1891 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

kleineren Festungen zum großen Theil aufgehoben und seien Zusammen⸗ ziehungen in größere Festungen nöthig. Aus dem Grunde sei die Verlegung von Glatz nach Glogau im militärischen Interesse dringend erforderlich. Einzelheiten über die Mobilmachungspläne könne er nicht geben; vielleicht lasse sich an anderer Stelle nachweisen, daß auch sie diese Verlegungen nothwendig machen.

Abg. Sperlich: Glatz sei als Festung durchaus nicht aufge⸗ geben, und darum dürfe es wohl seine Artillerie⸗Garnison behalten. In das Allerhöchste Dislokationsrecht habe er mit seinem Antrage nicht eingreifen wollen.

Bundesraths⸗Kommissar Oberst Erfling: Die Wohnungs⸗ verhältnisse in Glatz seien durchaus ungenügende und die Verlegung der beiden Compagnien sei schon aus diesem Grunde erforderlich.

Abg. Scipio: Seige Partei würde für den Kommissionsantrag stimmen. Durch diese geringfügige Forderung werde ja dem eigent⸗ lichen Bau gar nicht präjudizirt, sondern man werde sich darüber im nächsten Jahre in der Kommission auseinanderzusetzen haben. Aus diesem Grunde sei es auch gar nicht nöthig, die Forderung noch einmal in der Kommission zu prüfen.

Der Antrag Sperlich wird hierauf abgelehnt und die Position gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Deutsch⸗ freisinnigen, Polen und Centrumsmitglieder bewilligt.

Gestrichen wird nach dem Antrage der Budgetkommission, trotz der Befürwortung der Position durch den Bundesraths⸗ Kommissar Oberst Erfling, die Forderung von 59 000 zum Neubau eines Bureaugebäudes für das General⸗ Kommando des VIII. Armee⸗Corps in Koblenz.

Zum Neubau einer Infanteriekaserne in Bremen werden statt der geforderten ersten Baurate von 400 000 nur 10 000 für den Entwurf bewilligt; als dritte Rate für eine Kavalleriekaserne in Braunschweig statt 676 000 nur 645 000

Zum Neubau und zur Ausstattung einer Kaserne nebst Zubehör für die Artillerieverstärkung in Hannover werden als vierte Rate 200 000 bewilligt; zum Neubau und zur Ausstattungsergänzung einer Kaserne nebst Zubehör für ein Bataillon Infanterie in Hildesheim werden als zweite Rate (erste Baurate) 250 000 bewilligt.

Für Grunderwerb und Entwurf zum Neubau einer Infanteriekaserne in Osnabrückzsind 35 000 ge⸗ fordert. Das Haus bewilligt nach dem Antrage der Kommision nur 30 000

Zum Bau eines Kommandantur⸗ und Divisionskommando⸗ Dienstgebäudes in Graudenz werden für Grunderwerb und Entwurf 18 000 gefordert.

Die Kommission hat die Summe nicht beanstandet, will aber die Zweckbestimmung des Titels auf ein Kommandantur⸗ gebäude beschränken.

Nachdem Bundesraths⸗Kommissar Oberst Erfling für das dringende Bedürfniß der Unterbringung des Divisions⸗ Commandeurs in einem eigenen Dienstgebäude wegen des Mangels an geeigneten Miethswohnungen in Graudenz ein⸗ getreten ist, wird die Position nach dem Kommissionsantrage bewilligt.

Ohne Debatte bewilligt werden die geforderten Raten für Militärlazarethe u. A. in Inowrazlaw, Bromberg, Krotoschin, Gleiwitz.

Gestrichen wird nach dem Antrage der Kommission die Forderung einer letzten Rate von 150 000 für das Train⸗ depot in Danzig, ebenso die Forderung von 500 000 zum Grunderwerbe für ein Dienstgebäude der Artillerie⸗ Prüfungskommission in Berlin, endlich die Forderung einer letzten Rate von 147 000 für eine Fachwerks⸗ kaserne für eine Compagnie Infanterie in Metz.

Im außerordentlichen Etat werden statt 300 000 zum Entwurf und zum Baubeginn für die Erweiterung der Artilleriekaserne zur Aufnahme der Etatsverstärkung der Feld⸗Artillerie in Stettin nur 6000 zum Entwurf be⸗ willigt; von der zweiten Rate von 45 000 für eine Artilleriekaserne in Marienwerder 25 000 abgesetzt und nur 20 000 bewilligt.

Von der Forderung von 10 Millionen „zu Be⸗ schaffungen für artilleristische Zwecke und zur Her⸗ stellung der erforderlichen Aufbewahrungsräume“ wird eine Million abgesetzt. 8

Endlich werden statt der geforderten 1 000 000 als zweite Rate für eine Kavalleriekaserne in Saarburg 900 000 bewilligt und der Rest des außerordentlichen Etats nach dem Etatsentwurf genehmigt, desgleichen die Einnahmen des preußischen Reichs⸗Militärkontingents, das Extraordinarium und die Einnahmen des sächsischen und 1“ Etats, endlich die bayerische

uote.

Damit ist die zweite Berathung des Militär⸗Etats er⸗

Schluß 2 ¾ Uhr.

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Haus der Abgeordneten. 4171. Sitzung vom Dienstag, 3. März 1891.

Der Sitzung wohnen der Minister des Innern Herr⸗ furth und der Finanz⸗Minister Dr. Miquel bei.

Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathung des Einkommensteuergesetzes.

Abg. von Meyer (Arnswalde): erklärt, daß er im Allgemeinen mit der Vorlage einverstanden sei, so namentlich mit der Zusammen⸗ setzung der Einschätzungskommission und mit dem Ersatz des Steuer⸗ gerichtshofs durch das Ober⸗Verwaltungsgericht. Bedenken habe er nur gegen die Ueberweisungsparagraphen. 1“

