung der dort an Ort und Stelle beschäftigten Techniker, zu untersuchen, was uns frommt. Ueber die Einrichtungen in Ruß⸗ land, in Nord⸗Amerika, in England, Oesterreich, Frankreich, Italien sind wir genügend unterrichtet, man braucht in dieser Beziehung uns keine Anregung mehr zu geben.

Zu sehr centralisirt sei die Verwaltung. Ich möchte den Herrn Abgeordneten doch bitten, daß er sich mal die Organisation ansieht, wie sie auf Grund Allerhöchster Ordre besteht und seiner Zeit dem Hause vorgelegt worden ist. Dafür kann ich nicht, daß alle Welt, wenigstens sehr Viele, sich immer wegen jeder Kleinigkeit an mich wenden. Wenn eine Zeche zu wenig Wagen erhält, telegraphirt sie an mich, als ob ich die Wagen schaffen könnte. (Heiterkeit.) Be⸗ klagt sich Jemand über schlechten Restaurations⸗Kaffee oder über ein zu warmes oder zu wenig geheiztes Coupeé, schreibt er direkt an mich. (Heiterkeit.) Das und Aehnliches sind Dinge, die doch wohl gar nichts die Centralstelle angehen; dafür sind die Behörden in den Provinzen da. Unsere Wageneinrichtung ist so: Bei jeder Direktion besteht ein Wagenbureau, welches telegraphisch mit sämmtlichen Stationen in Verbindung steht und den Wagenverkehr innerhalb des Bezirks regulirt. Fehlt nach den Anmeldungen, die alle Tage zu bestimmter Stunde per Telegraph erfolgen, zur Deckung des Bedarfs im Bezirk ein gewisses Quantum von Wagen, dann wendet sich dieses Bureau telegraphisch an das Centralwagenbureau in Magdeburg, und dieses überweist aus den anderen Bezirken, was von dort nach den ihm vorliegenden Bestands⸗ Meldungen überwiesen werden kann. Letzteres ist eben Sache des Centralbureaus, nicht aber des Ministers.

Dann: zu bureaukratisch! Das ist ja klar, wir haben noch manche Schreiberei, die ich gerne abgestellt sehen möchte; aber in einer so großen Verwaltung, in der noch Alles so sehr in Fluß ist und wo es darauf ankommt, die Bestimmungen, die noch nicht ganz be⸗ kannt sind, in Fleisch und Blut überzuführen, ist es unerläßlich, daß man auf viele Fragen hin antwortet und Direktiven giebt. Aber es ist vielleicht etwas Anderes unter dem „bureaukratisch“ zu verstehen. Die Privatverwaltungen in gewissen Bezirken hatten sich zur Gewohnheit gemacht, Begünstigungen einzuräumen Privatbegünstigungen; ich will sie geradezu so nennen gegen die publizirten Tarife und andere. Ich habe ich will es mal das „schwarze Buch“ nennen ein Verzeichniß in meinen Händen, aus den Akten der früheren Verwaltungen genommen, welches eine große Zahl von Begünstigungen an eine ganze Menge von Firmen nachweist. Für diese Dinge war man in gewissen Privat⸗ verwaltungen zugänglich; aber diese Zugänglichkeit war gegen das Gesetz und gegen die Ordnung, und in der Staatsverwaltung lasse ich einen solchen Verstoß nicht zu. Wenn die Nothwendigkeit, hier und da gegen derartige Mißstände einzutreten, „bureaukratisch“ genannt werden soll, dann haben wir allerdings einen solchen Vorwurf zu unserer Ehre, meine ich, vollkommen verdient.

Ich muß, meine Herren, noch auf einige andere Dinge eingehen. Ich habe vorgestern erwähnt, daß die Kalamität, von der wir in diesem Winter alle betroffen sind, eine vorübergehende Folge außer⸗ ordentlicher elementarer Ereignisse gewesen und nicht der Verwaltung anzurechnen sei. Namentlich sei die Verstärkung des Fuhrparks und was dazu gehört, nicht vernachlässigt. Im Jahre 1885 haben wir sogar einen Rückgang im Güterverkehr erlitten, welcher hier im Hause vielfache Zweifel an der künftigen Rentabilität der Staats⸗ eisenbahnen hat aufkommen lassen. Dieser Rückgang hat ge⸗ dauert bis 1887. Dann trat im Jahre 1888 der große

Verkehrsaufschwung ein, dem wir durch die Beschaffungen von 1889/90 gerecht zu werden suchten. Im Juli vorigen Jahres zeigte sich eine Erlahmung des Verkehrs, sodaß der Zweifel laut wurde,

ob überh aupt eine Vermehrung des Fuhrparks für den Güterverkehr nothwendig sei. Dieser Zweifel war anscheinend nicht ganz haltlos, indem in vier verschiedenen Monaten in der Folge eine Mindereinnahme zu verzeichnen war, und zwar im August, nicht minder im Oktober, wenn ich mich recht erinnere, und dann auch noch im November und Dezember. Der Januar d. J. brachte sogar einen erheblichen Minder⸗ betrag, was begreiflich. Ich bin aber der Meinung gewesen, damals wie heute, daß wir „es mit vorübergehenden Er⸗ scheinungen zu thun haben, daß der Verkehr im Großen und Ganzen ein gesunder ist und daß einzelne Mindereinnahmen unge⸗ wöhnlich lebhaften Verkehrsmonaten der Vorjahre gegenüber noch nicht als ein bedenklicher Rückgang betrachtet werden können.

Wenn also ich wiederhole es die Nervosität, die wesent⸗ lich in Folge und in der Befürchtung von Strikes gewisse industrielle Kreise ergriffen hat, ihr Ende erreicht haben wird und Niemand kann dies lebhafter wünschen als ich —, so wird zu erwarten sein, daß der Verkehr in lebhafter Entwicklung auf gesunder Bahn fortschreiten wird. Mit Rekriminationen, wie sie erhoben sind gegen die Königliche Staatsregierung, ist der Sache nicht gedient.

Die Schwankungen im Kohlenverkehr insbesondere, meine Herren, sind in den letzten Jahren von einer Größe gewesen, die mitunter be⸗ unruhigend war, und von der man nicht weiß, wie man ihr entgegen⸗ kommen soll. In den letzten vier Jahren hat der Kohlenverkehr sich gehoben um 25 %. Die Schwankungen in den einzelnen Jahren betrugen einmal 3,8 %, ein anderes Mal 7 %, ein drittes Mal 9 % und dann wieder 4,2 %, jedesmal mehr gegen das Vorjahr. Nun bitte ich, sich mal zu überlegen, was das heißt: 1 % unseres Kohlentransports auf den Eisenbahnen bedeutet etwa 60 000 Wagenladungen! Darüber sind wir ja nicht genau unterrichtet, was die Gruben nun für das betreffende Jahr für Geschäfte vorhaben, wir können nicht genau ermessen, wie viele Wagen jeweilig für ihren Absatz nothwendig sind. Wenn nun der Herbst mit sehr erhöhten Anforderungen kommt, dann sollen zahllose Wagen beschafft werden! Diese sind aber nicht herbei⸗ zuschaffen, auch nicht vom Ausland; ja! hätten wir selbst das Geld zu großen Ankäufen, wir könnten es nicht verwenden, weil die Wagen nicht so rasch zu schaffen sind, sie sind nicht im Laden zu kaufen, und es bleibt eben nichts übrig, als durch eine verstärkte Ausnutzung des Materials die Ansprüche nach Möglich⸗ keit zu befriedigen. Ich habe mich seiner Zeit bemüht, mit den Gruben eine Verständigung herbeizuführen, eine zeitige Ermittelung, wie sich bei den Gruben das Bedürfniß im Laufe des Jahres stellen würde. Der Hr. Abg. Schmieding wird mir indeß nicht bestreiten, daß diese Ermittelungen keineswegs den beabsichtigten Zweck erfüllt haben. Die Ziffern, die als Bedürfniß angegeben wurden, sind nicht selten weit überschritten worden, und da weiß ich in der That nicht, wie man uns einen Vorwurf machen kann, wenn selbst die Interessenten ihre Zukunft nicht genau übersehen konnten, daß wir nicht dafür ge⸗ sorgt haben, alle demnächst gewünschten Wagen stellen zu können. Ich kann nur wiederholen: Der Eisenbahn⸗Fuhrpark muß ausgerüstet sein, daß er für einen regelmäßigen starken Verkehr genügt, und er soll, elastisch in seiner erhöhten Ausnutzungsfähigkeit, die Reserve besitzen für erhöhte Ansprüche in Folge einer vorübergehenden größeren Ver⸗ kehrssteigerung.

Ich könnte Ihnen nun noch Zahlen mittheilen, wie sich Wagen⸗ bedarf und Wagengestellung gezeigt haben im Ruhrrevier und in Oberschlesien, wie es nicht richtig ist, daß die Bedürfnisse des Kohlen⸗ verkehrs so selten rechtzeitig befriedigt sein sollen. Z. B. im Ruhr⸗ revier haben, wie ich schon vorhin erzählte, im Oktober v. J. nur 1,3 % gefehlt, während im September der Bedarf gedeckt war; ebenso ist in Oberschlesien der Bedarf im September vollständig befriedigt, im Oktober haben hier nicht befriedigt werden können 6 %, im November 1 %, im Dezember gegen 2 %. Im Januar d. J. haben dann gefehlt an der Ruhr bei einer Mehranforderung gegen den Januar 1890 von 15 % im Ganzen 19 %, in Oberschlesien bei 10 % Mehranforderung 22 %. Bis zum Oktober 1890 sind gestellt worden im Ruhrrevier 2 215 935 Wagen, und es haben gefehlt für diese ganze Zeit 1643; für Oberschlesien sind gestellt worden bis Oktober 84 800 Wagen, und gefehlt haben 523. Ich glaube doch, daß dieses Verhältniß kein ungünstiges ist. Gewiß, der große Apparat kann noch vervollständigt und es müssen einige Lücken in der Organisation ausgefüllt werden, wir werden ja dafür sorgen, daß unser Fuhrpark auch in der Zukunft noch reichlicher ausgerüstet und leistungsfähiger gemacht wird, als er bisher gewesen ist; aber daß wir zu allen Zeiten und für alle Verhältnisse und An⸗ forderungen gerüstet sein werden, das kann ich auch beim besten Willen nicht versprechen. Wenn man mir von einer Seite kürzlich bemerkt hat: warum schaffst Du nicht das Doppelte des Fuhrparks an?, so kann ich einfach nur zu bedenken geben, daß es zur Beschaffung einer Verdoppelung des Fuhrparks der Staatsbahnen für sich allein einer Summe von etwa 1100 Millionen Mark bedarf, daß zu diesem Kapital dann noch große Summen treten müßten für Geleise, größere Bahnhöfe, Werkstätten, Lokomotiv⸗ und Wagenschuppen, große Summen für Personal u. s. w., und dann möchte ich das Defizit mal sehen, welches dann im Staatshaushalt erscheinen würde. Ich kann nur dringend davor warnen, zu solchen Dingen, die ich als verderbliche Extra⸗ vaganzen bezeichnen muß, überzugehen. (Bravo! rechts.)

Abg. Graf Strachwitz: Von unerwarteten plötzlichen Steige⸗

rungen im Kohlenverkehr könne man nicht gut sprechen, denn die Statistik zeige eine regelmäßige prozentuale Steigerung. Die Ursachen des Wagenmangels lägen mehr in einer zu großen Sparsamkeit der Verwaltung. Daß gegenwärtig 25 % statt, wie es der Durchschnitt sei, 10 % der Wagen sich in den Reparaturwerkstätten befänden, zeige, daß auch die Konstruktion der Wagen einiges zu wünschen übrig lasse. Die Stockung, die der Verkehr in Oberschlesien in den Monaten Januar und Februar erlitten habe, übersteige aber alles bis dahin Dagewesene, in dem Wagenmangel allein habe die Ursache derselben gelegen. .