Abg. von Jagow: Seine Fraktion halte das Gesetz in seinen wesentlichen Bestimmungen für gut und werde so gut wie geschlossen in der Schlußabstimmung dafür stimmen, wenn nicht in der dritten Lesung Aenderungen einträten, die es für sie unannehmbar machten. Sie werde folgende Einzelanträge stellen: Den zweiten Absatz in §. 2, welcher außerhalb Preußens befindliche Anlagen, die in Preußen Agenturen unterhielten, besteuern wolle, wolle sie gestrichen wissen, weil sie glaube, daß er zu sehr großen Schwierigkeiten Anlaß geben möchte. Ferner werde sie in §. 9 die Kommunalsteuern nicht vom Einkommen in Abrechnung zu bringen beantragen, weil, wenn dies be⸗ stehen bleibe, schwere Ungleichheiten geschaffen werden würden. Im §. 16, welcher die Besteuerung der Aktiengesellschaften behandele, werde sie die Vorschläge der Kommission wiedereinzuführen beantragen. Die Abstimmung seiner Freunde in der zweiten Lesung, welche für den Antrag Achenbach gestimmt hätten, sei in der Erwartung geschehen, daß man bis zur dritten Lesung eine Fassung finden werde, welche für den richtigen Gedanken eine praktische Durchführbarkeit ermögliche; da dies aber sich nicht habe ermöglichen lossen, werde seine Partei in der dritten Lesung nicht für den Antrag Achenbach eintreten. Sie habe noch den Wunsch, zu den Mitteln zur Eigenthumsermittelung auch die Inventarlegung gefügt zu sehen, und ganz besonders wünsche sie statt der §§. 82 84 klar ausgesprochen zu sehen, daß die Grund⸗ und Gebäudesteuer als Staatssteuer einfach abgeschafft werde; sowie jeßt die Ueberweisung geregelt werden solle, sei darin eine direkte Gefahr für die Steuerreform enthalten. Ferner erblicke sie im §. 76, der von dem Wahlrecht handele, eine Verfassungsänderung; man könne

derselben aus dem Wege gehen, wenn man den Absatz, welcher von

der Einführung der Abtheilungslisten bei Urwahlen handele, streiche. Schließlich werde sie noch beantragen, die Versicherungsprämien nicht von dem steuerpflichtigen Einkommen abzuziehen. Im Uebrigen er⸗ scheine ihr das Gesetz durchaus annehmbar; doch wünsche sie dringend, daß man keine Bestimmung darin aufnehme, welche die Deklara⸗ tionspflicht thatsächlich so gut wie aufhebe.

Abg. von Czarlinski: Seine Partei erkenne an, daß die Vorlage eine gerechtere Vertheilung der Steuerlasten ermögliche, wenn sie auch nicht allen einzelnen Bestimmungen zustimmen könne. u der obligatorischen Selbstdeklaration könne sie sich nur schwer ent⸗ schließen; aber immerhin sehe sie darin auch ein Mittel gegen eine übermäßige Einschätzung. Jedenfalls müsse man nun alle Umwege vermeiden, auf welchen die Selbstdeklaration illusorisch gemacht werden könnte. Im Steuertarif seien die Sätze für die mittleren Klassen noch zu hoch. Für das Zustandekommen der Vor⸗ lage habe seine Partei in der zweiten Lesung alles Denkbare gethan; um so bedauerlicher sei es, daß der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum einen Appell an die Regierung gerichtet habe, die Ausnahmegesetze gegen die Polen aufrecht zu erhalten. Solche Ausnahmemaßregeln deuteten immer auf eine Schwäche einer Regierung, und diese Polen⸗ gesetze hätten auch schon bedenkliche Folgen gehabt.

Abg. Dr. Enneccerus: Durch die zweite Lesung sei eine ganze Reihe von Verbesserungen in die Vorlage hineingekommen, wenn auch nicht bei allen Verbesserungen das Maß erreicht sei, welches seine Freunde wünschten. In der ersten Lesung hätten alle Parteien eine schwächere Heranziehung der mittleren Einkommen ge⸗ wünscht, hierin sei auch ein Erfolg, aber ein nicht sehr großer erzielt worden. Die Einkommen von 7 10 000 seien gegen das jetzige Gesetz immer noch in der Steuer erhöht, und diese Einkommen seien nicht so groß, daß sie neben der Erhöhung durch die Deklaration auch noch eine Erhöhung im Steuersatze ertragen können. Die Herabsetzung bei den anderen Einkommen sei nicht bedeutend, sie übersteige nirgends 12 % und werde die faktische Erhöhung durch die Deklaration nicht ausgleichen. Deshalb be⸗ antrage er wieder eine Ermäßigung der mittleren Einkommen. In der Erhöhung des Steuersatzes auf 4 % für die Einkommen über 30 000 erblickten Manche eine gefährliche, an das sozialdemokratische Programm erinnernde Progressivsteuer, er sehe darin nur das Prinzip der Degression. Die Vorlage lasse als Normalsatz klar und deutlich noch immer die 3 % erkennen. Daran schließe sich nach unten die Degression und nur bei ganz hohen Einkommen eine Progression. Bedingungslos stimme er für die Möglichkeit der Herabsetzung der Steuer bis um 3 Stufen wegen persönlicher Verhältnisse. Er würde sogar statt dieser Befugniß der Einschätzungskommission eine feste Regel beantragen, wenn ein solcher Antrag nicht aussichtslos wäre. Die Steuerkraft könne nur unter Berücksichtigung der verschiedenen Verhältnisse der großen und kleinen Familien richtig beurtheilt werden. Er stimme auch dem Abzug der Lebensversicherungs⸗Prämien bis zu 600 zu. Der Gedanke der Kapitalansammlung trete hier gegen den Versicherungsgedanken vollständig zurück. Diese Bestimmung sei also nicht inkonsequent, und er bedauere, daß die Konservativen deren Streichung beantragten. Die Ueberweisung von Grund⸗ und Gebäudesteuer an die Gemeinden hätte er gern noch mehr gesichert gesehen, da er aber in dieser Beziehung in der zweiten Lesung so wenig Entgegenkommmen Seitens der Konservativen und Freikonservativen gefunden habe, stelle er keine dahingehenden Anträͤge. Die Bestimmung, daß für die Landtagswahl die Dritt⸗ theilung in jedem Urwahlbezirk, auch in größeren, aus mehbreren Urwahlbezirken bestehenden Gemeinden, stattfinden solle, enthalte eine ganz erhebliche Verfassungsverschlechterung; denn sie füge den vorhandenen Ungleichheiten des Wahlrechts noch neue, höchst schreiende Ungleichheiten hinzu und sei ein Präjudiz für eine weitere Ver⸗ schlechterung des Wahlrechts. Er hoffe, diese Bestimmung werde wieder gestrichen werden. Die Beseitigung des Steuerprivilegs der Reichsunmittelbaren sei in der Regierungsvorlage völlig sichergestellt gewesen, nach der zweiten Lesung bleibe dieses Privileg bestehen, wenn ein Gesetz über die Entschädigung der Reichsunmittelbaren nicht zu Stande komme. Für die von den Konservativen beantragte Streichung des sogenannten Agenturparagraphen werde er stimmen, weil dessen Zweck schon durch die übrigen Bestimmungen über die Aktien⸗ zesellschaften erreicht werde. Alles in Allem enthalte die Vorlage gegenüber dem jetzigen Recht einen großen Fortschritt, und sie sei nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Reform unseres Steuerwesens. Ein erstes weiteres Ziel sei die Ueberweisung der gesammten Grund⸗ und Gebäudesteuer und später auch der Ge⸗ werbesteuer an die Gemeinden und dadurch die Beseitigung der Ertrags⸗ und Realsteuern als Staatssteuern, sowie die Beseitigung der Nach⸗ theile der jetzigen Doppelbesteuerung und der die Verhältnisse keines Einzelnen richtig berücksichtigenden Bruttobesteuerung. Damit sei eine Aufhebung der lex Huene und eine verschiedene Besteuerung des fun⸗ dirten und unfundirten Einkommens zu verbinden. Aber auch die Vor⸗ lage habe an sich schon einen selbständigen Werth, sie ziehe in Folge der Deklaration das wirkliche Einkommen heran und bedeute so die Durchführung der Gerechtigkeit auf dem Gebiete des direkten Steuer⸗ wesens. Und wenn Gerechtigkeit die Grundlage jedes Staatswesens sei, so werde auch viese Reform die Grundlagen unseres preußische Staatswesens verbessern. (Beifall bei den Nationalliberalen.)