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Die Anschuldigungen, die gegen die Staatsregierung wegen des Wagenmangels vorgebracht seien, seien entschieden übertrieben. Die Eisenbahnverwaltung könne täglich 50 60 000 Wagen stellen. Sowie aber irgendwie große Störungen durch Ueberschwemmungen und andere außerordentliche Hemmnisse einträten, wirkten diese auch für die spätere Zeit noch etwas nach. In den meisten Fällen seien die an die Verwaltung gestellten Anforderungen übertrieben, was schon daraus hervorgehe, daß viele Wagen garnicht beladen würden. Es gehe hier ähnlich wie bei der letzten Anleihe: Man nehme im Voraus schon darauf Rücksicht, daß nicht alle Wünsche befriedigt werden könnten und stelle deshalb die Anforderungen um so höher. Daß die Industriellen zur Berücksichti⸗ gung ihrer großen Anforderungen auch geneigt seien, höhere Tarife zu zahlen, habe man bisher nicht gehört. Der Wagenmangel komme zum Theil auch daher, daß die Zahl der im Auslande laufenden

preußischen Wagen viel größer sei als die der fremden Wagen bei uns. Der allmählich vor sich gehenden Steigerung des Verkehrs werde die Regierung Rechnung tragen müssen, aber eine Schuld treffe sie bisher nicht, da die Industriellen selbst nicht genügende Auskunft über die zu stellenden Anforderungen geben köanten. Unsere Eisen⸗ bahnverwaltung sei noch immer die beste in ganz Europa, und der Eisenbahn⸗Minister werde sie auf ihrer Höhe zu erhalten wissen.

Abg. Schmidt (Hagen): Daß einige Uebertreibungen in Bezug auf den Wagenmangel, besondecs was das Ruhrgebiet betreffe, vor⸗ lägen, glaube auch er. Daß an den schlimmsten Tagen der Schnee⸗ verwehungen Wagenmangel stattgefunden habe, sei kein Wunder. Die Zeche „Zollverein“ habe gerade an den schneereichsten Tagen weit mehr Wagen als sonst bestellt, täglich 378. Daß oft ein Wagenmangel vorgeschoben sei, um kontraktmäßige Ver⸗ pflichtungen nicht zu erfüllen, habe früher selbst die Kölnische Zeitung“ zugegeben. Ein Ausfall von 2 % von Wagen könne aber nicht den Kohlenmangel erzeugen, wie er thatsäͤchlich eingetreten sei. Im Januar habe man in Rotterdam Kohlen billiger kaufen können, als in Westfalen selbst. Einige Werke hätten sich im Sommer geweigert, die von den Kartellen geforderten Preise zu be⸗ zahlen und würden jetzt, absichtlich im Stich gelassen. Wie schäd⸗ lich die bisher befolgte Wirthschaftspolitik sei, zeige schon der Um⸗ stand, daß die zur Beförderung von Kohlen bestimmten eisernen Kähne in Holland um 30 % billiger als bei uns verkauft würden, obgleich sie ganz aus deutschem Eisen hergestellt seien. Was den Erlaß des Ministers betreffe, so würden diejenigen, die ein reines Gewissen hätten, die Untersuchung nicht zu scheuen brauchen. Ver⸗ werflich bleibe es immer, an das Ausland billiger zu verkaufen, als an das Inland. Die industriellen Vereinigungen, die für solch Gebahren einträten, verträten durchaus nicht die gesammte deutsche Industrie, sondern nur einzelne Gewerbszweige. Er wünsche, daß die Regierung in ihrer Wirthschaftspolitik auf den Standpunkt zurückgehe, dem in dem Ministerial⸗Erlaß von 1818 Ausdruck gegeben sei: jedes Gewerbe seiner natürlichen Wirkung zu überlassen und keins zu begünstigen. .“ .

Abg. v. Eynern: Ob der Abg. Schmidt oder die von ihm angegriffenen industriellen Vereinigungen mehr die deutsche Industrie verteäten, lasse er dahingestellt. Gerade diese Vereinigungen hätten durch ihre Zustimmung die großen sozialpolitischen Gesetze ermög⸗ licht, während die politischen Freunde des Abg. Schmidt sich in jeder Weise ablehnend verhalten hätten. Es klinge unerheblich, wenn es heiße, es hätten nur wenige Prozent Wagen gefehlt, aber die Wirkungen seien doch ganz bedeutende: Wenn der Minister eine Nervosität bei Fabrikanten konstatiren wolle, so sei diese durch den Wagenmangel wohl einigermaßen begründet, denn Tausende von Arbeitern büßten ihren Verdienst ein, besonders wenn es gehe wie in diesem Jahre, daß nun schon fünf Monate hindurch ein Wagenmangel herrsche. . 1 1

Nachdem die Diskussion geschlossen, wird die Vorlage an die Budgetkommission verwiesen. B

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Gesetzes, betreffend die Bildung von Wassergenossenschaften, vom 1. April 1879, für das Gebiet der Wupper und ihrer Nebenflüsse.

Abg. vom Heede: Man habe dieses Gesetz als eine allgemeine Grundlage des darin enhaltenen Stoffes zu behandeln, „obgleich die Regelung zuerst nur für ein Flußgebiet getroffen sei. Für das Thal der Lenne lägen die Verhältnisse aber ebenso, wie bei der Wupper, und er werde später beantragen, daß das Gesetz auch auf das Gebiet der Lenne ausgedehnt werde. 3

Abg. v. Tiedemann (Bomst): Es gebe kaum eine Gegend in Deutschland, die so günstig für den Versuch einer anderweiten Regelung der Bildung von Wassergenossenschaften sei, wie das Wupperthal. Durch die vorgeschlagene Anlegung von Becken werde die Wasserkraft fast verzehnfacht, und diese Steigerung der Wasser⸗ kraft komme fast 114 Werken an der Wupper zu Gute. Er hoffe, das Haus werde die zweite Lesung dieses lang erhofften Gesetz⸗ entwurfs sofort im Plenum vornehmen können.

Auf einige vom Abg. Graf (Elberfeld) geltend gemachten Bedenken erwidert 1 6

Geheimer Baurath Langer, daß die Vorlage technisch un⸗ bedenklich sei und wesentliche Vortheile mit sich bringe und daß sie sich die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen voll und ganz zu Nutzen gemacht habe.

Abg. Frhr. von Plettenberg empfiehlt die Vorlage zur Annahme.