Abg. Richter: Den Ausführungen des Vorredners könnte man das Motto voransetzen: „Wenn die Hoffnung nicht wär', so lebt' ich nicht mehr.“ Aber nach den bisher gemachten Erfahrungen sollte man sich doch in Steuersachen einer ungerechtfertigten Hoffnungsfreudigkeit nicht hingeben. Der Finanz⸗Minister habe ihm neulich zum Vorwurf ge⸗ macht, daß er (Redner) sofort seine sämmtlichen übrigen Steuerpläne habe kennen lernen wollen. Er meine, wenn man in einem Gesetz selbst auf künftige anderweite Steuermaßregeln verweise, müßten die Grundzüge einer solchen Reform viel deutlicher hervor⸗ treten, als es geschehen sei. Daß seine Partei nicht bloß negire, sondern auch ein positives Programm habe, lehre ein Blick auf die Gesammtheit der von ihr gestellten Anträge. Auch ein nach diesen Anträgen verändertes Gesetz sei sehr wohl ausführbar. Die Doppelbesteuerung der Aktiengesellschaften halte seine Partei nach wie vor für eine Ungerechtigkeit. Auch eine Verwendung des aus dem Gesetz hervorgehenden Plus zur Ueberweisung an die Kommunal⸗ verbände halte sie für keine Steuerentlastung. Ihre Anträge zum Steuertarif rechtfertigten sich von selbst. Der Abg. Enneccerus habe selbst zugegeben, daß die Sätze für die Mittelklassen große Härten in sich schlössen. Ferner müßte der Steuertarif so eingerichtet werden, daß er ohne Weiteres auch für die Gemeinden passe. Die Bestimmung über die Steuerbefreiung der Reichsunmittelbaren sei durch die Hülfe des Centrums noch verschlechtert worden. Bezüglich der Veranlagung wünsche seine Partei nicht zwei verschiedene Klassen von Kommissionsmitgliedern, Gewählte und Ernannte, und man hätte auch sehr wohl davon absehen können, den Landrath zum Vorsitzenden zu machen. Wäre der Tarif ein anderer, wäre ein Unterschied zwischen fundirtem und unfundirtem Einkommen gemacht, wäre die Veranlagungskommission so zusammen⸗ gesetzt, wie seine Partei es wünsche, so würde die Deklarationsfrage für sie eine ganz andere Bedeutung haben. Dann würde für ihn der Zeitpunkt gekommen sein, mit Einzelanträgen auf eine andere Durch⸗ führung der Deklaration hervorzutreten. In der gegenwärtigen Gestalt werde der Deklarationszwang verschieden wirken. Die Quotisirung habe seine Partei beantragt, um dem Abgeord⸗ netenhause die Verfügung über das Plus zu erhalten und dieses dann im Interesse der Steuerzahler verwenden zu können. Dann liege die Quotisirung im Interesse einer soliden Finanzwirth⸗ schaft, ermögliche die Prüfung der Nothwendigkeit und Mützlichkeit der Ausgaben. Wenn sonst der Regierung mehr Geld bewilligt worden sei, habe es die Volksvertretung immer für angezeigt erachtet, zur Herstellung des Gleichgewichtes eine Minderung des politischen Einflusses der Verwaltung eintreten zu lassen. Dieses Gesetz ent⸗ halte aber eine Erweiterung der Geldmittel und eine Verstärkung der Befugnisse der Verwaltung. Das sog. Portemonnaiegesetz von 1880 solle formell nicht aufgehoben sein, aber welche Bedeutung es heute

noch habe, habe er nicht einzusehen vermocht. Dennoch sei früher viel Gewicht auf dieses Gesetz gelegt worden. Ein politisches Be⸗ denken habe seine Partei dagegen, daß der Landrath Vorsitzender der Kommission bleibe. Er sei heute mächtiger als ein Fürst in

seinem Reich und Niemand werde gegen ihn aufkommen können.

Das Wahlrecht der Wähler erster und zweiter Klasse, das plutokratische Elemeat, erfahre eine ganz bedeutende Verstärkung. Der Versuch mit der Dritteltheilung der Urwahlbezirke lasse sich in seinen Wir⸗ kungen garnicht übersehen, und das Dreiklassenwahlsystem werde wahrscheinlich später noch widersinniger erscheinen, als bisher. Er glaube aber nicht, daß deshalb das ganze System um so schneller werde aufgegeben werden. Es charakterisire ferner die Gesetzesarbeit des Hauses, wenn es auf Grund einiger Stichproben zu Verfassungsänderungen schreite. Die Unzufriedenheit, die dieses Gesetz selbst unter regierungsfreundlichen Leuten im

Lande erregen solle, werde wahrscheinlich in Bochum zu suchen in diesem Falle die Die Vorgänge in Bochum seien

sein. (Heiterkeit links.) Vielleicht treffe Verwaltung die größere Schuld. aber dem Finanz⸗Minister für dieses Gesetz sehr zu Statten gekommen. Es heiße auch weiter, daß hier und dort ähnlich eingeschätzt worden sei, wie in Bochum. Solche Eindrücke seien vorherrschend im Lande gewesen, als das neue Einkommensteuergesetz eingebracht worden sei. Das Stichwort „Deklarationszwang“ habe ein weites Echo gefunden. Jetzt habe man mehr und mehr im Lande sich mit dem Gesetz beschäftigt und es dringe die Ansicht durch, daß man aus dem Regen unter die Traufe gekommen sei. Es seien auch Dieienigen höher be⸗ steuert, die es am Wenigsten im Namen der ausgleichenden Gerech⸗ tigkeit erwartet hätten. Doch die Steuerbegeisterung wolle einmal ihr Opfer haben; mögen Diejenigen, die dem Gesetz zustimmten, auch die Verantwortung vor dem Lande tragen.