Abg. Melbeck: Er könne als Abgeordneter des Wupperthales die Vorlage nur freundlich begrüßen. Durch die Niederlegung der Waͤlder sei der Stromgang der Wupper zeitweise ein so rascher ge⸗ worden, daß in anderen Zeiten ein großer Wassermangel eintrete. Diesem solle durch Anlegung von Sammelbecken abgeholfen werden. Er wolle hoffen, daß durch den vom Abg. vom Heede in Aussicht ge⸗ stellten Antrag bezüglich des Lennegebietes die gegenwärtige Vorlage nicht gefährdet werde. 1“

Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:

Bei der ausnahmslos zustimmenden Beurtheilung, welcher die Vorlage begegnet ist, glaube ich zur Unterstützung derselben eine weitere Ausführung nicht machen zu brauchen, und ich ergreife nur das Wort, um, einer Anregung des Hrn. Abg vom Heede Folge gebend, Ihnen mitzutheilen, daß das Projekt für die Lenne heute hier beim Handels⸗Ministerium eingegangen ist. Die Sache wird geprüft werden. Speziell ist sie mir noch nicht bekannt, sodaß ich mich über meine Stellungnahme zu dem Lenne⸗Projekt nicht äußern kann.

Dagegen kann ich sagen, daß prinzipielle Bedenken für die Staats⸗ regierung nicht vorlie gen, auch noch im Rahmen dieses Gesetzes die Sache eventuell mit zur Erledigung zu bringen. Es würde das keine großen Schwierigkeiten haben. Ich glaube, daß im Uebrigen das hohe Haus dieser Vorlage die Anerkennung nicht versagen wird, daß gerade ihr Vorzug in der Beschränkung liegt (sehr richtig!), darin, daß sie sich auf ein bestimmtes zur Ausführung völlig vorbereitetes Projekt beschränkt und nicht gleich für das ganze Staatsgebiet in dieser schwierigen Materie eine gesetzliche Neuregulirung in Aussicht nimmt. Ich darf mich auch der Hoffnung hingeben, daß dieser Schritt es ist ein Versuch, der gemacht wird hoffentlich zu einem segensreichen Erfolge führen wird. Wenn von einer Seite auf das Bedenken hin⸗ gewiesen wird, daß auch einmal eine Thalsperre brechen könne, und daß es Gewissenssache sei, dies auszusprechen, so darf ich darauf hin⸗ weisen, daß diese Möglichkeit selbstverständlich von der Staatsregierung auch erwogen ist. Der Umstand aber, daß die Staatsregierung Ihnen diese Vorlage gemacht hat, beweist eben, daß nach Ansicht der Staats⸗ regierung die Gefahr großer Verheerungen durch Bruch der Thalsperre menschlicher Voraussicht nach eine verschwindend geringe ist gegenüber den zu erzielenden wirt hschaftlichen Vortheilen. Es wird Sache jedes Einzelnen im hohen Hause sein, sich die Fraße zu beantworten, ob er mit der Staatsregierung diese Gefahr so beurtheilt, daß er der Vor⸗ lage zustimmen kann, oder ob er die Gefahr für so nahe liegend und erheblich erachtet, daß er um deswillen die Vorlage abzulehnen ge⸗ nöthigt ist.

Nach weiterer unerheblicher Debatte, in der sich Abg. Eberty für eine Ueberweisung der Vorlage an eine besondere Kommission aussprach, beschloß das Haus, die zweite Berathung sogleich im Plenum vorzunehmen.

Schluß 3 ½ Uhr.

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eut

zum Mo. 54.

Zweite Beilage nzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗

Berlin, Dienstag, den 3. März

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Die Deukschrift über die Ausführung des Ansiedelungs⸗

Nach der dem Hause der Abgeordneten zugegangenen Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen für das Jahr 1890, wurden der An⸗ ßedelungskommission in dem genannten Jahre 52 Güter und 46 bäuerliche Grundstücke zum Ankauf angeboten, davon 25 Güter und 26 bäuerliche Grundstücke aus polnischer und 27 Güter und 20 bäuer⸗ liche Grundstücke aus deutscher Hand. In 52 Fällen trat die An⸗ siedelungskommission außerdem dem Ankauf von Gütern und Grund⸗ stücken, welche zur Zwangversteigerung gestellt waren, näher. Angekauft und übernommen wurden 10 Rittergüter, 1 adliges Gut, 1 Freischulzen⸗ gut, also 12 größere Grundstücke, und außerdem 2 bäuerliche Grund⸗ stücke. Hiervon entfielen: auf den Regierungsbezirk Danzig das Rittergut Barchnau im Kreise Pr. Stargard mit einem Flächeninhalt von 395 ha 26 a 48 qm für 150 000 ℳ; auf den Regierungsbezirk Marienwerder die Rittergüter Gulbien, Kreis Rosenberg, und Grie⸗ wenhof, Kreis Strasburg, mit einem Gesammtareal von 1291 ha 78 a 4 qm zum Preise von 680 000 ℳ; auf den Regierungsbezirk Bromberg die Rittergüter Occhowo und Slowikowo, Kreis Mogilno, Sobiesiernie, Kreis Wittkowo, und Dziewirzewo, Kreis Znin, sowie das Freischulzengut Waliszewo, Kreis Gnesen, und das adlige Gut Neudorf, Kreis Znin, mit einem Gesammtflächeninhalt von 4677 ha 76 a 51 qam zum Gesammtpreise von 3 099 010 ℳ; auf den Regierungsbezirk Posen die Rittergüter Wilcza, Kr. Jarot⸗ schin, Leipe, Kr. Schmiegel, und Sedziewojewo, Kr. Wreschen, mit einem Gesammtareal von 1402 ha 28 a 40 qm zum Preise von 1 666 500 ℳ, sowie das bäuerliche Grundstück Otoczno Nr. 25, Kr. Wreschen, mit einem Flächeninhalt von 6 ha 44 a 70 qm zum Preise von 5400 Im Ganzen wurden also 7774 ha 85 a 23 qm gegen 4800 ha 62 a 88 qm im Vorjahre angekauft. Ankäufe aus deutscher Hand 3 Fälle fanden nur im Wege der Zwangsversteigerung statt. Der Gesammterwerb der Ansiedelungskommission beläuft sich bis jetzt auf 48 665 ha 63 a 34 qm Gutsareal zum Preise von 29 376 916,20