Abg. Freiherr von Zedlitz: Aus der Rede des Abg. Richter

sei nur das reine „Nein“ wie immer herausgeklungen. Denn wenn der Abg. Richter eine Reihe von Voraussetzungen angeführt habe,

unter denen er nicht etwa für das Gesetz stimmen würde, so weit

sei er nicht gegangen, aber unter denen er das Gesetz nicht so energisch bekämpfen würde, so habe er eben Bedingungen gestellt, welche die

Reform fundamental umstürzen würden. Er wolle jede Mehr⸗ einnahme verhindern und verhindere dadurch die Weiterführung der Reform über den ersten Schritt hinaus; er wolle alle Kautelen be⸗ seitigen, welche gegen unehrliche Steuerzahler eingeführt werden sollten; er wolle endlich die Quotisirung einführen und damit die Stellung der Regierung zur Landesvertretung verschieben; dazu liege gar kein Anlaß vor. Das Haus habe so schwere gesetz⸗ geberische Aufgaben vor sich, daß es nicht richtig sein würde, die Krone und die Landesvertretung in einen Kampf zu verwickeln, statt alle staats⸗ erhaltenden Kräfte zu sammeln. Die Vorlage als erstes Glied einer organischen Steuerreform entspreche dem Grundziele ausgleichender Gerechtigkeit. Das Ziel der weiteren Steuerreform sehe der Abg. Richter nur zu deutlich vor sich; er sehe es voraus, daß dabei eine Kommunalsteuerreform eintreten werde, welche eine Entlastung des Grundbesitzes herbeiführe; und das scheine dem Abg. Richter wohl nicht angenehm. Einige Beschlüsse der zweiten Lesung bedauere er (Redner), namentlich in Bezug auf die Veranlagungskommission; aber das politische Mißtrauen, welches der Abg. Richter gegen die Landräthe entwickelt habe, theile er nicht. Er sei überzeugt, daß die Landräthe ihre Pflichten ohne Ansehen der Person wahrzunehmen bereit seien. (Widerspruch links; Zustimmung rechts.) Wenn auch eine vorübergehende Mißstimmung sich erheben werde, so werde auf die Dauer doch die Erkenntniß Platz greifen, daß die Vorlage die ausgleichende Gerechtigkeit bringe. 8 Abg. Rickert: 8 wäre, dann stände es um die Vorlage brillant; aber das Volk werde sich dadurch nicht beruhigen lassen. Wenn das Gesetz nur der ausgleichenden Gerechtigkeit diente, würde seine Partei mit Freuden zustimmen. Aber es sei an diese Reform etwas Anderes angehängt, und dieses Andere sei schließlich Hauptsache. Es solle mehr Geld be⸗

schafft werden. Wenn der Vorwurf der Negation gegen seine Parte vor Sonnabend erhoben worden wäre, s

so würde derselbe den Schein der Sriginalität gehabt haben. Aber so mache er auf seine Partei gar keinen Eindruck. Sie folge nur ihrem eigenen Gewissen. Politik der letzten zehn Jahre habe

Schiffbruch gelitten der öffentlichen Meinung. Am 24. Februar habe der g von Zedlitz selbst noch die Quotisirung empfohlen; heute verwerf er sie und bezeichne sie als eine Verminderung der Kronrechte. De Freitag und Sonnabend hätten diesen Meinungswechsel herbeigeführt

(Widerspruch des Abg. Freiherrn von Zedlitz) Hätte der Finanz

Minister die Quotisirung beantragt, hier würde sie angenommen

worden sein. Wenn man sage, im Herrenhause nicht, so müsse er be nerken: Was wird das Herrenhaus denn mit dieser Vorlag machen? Das wisse man auch noch nicht. Es heiße aber, da Herrenhaus wolle einige kräftige Striche durch die Vorlage machen Die Verhandlungen der zweiten Lesung hätten ergeben, daß de

Finanz⸗Minister die Mehreinnahmen wolle; das gehe daraus hervor, daßs

der Minister, selbst wenn nicht die ganze Grund⸗ und Gebäudesteuer über

wiesen werde, den überschießenden Theil der Mehreinnahmen nicht zur Er⸗ leichterung der Einkommensteuer verwenden wolle. Der Finanz⸗ Minister erkläre, daß niemals ernsthaft Jemand eine Quotisirung verlangt habe. Die Nationalliberalen, zu denen ja der Finanz⸗ Minister früher gehört habe, hätten 1873 Hrn. Camphausen gegenüber die Quotisirung verlangt und die Nationalliberalen hätten 1879

weil die Einführung beweglicher Zölle im Reichstag verweigert worden sei, gegen den Zolltarif gestimmt. Wo sei unser Programm, frage der Finanz⸗Minister. Ein Programm sei leicht aufgestellt, aber Jeder denke sich bei den Worten etwas Anderes. Ueber⸗ weisung der Grund, und Gebäudesteuer sei auch kein Programm.

An wen solle überwiesen werden? An die Gemeinden, Kreise oder die Provinzen? Daran liege es eben. So lange darüber keine Auf⸗ klärung gegeben werden koͤnne, bewillige seine Partei das Geld nicht, um es in den Kasten zu legen Der frühere Einkommensteuer⸗ Gesetzentwurf der Regierung habe viel niedrigere Steuersätze gehabt, als die jetzige Vorlage und trotzdem seien die Konservativen noch nicht zufrieden; sie wollten noch die Steuerfreiheit der Lebens⸗ versicherungsprämien beseitigen. In diesem Hause sei eine so große agrarische Mehrheit, daß er kein Vertrauen zu ihr haben könne, wie der Abg. Dr. Enneccerus; er lasse den Finanz⸗Minister mit der konservativen Mehrheit allein.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Gegenüber den vielfachen Ausführungen, die ich hier gemacht habe, und da ich auch heute nichts gehört habe, was einer eingehenden Beantwortung bedürfte, fühle ich mich verpflichtet, die Zeit des Hauses nur ganz kurz in Anspruch zu nehmen.

Meine Herren, ich bin kein Freund ich will mit einer mehr persönlichen Bemerkung anfangen von dem Lesen alter, in anderen Zeiten, unter anderen Umständen und zu anderen Zwecken gehaltener Reden (Heiterkeit und Bravo! rechts), ich finde das höchst geistlos und unfruchtbar. (Bravo! rechts.) Aber, da der Hr. Abg. Rickert nun zweimal gemeint hat, ich hätte ihm Unrecht gethan mit meiner Behauptung, daß in früheren Zeiten auch von seiner Seite gegenüber eingreifenden Reformen der direkten Besteuerung die Quotisirungs⸗ frage nicht als Bedingung aufgestellt sei, so bin ich doch nun ge⸗ nöthigt, den Abg. Rickert vom Jahre 1873 dem Abg. Rickert vom Jahre 1891 gegenüberzustellen. Damals verlangte der Hr. Abg. Rickert als Referent der Kommission und auch in seiner ersten Rede per⸗ sönlich nichts weiter als die Kontingentirung der Klassen⸗ steuer, während von einer Kontingentirung oder Quotisirung der Einkommensteuer, wo doch das Gesetz gerade auf eine Vermehrung der Einnahmen aus der Einkommensteuer berechnet war, überhaupt nicht die Rede war. (Sehr richtig! rechts.) Aber weiter, für die Klassensteuer verlangte er nur eine Kontingentirung ich werde zeigen

Wenn es mit volltönenden Worten abgemacht

däß sie in diesem Gesetz in viel größerem Maße vorhanden ist —, aber

dabei protestirte er ganz entschieden dagegen, daß man ihm das als

ein Bestreben, zur Quotisirung zu gelangen, auslege. (Hört! rechts.)