und 1334 ha 26 a 82 qm bäuerliches Areal zum Preise von 904 294,80

Von den angekauften Gütern stand das Gut Slowikowo in einem Pachtverhältniß und wurde dasselbe der zuständigen Bezirksregierung zur weiteren Verwaltung überwiesen, während die übrigen im Be⸗ richtsjahre angekauften Güter in die unmittelbare Verwaltung der Kommission übernommen wurden, sodaß der großwirthschaftliche Be⸗ trieb derselben, nachdem er in Folge des Abschlusses der Bestedelung auf 6 Gütern aufgelöst wurde, noch auf 65 Gütern, 5 mehr als im Vorjahre besteht. Das finanzielle Ergebniß der Verwaltung war, in Folge des unzulänglichen Ausfalls der 1889 er Ernte, kein günstiges, da im Ganzen ein Zuschuß von 159 085,24 erforderlich war.

Die Aufstellung neuer Ansiedelungspläne mußte gegen das Vorjahr eingeschränkt werden, weil, nachdem nunmehr rund 12 000 ha an Ansiedler begeben worden sind, die verfügbaren Hülfs⸗ kräfte mit den zur Auflassung der Stellen an die Ansiedler nöthigen Scklußvermessungen beschäftigt waren. Diese Arbeiten sind für ein Arcal von 11 400 ha nahezu zum Abschluß gebracht. Fertig ge⸗ stellt wurden im Berichtsjahre die Theilungspläne von 5 Gütern mit einem Flächeninhalt von 2388,61 ha. Ausschließlich der zu öffentlichen Zwecken angewiesenen Flächen im Gesammt⸗ inhalt von 95,52 ha und der für etwaige Anträge der Ansiedler auf Erweiterung ihres Besitzes reservirten Ländereien von 353,41 ha, wurden 2015,20 ha in 117 neuen Ansiedlerstellen zur Begebung ausgewiesen. Projektmäßig bearbeitet worden sind im Ganzen bis zum 1. Januar 1891 20 799,62 ha. Davon wurden für öffentliche Zwecke 1124,12 ha ausgeworfen, und zwar: für Kirchen⸗ und Pfarrgrundstücke 67,10 ha, für Schulgehöfte und Lehrerdienstland 123,81 ha, für Gemeindezwecke 119,71 ha und als Dotationsländereien für die neuen Gemeinden 813,50 ha. Als nicht unmittelbar für An⸗ siedlerzwecke verwendbar, bezw für spätere Begebung wurden 2279,37 ha vorbehalten und auf 978 Ansiedlerstellen 17 396,13 ha vertheilt; hier⸗ unter 57 Stellen größeren Inhalts, 116 Stellen zu 25 ha und mehr, 363 Stellen von 13 bis 25 ha, 381 Stellen von 4 bis 13 ha und 83 Stellen bis zu 4 ha.

An Meliorationsarbeiten sind bis zum 31. Dezember 1890 die Drainageausführungen auf 29 Gütern projektirt worden; davon ist auf 12 Gütern mit einem Areal von rund 6280 ha die Drainage vollständig zum Abschluß gebracht worden, auf 17 Gütern sind die Arbeiten noch in der Ausführung begriffen, aber auch hier bereits 3200 ha fertig drainirt. Ferner wurden weitere sechs Projekte zu Drainirungen aufgestellt, welche aber erst im laufenden Jahre zur Durchführung gelangen können. Neben der Durchführung von Drainagen sind auch Projekte zur Meliorirung umfang⸗ reicher Bruch- und Wiesenflächen bearbeitet worden, deren Ausführung ebenfalls für dieses Jahr zu erwarten steht. Die Bauthätigkeit der Kommission hat sich auch in dem Berichtsjahre wesentlich erweitert und sind im Laufe desselben theils fertig gestellt, theils noch im Bau begriffen an Gehöftsbauten für Ansiedler: 6 Wohnhäuser, 31 Wohnhäuser mit Stall unter einem Dach, 19 Wohnhäuser mit Stall und Scheune unter einem Dach, 17 Stallgebäude, 4 Stallungen mit Scheune unter einem Dach, 41 Scheunen, 4 Schmieden und 10 Kruggebäude; für öffentliche Zwecke: 1 Kirche, 11 Schulhäuser mit 22 Nebengebäuden, 1 Armenhaus, 1 Forst⸗ haus und 2 Wirthschaftsgebäude für Förstereien und 2 massive Brücken. Außerdem wurde eine Dampfschneidemühle erbaut, welche am 1. Mai v. J. eröffnet wurde und bis zum 1. November 18 790 lfd. m Kantholz, 57 150 lfd. m 4 und 2 em starke Bretter und 1400 lfd. m 8 bis 5 cm starke Bohlen lieferten. Außerdem wurden in dem Berichtsjahre zur baulichen Verwerthung bereit ge⸗ stellte 8700 cbm Fundamentsteine und 10 272 400 Ziegelsteine, von denen 9 300 000 Stück in 29 selbst betriebenen Ziegeleien fertig ge⸗ stellt wurden. Diese Baumaterialien werden den Ansiedlern gegen Erstattung der aufgewendeten Selbstkosten abgegeben.

An Ansiedelungsanträgen gingen in dem Berichtsjahre

836 ein, 14 weniger als im Vorjahre, davon sind 513 zur Notirung in die Ansiedlerliste gekommen. Unter diesen 513 Anwärtern waren nur 192 Angehörige der Ansiedelungsprovinzen. Mit der Zunahme des westdeutschen Elements in den Ansiedelungen vermehrt sich auch der Zuzug kapitalskräftiger Bauern und zeigt sich dies in dem Ver⸗ mögensdurchschnitt der für das Berichtsjahr angemeldeten Ansiedler, welcher gegen den früheren Durchschnitt von 4096 auf 6172 gestiegen ist. Außer den oben erwähnten Anmeldungen sprachen noch mindestens 150 Landwirthe mündlich bei der Kommission vor, und gegen 100 Punktationsabschlüsse wurden im Berichtsjahre mit An⸗ siedlern gemacht, die nicht in den Listen vorgemerkt waren. Begeben wurden im Berichtsjahre 186 Stellen an 175 An⸗ siedler mit einer Gesammtfläche von 2960 ha 36 a 40 qm, sodaß von den überhaupt zum Verkauf gestellten 964 Stellen mit 17 795 ha 94 a 89 qm, am Schlusse des Jahres noch 252 mit einem Areal von 4869 ha 89 a 21 qm unbegeben blieben. Zu Kauf gegen Rente sind im Ganzen 555 Stellen, zu Pacht auf Zeit 146 Stellen begeben und außerdem 11 Parzellen zu freiem Eigenthum verkauft worden.

Die mit Ansiedlern besetzten Gutsbezirke Dallnick, Kr. Flatow, Swiniary⸗Swiniarki, Kr. Gnesen, und Michalcza, Kr. Gnesen, sind im Laufe des Berichtsjahres in Landgemeinden umgewandelt worden. Die Gutsbezirke Lubowo und Komorowo, Kr. Gnesen,

werden als Theile gleichnamiger, bereits bestehender Landgemeinden anerkannt, die Regelung der Gemeindeverhältnisse der Kolonie Gr. Jenznick, Kr. Schlochau, Bujawa⸗Mühle, Kr. Briesen, Kopaschin, Kr. Wongrowitz, Kucznowo. Kr. Wreschen, Lippusch, Kr. Berent, Sokolniki, Kr. Gnesen, und Sablonowo, Kr. Briesen, hat sich als unnöthig erwiesen, da diese Anstedelungen theils bestehenden Landgemeinden bereits angehören, theils als Pachtkolonien im ausschließlichen Eigenthum des Fiskus verblieben sind. Vorbereitet wird die Umgestaltung der kommunalen Verhältnisse in Alt⸗Bukowitz, Czewojewo, Kiewo, Lowencice, Ossowo und Ruchocin, wo die Ansiedelung bisher wenig vorgeschritten war. Die Neubildung der übrigen sechszehn aus Ansiedlern sich zusammen⸗ setzenden Landgemeinden ist durchgängig dem Abschluß nahe.

Für die schulunterrichtliche Versorgung der Ansiedler⸗ kinder ist in ausgiebigster Weise gesorgt worden. Zu den 12 in den Jahren 1888 und 1889 neu errichteten Schulen sind im Laufe des Berichtsjahres 10 nene hinzugetreten. Ebenso ist die kirchliche Verforgung der Ansiedler nach wie vor ins Auge gefaßt worden. In Lubowo, Kreis Gnesen, ist der beschlossene Kirchenbau im Rohbau vollendet und die Begründung eines weiteren evangelischen Kirchspiels mit dem Mittelpunkte Zerniki, Kreis Znin, eingeleitet worden. Die auf den Ansiedelungsgütern eingerichteten Volksbibliotheken fanden großen Anklang und wurden namentlich in den Wintermonaten fleißig benutzt.

Die Verleihung von Rindvieh an Ansiedler fand in aus⸗ gedehnterem Maße statt als bisher. Im Ganzen ist in 77 Fällen von dem Leihverfahren Gebrauch gemacht worden, von denen 63 auf das Berichtsjahr entfallen.

Bei der stetig wachsenden Zahl von Ansiedelungen hat die Be⸗ schaffung von Obstbäumen im Berichtsjahre einen weit größeren Umfang angenommen als im Vorjahre. Es wurden an 262 Besitzer 7192 Obstbäume gegen 4654 in 1889 geliefert.

Auf Grund der mit den Ansiedlern geschlossenen Punktationen wurden auch im Berichtsjahre definitive Rentengutsverträge abgeschlossen. Auch war es wieder möglich, eine Anzahl von Ansiedler⸗ stellen den Erwerbern gerichtlich aufzulassen und nach Maßgabe der Ansiedelungspläne den grundbuchmäßigen Bestand einiger Ansiedelungs⸗ güter durch Umschreibung der Trennstücke auf einzelne Grundbuch⸗ blätter Behufs Erleichterung späterer Ansiedelungen aufzulösen.

Will man ein Urtheil gewinnen über die finanziellen Er⸗ gebnisse der Thätigkeit der Besiedelungskommission und über die Existenzfähigkeit der Ansiedler unter den Ansiedelungsbedingungen, so kommt es auf die Beantwortung folgender Fragen an: läßt sich zur Zeit nachweisen, wie die Staatsmittel der Ansiedelungskommission in einzelnen Situationen angelegt sind? und ist die Ansiedelung unter den festgestellten Bedingungen ein gutes Geschäft für den Ansiedler oder nicht? Die Beantwortung der ersten Frage ist zur Zeit noch nicht in vollem Umfange möglich, da die Berechnung der fiskalischen Aufwendungen noch nicht abgeschlossen werden kann. Hinsichtlich der zweiten Frage verbreitet einmal eine Abschätzung von 23 relativ be⸗ triebsfähigen Ansiedlerhoͤfen in Lubowo zum Zweck der Feststellung der Kreditfähigkeit ihrer Besitzer, welche sich zu einem Raiffeisen'schen Darlehnskassenverein vereinigt hatten, und sodann der Uebergang von 12 Ansiedlerstellen in die zweite Hand einiges Licht. Bei den er⸗ wähnten 23 Stellen ergab sich eine Passivsumme von 335 402,30 gegenüber einer Taxe von 501 729,84 Bei dem Uebergange in die zweite Hand ergab sich, soweit es sich nicht um Ueber⸗ lassung an Erben handelte, daß fast durchweg recht er⸗ hebliche Gewinne realisirt wurden, und man darf daher wohl sagen, daß einmal die Grundsätze der Ansiedelungs⸗ kommission sich im Allgemeinen bewährt haben, daß ferner das von den Ansiedlern verlangte eigene Vermögen hingereicht hat, um mit den weiteren Unterstützungen aus den Mitteln des Ansiedelungsfonds eine relative Betriebsfähigkeit der Stellen zu erreichen, welche ein allmähliches Emporkommen der Ansiedler verspricht, und daß endlich die vom Ansiedelungsfiskus über die Anrechnungswerthe der Liegen⸗ schaften hinaus gewährten Kredite nicht gefährdet erscheinen.