Ich werde das wörtlich vorlesen:

Meine Herren, man hat von einer Seite

sagt der Abg. Rickert in der Sitzung vom 3. März 1873 gegen die Kontingentirung geltend gemacht, daß sie eine politische Maßregel sei, und daß sie insoforn Bedenken habe, als würde daran die Kontingentirung der Einkommensteuer und später gar die Quotisirung der Einkommensteuer und Klassensteuer sich knüpfen. Wer vorurtheilsfrei die Vorgänge in der Kommission erwägt, der wird zugeben müssen, daß es streng sachliche und, wie gesagt, ledig⸗ lich finanzielle Erwägungen waren, welche zur Kontingentirung der Klassensteuer führten, und es heißt doch zu weit gehen, wenn man mit einer so einfachen und naturgemäßen Maßregel ein Schreckbild verbindet, was darin nicht liegt. 8 8

(Heiterkeit rechts.) 8

Damals wies der Abg. Rickert die Quotisirung als Schreckbild zurück und heute soll die Quotisirung die unerläßliche Vorbedingung der Annahme dieser vorliegenden Reformgesetzgebung sein. Meine Herren, stelle ich mich einmal auf den Standpunkt des Abg. Rickert vom Jahre 1873, so frage ich: ist denn hier in diesem Entwurf nicht sogar noch mehr als eine Kontingentirung vorhanden? (Abg. Rickert: Nein!) Meine Herren, hier wird vorgesehen eine Mehreinnahme, und der Abg. Rickert hat immer betont: wir wollen nicht dulden, daß der Staat Mehreinnahmen aus direkten Steuern bekomme ohne Kautelen —, hier heißt es im §. 84, daß die gesammten Mehrerträge zur Entlastung der Kommunen durch Ueberweisung von Grund⸗ und Gebäudesteuer dienen sollen, der Staat soll also nichts davon behalten. Freilich kann Hr. Rickert sagen, das beruhigt mich nicht, es könnte ja sein, daß man über dieses Nebelbild einer Ueberweisung von Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer sich nicht verständigen kann. Dafür ist aber auch vorgesehen, dann bekommt die Staatskasse wieder nichts, dann soll ja eine Re⸗ duktion der Einkommensteuersätze stattfinden. Wo kann denn eine präzisere Kontingentirugg nur in einem verstän⸗ digeren Sinne als 1873, die sich als völlig unhaltbar erwies —, wo kann eine stärkere Garantie für die Kontingentirung vorliegen wie in diesem Gesetz? Meine Herren, ich gebe zu, daß ich mit der Er⸗ innerung an 1873 nichts beweise, und daß Hr. Rickert mir einfach sagen kann, heute sind andere Verhältnisse, ich bin daher nicht an das gebunden, was ich 1873 gesagt habe; aber wenn Hr. Rickert meinen Satz, daß er selbst und daß das Haus an die Steuerreform seit 1867 die Bedingung der Quotisirung nicht geknüpft habe, bestreitet, so bin ich berechtigt, aus den Akten das Gegentheil ihm nachzuweisen. So viel hierüber.

Hr. Abg. Rickert hat sich bemüht, mir das Programm nun klar zu machen, das positive Programm, welches er und seine Freunde dieser Reformgesetzgebung entgegenstellen. Nun, meine Herren, ich bin ihm wirklich mit größter Aufmerksamkeit gefolgt; ich stelle in meinen Gedanken alle die einzelnen Einwendungen und Wünsche, die er hat, zusammen, und komme doch nicht auf ein positives Programm. (Oho! links.) 1“

Ich werde das im Einzelnen näher nachweisen.

Meine Herren, klar und deutlich hat Hr. Abg. Rickert den einen Zweck des Gesetzes, die Möglichkeit einer Beseitigung der Doppelbesteuerung und die Ueberweisung der Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer zu Erlassen, nicht bekämpft. Er hat sich darüber mehr oder weniger unklar ausgedrückt, was er aber gesagt hat in seinem Zu⸗ sammenhang, beweist ganz offenbar, daß er zu diesem zweiten Theil des Programms durchaus seine Zustimmung nicht ertheilt. Ich kann es nicht anders auffassen, denn er hat nur betont, die Selbstdeklaration sei zwar ganz gut, aber die Deklarationseinführung hinge mit dem Tarif zusammen. Nun, meine Herren, welchen Zusammenhang hat denn die Einführung der Deklaration mit dem Tarif, das ist mir völlig unverständlich. Will der Hr. Abg. Richter bestreiten, daß der Zweck jedes verständigen Einkommensteuergesetzes ist, diejenigen Maß⸗ nahmen zu treffen, welche die Besteuerung des Einkommens zu einer Wahrheit machen und nicht zu einer Lüge! Das ist die einzige Frage, um die es sich hier handelt. Der Hr. Abg. Richter sagt selbst, aus der Deklaration werden 30 Millionen mehr aufkommen; ich habe damals schon erwidert: das ist das An⸗ erkenntniß der völligen Unhaltbarkeit der jetzigen Einkommensteuer. (Lebhafter Beifall.) Gut, wer dies anerkennt und nicht den Antrag stellt, das Einkommensteuergesetz überhaupt aufzuheben, die Ein⸗ kommensteuer preiszugeben, statt auf die Personalsteuern und auf das Nettoeinkommen die Steuern des Staats zu basiren, ein allgemeines System der Obiektssteuern einzuführen, folgeweise zur Kapitalrentensteuer überzugehen, der muß dahin kommen, daß es die höchste Zeit ist und nicht durch allerhand Gegengründe verschleiert werden kann, das Einkommensteuergesetz zu einem wirksamen zu machen, Wahrheit und Gerechtigkeit in die Sache zu bringen. (Bravo!) Meine Herren, der Hr. Abg. Richter hat nun aber Alles gethan, um den zweiten Akt der Durchführung eines gerechten, organischen Steuer⸗ systems unmöglich zu machen. Denn wenn er hier eine Degression beantragt, von der er selbst anerkennt, daß sie 10 ½ Millionen koste, wenn er die gesammten Kommunalsteuern abgiebt, wovon nach⸗ gewiesen ist, daß es sechs Millionen koste, dann hat er schon ziem lich dafür gesorgt übrigen; auch dafür, daß dann der Fall der Quoti⸗ sirung nicht nothwendig ist (Heiterkeit), aber jedenfalls auch dafür

gesorgt, daß solche Ueberschüsse nicht entstehen können, welche unent⸗

behrlich sind, um zur Ueberweisung der Grund⸗ und Gebäudesteuer in einem ausgiebigen Maße übergehen zu können. Ich bleibe also dabei: ich kenne das Programm immer noch nicht.

Der Hr. Abg. Rickert hat heute die Ueberwe isung von Grund⸗ und Gebäudesteuer für ein Schlagwort erklärt, was nichts bedeutet. Meine Herren, es war doch aber gerade der Abg. Rickert, der in der Kommission plötzlich beantragte, die Hälfte der Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer schon jetzt den Kreisen zu überweisen. (Heiterkeit) Wo war da das Schlagwort? (Große Heiterkeit.) Meine Herren, ich will nicht weiter auf die Einzelheiten nicht eingehen, nur gegen Eines will ich mich noch verwahren.

Ich habe gesagt, als man von der wachsenden Unzufriedenheit im Lande sprach, daß diese Unzufriedenheit wohl vorzugsweise in denjenigen Kreisen zu suchen wäre, die befürchteten, auf Grund der Deklaration mehr zahlen zu müssen als bisher. Dabei bleibe ich stehen. Ich habe mich aber wohl gehütet und möchte mir den Ausdruck nicht unterschieben

lassen von Defraudanten zu sprechen. Meine Herren, ich habe in

der ersten Rede gerade mit Bezugnahme darauf dargethan, daß man

einen wesentlichen Vorwurf keinem Menschen machen kann, wenn er selbst nicht zur Mithülfe an der Deklaration aufgefordert wird, daß er lediglich schweigt, wenn er falsch eingeschätzt ist, umsomehr, wenn er sich sagen muß, daß fast in allen Kreisen seine Nachbarn und dritte Personen auch nicht anders eingeschätzt werden und er sich nur mit einer höheren Steuer belasten würde, während alle Andern, die nicht so gewissenhaft sind, mit einer geringeren davonkommen. Also von Defraudation ist nicht die Rede gewesen. Ich habe den Gegensatz am Eingang der ersten Lesung gerade gemacht, den ich jetzt wiederholen möchte: das geltende Gesetz legalisirt gewissermaßen die Verheimlichung; es verbietet ja den Behörden, in die Verhältnisse allzu tief einzudringen, das heutige Gesetz fordert zur Gewissenhaftigkeit auf, wendet sich an die Ehrlichen und erfaßt die Unehrlichen. (Sehr richtig!) Das ist der Unterschied!

Ich wiederhole meine Ueberzeugung, daß mindestens eine sehr große Anzahl, die überwiegende Anzahl ich bin davon überzeugt der⸗ jenigen, die auf Ehre und Gewissen vom Staat aufgefordert sind, die Wahrheit zu sagen, sich auch zur Wahrheit bekennen werden. Das ist der große Vorzug dieses Gesetzes.

Meine Herren, die Mißstimmung! Ich traue Niemandem zu ich würde einen solchen Vorwurf für ganz ungerechtfertigt halten —, große Fragen des Staatslebens und der öffentlichen Interessen im Dienste des Gemeinwesens lediglich zu benutzen für Wahlzwecke. Wenn ich mich aber einmal auf diesen Standpunkt stelle, so werden diejenigen, die sagen, wir wollen hier endlich eine gerechte und gleich⸗ mäßige Veranlagung sichern, wir wollen die weniger Be⸗ mittelten im Tarif, soweit die Staatsfinanzen es ge⸗ statten, entlasten, wir wollen mehr Einnahmen für den Staat nicht bewilligen, sondern die Mittel, die durch eine lediglich gerechtere Veranlagung der Einkommensteuer aufkommen, verwenden, um die andere Ungerechtigkeit der Doppelbesteuerung in unserem Lande zu beseitigen, wir wollen die Gewerbesteuer nach Maßgabe der Größe des Betriebes, während bis heute die Gewerbesteuer im Wesentlichen veranlagt war mit steigenden Prozenten für die kleinen Betriebe und degressiven Prozenten für die großen Betriebe (sehr richtig!), die so handeln, die diese Verantwortlichkeit auf sich nehmen, das Gefühl, den Gerechtigkeitssinn der Bevölkerung auf ihrer Seite haben, sie werden auch die Interessen großer Klassen, die bisher überlastet waren, auf ihrer Seite haben. Mit diesem Programm kann jede Partei, wenn es darauf ankäme, in die Wahl gehen. (Bravo !)

Meine Herren, ich bin von jeher der Ueberzeugung gewesen, daß diese ganze Steuerreform undurchführbar ist und nicht gelingen wird, wenn sich nicht eine feste Mehrheit bildet im Landtage, im Herrenhause sowohl wie hier, welche die großen Ideen dieser Reform erfaßt, sich zu eigen macht und entschlossen ist, sie konsequent durchzuführen. Daß dies jetzt der Fall ist, diese Ueberzeugung habe ich heute gewonnen. Ich bin jetzt vollständig getrost ob ich es selbst ausführen kann oder nicht dieses Reformprogramm, welches wir hier im ersten Schritt hoffentlich zur glücklichen Lösfung bringen, es hat die Kraft in sich, und jeder Landtag und jede Regierung muß die angefangene Reform durchführen, sie können nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Das ist meine Ueberzeugung! Deswegen konnte der Hr. Abg. Freiherr von Zedlitz getrost sagen: wir übernehmen diese Verantwortlichkeit mit voller Ruhe und gutem Gewissen. (Lebhaftes Bravo.)

Abg. Dr. von Gneist führt aus, daß der Staat mit fixirten Einnahmen nicht auskommen koͤnne. Die Staatsbedürfnisse wüchsen und müßten durch Mehreinnahmen gedeckt werden. Man habe im Etat mehr als 8000 Ausgabeposten, und weil die Einnahmebewilli⸗ gung fehle, sei das Haus gezwungen, auf die Prüfung der Ausgabe⸗ posten eine große Zeit zu verwenden. Die Sache würde anders liegen, wenn das Abgseordnetenhaus ein wirkliches Einnahmebewilligungsrecht hätte. Eine Verschiebung des Wahlrechts werde durch die Vorlage herbeigeführt; aber das sei schon bei anderen Steuergesetzen geschehen und rechtfertige noch nicht, mit dieser Vorlage eine vollständige Umge⸗ staltung des Wahlrechts zu verbinden, also etwa das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Denn die kleinen Wähler empfingen viel mehr von der Kommune als sie bezahlten, namentlich in dem Schulunterricht für ihre Kinder, so daß die Verschiebung des Wahlrechts dem gegenüber gar nichts bedeute. Es sei aber über⸗ haupt nicht zweckmäßig, politische Fragen mit einem Finanzgesetz zu verbinden. Redner wendet sich dann gegen die Erhöhung des Steuer⸗ satzes bis auf 4 %.