Statistik und Volkswirthschaft

1..“ Zur Arbeiterbewegung.

Der internationale Arbeiterkongreß wird, e der „Vorwärts“ an der Spitze der heutigen Nummer mittheilt, in Brüssel zusammentreten und eine Woche lang dauern. Die Er⸗ öffnung soll am dritten Sonntag des August stattfinden. Auf der Tagesordnung befinden sich folgende Punkte: 1) Der Stand der nationalen und internationalen Arbeiter⸗ gesetggebung, und die Mittel und Wege, dieselbe zu ver⸗ bessern. 2) Das Koalitionsrecht und seine Garantien; Arbeits⸗ einstellungen, Boykott und Gewerkschaftsbewegung vom nationalen und internationalen Gesichtspunkt aus. 3) Die Stellung und die Pflichten der Arbeiterklasse gegenüber dem Militarismus. Der Kongreß ist allen Arbeiterorganisationen und allen sozialistischen Parteien ohne Ausnahme offen.

Ueber die Stellungnahme der Regierung zu den Forderungen der Bochumer Delegirten⸗Versammlung vom 15. Februar ist in dem Hauptblatt unserer heutigen Nummer ein Artikel enthalten.

Auch der Vorstand des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Ober⸗Bergamtsbezirk Dortmund hat zu dieser Frage jetzt Stellung genommen und an die Vereinszechen ein Rundschreiben gesandt, welchem die folgenden wesentlichen Punkte ent⸗ nommen sind. Der Vorstand ist der Ansicht, daß die an erster Stelle aufgestellte Forderung der Einführung einer einschließlich der Ein⸗ und Ausfahrt auf acht Stunden festzustellenden Arbeitsschicht der wichtigste Punkt in der im Gange befindlichen Bewegung ist und bleiben wird. Der Vorstand ist aber auch der Ansicht, daß dieser unter allen Umständen nicht stattgegeben werden kann. Die Einrechnung der Ein⸗ und Ausfahrt in die achtstündige Schicht würde eine Herab⸗ setzung der wirklichen Arbeitszeit um durchschnittlich 1 bis 1 ½ Stunde und somit eine wesentliche Minderung der Förderung bedeuten. Abschätzungsweise wird letztere auf etwa 15 % berechnet. Eine weitere in der Delegirten⸗Versammlung der Bergarbeiter auf⸗ gestellte Forderung bezieht sich auf die Einrichtung von Einigungs⸗ ämtern und Arbeiter⸗Ausschüssen. Aus der näheren Darlegung, welche die Versammlung der Aufstellung dieser Forderung venesch lassen hat, ergiebt sich, daß in Absicht ist, den Arbeiter⸗Ausschüssen einen wirk⸗ samen Einfluß auf die Verwaltung der Zechen selbst eingeräumt zu sehen. Es bedarf keines besonderen Hinweises darauf, daß die Einrichtung von Arbeiter⸗Ausschüssen auf den Zechen und Verleihung der in Anspruch genommenen Befugnisse an dieselben einen geord⸗ neten Betrieb überhaupt unmöglich machen, die Disziplin vollständig untergraben und die Verwaltung in ihren wichtigsten Rechten und Pflichten derart einschränken würde, daß eine verantwortliche Betriebs⸗ führung überhaupt nicht mehr statthaben kann und an Stelle der Ruhe und Ordnung demnächst die wüsteste Agitation auf sämmt⸗ lichen Werken herrschen würde. Der Vorstand kann daher nur dringend empfehlen, daß die Vereinszechen bei dem bisherigen ablehnenden Standpunkte gegenüber der Forderung der Errichtung von Arbeiterausschüssen auf das Entschiedenste verharren. Soviel dem Vorstande bekannt ist und allseitig bestätigt wird, haben sich die

Löhne der Bergleute in derjenigen Höhe erhalten, welche sie während

der dem Ausstand des Jahres 1889 folgenden Konjunktur erreicht hatten. Die Behauptung, welche in Versammlungen und in der agitatorischen Presse vielfach aufgestellt wird, daß die zur Zeit verdienten Löhne Hunger⸗ löhne seien, ist eine frivole und wissentliche Unwahrheit. Die verlangte Aufstellung von Minimallöhnen ist ein Unding und ernstlich überhaupt nicht zu erörtern. Ebensowenig kann ein Eingehen auf die Forderung einer allgemeinen Lohnerhöhung in Frage kommen. die Forderung von Wiedereinstellung solcher Bergleute, welche in Folge von Organisations⸗ bestrebungen entlassen sind, muß der Vorstand als durchaus unzulässig be⸗ zeichnen. Die Entlassung einzelner Bergleute aus der Arbeit kann immer nur Gegenstand der Verhandlung zwischen der Werksverwaltung und den betreffenden Arbeitern selbst sein. Ob auf einzelnen Vereinszechen noch der allgemeine Abzug von Füllkohlen stattfindet, ist dem Vorstande nicht allenthalben bekannt. Derselbe ist aber der Meinung, daß das System der Füllkohlen veraltet und unpraktisch ist und da, wo es etwa noch besteht, in Wegfall kommen sollte. Dagegen wird auf die Einrichtung des Wagennullens als einer unentbehrlichen Disziplinarmaßregel in keinem Falle verzichtet werden können.

In fast sämmtlichen Bezirken des Ruhrkohlengebiets haben

am Sonntag Arbeiterversammlungen stattgefunden, in welchen die am 15. Februar auf dem Bochumer Delegirtentag auf⸗ gestellten Forderungen angenommen wurden. In der Belegschafts⸗Versammlung der Zeche „Herkules“ warnte der „Nat.⸗Ztg.“ zufolge der frühere Delegirte Rosen⸗ kranz die jetzigen Delegirten, für die von den Führern geplante internationale Vereinigung einzutreten. Redner erklärte, daß der internationale Pariser Kongreß weiter nichts als eine Vereinigung von Sozialdemokraten wäre, und forderte die Versammlung auf, sich nicht von den Beschlüssen dieses Kongresses leiten zu lassen. Der Ausstand der Gummibandwirker in den Fabriken von Thoren, Reichert u. Co. in Barmen und Schwelm dauert, wie der „Köln. Ztg.“ berichtet wird, hartnäckig fort. In einer auch von Arbeitern anderer Gewerbe besuchten Versammlung wurde beschlossen, auch die in Folge des Ausstandes beschäftigungslos gewordenen Mädchen aus den vorhandenen Geldern zu unterstützen. Die Besitzer der Fabriken erklären, die Arbeiter seien mit ihrer Forderung durchaus im Unrecht; es sei keineswegs eine neue Einrichtung, daß das Gummiband nicht sofort, sondern erst einige Tage, nachdem es vom Stuble gekommen, gemessen werde. Dies Verfahren sei früher immer angewandt worden und erst, als sich die eiligen Aufträge gemehrt und angehäuft hätten, sei, um eine schnellere Abfertigung zu ermöglichen, das Band sofort gemessen worden, wenn es vom Webstuhl gekommen. Mit der Zeit hätten sich die Arbeiter so an dieses Verfahren ge⸗ wöhnt, daß sie es jetzt als ihr Recht betrachteten. Ebenso sei die Behauptung der Arbeiter, daß ihnen durch die Vermessung der ge⸗ lieferten Waaren erst nach einigen Tagen ein Schaden von 3—4 wöchentlich erwachse, unwahr; das 60 70 m lange Stück Band laufe höchstens um 1 m ein, was jederzeit durch Proben bewiesen werden könne. Der Arbeitslohn für 1 m betrage 8 ₰, ein Arbeiter liefere wöchentlich etwa fünf solcher Stücke, sodaß der Unterschied im Lohn nicht, wie die Arbeiter behaupteten, 3 bis 4 ℳ, sondern nur 40 in der Woche ausmache. Im Uebrigen hätten sich die Arbeiter keines⸗ wegs über schlechte Löhne zu beklagen, denn ihr Wochenlohn belaufe sich durchschnittlich, wie durch eine Zusammenstellung der Lohnlisten nachgewiesen wird, in Barmen auf 27 ℳ, während derjenige der Schwelmer Arbeiter wöchentlich 24 bis 25 betrage.

In Wriezen a. O. fand am Sonntag der angekündigte sozial⸗ demokratische Parteitag für die Kreise Prenzlau, Angermünde, Königsberg N.⸗M. und Oberbarnim statt. (Vgl. Nr. 47 d. Bl.) Viele Delezirte aus allen Theilen der Provinz Brandenburg, ganz be⸗ sonders aus Berlin, waren erschienen. Zu Vorsitzenden wurden, wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, Kaufmaan Kegelmann (Neudamm) und Töpfermeister Günther (Freienwalde) gewählt. Webermeister Pösselmann (Straußberg) hielt den einleitenden Vortrag. Es sei nothwendig, so führte er aus, die Arbeiter allesammt gewerkschaftlich und politisch zu organisiren. In jedem kleinen Ort, auf jedem Dorf müssen gewerkschaftliche und politische Vereine geschaffen und Volksversammlungen abgehalten werden. Wenn die Land⸗ arbeiter erst einsehen würden, daß die Sozialdemokraten nur Recht und Gerechtigkeit schaffen und aller Unterdrückung und Ausbeu⸗ lung ein Ende machen wollen, dann würden sie nicht anstehen, sich denselben anzuschließen. Nach der Berliner „Volks⸗Ztg.“ äußerte der Redner noch u. A.: Wir müssen ferner den Arbeitern auf dem Lande sagen: Wir sind entfernt davon, die christlichen Institutionen umzustürzen; es ist eitel Lüge, wenn die Gegner behaupten: wir wollten die Ehe und die Familie aufheben. Wir wollen keineswegs unsere Ziele verschleiern, wir wollen den Landarbeitern sagen, daß, wenn sie ihre wirthschaftliche Lage aufbessern wollen, sie sich der sozialdemokratischen Partei anschließen müssen. Schließlich gelangte folgende Resolution zur Annahme: In Erwägung, daß bisher für die Aufklärung der ländlichen Arbeiter nicht genügend Sorge getragen worden, in Erwägung ferner, daß das Klassenbewußtsein des ländlichen Pro⸗ letariats nur durch eine rührige Agitation gefördert werden kann, beschließt der Parteitag: 1) Mit allen gesetzlichen Mitteln im Sinne der sozial⸗ demokratischen Partei zu agitiren, 2) wo es nur angeht, auf Dörfern Versammlungen abzuhalten, 3) von Zeit zu Zeit Flugschriften, welche die Lage der ländlichen Arbeiter beleuchten, und in denen die Wege zur Besserung angegeben sind, zu verbreiten, 4) die Kosten hierfür theils von den Kreisen, theils von den Centralkassen aufbringen zu lassen. Ferner wurde noch ein Protest gegen die Gesindeordnung als Resolution angenommen.

Kunst und Wissenschaft.

v“ 8 In dem Torfmoor der Feldmark Pinnow (Besitzer Regierungs⸗Referendar, Kammerjunker von Behr), Kreis Greifswald, ist eine Anzahl arabischer Münzen neben Bruchsilber gefunden worden. Die Münzen, welche dem Königlichen Münzkabinet übersandt sind, stammen aus der Zeit der Abbassiden⸗ und Omajaden⸗Dynastie. Sie sind im Gebiet des heutigen Arabien und 1u“ geprägt und 6

haben einen ungefähren Werth von 150 88 8166 ö“ 11““

m Todtentan welche der Kupferstecher Professor Hans Meyer im Schulte⸗ schen Salon ausgestellt hat, führt der Künstler in achtzehn Kompositionen nebst einem Titelblatt den im sechzehnten EIE so beliebten und in neuerer Zeit seit Alfred ethel bei uns nicht wieder aufgenommenen Gedanken von der Vergänglichkeit alles Irdischen dergestalt durch, daß er den Tod ganz ähnlich wie in den Holbein'’schen Holzschnitten als lebendiges, mit Augen versehenes Skelett und mit verschiedener Kleidung angethan, dem Menschen entgegentreten und ihm bei der Arbeit behülflich sein läßt. Seinen hierdurch schon allein verständlichen Blättern hat der Künstler Verse, oft längeren Inhalts, hinzugefügt, welche diesen Gedanken in

markigen, nicht selten die Eitelkeit der menschlichen Be⸗