Abg. Dr. Windthorst: Gewiß solle man nicht fremde Materien in dieses Gesetz hineintragen. Aber das Landtags⸗ und Kommunal⸗ wahlrecht beruhe auf den Steuern, und es müßten daher die Maß⸗ regeln getroffen werden, welche sich aus der Reform der Steuer er⸗ gäben. Es würde sehr angenehm gewesen sein, wenn der Vorredner aus dem reichen Schatze seines Wissens hier dargelegt hätte, wie das Wahlrecht anders als nach der Steuer passend geregelt werden könne. Deshalb gehöre die Resolution Rickert für das allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht wohl zu diesem Gesetze. Das Centrum habe sich auch für dessen Einführung für die Landtags⸗ wahlen ausgesprochen. Man solle bei Zeiten und mit Bedacht das thun, wozu man nachher gezwungen werden könne, die lange verweigerte Reform erzeuge die Revolution. Auch das Gemeindewahlrecht werde durch die Vorlage verändert. Er glaube, daß die Unhaltbarkeit des jetzigen Wahlrechtes sich nach der Steuerreform noch viel eklatanter zeigen werde, so daß man über das Provisorium bald hinausgehen werde. Er hätte eigentlich geglaubt, daß es heute nicht erforderlich sein werde, noch Generaldebatten stattfinden zu lassen. Die Mehrzahl seiner Freunde werde auch in dritter Berathung bemüht sein, das Gesetz so zu gestalten, daß es annehmbar bleibe. Die Zustimmung zu dem Gesetz werde ihm persönlich gar nicht leicht. Das Gesetz werde längere Zeit ein sehr großes Mißbehagen herbeiführen, bis es sich eingeburgert haben werde, sowohl wegen der Mehrbelastung durch die Steuer, als wegen der Plackerei, welche das Gesetz mit sich bringe. Sei es denn möglich, so wie die Sache sich gestellt habe, der Vor⸗ lage ein absolutes Nein entgegenzustellen? Seit Jahren sei über die Ungerechtigkeit der bestehenden Einschätzung geklagt worden; im Reichstage sei die Einführung einer Reichs⸗Einkommensteuer verlangt worden. Er habe sich immer gedacht, wenn die Sache wirklich angehe, dann werde es langsam gehen. Der Abg. Rickert aber sei dabei in die Arrièregarde gerathen; es heiße jetzt: Immer langsam voran, immer langsam voran, damit der Fortschritt nachkommen kann. (Große Heiterkeit) Nach dem ewigen Drängen nach gerechterer Veranlagung könne man nicht ungestraft zu einem Versuch der Regierung auf diesem Gebiete nein sagen; namentlich, nachdem man vorher die indirekten Steuern so erhöht habe, müsse man die direkten Steuern in ein besseres Verhältniß zu den indirekten Steuern bringen. Er hoffe, daß das Werk, welches heute begonnen werde, vollständig werde zu Ende geführt werden. Die Ausführung könnte unterbleiben, wenn die Männer, welche dieses Werk begonnen hätten, nicht mehr wären. Er wolle das nicht hoffen, allein es wolle ihm vorkommen, als wenn allerlei im Werke sei, wobei ihnen recht ernste Schwierigkeiten gemacht werden würden. Die andere Möglichkeit sei, daß im Hause selbst Schwierigkeiten entständen. Das wolle er nicht hoffen. Er vertraue der Macht der Idee, er glaube, daß die Reform durchgeführt werden werde und müsse. Das Programm der Kebunst sei noch nicht so klar gegeben, wie das Volk es verlange.

er Finanz⸗Minister und die Kommission würden wohl das

Ganze übersehen. (Zuruf Rickert's: Gar nicht!) Die Götter,

die nicht in diesem Himmel gewesen seien, zu denen er auch gehöre, könnten die Sache nicht so klar erkennen. Er glaube aber, daß es dem Finanz⸗Minister schwer werden würde, nicht den wahren Weg zu wählen, deshalb könne man es riskiren! (Heiterkeit.) Die Quoti⸗ sirung werde nicht ausbleiben können; er glaube, am leichtesten werde die Frage durch die Initiative der Regierung gelöst werden. Abe 1 wenn man eine Steuerreform haben wolle, dann müsse man sich in seinen Anforderungen beschränken. Dann müsse man dem Hause eine gewisse Ruhe gönnen, denn man könne beinahe denken, es sei diesmal die Absicht gewesen, sämmtliche Abgeordnete zu Tode zu hetzen. (Heiterkeit.) Bei ihm habe sich allerdings dieser Versuch als ein Versuch mit untauglichen Mitteln herausgestellt. (Heiterkeit.) Seine Partei werde sich bei der weiteren Berathung sehr beschränken und eine Reihe von Wünschen unterdrücken, um nicht das Ganze ins Stocken zu bringen. Auch die Regierung sollte sich aber eine Beschränkung auferlegen. Es sei ja nicht nöthig, weil der Finanzminister Miquel etwas durchbringe, daß die anderen Minister auch etwas durchbringen müßten in diesem Jahre (Heiterkeit); jetzt könne es nicht mehr viel werden, denn das Frühjahr breche glücklicherweise herein. (Heiterkeit.) Möchten die Freunde im Lande nicht aus den ersten Unbequemlichkeiten einen Schluß ziehen darauf, daß der neue Bau ein schlechter sei.

Damit schließt die Generaldebatte.

Der Beginn der Spezialdebätté wird, da eine große An⸗ zahl von Anträgen vorliegt, auf Antrag der Abgg. Dr. Windt⸗ horst, Dr. Enneccerus und Freiherr von Zedlitz vertagt.

Schluß 3 Uhr.

Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.

In Nr. 5 der „Amtlichen Nachrichten des Reichs⸗Versicherungs⸗ amts“, Abtheilung für Invaliditäts⸗ und Altersversicherung, werden folgende ersten Bescheide und Beschlüsse veröffentlicht:

1) Durch einen Bescheid des Reichs⸗Versicherungsamts vom 31. Dezember 1890 ist die Bestimmung unter Nr. XII der Anleitung vom 31. Oktober 1890, betreffend den Kreis der nach dem In⸗ validitäts- und Altersversicherungsgesetz versicherten Personen, Amtliche Nachrichten des R.⸗V⸗A. J⸗ u. A.⸗V. 1891 Seite 4 ff.*) soweit sich dieselbe auf den Ausschluß der „in dem so⸗ genannten höheren Bureaudienst“ beschäftigten Personen von der Versicherungspflicht bezieht, dahin erläutert worden, daß die Unterscheidung zwischem höherem und niederem Bureaudienst auf die Privatbureaux nicht Anwendung zu finden bat. Es ergiebt sich dies daraus, daß auf der von dem Reichs⸗Versicherungsamt mit Vertre⸗ tern der Landes⸗Centralbehörden und den Vorständen der Versicherungs⸗ anstalten am 6./7. Oktober 1890 abgehaltenen Konferenz, deren Beschlüsse für die Fassung der Anleitung maßgebend waren, bei diesem Punkte überhaupt nur die Befreiung der in staatlichen oder Kommunalbureaux beschäftigten Personen zur Berathung gekommen ist. Der Begriff der nach Ansicht der Konferenzmitglieder von der Versicherungspflicht befreiten „höheren Bureaubeamten“ wird daher auf die in den Bureaux der Reichs⸗, Staats⸗ und Kommunalbehörden beschäftigten nicht beamteten, beziehungsweise nicht mit Pensions⸗ berechtigung angestellten beamteten Expedienten, Registratoren ꝛc., sowie auf gleichartig beschäftigte und gestellte Bureaubeamte anderer, z. B. höherer kirchlicher Behörden zu beschränken sein.

2) Auf die Anfrage des Vorstandes einer Berufsgenossenschaft Betreffs der Versicherungspflichtigkeit der genossenschaftlichen Bureau⸗ beamten hat das Reichs⸗Versicherungsamt unter dem 31. Dezember 1890 erwidert, daß es sich im Allgemeinen empfehlen wird, sämmtliche im Bureau einer Berufsgenossenschaft beschäftigte Beamte nur etwa mit Ausnahme des Geschäftsführers, welcher sich in der Regel in einer gewissen Vertrauensstellung zum Vorstande befinden wird, sowie der vorkommendenfalls als Hülfsarbeiter verwendeten Assessoren ꝛc., die in Folge ihrer höheren Bildung und sozialen Stellung der Versicherungspflicht nicht unterliegen, als „Gehülfen“ im Sinne des §. 1 Ziffer 1 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗ gesetzes anzusehen, mithin ohne Rücksicht auf die Höhe des von ihnen bezogenen Lohns oder Gehalts als versicherungspflichtig zu behandeln. Der Begriff der „höheren Bureaubeamten“ kommt, soweit es sich um die Bureaux der Berufsgenossenschaften handelt, nicht in Frage (zu vergleichen der vorhergehende Bescheid 1).

3) Auf eine Anfrage über die Versicherungspflicht der Küster und anderer niederer Kirchendiener hat sich das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt unter dem 29. Dezember 1890 dahin geäußert, daß die Küster im Allgemeinen, da sie jedenfalls in der Hauptsache Arbeiten vorwiegend materieller Art ausführen (Reinigung der Kirche, Ordnung der kirchlichen Geräthe und Gewänder, Läuten, Leistung von Botendiensten ꝛc.), als Gehülfen im Sinne des §. 1 Ziffer 1 des Inoaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juni 1889 anzusehen sind. Dagegen wird nach Ansicht des Reichs⸗Versicherungsamts vielleicht in denjenigen Fällen eine Ver⸗ sicherungspflicht der Küster nicht anzunehmen sein, in welchen, wie bei den sogenannten „Ober⸗Küstern“ oder „Ersten Küstern“ an Kathedral⸗ ꝛc. Kirchen, die Thätigkeit der betreffenden Personen im Wesentlichen in der Betheiligung an der Leitung des Gottesdienstes und in einer gewissen Aufsichtsstellung gegenüber den anderen niederen Angestellten besteht, dagegen das persönliche Eingreifen bei der eigent⸗ lichen Arbeitsthätigkeit zurücktritt. Abgesehen von diesen Ausnahme⸗ fällen wird die Arbeitsthätigkeit des Küsters an sich der Pflicht zur Invaliditäts⸗ und Altersversicherung unterliegen. Das Gleiche wird auch bei niederen Organisten, Kirchendienern, Kirchenschweizern und äbnlichen Angestellten zutreffen. Dabei hat das Reichs⸗ Versicherungsamt noch darauf hingewiesen, daß die Ver⸗ sicherungspflich der vorerwähnten Personen in Eiazelfällen durch die Bestimmungen des Bundesrathsbeschlusses vom 27. No⸗ vember 1890 über die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Versicherungspflicht (zu vergleichen „Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A., J.⸗ u. A.⸗V.“ 1891 Seite 6 Anm 3) ausgeschlossen sein wird, indem danach viele Küster ꝛc. an kleineren Kirchen, welche neben einem ständigen Hauptberuf als Landwirthe, Handwerker oder der⸗ gleichen die Küster⸗ ꝛc. Dienste nur nebenher und gegen ein gering⸗ fügiges Entgelt verrichten, von der Versicherungspflicht befreit sind.

4) Dem Vorstande einer Versicherungsanstalt gegenüber hat sich das Reichs⸗Versicherungsamt unter dem 10. Februar 1891 dahin ge⸗ äußert, daß die Frage, wann das für eine vorübergehende Dienst⸗ leistung gewährte Entgelt als ein geringfügiges anzusehen, und die betreffende Beschäftigung gemäß I. A. 1 b. des Bundesraths⸗ beschlusses vom 27. November 1890 (vergleiche „Amtliche Nach⸗ richten des R.⸗V.⸗A. J.“ u. A⸗V.“ 1891 Seite 6 Anm. 3) von der Versicherungspflicht befreit sei, im Allgemeinen nur von Fall zu Fal unter Berücksichtigung der einschlägigen thatsächlichen Ver⸗ Fältnisse, insbesondere der gesammten Lebenshaltung der beschäftigten Person, zu entscheiden sein werde, ohne daß sich die Voraussetzungen jener Frage in einer allgemein gültigen Weise ziffermäßig feststellen lassen. Indessen werde der Vorstand, wie er selbst vorgeschlagen, im Allge⸗ meinen kaum fehlgehen, wenn er den einem Drittel des maßgebenden orts⸗ üblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter (§. 8 des Kranken⸗ versicherungsgesetzes) entsprechenden Lohnbetrag als ein geringfügiges Entgelt im Sinne des Bundesrathsbeschlusses ansehe. Denn von einem derartigen Entgelt werde in der Regel angenommen werden können, daß es zum Lebensunterhalt nicht ausreiche und zu den Ver⸗ sicherungsbeiträgen nicht in entsprechendem Verhältniß stehe. Aller⸗ dings sei nicht ausgeschlossen, daß auch ein diesen Betrag über⸗ steigendes Entgelt im Einzelfalle als ein „geringfügiges“ erscheine und dementsprechend die mehrerwähnte Bestimmung des Bundesraths⸗ beschlusses Anwendung finde.

*) Von 189]1 ab bedeutet „Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A.⸗J. u. A.⸗V.“ das Beiblatt, welches die Invaliditäts⸗ und Altersver⸗ sicherung betrifft und auch als Sonderausgabe erscheint, während das Citat „Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A.“ sich lediglich auf das Hauptblatt bezieht, welches die Unfallversicherung betrifft.